Entscheidungsdatum
12.09.2019Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
L524 2223162-1/3E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht fasst durch die Richterin Mag. Veronika SANGLHUBER LL.B. über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch RA Mag. Tamer ÖZTÜRK, Schwimmschulgasse 3, 4600 Wels, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.08.2019, Zl. 627552409-190419330/BMI-BFA_OOE_AST_01, betreffend eine Angelegenheit nach dem FPG, den Beschluss:
A) In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführerin, einer türkischen Staatsangehörigen, wurde mit Schreiben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 30.07.2019 mitgeteilt, dass die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme in Verbindung mit einem Einreiseverbot beabsichtigt sei, da sie mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 19.06.2019 rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, bedingt auf drei Jahre, verurteilt worden sei. Gleichzeitig wurde sie um Beantwortung von mehreren Fragen ersucht. Dem kam die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 07.08.2019 nach.
2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.08.2019, Zl. 627552409-190419330/BMI-BFA_OOE_AST_01, wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 5 FPG iVm § 9 BFA-VG erlassen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Türkei zulässig sei (Spruchpunkt II.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 0 FPG werde gegen die Beschwerdeführerin ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 4 FPG werde eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt (Spruchpunkt IV.). Einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung wurde gem. § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-Vorstellungsgespräch die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.)
3. Gegen diesen Bescheid richtet sie die fristgerecht erhobene Beschwerde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Zu A) Zurückverweisung an das BFA:
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist (§ 28 Abs. 3 dritter Satz VwGVG).
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG 2014 bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. VwGH 10.09.2014, Ra 2104/08/0005; 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das BFA im Spruch die Rückkehrentscheidung auf § 52 Abs. 5 FPG gestützt hat, in der Begründung aber auf § 52 Abs. 4 Z 1 FPG. Dazu ist festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin nicht über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" verfügt, weshalb die Anwendung von § 52 Abs. 5 FPG nicht in Betracht kommt.
Aus folgenden Gründen muss angenommen werden, dass der entscheidungswesentliche Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt wurde:
Bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung ist unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 MRK ihre Verhältnismäßigkeit am Maßstab des § 9 BFA-VG 2014 zu prüfen. Nach dessen Abs. 1 ist nämlich (ua) die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FrPolG 2005, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei Beurteilung dieser Frage ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG 2014 genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG 2014 ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. E 12. November 2015, Ra 2015/21/0101; E 20. Oktober 2016, Ra 2016/21/0198). Das gilt aber nicht nur für die Rückkehrentscheidung und für das in § 9 Abs. 1 BFA-VG 2014 weiters ausdrücklich genannte Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FrPolG 2005, sondern auch für das - nur bei gleichzeitiger Erlassung einer Rückkehrentscheidung zulässige - Einreiseverbot iSd § 53 FrPolG 2005, in dessen Abs. 2 und 3 in Bezug auf die Bemessung der Dauer auch die Abwägung nach Art. 8 MRK angesprochen wird (vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289 unter Hinweis auf VwGH 03.09.2015, Ra 2015/21/0111; 30.06.2016, Ra 2016/21/0179).
In Bezug auf die für ein Einreiseverbot zu treffende Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme (hier: "schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit") gerechtfertigt ist (vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289, mwN). Dabei ist - abgesehen von der Bewertung des bisherigen Verhaltens des Revisionswerbers - darauf abzustellen, wie lange die von ihm ausgehende Gefährdung zu prognostizieren ist. Diese Prognose ist nachvollziehbar zu begründen (vgl. VwGH 06.11.2018, Ra 2018/18/0203 unter Hinweis auf VwGH 30.6.2015, Ra 2015/21/0002, mwN).
Es ist auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist (vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289). Es ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. VwGH 20.12.2016, Ra 2016/21/0109; 31.8.2017, Ra 2017/21/0120).
Solche konkreten Feststellungen werden vom BFA nicht getroffen, sondern es wird bloß auf die Tatsache der Verurteilung abgestellt (Seite 2 und 112 des angefochtenen Bescheides). Das BFA hat die Beschwerdeführerin aufgefordert, das Strafurteil vom 19.06.2019 vorzulegen. Dem kam die Beschwerdeführerin aber nicht nach. Das BFA unterließ es sodann, das Strafurteil beizuschaffen und stützte dennoch seine Entscheidung auf diese Verurteilung. Mangels Vorliegens des Urteils war es dem BFA somit auch nicht möglich, die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten festzustellen. Durch das Unterlassen der Beischaffung des Strafurteils wird aber offenkundig, dass das BFA bloß ansatzweise ermittelt hat und weitere Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.
Weiters verweist das BFA auf einen kriminalpolizeilichen Aktenindex, einen Abschlussbericht und Vernehmungen bei der Polizei und stützt auch darauf das Einreiseverbot. Weder im angefochtenen Bescheid noch im Verwaltungsakt befinden sich aber diese angeführten Berichte. Es wird vom BFA nicht einmal angeführt, welcher Inhalt diesen Berichten überhaupt zu entnehmen ist. Darüber hinaus wird darauf hingewiesen, dass eine Eintragung im kriminalpolizeilichen Akt nur belegt, dass eine entsprechende Verdachtslage bestand. Auch ein solches Fehlverhalten eines Fremden kann zur Beurteilung der für ein Einreiseverbot erforderlichen Gefährdungsprognose herangezogen werden, das (noch) nicht zu einer gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Bestrafung geführt hat (VwGH 23.3.2017, Ra 2016/21/0349, Rn. 15). Es muss aber der Verdacht letztlich verifiziert werden können, um darauf ein Einreiseverbot zu stützen (vgl. VwGH 25.01.2018, Ra 2017/21/0237). Das BFA trifft im angefochtenen Bescheid keine Feststellungen dazu, ob die Verdachtslage schließlich verifiziert werden konnte, wobei nochmals darauf hinzuweisen ist, dass nicht einmal klar ist, um welche Verdachtslage es sich handelt. Auch hier hat das BFA nur ansatzweise ermittelt.
