TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/11 I408 2140695-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.05.2020
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Entscheidungsdatum

11.05.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §58 Abs3
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I408 2140695-1/22E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Harald NEUSCHMID als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, StA. IRAK, vertreten durch: ARGE RECHTSBERATUNG - Diakonie und Flüchtlingsdienst gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 31.10.2016, Zl. 1091265708-151555577 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde zu den Spruchpunkten III. und IV. wird als unbegründet abgewiesen.

* Dem Beschwerdeführer wird ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt.

* Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wird gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass gemäß § 52 Abs. 9 FPG seine Abschiebung in den Irak zulässig ist.

* Gemäß § 55 AsylG beträgt die Frist für eine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz wurde mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 31.10.2016 abgewiesen und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen.

2. Mit ho. Erkenntnis vom 09.09.2019. (schriftlich ausgefertigt am 11.11.2019) wurde die dagegen erhobene Beschwerde in Bezug auf seinen Antrag auf internationalen Schutz abgewiesen (Spruchpunkt A I.), eine Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig erklärt und dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von 12 Monaten erteilt (Spruchpunkt A II.)

3. In Stattgabe der von der belangten Behörde erhobenen außerordentlichen Revision behob der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 27.02.2020, Ra 2019/01/0471-6 diese Entscheidung zu Spruchpunkt A II. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.

4. Unter Bezugnahme auf die rechtlichen Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes und der aktuellen Länderberichte zum Irak wurden beide Parteien mit Parteiengehör vom 08.04.2020 aufgefordert, eine Stellungnahme abzugeben oder relevante Änderungen im Privatleben bekanntzugeben.

5. Dazu legte der Beschwerdeführer ein Deutsch Zertifikat B1 vom 01.10.2019, ein Schreiben des Vereins XXXX für kulturelle und soziale Arbeit ohne Datum, ein Unterstützungsschreiben vom 20.04.2020, ein Mailverkehr zwischen BFA und AMS zum Nachweis, der von ihm gesetzten Aktivitäten und ein Schreiben der Österreichischen Hochschülerschaft vom 18.0.42020 vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz ist in Rechtskraft erwachsen und nicht mehr Gegenstand dieser Entscheidung.

Der volljährige Beschwerdeführer ist ledig, kinderlos, Staatsangehöriger von Irak und hält sich seit Oktober 2015 im Bundesgebiet auf. Er ist strafgerichtlich unbescholten und gesund.

Sein Aufenthalt beruht auf einem rechtskräftig abgewiesenen Antrag auf internationalen Schutz.

In der Zeit seines Aufenthaltes in Österreich hat sich der Beschwerdeführer Deutschkenntnisse auf Niveau B1 angeeignet. Er ist alleinstehend und lebt seit Juni 2016 mit 6 anderen Mitbewohnern in einer Wohngemeinschaft. Er bringt sich dort aktiv ein, nutzt die sich dadurch ergebenden Möglichkeiten sich in die österreichische Gesellschaft zu integrieren und hilft im Wege der Nachbarschaftshilfe Personen in der unmittelbaren Umgebung. Daneben ist er in vielen Vereinen und kulturellen Initiativen ehrenamtlich tätig, wie im Verein XXXX für kulturelle und soziale Arbeit, im XXXXCafe und in der XXXX Tafel, einem Verein für sozialen Ausgleich. Im letztgenannten Verein bringt er sich seit April 2017 in unterschiedlichen Bereichen ein, beginnend bei der Abholung und Verteilung von Lebensmitteln sowie beim Verkauf im Ausgabelokal XXXX. Besonders hervorgehoben wird sein netter, herzlicher und selbstverständlicher Umgang mit den KlientInnen des Vereines unabhängig von ihrer (sozialen) Schicht, des Geschlechtes, der Herkunft und der Religion. Mit seinen Deutschkenntnissen ist er mit Übersetzungsarbeiten eine Stütze zur Überwindung sprachlicher Barrieren. Zudem versuchte er sich über das Bildungsprogramm "XXXX" der Österreichischen Hochschülerschaft der Universität XXXX (Flüchtlingsinitiative XXXX) über Projekte und mögliche Ausbildungswege für eine künftige Tätigkeit zu informieren.

