TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/30 W105 2156256-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.03.2020
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Entscheidungsdatum

30.03.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

W105 2156256-1/46E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald BENDA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.04.2017, Zl. 1092806802-151650979, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14.11.2019 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, § 8 Abs. 1 AsylG 2005, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, § 57 AsylG 2005 sowie §§ 46, 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan und Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken sowie der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam, stellte am 29.10.2015 nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Der Antragsteller wurde am 29.10.2015 erstmalig niederschriftlich einvernommen und tätigte er hierbei Angaben zu seiner Person sowie seinem familiären Umfeld. Inhaltlich bezog sich der Antragsteller darauf, dass in seinem Herkunftsdorf Drogenhändler von ihm gefordert hätten, ebenfalls Drogen zu verkaufen und hätte er dies verweigert. Ein Familienmitglied sei wegen so einem Verhalten sogar umgebracht worden. Da er mit diesen Leuten nichts habe zu tun haben wollen, sei er aus Afghanistan geflohen.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 12.10.2016 gab der Antragsteller auf Befragen zu Protokoll, es würden ein Onkel väterlicherseits sowie weitere Cousins sowie seine Großmutter seit vielen Jahren in Österreich leben.

Inhaltlich gab der Antragsteller zu Protokoll, seine Eltern und Geschwister würden derzeit in der Stadt Kabul leben und habe er dort auch noch weitere Onkel und Tanten. Seine Mutter sei Hausfrau und sein Vater Immobilienmakler. Er selbst habe mit seiner Familie in der Stadt Kabul gelebt. Als Grund für das Verlassen Afghanistans gab der Antragsteller an, er habe in Afghanistan nicht lernen können und sei dies nicht möglich gewesen. Dort wo er gewohnt habe, seien die Leute anders und würden sie alle Drogen verkaufen und würden sie einen nicht in die Schule gehen lassen. Mehrere Male hätten Leute zu ihm gesagt, dass er ihnen helfen solle Drogen zu verkaufen. Man würde immer Jungs haben wollen, die Sport treiben und daher kräftiger seien. Er sei damit nicht einverstanden gewesen und habe keine Drogen verkaufen wollen. Sein Onkel mütterlicherseits habe auch mit diesen Leuten gestritten und sei er von diesen getötet worden. Sie hätten alle Sportler dazu zwingen wollen, dass diese Drogen verkaufen. Man hätte auch sicher ihn dazu gezwungen. Er habe in Kabul trainiert und habe keine Drogen verkaufen wollen. Konkretisierend gab der Antragsteller an, dass er von diesen Leuten das erste Mal vor zwei Jahren (gerechnet vom Einvernahmezeitpunkt 12.10.2016) angesprochen worden sei. Sein Onkel sei bereits vor ca. fünf Jahren getötet worden. Jedes Mal, wenn man ihn gesehen hätte, habe man ihn angesprochen. Diese Leute seien sehr mächtig und könne man gegen sie nichts tun und würden die Drogen nicht in Kabul angebaut, sondern außerhalb. Diese Leute hätten Kontakt zu Taliban. Als er ganz jung gewesen sei habe er keine Probleme gehabt und als er größer geworden sei, habe ihm sein Vater verboten hinauszugehen und sei er deshalb in das Geschäft des Onkels geschickt worden, um dort Mechaniker zu lernen. Diese Leute (gemeint: die Drogenhändler) hätten ihn angesprochen und ihm vorgehalten, dass er bei seinem Onkel nur schlecht verdienen würde und könnte er bei ihnen mehr Geld verdienen. Er habe gesagt, dass er dies nicht machen wolle. Er selbst habe vier Mal in der Woche als Ringer trainiert. Eine Neuansiedlung in einer anderen Gegend sei ihm nicht möglich gewesen, da man sich diesen Leuten nicht habe entziehen können und hätten sie Kontakt mit den Taliban. Diese Leute hätten auch seinen Onkel angesprochen Drogen zu verkaufen und habe er dann auch mit ihnen zusammengearbeitet. Nach einer gewissen Zeit habe sein Onkel keine Drogen mehr verkaufen wollen und sei er dann getötet worden. Er sei mit einer Pistole erschossen worden. Sein Vater habe ihm gesagt, dass er auch von diesen Leuten getötet werden würde, wenn er keine Drogen verkaufen wolle.

Mit Schriftsatz vom 25.11.2016 nahm der Antragsteller Stellung zum übermittelten Parteiengehör. Hinsichtlich des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation verwies er hierin auf seine bisherigen Angaben zum Sachverhalt sowie auf eine Verschlechterung der Sicherheitslage in Afghanistan; dies unter Hinweis auf vormalige aktuelle Länderdokumentationsunterlagen. Laut dem Informationsblatt der Staatendokumentation stelle der Drogenhandel, der in Afghanistan äußert verbreitet sei, eine zentrale Einnahmequelle der Aufständischen in den Talibangebieten dar. Der Antragsteller sei somit aufgrund des von ihm gesetzten Verhaltens als politischer und religiöser Gegner der radikalen Gruppierung der Taliban anzusehen und drohe ihm sohin aus politischen Gründen Verfolgung.

3. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Es wurde gemäß I 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.) Schließlich wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.).

Aufgrund erkannter Widersprüchlichkeiten im Vorbringen des Antragstellers wurde dem Vorbringen die Glaubhaftigkeit versagt. Im Weiteren wurde erkannt, dass bei Rückkehr dem Antragsteller keine exzeptionelle Situation im Hinblick auf Art. 2 und 3 EMRK drohe und verfüge er im Herkunftsstaat überdies über Anknüpfungspunkte.

4. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben und zentral ausgeführt, dass der Antragsteller seinen Herkunftsstaat aufgrund der prekären Situation in Afghanistan und der Tatsache, dass er von einer den Taliban nahestehenden Gruppierung zum Verkauf von Suchtgift gezwungen werden sollte, verlassen habe. Überdies sei sein Onkel bereits von dieser Gruppe getötet worden. Es sei bekannt, dass die Taliban mit Suchtgift handeln würden und würden deren Kampfhandlungen zum Teil durch das Drogengeschäft finanziert. Er selbst sei von einer den Taliban nahestehende Gruppierung bereits verfolgt worden. Aus den Länderberichten ergebe sich die mangelnde Schutzfähigkeit des Staates in vielfacher Weise. Auf die Vormachtstellung der Taliban wurde im weiteren hingewiesen.

Sodann wurde mehrfach frustriert versucht den Antragsteller zu einer anberaumten öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vorzuladen.

Mit Beschluss vom 26.09.2018 wurde das gegenständliche Beschwerdeverfahren gemäß § 24 Abs. 2 AsylG 2005 eingestellt sowie mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 24.10.2018 wurde das Verfahren gemäß § 24 Abs. 2 AsylG fortgesetzt.

Auf Vorhalt aktueller Länderinformationen zur Situation in Afghanistan brachte der Antragsteller mit 05.11.2019 eine schriftliche Stellungnahme ein, in welcher er darauf hinwies, dass den aktuellen Länderberichten zu entnehmen sei, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan seit dem Scheitern der Friedensverhandlungen zwischen den USA und den Taliban im September 2019 massiv verschlechtert habe. In diesem Zusammenhang wurde auf eine Reihe erfolgter Terroranschläge und Gewaltakte verwiesen; sowie weiters auf ein allgemeines hohes Gewaltniveau, das im gesamten Staatsgebiet bestehe und die körperliche Unversehrtheit und das Leben der Zurückkehrenden bedrohe. Der Antragsteller dürfe auch nicht auf eine Fluchtalternative beispielsweise in Herat oder Mazar-e Sharif verwiesen werden, zumal die dortige Sicherheits- und Versorgungslage unzureichend sei und eine interne Fluchtalternative im Ergebnis mangels Zumutbarkeit für den Beschwerdeführer sohin nicht bestehe.

5. Im Rahmen der anberaumten öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 14.11.2019 wurde dem Antragsteller neuerlich Gelegenheit geboten, zu seinen Fluchtgründen Stellung zu nehmen sowie legte er hierbei eine Reihe von weiteren Unterlagen vor.

Das Beschwerderechtsgespräch stellt sich wie nachstehend dar:

Beginn der Befragung

I. Zum aktuellen Zustand des BF:

R: Wie geht es Ihnen gesundheitlich (sowohl in psychischer als auch in physischer Hinsicht [die Begriffe werden mit dem BF abgeklärt, sodass ihm diese geläufig sind]): Sind Sie insbesondere in ärztlicher Behandlung, befinden Sie sich in Therapie, nehmen Sie Medikamente ein?

BF auf Deutsch: Mir geht es gut und ich bin ein Sportler. Ich bin gesund.

II. Zum Verfahren vor dem BFA bzw. den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes:

R: Sie wurden bereits beim BFA bzw. vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes (Polizei) niederschriftlich einvernommen. Haben Sie dort immer die Wahrheit gesagt oder möchten Sie etwas richtig stellen?

BF: Ich habe die Wahrheit angegeben und halte alles aufrecht.

R: Wurden Ihnen die Niederschriften, die die Polizei im Rahmen der Erstbefragung und das BFA im Zuge Ihrer Einvernahme mit Ihnen aufgenommen haben, rückübersetzt?

BF auf Deutsch: Ich habe alles nicht so mitbekommen, der D war auch ein Iraner. Ich hatte Angst, wenn ich das Interview verschieben würde, wann ich einen neuen Termin bekomme. Der D hat mich vielleicht nicht so klar verstanden. Ich habe die Wahrheit gesagt. Bei den Fluchtgründen gibt es vielleicht einige Missverständnisse, so hat der D gesagt, in Afghanistan könne man nicht lernen, aber ich habe es nicht so gemeint. Ich meine damit die zweite Einvernahme vor dem BFA.

R: Gibt es andere Punkte im Protokoll, wo Sie über die Fluchtgründe gesprochen haben, wo Sie der Meinung sind diese sind nicht richtig?

BF auf Deutsch: Der Rest stimmt. Ich habe bei der Rückübersetzung darauf geachtet, dass meine Aussage richtig im Protokoll steht.

BFV: Ich möchte dazu ergänzen, dass mein Mandant im Vorgespräch zur heutigen Verhandlung mir gegenüber angegeben hat, dass im Protokoll des BFA vermerkt ist, dass er vor dem BFA ausgesagt habe, "jedes Mal angesprochen worden zu sein, wenn man ihn gesehen habe". Mir gegenüber hat er angegeben, zweimal angesprochen worden zu sein. Auch zum Zeitpunkt, wo der BF auf die Frage, wann er von diesen Leuten das erste Mal angesprochen sei, angegeben hatte, vor ca. zwei Jahren, hat er tatsächlich gemeint, dass es zwei Wochen vor der Ausreise gewesen sei.

R: Können Sie angeben, warum Sie diese Passage des Textes nicht gerügt haben?

BF auf Deutsch: ich war damals minderjährig und die Zettel hatte damals unser Betreuer. Ich durfte es auch nicht mitnehmen und lesen.

