Entscheidungsdatum
06.09.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
L521 2216852-1/19E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Mathias Kopf, LL.M. über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Türkei, vertreten durch Mag. Alexander Fuchs, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Lüfteneggerstraße 4, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.03.2019, Zl. 1218306104-190090702, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 26.06.2019 zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I. bis VI. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und dieser ersatzlos behoben.
III. Der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 wird gemäß § 6 AVG 1991 mangels Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes zurückgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Artikel 133 Absatz 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer stellte im Gefolge seiner rechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet am 26.01.2019 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Im Rahmen der niederschriftlichen Erstbefragung am Tag der Antragstellung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Oberösterreich gab der Beschwerdeführer an, den Namen XXXX zu führen und Staatsangehöriger der Türkei zu sein. Er sei am XXXX in Izmir geboren und habe dort gelebt, Angehöriger der kurdischen Volksgruppe und des islamischen Glaubens sowie ledig. Er spreche Kurmancî, Türkisch und Englisch. Er habe neun Jahre die Grund- und drei Jahre die Berufsschule für Autoelektriker besucht. Zuletzt sei er als Bauarbeiter beruflich tätig gewesen. Seine Eltern, eine Schwester und ein Bruder seien in der Türkei in Izmir aufhältig.
Im Hinblick auf seinen Reiseweg brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, am 24.01.2019 die Türkei legal mit einem griechischen Schengenvisum von Istanbul ausgehend nach Wien verlassen zu haben.
Zu den Gründen der Ausreise befragt, führte der Beschwerdeführer aus, Mitglied von "Fethullah Gülen" gewesen zu sein. Er habe des Öfteren eine Aufforderung erhalten, das Polizeirevier aufzusuchen. Die Meisten, die mit diesen Personen etwas zu tun haben, würden in das Gefängnis kommen. Wenn man im Gefängnis sei, komme man nicht mehr raus.
3. Mit Verfahrensanordnung vom 26.01.2019 verfügte die belangte Behörde, dass der Beschwerdeführer an einem näher bezeichneten Quartier ab dem 26.01.2019 Unterkunft zu nehmen habe.
4. Der Beschwerdeführer wurde am 06.02.2019 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Erstaufnahmestelle West, im Beisein eines geeigneten Dolmetschers in türkischer Sprache im Rahmen einer Ersteinvernahme niederschriftlich von dem zur Entscheidung berufenen Organwalter einvernommen.
Zur Person und den Lebensumständen befragt gab der Beschwerdeführer an, Staatsangehöriger der Türkei und Angehöriger der kurdischen Volksgruppe sowie sunnitischen Glaubens zu sein. Kurmandschi sei seine Muttersprache und spreche er auch Türkisch. Er sei in Izmir geboren und dort im Stadtteil XXXX aufgewachsen, ledig und kinderlos. Er habe im Stadtteil XXXX gemeinsam mit seinen Eltern und seinem Bruder gewohnt. Seine verheiratete Schwester sei bereits ausgezogen. Nach einer Ausbildung im Bereich Motorelektronik habe er seinen Lebensunterhalt durch Tätigkeiten bei einem Friseur und auf Baustellen bestritten. Er habe in der Türkei keine finanziellen Probleme gehabt. In Österreich verfüge er über keine Angehörigen oder Verwandten.
Zu den an ihn ergangenen Ladungen befragt, gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, das erste Schreiben glaublich im August/ September 2018 und das zweite Schreiben etwa ein bis zwei Monate später erhalten zu haben. Die Ladungen seien von der Polizei, aber über ein Cargo-Unternehmen gekommen. Man habe ihn einvernehmen wollen, weil er in einer Fethullah Gülen-Schule - der dreijährigen Berufsschule bzw. Berufslyzeum - seine Ausbildung genossen hätte. Die Schule befinde sich im Stadtteil XXXX und die Vorbereitungsschule im Stadtteil XXXX . Seine Diplome seien alle in England verblieben, er könne sich diese Diplome besorgen. Er wisse nicht mehr, wann er die diese Schule abgeschlossen habe. Es sei etwa zwischen 2005 und 2008 gewesen.
In der Folge bestätigte der Beschwerdeführer, bis dato vor Behörden oder Dienststellen in Österreich der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht zu haben.
Zum Ausreisegrund befragt gab der Beschwerdeführer an, dass es viele Gründe gebe, weshalb Anhänger von Fethullah Gülen inhaftiert werden würden. Es reiche aus, einen Dollarschein in der Brieftasche zu haben. Vor dem Putschversuch am 15. Juli 2016 habe die Regierung noch mit der Fethullah Gülen-Bewegung zusammengearbeitet. Bis zu diesem Zeitpunkt habe es auch noch keine Probleme gegeben, wenn man an Versammlungen der Gülen-Bewegung teilgenommen habe.
Nachgefragt zu Details gab der Beschwerdeführer insbesondere an, dass eine Liste von Personen existiere, die auch in der Vergangenheit mit der Gülen-Bewegung in Verbindung gewesen sei. Zu diesen Personen würde auch er zählen, da er eine Gülen-Schule besucht hätte. Es seien viele Lehrer, die bereits im Dienst gewesen seien, lediglich suspendiert worden, weil diese aus einer solchen Schule stammen würden. Es sei richtig, dass daher alle Schüler, die je in einer Gülen-Schule gewesen seien, einer Verfolgung ausgesetzt seien. Der Name des Lyzeums laute XXXX . Nachhilfe sei im XXXX erteilt worden. Im Schreiben sei ihm vorgehalten worden, dass er im XXXX den Nachhilfeunterricht erhalten habe. Diese Schule sei in der Zwischenzeit von der Regierung geschlossen worden. Man würde ihn gerne bezüglich dieser Schule einvernehmen. Er wisse nicht, warum er ein Reisedokument ausgestellt erhalten habe. Er würde angeblich verfolgt werden, aber dies sei ein geheimer Akt. Der Rechtsanwalt habe ihm erklärt, dass man keine Informationen über diesen Akt bekomme. Bis zu einer Festnahme würden diese Untersuchungen manchmal sechs Monate bis ein Jahr dauern. Während der Voruntersuchungen werde man beobachtet. Erst wenn die Behörden etwas Handfestes gegen die untersuchte Person haben, würden sie eingreifen. Erst nach der Anordnung der Staatsanwaltschaft werde man festgenommen.
Befragt, ob ihn sonst noch etwas mit Gülen in Verbindung bringen könne, erwiderte der Beschwerdeführer: "Ab und zu habe ich bei Versammlungen, wo Gespräche geführt wurden, teilgenommen, aber ich war nicht so nahe zu Ihnen. Das war noch vor 2014, bevor ich nach England ausgereist bin."
In weiterer Folge wurden dem Beschwerdeführer auch Fragen bezüglich Fethullah Gülen und dessen Bewegung sowie zur Zustellung der an ihn gerichteten Ladungen gestellt.
Im Falle seiner Rückkehr würde er inhaftiert und während der Haft gefoltert werden. Die Haft werde sicher sehr lange sein. Er würde sich in der Türkei nicht sicher fühlen.
5. Am 13.02.2019 wurden dem Beschwerdeführer zur Wahrung des Parteiengehörs die aktuellen landeskundlichen Informationen zur Türkei seitens des belangten Bundesamtes ausgefolgt.
6. Der Beschwerdeführer wurde am 21.02.2019 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Erstaufnahmestelle West, im Beisein einer geeigneten Dolmetscherin in türkischer Sprache im Rahmen einer weiteren Einvernahme zur Wahrung des Parteiengehörs niederschriftlich von dem zur Entscheidung berufenen Organwalter einvernommen.
Zunächst hab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass er bei der letzten Einvernahme den neuen Namen der Schule genannt habe. Die damalige Bezeichnung sei XXXX .
