TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/12 I403 2230152-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.05.2020
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Entscheidungsdatum

12.05.2020

Norm

ASVG §293
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
FPG §66 Abs1
FPG §70 Abs3
NAG §51 Abs1 Z2
NAG §55 Abs3
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I403 2230152-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Kroatien, vertreten durch die Gottgeisl & Leinsmer Rechtsanwälte OG, 1100 Wien, Keplerplatz 12/23, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.02.2020, Zl. 395297901/191187429 zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Kroatien, meldete erstmalig am 14.08.2006 in Österreich einen Nebenwohnsitz an. Von 05.01.2007 bis zum 18.06.2013 war sie durchgehend in Österreich hauptgemeldet. Seit dem 31.08.2017 ist sie wiederum durchgehend in Österreich hauptgemeldet.

Am 21.03.2019 stellte die Beschwerdeführerin beim Amt der Wiener Landesregierung einen Antrag auf Ausstellung einer Anmeldebescheinigung für den Zweck "Arbeitnehmerin", legte aber keinen Nachweis über ein aufrechtes Dienstverhältnis vor. Mit Schreiben des Amtes der Wiener Landesregierung vom 15.11.2019 wurde dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA / belangte Behörde) zur Kenntnis gebracht, dass im Fall der Beschwerdeführerin die Voraussetzungen für ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht nach § 51ff NAG nicht vorliegen würden, da keine Nachweise über ausreichende Existenzmittel vorgelegt worden seien.

Mit Schriftsatz der belangten Behörde vom 21.11.2019 ("Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme") wurde der Beschwerdeführerin Parteiengehör hinsichtlich der beabsichtigten Erlassung einer gegen sie gerichteten Ausweisung gewährt und ihr ein Fragenkatalog hinsichtlich ihrer persönlichen und familiären Verhältnisse in Österreich übermittelt, wobei ihr eine Frist von 14 Tagen ab Zustellung eingeräumt wurde, um diesbezüglich eine Stellungnahme bei der belangten Behörde einzubringen. Am 19.12.2019 brachte die Beschwerdeführerin fristgerecht eine schriftliche Stellungnahme beim BFA ein. Hierbei gab sie an, sie habe aufgrund ihrer Angehörigeneigenschaft zu ihrem Lebensgefährten einen Krankenversicherungsschutz in Österreich und verfüge zudem über ausreichende Existenzmittel, da ihr Unterhalt durch ihren Lebensgefährten gewährleistet sei. Etwaige Bescheinigungsmittel wurden nicht in Vorlage gebracht.

Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid des BFA vom 12.02.2020 wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz (FPG) iVm § 55 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wurde ihr ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit dieser Entscheidung erteilt (Spruchpunkt II.). Inhaltlich wurde ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe es unterlassen, die erforderlichen Nachweise hinsichtlich einer gesicherten Finanzierung ihres Unterhaltes im Bundesgebiet, ausreichender Existenzmittel, eines umfassenden Krankenversicherungsschutzes sowie ihres Privat- und Familienlebens im Bundesgebiet zu erbringen.

Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht mit Schriftsatz vom 11.03.2020 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben. Es wurde vorgebracht, dass entgegen der Ansicht der belangten Behörde im Fall der Beschwerdeführerin die Voraussetzungen für ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht erfüllt seien, da diese aufgrund der Mitversicherung bei ihrem Lebensgefährten über einen Krankenversicherungsschutz und auch über ausreichende Existenzmittel verfüge, nachdem sie ihr Lebenspartner finanziell unterhalte. Die Gefahr, dass die Beschwerdeführerin zu einer Belastung für eine Gebietskörperschaft werde, bestehe sohin nicht. Eine Ausweisung würde die Beschwerdeführerin mit einer erheblichen Härte treffen, zumal sie in Kroatien keine Existenzgrundlage habe.

Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14.04.2020 wurde die Beschwerdeführerin aufgefordert, Unterlagen in Bezug auf die behauptete finanzielle Unterstützung durch ihren Lebensgefährten vorzulegen. Dem kam sie mit Schriftsatz ihrer rechtsfreundlichen Vertretung vom 12.05.2020 und der Vorlage verschiedener Unterlagen (Lohnzettel des Lebensgefährten, Mietvertrag, etc.) nach.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige von Kroatien, somit EWR-Bürgerin, und zuletzt seit dem 31.08.2017 durchgehend in Österreich aufrecht gemeldet. Sie ist geschieden und erwerbsfähig. Ihre Identität steht fest. Die Mutter und die zwei Schwestern der Beschwerdeführerin leben ebenfalls in Österreich.

Sie meldete erstmalig am 14.08.2006 in Österreich einen Nebenwohnsitz an und war bereits vom 05.01.2007 bis zum 18.06.2013 durchgehend in Österreich hauptgemeldet. Bis zum Jahr 2013 ging sie - mit kurzen Unterbrechungen - diversen Erwerbstätigkeiten, zumeist als geringfügig beschäftigte Arbeiterin in der Gastronomie, nach.

