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E000 EU- Recht allgemein;Norm
61993CJ0312 Peterbroeck Van Campenhout VORAB;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Zens,
Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des 1962 geborenen CK in R, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 14. Oktober 1996, Zl. 120.222/2-III/11/96, betreffend Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.
Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer beantragte am 14. Dezember 1995 bei der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch ausdrücklich die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Dieser Antrag wurde mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch im Namen des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 4. Juni 1996 gemäß § 5 Abs. 1 und § 6 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) sowie § 10 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes (FrG) abgewiesen.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung, welche er ausdrücklich an die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg richtete. Er beantragte, die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg möge bescheidmäßig die eigene Unzuständigkeit aussprechen und die Berufung erst nach dieser bescheidmäßigen Unzuständigkeitsentscheidung dem Bundesminister für Inneres übermitteln. In der Sache vertrat der Beschwerdeführer die Auffassung, er erfülle die Voraussetzungen der Art. 6 und 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des aufgrund des Assoziationsabkommens zwischen der EWG und der Türkei eingerichteten Assoziationsrates. Er stellte den Berufungsantrag, den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, "daß die europarechtliche Aufenthaltsberechtigung des Berufungswerbers im Inland festgestellt wird, in eventu, daß ihm ein fremdenrechtlicher Sichtvermerk erteilt wird".
Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 17. Juli 1996 wurde diese Berufung "gemäß § 66 Abs. 4 AVG" als unzulässig zurückgewiesen. Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vertrat im wesentlichen die Auffassung, wollte man der Ansicht des Beschwerdeführers folgen, ihm wäre ein Sichtvermerk zu erteilen, so ergäbe sich aus § 70 Abs. 2 FrG, daß gegen die Versagung eines solchen keine Berufung zulässig sei.
Infolge einer gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof hob dieser mit Erkenntnis vom 16. April 1997, Zl. 96/21/0716, diesen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf. Der Verwaltungsgerichtshof vertrat in diesem Erkenntnis im wesentlichen die Auffassung, die belangte Behörde habe mit dem angefochtenen Bescheid nicht nur ihre Unzuständigkeit zu einer meritorischen Entscheidung über den im Berufungsschriftsatz gestellten Antrag des Beschwerdeführers ausgesprochen, sondern darüber auch endgültig entschieden. Unter Hinweis auf das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 30. Mai 1996, Zl. 94/05/0370, wird in diesem Erkenntnis ausgeführt, eine Behörde, an die eine Berufung nach ihrer Ansicht zu Unrecht gerichtet werde, habe diese gemäß § 6 AVG an die ihrer Auffassung nach zuständige Berufungsbehörde weiterzuleiten. Dies gelte auch für in Berufungsschriftsätzen enthaltene Anträge, die keine Berufungsanträge seien.
Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 14. Oktober 1996 wurde die in Rede stehende Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 6 Abs. 2 AufG abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe das in dieser Bestimmung normierte Erfordernis der Antragstellung vor der Einreise vom Ausland aus nicht erfüllt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof. Der Beschwerdeführer erachtet sich in folgenden Rechten verletzt:
"* Recht auf Feststellung der Aufenthaltsberechtigung
* Recht auf Sachentscheidung durch die zuständige Behörde * Recht auf ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren
* Recht auf Manuduktion
* Recht auf Parteiengehör"
Der Beschwerdeführer macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit dem Antrag geltend, den angefochtenen Bescheid aus diesen Gründen aufzuheben. Er vertritt im wesentlichen die Auffassung, die belangte Behörde wäre gehalten gewesen, über seinen Berufungshauptantrag auf "Feststellung seiner europarechtlichen Aufenthaltsberechtigung" meritorisch zu entscheiden.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer, welcher die Auffassung vertritt, er erfülle die Voraussetzungen des Art. 6 und 7 des vorzitierten Assoziationsratsbeschlusses, beruft sich damit auf einen unmittelbar anwendbaren Rechtsakt der Europäischen Gemeinschaft (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 22. Februar 1996, Zl. 95/19/0424). Ein Recht aufgrund eines solchen Rechtsaktes stünde im Sinne des § 1 Abs. 3 Z. 1 AufG unabhängig von einer Bewilligung gemäß § 1 Abs. 1 leg. cit. zu. Andererseits zeigt schon die Verordnungsermächtigung des § 2 Abs. 3 Z. 4 AufG, welche die Bundesregierung berechtigt, Personen, die gemäß § 1 Abs. 3 Z. 1 AufG aufenthaltsberechtigt sind, unter näher umschriebenen Voraussetzungen von der Anrechnung auf die Zahl der Bewilligungen auszunehmen, daß auch für Personen, die die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Z. 1 AufG erfüllen, eine Aufenthaltsbewilligung ausgestellt werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. April 1997, Zl. 95/19/0897).