Der Beschwerdeführer war auch in Anschluss an das mündlich verkündete Erkenntnis am 09.09.2019 bemüht, die darin zugesprochen Aufenthaltskarte plus zu erhalten und in ein Beschäftigungsverhältnis zu gelangen. Mit Ablauf September 2019 nimmt der Beschwerdeführer auch keine Leistungen der Grundversorgung mehr in Anspruch. Im Dezember 2019 hatte er eine Vollzeitbeschäftigung gefunden, die er im Zuge der erhobenen Revision der belangten Behörde aufgeben musste und seit Feber 2020 hat ihn Verein XXXX, auch im Hinblick auf seine freiwillige Mitarbeit der letzten Jahre, geringfügig beschäftigt angemeldet. Zudem hat der Beschwerdeführer über die Österreichische Hochschülerschaft weitere Schritte unternommen, ab September 2020 einen Ausbildungsplatz zur "Fachsozialhilfe" zu erhalten.

An seinem privaten Lebensumfeld in Österreich hat sich seit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 09.09.2019 nichts geändert.

1.3. Zu den Feststellungen zur Lage im Irak:

Wie schon im ho. Erkenntnis vom 09.09.2019 geprüft und dargelegt, wird eine in den Irak zurückkehrende Person, bei welcher keine berücksichtigungswürdigen Gründe vorliegen, durch eine Rückkehr nicht automatisch in eine unmenschliche Lage versetzt und sollte damit in der Lage sein, sich dort eine Lebensgrundlage zu schaffen.

Auch aus der letzten Gesamtaktualisierung des Länderinformationsblatt zum Irak am 17.03.2020 ist nicht zu entnehmen, dass sich die Sicherheitslage oder wirtschaftliche Lage entscheidungsrelevant verändert hätten.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich dem Inhalt des ho. Erkenntnisses vom 09.09.2019 (schriftlich ausgefertigt am 11.11.2019), des dazu ergangenen Erkenntnisses des VwGH 27.02.2020, Ra 2019/01/0471-6, und der vom Beschwerdeführers im Zuge des eingeräumten Parteiengehörs vorgelegten Unterlagen bzw. Unterstützungsschreiben.

Die vom Beschwerdeführer ab September 2019 gesetzten Aktivitäten sind glaubhaft belegt und auch durch den Inhalt des Gerichtsaktes sowie eingeholter ZMR-, GVS-, Strafregister und Sozialversicherungsauszüge verifizierbar, vermögen aber an der vorliegenden Sach- und Rechtslage nichts ändern.

Um im Hinblick auf die Ausführungen in einem der Unterstützungsschreiben keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen, wird darauf hingewiesen, dass die von der belangten Behörde erhobene Revision dem Beschwerdeführer am 05.12.2019 durch Hinterlegung zugestellt, von ihm aber nicht behoben wurde.

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf die im Erkenntnis vom 09.09.2019 und in der mündlichen Verhandlung erörterten Länderinformationsbericht der Staatendokumentation samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen, die auch in den zwischenzeitlich aktualisierten Fassungen vom 30.10.2019 und 17.03.2020 ihre Deckung finden.

Zu diesen Quellen und deren Kernaussagen zur Situation im Herkunftsland brachte der Beschwerdeführer keine Einwände vor.

Seit September 2019 hat der Beschwerdeführer seine in der mündlichen Verhandlung angekündigten Weg, den er mit dem Einzug in die Wohngemeinschaft 2016 begonnen hat, konsequent fortzusetzt, sonstige Änderungen in den Lebensumständen haben sich aber nicht ergeben. Von einer weiteren mündlichen Verhandlung konnte daher Abstand genommen werden, zumal es sich um einen, auch in der Revision unstrittigen Sachverhalt handelt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde

Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz (dem AsylG) mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.

Gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt.

Gemäß § 9 Abs 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).

Gemäß § 58 Abs 1 AsylG hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG (Aufenthaltstitel besonderer Schutz) von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird (Z 2) oder wenn ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt (Z 5). Gemäß § 58 Abs 2 AsylG hat das Bundesamt einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG (Aufenthaltstitel aus Gründen des Art 8 EMRK) von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird. Das Bundesamt hat über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen (§ 58 Abs 3 AsylG). Auch wenn der Gesetzgeber das Bundesamt im Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung zur Prüfung und spruchmäßigen Erledigung der Voraussetzungen der §§ 55 und 57 AsylG von Amts wegen, dh auch ohne dahingehenden Antrag des Beschwerdeführers, verpflichtet, ist die Frage der Erteilung eines solchen Titels auch ohne vorhergehenden Antrag im Beschwerdeverfahren gegen den negativen Bescheid durchsetzbar und daher Gegenstand der Sachentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl VwGH 28.01.2015, Ra 2014/20/0121).