Seit ihrer neuerlichen Meldung im Bundesgebiet ab 31.08.2017 ging sie lediglich vom 11.03.2018 bis zum 31.07.2018 sowie vom 06.08.2018 bis zum 20.08.2018 jeweils einer Erwerbstätigkeit als geringfügig beschäftigte Arbeiterin bzw. Angestellte in der Gastronomie nach.

Seit dem 11.09.2018 lebt sie in einem gemeinsamen Haushalt mit ihrem Lebensgefährten, dem österreichischen Staatsangehörigen A.O., sowie mit dessen Eltern. Es handelt sich dabei um eine Mietwohnung von ca. 114 Quadratmetern; der Mietzins von ca. 770 Euro wird vom Lebensgefährten und dessen Vater gemeinsam getragen.

Die Beschwerdeführerin ist aufgrund ihrer krankenversicherungsrechtlichen Angehörigeneigenschaft als "nicht verwandte haushaltsführende Person" bei A.O. mitversichert.

A.O. ging vom 01.02.2017 bis zum 15.11.2019 einer Erwerbstätigkeit als Angestellter nach. Vom 10.12.2019 bis zum 01.03.2020 bezog er Arbeitslosengeld. Seit dem 02.03.2020 ist er bei einer Firma aus XXXX als Arbeiter nach dem ASVG angemeldet und hatte er im März 2020 daraus ein Einkommen von 2.067 Euro netto.

Nach Abzug der Fixkosten (Miete, Versicherung, Handy etc.) verbleiben der Beschwerdeführerin und ihrem Lebensgefährten etwa EUR 1.200,-- zur gemeinsamen Deckung des Lebensbedarfs.

Die Beschwerdeführerin ist strafrechtlich unbescholten.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Die Identität der Beschwerdeführerin steht aufgrund ihres in Kopie im Akt einliegenden kroatischen Reisepasses Nr. XXXX fest.

Die Feststellungen zu den aufrechten Meldungen der Beschwerdeführerin in Österreich ergeben sich aus einer Abfrage im Zentralen Melderegister der Republik Österreich vom 10.04.2020, ebenso wie ihr Familienstand.

Die Feststellungen zu den Erwerbstätigkeiten der Beschwerdeführerin in Österreich sowie zu den Erwerbstätigkeiten ihres Lebensgefährten A.O. ergeben sich aus einer Abfrage im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger vom 10.04.2020 und vom 12.05.2020, ebenso der Umstand, dass die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer krankenversicherungsrechtlichen Angehörigeneigenschaft als "nicht verwandte haushaltsführende Person" bei A.O. mitversichert ist.

Die Feststellungen zum Einkommen des Lebensgefährten, der Mietwohnung und der zur Deckung der Lebenskosten vorhandenen Geldsumme ergeben sich aus der Stellungnahme des rechtsfreundlichen Vertreters der Beschwerdeführerin und den vorgelegten Unterlagen (Lohnzettel von September 2019, Lohnzettel von November 2019 und Lohnzettel von März 2020; Mietvertrag vom 16.09.1993; Meldezettel; Meldezettel des Lebensgefährten; Kontoauszüge).

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit der Beschwerdeführerin ergibt sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich vom 10.04.2020.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Rechtsgrundlagen der Ausweisung:

§ 66 Fremdenpolizeigesetz (FPG) regelt die Ausweisung:

(1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.

(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)

Gemäß § 70 Abs. 1 FPG werden die Ausweisung und das Aufenthaltsverbot spätestens mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar; der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige hat dann unverzüglich auszureisen. Der Eintritt der Durchsetzbarkeit ist für die Dauer eines Freiheitsentzuges aufgeschoben, auf den wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung erkannt wurde.

Gemäß § 70 Abs. 3 FPG ist EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen bei der Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.

3.2. Zum Aufenthaltsrecht der Beschwerdeführerin:

§ 51 NAG regelt in Umsetzung der Richtlinie 2004/38 Fälle der Freizügigkeit von EWR-Bürgern aus anderen EWR-Staaten, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch nehmen und sich länger als drei Monate in Österreich aufhalten.

Der mit "Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate" überschriebene § 51 NAG lautet:

(1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;

2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder

3. als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.

(2) Die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger gemäß Abs. 1 Z 1 bleibt dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er

1. wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist;

2. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt;

3. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt, wobei in diesem Fall die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten erhalten bleibt, oder

4. eine Berufsausbildung beginnt, wobei die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft voraussetzt, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren.

(3) Der EWR-Bürger hat diese Umstände, wie auch den Wegfall der in Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen der Behörde unverzüglich, bekannt zu geben. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, die näheren Bestimmungen zur Bestätigung gemäß Abs. 2 Z 2 und 3 mit Verordnung festzulegen.