R: Es wurde aber Ihnen rückübersetzt?

BF auf Deutsch: Ja, es ist mir aber erst später aufgefallen.

III. Zur persönlichen Situation des BF:

a) in Österreich:

R: Leben Sie in Österreich alleine oder leben Sie mit jemandem zusammen? Wie ist Ihre aktuelle Wohnsituation? Leben Sie in einer Flüchtlingspension?

BF auf Deutsch: Jetzt wohne ich in einer Flüchtlingsunterkunft in XXXX .

R: Welches Niveau haben Sie in Deutschkursen gemacht und können Sie dazu Abschlüsse vorlegen?

BF auf Deutsch: B1 ist das höchste und ich war seitdem auch in der Schule.

R: Habe Sie in Österreich familiäre Bindungen?

BF auf Deutsch: Ja, ich habe zwei Onkel und eine Tante, mehrere Cousinen und Cousins. Meine Großmutter ist auch hier, sie ist die Mutter meiner Mutter.

R: Wie sieht Ihr Kontakt zu Ihren Familienangehörigen aus?

BF auf Deutsch: Ich habe guten Kontakt zu meiner Familie, aber ich bin beschäftigt mit Schule. Ich kann nicht immer hinfahren, sie wohnen alle in XXXX .

R: Wie halten Sie Kontakt?

BF auf Deutsch: Wir telefonieren immer. Die Fahrtstrecke dauert ca. drei Stunden und ich fahre nur, wenn es möglich ist.

R: Gehen Sie in Österreich einer Beschäftigung nach?

BF auf Deutsch: Nein, ich gehe jetzt in die Schule. Es handelt sich dabei um eine Handelsschule.

R: Nehmen Sie kurz Stellung zu diesem Lehrvertrag, der am 23.08.2018 hätten anfangen sollen?

BF auf Deutsch: Es war eine Maschinenbaulehre. Ich habe den Lehrvertrag auch unterschrieben, aber das Unternehmen hatte die Angst aufgrund der Gesetzesänderung, dass sie keinen Lehrling der im Asylverfahren ist, aufnehmen dürfen.

R: Haben Sie in Österreich schon einmal Probleme mit der Polizei oder Staatsanwaltschaft gehabt?

BF auf Deutsch: Zu dem Vergewaltigungsvorfall sage ich, dass es nicht so gewesen ist. Es hat nicht zu einem Gerichtsverfahren geführt. Ich wurde nicht angeklagt. Ich bin nicht strafrechtlich verurteilt. Zum einen Vorfall betreffend Kleidungsstücke, dass gebe ich zu. Das kommt davon, wenn man falsche Freunde hat. Es gibt auch dazu keine strafrechtliche Verurteilung.

R: Das Gericht kann sich auf Grund Ihrer Angaben nunmehr ein Bild über ihre privaten sowie familiären Bindungen in Österreich machen und erscheinen hierzu seitens des Gerichts keine weiteren Fragen offen. Wollen Sie sich noch weitergehend zu Ihren privaten und familiären Bindungen in Österreich bzw. ihrer Integration äußern?

BF auf Deutsch: Ich bin bei einem Ringerclub. Ich gehe jetzt nicht mehr so oft hin, wegen der Schule. Ich habe bei der Meisterschaft einen ersten Platz errungen und da ich nicht ins Ausland reisen darf, wurde ich nicht mehr berücksichtigt.

BFV: Wie stellen Sie sich die Zukunft hier in Österreich vor, wenn Sie hierbleiben könnten?

BF auf Deutsch: Ich habe ein Vorbild, dass ich hier arbeiten werde. Ich werde selbstständig sein. Ich habe hier eine Freundin und mit dieser Person verstehe ich mich sehr gut. Ich werde mit ihr eine gute Zukunft haben. Es handelt sich dabei um eine österreichische Staatsbürgerin.

BFV: Sie waren schon in verschiedenen Schulen. Wie ist es da abgelaufen? Haben Sie sich das selbst organisiert?

BF auf Deutsch: Seit ich in Österreich bin, bin ich selber immer zur Schule gegangen. Ich bin hingegangen und habe mich selbst angemeldet.

BehV: Leben Sie mit Ihrer österreichischen Freundin zusammen?

BF auf Deutsch: Sie wohnt in Mistelbach, das ist nicht so weit entfernt von meiner Unterkunft. Wir sind gemeinsam aufgewachsen.

b) im Herkunftsstaat:

R: Im angefochtenen Bescheid des BFA wurde u.a. bereits festgestellt, dass Sie aus Afghanistan stammen. Geben Sie bitte nochmals an, welcher Volksgruppe und Religionsgemeinschaft Sie angehören? Welche Sprachen sprechen Sie?

BF auf Deutsch: Ich stamme aus der Hauptstadt Kabul, ich bin Tadschike und Sunnit und spreche Dari. Ich spreche auch Paschtu, das habe ich in der Schule gelernt, aber ich spreche es aber nicht so gut wie meine Muttersprache.

R: Erzählen Sie mir etwas von Ihrem Leben in Afghanistan: Wo sind Sie geboren und aufgewachsen?

BF auf Deutsch: In Kabul. Dort bin ich auch in die Schule gegangen.

R: Wie viele Jahre haben Sie absolviert?

BF auf Deutsch: Die 8 Klasse habe ich abgeschlossen. Die 9 Schulstufe habe ich dann in Österreich gemacht, in der PTS.

R: Welche Verwandten haben Sie und wo leben diese?