In der Folge legte der Beschwerdeführer dar, dass zwischenzeitlich niemand mehr gekommen sei. Sein Anwalt habe gemeint, dass derzeit nichts gemacht werden könne, da es sich um einen geheimen Akt handle. Sein Leben wäre im Falle einer Rückkehr in Gefahr. Es sei eine Operation gegen die Gülen-Anhänger gemacht worden. Dies sei vor etwa einer Woche in Izmir gewesen. Es komme laufend zu Operationen. Lediglich aufgrund seines Schulbesuches würden sie ihn festnehmen. Er wisse nicht, was mit ihm geschehen werde. Es gebe auch viele Pädagogen, die gekündigt worden seien, weil diese ihre Ausbildung in einer Gülen-Schule gemacht hätten. Er werde auch das Diplom seines Gymnasiumabschlusses vorlegen.
Des Weiteren wurde dem Beschwerdeführer auch die Möglichkeit geboten, zu den allgemeinen länderkundlichen Feststellungen der belangten Behörde zur Lage in der Türkei eine Stellungnahme abzugeben.
Im Gefolge seiner Einvernahme brachte der Beschwerdeführer eine Anmeldung bezüglich einer Schule und Screenshots von Medienberichten bezüglich der Schließung von Bildungseinrichtungen jeweils in Kopie bei.
7. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.03.2019 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 wurde sein Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei ebenso abgewiesen (Spruchpunkt II). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III und V). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI). Gemäß § 15b Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer aufgetragen, ab 26.01.2019 in einem näher angeführten Quartier Unterkunft zu nehmen (Spruchpunkt VII).
Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - soweit für das Beschwerdeverfahren von Relevanz - nach der Wiedergabe der Einvernahmen des Beschwerdeführers und den Feststellungen zu dessen Person insbesondere aus, es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat aufgrund der von ihm behaupteten Gründe einer Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt gewesen wäre. Er habe keine asylrelevanten Fluchtgründe glaubhaft gemacht. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in die Türkei einer Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung ausgesetzt sei. Rückkehrprobleme im Falle einer Asylantragstellung im Ausland seien keine bekannt. Nach Artikel 23 der türkischen Verfassung bzw. Paragraf 3 des türkischen Passgesetzes sei die Türkei zur Rückübernahme türkischer Staatsangehöriger verpflichtet, wenn zweifelsfrei der Nachweis der türkischen Staatsangehörigkeit vorliege. Die Lebensgrundlage sei dem Beschwerdeführer im Heimatland nicht gänzlich entzogen. Der Beschwerdeführer verfüge im Heimatland über ein soziales Auffangnetz. Es könne nicht festgestellt werden, dass er im Falle seiner Rückkehr in die Türkei einer realen Gefahr des Todes, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Bestrafung oder Behandlung oder der Gefahr der Folter ausgesetzt sei bzw. sein Leben auf sonstige Weise gefährdet wäre. Was das Privat- und Familienleben betrifft, so wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer in Österreich keine Angehörigen oder sonstigen Verwandten habe, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis bzw. eine besonders enge Beziehung bestünde. Er gehe in Österreich keiner Beschäftigung nach. Eine nachhaltige Integration im Bundesgebiet sei nicht ersichtlich. Sein hiesiger Lebensunterhalt werde ausschließlich aus Zuwendungen der öffentlichen Hand bestritten. Seine Einreise sei zum Zweck der Verschaffung einer dauerhaften Niederlassung in Österreich unter Umgehung der Einreise- und Niederlassungsvorschriften und nicht aufgrund einer Verfolgung und der daraus resultierenden Schutzsuche erfolgt. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich sei niemals als sicher anzusehen gewesen.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl legte seiner Entscheidung aktuelle Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers zugrunde (vgl. die Seiten 17 bis 119 des angefochtenen Bescheides).
In der rechtlichen Beurteilung wird begründend dargelegt, warum der seitens des Beschwerdeführers vorgebrachte Sachverhalt keine Grundlage für eine Subsumierung unter den Tatbestand des § 3 AsylG 2005 biete und warum auch nicht vom Vorliegen einer Gefahr im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ausgegangen werden könne. Zudem wurde ausgeführt, warum ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt wurde, weshalb gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt wurde, dass die Abschiebung in die Türkei zulässig sei und weshalb dem Beschwerdeführer aufgetragen wurde, ab 26.01.2019 in einem näher angeführten Quartier Unterkunft zu nehmen.
8. Mit Verfahrensanordnung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.03.2019 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.
9. Gegen den am 01.03.2019 persönlich zugestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.03.2019 richtet sich die im Wege der zum damaligen Zeitpunkt bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation mit Schreiben vom 28.03.2019 fristgerecht eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
Der angefochtene Bescheid wird in vollem Umfang wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung ein für den Beschwerdeführer günstigerer Bescheid erzielt worden wäre, angefochten.
In der Sache wiederholt der Beschwerdeführer im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen. Neu vorgebracht wird, dass er die Gülen-Bewegung im Rahmen seiner Möglichkeiten auch materiell unterstützt habe. Aufgrund der Hassreden und Drohungen des türkischen Präsidenten sei eine Anspannung innerhalb der Community zu spüren gewesen. In einigen Gesprächen mit Bekannten sei ihm seine Ausbildung in der Gülen-Schule vorgeworfen worden. Des Weiteren habe der Beschwerdeführer mitbekommen, dass Familienangehörige und Freunde Folter und Willkür ausgesetzt gewesen seien. Beispielsweise würden Schulfreunde des Beschwerdeführers derzeit im Izmir XXXX Hochsicherheitsgefängnis sitzen. Deren Namen würden XXXX und XXXX lauten. Der Beschwerdeführer ersuche im Übrigen die österreichischen Behörden dies zu prüfen und eine Recherche einzuleiten.
In der Folge wird moniert, dass die belangte Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken habe, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrags geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrags notwendig erscheinen. Diesen Anforderungen habe die belangte Behörde nicht entsprochen. In diesem Zusammenhang werden auszugsweise die von der belangten Behörde herangezogenen Länderberichte zitiert, welche insbesondere Ausführungen zur Sicherheitslage und zur Gülen- oder Hizmet-Bewegung zum Gegenstand haben.
Hätte das belangte Bundesamt die Länderfeststellungen richtig ausgewertet und als Grundlage für eine ordentliche Beweiswürdigung herangezogen, hätte es zu dem Schluss kommen müssen, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe - Personen, die eine Ausbildung an einer an die Gülen-Bewegung angeschlossenen Schule genossen haben - und aufgrund der ihm unterstellten politischen Gesinnung - Personen, die Anhänger der (als terroristisch eingestuften) Gülen-Bewegung sind - als Mitglied der Gülen-Bewegung anzusehen sei und als solche in der Türkei einem politisch motivierten, rechtsstaatlichen Regeln unseres Verständnisses widersprechenden, unfairen Strafverfahren ausgesetzt wäre und langjährige Haftstrafen zu befürchten hätte.
Ferner wird angemerkt, dass der Beschwerdeführer im Zuge der Einvernahme am 21.02.2019 die Bestätigung von seiner Anmeldung in der Schule " XXXX " in Kopie vorgelegt habe. Dieses Beweismittel sei von der Behörde nicht übersetzt und bei der Beweiswürdigung nicht berücksichtigt worden, da nach Ansicht der Behörde ein Zusammenhang mit dem Fluchtvorbringen nicht erkannt werden könne. Zum Beweis wird die Übersetzung und Überprüfung der vorgelegten Unterlagen beantragt.
