TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/11 L504 2210292-1

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Veröffentlicht am 11.09.2019
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Entscheidungsdatum

11.09.2019

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

L504 2210292-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. ENGEL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , XXXX 1994 geb., StA. Irak, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.10.2018, Zl. 1190843107/180448324, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 57, 10 AsylG 2005, §§ 52 Abs 2 Z 2 u. Abs 9, 46, 55 FPG idgF, als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrenshergang

Die beschwerdeführende Partei [bP] stellte am 12.05.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Es handelt sich dabei um einen Mann, welcher seinen Angaben nach Staatsangehöriger des Irak mit sunnitischen Glaubensbekenntnis ist, der Volksgruppe der Kurden angehört und aus XXXX in der Provinz Dahuk stammt.

Aus dem unbestritten gebliebenen Verfahrensgang des angefochtenen Bescheides ergibt sich Folgendes:

"[...]

- Sie traten erstmals am 12.05.2018 in Österreich in Erscheinung. Sie reisten illegal in das Bundesgebiet ein.

- Am 12.05.2018 brachten Sie einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes ein, wobei Sie angaben, den Namen XXXX zu führen, am XXXX 1994 geboren worden und irakischer Staatsbürger zu sein.

- Anlässlich der niederschriftlichen Erstbefragung vor der PI XXXX gaben Sie am 12.05.2018 zur Ihren Ausreisegründen befragt, Folgendes an:

Ich habe von 2015 bis zu meiner Ausreise bei meiner Schwester und meinem Schwager gewohnt. Meine Schwester hat psychische Probleme bekommen weil sie immer wieder Fehlgeburten hatte. Meine Schwester hat gesagt, dass ich unbedingt mit ihr und meinem Schwager Reisen soll, weil sie es ohne mir nicht aushalten würde. Darum haben wir unser Land verlassen.

Ich habe hiermit alle meine Gründe und die dazugehörigen Ereignisse angegeben, warum ich nach Österreich gereist bin! Ich habe keine weiteren Gründe für einen Asylantrag.

- Nach Zulassung Ihres Verfahrens wurden Sie am 16.10.2018 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines von der erkennenden Behörde bestellten und beeideten Dolmetschers für die Sprache Kurdisch, sowie vor einem zur Entscheidung berufenen Organwalterin zu Ihrem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen. Diese gestaltete sich wie folgt:

LA: Haben Sie bei der vorangegangen Befragungen und Einvernahmen der Wahrheit entsprechenden Angaben gemacht und wurden Ihnen diese Angaben rückübersetzt und richtig protokolliert?

VP: Ich habe die Wahrheit gesagt, die Einvernahme wurde rückübersetzt und richtig protokolliert. Es wurde nur beim Geburtsdatum der Tag falsch angegeben.

LA: Konnten Sie all Ihre Ausreisegründe nennen?

VP: Ja, ich habe alles angegeben.

Befragt, ich bin ledig, habe keine Kinder und bin gesund.

Ich gehöre der Volksgruppe der Kurden an bin Moslem (Sunnit).

LA: Möchten Sie irgendwelche Papiere/Dokumente/ärztliche Befunde etc. vorlegen?

Haben Sie irgendwelche Dokumente bei sich?

VP: Ja, ich habe Dokumente mit.

Anm. VP legt vor

- Personalausweis im Original lautend auf XXXX Vorname Vater und Großvater XXXX Familienname -, geb. XXXX 1994 in XXXX , ausgestellt am 26.06. XXXX vom Registeramt XXXX .

- Staatsbürgerschaftsnachweis lautend auf XXXX , geb. 1994, ausgestellt am 28.06. XXXX von der Staatsbürgerschaftsstelle XXXX .

LA: Warum haben Sie bei der Erstbefragung Ihr Geburtsdatum nicht berichtigt?

VP: Ich habe gesagt, dass ich am XXXX geboren bin, es wurde falsch protokolliert.

Anm. Das Geburtsdatum wird berichtigt und neue Karte ausgefolgt.

LA: Hatten Sie je einen Reisepass?

VP: Ja, der wurde uns vom Schlepper abgenommen.

LA: Waren oder sind Sie im Heimatland Mitglied einer politischen Organisation oder eines

politischen Vereins? Waren Sie politisch aktiv?

VP: Nein.

LA: Sind Sie nun das erste Mal außerhalb Ihres Heimatlandes?

VP: Ja.

LA: An welchen Adressen waren Sie im Heimatland aufhältig und mit wem haben Sie dort zusammengelebt? Unter aufhältig sind auch jene Adressen zu verstehen, wo Sie nicht gemeldet waren und wo Sie für einen Zeitraum gelebt haben, der über einen normalen Besuch hinausreicht.

VP: Ich bin in XXXX in der Provinz XXXX geboren und aufgewachsen und seit ich mich erinnern kann, habe ich in dem Haus gelebt, bis zu meiner Ausreise.

LA: Bis zur Ausreise lebten Sie im Elternhaus in XXXX ?

VP: Von meiner Geburt bis 2015 lebte ich bei meinen Eltern in XXXX , dann lebte ich bei meiner Schwester Shirin in der Stadt XXXX . Bis zur Ausreise lebte ich dann bei meiner Schwester. Anderswo habe ich mich nicht aufgehalten.

LA: Wer Ihrer Familie lebte noch im Heimatland?

VP: Meine Eltern leben in XXXX . Ich habe 5 Brüder sind im Irak, XXXX und zwei Schwestern sind im Irak, XXXX .

LA: Was haben Sie beruflich gemacht und wovon haben Sie gelebt?

VP: Meine Schwester hatte psychische Probleme und ich habe bei ihr gewohnt. Der Mann meiner Schwester hat sich um meinen Unterhalt gekümmert. Ich habe gelegentlich am Bau gearbeitet.

LA: Haben Sie noch Kontakt ins Heimatland? (telefonisch, e-mail, postalisch, etc.)

VP: Ich habe Kontakt mit meiner Mutter und habe ihr auch gesagt, dass sie mir die Dokumente schicken soll. Das hat sie auch gemacht.

LA: Wann verließen Sie das Heimatland?

VP: Anfang des 4. Monats 2018, legal mit dem Flugzeug in die Türkei.

LA: Was hat Sie Ihre Flucht insgesamt gekostet? (Schlepperkosten)

VP: Mein Schwager hat das bezahlt.

LA: Können Sie nochmals schildern, was die ausschlaggebenden Gründe für Ihre jetzige Ausreise waren? Was ist in Ihrer Heimat passiert, dass Sie sich zur Flucht entschlossen haben? Schildern Sie die Ereignisse in chronologischer Reihenfolge und so detailreich, dass sich ein Außenstehender ein Bild Ihrer Situation machen kann.

VP: Ich habe bei meiner Schwester, Shirin gewohnt, weil sie psychische Probleme hat. Ich habe als junger Mann keine Zukunft in Kurdistan gehabt. Am 11.10.2018 sind 35 kurdische Flüchtlinge aus meiner Gegend bei der Flucht ertrunken.

LA: Hatten Sie konkrete Probleme im Irak?

VP: Schauen Sie meine Zähne an.

Anm. VP zeigt seine Zähne, welche schwarz gefärbt sind.

VP: Ich bin 23 Jahre und die Regierung in Kurdistan hat mich kein einziges Mal unterstützt und gab mir keine Möglichkeit, eine Existenz für mich aufzubauen.

LA: Sie reisten rein aus wirtschaftlichen Gründen aus?

VP: Die Lage ist dort nicht stabil und es gab einen Krieg und sogar die Iraner und Hashd al Shabi haben in der Region das kurdische Gebiet angegriffen.

LA: Frage wird wiederholt!

VP: Ich bin 23 Jahre alt und habe keine Zukunft im Irak.

LA: Bitte beantworten Sie die Frage!

VP: Ich reiste aufgrund der wirtschaftlichen Lage und der Sicherheitslage aus.

LA: Gibt es weitere Ausreisegründe, außer wirtschaftliche und die der Sicherheitslage?

VP: Ich bin 23 Jahre alt und möchte hier eine Existenz aufbauen.

LA: Bitte beantworten Sie die Frage! Gab es weitere Probleme?

VP: Ich und auch die anderen Kurden wurden von Hashd Al Shabi bedroht.