BF auf Deutsch: Ich hatte Tante und Onkeln in Afghanistan, aber jetzt leben sie nicht mehr in Afghanistan. Sie sind alle geflüchtet, sie leben zB im Iran.

R: Wie ist das mit Ihren Eltern?

BF auf Deutsch: Meine Eltern sind jetzt im Iran. Ich kenne mich nicht im Iran aus. Ich glaube in Teheran. Meine ganze Familie ist dort.

R: Wer ist noch in Kabul?

BF auf Deutsch: In Kabul, Onkel und Tanten, diese sind nicht mehr dort. Meine Oma ist verstorben.

R: Wie viele Geschwister haben Sie?

BF auf Deutsch: Ein Bruder und zwei Schwestern. Ich bin der älteste in der Familie. Aber ich sage Ihnen ehrlich, meine Eltern verlangen kein Geld von mir. Sie wissen, dass man als Schüler kein Geld verdient. Wenn es nur darum ginge, Geld nach Hause zu schicken, hätte ich etwas mit Drogen oder ähnliches angefangen. Darum geht es bei mir nicht.

R: Hat ihre Familie Besitztümer in Afghanistan?

BF auf Deutsch: Wir hatten ein Haus. Ich weiß nicht, ob sie es verkauft haben oder ob es noch uns gehört.

R: Haben Sie mit Ihrer Familie Kontakt?

BF auf Deutsch: Ich habe mit meinen Eltern nicht so richtig kontakt. Sie sind in Afghanistan und das Internet ist so schlecht.

R: Haben Sie gesagt, Ihre Familie ist in Afghanistan?

BF auf Deutsch: Nein, ich habe gesagt im Iran.

R:I hre Aussage betreffend des Internet wäre für mich schlüssig auf Ihre spontane Antwort passen, dass Ihre Familie tatsächlich in Afghanistan aufhältig ist.

BF auf Deutsch: Ich habe gehört, dass es im Iran noch schlechter ist.

R: Was war die Einnahmequelle Ihrer Familie in Afghanistan bzw. jetzt im Iran?

BF auf Deutsch: Mein Vater arbeitet. Er war in Afghanistan Immobilienmakler. Es geht ihnen nicht so schlecht und sie haben etwas erspart.

R: Was hat Ihre Flucht gekostet und wer hat die Flucht finanziert?

BF auf Deutsch: Ich glaube ? 3.000 haben die Schlepper genommen. Für mein Leben hat mir mein Vater Geld mitgegeben und habe ich das auf der Reise ausgegeben.

R: Wann hat Ihr Vater mit dem Rest der Familie Kabul verlassen?

BF auf Deutsch: Vor ca. 2 1/2 Jahren etwa.

R: Aus welchem Grund?

BF auf Deutsch: Die Gruppe, die mich verfolgt hat, haben meine kleinen Brüder gefragt, wo ich bin. Mein Vater wollte sich nicht mit diesen Leuten anlegen und hat er gemeint, es sei besser, wegzugehen.

R: Waren Sie in Ihrem Heimatland politisch tätig oder gehörten Sie einer politischen Partei an?

BF auf Deutsch: Nein. Ich habe mich auch in Afghanistan schon für den Beruf des KFZ-mechanikers interessiert und habe ich deshalb auch schon einige Tage bei der Firma XXXX verbracht.

R: Haben Sie sich in Afghanistan, jemals außerhalb Ihrer Heimatstadt Kabul zum Beispiel in Herat oder in Mazar-e Sharif gewohnt oder sich aufgehalten?

BF auf Deutsch: Nein. Als ich nach Österreich flüchten wollte, bin ich durchgefahren durch Herat.

R: Als Sie weggegangen sind, hatten Sie eine Vorstellung, wohin Sie gehen werden?

BF auf Deutsch: Ich hatte nichts vor, ich wollte weiter weg von Afghanistan. Ich habe mich hier in Österreich bei meinem Onkeln informiert. Ich hatte von ihnen eine Telefonnummer.

R: Haben Sie von Ihrem Vater eine Telefonnummer?

BF: Die Handynummer sind von ihnen kompliziert. Ich habe sie nicht im Kopf oder im Handy. Ich gebe es später meiner RV. Ich kann auch später die Telefonnummer über meiner RV dem Gericht übermitteln.

IV. Fluchtgründe des BF:

R: Können Sie nun schildern, warum Sie Afghanistan verlassen haben?

BF auf Deutsch: Ich habe Afghanistan verlassen, weil ich in Gefahr war. Sie können sich nicht vorstellen, wie meine Situation dort war. Die Leute, die dort sind, ich hatte Angst. Mit solchen Leuten wollte ich nichts zu tun haben. Die haben von mir verlangt, diese Arbeit zu machen, ich meine damit Drogen zu verkaufen. Diese waren mal befreundet mit meinem Onkel. Ich habe nicht gesehen, dass mein Onkel verkauft hätte, aber sie waren mit ihm befreundet.

R: Erzählen Sie nun im Detail, wann sich was zugetragen hat.

BF auf Deutsch: Das war 2015, zwei Wochen vor meiner ausreise. Die Leute gehören zu den Taliban. Die haben Drogen von woanders geliefert, nicht von Kabul und wollten sie, dass ich mit ihnen arbeite. Ich wollte das nicht.

R: Erzählen Sie über einen konkreten Vorfall.

BF auf Deutsch: Mein Onkel hatte mit diesen Kontakt und war befreundet. Irgendwann hat er gemerkt, dass es nicht gut ist und er wollte aufhören. Wenn man einmal für solche arbeitet, dann kann man sich nicht mehr einfach zurückziehen.