Darüber hinaus wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Beweiswürdigung des belangten Bundesamtes. Diesbezüglich wird ausgeführt, dass die Feststellung bezüglich einer fehlenden individuellen Verfolgungssituation auf einer unschlüssigen Beweiswürdigung und einer mangelhaften Sachverhaltsermittlung basiere und § 60 AVG verletze.
Insoweit die belangte Behörde dem Beschwerdeführer vorwerfe, dass er bei seiner Erstbefragung angeführt hätte, dass er den Beruf Autoelektriker erlernt hätte und er dafür drei Jahre die Berufsschule besucht hätte, bei seiner Einvernahme jedoch von einer Mittelschule bzw. einem Gymnasium gesprochen hätte, sei darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer bei seiner Einvernahme vorgebracht habe, dass es sich um ein Berufslyzeum gehandelt habe, woraufhin die Behörde im Bescheid angemerkt habe, dass diese Erklärung "nicht überzeugend" gewesen sei. Hiemit werde darauf hingewiesen, dass es die Behörde unterlassen habe, das angebotene Beweismittel über die Anmeldung in der erwähnten Schule übersetzen zu lassen, weshalb die Behörde nicht behaupten könne, dass sie den Angaben des Beschwerdeführers keinen Glauben schenke.
Was den Vorhalt der belangten Behörde betrifft, dass aus den Länderfeststellungen nicht hervorgehen würde, dass Schüler die Privatschulen besucht haben, die von Gülen errichtet worden seien, einer Verfolgung ausgesetzt wären, so werde wiederum auf die Länderinformationen verwiesen, aus denen eindeutig hervorgehe, dass "für die Evidenz einer Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung der Besuch einer an der Organisation angeschlossenen Schule genügend ist".
Des Weiteren wird ausgeführt, dass die belangte Behörde auch aktenwidrige Feststellungen betreffend die Aktivität des Beschwerdeführers in der Gülen-Bewegung getroffen habe. Das belangte Bundesamt behaupte, der Beschwerdeführer hätte im Verfahren nie erwähnt, dass er je mit Gülen oder mit seinen Anhängern sympathisiert oder diese unterstützt hätte. Dahingegen habe der Beschwerdeführer bei seiner Einvernahme vorgebracht, dass er ab und zu bei Versammlungen, wo Gespräche geführt worden seien, teilgenommen habe.
Bezüglich des Vorhaltes der Behörde, der Beschwerdeführer hätte die Schule bereits lange vor dem Putschversuch abgeschlossen, weshalb die türkische Regierung kein Interesse mehr an seiner Verfolgung haben sollte, wird unter auszugsweiser Zitierung von österreichischen Medienberichten entgegnet, dass die Verfolgung von Mitgliedern der Gülen-Bewegung auch dieses Jahr andauere und hunderte Personen zur Fahndung ausgeschrieben worden seien, denen unterstellt werde, mit der Gülen-Bewegung in Kontakt zu stehen.
Schließlich wird festgehalten, dass es nachvollziehbar sei, dass der Beschwerdeführer alle Beweise, die ihn mit der Gülen-Bewegung in Verbindung bringen hätten können, vernichten wollte, da er nach Erhalt der Ladungen panische Angst vor Verfolgung bekommen habe.
Im Rahmen rechtlicher Ausführungen, insbesondere unter auszugsweiser Zitierung von negativen Entscheidungen deutscher Verwaltungsgerichte zur Thematik der Verfolgung von Mitgliedern der Gülen-Bewegung, wird dargelegt, dass der Beschwerdeführer in der Türkei wegen seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt sei. Des Weiteren stünde dem Beschwerdeführer keine innerstaatliche Fluchtalternative offen.
Zur allfälligen Gewährung subsidiären Schutzes wird angemerkt, dass dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt werden hätte müssen, wenn die belangte Behörde ihre Ermittlungspflicht in angemessener Weise wahrgenommen und den vorliegenden Sachverhalt rechtlich richtig beurteilt hätte.
Was die Integration betrifft, wird dargelegt, dass der Eingriff in das schützenswerte Privatleben des Beschwerdeführers als unverhältnismäßig zu qualifizieren und daher auf Dauer unzulässig sei. Obwohl der Beschwerdeführer erst seit relativ kurzer Zeit in Österreich aufhältig sei, sei er sehr bemüht, sich in die österreichische Gesellschaft zu integrieren.
Hinsichtlich Spruchpunkt VII des bekämpften Bescheides wird dessen Behebung beantragt, da sich der Beschwerdeführer in seiner Unterkunft eingesperrt und alleine fühle. Er sei psychisch angeschlagen. Er wolle gerne zu seinen in Österreich lebenden Freunden ziehen oder diese zumindest manchmal besuchen.
Abschließend wird beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge
* eine mündliche Verhandlung anberaumen;
* den angefochtenen Bescheid beheben und dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten zuerkennen;
* in eventu Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides beheben und dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen;
* in eventu Spruchpunkt III des angefochtenen Bescheides aufheben bzw. dahingehend abändern, dass die Rückkehrentscheidung aufgehoben, die Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig erklärt, sowie die Abschiebung für unzulässig erklärt und dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus Gründen des Artikel 8 EMRK erteilt werde;
* in eventu den angefochtenen Bescheid - im angefochtenen Umfang - ersatzlos beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Bundesamt zurückverweisen.
10. Die Beschwerdevorlage langte am 02.04.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die Rechtssache wurden in weiterer Folge der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zugewiesen.
11. Mit Verfahrensanordnung vom 10.04.2019 teilte die belangte Behörde mit, dass die Gründe für die Anordnung der Unterkunftnahme nach § 15b AsylG weggefallen seien. Die Anordnung wurde daher mit sofortiger Wirkung aufgehoben.
12. Die im Zuge der Einvernahme vor dem belangten Bundesamt am 21.02.2019 vorgelegten Unterlagen wurden vom Bundesverwaltungsgericht am 09.05.2019 einer Übersetzung zugeführt.
13. Das Bundesverwaltungsgericht richtete am 13.05.2019 bezüglich des vor dem belangten Bundesamt und im Rechtsmittelschriftsatz vom Beschwerdeführer geschilderten Ausreisegrundes eine Anfrage an die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl. Die diesbezügliche Anfragebeantwortung langte am 25.06.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
14. Mit Telefax vom 13.06.2019 wurde seitens der bis zu diesem Zeitpunkt bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation mitgeteilt, dass die Vollmacht des Beschwerdeführers mit sofortiger Wirkung zurückgelegt worden sei.
15. Am 26.06.2019 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, einer Vertreterin der belangten Behörde und eines Dolmetschers für die türkische Sprache durchgeführt. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer einerseits Gelegenheit gegeben, neuerlich seine Ausreisemotivation umfassend darzulegen sowie die aktuelle Lageentwicklung in der Türkei anhand aktueller Länderdokumentationsunterlagen und einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation bezüglich des Ausreisevorbringens des Beschwerdeführers erörtert, welche dem Beschwerdeführer ausgefolgt wurden. Ihm wurde eine Stellungnahme hiezu freigestellt.
Die eingeräumte Gelegenheit zur Vorlage einer schriftlichen Stellungnahme zu den in der mündlichen Verhandlung erörterten und ausgehändigten Länderdokumentationsunterlagen ließ der Beschwerdeführer ungenutzt verstreichen.
16. Das Bundesverwaltungsgericht richtete am 01.07.2019 bezüglich des vor dem belangten Bundesamt, im Rechtsmittelschriftsatz und in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom Beschwerdeführer geschilderten Ausreisegrundes eine Folgeanfrage an die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl. Die diesbezügliche Anfragebeantwortung langte am 08.07.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurde dem Beschwerdeführer mit Note vom 09.07.2019 zur Abgabe einer Stellungnahme übermittelt.
