TE Vwgh Erkenntnis 1997/12/12 96/19/3388

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Veröffentlicht am 12.12.1997
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

ABGB §696;
AufG 1992 §1 Abs1;
AufG 1992 §6 Abs4;
AVG §13 Abs1;
AVG §56;
AVG §6 Abs1;
AVG §63 Abs1;
AVG §63 Abs3;
AVG §66 Abs4;
AVG §69 Abs1;
FrG 1993 §15;
FrG 1993 §65;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Zens,

Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde der 1979 geborenen DS in Dornbirn, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 7. Oktober 1996, Zl. 120.374/2-III/11/96, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren an Stempelgebührenaufwand wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin erstattete an die Bezirkshauptmannschaft Bregenz eine mit 5. November 1995 und 5. Dezember 1995 datierte Eingabe, in der sie darauf verwies, daß ihr Ehegatte die Voraussetzungen des Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 des aufgrund des Assoziationsabkommens zwischen der EWG und der Türkei eingerichteten Assoziationsrates erfülle. Es wurde daher beantragt,

"der Antragstellerin eine Aufenthaltsbestätigung nach § 28 f. Fremdengesetz auszustellen;

in eventu, eine Aufenthaltsbewilligung nach § 29 Fremdengesetz zu erteilen;

in eventu eine Aufenthaltsbewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz zu erteilen."

Infolge einer Wohnsitzänderung der Beschwerdeführerin wurden diese Anträge der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn übermittelt.

Am 20. Mai 1996 erstattete die Beschwerdeführerin eine Eingabe, in welcher sie zunächst darauf verweist, in früheren Schriftsätzen an die Bezirkshauptmannschaft Bregenz die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung beantragt zu haben. Unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Februar 1996, Zl. 95/19/0424, vertrat die Beschwerdeführerin die Auffassung, sie sei insbesondere nach Art. 7 des in Rede stehenden Assoziationsratsbeschlusses zum Aufenthalt in Österreich berechtigt. Sie beantragte daher festzustellen, daß sie in Österreich aufenthaltsberechtigt sei.

Am 21. August 1996 erließ die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn namens des Landeshauptmannes von Vorarlberg einen Bescheid, dessen Spruch wie folgt lautet:

"O.a. Person hat mit Eingabe vom 05.12.1995 die Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz beantragt.

Hierüber ergeht folgender

Spruch:

Gemäß § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes wird die beantragte Bewilligung nicht erteilt."

Begründend führte die belangte Behörde aus, ihre Zuständigkeit gründe auf § 6 Abs. 4 des Aufenthaltsgesetzes in Verbindung mit der Verordnung des Landeshauptmannes von Vorarlberg, LGBl. Nr. 32/1993. Die Beschwerdeführerin sei mit einem von der österreichischen Botschaft in Ankara ausgestellten Touristensichtvermerk mit Geltungsdauer vom 22. September 1995 bis 24. Oktober 1995 in das Bundesgebiet eingereist. Die gegenständliche Bewilligung solle an diesen Touristensichtvermerk anschließen. Der Sichtvermerksversagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 6 FrG liege vor. Überdies gefährde der im Anschluß an den Ablauf dieses Touristensichtvermerkes unrechtmäßig fortgesetzte Aufenthalt die öffentliche Ordnung und verwirkliche den Sichtvermerksversagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG. Die Erteilung einer Bewilligung sei gemäß § 5 Abs. 1 AufG ausgeschlossen.

Die Beschwerdeführerin erhob Berufung. Sie beantragte, den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, daß festgestellt werde, sie sei in Österreich aufenthaltsberechtigt, in eventu, daß ihr eine Aufenthaltsberechtigung "in welcher Form und nach welchem Gesetz (oder Europarecht) immer" erteilt werde.

Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 7. Oktober 1996 wurde dieser Antrag gemäß § 6 Abs. 2 und § 5 Abs. 1 AufG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 6 FrG abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin habe den Antrag nicht vor ihrer Einreise in das Bundesgebiet vom Ausland aus gestellt. Die Erteilung einer Bewilligung sei daher gemäß § 6 Abs. 2 AufG ausgeschlossen. Im übrigen liege im Hinblick auf die Einreise der Beschwerdeführerin mit einem Touristensichtvermerk auch der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 AufG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 6 FrG vor. Die Erteilung einer Bewilligung sei gemäß § 5 Abs. 1 AufG ausgeschlossen. Eine auf § 5 Abs. 1 AufG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 6 FrG gestützte Entscheidung stelle einen zulässigen Eingriff in das durch Art. 8 MRK geschützte Grundrecht dar.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die Beschwerdeführerin macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit dem Antrag geltend, den angefochtenen Bescheid aus diesen Gründen aufzuheben. Sie vertritt im wesentlichen die Auffassung, die belangte Behörde wäre verpflichtet gewesen, über ihren Feststellungsantrag vom 20. Mai 1996 abzusprechen.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die erstinstanzliche Behörde hat mit Bescheid vom 21. August 1996 (ausschließlich) über den von der Beschwerdeführerin in ihrer Eingabe vom 5. November/Dezember 1995 eventualiter gestellten Antrag auf Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz entschieden. Sie wurde dabei, wie sich aus dem Spruch des angefochtenen Bescheides und aus der in der Begründung erfolgten Bezugnahme auf die Verordnung des Landeshauptmannes von Vorarlberg über die Ermächtigung der Bezirkshauptmannschaften zur Entscheidung nach dem Aufenthaltsgesetz, LGBl. Nr. 32/1993, ergibt, als Aufenthaltsbehörde im Namen des Landeshauptmannes tätig.