R: Treten Sie nun in eine individuelle Schilderung Ihres Vorfalls ein.

BF auf Deutsch: Sie haben mir gesagt, dass ich das machen muss. Ich habe das nicht gesagt. Sie haben mir gesagt, wenn ich diese Arbeit mache, dann verdiene ich viel Geld. Ich habe nein gesagt. Von ihrer Art habe ich aber gemerkt, sie gehen mit Pistolen herum, in Afghanistan ist Krieg, das ist normal. Diese verstehen keinen Spaß, sie schießen einfach. Sie sind bekannt.

R: Warum hat man gerade Sie angesprochen Drogen zu verkaufen?

BF auf Deutsch: Weil sie meinen Onkel kannten. Ich habe mit dem Onkel trainiert.

R: Gut, erzählen Sie über einen konkreten Vorfall.

BF: Ich habe jeden Tag die Schule und den Sportclub besucht. Diese waren beide in der Nähe. Einen Tag wollte ich vom Club in die Schule gehen. Diese Leute kamen zu mir. Sie haben mich richtig bedroht, dass ich mit ihnen arbeiten muss. Ich habe abgelehnt. Danach war ich zu Hause. Ich habe mit meinen Eltern gesprochen und gesagt, dass ich große Angst vor diesen Leuten habe. Ich kenne diese Leute nicht und ich möchte nicht mehr hierbleiben. Ich habe Angst, ich konnte nicht rausgehen. Ich dachte immer, etwas passiert, wenn ich rausgehe. So eine große Angst hatte ich noch nie in meinem Leben.

R: Erklären Sie mir, den Unterschied: Wenn man in Kabul aufwächst, wächst man auch mit Gewalt und Bedrohung auf. Warum haben Sie sich dann plötzlich entschiede, überhaupt das Land zu verlasen.

BF auf Deutsch: Ich bin in die Schule gegangen und habe mit meinem Onkel in einer Autowerkstatt gearbeitet. Jetzt höre ich und sehe ich ständig, was in Kabul passiert. Jetzt habe ich noch mehr Angst, als damals, als ich in Kabul gelebt habe. Ich bin zwar dort geboren, aber eigentlich sehe ich es so, dass ich hier aufgewachsen bin. Ich habe mit hier integriert und eingewöhnt. Ich bin damals aus den Club herausgekommen und sehe ich ihn vor dem Club. Er hat gemeint, was ich mir überlegt hätte, was sie zu mir gesagt hatten. Er hat gehört, dass meine Antwort negativ ist. Er hat angefangen mich zu nerven und hat mich angegriffen. Da habe ich bemerkt, so etwas ist in meinem Leben noch nie vorgekommen. Da habe ich gemerkt, dass es ernst ist und es so nicht mehr weitergehen. Ich konnte nicht von zu Hause weggehen, ich konnte nicht trainieren gehen, ich konnte alles nicht.

R: Was hat Ihr Vater dazu gesagt?

BF auf Deutsch: Ich habe ihm die Geschichte erzählt. Ich habe ihm erzählt, dass ich nicht mehr ausgehen kann und in die Schule. Er hat dann gesagt, ich soll die Heimat verlassen.

R: Wissen Sie etwas Konkretes darüber, was sich genau danach zugetragen hat, sodass Ihre Familie auch Kabul verlassen hat?

BF auf Deutsch: Die Leute arbeiten nicht offiziell, sie handeln mit Drogen. Sie haben mich angesprochen und ich könnte sie verraten. Und deswegen wollten sie mich umbringen.

R: Warum wurden gerade Sie angesprochen?

BF auf Deutsch: Sie waren mit meinem Onkel befreundet. Ich glaube, sie haben mich angesprochen, weil sie schon meinen Onkel kannten, sonst wären sie nicht an mich herangetreten.

R: Gab es nach diesem einen Vorfall, denn Sie nur nebelhaft schildern können, weitere Vorfälle oder Bedrohungen?

BF: Das war das letzte Mal, dass ich von meinem Club in die Schule gehen möchte, danach nicht mehr.

R: Es hat also diesen einen Vorfall gegeben?

BF: Es gab zwei Vorfälle in diesen zwei Wochen, bevor ich nach Europa ausgereist bin.

R: Zu dem zweiten Vorfall: Was hat der Mann konkret zu Ihnen gesagt-

BF: Zuerst hat er mich gefragt, ob ich überlegt habe, du musst mit uns arbeiten. Das war der zweite Vorfall. Ich wusste, dass es noch einmal passieren würde und ich hatte große Angst. Bei dem zweiten Mal haben sie mich angegriffen am Hals und ich wusste, dass es nochmal passiert. Ich habe viel Angst bekommen.

R: War es ein Mann oder mehrere?

BF auf Deutsch: Die gehen nicht so alleine.

R: Sie haben vor dem BFA ua. angegeben, dass es dort, wo Sie gewohnt haben, ganz normal sei und dass dort alle Drogen verkaufen würden.

BF auf Deutsch: Ich habe gesagt, dass dort, wo ich gewohnt habe, sie kennen diesen Ort nicht, es gibt einen Ort, wo viele Süchtige sind.

R: Sie haben auch angegeben, mehrere Male haben Ihnen Leute gesagt, dass Sie für sie Drogen verkaufen sollen.

BF auf Deutsch: Mehrere Male habe ich nicht gesagt.

R: An anderer Stelle haben Sie gesagt, jedes Mal, wenn sie mich gesehen haben.... Was sagen Sie dazu?