17. Am 25.07.2019 langte im Wege seiner nunmehrigen rechtsfreundlichen Vertretung - abgesehen von der Vollmachtsbekanntgabe - eine Stellungnahme des Beschwerdeführers zu der ihm mit Note vom 09.07.2019 übermittelten Anfragebeantwortung der Staatendokumentation beim Bundesverwaltungsgericht ein, wobei festgehalten wurde, dass der Beschwerdeführer in der XXXX zur Schule gegangen sei. Er habe nur diese Schule und die Vorschule XXXX besucht. Die XXXX Schule, welche inzwischen geschlossen worden sei, habe er nie besucht.
Der Stellungnahme sind eine Liste mit den Namen aller inzwischen geschlossenen Schulen und weitere Medienberichte zur Gefährdung des Beschwerdeführers in Zusammenhang mit der Gülen-Bewegung angeschlossen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Verfahrensbestimmungen
Gemäß § 27 des Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl. I Nr. 57/2018, hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4 VwGVG) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3 VwGVG) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Absatz 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
2. Feststellungen:
2.1. Der Beschwerdeführer führt den im Spruch angegebenen Namen und ist Staatsangehöriger der Türkei. Er wurde am XXXX in Izmir im Stadtteil XXXX geboren und wuchs im Stadtteil XXXX auf. Er ist Angehöriger der kurdischen Volksgruppe und der sunnitischen Glaubensrichtung, ledig und kinderlos. Der Beschwerdeführer beherrscht Kurmancî und Türkisch in Wort und Schrift. Die Identität des Beschwerdeführers steht fest.
Nach der Absolvierung der Grund- und Hauptschule besuchte der Beschwerdeführer noch eine weiterführende Schule. Es kann nicht festgestellt werden, um welche konkrete Bildungseinrichtung es sich hiebei gehandelt hat. Zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes war der Beschwerdeführer als Friseur, Autoelektriker, Verkäufer und Bauarbeiter tätig. Seinen Wehrdienst in der türkischen Armee hat der Beschwerdeführer zwischen Februar 2008 und Mai 2009 abgeleistet.
Der Beschwerdeführer verfügte vor seiner Ausreise über einen gemeinsamen Wohnsitz mit seinen Eltern und seinem Bruder im Stadtteil XXXX . Seine Schwester war aufgrund deren Heirat bereits aus dieser Unterkunft ausgezogen. Ab Mai 2014 bis Ende 2017 hielt sich der Beschwerdeführer zwischenzeitlich in England auf. Seine Familie lebt noch immer an dieser Adresse.
In der Türkei leben außer seinen Eltern noch ein Bruder und eine Schwester.
Der Beschwerdeführer erlangte am 10.12.2018 beim griechischen Generalkonsulat in Izmir ein vom 22.12.2018 bis zum 21.02.2019 gültiges Visum C (Touristenvisum). Unter Verwendung dieses Visums reiste er am 24.01.2019 in Wien rechtmäßig in den Schengenraum ein, wo er am 26.01.2019 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
2.2. Der Beschwerdeführer gehört keiner politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung an und hatte in seinem Herkunftsstaat keine Schwierigkeiten aufgrund seines Religionsbekenntnisses oder aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit zu gewärtigen. Der Beschwerdeführer gehört nicht der Gülen-Bewegung an und war nicht in den versuchten Militärputsch in der Nacht vom 15.07.2016 auf den 16.07.2016 verstrickt.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise von türkischen Sicherheitskräften zweimal zu einer Einvernahme vorgeladen wurde.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise aus seinem Herkunftsstaat einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr dorthin einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.
Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat die Todesstrafe droht. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge in der Türkei.
Er unterliegt bei einer Rückkehr in die Türkei mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auch nicht der Gefahr einer staatlichen Verfolgung im Hinblick auf seine Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe. Der Beschwerdeführer unterliegt bei einer Rückkehr in die Türkei schließlich nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer Strafverfolgung im Zusammenhang mit einem ihm unterstellten Naheverhältnis zur PKK oder der Gülen-Bewegung.
2.3. Der Beschwerdeführer ist ein arbeitsfähiger Mensch mit bestehenden Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat und einer - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherten Existenzgrundlage. Er verfügt über Berufserfahrung als Friseur, Autoelektriker, Verkäufer und Bauarbeiter. Dem Beschwerdeführer ist die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Sicherstellung seines Auskommens möglich und zumutbar.
Der Beschwerdeführer leidet weder an einer schweren körperlichen noch an einer schweren psychischen Erkrankung.
Der Beschwerdeführer verfügt für den Fall der Rückkehr über ein türkisches Identitätsdokument (Nüfus) im Original und über eine Wohnmöglichkeit bei Verwandten in der Provinz Izmir.
2.4. Der Beschwerdeführer hält sich seit Ende Jänner 2019 in Österreich auf. Er reiste rechtmäßig aufgrund eines vom griechischen Generalkonsulat in Izmir ausgestellten Touristenvisums in Österreich ein (Gültigkeit: 22.12.2018 bis 21.02.2019). Seit 26.01.2019 ist er Asylwerber und verfügt derzeit über keinen anderen Aufenthaltstitel.
Der Beschwerdeführer bezog bis zum 30.04.2019 Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber. Der Beschwerdeführer geht seit etwa Mitte Juni 2019 einer beruflichen Tätigkeit als Friseur in einem Betrieb in Linz nach. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer insoweit einer legalen, behördlich bewilligten Erwerbstätigkeit nachgeht oder er an diesem Friseurbetrieb als Gesellschafter beteiligt ist. Entgegen der Ankündigung in der mündlichen Beschwerdeverhandlung brachte der Beschwerdeführer diesbezüglich keine Beschäftigungsbewilligung, E-Card oder ein sonstiges Bescheinigungsmittel zum Nachweis der legalen Ausübung dieser Erwerbstätigkeit in Vorlage. Der Beschwerdeführer ist für keine Person sorgepflichtig.
Der Beschwerdeführer pflegt normale soziale Kontakte.
Der Beschwerdeführer hat keine gemeinnützige Arbeit verrichtet. Er ist weder in einem Verein noch in einer sonstigen Organisation Mitglied.
Der Beschwerdeführer besuchte keine sprachlichen Qualifizierungsmaßnahmen zum Erwerb der deutschen Sprache und legte auch keine Prüfungen ab. Er beherrscht die deutsche Sprache in einem für die alltägliche Verständigung ausreichenden Umfang.
2.5. Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.
Sein Aufenthalt war nie nach § 46a Abs. 1 Z. 1 oder Z. 3 FPG geduldet. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Der Beschwerdeführer wurde nicht Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO.
2.6. Zur gegenwärtigen Lage in der Türkei werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der abgekürzt zitierten und dem Beschwerdeführer offengelegten Quellen getroffen:
1. Politische Lage
Die Türkei ist eine Präsidialrepublik und laut Art. 2 ihrer Verfassung ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat auf der Grundlage öffentlichen Friedens, nationaler Solidarität, Gerechtigkeit und der Menschenrechte sowie den Grundsätzen ihres Gründers Atatürk besonders verpflichtet. Staats- und Regierungschef ist seit Einführung des präsidialen Regierungssystems per 9.7.2018 der Staatspräsident, der die politischen Geschäfte führt (AA 3.8.2018).