Auch hinsichtlich des Privat- und Familienlebens der Beschwerdeführerin hat das BFA nur ansatzweise ermittelt. Das BFA forderte die Beschwerdeführerin im Schreiben vom 30.07.2019 zur Beantwortung von Fragen auf. Diese Fragen beantwortete die Beschwerdeführerin unzureichend, aber dennoch unternahm das BFA keine weiteren Ermittlungen. So wurde die Beschwerdeführerin aufgefordert anzugeben, seit wann ihre Familienmitglieder über einen Aufenthaltstitel in Österreich verfügen. Die Beschwerdeführerin gab dazu nur an, dass ihre Familienmitglieder seit der Einreise in Österreich einen Aufenthaltstitel in Österreich hätten. Es blieb ungeklärt, welche Familienmitglieder die Beschwerdeführerin meint, ebenso welchen Aufenthaltstitel diese Familienmitglieder haben und seit wann.
Das BFA stellt beispielsweise auch fest, dass die Beschwerdeführerin in keinen Vereinen ehrenamtlich tätig gewesen sei. Wenn im Bescheid festgestellt wird, dass die Beschwerdeführerin in keinen Vereinen ehrenamtlich aktiv sei, da sie dies in ihrer Stellungnahme mit keinem Wort erwähnt habe (Seite 4 des Bescheides), ist dazu festzuhalten, dass sich die Beschwerdeführerin in ihrer Stellungnahme nicht zu einer etwaigen Vereinstätigkeit äußerte. Weder bringt sie vor, dass sie Mitglied in einem Verein sei noch, dass sie kein Mitglied sei. Die Annahme der Behörde, die Beschwerdeführerin sei nicht in Vereinen tätig, ist daher unschlüssig. Die beweiswürdigende Ausführung im Bescheid, dass die Beschwerdeführerin in ihrer Stellungnahme angegeben hätte, sie führe keine ehrenamtlichen Tätigkeiten aus (Seiten 102f des Bescheides) ist zudem aktenwidrig. Hier hätte das BFA weiter ermitteln müssen.
Bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen kommt der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks besondere Bedeutung zu und zwar sowohl in Bezug auf Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK (sonst) relevanten Umstände (vgl. VwGH 26.04.2018, Ra 2018/21/0052). Das BFA hätte die Beschwerdeführerin daher auch persönlich einvernehmen müssen, um auf dieser Basis Feststellungen treffen zu können, die für eine Gefährdungsprognose und die Abwägung nach Art. 8 EMRK notwendig sind.
Unter diesen Gesichtspunkten leidet der angefochtene Bescheid unter erheblichen Ermittlungsmängeln in Bezug auf verschiedene grundlegende Fragen. Damit hat das BFA im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bloß ansatzweise ermittelt und Ermittlungen unterlassen, damit diese vom Bundesverwaltungsgericht durchgeführt werden. Auf Grund der dargestellten Mängel ist es nicht möglich, den maßgeblichen Sachverhalt festzustellen.
Das BFA hat daher im fortgesetzten Verfahren auf Basis des strafgerichtlichen Urteils die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten festzustellen. Dabei ist es erforderlich, sich mit dem Inhalt des Strafurteils auseinanderzusetzen. Ein bloßes Aufzählen der Verurteilung ist keinesfalls ausreichend. Es bedarf auch konkreter Feststellungen zum Gesamtverhalten der Beschwerdeführerin. Schließlich sind zum Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin auf Basis ergänzender Ermittlungen nach Durchführung einer Einvernahme konkrete Feststellungen zu treffen.
Zudem hat sich das BFA in seinem Bescheid einer für eine Behörde angemessenen Wortwahl zu bedienen. Die Feststellungen sind in sachlicher Weise zu treffen (Seite 4 des Bescheides).
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, vor allem weil das Ermittlungsverfahren nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden soll.
In der Gesamtschau ist der Aufhebung des angefochtenen Bescheides und der Zurückverweisung an die belangte Behörde zur Erlassung eines neuen Bescheides im Vergleich zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht unter dem Aspekt der Raschheit und der Kostenersparnis der Vorzug zu geben. Das behördliche Verfahren erweist sich aus den dargelegten Gründen insgesamt als so mangelhaft, dass von dem in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG eingeräumten Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung Gebrauch zu machen war (VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063).
Der Bescheid war daher nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückzuverweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und die Zurückverweisung an das BFA ergeht in Anlehnung an die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).
Schlagworte
Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Privat- und Familienleben strafgerichtliche VerurteilungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:L524.2223162.1.00Im RIS seit
10.09.2020Zuletzt aktualisiert am
10.09.2020