Der Beschwerdeführer hat nun - ungeachtet der seines Erachtens bestehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem in Rede stehenden Assoziationsratsbeschluß - ausdrücklich die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung beantragt. Die erstinstanzliche Behörde hat demgemäß mit Bescheid vom 4. Juni 1996 ausschließlich über diesen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung entschieden. Sie wurde dabei, wie sich aus der Zitierung der entsprechenden Bestimmungen des AufG und der Verordnung des Landeshauptmannes von Vorarlberg über die Ermächtigung der Bezirkshauptmannschaften zur Entscheidung nach dem Aufenthaltsgesetz, LGBl. Nr. 32/1993, ergibt, als Aufenthaltsbehörde (§ 6 Abs. 4 AufG) tätig. Daraus folgt, daß eine derartige der Bezirkshauptmannschaft zuzurechnende (RV 525 BlgNR 18. GP, 10; vgl. auch VfSlg. 11.563/1987) Entscheidung hinsichtlich des Instanzenzuges als erstinstanzliche Entscheidung des Landeshauptmannes im Sinne des Art. 103 Abs. 4 B-VG anzusehen ist, weshalb in dieser Angelegenheit der mittelbaren Bundesverwaltung der Instanzenzug mangels anderer bundesgesetzlicher Regelung an den zuständigen Bundesminister, im vorliegenden Fall an den Bundesminister für Inneres, geht. Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg, an die der Beschwerdeführer seine Berufung richtete, war unzuständige Behörde.
Gemäß § 42 Abs. 3 VwGG tritt durch die Aufhebung des angefochtenen Bescheides nach Abs. 2 leg. cit. die Rechtssache in die Lage zurück, in der sie sich vor Erlassung des angefochtenen Bescheides befunden hatte. Aufgrund der Rückwirkung des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. April 1997 ist bei Überprüfung des angefochtenen Bescheides jedenfalls davon auszugehen, daß im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides durch die belangte Behörde kein die Berufung des Beschwerdeführers zurückweisender Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg mehr vorlag.
Der belangten Behörde kam daher als der im Instanzenzug zuständigen Berufungsbehörde jedenfalls die funktionelle Zuständigkeit zur Überprüfung der Berufung auf ihre Zulässigkeit zu.
Im vorliegenden Fall war "Sache" des Berufungsverfahrens angesichts des klar auf den - allein gestellten - Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Bewilligung nach dem AufG begrenzten Abspruches der ersten Instanz nur dieser Abspruch (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Oktober 1978, Zl. 1032/77, in dem in Slg. Nr. 9673/A, nicht veröffentlichten Teil, sowie das hg. Erkenntnis vom 12. September 1997, Zl. 96/19/1468). Sowohl das im Berufungsantrag formulierte Erstbegehren auf Abänderung des Bescheides dahingehend, daß "die europarechtliche Aufenthaltsberechtigung des Berufungswerbers im Inland festgestellt" werde, als auch das Eventualbegehren auf Abänderung des Bescheides dahingehend, daß dem Beschwerdeführer "ein fremdenrechtlicher Sichtvermerk" erteilt werde, betrafen eine andere Sache. Da der Berufungswerber von der Berufungsinstanz nur eine andere Entscheidung in derselben "Sache", nicht aber die Entscheidung in einer anderen "Sache" begehren kann, ist ein in der Berufung gestellter Antrag auf Entscheidung in einer anderen Sache kein zulässiger Berufungsantrag. Da sich weder der Berufungshaupt- noch der Berufungseventualantrag innerhalb der "Sache" des Verfahrens erster Instanz bewegten, liegt ein zulässiger Berufungsantrag nicht vor. Die Berufung wäre ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen gewesen (vgl. das zum selben Ergebnis führende hg. Erkenntnis vom 9. Oktober 1969, Slg. Nr. 7655/A).