Der Präsident wird für eine Amtszeit von fünf Jahren direkt gewählt und kann bis zu zwei Amtszeiten innehaben, mit der Möglichkeit einer dritten Amtszeit, wenn während der zweiten Amtszeit vorgezogene Präsidentschaftswahlen ausgerufen werden. Erhält kein Kandidat in der ersten Runde die absolute Mehrheit der gültigen Stimmen, findet zwei Wochen später eine Stichwahl zwischen den beiden stimmenstärksten Kandidaten statt. Die 600 Mitglieder der Großen Türkischen Nationalversammlung, ein Einkammerparlament, werden durch ein proportionales System mit geschlossenen Parteienlisten bzw. unabhängigen Kandidaten in 87 Wahlkreisen für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Wahlkoalitionen sind erlaubt. Es gilt eine 10%-Hürde für Parteien bzw. Wahlkoalitionen, die höchste unter den Staaten der OSZE und des Europarates. Die Verfassung garantiert die Rechte und Freiheiten, die den demokratischen Wahlen zugrunde liegen, nicht ausreichend, da sie sich auf Verbote zum Schutze des Staates beschränkt und der Gesetzgebung diesbezügliche unangemessene Einschränkungen erlaubt. Im Rahmen der Verfassungsänderungen 2017 wurde die Zahl der Sitze von 550 auf 600 erhöht und die Amtszeit des Parlaments von vier auf fünf Jahre verlängert (OSCE/ODIHR 25.6.2018).
In der Verfassung wird die Einheit des Staates festgeschrieben, wodurch die türkische Verwaltung zentralistisch aufgebaut ist. Es gibt mit den Provinzen, den Landkreisen und den Gemeinden (belediye/mahalle) drei Verwaltungsebenen. Die Gouverneure der 81 Provinzen werden vom Innenminister ernannt und vom Staatspräsidenten bestätigt. Den Landkreisen steht ein vom Innenminister ernannter Regierungsvertreter vor. Die Bürgermeister und Dorfvorsteher werden vom Volk direkt gewählt, doch ist die politische Autonomie auf der kommunalen Ebene stark eingeschränkt (bpb 11.8.2014).
Am 16.4.2017 stimmten bei einer Beteiligung von 85,43% der türkischen Wählerschaft 51,41% für die von der regierenden AKP initiierte und von der rechts-nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) unterstützte Verfassungsänderung, welche ein exekutives Präsidialsystem vorsah (OSCE 22.6.2017, vgl. HDN 16.4.2017). Die gemeinsame Beobachtungsmisson der OSZE und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) kritisierte die ungleichen Wettbewerbsbedingungen beim Referendum. Der Staat hat nicht garantiert, dass die WählerInnen unparteiisch und ausgewogen informiert wurden. Zivilgesellschaftliche Organisationen konnten an der Beobachtung des Referendums nicht teilhaben. Einschränkungen von grundlegenden Freiheiten aufgrund des bestehenden Ausnahmezustands hatten negative Auswirkungen. Im Vorfeld des Referendums wurden Journalisten und Gegner der Verfassungsänderung behindert, verhaftet und fallweise physisch attackiert. Mehrere hochrangige Politiker und Beamte, darunter der Staatspräsident und der Regierungschef setzten die Unterstützer der Nein-Kampagne mit Terrorsympathisanten oder Unterstützern des Putschversuchs vom Juli 2016 gleich (OSCE/PACE 17.4.2017).
Die oppositionelle Republikanische Volkspartei (CHP) und die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) legten bei der Obersten Wahlkommission Beschwerde ein, dass 2,5 Millionen Wahlzettel ohne amtliches Siegel verwendet worden seien. Die Kommission wies die Beschwerde zurück (AM 17.4.2017). Gegner der Verfassungsänderung demonstrierten in den größeren Städten des Landes gegen die vermeintlichen Manipulationen (AM 18.7.2017). Die OSZE kritisiert eine fehlende Bereitschaft der türkischen Regierung zur Klärung von Manipulationsvorwürfen (FAZ 19.4.2017).
Bei den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen am 24.6.2018 errang Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan 52,6% der Stimmen, sodass ein möglicher zweiter Wahlgang obsolet wurde. Der Kandidat der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP), Muharrem Ince, erhielt 30.6%. Der seit November 2016 inhaftierte ehemalige Ko-Vorsitzende der Demokratischen Partei der Völker (HDP), Selahattin Demirtas, erhielt 8,4% und die Vorsitzende der neu gegründeten Iyi-Partei, Meral Aksener, erreichte 7,3%. Die übrigen Mitbewerber lagen unter einem Prozent. Bei den gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahlen erhielt die regierende AK-Partei 42,6% der Stimmen und 295 der 600 Sitze im Parlament. Zwar verlor die AKP die absolute Mehrheit, doch durch ein Wahlbündnis mit der rechts-nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) unter dem Namen "Volksbündnis", verfügt sie über eine Mehrheit im Parlament. Die kemalistisch-sekuläre CHP gewann 22,6% bzw. 146 Sitze und ihr Wahlbündnispartner, die national-konservative iyi-Partei, eine Abspaltung der MHP, 10% bzw. 43 Mandate. Drittstärkste Partei wurde die pro-kurdische HDP mit 11,7% und 67 Mandaten (HDN 26.6.2018). Zwar hatten die Wähler und Wählerinnen eine echte Auswahl, doch bestand keine Chancengleichheit zwischen den Kandidaten und Parteien. Der amtierende Präsident und seine Partei genossen einen beachtlichen Vorteil, der sich auch in einer übermäßigen Berichterstattung der staatlichen und privaten Medien zu ihren Gunsten widerspiegelte. Zudem missbrauchte die regierende AKP staatliche Verwaltungsressourcen für den Wahlkampf. Der restriktive Rechtsrahmen und die unter dem geltenden Ausnahmezustand gewährten Machtbefugnisse schränkten die Versammlungs- und Meinungsfreiheit auch in den Medien ein. Internationale Wahlbeobachter der ODIHR-Beobachtermission konstatieren in ihrem vorläufigen Bericht vielfältige Verstöße gegen den Fairnessgrundsatz (u.a. ungleicher Medienzugang, Wahl unter Ausnahmezustand) die aber die Legitimität des Gesamtergebnisses insgesamt nicht in Frage stellen. Der Wahlkampf fand freilich in einem stark polarisierten politischen Umfeld statt (OSCE/ODIHR 25.6.2018).
Der Präsident hat die Befugnis hochrangige Regierungsbeamte zu ernennen und zu entlassen, die nationale Sicherheitspolitik festzulegen und die erforderlichen Durchführungsmaßnahmen zu ergreifen; den Ausnahmezustand auszurufen; Präsidialerlässe zu Exekutivangelegenheiten außerhalb des Gesetzes zu erlassen; das Parlament indirekt aufzulösen, indem er Parlaments- und Präsidentschaftswahlen ausruft; das Regierungsbudget aufzustellen; Vetogesetze zu erlassen; und vier von 13 Mitgliedern des Rates der Richter und Staatsanwälte und zwölf von 15 Richtern des Verfassungsgerichtshofes zu ernennen. Die traditionellen Instrumente des Parlaments zur Kontrolle der Exekutive, wie z. B. ein Vertrauensvotum und die Möglichkeit mündlicher Anfragen an die Regierung, sind nicht mehr möglich. Nur schriftliche Anfragen können an Vizepräsidenten und Minister gerichtet werden. Wenn drei Fünftel des Parlamentes zustimmen, kann dieses eine parlamentarische Untersuchung mutmaßlicher strafrechtlicher Handlungen des Präsidenten, der Vizepräsidenten und der Minister im Zusammenhang mit ihren Aufgaben einleiten. Der Grundsatz des Vorrangs von Gesetzen vor Präsidialerlässen ist im neuen System verankert. Präsident darf keine Dekrete in Bereichen erlassen, die durch die Verfassung der Legislative vorbehalten sind. Der Präsident hat das Recht, gegen jedes Gesetz ein Veto einzulegen, obgleich das Parlament mit absoluter Mehrheit ein solches Veto außer Kraft setzen kann, während das Parlament nur beim Verfassungsgericht die Nichtigkeitserklärung von Präsidialerlässen beantragen kann (EC 17.4.2018).