LA: Sie persönlich?

VP: Nein.

LA: Hatten Sie Probleme mit den kurdischen/irakischen Behörden?

VP: Nein.

LA: wurden Sie jemals bedroht?

VP: Nein.

LA: Möchten Sie etwas zu Ihrem Vorbringen ergänzen?

VP: Meiner Schwester ist es psychisch schlecht gegangen und sie hat keine Kinder bekommen und ich habe keine Arbeit gehabt, von ich hätte leben können. Ich verspreche, wenn ich hier bleiben kann, wird man das nicht bereuen.

LA: Waren Sie im Heimatland oder anderswo in Strafhaft? Wenn ja, weshalb?

VP: Nein.

LA: Besteht gegen Sie ein offizieller Haftbefehl im Heimatland?

VP: Nein.

LA: Was würde bei aktueller (fiktiver) Heimkehr ins Heimatland passieren? Was würde Sie dort erwarten?

VP: Ich habe keine Zukunft mehr im Irak und es gibt keine Möglichkeit, eine Arbeit zu finden. Ich habe keinerlei Unterstützung von der Kurdistanregierung bekommen. Niemand hat gefragt, welche Probleme ich in meiner Heimat habe und ich habe keine Hilfe bekommen.

LA: Was arbeitet Ihr Vater?

VP: Mein Vater kann altersbedingt keiner Beschäftigung nachgehen.

LA: Wer sorgt für den Unterhalt der Familie?

VP: Mein Bruder arbeitet als Elektriker und unterstützt meine Eltern. Mein Bruder hat auch nicht immer Arbeit.

LA: Unterstützt der in Österreich lebende Bruder die Familie?

VP: Nein.

Anmerkung: Ihnen wird nun die Möglichkeit eingeräumt, in die in die vom Bundesasylamt zur Beurteilung Ihres Falles herangezogenen allgemeinen Länderfeststellungen des BFA zu Ihrem Heimatland samt den darin enthaltenen Quellen Einsicht und gegebenenfalls schriftlich Stellung zu nehmen. Diese Quellen berufen sich vorwiegend unter anderem auf Berichte von EU-Behörden von Behörde von EU-Ländern aber auch Behörden anderer Länder, aber auch Quellen aus Ihrer Heimat wie auch zahlreichen NGOs und auch Botschaftsberichten, die im einzelnen auch eingesehen werden können.

VP: Ich möchte keine schriftliche Stellungnahme einbringen.

LA: Sind Sie in Österreich wegen einer strafbaren Handlung verurteilt worden?

Wenn ja, wann? Und wo?

VP: Nein.

LA: Haben Sie Bindungen an Österreich? Haben Sie hier Verwandte oder sonstige Beziehungen?

VP: Eine Schwester, einen Bruder, mein Schwager.

LA: Werden Sie durch den in Österreich lebenden Bruder unterstützt?

VP: Er hilft mir beim Deutschlernen. Er arbeitet.

Befragt, was er arbeitet, er arbeitet in Baden bei einer Firma.

LA: Was machen Sie in Ihrer Freizeit, mit dem verbringen Sie diese?

VP: Ich lerne Deutsch.

LA: Sind Sie Mitglied in einem Verein oder anderen Organisationen?

VP: Nein.

LA: Wovon leben Sie hier in Österreich? (Grundversorgung? Arbeiten Sie hier?)

VP: Ich werde vom Staat versorgt.

LA: Haben Sie schon einen Deutschkurs oder sonst Kurse besucht?

VP: Ja.

LA: Ich beende jetzt die Befragung. Hatten Sie Gelegenheit all Ihre persönlichen Gründe vorzubringen oder wollen Sie noch etwas hinzufügen?

VP: Nein, das war alles.

LA: Es wird Ihnen nunmehr die Niederschrift rückübersetzt und Sie haben danach die Möglichkeit noch etwas richtig zu stellen oder hinzuzufügen.

Anmerkung: Die gesamte Niederschrift wird wortwörtlich rückübersetzt.

LA: Haben Sie nun nach Rückübersetzung Einwendungen gegen die Niederschrift, wurde diese richtig und vollständig protokolliert?

VP: ich habe keine Einwände.

LA: Haben Sie den Dolmetscher einwandfrei verstanden?

VP: Ich habe den Dolmetscher einwandfrei verstanden.

Auf Nachfragen gebe ich an, dass alle meine Angaben der Wahrheit entsprechen.

- Mit Verfahrensanordnung vom heutigen Tag wurde Ihnen ein Rechtsberater gemäß § 52 BFA-VG für ein allfälliges Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.

Der Antrag auf internationalen Schutz wurde folglich vom Bundesamt gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt.

Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak nicht zugesprochen.

Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt.

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in den gemäß § 46 FPG zulässig sei.

Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

Das Bundesamt gelangte im Wesentlichen zur Erkenntnis, dass hinsichtlich der Gründe für die Zuerkennung des Status eines asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten eine aktuelle und entscheidungsrelevante Bedrohungssituation nicht bzw. nicht glaubhaft vorgebracht worden sei. Ebenso ergebe sich aus allgemeinen Lage im Herkunftsstaat keine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende bzw. reale Gefährdung der bP. Abschiebungshindernisse lägen demnach nicht vor. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen seien nicht gegeben. Ein die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung übersteigendes Privat- und Familienleben würde nicht vorliegen und wurde daher eine Rückkehrentscheidung verfügt.

Gegen diesen Bescheid wurde innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben. Im Wesentlichen wurden mangelhafte und veraltete Länderfeststellungen moniert, welche sich nicht mit dem konkreten Fluchtvorbringen auseinandersetzen; neben der UNHCR-Richtlinie wurden diverse veraltete Länderberichte wiedergegeben. Es würden relevante Berichte zur Situation von Rückkehrern aus dem westlichen Ausland fehlen. Das BFA habe sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob die bP wegen ihrer Asylantragstellung in Österreich Verfolgung befürchten muss. Der bP drohe im Irak asylrelevante Verfolgung auf Grund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit sowie ihres sunnitischen Glaubens. Beantragt wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Das BVwG hat durch den Inhalt des übermittelten Verwaltungsaktes der belangten Behörde, einschließlich der Beschwerde Beweis erhoben.

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1.1. Identität und Herkunftsstaat:

Name und Geburtsdatum (wie im Einleitungssatz des Spruches angeführt) stehen (lt. Bundesamt) fest. Da dem BVwG selbst keine nationalen, mit Lichtbild versehenen Identitätsdokumente im Original vorlagen, kann mangels Überprüfbarkeit und unter Berücksichtigung der notorisch hohen Fälschungsrate von derartigen Identitätsdokumenten aus dem Irak, seitens des BVwG dazu keine eigene Feststellung getroffen werden.

Die bP bezeichnet sich der Volksgruppe der Kurden und dem sunnitischen Glauben zugehörig.

Ihre Staatsangehörigkeit und der hier der Prüfung zugrundeliegende Herkunftsstaat ist der Irak.

Ihren Angaben nach ist sie ledig.

1.2. Regionale Herkunft und persönliche Lebensverhältnisse vor der Ausreise:

Ihren Aussagen nach ist die bP in XXXX , Provinz XXXX geboren und absolvierte dort ihre Schulbildung.

Sie wohnte die letzten 3 Jahre vor ihrer Ausreise in XXXX bei ihrer Schwester.

Die bP verfügt über keine einschlägige Berufsausbildung.

Ihren Lebensunterhalt bestritt sie mit gelegentlichen Arbeiten als Hilfsarbeiter auf dem Bau. Darüber hinaus wurde sie von ihrem Schwager unterstützt.

1.3. Familiäres/verwandtschaftliches bzw. soziales Netzwerk im Herkunftsstaat

Die Eltern und fünf Brüder sowie 2 Schwestern halten sich in XXXX im Irak auf.

Die bP hat weder beim Bundesamt noch in der Beschwerde konkret dargelegt, dass bei der Rückkehr keinerlei für sie zugängliches Netzwerk mehr bestünde.

Die Ausreise der bP wurde durch den Schwager finanziert, welcher sie ebenfalls im Herkunftsstaat unterstützte.

1.4. Ausreisemodalitäten

Sie reiste im April 2018 legal mit dem Flugzeug in die Türkei aus, wo sie sich eine Zeitlang aufhielt. Danach reiste sie schlepperunterstützt mittels LKW nach Österreich.