Im vorliegenden Fall kann es dahingestellt bleiben, ob der Antrag vom 5. November/Dezember 1995 durch die Eingabe vom 20. Mai 1996 zurückgezogen wurde. Wäre dies der Fall, hätte die erstinstanzliche Behörde über einen bereits zurückgezogenen Antrag entschieden.

Ginge man demgegenüber davon aus, daß die Anträge in der Eingabe vom 5. November/Dezember 1995 von der Beschwerdeführerin aufrechterhalten wurden, wäre die erstinstanzliche Behörde gehalten gewesen, zunächst über den Hauptantrag und dann über die Eventualanträge in ihrer Reihenfolge zu entscheiden. Ein sogenannter Eventualantrag ist im Verwaltungsverfahren durchaus zulässig. Das Wesen eines solchen Antrages liegt darin, daß er unter der aufschiebenden Bedingung gestellt wird, daß der Primärantrag erfolglos bleibt. Wird bereits dem Primärantrag stattgegeben, so wird der Eventualantrag gegenstandslos. Wird ein Eventualantrag vor dem Eintritt des Eventualfalles erledigt, belastet dies die Erledigung mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Februar 1990, Zl. 89/01/0114).

Die erstinstanzliche Behörde hätte daher vorliegendenfalls zunächst über den Primärantrag der Beschwerdeführerin abzusprechen und erst im Falle der rechtskräftigen Nichtstattgebung über den Ersteventualantrag, im Falle dessen rechtskräftiger Nichtstattgebung über den Zweiteventualantrag zu erkennen gehabt.

Indem sie diese Rechtslage verkannte, belastete die erstinstanzliche Behörde ihre Erledigung mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. September 1997, Zl. 96/19/1468).

"Sache" des Berufungsverfahrens war bei dem hier klar auf den Anspruch auf Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz begrenzten Abspruch der ersten Instanz nur dieser Anspruch (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Oktober 1978, Zl. 1032/77, in dem in Slg. Nr. 9.673/A, nicht veröffentlichten Teil). Die belangte Behörde war daher - im Gegensatz zu der in der Beschwerde vertretenen Auffassung - auch aufgrund des Berufungshauptantrages, festzustellen, daß die Beschwerdeführerin in Österreich aufenthaltsberechtigt sei, nicht zuständig, über einen solchen, vom erstinstanzlichen Abspruch nicht umfaßten Anspruch zu entscheiden. Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung, über den die erstinstanzliche Behörde entschieden hat, stellt nämlich - im Gegensatz zur Auffassung der Beschwerdeführerin - gegenüber einer Geltendmachung eines Feststellungsanspruches kein Mehrbegehren, sondern ein "aliud" dar (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 12. September 1997; zur grundsätzlichen Zulässigkeit einer meritorischen Entscheidung über eine Berufung, bei der sich lediglich der Eventualberufungsantrag im Rahmen der "Sache" der erstinstanzlichen Behörde bewegt, vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Oktober 1997, Zl. 95/19/1472. Dies ist hier der Fall, schließt doch der Eventualantrag, der Beschwerdeführerin eine "Aufenthaltsberechtigung nach welchem Gesetz (oder Europarecht) auch immer" zu erteilen, das Begehren auf Erteilung einer Bewilligung gemäß § 1 Abs. 1 AufG mit ein.).

In diesem Zusammenhang sei angemerkt, daß für die Entscheidung über einen Antrag auf Feststellung, ein Fremder halte sich rechtmäßig im Bundesgebiet auf, in erster Instanz die Fremdenpolizeibehörde (für eine solche über einen Antrag auf Feststellung, er sei zur Begründung eines Hauptwohnsitzes berechtigt, aber die Aufenthaltsbehörde) zuständig wäre.

Die belangte Behörde wäre daher verpflichtet gewesen, von Amts wegen die oben aufgezeigte Unzuständigkeit der erstinstanzlichen Behörde zur Erledigung des (sei es bereits zurückgezogenen, sei es bloß eventualiter aufrechterhaltenen) Antrages auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung aufzugreifen und den erstinstanzlichen Bescheid ersatzlos aufzuheben. Indem sie als hiefür zuständige Berufungsbehörde dies unterließ, belastete sie ihren eigenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Hiedurch verletzte sie auf einfachgesetzlicher Ebene das Recht der Beschwerdeführerin auf Einhaltung der Zuständigkeitsordnung. Diese Verletzung der Behördenzuständigkeit war vom Verwaltungsgerichtshof ungeachtet einer Möglichkeit der Verletzung sonstiger subjektiv-öffentlicher Rechte von Amts wegen wahrzunehmen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Februar 1996, Zl. 93/17/0200).

Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Infolge der Zuerkennung der Verfahrenshilfe im Umfang des § 64 Abs. 1 Z. 1 lit. a ZPO liefen der Beschwerdeführerin keine Stempelgebühren auf.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Schlagworte

Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung und auf Zustellung, Recht der Behörde zur Bescheiderlassung konstitutive Bescheide Besondere verfahrensrechtliche Aufgaben der Berufungsbehörde Spruch des Berufungsbescheides Inhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG) Instanzenzug Rechtliche Wertung fehlerhafter Berufungsentscheidungen Rechtsverletzung durch solche Entscheidungen Rechtsgrundsätze Auflagen und Bedingungen VwRallg6/4 Wahrnehmung der Zuständigkeit von Amts wegen sachliche Zuständigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1996193388.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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