Unter dem Ausnahmezustand wurde die Schlüsselfunktion des Parlaments als Gesetzgeber eingeschränkt, da die Regierung auf Verordnungen mit "Rechtskraft" zurückgriff, um Fragen zu regeln, die nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren hätten behandelt werden müssen. Das Parlament erörterte nur eine Handvoll wichtiger Rechtsakte, insbesondere das Gesetz zur Änderung der Verfassung und umstrittene Änderungen seiner Geschäftsordnung. Nach den sich verschärfenden politischen Spannungen im Land wurde der Raum für den Dialog zwischen den politischen Parteien im Parlament weiter eingeschränkt. Die oppositionelle Demokratische Partei der Völker (HDP) wurde besonders an den Rand gedrängt, da viele HDP-ParlamentarierInnen wegen angeblicher Unterstützung terroristischer Aktivitäten verhaftet und zehn von ihnen ihres Mandates enthoben wurden (EC 17.4.2018).
Nach dem Ende des Ausnahmezustandes am 18.7.2018 verabschiedete das türkische Parlament ein Gesetzespaket mit Anti-Terrormaßnahmen, das vorerst auf drei Jahre befristet ist (NZZ 18.7.2018; vgl. ZO 25.7.2018). In 27 Paragrafen wird geregelt, wie der Staat den Kampf gegen den Terror auch im Normalzustand weiterführen will. So behalten die Gouverneure einen Teil ihrer Befugnisse aus dem Ausnahmezustand. Sie dürfen weiterhin Menschen, bei denen der Verdacht besteht, dass sie "die öffentliche Ordnung oder Sicherheit stören", bis zu 15 Tage lang den Zugang zu bestimmten Orten und Regionen verwehren und die Versammlungsfreiheit einschränken. Grundsätzlich darf es wie im Ausnahmezustand nach Einbruch der Dunkelheit keine Demonstrationen im Freien mehr geben. Zusätzlich können sie Versammlungen mit dem Argument verhindern, dass diese "den Alltag der Bürger nicht auf extreme und unerträgliche Weise erschweren dürfen". Der neue Gesetzestext regelt im Detail, wie Richter, Sicherheitskräfte oder Ministeriumsmitarbeiter entlassen werden können. Außerdem will die Regierung wie während des Ausnahmezustandes die Pässe derer, die wegen Terrorverdachts aus dem Staatsdienst entlassen oder suspendiert werden, ungültig machen. Auch die Pässe ihrer Ehepartner können weiterhin annulliert werden (ZO 25.7.2018). Auf der Plus-Seite der gesetzlichen Regelungen steht die weitere Verkürzung der Zeit in Polizeigewahrsam ohne richterliche Anordnung von zuletzt sieben auf nun maximal vier Tage. Innerhalb von 48 Stunden nach der Festnahme sind Verdächtige an den Ort des nächstgelegenen Gerichts zu bringen. In den ersten Monaten nach dem Putsch konnten Bürger offiziell bis zu 30 Tage in Zellen verschwinden, ohne einen Richter zu sehen (NZZ 18.7.2018).
In der Nacht vom 15.7. auf den 16.7.2016 kam es zu einem versuchten Staatsstreich durch Teile der türkischen Armee. Insbesondere Istanbul und Ankara waren von bewaffneten Auseinandersetzungen betroffen. In Ankara kam es u.a. zu Angriffen auf die Geheimdienstzentrale und das Parlamentsgebäude. In Istanbul wurde der internationale Flughafen vorrübergehend besetzt. Der Putsch scheiterte jedoch. Kurz vor Mittag des 16.7.16 erklärte der türkische Ministerpräsident Yildirim, die Lage sei vollständig unter Kontrolle (NZZ 17.7.2016). Mehr als 300 Menschen kamen ums Leben (Standard 18.7.2016). Sowohl die regierende islamisch-konservative Partei AKP als auch die drei im Parlament vertretenen Oppositionsparteien - CHP, MHP und die pro-kurdische HDP - hatten sich gegen den Putschversuch gestellt (SD 16.7.2016). Unmittelbar nach dem gescheiterten Putsch wurden 3.000 Militärangehörige festgenommen. Gegen 103 Generäle wurden Haftbefehle ausgestellt (WZ 19.7.2016a). Das Innenministerium suspendierte rund 8.800 Beamte, darunter 7.900 Polizisten, über 600 Gendarmen sowie 30 Provinz- und 47 Distriktgouverneure (HDN 18.7.2016). Über 150 Höchstrichter und zwei Verfassungsrichter wurden festgenommen (WZ 19.7.2016a; vgl. HDN 18.7.2016). Die Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter zeigte sich tief betroffenen über die aktuellen Entwicklungen in der Türkei. Laut Richtervereinigung dürfen in einem demokratischen Rechtsstaat Richterinnen und Richter nur in den in der Verfassung festgelegten Fällen und nach einem rechtsstaatlichen und fairen Verfahren versetzt oder abgesetzt werden (RIV 18.7.2016).
Staatspräsident Erdogan und die Regierung sahen den im US-amerikanischen Exil lebenden Führer der Hizmet-Bewegung, Fethullah Gülen, als Drahtzieher der Verschwörung und forderten dessen Auslieferung (WZ 19.7.2016b). Präsident Erdogan und Regierungschef Yildirim sprachen sich für die Wiedereinführung der 2004 abgeschafften Todesstrafe aus, so das Parlament zustimmt (TS 19.7.2016; vgl. HDN 19.7.2016). Neben zahlreichen europäischen Politikern machte daraufhin auch die EU-Außenbeauftragte, Federica Mogherini, klar, dass eine EU-Mitgliedschaft der Türkei unvereinbar mit Einführung der Todesstrafe ist. Zudem sei die Türkei Mitglied des Europarates und somit an die europäische Menschrechtskonvention gebunden (Spiegel 19.7.2016).
Seit der Einführung des Ausnahmezustands wurden über 150.000 Personen in Gewahrsam genommen, 78.000 verhaftet und über 110.000 Beamte entlassen, während nach Angaben der Behörden etwa 40.000 wieder eingestellt wurden, etwa 3.600 von ihnen per Dekret (EC 17.4.2018). Justizminister Abdulhamit Gül verkündete am 10.2.2017, dass rund 38.500 Mitglieder der Gülen-Bewegung, 10.000 der Arbeiterpartei Kurdistan (PKK) und rund 1.350 Mitglieder des sogenannten Islamischen Staates in der Türkei in Untersuchungshaft genommen oder verurteilt wurden. 2017 wurden von Staatsanwälten mehr als vier Millionen Untersuchungen eingeleitet. Laut Gül verhandelten die Obersten Strafgerichte 2017 mehr als sechs Millionen neue Fälle (HDN 12.2.2017). Die türkische Regierung hat Ermittlungen gegen insgesamt 612.347 Personen in der gesamten Türkei eingeleitet, weil sie in den letzten zwei Jahren angeblich "bewaffneten terroristischen Organisationen" angehört haben. Das Justizministerium gibt an, dass allein 2017 Ermittlungen gegen 457.425 Personen eingeleitet wurden, die im Sinne von Artikel 314 des Türkischen Strafgesetzbuches (TCK) als Gründer, Führungskader oder Mitglieder bewaffneter Organisationen gelten (TP 10.9.2018, vgl. SCF 7.9.2018). Mit Stand 29.8.2018 waren rund 170.400 Personen entlassen und 81.400 Personen in Gefängnissen inhaftiert (TP 29.8.2018).