Gemäß § 52 Abs 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist. Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art 2 oder 3 EMRK oder deren 6. bzw 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Gemäß § 50 Abs 2 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative. Nach § 50 Abs 3 FPG ist die Abschiebung unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

Für das gegenständliche Verfahren bedeutet das:

Indizien dafür, dass der Beschwerdeführer einen Sachverhalt verwirklicht, bei dem ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG (Aufenthaltstitel besonderer Schutz) zu erteilen wäre, sind weder vorgebracht worden noch hervorgekommen: Weder war der Aufenthalt des Beschwerdeführers seit mindestens einem Jahr iSd § 46a Abs 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet, noch ist dieser zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig, noch ist der Beschwerdeführer Opfer von Gewalt iSd § 57 Abs 1 Z 3 AsylG.

Zu prüfen ist daher, ob eine Rückkehrentscheidung mit Art 8 EMRK vereinbar ist, weil sie nur dann zulässig wäre und nur im verneinenden Fall ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG überhaupt in Betracht käme.

Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. etwa VwGH 5.12.2018, Ra 2018/20/0371, mwN).

Bei der in diesem Zusammenhang vorzunehmenden Interessensabwägungen ist nach den dazu aufgestellten Leitlinien und Grundsätzen des VwGH maßgeblich relativierend, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitraum gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste. (vgl. VwGH 16.2.2017 Ra 2017/01/0024, mwN, VwGH 10.4.2017, Ra 2016/01/0175, mwN, VwGH 30.6.2016, Ra 2016/21/0076, VwGH 30.8.2017, Ra 2017/18/0070- 0072, mwN, VwGH 15.3.2018, Ra 2018/21/0034, mwN, VwGH 13.11.2018, Ra 2018/21/0205-0210, mwN, vgl. auch jüngst VwGH 22.1.2019, Ra 2019/01/0018).

Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 852 ff.). Eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration ist erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055 ua. mwH). Außerdem ist nach der bisherigen Rechtsprechung auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 mwN).

Der Beschwerdeführer ist seit Oktober 2015 in Österreich aufhältig und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz, der sich als unberechtigt erwiesen hat. Das Gewicht eines zwischenzeitig entstandenen Familien- und Privatlebens wird dadurch gemindert, dass sich der Beschwerdeführer nicht darauf verlassen konnte, sein Leben auch nach Beendigung der Asylverfahren in Österreich fortzuführen, sich also zum Zeitpunkt, in dem das Familien - bzw. Privatleben entstanden ist, des unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein hätte müssen. Es werden dabei die Bemühungen des Beschwerdeführers in den letzten Jahren nicht verkannt (Erlernen der deutschen Sprache auf Niveau B1, seine Arbeiten im Zuge der Nachbarschaftshilfe, seine Mitarbeit im Verein XXXX, seine Aktivitäten nach der mündlichen Verkündigung des ho. Bekenntnisses vom 09.09.2019, sein Bestreben einen Ausbildungsplatz als Fachsozialhilfe zu erhalten), sind aber nicht geeignet, das öffentliche Interesse an der Vollziehung fremdenrechtlicher Vorschriften entscheidend zu mindern (so u.a. die verfahrensgegenständliche Entscheidung des VwGH vom 27.02.2020, Ra 2019/01/0471-6 mit den entsprechenden Verweisen auf gleichlautende Erkenntnisse).

Im Besonderen ist hier ferner auf die folgenden aktuellen Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs zu verweisen. Trotz eines mehrjährigen Aufenthaltes in Österreich und erkennbarer Integrationsbemühungen wurden keine außergewöhnlichen Umstände in Bezug auf das überwiegen privater Interessen an einem Verbleib in Österreich gesehen und die Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung bejaht:

* VwGH 05.11.2019, Ro 2019 01 008-5: (4-jähriger Aufenthalt; lebt seit eineinhalb Jahren in einer Beziehung; B1 Deutschkenntnisse; freiwillige gemeinnützige Arbeit; Lehrling seit Anfang 2018)

* VwGH 23.10.2019, 2019 19 0289-5: (4 1/2-jähriger Aufenthalt, Sprachprüfung B1; Lehrverhältnis als Tischler; Mitglied eines Fußballvereines und Kontakte zu österreichischen Staatsbürgern)