Zum Verbleib des heimatsstaatlichen Reisepasses gab sie an, dass ihr dieser vom Schlepper abgenommen worden sei.

Sie durchreiste auf ihrem Weg nach Österreich mehrere als sicher geltende Staaten. In diesen suchte sie nicht um Schutz an. Es wurde nicht behauptet, dass ihr dort die Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz nicht auch möglich gewesen wäre oder dass Flüchtlinge dort keinen Schutz erlangen könnten.

1.5. Gesundheitszustand

Die bP hat im Verfahren keine aktuell behandlungsbedürftige Erkrankung dargelegt.

1.6. Privatleben / Familienleben in Österreich

Art, Dauer, Rechtmäßigkeit des bisherigen Aufenthaltes:

Die bP begab sich mit Unterstützung einer kriminellen Schlepperorganisation und ohne Vorhandensein eines Einreise- bzw. Aufenthaltstitels am Mai 2018 in das Bundesgebiet.

Mit der am 12.05.2018 erfolgten Stellung des Antrages auf internationalen Schutz erlangte die bP eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung gem. AsylG, die nach Antragsabweisung durch die Beschwerdeerhebung verlängert wurde.

Da ihr in diesem Verfahren weder der Status eines Asylberechtigten noch jener eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen war, erweist sich die Einreise als rechtswidrig und stellt grds. gem. § 120 Abs 1 u. Abs 7 FPG eine Verwaltungsübertretung dar.

Familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich:

Die bP lebt mit ihrer Schwester und deren Familie bei ihrem in Österreich aufhältigen Bruder, welchem mit Bescheid vom 28.05.2018 der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde. Die Schwester und ihre Familie sind ebenfalls Asylwerber.

Schutzwürdigkeit des Privatlebens / Die Frage, ob das Privatleben / Familienleben zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstaates bewusst waren / Grad der Integration

Deutschkenntnisse: keine Bescheinigungen über erfolgreich abgelegte Prüfungen nachgewiesenen

Sonstige Ausbildungen: keine

Teilweise oder gänzliche wirtschaftliche Selbsterhaltung während des Verfahrens bzw. Teilnahme an möglicher und erlaubter Erwerbstätigkeit für Asylwerber (https://www.ams.at/unternehmen/service-zur-personalsuche/beschaeftigung-auslaendischer-arbeitskraefte/beschaeftigung-von-asylwerberinnen-und-asylwerbern#wieknnenasylwerberinnenundasylwerberbeschäftigtwerden) wurde nicht dargelegt bzw. nachgewiesen.

Der Grundversorgungsdatenbank ist zu entnehmen, dass die beschwerdeführende Partei seit Asylantragstellung vom österreichischen Staat versorgt wird.

Gemeinnützige Tätigkeiten: keine vorgebracht

Bindungen zum Herkunftsstaat:

Die beschwerdeführende Partei ist im Herkunftsstaat geboren, absolvierte dort ihre Schulzeit, kann sich im Herkunftsstaat - im Gegensatz zu Österreich - problemlos verständigen und hat ihr überwiegendes Leben in diesem Staat verbracht. Sie kennt die dortigen Regeln des Zusammenlebens.

Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die beschwerdeführende Partei als von ihrem Herkunftsstaat entwurzelt zu betrachten wäre.

Strafrechtliche/verwaltungsstrafrechtliche Vormerkungen:

In der Datenbank des österreichischen Strafregisters scheinen keine Vormerkungen wegen rk. gerichtlicher Verurteilungen auf.

Das Vorliegen von rk. Verwaltungsstrafen wurde dem BVwG nicht mitgeteilt und ergibt sich auch nicht aus dem Akteninhalt.

Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts:

Da der bP weder der Status einer Asylberechtigten noch der einer subsidiär schutzberechtigten Person zukommt, stellt die rechtswidrige Einreise (bei strafmündigen Personen) gegenständlich auch grds. eine Verwaltungsübertretung dar (vgl. § 120 Abs 7 FPG).

Verfahrensdauer:

Das Asylverfahren wurde vor beiden Instanzen ohne größere Unterbrechungen durchgeführt.

1.7. Zu den behaupteten ausreisekausalen Geschehnissen / Erlebnissen im Zusammenhang mit staatlichen bzw. nichtstaatlichen Akteuren und der zu erwartenden Rückkehrsituation:

Den eigenen Angaben der bP nach war sie bis zu ihrer Ausreise im Irak weder inhaftiert noch hatte sie persönlich mit Behörden Probleme; gegen sie bestanden keine staatlichen Fahndungsmaßnahmen; sie war nicht politisch tätig oder Mitglied einer Partei; sie hatte persönlich keine Probleme wegen ihres Religionsbekenntnisses oder ihrer Volksgruppenzugehörigkeit; sie hatte keine gröberen Probleme mit Privatpersonen; nahm an keinen bewaffneten oder gewalttätigen Auseinandersetzungen aktiv teil.

Es kann somit nicht festgestellt werden, dass die bP im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat, konkret ihre Herkunftsregion XXXX, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr oder einer entscheidungsrelevanten realen Gefahr von Leib und/oder Leben ausgesetzt wäre.

Aus den Angaben der bP ergibt sich im Herkunftsstaat, insbesondere in der Herkunftsregion der bP, unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Verhältnisse, keine Situation, wonach im Falle der Rückkehr eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts bestünde. Dies ergibt sich auch nicht aus der amtswegigen Einschätzung der Lage im Herkunftsstaat

Die bP war im Hinblick auf Unterkunft und Versorgung mit Lebensmitteln bislang in der Lage im Herkunftsstaat ihre Existenz zu sichern. Es wurde von ihr weder beim Bundesamt noch im Beschwerdeverfahren konkret dargelegt, dass sie im Falle der Rückkehr nicht mehr ihre Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz decken könnte.

Sie behauptete nicht, dass im Falle der Rückkehr auf Grund der allgemeinen Versorgungslage eine persönliche, relevante Gefährdung von Leib und/oder Leben gegeben wäre. Dies kann auch amtswegig auf Grund der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat nicht festgestellt werden.

1.8. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat traf das Bundesamt folgende relevante Feststellungen:

1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 18.5.2018: Parlamentswahlen

Relevant für den Abschnitt Politische Lage

Am 12.5.2018 wurden im Irak Parlamentswahlen abgehalten. Die Wahlbeteilung lag bei 44,5 Prozent - die niedrigste Beteiligung seit dem Sturz Saddam Husseins 2003 (Die Presse 13.5.2018). Als Sieger geht das Wahlbündnis Sa'irun des schiitischen Geistlichen Muqtada al-Sadrs hervor, das nicht mehr vom ersten Platz zu verdrängen ist (Spiegel Online 17.5.2018). Auf zweitem Platz liegt, nach ersten Ergebnissen, das Fatah Bündnis des Milizenführers Hadi al-Ameri, der eng mit den iranischen Revolutionsgarden verbunden ist (Die Presse 13.5.2018). Die Nasr Allianz des amtierenden Ministerpräsidenten Haider al-Abadi kommt im Zwischenergebnis nur auf den dritten Platz (NZZ 15.5.2018).

Obwohl die Wahlkommission die Resultate der Wahl zunächst schon am 14.5.2018 veröffentlichen wollte, liegt bis dato kein offizielles Endergebnis vor (Spiegel Online 17.5.2018). Anschuldigungen von Wahlbetrug in der zwischen Kurden und irakischer Zentralregierung umstrittenen Stadt Kirkuk verzögern die Veröffentlichung der Endergebnisse (The Washington Post 17.5.2018). Laut Wahlkommission belagerten Bewaffnete am Mittwoch, den 16.5.2018, etliche Wahllokale in der Stadt und hielten Mitarbeiter der Wahlkommission in Geiselhaft (Reuters 16.5.2018). Der Gouverneur von Kirkuk sowie der Leiter der Exekutivorgane, Generalmajor Maan al-Saadi, bestritten dies und erklärten, dass die Lage stabil sei und es sich um friedliche und unbewaffnete Proteste um die Wahllokale herum handle (The Washington Post 17.5.2018; Reuters 16.5.2018).

Quellen:

- [...]