BF auf Deutsch: Ich habe das so gesagt, wie ich es gesehen habe. Ich weiß nicht genau, was Sie wollen.

D übersetzt die Frage.

BF: Ich habe mehrmals erwähnt, sie kannten meinen Onkel. Sie waren sicher, dass ich was verkaufe und wenn ich etwas nicht verkaufe oder für mich behalte, könnten sie zu meinem Onkel mütterlicherseits und sie kannten meine Familie.

R noch einmal: R: Wissen Sie etwas Konkretes darüber, was sich genau danach zugetragen hat, sodass Ihre Familie auch Kabul verlassen hat?

BF: Diese Leute haben meinen Bruder nach mir gefragt, wo ich bin. Danach habe ich mit meinem Vatergesprochen. Ich habe gesagt, dass dieselben Personen mich damals bedroht haben. Sie haben auch viel Angst bekommen und deswegen haben sie Kabul verlassen.

R: Hat es vielleicht noch einen anderen wichtigen Aspekt gegeben, der auf eine Bedrohung hingedeutet hätte? Sie haben 2015 Afghanistan verlassen, 2017 oder 2016 ist Ihre Familie aus Kabul weggezogen?

BF: Ende 2015 bin ich ausgereist. Ende 2016 hat meine Familie Afghanistan verlassen.

R: Hat es vielleicht noch einen anderen wichtigen Aspekt gegeben, der auf eine Bedrohung hingedeutet hätte?

BF auf Deutsch: Die Leute, die mich in Afghanistan angesprochen haben, von denen könnte alles ausgehen und alles könnte vorkommen.

R: Wie geht es dem Onkel, mit dem Sie zusammengearbeitet haben?

BF auf Deutsch: Er ist gestorben.

R: Wieso?

BF auf Deutsch: Er wurde erschossen von den Leuten.

R: Wann ist das passiert?

BF auf Deutsch: Ich weiß es nicht genau, ungefähr vor 6 Jahren von heute angerechnet.

R: Vor dem BFA haben Sie am 12.10.2016 angegeben, dass der Onkel vor ca. 5 Jahren getötet worden sei, also passt das zeitlich nicht zusammen.

BF auf Deutsch: Vielleicht meinte ich den Onkel, der in Deutschland gestorben ist beim BFA.

R: Sie wurden im Zusammenhang mit Ihrer Bedrohung gefragt, wann der Onkel getötet wurde und haben Sie angegeben vor ca. 5 Jahren und dann noch ergänzt, dass diese Leute sehr mächtig seien...

BF auf Deutsch: Ich habe von zwei Onkel erzählt, einer von Deutschland... Vielleicht hat der D es verwechselt.

R: Haben Sie, seit Sie in Österreich sind, zB mit Ihrem Vater darüber gesprochen, ob man nicht zurückkehren könnte nach Afghanistan?

BF auf Deutsch: Mein Vater kennt sich aus, wie ich, ich muss ihn nichts über die Lage in Afghanistan erzählen. Wir haben darüber nicht gesprochen. Mein Onkel hat man ihm das glaube ich erzählt, dass wenn man hier (gemeint in Österreich) nichts macht oder anstellt und sich gut integriert, dann wird muss man nicht zurückkehren. Dann wird man österreichischer Staatsbürger.

R: Welche konkrete Bedrohung gegen Ihre Person würden Sie jetzt befürchten, wenn Sie nach Afghanistan insb. nach Kabul zurückkehren müssten?

BF auf Deutsch: Wenn ich zurückkehre denken alle, ich habe Geld, so wie oftmals der älteste Sohn in den Westen geschickt wird, um Geld heim zu schicken.

R: Gibt es konkrete Anhaltspunkte für Ihre Befürchtungen, oder nehmen Sie das nur an?

BF auf Deutsch: Ich habe auch hier nicht zu den Afghanen so viel Kontakt.

R: Ich habe zu ihrem Verfahren keine weiteren Fragen. Wollen Sie noch etwas angeben?

BF auf Deutsch: Ich möchte noch dazu sagen. Ein ? 1 sind dort 90 Afghani und kann man etwa 90 Pistolenkugeln kaufen. Für man kann eine Kleinigkeit jemanden umbringen. Die machen das auch. Es werden dort Leute für geringwertige Sachen umgebracht. Miz meinem Stand der Integration kann ich überdies nicht zurückkehren.

R gibt RV und BehV die Gelegenheit, Fragen zu stellen.

RV: Keine Fragen.

BehV: Keine Fragen.

RV: Zum Einen verweise ich auf die Stellungnahme vom 5.11.2019 zur aktuellen Situation in Afghanistan. Alle Anträge bleiben aufrecht. Das Gericht wird weiters ersucht bei seiner Entscheidungsfindung auch die sehr gute Integration des BF zu berücksichtigen. Der BF hat fast die gesamte Verhandlung in deutscher Sprache geführt, er besucht zur Zeit die Handelsschule, zeigt große Eigeninitiative in Bezug auf den Schulbesuch und das berufliche Fortkommen. Weiters ist er bereits seit drei Jahren mit einer österreichischen Staatsbürgerin in einer Beziehung. In Bezug auf die strafrechtlichen Vorfälle wird nochmals hervorgehoben, dass es diesbezüglich zu keiner Verurteilung gekommen ist und der BF diese Vorfälle auch bereut.

BehV: Ich beantrage die Abweisung der Beschwerde in allen drei Spruchpunkten.

Keine Einwendungen.

Ende der Befragung.