* VwGH 23.01.2020, 2019/21/0306: (4-jähriger Aufenthalt; Selbsterhaltungsfähigkeit; Einstellungszusagen; Deutschprüfung A2; ehrenamtliches Engagement)

* VwGH 25.02.2010, 2008/18/0411 (etwa siebenjähriger Aufenthalt; Berufstätigkeit; ein Jahr lang eheliche Gemeinschaft mit österreichischer Staatsbürgerin; Unbescholtenheit; Unterkunft; Krankenversicherungsschutz; enge Freundschaften zu Arbeitskollegen und ehemaligen Wohnungskollegen; andere in Österreich lebende Familienangehörige)

* VwGH 25.02.2010, 2009/21/0070 (rund achtjähriger Aufenthalt; Berufstätigkeit; Erlernen der deutschen Sprache; Freundes- und Bekanntenkreis; Verwandte in Österreich; Unbescholtenheit; kaum bzw. keinen Kontakt zu seinen im Libanon verbliebenen Angehörigen)

* VwGH 25.03.2010, 2009/21/0216 (rund siebenjähriger Aufenthalt; selbständige Berufstätigkeit bzw. Schulbesuch; Aufbau eines Freundes- und Bekanntenkreises; Deutschkenntnisse; Unbescholtenheit)

* VwGH 25.02.2010, 2010/18/0029 (mehr als Siebenjähriger Aufenthalt; beabsichtigte Eheschließung mit öst. Staatsbürgerin; Sohn in Ö geboren; perfekte Deutschkenntnisse; Unbescholtenheit; nahezu durchgehende Beschäftigung; sozial vielfältig vernetzt und integriert)

* VwGH 13.04.2010, 2010/18/0078 (siebenjähriger Aufenthalt; jahrelange Erwerbstätigkeit; Lebensunterhalt finanziert; Freundes- und Bekanntenkreis; gute Deutschkenntnisse; im Heimatland keine Existenzgrundlage; eingeschränkte Bindungen zum Heimatland; sozial integriert).

Die Vereinbarkeit mit Art 8 EMRK ist damit gegeben und eine Rückkehrentscheidung zulässig.

Betreffend die mit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 9 FPG gleichzeitig festzustellende Zulässigkeit der Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Herkunftsstaat ist auszuführen, dass keine Gründe vorliegen, wonach die Abschiebung in den Herkunftsstaat gemäß § 50 Abs 1 FPG unzulässig wäre.

Ein inhaltliches Auseinanderfallen der Entscheidungen nach § 8 Abs 1 AsylG (zur Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz) und nach § 52 Abs 9 FPG (zur Frage der Zulässigkeit der Abschiebung) ist ausgeschlossen. Damit ist es unmöglich, die Frage der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat im Rahmen der von Amts wegen zu treffenden Feststellung nach § 52 Abs 9 FPG neu aufzurollen und entgegen der getroffenen Entscheidung über die Versagung von Asyl und subsidiärem Schutz anders zu beurteilen (vgl dazu etwa VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0119 und auch die Beschlüsse VwGH 19.02.2015, Ra 2015/21/0005 und 30.06.2015, Ra 2015/21/0059 - 0062).

Weiters steht keine Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte der Abschiebung entgegen.

Damit bestehen auch gegen die Zulässigkeit einer Abschiebung keine Bedenken.

Gemäß § 55 Abs 1 FPG wird mit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt gemäß § 55 Abs 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

Im gegenständlichen Fall hat der Beschwerdeführer nichts vorgebracht, was auf solche "besonderen Umstände" iSd § 55 Abs 2 FPG schließen ließen. Weder aus dem Verwaltungsakt noch in der mündlichen Verhandlung sind Umstände hervorgekommen, die als "besondere Umstände" iSd § 55 Abs 2 FPG zu werten wären. Daher traf die belangte Behörde zu Recht den Ausspruch, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage beträgt.

Im Ergebnis war daher die Beschwerde auch zu den Spruchpunkten III. und IV. unbegründet und war damit abzuweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Abschiebung Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz Aufenthaltstitel berücksichtigungswürdige Gründe Ersatzentscheidung freiwillige Ausreise Frist Integration Interessenabwägung öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I408.2140695.1.00

Im RIS seit

10.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

10.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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