KI vom 23.11.2017: Weitere Entwicklungen im Anschluss an das Kurdenreferendum, weitere Rückeroberungen von IS-Gebiet und Update Sicherheitslage mit Fokus auf Bagdad. Relevant für die Abschnitte Sicherheitslage, politische Lage und Menschenrechtslage

Am 29.10.2017 erklärte Mas'ud Barzani seinen Rücktritt als Präsident der kurdischen Region. Er lehnte in einem Brief an das kurdische Parlament eine Verlängerung seines Mandats über den 1.11.17 hinaus ab (IFK 6.11.2017). Barzani bleibt Vorsitzender der KDP (Kurdistan Democratic Party) und somit weiterhin ein wichtiger politischer Akteur. Die weiter andauernde Lähmung des kurdischen Regionalparlamentes versetzt die beiden Parteien KDP und PUK (Patriotische Union Kurdistans) weiterhin in die Lage, politische Entscheidungen ohne die Einbeziehung der Partei Goran oder anderer Parteien zu treffen (CR 14.11.2017).

Nach der Offensive der irakischen Armee und der PMF (Popular Mobilization Forces) in die von den Kurden kontrollierten Gebiete, besteht derzeit ein Waffenstillstand, es herrscht jedoch weiterhin Unsicherheit, nicht nur bezüglich der weiteren Vorgehensweise der irakischen Regierung, sondern auch die wirtschaftliche Situation Kurdistans betreffend. Unterdessen gibt es neue Beweise dafür, dass im Zuge der Offensive in den vorwiegend kurdischen Gebieten Plünderungen, Brandstiftungen, Häuserzerstörungen und willkürliche Angriffe offenbar insbesondere von Seiten der PMF (auch von Seiten turkmenischer PMF-Milizen) stattfanden. Tausende haben dabei ihre Häuser, ihre Geschäfte und ihre sonstigen Besitztümer verloren. (AI 24.10.2017; Bas 14.11.2017; HRW 20.10.2017).

Laut den Vereinten Nationen (VN) kam es im Zuge der Offensive der irakischen Regierung zur Vertreibung von zehntausenden Menschen aus den sogenannten "umstrittenen Gebieten". 180.000 Menschen sind (mit Stand 18.11.2017) nach wie vor vertrieben, 172.000 sind zurückgekehrt. Die meisten dieser Vertriebenen sind Kurden, aber auch Mitglieder anderer Minderheiten, einschließlich sunnitischer Araber und Turkmenen. Die meisten Vertriebenen lebten in den Städten Kirkuk, Daquq (Provinz Kirkuk), sowie Tuz Khurmatu (Rudaw 18.11.2017). Aus Furcht vor Repressalien kehren sie derzeit nicht in ihre Heimatgebiete zurück (Reuters 9.11.2017).

Am Abend des 12.11.2017 fand in der Grenzregion zwischen Iran und Irak ein Erdbeben der Stärke 7,3 statt. Im Irak war dabei die an der Grenze zum Iran befindliche Stadt Halabja (im Autonomen Kurdengebiet) am stärksten betroffen. Acht Menschen starben im Irak, mehr als 500 wurden verletzt und hunderte Familien wurden obdachlos. Zumindest drei Gesundheitszentren wurden beschädigt. Verglichen mit dem Iran war der Irak deutlich geringer von dem Erdbeben betroffen (UNFPA 19.11.2017).

Im Zuge der Rückeroberungen von IS-Gebieten (IS: sogenannter Islamischer Staat) werden weiterhin Massengräber gefunden. Zuletzt wurde in der Nähe der Militärbasis al-Bakara etwa drei Kilometer vor der Stadt Hawija ein Grab mit mindestens 400 Toten (mutmaßlichen IS-Opfern) entdeckt (MOI 3.11.2017; Standard 11.11.2017). Umgekehrt treten weitere Berichte von Racheakten von Seiten der Befreier zutage, laut Nahostexpertin Gudrun Harrer scheint der Zyklus der Gewalt mit dem Sieg über den IS nicht unterbrochen (Harrer 24.11.2017). Mehr als 3,1 Millionen Iraker (die überwältigende Mehrheit Sunniten) sind weiterhin Vertriebene. Weitere 2,3 Millionen sind in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt. Für den Wiederaufbau ihrer Städte erhielten die Sunniten nicht viel Hilfe von der Zentralregierung, die sich mehr auf die Bekämpfung/Zurückdrängung des IS und zuletzt der Kurden konzentrieren (NYTimes 26.10.2017).

Ab dem 3.11.2017 mit Stand 17.11.2017 wurden die drei letzten irakischen Städte, die sich noch unter der Kontrolle des IS befanden, Al-Qaim, Ana und Rawa (alle drei im Westen des Landes) von den irakischen Streitkräften zurückerobert. Laut der US-geführten Koalition zur Bekämpfung des IS hat dieser nun 95 Prozent jener irakischen und syrischen Territorien verloren, welches er im Jahr 2014 als Kalifat ausgerufen hatte (Telegraph 17.11.2017; IFK 6.11.2017). Das Wüstengebiet nördlich der drei Städte bleibt vorerst weiterhin IS-Terrain. Die Gebiete rund um Kirkuk und Hawija gehören zu jenen Gebieten, bei denen das Halten des Terrains eine große Herausforderung darstellt. (MEE 16.11.2017; Reuters 5.11.2017; BI 13.11.2017). Es stellt sich auch die Frage, wo sich jene IS-Kämpfer aufhalten, die, nicht getötet wurden oder die nicht in Gefängnissen sitzen (Alleine in Mossul gab es vor der Rückeroberung 40.000 IS-Kämpfer). Viele sind in die Wüste geflohen oder in der Zivilbevölkerung untergetaucht. Es gab es auch umstrittene Arrangements, die den Abzug von IS-Kämpfern und ihren Familien erlaubten. Der IS ist somit nicht verschwunden, nur sein Territorium [mit Einschränkungen s.u.] (Harrer 24.11.2017).

Die folgende Grafik zeigt die massiven Gebietsverluste des IS seit Jänner 2015 (Stand 30.10.2017). Der Wüstenbereich nördlich von Al-Qaim wird je nach Quelle als Wüstengebiet oder als IS-Gebiet eingezeichnet (s. untere Karte) eingezeichnet.

(BBC 3.11.2017)

(Liveuamap 17.11.2017, Stand 17.11.2017)

Seit der IS Offensive im Jahr 2014 ist die Zahl der Opfer im Irak nach wie vor nicht auf den Wert der Zeit zwischen 2008 - 2014 zurückgegangen, in der im Anschluss an den konfessionellen Bürgerkrieg 2006-2007 eine Phase relativer Stabilität einsetzte (MRG 10.2017; vgl. IBC 23.11.2017). Von dem Höchstwert von 4.000 zivilen Todesopfern im Juni 2014 ist die Zahl 2016 [nach den Zahlen von Iraq Body Count] auf 1.500 Opfer pro Monat gesunken; dieser sinkende Trend setzt sich im Jahr 2017 fort (MRG 10.2017). Nach den von Joel Wing dokumentierten Vorfällen, wurden in den Monaten August, September und Oktober 2017 im Irak 2.988 Zivilisten getötet (MOI 9.-11.2017). Zu diesen Zahlen gelten die im Länderinformationsblatt Irak in Abschnitt 3.1 erwähnten Einschränkungen und Anmerkungen - kriminelle Gewalt wurde in dieser Statistik nur zum Teil berücksichtigt, Stammesgewalt gar nicht .

Beispielhaft wird im Folgenden eine Grafik angeführt, in der die von einer Sicherheitsfirma dokumentierten Vorfälle, die in Kalenderwoche 45 des Jahres 2017 stattgefunden haben, eingezeichnet sind. Die Grafik stellt jedoch nach Angaben der Quelle nicht das gesamte Ausmaß der Gewalt und der Vorfälle dar. Mehrere Vorfälle, bzw. umfangreiche und länger andauernde Gefechte werden jeweils als ein Vorfall zusammengefasst dargestellt. Darüber hinaus bleiben viele Vorfälle auf Grund von Einschränkungen durch die Regierung und Einschränkungen der Kommunikation undokumentiert:

[...]