6. Mit Schriftsatz vom 11.03.2020 brachte der Beschwerdeführer durch seinen bevollmächtigten Vertreter zusammenfassend vor, dass sich die Situation in Afghanistan insofern mittlerweile verschärft habe, als die Beschäftigungsmöglichkeiten in den Großstädten aufgrund unzureichender Entwicklungsressourcen weiter verschlechtert hätten. Auch hätte sich die Sicherheitslage nicht nachhaltig verbessert.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Person

Der männliche, volljährige, ledige, gesunde, und arbeitsfähige Beschwerdeführer (ohne Obsorgepflichten) wurde am XXXX geboren, ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zum islamischen Glauben sunnitischer Richtung. Er spricht Dari. Der Antragsteller verfügt über eine neunjährige Schulbildung im Herkunftsland.

Der Antragsteller verfügt im österreichischen Bundesgebiet über familiäre Bindungen in Form zweier Onkel, einer Tante sowie mehrerer Cousinen und Cousins. Ein Abhängigkeitsverhältnis zu den genannten Personen besteht ebenso wenig wie ein gemeinsamer Haushalt mit diesen.

Die Eltern sowie Geschwister des Beschwerdeführers leben im Iran und steht der Beschwerdeführer mit den genannten Angehörigen in Kontakt. Weiters leben noch Onkeln und eine Tante des Beschwerdeführers im Iran.

Der Beschwerdeführer ist gesund. Der Antragsteller hat mittlerweile das Deutschsprachniveau B1 erworben. Der Antragsteller besucht in Österreich eine Handelsschule und hat die polytechnische Schule absolviert sowie die Integrationsprüfung abgelegt. Der Antragsteller ist Mitglied in einem Ringerclub und hat an diversen Workshops teilgenommen. Der Beschwerdeführer verfügt über eine Einstellungszusage bei einem Friseur.

1.3. mögliche Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat

Der Beschwerdeführer wurde in seinem Herkunftsstaat niemals inhaftiert, ist nicht vorbestraft und hatte mit den Behörden seines Herkunftsstaates weder auf Grund seines Religionsbekenntnisses oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwelche Probleme. Er war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Antragsteller mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in der Region Balkh, in concreto Mazar-e Sharif oder auch in anderen Großstädten, wie etwa Herat oder auch Kabul einer wahrscheinlichen Verfolgung ausgesetzt wäre. Dem Antragsteller ist eine Rückkehr in seine ursprüngliche Herkunftsprovinz Ghazni bzw. auch in die Provinz seines letzten gewöhnlichen Aufenthaltes Helmand unzumutbar. Der Beschwerdeführer hat die Möglichkeit, in Mazar-e-Sharif sowie Herat Zuflucht zu nehmen und liefe er nicht Gefahr, bei einer Rückkehr und einer Ansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif oder Herat grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der Beschwerdeführer kann die Stadt Mazar-e Sharif oder Herat von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.

Die Stadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.: Provinzhauptstadt Baghlan]; sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar. In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen.

Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz. Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion. Es sollen Regierungsprogramme und ausländische Programme zur Unterstützung der Safran-Produktion implementiert werden. Safran soll eine Alternativ zum Mohnanbau werden. Die Stadt Herat ist eine vergleichsweise sichere und über den jeweiligen Flughafen gut erreichbare Stadt. Sie ist relativ sicher. Die Taliban konnten die Stadt Herat nicht einnehmen, da sie von den Sicherheitskräften sehr gut bewacht ist. In Herat ist nach den vorliegenden Länderberichten die allgemeine Lage als vergleichsweise sicher und stabil zu bezeichnen, auch wenn es dort zu vereinzelten Anschlägen kommt. Insgesamt ist die Sicherheitslage in der Stadt Herat als ausreichend sicher zu bewerten.

Hilfeleistungen für Rückkehrer durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft (wenngleich sich das Jangalak-Aufnahmezentrum bis September 2017 direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand, wurde dieses dennoch von IOM betrieben und finanziert). Seit 2016 erhalten die Rückkehr/innen nur Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (siehe Jangalak-Aufnahmezentrum). Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs wurden von unterschiedlichen afghanischen Behörden, dem Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) und internationalen Organisationen geschaffen und sind im Dezember 2016 in Kraft getreten. Diese Rahmenbedingungen gelten sowohl für Rückkehrer/innen aus der Region (Iran und Pakistan), als auch für jene, die aus Europa zurückkommen oder IDPs sind. Soweit dies möglich ist, sieht dieser mehrdimensionale Ansatz der Integration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur Einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen die Grundstücksvergabe als entscheidend für den Erfolg anhaltender Lösungen. Hinsichtlich der Grundstücksvergabe wird es als besonders wichtig erachtet, das derzeitige Gesetz zu ändern, da es als anfällig für Korruption und Missmanagement gilt. Auch wenn nicht bekannt ist, wie viele Rückkehrer/innen aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben - und zu welchen Bedingungen - sehen Experten dies als möglichen Anreiz für jene Menschen, die Afghanistan schon vor langer Zeit verlassen haben und deren Zukunftsplanung von der Entscheidung europäischer Staaten über ihre Abschiebungen abhängig ist.

Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke schwach ausgeprägt bzw. - wie fallbezogen vom Beschwerdeführer angegeben - nicht vorhanden sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden.

Da der Beschwerdeführer gesund ist, kann auch nicht festgestellt werden, dass er im Falle der Rückkehr nach Mazar e Sharif oder Herat Gefahr liefe, aufgrund seines derzeitigen Gesundheitszustandes in einen unmittelbar lebensbedrohlichen Zustand zu geraten. Es sind auch sonst keine Hinweise hervorgekommen, dass allenfalls andere körperliche oder psychische Erkrankungen einer Rückführung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.

