Entscheidungsdatum
29.04.2020Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W256 2177642-1/15E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Caroline KIMM als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Somalia gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16. Oktober 2017, Zl. XXXX :
A)
Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich seines Spruchpunktes I. gemäß §28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer, ein somalischer Staatsangehöriger, stellte am 03. Dezember 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
Am 07. Dezember 2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Erstbefragung statt. Dabei führte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt Folgendes (wortwörtlich wiedergegeben) aus: "Ich und meine Familie haben viele Probleme in Somalia. Mein Vater und meine Brüder sind von Al Shabaab Leuten umgebracht worden. Die Al Shabaab sind vor ca. 6 Monaten zu uns nach Hause gekommen, sie wollten mich und meine Brüder mitnehmen, mein Vater hat dies verneint und sie haben dann sofort meinen Vater und meine Brüder umgebracht. Mich haben sie dann mitgenommen, mich an einen Ort gebracht und eingesperrt. Ich war ca. 20 Tage eingesperrt. Es waren auch noch andere Jugendliche dort und wir wurden fast jeden Tag geschlagen. Sie haben jeden Tag gesagt, wir sollen das machen was sie verlangen. Die Al Shabaab Leute haben uns dann zu einem Platz gebracht, wo wir spielen konnten, wir hätten den Nachmittag frei und sollen dann wieder zurückkommen. Diese Chance nützte ich und ich floh zu meinem Onkel. Zuerst ging ich zu meiner Mutter, die war aber nicht mehr zu Hause, so ging ich dann zu meinem Onkel, der mich dann nach Addis Abeba mitnahm."
Der Beschwerdeführer wurde am 27. April 2017 durch ein Organ der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. Dabei wiederholte er im Wesentlichen sein bisheriges Fluchtvorbringen.
In seiner Stellungnahme vom 11. Mai 2017 verwies der Beschwerdeführer im Wesentlichen darauf, dass er als "Zwangsrekrutierte Person" unter ein Risikoprofil nach UNHCR falle und er aufgrund seiner oppositionellen politischen und religiösen Gesinnung einer Verfolgung im Sinne der GFK ausgesetzt sei.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), der Status eines subsidiär Schutzberechtigten wurde ihm dagegen zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III).
Darin wurde nach Wiedergabe der Einvernahme-Protokolle und des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation Somalia (LIB) - sofern hier wesentlich - begründend ausgeführt, dass insgesamt nicht festgestellt werden konnte, dass der Beschwerdeführer in Somalia einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt sei. Zwar sei die willkürliche Rekrutierung seitens der Al Shabaab Milizen im Hinblick auf die allgemeine Lage in Teilen Somalias im Jahre 2015 durchaus plausibel und auch glaubhaft. Einer Zwangsrekrutierung, die - wie im vorliegenden Fall - nicht an andere Kriterien als Alter oder Geschlecht angeknüpft werde, käme ohne Hinzutreten weiterer Umstände jedoch keine Asylrelevanz zu.
Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die belangte Behörde habe im Rahmen der Beweiswürdigung die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers nicht in Frage gestellt, dem Beschwerdeführer aber wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung den Asylstatus nicht gewährt. Der Begründung, dass einer Zwangsrekrutierung ohne Hinzutreten weiterer konkreter Umstände keine Asylrelevanz zukomme, sei zu widersprechen. Der Beschwerdeführer habe sich durch seine Flucht aus dem Ausbildungslager der Zwangsrekrutierung der Al Shabaab entzogen. Damit habe er eine der Ideologie der Al Shabaab widersprechende Gesinnung ausgedrückt und sei er damit als Feind der Al Shabaab anzusehen. Er sei daher im Falle einer Rückkehr einer Verfolgung aufgrund einer ihm (zumindest unterstellten) politischen Gesinnung von Seiten der Al Shabaab ausgesetzt. Die belangte Behörde habe sich damit aufgrund ihrer unrichtigen rechtlichen Beurteilung in keiner Weise auseinandergesetzt.
Die belangte Behörde legte die Beschwerde unter Anschluss des Verwaltungsaktes dem Bundesverwaltungsgericht vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Rechtliche Beurteilung:
1. Zu Spruchpunkt A)
Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Diese Vorgangsweise setzt nach § 28 Abs. 2 Ziffer 2 voraus, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
In seinem Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Zl. Ra 2014/03/0063, hielt der Verwaltungs-gerichtshof (VwGH) fest, dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommen wird, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. auch den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Jänner 2017, Zl. Ra 2016/12/0109, Rz 18ff.). Zusammenfassend schreibt der VwGH in der Ra 2016/09/0009 vom 28. März 2017, wenn die Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt sehr unzureichend festgestellt hat, indem sie keine für die Entscheidung in der Sache brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert hat (vgl. auch VwGH 20. Oktober 2017. Ra 2016/09/0103), ist eine Zurückweisung nach §28 Abs. 3 VwGVG zulässig.