Bagdad:

Obwohl der IS Bagdad [kontrollgebietsmäßig] nie erreicht hat, verzeichnete die Hauptstadt laut Angaben der UN jeweils entweder die höchste oder die zweithöchste - nach der Provinz Ninewa - Anzahl an zivilen Todesopfern. Um ein Beispiel zu nennen: UNAMI berichtet, dass im Februar 2017 120 Zivilisten getötet und 300 verletzt wurden. In demselben Monat im Jahr 2016 war Bagdad der am stärksten betroffene Bezirk, UNAMI berichtete von 277 Todesopfern und 838 Verletzten. (Update: Für den Monat Oktober 2017 berichtet UNAMI 177 zivile Opfer (38 Tote, 139 Verletzte). Wichtig ist, anzumerken, dass diese Zahlen ausschließlich verifizierte Opfer inkludieren und als das absolute Minimum gesehen werden müssen [Anm.: Es gelten die in Abschnitt 3.1 des LIB Irak getätigten Aussagen und Anmerkungen]. Zum Beispiel beinhalten sie auch nicht jene Opfer, die in manchen Teilen der Stadt regelmäßig tot aufgefunden und geborgen werden (MRG 10.2017; UNAMI 1.11.2017). Nach wie vor kommt es in Bagdad täglich zu sicherheitsrelevanten Vorfällen mit zivilen Opfern (Wing 9.-11.2017; vgl. IBC 28.2.2017). Laut Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes ist in Bagdad weiterhin mit schweren Anschlägen insbesondere auf irakische Sicherheitsinstitutionen und deren Angehörige, auf Ministerien, Hotels, öffentliche Plätze und religiöse Einrichtungen zu rechnen (AA 23.11.2017). Für die fragile Sicherheitssituation in der Hauptstadt gibt es zahlreiche Gründe. Abgesehen davon, dass es ein attraktives Ziel für Anschläge ist, beherbergten und beherbergen die Gebiete rund um Bagdad historisch entstandene Terrorzellen, u.a. von Al-Qaeda und dem IS. Dies ist insbesondere in der Nachbarprovinz Anbar im Westen, sowie im Bezirk Jurf al-Sakhar in der Provinz Babil der Fall. Dazu kommen die äußeren Bezirke Bagdads, dem sogenannten "Bagdad-Belt", der aus spärlich besiedelten ländlichen Gegenden besteht, in denen sich bewaffnete Gruppen leicht verstecken können.

Die Acht-Millionenmetropole Bagdad hat eine höhere Kriminalitätsrate als jede andere Stadt des Landes. Hauptverantwortlich dafür ist der schwache staatliche Sicherheitsapparat sowie die schwache Exekutive. Seit dem Krieg gegen den IS verblieb in Bagdad aufgrund von Militäreinsätzen in anderen Teilen des Landes phasenweise nur eine geringe Zahl an Sicherheitspersonal. Da große Teile der Armee im Sommer 2014 abtrünnig wurden, sind zum Wiederaufbau der Armee mehrere Jahre nötig. Gleichzeitig erschienen bewaffnete Gruppen, vor allem Milizen mit Verbindungen zu den 'Popular Mobilization Forces' (PMF), auf der Bildfläche, mit divergierenden Einflüssen auf die Stabilität der Stadt. Der Zusammenbruch der Armee führte zusätzlich zu einem verstärkten Zugang und zu einer größeren Verfügbarkeit von Waffen und Munition. Dazu kommt die Korruption, die in allen Einrichtungen des Sicherheitsapparates und der Exekutive herrscht. Trotz dieser Probleme gibt es aktuell eine Verbesserung der Situation, die sich auch auf die Meinung der Bewohner über den irakischen Gesetzesvollstreckungsapparat auswirkt. Obwohl konfessionell bedingte Gewalt in Bagdad existiert, ist die Stadt nicht in gleichem Ausmaß in die Spirale der konfessionellen Gewalt des Bürgerkriegs der Jahre 2006-2007 geraten. Stattdessen kommt es zu einem Anstieg der Banden-bedingten Gewalt (Bandenkriege), die meist finanziell motiviert sind, in Kombination mit Rivalitäten zwischen Sicherheitskräften/-akteuren (MRG 10.2017).

Terrorattacken:

Terrorattacken werden meist mit verschiedenen Arten von IEDs (Improvised Explosive Devices) ausgeführt, inklusive am Körper getragene ('body-born' oder BBIEDs, in Fahrzeugen transportierte ('vehicle-borne' oder S/VBIEDs) und unter Fahrzeugen befestigte Sprengfallen ('under-vehicle-borne' oder UVBTs). Dabei handelt es sich um typische Taktiken des IS. Sie zielen dabei auf große Menschenansammlungen wie z.B. auf Märkten, in Einkaufszentren und Moscheen ab, wo der Kollateralschaden maximiert werden kann. Auch wenn diese Attacken alle Teile der Stadt treffen können, sind [ethno-religiös] gemischte Gebiete besonders gefährdet. Auch werden Kontrollpunkte regelmäßig angegriffen mit dem Ziel Sicherheitskräfte zu schwächen. Wegen des hohen Verkehrsaufkommens werden an den Kontrollpunkten selten sorgfältige Fahrzeugdurchsuchungen durchgeführt, weshalb das Problem schwer einzudämmen ist (MRG 10.2017).

Es sollte auch erwähnt werden, dass UVBTs besonders häufig verwendet werden, um Individuen zu attackieren. Diese Attentate können durch persönliche oder stammesbezogene Auseinandersetzungen motiviert sein, in spezifischen Fällen sind sie politisch motiviert.

Kidnappings und Entführungen:

Kidnappings und Entführungen kommen überall in Bagdad vor, unterscheiden sich aber in Häufigkeit und Art der Opfer. Man kann generell zwischen finanziell motivierten Entführungen und denen, die politisch oder persönlich motiviert sind, unterscheiden. Während erstere von kriminellen Gangs begangen werden, werden die politisch oder persönlich motivierten von bewaffneten Gruppen oder Individuen ausgeführt. Geschätzte 65-75 Prozent können als kriminelle Akte kategorisiert werden, während zwischen einem Viertel und einem Drittel als politisch oder als Folge von persönlichen Auseinandersetzungen gesehen werden können. Die zentralen und relativ wohlhabenden Bezirke Karkh und Rusafa zeigen die höchsten Zahlen an Kidnappings und sind für etwa die Hälfte der dokumentierten Fälle des gesamten Gouvernements verantwortlich (MRG 10.2017).

Obwohl die offiziellen Daten nicht veröffentlicht wurden zeigt eine Aufzeichnung des Innenministeriums, dass in den ersten neun Monaten des Jahres 2016 in Bagdad zumindest 700 Kidnappings stattgefunden haben (MRG 10.2017).

Allerdings können sich diese in vielen Fällen überschneiden. Es wurde zum Beispiel berichtet, dass schiitische Milizen Kidnappings und Erpressungen als einkommensgenerierende Aktivitäten einsetzen. Während es sich dabei um einen kriminellen Akt handelt, kann zusätzlich auch ein politisches oder religiöses Motiv dahinter stehen. Milizen haben z.B. Mitglieder anderer Gruppen entführt und verschleppt. Opfer der von den Gruppen durchgeführten Kidnappings sind tendentiell eher Sunniten als Schiiten. Es ist auch häufig, dass Milizen Kidnappings in Gegenden, die nicht unter ihrer eigenen Kontrolle stehen, ausführen, etwa um ihre Reputation in den von ihnen kontrollierten Gebieten nicht aufs Spiel zu setzen (MRG 10.2017).