In diesem Zusammenhang sei angemerkt, daß für die Entscheidung über einen Antrag auf Feststellung, ein Fremder halte sich rechtmäßig im Bundesgebiet auf, die Fremdenpolizeibehörde, für eine solche über einen Antrag auf Feststellung, er sei zur Begründung eines Hauptwohnsitzes berechtigt, aber die Aufenthaltsbehörde zuständig wäre.
Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, daß die Rechte aus dem in Rede stehenden Assoziationsratsbeschluß solche aus einem unmittelbar anwendbaren Rechtsakt der Europäischen Gemeinschaft sind. Wie der EuGH im Fall Jeroen van Schijndel und Johannes Nicolaas Cornelis van Veen gegen Stichting Pensioenfonds voor Fysiotherapeuten, Slg. 1995, I-4705, Rs C-430/93 und C-431/93, am 14. Dezember 1995 ausgesprochen hat, ist die Bestimmung der zuständigen Gerichte (und Behörden) und die Ausgestaltung von Verfahren, die den Schutz der den Bürger aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, mangels einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung auf diesem Gebiet Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten. Jedoch dürfen diese Verfahren nicht ungünstiger gestaltet werden als bei entsprechenden Verfahren, die nur innerstaatliches Recht betreffen, und sie dürfen die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (vgl. Rz 17 dieses Urteiles Slg. 1995, I-4705; ebenso EuGH 14. Dezember 1995, Peterbroeck, Van Campenhout & Cie. SCS gegen Belgischer Staat, Slg. 1995, I-4599, Rs C-312/93).
Eine solche Verunmöglichung oder übermäßige Erschwernis der Geltendmachung der dem Beschwerdeführer aus dem in Rede stehenden Assoziationsratsbeschluß allenfalls zustehenden Rechte ist jedoch durch die im österreichischen Verwaltungsverfahrensrecht angeordnete Beschränkung der Entscheidungsbefugnis der Berufungsbehörde auf die "Sache" des erstinstanzlichen Verfahrens nicht gegeben, stand es dem Beschwerdeführer doch frei, seinen Feststellungsanspruch statt mit Berufung gegen den in einer anderen "Sache" ergangenen erstinstanzlichen Bescheid vom 4. Juni 1996 mit einer entsprechenden Antragstellung auf Feststellung bei der hiefür zuständigen erstinstanzlichen Behörde zu verfolgen.
Nach dem Vorgesagten kam der belangten Behörde daher lediglich die funktionelle Zuständigkeit zur Zurückweisung der unzulässigen Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG zu. Demgegenüber hätte die funktionelle Zuständigkeit der belangten Behörde zur Erlassung einer Sachentscheidung das Vorliegen eines zulässigen Berufungsantrages, im besonderen Fall eines Berufungsantrages innerhalb der durch den erstinstanzlichen Abspruch umschriebenen Sache des weiteren Verwaltungsverfahrens, vorausgesetzt. Indem die belangte Behörde eine Sachentscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung erließ, ohne daß ein tauglicher Berufungsantrag des Beschwerdeführers vorlag, nahm sie eine funktionelle Zuständigkeit in Anspruch, die ihr nicht zukam. Sie belastete daher den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge ihrer Unzuständigkeit. Dieser war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG aufzuheben.
Die belangte Behörde wird im fortgesetzten Verfahren mit Zurückweisung der Berufung vorzugehen haben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.
Gerichtsentscheidung
EuGH 693J0430 Jeroen van Schijndel VORAB;Schlagworte
Verwaltungsrecht Internationales Rechtsbeziehungen zum Ausland VwRallg12Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Besondere Rechtsprobleme Änderung von Anträgen und Ansuchen im Berufungsverfahrensachliche Zuständigkeit in einzelnen AngelegenheitenInstanzenzugVerhältnis zu anderen Materien und Normen B-VGInhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG)Besondere verfahrensrechtliche Aufgaben der Berufungsbehörde Spruch des BerufungsbescheidesEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1996193389.X00Im RIS seit
11.07.2001Zuletzt aktualisiert am
15.11.2011