Der angefochtene Bescheid ist aus folgenden Gründen mangelhaft:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Der Beschwerdeführer hat im gesamten Verfahren eine gegen seine Person gerichtete (versuchte) Zwangsrekrutierung durch Mitglieder der Al Shabaab Miliz behauptet und wurde dieser von Seiten der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid auch Glauben geschenkt.
Eine asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers wurde von Seiten der belangten Behörde jedoch insofern verneint, als Zwangsrekrutierungen, die nicht an andere Kriterien als an das Alter und das Geschlecht geknüpft seien, ohne Hinzutreten weiterer konkreter Umstände keine Asylrelevanz im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention zukommen würden.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer (versuchten) Zwangsrekrutierung jedoch sehr wohl dann Asylrelevanz zu, wenn aus der Weigerung, sich den Rekrutierenden anzuschließen, eine tatsächliche oder nur unterstellte politische Gesinnung abgeleitet wird, an die eine Verfolgung anknüpft. Entscheidend für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist daher, mit welchen Reaktionen der Al Shabaab der Beschwerdeführer aufgrund seiner Weigerung, sich dem Willen der Rekrutierenden zu beugen, rechnen muss und ob in seinem Verhalten eine - wenn auch nur unterstellte - politische oder religiöse oppositionelle Gesinnung erblickt wird (vgl. VwGH, 13.10.2015, Ra 2014/01/0243).
Die belangte Behörde hat sich damit in keiner Weise auseinandergesetzt. Vor dem Hintergrund der obigen Rechtsausführungen hätte es aber Ermittlungen dazu bedurft, mit welchen Folgen der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat aufgrund seiner Weigerung, sich der Al-Shabaab anzuschließen rechnen müsste und ob in seinem Verhalten eine - sei es auch nur unterstellte - politische oder religiöse oppositionelle Gesinnung erblickt würde.
Die belangte Behörde hat es daher - entgegen ihrer in § 18 AsylG 2005 normierten Ermittlungspflicht - gänzlich unterlassen, sich mit dem vom Beschwerdeführer geltend gemachten Fluchtgrund eingehend und vor allem geeignet zu befassen. Der Sachverhalt ist somit in einem wesentlichen Punkt umfassend ergänzungsbedürftig geblieben, weshalb im Hinblick auf diese besonders gravierende Ermittlungslücke eine Zurückverweisung erforderlich und auch gerechtfertigt ist (vgl. dazu den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Oktober 2015, Zl. Ra 2015/09/0088).
Die belangte Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren angehalten, sich mit dem Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen, dazu konkrete Ermittlungsschritte, sei es durch gezielte Befragung des Beschwerdeführers, durch Einholung von entsprechenden Länderberichten oder sonstiger sich daraus ergebender weiterer Ermittlungsschritte zu setzen und die diesbezüglichen Ermittlungsergebnisse einer ernsthaften und nachvollziehbaren Prüfung zu unterziehen.
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Denn die belangte Behörde ist als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation gemäß § 5 BFA-Einrichtungsgesetz für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig. Überdies soll eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden.
Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.
Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind daher im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Folglich war das Verfahren zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.
Eine mündliche Verhandlung konnte im vorliegenden Fall gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG unterbleiben, weil bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid "aufzuheben" war. Dieser Tatbestand ist auch auf Beschlüsse zur Aufhebung und Zurückverweisung anwendbar (vgl. zur gleichartigen früheren Rechtslage Hengstschläger/Leeb, AVG [2007] § 67d Rz 22).
2. Zu Spruchpunkt B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist unzulässig, weil keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzlicher Bedeutung zukommt: Dass eine Zurückweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommt, wenn die Verwaltungsbehörde bloß ansatzweise bzw. unzureichend ermittelt, entspricht der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
3. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
aktuelle Länderfeststellungen Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht Fluchtgründe Kassation mangelnde SachverhaltsfeststellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W256.2177642.1.00Im RIS seit
10.09.2020Zuletzt aktualisiert am
10.09.2020