Da es zu Protesten in der Bevölkerung kam, und zu Forderungen an den Staat, Maßnahmen zu ergreifen, wurde in den letzten zwei Jahren das Thema Kidnappings in der Öffentlichkeit diskutiert. Immer wieder kam es zu Wellen von Entführungen, die gegen bestimmte Professionen und Gruppen der Gesellschaft gerichtet waren. Anfang 2017 tauchten Berichte auf, dass Sicherheitskräfte eine kriminelle Gruppe zu identifizieren suchten, die auf die Entführung von Kindern in der Gegend um Bagdad al-Jadida spezialisiert war. Im August 2017 veröffentlichte Niqash einen Artikel über eine vor Kurzem vorgefallene Serie an Kidnappings, die gegen Ärzte und medizinisches Personal gerichtet waren. Diese wurden von kriminellen Banden durchgeführt, aber auch von Stämmen, die Wiedergutmachung für Verwandte forderten, die nicht behandelt werden konnten oder die im Spital verstorben waren. Im Mai 2017 wurde eine Gruppe von Studenten und Anti-Korruptions-Aktivisten gekidnappt, angeblich von einer Miliz. Dennoch war einer der meist diskutierten Fällen die Entführung von Afrah Shawqi, einem Journalisten, der nur wenige Tage davor einen Artikel im Al-Sharq al-Awsat über die Straffreiheit von schiitischen Milizen im Irak veröffentlicht hatte. In beiden Fällen wurden die Opfer freigelassen, nachdem großer öffentlicher Druck auf den Premierminister selbst, sowie auf das Innenministerium ausgeübt worden war. Regierungsbeamte und andere politische Führungskräfte wurden ebenso ins Visier genommen wie z.B. bei jenem Fall eines hohen Beamten des Justizministeriums, der im September 2015 gekidnappt wurde, oder jenem Fall eines sunnitischen Stammesführers, dessen Entführung und Ermordung Anlass zu einer Kampagne von Amnesty International wurde (MRG 10.2017).

All diese Fälle haben Regierung und Sicherheitsdienste gezwungen, sich aktiver diesem Problem zu widmen. In vergangenen Jahren, sowie auch in den Jahren 2006-2007, war die Exekutive beinahe gänzlich außerstande, mit dieser Art der Gewalt umzugehen. Heute spricht Premierminister Abadi, der sich manchmal persönlich in Fälle involviert, lautstark über die Bedenken der Bevölkerung, und unternimmt Schritte, um die Kapazitäten der Gesetzesvollstreckung auszuweiten. Dennoch werden Milizen in erfolgreichen Fällen - wenn es Sicherheitskräften gelingt, Banden zur Anklage bringen - selten erwähnt. Es ist praktisch unmöglich einzuschätzen, wie oft die von den Sicherheitskräften Verhaftungen Mitglieder von Milizen einschließen, da Fälle von Kidnappings mit Lösegeldforderungen einfach als kriminelle Akte kategorisiert werden. Dies kann nur durch anekdotische Hinweise und durch Zeugenaussagen belegt werden. Allerdings besteht das Problem, dass die Opfer oft selber nicht wissen woher die Bedrohung kommt oder wer der Empfänger des geforderten Lösegeldes ist (MRG 10.2017).

Schießereien mit Handfeuerwaffen:

Was die Verwendung von Handfeuerwaffen betrifft, können generelle Muster zwischen dem zentralen Gebiet und der Peripherie der Provinz Bagdad unterschieden werden. Morde und Anschläge auf Zivilisten sind innerhalb der Stadt Bagdad weiter verbreitet, die Bezirke Karkh, Rusafa und Adhamiya sind diesbezüglich überrepräsentiert. Diese Anschläge richten sich z.B. gegen Geschäftsbesitzer, Anwälte sowie Angestellte der Regierung. Schießereien kommen auch in Verbindung mit Raubüberfällen vor. Zusätzlich stehen viele Tötungen in Verbindung mit Kidnappings, bei denen das Lösegeld nicht gezahlt wurde.

Im Gegensatz dazu sind Vorfälle mit Handfeuerwaffen im 'Bagdad Belt' üblicherweise gegen Sicherheitsdienste wie die Iraqi Security Forces (ISF) und Mitglieder von sunnitischen und schiitischen Milizen gerichtet, und finden meistens bei Kontrollpunkten statt. Dies kann man in Abu Ghraib, Mahmudiya und Tarmiya beobachten. Diese Gebiete verzeichnen auch eine große Anzahl an Schießereien in Verbindung mit stammesbezogenen Auseinandersetzungen (MRG 10.2017).

Konfessionalismus und Diskriminierung:

Konfessionalismus und Diskriminierung sind weiterhin ein weit verbreitetes Phänomen in Bagdad, wenn sie auch nicht dasselbe Ausmaß an Gewalt erreicht haben, der während des konfessionellen Krieges in den Jahren 2006-2007 dokumentiert wurde. Dies anzumerken, ist von wichtig, weil von vielen angenommen wurde, dass durch das Ausbreiten des IS ab 2014 frühere Muster an Gewalt nach Bagdad zurückkehren würde. Das hat er auch, allerdings in einem geringeren Ausmaß. Wie diverse Menschenrechtsberichte gezeigt haben, fachen Terrorattacken des IS in Bagdad viele Arten an Vergeltungsmaßnahmen gegen sunnitische Zivilisten an, die vorwiegend von schiitischen Milizen begangen werden. Diese beinhalten Kidnappings, Ermordungen sowie ungesetzlichen Freiheitsentzug. Dennoch ist der offensichtlichere Konfessionalismus - bei dem sunnitische Bewohner Kontrollpunkte nicht passieren konnten ohne namentlich aufgerufen zu werden und manchmal schikaniert oder festgenommen wurden - heute relativ selten. Dies trifft allerdings nicht auf sunnitische Internvertriebene (IDPs) zu, die in der Provinz Bagdad regelmäßig diskriminiert werden. Nachdem der IS in großen Teilen von Anbar und Salah al-Din die Macht ergriffen hatte, flohen Tausende nach Bagdad. In vielen Fällen war es ihnen von vorne herein nie gestattet, in die Provinz einzureisen. Die, die es dennoch geschafft haben, berichten von extrem eingeschränkter Reisefreiheit (da Personalausweise aufzeigen in welchem Gouvernement sie ausgestellt wurden), von Schwierigkeiten, als Gebietsfremde des Gouvernements an wesentliche Dokumente zu gelangen, sowie von Schikanen aufgrund des Pauschalverdachts der IS-Zugehörigkeit. Für Internvertriebene besteht, aufgrund fehlender Netzwerke für persönliche Unterstützung, auch ein größeres Risiko, entführt zu werden.

Eine weitere Seite des Konfessionalismus sind Verhaftungen, oft willkürlich, welche meist in Verbindung mit einer Anklage wegen Terrorismus nach Artikel 4 vollzogen werden und beinahe ohne Ausnahme Sunniten betreffen. Diese Festnahmen sind nach Terroranschlägen häufig, wenn Sicherheitsdienste Durchsuchungsaktionen durchführen, um Mitglieder oder Unterstützer des IS ausfindig zu machen (MRG 10.2017).

Kleinere Gemeinschaften, inklusive Minderheiten und solche, die sich ineiner Minderheitssituation wiederfinden, stehen unter signifikantem Risiko. Die Anzahl an Christen in Bagdad nimmt unter dieser Bedrohungssituation weiterhin ab, wenn auch kleine christliche Gemeinden in gemischten Bezirken bestehen bleiben; so auch in Karkh und in Karrada und Palästina. Faili-Kurden (schiitische Kurden), einschließlich jener, die in Sadirya und im südlichen Teil Bagdads leben, haben unter Bombenangriffen gelitten und berichten von erhöhten Spannungen, die in Zusammenhang mit dem kurdischen Unabhängigkeitsreferendum stehen. Palästinenser, die vorwiegend in al-Baladiyat leben, sind diesen gezielten Attacken ebenso ausgesetzt und bleiben weiterhin besonders gefährdet (MRG 10.2017).

Sicherheitskräfte in der Provinz Bagdad:

Irakische Sicherheitskräfte (ISF):

Die ISF werden in Bagdad vom 'Baghdad Operations Command' (BOC) repräsentiert, Geheimdienste und irakische Polizeieinheiten, die im Bagdad Gouvernement agieren, sind dem Verteidigungsministerium unterstellt. Der BOC besteht aus mehreren Brigaden, die der 6., 11. und 17. Abteilung der irakischen Armee angehören, sowie aus spezialisierten Militär- und Polizei-Einheiten, inklusive Bereitschaftspolizei und Schutzeinheiten für Diplomaten. Die irakische Armee ist gemeinsam mit staatlichen und lokalen Polizeieinheiten für die Sicherheit verantwortlich. Zusätzlich zu regulären Sicherheitsfunktionen, sind die ISF gemeinsam mit Einheiten, die in Verbindung zum Innenministerium stehen, für die Überprüfung von Internvertriebenen und Rückkehrern und damit in Zusammenhang stehende Regulierungen zuständig (MRG 10.2017).