Hervorzuheben ist, dass der Beschwerdeführer aufgrund seines persönlichen Profils als besonders gewandt, flexibel und anpassungsfähig zu qualifizieren ist, was ihn gerade gegenüber anderen Asylwerbern bzw. Rückkehrern gleicher Provenienz in eine privilegierte Position versetzt, weshalb eine positive Rückkehrprognose indiziert ist. Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Herat bzw. Mazar-e Sharif ausschließen könnten, konnten nicht festgestellt werden. Die kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates sind dem Beschwerdeführer bekannt.

Dem Antragsteller ist es durchaus zumutbar, sich allenfalls in den Städten Herat oder Mazar-e Sharif, eine Existenz aufbauen und diese - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten zu sichern, wobei ihm seine frühere berufliche Tätigkeit zu Gute kommt. Seine Existenz in Mazar-e Sharif oder Herat könne er - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Mazar-e Sharif oder Herat Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Es kann daher nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Afghanistan ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen wurde. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019). Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit 29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

[...]

Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019). Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).

Zivile Opfer

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl - Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) - 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019).

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl im gesamten Jahr 2018 (USDOD 12.2018), als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018). Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen (USDOD 6.2019). Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 73) (USDOD 12.2018), zwischen 1.12.2018 und15.5.2019 waren es 6 HPAs (Vorjahreswert: 17) (USDOD 6.2019).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Die Zahl der Angriffe auf Gläubige, religiöse Exponenten und Kultstätten war 2018 auf einem ähnlich hohen Niveau wie 2017: bei 22 Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte, meist des ISKP, wurden 453 zivile Opfer registriert (156 Tote, 297 Verletzte), ein Großteil verursacht durch Selbstmordanschläge (136 Tote, 266 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Für das Jahr 2018 wurden insgesamt 19 Vorfälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten dokumentiert, bei denen es insgesamt zu 747 zivilen Opfern kam (223 Tote, 524 Verletzte). Dies ist eine Zunahme von 34% verglichen mit dem Jahr 2017. Während die Mehrheit konfessionell motivierter Angriffe gegen Schiiten im Jahr 2017 auf Kultstätten verübt wurden, gab es im Jahr 2018 nur zwei derartige Angriffe. Die meisten Anschläge auf Schiiten fanden im Jahr 2018 in anderen zivilen Lebensräumen statt, einschließlich in mehrheitlich von Schiiten oder Hazara bewohnten Gegenden. Gezielte Attentate und Selbstmordangriffe auf religiöse Führer und Gläubige führten, zu 35 zivilen Opfern (15 Tote, 20 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

[...]

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 6.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 6.2019):

Taliban

Die USA sprechen seit rund einem Jahr mit hochrangigen Vertretern der Taliban über eine politische Lösung des langjährigen Afghanistan-Konflikts. Dabei geht es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan kein sicherer Hafen für Terroristen wird. Beide Seiten hatten sich jüngst optimistisch gezeigt, bald zu einer Einigung zu kommen (FAZ 21.8.2019). Während dieser Verhandlungen haben die Taliban Forderungen eines Waffenstillstandes abgewiesen und täglich Operationen ausgeführt, die hauptsächlich die afghanischen Sicherheitskräfte zum Ziel haben. (TG 30.7.2019). Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel. Das wird als Versuch gewertet, in den Friedensverhandlungen ein Druckmittel zu haben (USDOD 6.2019).

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) - Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub - Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar - und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll 12 Ableger, in acht Provinzen betreiben (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).

Haqqani-Netzwerk

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (CRS 12.2.2019). Benannt nach dessen Begründer, Jalaluddin Haqqani (AAN 1.7.2010; vgl. USDOS 19.9.2018; vgl. CRS 12.2.2019), einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen Taliban-Figur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist dessen Sohn Serajuddin Haqqani, der seit 2015, als stellvertretender Leiter galt (CTC 1.2018).

Als gefährlichster Arm der Taliban hat das Haqqani-Netzwerk seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt (NYT 20.8.2019) und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (CRS 12.2.2019).

Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)

Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf den Sommer 2014 zurück (AAN 17.11.2014; vgl. LWJ 5.3.2015). Zu den Kommandanten gehörten zunächst oft unzufriedene afghanische und pakistanische Taliban (AAN 1.8.2017; vgl. LWJ 4.12.2017). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000 (USDOS 18.9.2018), bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern (UNSC 13.6.2019). Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Auch soll der Islamische Staat vom zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan sowie von aus Syrien geflohenen Kämpfern profitieren (BAMF 3.6.2019; vgl. VOA 21.5.2019).

Berichten zufolge, besteht der ISKP in Pakistan hauptsächlich aus ehemaligen Teherik-e Taliban Mitgliedern, die vor der pakistanischen Armee und ihren militärischen Operationen in der FATA geflohen sind (CRS 12.2.2019; vgl. CTC 12.2018). Dem Islamischen Staat ist es gelungen, seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan dadurch zu stärken, dass er Partnerschaften mit regionalen militanten Gruppen einging. Seit 2014 haben sich dem Islamischen Staat mehrere Gruppen in Afghanistan angeschlossen, z.B. Teherik-e Taliban Pakistan (TTP)-Fraktionen oder das Islamic Movement of Uzbekistan (IMU), während andere ohne formelle Zugehörigkeitserklärung mit IS-Gruppierungen zusammengearbeitet haben, z.B. die Jundullah-Fraktion von TTP oder Lashkar-e Islam (CTC 12.2018).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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