Sowohl die türkische Regierung, Staatspräsident Erdogan als auch die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) erklärten Ende Juli 2015 angesichts der bewaffneten Auseinandersetzungen den seit März 2013 bestehenden Waffenstillstand bzw. Friedensprozess für beendet (Spiegel 25.7.2015; vgl. DF 28.7.2015). Hinsichtlich des innerstaatlichen Konfliktes forderte das EU-Parlament einen sofortigen Waffenstillstand im Südosten der Türkei und die Wiederaufnahme des Friedensprozesses, damit eine umfassende und tragfähige Lösung zur Kurdenfrage gefunden werden kann. Die kurdische Arbeiterpartei (PKK) sollte die Waffen niederlegen, terroristische Vorgehensweisen unterlassen und friedliche und legale Mittel nutzen, um ihren Erwartungen Ausdruck zu verleihen (EP 14.4.2016; vgl. Standard 14.4.2016). Die Europäische Kommission bekräftigt das Recht der Türkei die Kurdische Arbeiterpartei (PKK), die weiterhin in der EU als Terrororganisation gilt, zu bekämpfen. Allerdings müssten die Anti-Terrormaßnahmen angemessen sein und die Menschenrechte geachtet werden. Die Lösung der Kurdenfrage durch einen politischen Prozess ist laut EK der einzige Weg, Versöhnung und Wiederaufbau müssten ebenfalls von der Regierung angegangen werden. (EC 9.11.2016).
Am 23.6.2019 fand in Istanbul die Wiederholung der Bürgermeisterwahl statt. Diese ist von nationaler Bedeutung, da ein Fünftel der türkischen Bevölkerung in Istanbul lebt und die Stadt ein Drittel des Bruttonationalproduktes erwirtschaftet. Zudem hatte Staatspräsident Erdogan mehrmals erklärt: wer Istanbul regiere, regiere die Türkei (NZZ 23.6.2019). Bei der ersten Wahl am 31. Marz hatte der Kandidat der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP), Ekrem Imamoglu, mit einem hauchdünnen Vorsprung von 13.000 Stimmen gewonnen. Die regierende AKP hatte jedoch das Ergebnis angefochten, sodass die Hohe Wahlkommission am 6. Mai schließlich die Wahl, wegen formaler Fehler bei der Besetzung einiger Wahlkomitees, annullierte (FAZ 23.6.2019, vgl. Standard 23.6.2019). Imamoglu gewann die wiederholte Wahl mit 54% bzw. mit einem Vorsprung von fast 800.000 Stimmen auf den Kandidaten der AKP, Ex-Premierminister Binali Yildirim, der 45% erreichte (Anadolu 23.6.2019). Die CHP löste damit die AKP nach einem Vierteljahrhundert von der Macht in Istanbul ab (FAZ 23.6.2019). Bei den Lokalwahlen vom 30.3.2019 hatte die AKP von Staatspräsident Erdogan bereits die Hauptstadt Ankara (nach 20 Jahren), sowie die Großstädte Adana, Antalya und Mersin an die Opposition verloren. Ein wichtiger Faktor war der Umstand, dass die pro-kurdische HDP auf eine Kandidatur im Westen des Landes verzichtete (Standard 1.4.2019) und deren inhaftierter Vorsitzende, Selahattin Demirtas, auch bei der Wahlwiederholung seine Unterstützung für Imamoglu betonte (NZZ 23.6.2019
2. Sicherheitslage
Die innenpolitischen Spannungen und die bewaffneten Konflikte in den Nachbarländern Syrien und Irak haben Auswirkungen auf die Sicherheitslage. In den größeren Städten und in den Grenzregionen zu Syrien kann es zu Demonstrationen und Ausschreitungen kommen. Im Südosten des Landes sind die Spannungen besonders groß, und es kommt immer wieder zu Ausschreitungen und bewaffneten Zusammenstößen. Der nach dem Putschversuch vom 15.7.2016 ausgerufene Notstand wurde am 18.7.2018 aufgehoben. Allerdings wurden Teile der Terrorismusabwehr, welche Einschränkungen gewisser Grundrechte vorsehen, ins ordentliche Gesetz überführt. Die Sicherheitskräfte verfügen weiterhin über die Möglichkeit, die Bewegungs- und Versammlungsfreiheit einzuschränken sowie kurzfristig lokale Ausgangssperren zu verhängen. Trotz erhöhter Sicherheitsmaßnahmen besteht das Risiko von Terroranschlägen jederzeit im ganzen Land. Im Südosten und Osten des Landes, aber auch in Ankara und Istanbul haben Attentate wiederholt zahlreiche Todesopfer und Verletzte gefordert, darunter Sicherheitskräfte, Bus-Passagiere, Demonstranten und Touristen (EDA 19.9.2018).
Im Juli 2015 flammte der Konflikt zwischen Sicherheitskräften und PKK wieder militärisch auf, der Lösungsprozess kam zum Erliegen. Die Intensität des Konflikts innerhalb des türkischen Staatsgebiets hat aber seit Spätsommer 2016 nachgelassen (AA 3.8.2018).
Mehr als 80% der Provinzen im Südosten des Landes waren zwischen 2015 und 2016 von Attentaten der PKK, der TAK und des sogenannten IS, sowie Vergeltungsoperationen der Regierung und bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den türkischen Sicherheitskräften betroffen (SFH 25.8.2016). Ein hohes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 3 des BMEIA) gilt in den Provinzen Agri, Batman, Bingöl, Bitlis, Diyarbakir, Gaziantep, Hakkari, Kilis, Mardin, Sanliurfa, Siirt, Sirnak, Tunceli und Van - ausgenommen in den Grenzregionen zu Syrien und dem Irak. Gebiete in den Provinzen Diyarbakir, Elazig, Hakkari, Siirt und Sirnak können von den türkischen Behörden und Sicherheitskräften befristet zu Sicherheitszonen erklärt werden. Ein erhöhtes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 2) gilt im Rest des Landes (BMEIA 9.10.2018).
1,6 Millionen Menschen in den städtischen Zentren waren während der Kämpfe 2015-2016 von Ausgangssperren betroffen. Die türkischen Sicherheitskräfte haben in manchen Fällen schwere Waffen eingesetzt. Mehre Städte in den südöstlichen Landesteilen wurden zum Teil schwer zerstört (CoE-CommDH 2.12.2016). Im Jänner 2018 veröffentlichte Schätzungen für die Zahl der seit Dezember 2015 aufgrund von Sicherheitsoperationen im überwiegend kurdischen Südosten der Türkei Vertriebenen, liegen zwischen 355.000 und 500.000 (MMP 1.2018).
Die Türkei musste von Sommer 2015 bis Ende 2017 eine der tödlichsten Serien terroristischer Anschläge ihrer Geschichte verkraften. Sie war dabei einer dreifachen Bedrohung durch Terroranschläge der PKK bzw. ihrer Ableger, des sogenannten Islamischen Staates sowie - in sehr viel geringerem Ausmaß - auch linksextremistischer Gruppierungen wie der Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) ausgesetzt (AA 3.8.2018).