Polizeikräfte werden oft als Erweiterung der Badr-Partei gesehen. Darüber hinaus wird das Polizeikorps, abgesehen von Teilen der Staatspolizei, als schwer korrupt erachtet. In wenigen Ausnahmen sind Offiziere der Staatspolizei ehemalige Offiziere der Armee und werden als weniger korrupt und konfessionalistisch gesehen. Die meisten sind allerdings durch politische Einflussnahme und Vereinbarungen verschiedener Parteien an ihre Position gelangt (MRG 10.2017).

Im Allgemeinen vertraut die Bevölkerung eher der Armee als der Polizei. Die Mehrheit der Bewohner Bagdads, die in einer Umfrage einer NGO befragt wurden, ob sie in einer Notsituation die Polizei kontaktieren würden, sagten sie würden erst versuchen, das Problem selbst zu beheben. Knapp unter 50 Prozent meinten, sie würden der Polizei unter keinen Umständen Bericht erstatten. Im Vergleich dazu: über 70 Prozent derer, die in Gebieten leben, in denen die Armee für die Sicherheit verantwortlich ist, gaben an, sie würden, wenn nötig, ihre lokalen Sicherheitskräfte kontaktieren. In derselben Umfrage wurden Bewohner gefragt, ob sie jemals Bestechungsgeld gezahlt hätten, um Unterstützung von offiziellen Sicherheitskräften zu erhalten, was 30 Prozent der Befragten bejahten. Zuletzt wurden Bewohner gefragt ob sich die Sicherheits-Situation in Bagdad verbessern oder verschlechtern würde, worauf beinahe 70 Prozent antworteten, das sie sich verbessere (MRG 10.2017).

Islamischer Staat (IS):

Der IS konnte Mitte 2014 Gebiete im Provinz Bagdad nicht unter seine Kontrolle bringen. Allerdings hat sich IS-Aktivität mehrmals vom angrenzenden Provinz Anbar in den westlichen Bezirk Abu Ghraib ausgeweitet. Teile des 'Bagdad-Belt' sind historisch gesehen Unterstützungsgebiete des IS, welche IS-Attacken in zentraler gelegenen Gebieten Bagdads ermöglichen (MRG 10.2017).

In der Provinz Bagdad beschränken sich die Aktivitäten des IS vor allem auf "unkonventionelle Attacken" gegen Zivilisten und hochrangige Opfer - in erster Linie durch die Verwendung von IEDs (MRG 10.2017).

Popular Mobilization Forces (PMF):

[Erläuterungen zu den PMF siehe auch Länderinformationsblatt Irak Abschnitt 3.2.2]

Während die PMF generell auf Schlachtfeldern quer durch das Land eingesetzt wurden, bewahren einige eine signifikante Präsenz in Bagdad. Die älteren und größeren [überwiegend schiitischen] Milizen sind jene, die vorwiegend als aktive Gruppen einen Teil der Sicherheitskräfte der Stadt repräsentieren. [...] Sunnitische Milizen kommen in der Stadt Bagdad nicht vor, aber sehr wohl in manchen Teilen des 'Bagdad-Belt', besonders in den Bezirken, die an Anbar und das Gouvernement Salah al-Din grenzen, inklusive Taji, Tarmiya und Abu Ghraib. Auf lokaler Ebene agieren PMF-Einheiten parallel und oft im Konflikt mit den ISF. Bewaffnete Konflikte zwischen ISF und PMUs, wenn auch selten, wurden im Gouvernement Bagdad beobachtet. Während die PMF weitläufig von der schiitischen Bevölkerung unterstützt werden, wurden sie beschuldigt, Menschenrechtsverletzungen gegen sunnitische Zivilisten in Gebieten begangen zu haben, die vom IS zurückerobert wurden, - wie von diversen Organisationen wie z.B. Human Rights Watch, Amnesty International und Minority Rights Group dokumentiert wurde. Berichterstattung dieser Art tendiert dazu, sich auf die Gouvernements zu konzentrieren, in denen in den letzten zwei Jahren Militäreinsätze stattgefunden haben - wie in etwa in Anbar, Ninewa und Salah al-Din - sowie auf Gebiete, in denen außer Frage steht, dass Milizen ungestraft agierten. Aufgrund dessen werden Menschenrechtsverletzungen innerhalb des Gouvernements Bagdad nicht so eingehend verfolgt (MRG 10.2017).

Im Folgenden werden einige Beispiele der wichtigsten PMF-Milizen aufgezählt, die in Bagdad operieren: Badr-Organisation, Asaib Ahl al-Haq, Saraya al-Salam, Saraya al-Khorasani, Kataib Hizbullah (MRG 10.2017). Anm.: Die Milizen sind in Abschnitt 3.2.2 des LIB näher beschrieben.

Quellen:

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KI vom 25.10.2017: Kämpfe zwischen Peschmerga und Regierungskräften in Folge des Referendums, weitere Informationen zur Sicherheitslage

Relevant für die Abschnitte Politische Lage, Sicherheitslage und Menschenrechtslage

Irakische Regierungskräfte haben als Reaktion auf das Kurdenreferendum beinahe alle Gebiete eingenommen, die zu den sogenannten "umstrittenen Gebieten" zählen, einschließlich Kirkuk und die dort befindlichen Ölquellen. Auch die jesidische Stadt Sinjar werde Berichten zufolge nun von Popular Mobilization Forces (PMF) kontrolliert (NYTimes 22.10.2017; Rudaw 17.10.2017). Unter anderem kam es dabei am 20. Oktober 2017 zu schweren Gefechten zwischen irakischen Truppen und kurdischen Peschmerga-Kämpfern. Iraks gemeinsames Operationskommando teilte am Freitag mit, Kräfte von Armee, Polizei und schiitischen Milizen hätten den Ort Altun Kopri/Pirde in der umstrittenen Provinz Kirkuk eingenommen. Nach offiziellen kurdischen Angaben kamen bei den Gefechten etwa 30 Peschmerga-Kämpfer ums Leben. Auch die arabischen Kämpfer der Regierungskräfte sollen hohe Verluste gehabt haben. Von ihrer Seite hieß es, die Kurden hätten das von Deutschland für den Kampf gegen den IS gelieferte MIlan-Panzerabwehrsystem eingesetzt. Die Kurden ihrerseits beklagen, dass sie mit US-Waffen bekämpft werden. Es gab zwar vereinzelt Gefechte, meist zogen sich die Peschmerga zurück (Standard 20.10.2017). Die Anti-IS-Koalition zerfällt nicht nur entlang ethnischer Linien, sondern auch die innere Spaltung der irakischen Kurden tritt wieder stärker zutage. Die irakischen Kurden sind in sich tief gespalten. Die von Barzani geführte KDP (Kurdistan Democratic Party) beschuldigt ihren innerkurdischen Hauptrivalen PUK (Patriotic Union of Kurdistan), schuld am Verlust der Stadt Kirkuk zu sein, da diese mit der Zentralregierung in Bagdad einen Deal abgeschlossen und einige ihrer Peschmerga-Einheiten angewiesen habe, sich von ihren Positionen zurückzuziehen. Die beiden kurdischen Parteien haben unterschiedliche Interessen: Der Barzani-Clan (KDP) strebt die Unabhängigkeit von Bagdad an, der Talabani-Clan (PUK) eher die Unabhängigkeit vom Barzani-Clan - durchaus auch im Einvernehmen mit Bagdad. Ein Deal zwischen Bagdad und den Talabanis über einen kurdischen Rückzug aus Kirkuk war die Konsequenz dieser Konstellation. Verlierer sind indes beide kurdischen Parteien. Im Hintergrund stehen radikalere Fraktionen wie die PKK (Kurdische Arbeiterpartei) oder die Salafisten bereit, um das kurdische Vakuum im Irak zu füllen (TDB 16.10.2017; Presse 18.10.2017).

Die VN (Vereinten Nationen) drängen die irakische Regierung, alle nötigen Maßnahmen zu ergreifen um sicherzustellen, dass alle Zivilisten geschützt sind und dass jene, die die Zivilbevölkerung bedrohen, zwangsvertreiben, oder dieser gegenüber Gewaltverbrechen begehen, gestoppt werden (Rudaw 20.10.2017). Es liegen Berichte vor, denen zufolge in der Stadt Tuz Khurmatu 150 kurdische Häuser (laut Amnesty International "hunderte Häuser") von (auch mit der Regierung verbündeten) bewaffneten Gruppen niedergebrannt wurden. Nachdem sich die Peschmerga-Kämpfer aus diesen Gebieten zurückgezogen hatten, gelangte die Stadt unter die Kontrolle von schiitisch-turkmenischen Kämpfern, die den PMF angehören. Laut VN sind mit Stand 22.10.2017 mehr als 30.000 Zivilisten aus Tuz Khurmatu geflohen. Bei Zusammenstößen zwischen Regierungskräften (einschließlich PMF-Milizen) und den kurdischen Peschmerga in Tuz Khurmatu wurden zumindest 11 Zivilisten getötet. Es schien sich dabei um einen gezielten Angriff auf überwiegend kurdische Gebiete zu handeln. Insgesamt sind laut VN 100.000 Zivilisten aus den umstrittenen Gebieten geflohen, einschließlich Zehntausender aus der Stadt Kirkuk, einige davon sind danach wieder zurückgekehrt. Den meisten jener, die geflohen sind, wird nachgesagt, dass sie Anhänger Mas'ud Barzani's seien (NYTimes 22.10.2017; AI 24.10.2017). Für den 24.10.2017 wurde ein Vorfall dokumentiert, bei dem die irakische Armee und PMF-Milizen auch einen Peschmerga-Checkpoint östlich des von den Kurden gehaltenen Dorfs Mahmud angriffen, nach schweren Gefechten scheiterten und sich ergaben, wobei zumindest 15 Menschen starben (NA 24.10.2017).

Die USA drängen darauf, dass die Regierung von Premierminister Haidar al-Abadi die Offensive stoppt, denn es scheint längst nicht mehr nur um Gebiete zu gehen, auf die die Kurden ihre Verwaltung 2014, als die irakische Armee vor dem IS floh, ausgedehnt hatten. Die Einheiten der PMF würden die Kurden gerne noch weiter zurückdrängen. US-Außenminister Rex Tillerson fordert die "iranischen Milizen" auf, das Land zu verlassen. Von einer Auflösung der Milizen ist der Irak aber weit entfernt. Umgekehrt fordert der mächtige Anführer der PMF-Miliz Asaib Ahl al-Haq, dass die Amerikaner unverzüglich abziehen sollten (Harrer 24.10.2017).

In Anbetracht der militärischen Gewalt von Seiten der irakischen Armee und der PMF boten kurdische politische Führer am 25.10.2017 an, die Unabhängigkeitsbestrebungen auszusetzen. Ein Sprecher des irakischen Militärs antwortete zunächst, dass die Offensive dennoch weitergeführt werde, eine Reaktion des Premierministers steht noch aus (Reuters 25.10.2017).

Die Organisation IS ("Islamischer Staat") wurde zwar massiv zurückgedrängt (s. Länderinformationsblatt inkl. bisherige Kurzinformationen), befindet sich aber weiterhin in Teilen der Provinzen Ninewa, Salah Al-Din und Anbar. Es muss dort weiterhin mit schweren Anschlägen und offenen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen IS-Verbündeten und den irakischen Sicherheitskräften, regional-kurdischen Peschmerga, Milizen und auch mit US-Luftschlägen gerechnet werden. In der Provinz Ta'mim kommt es regelmäßig zu Kämpfen zwischen terroristischen Gruppen und kurdischen Peschmerga (AA 24.10.2017). Veröffentlichungen von Audiobotschaften des IS-Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi zielen darauf ab, die Gerüchte rund um seinen Tod zu entkräften und die IS-Kämpfer in Syrien und Irak zur Standhaftigkeit aufzurufen. In Mosul etwa wurde der IS zwar vor drei Monaten besiegt, die Organisation stellt dort jedoch noch immer eine Bedrohung dar. Alleine im Zeitraum 19.9.2017 bis 13.10.2017 wurden dort zwölf Selbstmordattentäter getötet. In der Provinz Anbar versuchte der IS Ende September 2017 die Kontrolle über Teile der Stadt Ramadi wiederzuerlangen. Kurzzeitig konnten einige IS-Truppen tatsächlich Teile der Stadt besetzen, letztlich scheiterte der Versuch jedoch. Anbar war stets eine Hochburg von sunnitischen Aufständischen (IFK 13.10.2017).

Neben den militärischen Maßnahmen fasste die Zentralregierung in Zusammenhang mit dem Unabhängigkeitsreferendum eine Reihe weiterer Maßnahmen, darunter: Die Sanktionierung kurdischer Banken, das Einfrieren von Fremdwährungstransfers, sowie das Einstellen von Flugverbindungen und mobilen Kommunikationsnetzen (IFK 13.10.2017).

Der für den 1. November 2017 festgelegte Wahltermin für Präsidial- und Parlamentswahlen in Irakisch Kurdistan wurde verschoben (Reuters 23.10.2017).

Betreffend die nächsten Parlamentswahlen auf nationaler Ebene hat die irakische Wahlkommission den 12. Mai 2018 als Wahltermin festgelegt, der Termin muss noch vom irakischen Parlament bestätigt werden (Rudaw 22.10.2017).

Quellen:

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KI vom 16.10.2017: Entwicklungen im Anschluss an das Kurden-Referendum, Offensiven gegen den IS, geplante Wahlen in der KRI

Relevant für die Abschnitte Politische Lage, Sicherheitslage und Menschenrechtslage

Beim Unabhängigkeitsreferendum bezüglich der Frage der Loslösung Irakisch Kurdistans (KRI) vom irakischen Staat stimmten am 25.9.17 92,7 Prozent der Stimmberechtigten für einen eigenen Staat (Wahlbeteiligung: 72 Prozent) (ORF 27.9.2017). Als Reaktion darauf verbot die irakische Zentralregierung u.a. internationale Flüge in die Region. Die irakische Zentralregierung bat zudem die beiden Länder Türkei und Iran darum, ihre Grenzen zu den kurdischen Autonomiegebieten zu schließen sowie jeglichen Handel einzustellen (BAMF 9.10.2017). Die Grenzübergänge von der KRI zum Iran und der Türkei sind seit dem Referendum nur mehr teilweise geöffnet (s. Karte unten). Die Irakischen Sicherheitskräfte (ISF) haben außerdem begonnen, Checkpoints an diesen Grenzübergängen einzurichten (ISW 6.10.2017).

Die Türkei, der Iran und der Irak antworteten darüber hinaus auf das Referendum mit einem aggressiven und koordinierten In-Position-bringen ihrer Truppen. Die vorangetriebenen Unabhängigkeitsbestrebungen der Kurden führen in der Region somit zu Annäherungen zwischen diesen drei Staaten. Am 24 September kam es zum Beschuss des Bezirks Juman (Provinz Erbil) von Seiten nicht-identifizierter iranischer Streitkräfte (ISW 6.10.2017).

Am 25. September kam es laut des kurdischen Sicherheitsdienstes Asayish von Seiten der Popular Mobilization Forces (PMF, offiziell in den irakischen Sicherheitsapparat eingegliedert) in Tuz Khurmatu zum Beschuss der kurdischen Peschmerga. Am 27. September verabschiedete der irakische Repräsentantenrat eine Resolution, welche die irakische Regierung dazu aufruft, die ISF mit der Zurückgewinnung der Ölfelder in Kirkuk zu beauftragen (ISW 6.10.2017). Premierminister Haidar al-Abadi forderte die Kurdenführung auf, alle Gebiete an die irakische Zentralregierung zurückzugeben, die die kurdischen Peschmerga-Kämpfer während des Kampfes gegen den IS unter ihre Kontrolle gebracht hatten (ORF 27.9.2017).

Die folgende Grafik zeigt das von den Kurden kontrollierte Gebiet an, sowie in welchen Gebieten das Referendum abgehalten wurde. Darüber hinaus zeigt sie den jeweiligen Status von Grenzübergängen und Flughäfen an.

(ISW 6.10.2017).

Am 15. Oktober 2017 eröffneten die irakischen Sicherheitskräfte (Iraqi Security Forces, ISF), Counterterrorism Services (CTS),

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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