Neben Anschlägen der PKK und ihrer Splittergruppe TAK wurden mehrere schwere Anschläge dem sog. Islamischen Staat zugeordnet. Bei einem Selbstmordanschlag auf eine Touristengruppe im Zentrum Istanbuls wurden im Jänner 2016 zwölf Deutsche getötet. Die Regierung gab dem IS die Schuld für den Anschlag (Zeit 17.1.2017). Am 28. Juni 2016 kamen bei einem Terroranschlag auf den Istanbuler Flughafen Atatürk über 40 Menschen ums Leben. Die Behörden gingen von einer Täterschaft des sog. Islamischen Staates (IS) aus (Standard 30.6.2016). Am 20.8.2016 riss ein Selbstmordanschlag des sog. IS auf eine kurdische Hochzeit in Gaziantep mehr als 50 Menschen in den Tod (Standard 22.8.2016). Mahmut Togrul, lokaler Parlamentarier der HDP, sagte, dass die Hochzeitsgäste größtenteils Unterstützer der HDP gewesen seien, weshalb der Anschlag nicht zufällig, sondern als Racheakt an den Kurden zu betrachten sei (Guardian 22.8.2016). In einer Erklärung warf die HDP der Regierung vor, sie habe Warnungen vor Terroranschlägen durch den sog. IS ignoriert. Vielmehr habe die Regierungspartei AKP tatenlos zugesehen, wie sich die Terrormiliz IS gerade in der grenznahen Stadt Gaziantep ausgebreitet hat (tagesschau.de 21.8.2016). Ein weiterer schwerer Terroranschlag des sog. IS erfolgte in der Silvesternacht 2016/17. Während eines Anschlags auf den Istanbuler Nachtclub Reina wurden 39 Menschen getötet, darunter 16 Ausländer (Zeit 17.1.2017).
Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Mitgliedern bewaffneter Gruppen wurden weiterhin im gesamten Südosten gemeldet. Nach Angaben des türkischen Verteidigungsministeriums wurden vom 2. bis 3. Juli 2015 und 11. Juni 2017 im Rahmen von Sicherheitsoperationen 10.657 Terroristen "neutralisiert" (OHCHR 3.2018). Die Sicherheitslage im Südosten ist weiterhin angespannt, wobei 2017 weniger die urbanen denn die ländlichen Gebiete betroffen waren (EC 17.4.2018). In den Jahren 2017 und 2018 wurden außerdem keine großflächigen Ausgangssperren im Südosten der Türkei mehr verhängt, die Untersuchung anhaltender Vorwürfe über Menschenrechtsverletzungen während der 24-stündigen Ausgangssperren im Südosten der Türkei in den Jahren 2015 und 2016 kam jedoch ebenfalls nicht voran (AI 22.02.2018).
Es ist weiterhin von einem erhöhten Festnahmerisiko auszugehen. Behörden berufen sich bei Festnahmen auf die Mitgliedschaft in Organisationen, die auch in der EU als terroristische Vereinigung eingestuft sind (IS, PKK), aber auch auf Mitgliedschaft in der so genannten "Gülen-Bewegung", die nur in der Türkei unter der Bezeichnung "FETÖ" als terroristische Vereinigung eingestuft ist. Auch geringfügige, den Betroffenen unter Umständen gar nicht bewusste oder lediglich von Dritten behauptete Berührungspunkte mit dieser Bewegung oder mit ihr verbundenen Personen oder Unternehmen können für eine Festnahme ausreichen. Öffentliche Äußerungen gegen den türkischen Staat, Sympathiebekundungen mit von der Türkei als terroristisch eingestuften Organisationen und auch die Beleidigung oder Verunglimpfung von staatlichen Institutionen und hochrangigen Persönlichkeiten sind verboten, worunter auch regierungskritische Äußerungen im Internet und in den sozialen Medien fallen (AA 10.10.2018a).
2.1. Gülen- oder Hizmet-Bewegung
Wohl kaum eine Person ist in der Türkei so umstritten wie Fethullah Gülen. ein muslimischer Prediger und als solcher charismatisches Zentrum eines weltweit aktiven Netzwerks. das bis vor kurzem die wohl einflussreichste religiöse Bewegung des Landes war. Von seinen Gegnern wird Gülen als Bedrohung der staatlichen Ordnung der Republik Türkei bezeichnet (bpb 1.9.2014). Die Gülen-Bewegung (türk.: Hizmet) definiert sich selbst als "eine weltweite zivile Initiative. die in der geistigen und humanistischen Tradition des Islam verwurzelt ist und von den Ideen und dem Aktivismus des Herrn Fethullah Gülen inspiriert ist" (GM o.D.). Gülen wird von seinen Anhängern als spiritueller Führer betrachtet. Er fördert einen toleranten Islam. der Altruismus. Bescheidenheit. harte Arbeit und Bildung hervorhebt. Die Gülen- Bewegung betreibt Schulen [zahlreiche hiervon wurden geschlossen] rund um den Globus.
In der Türkei soll es möglicherweise Millionen Anhänger geben, oft in einflussreichen Positionen. Mit ihrem Fokus auf islamische Werte waren Gülen und seine Anhänger natürliche Verbündete Erdogans, als letzterer die Macht übernahm. Erdogan nutzte die bürokratische Expertise der Gülenisten, um das Land zu führen und dann, um das Militär aus der Politik zu drängen. Nachdem das Militär entmachtet war, begann der Machtkampf (BBC 21.7.2016), der im Dezember 2013 eskalierte, als angeblich Gülen nahestehende Staatsanwälte gegen vier Minister der Regierung des damaligen Ministerpräsidenten Erdogan Ermittlungen wegen Korruption einleiteten. In der Folge versetzte die Regierung die an den Ermittlungen beteiligten Staatsanwälte, Polizisten und Richter (bpb 1.9.2014).
Ein türkisches Gericht hatte im Dezember 2014 Haftbefehl gegen Gülen erlassen. Die Anklage beschuldigte die Hizmet-Bewegung, eine kriminelle Vereinigung zu sein. Zur gleichen Zeit ging die Polizei mit einer landesweiten Razzia gegen mutmaßliche Anhänger Gülens in den Medien vor (Standard 20.12.2014).
Am 27.5.2016 verkündete Staatspräsident Erdogan, dass die Gülen-Bewegung auf der Basis einer Entscheidung des Nationalen Sicherheitsrates vom 26.5.2016 als terroristische Organisation registriert wird (HDN 27.5.2016). In den offiziellen türkischen Quellen wird die "Gülenistische Bewegung" oder das "Netzwerk" nun als FETÖ/PDY, kurz: FETÖ (Fethullah Terror Organisation/ Strukturen des Parallelstaates) bezeichnet. Die türkischen Behörden, von einem breiten Konsens in der Gesellschaft unterstützt, machten angesichts des Putschversuches vom 15.7.2016 unmittelbar die Gülen-Bewegung für dessen Organisation verantwortlich. Fethullah Gülen wies jegliche Involvierung von sich. Bislang verweigerten die USA, wo Gülen im selbstgewählten Exil lebt, dessen Auslieferung (PACE 15.12.2016).
Der Menschenrechtskommissar des Europarates, Nils Muiznieks, stellte am 7.10.2016 zum vermeintlichen terroristischen Charakter der Gülen-Bewegung fest, dass die Bereitschaft der Gülen-Bewegung Gewalt anzuwenden, was eine Grundvoraussetzung für die Definition von Terrorismus ist, bis zum Tage des Putschversuches für die türkische Öffentlichkeit nicht augenscheinlich war. Er betonte die notwendige Unterscheidung bei der Kriminalisierung der Mitgliedschaft und der Unterstützung der Organisation, nämlich zwischen jenen, die in illegale Handlungen verwickelt sind und jenen, welche Sympathisanten, Unterstützer oder Mitglieder sind, ohne jedoch etwas über die Bereitschaft zur Gewaltbeteiligung zu wissen. Eine bloße Mitgliedschaft in, oder Kontakte zu einer Organisation, selbst wenn diese mit der Gülen-Bewegung in Verbindung steht, reicht nicht für eine strafrechtliche Verantwortung aus. Muiznieks forderte die Behörden in diesem Zusammenhang auch dazu auf, dass Anklagen wegen Terrorismus nicht rückwirkend auf Handlungen angewendet werden, die vor dem 15.7.2016 als legal galten (CoE-CommDH 7.10.2016).
Die EU stuft die Bewegung des in den USA lebenden türkischen Predigers Fethullah Gülen weiterhin nicht als Terrororganisation ein und steht auf dem Standpunkt, die Türkei mü