Art. 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2004/38 ("Freizügigkeitsrichtlinie) lauten:

(1) Jeder Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er

a) Arbeitnehmer oder Selbstständiger im Aufnahmemitgliedstaat ist oder

b) für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und er und seine Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen oder

c) bei einer privaten oder öffentlichen Einrichtung, die von dem Aufnahmemitgliedstaat aufgrund seiner Rechtsvorschriften oder seiner Verwaltungspraxis anerkannt oder finanziert wird, zur Absolvierung einer Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung als Hauptzweck eingeschrieben ist und

- über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügt und der zuständigen nationalen Behörde durch eine Erklärung oder durch jedes andere gleichwertige Mittel seiner Wahl glaubhaft macht, dass er für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, oder

d) ein Familienangehöriger ist, der den Unionsbürger, der die Voraussetzungen des Buchstaben a, b oder c erfüllt, begleitet oder ihm nachzieht.

(2) Das Aufenthaltsrecht nach Absatz 1 gilt auch für Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die den Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat begleiten oder ihm nachziehen, sofern der Unionsbürger die Voraussetzungen des Absatzes 1 Buchstabe a, b oder c erfüllt.

Da die Beschwerdeführerin in Österreich allseits unbestritten keiner selbständigen oder unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgeht (wodurch sie auf Grundlage des § 51 Abs. 1 Z 1 NAG zum Aufenthalt in Österreich berechtigt wäre), ist gegenständlich zu prüfen, ob sie den Tatbestand des § 51 Abs. 1 Z 2 NAG erfüllt. Im Rahmen dieser Prüfung ist zu beurteilen, ob sie über ausreichende Existenzmittel für sich sowie über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen muss.

Die Beschwerdeführerin ist bei ihrem Lebensgefährten mitversichert und verfügt daher über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz als "nicht verwandte haushaltsführende Person". Als haushaltsführende Person und Lebensgefährtin wird sie von ihrem Lebensgefährten, der auch gemeinsam mit seinem Vater für die Mietwohnung aufkommt, finanziell unterstützt.

Gemäß § 51 Abs. 1 Z 2 NAG sind EWR-Bürger aufgrund der Freizügigkeitsrichtlinie (Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004; § 2 Abs. 1 Z 19 NAG) dann zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, sodass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen. Wie der Gerichtshof der Europäischen Union zu der damit umgesetzten Bestimmung der Freizügigkeitsrichtlinie (Art. 7 Abs. 1 lit. b) ausgesprochen hat, ist die darin enthaltene Formulierung "über die erforderlichen Mittel verfügen" dahin auszulegen, dass es ausreicht, wenn dem Unionsbürger diese Mittel zur Verfügung stehen, ohne dass die Bestimmung Anforderungen an die Herkunft der Mittel stellt, so dass diese etwa auch von einem Drittstaatsangehörigen stammen können (EuGH 16.7.2015, K. Singh u.a., C-218/14, Rn. 74). Folglich schließt der Umstand, dass die Existenzmittel, über die die Beschwerdeführerin verfügt, aus dem Einkommen ihres österreichischen Lebensgefährten stammen, es nicht aus, dass die in Art. 7 Abs. 1 lit. b der Freizügigkeitsrichtlinie enthaltene Voraussetzung der ausreichenden Existenzmittel als erfüllt anzusehen ist (idS EuGH aaO., Rn. 76; VwGH, 26.06.2019, Ra 2019/21/0080).

Soweit die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid ausführt, dass "derzeit einem erwachsenen zuziehenden Fremden mindestens ? 966,65 pro Monat als Unterhaltsmittel zur Verfügung stehen" müssen und sich dabei auf die Richtsätze des § 293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG) bezieht, verkennt sie, dass nach Art. 8 Abs. 4 der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38 EG) die Mitgliedstaaten keinen festen Betrag für die Existenzmittel festlegen dürfen, die sie als ausreichend betrachten, sondern dass sie die persönliche Situation des Betroffenen berücksichtigen müssen. Demgemäß ist bei der Beurteilung, ob ein Unionsbürger über ausreichende Existenzmittel verfügt, um ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Abs. 1 lit. b der Freizügigkeitsrichtlinie in Anspruch nehmen zu können, eine konkrete Prüfung der wirtschaftlichen Situation jedes Betroffenen vorzunehmen (vgl. EuGH (Große Kammer) 11.11.2014, Dano, C-333/13). Die Mitgliedstaaten können zwar einen bestimmten Betrag als Richtbetrag angeben, sie können aber nicht ein Mindesteinkommen vorgeben, unterhalb dessen ohne eine konkrete Prüfung der Situation des einzelnen Betroffenen angenommen würde, dass er nicht über ausreichende Existenzmittel verfügt (vgl. EuGH 19.9.2013, Brey, C-140/12). Es bedarf also bei der Frage, ob ausreichende Existenzmittel zur Verfügung stehen, einer konkreten Einzelfallbeurteilung (vgl. VwGH 15.03.2018, Ra 2017/21/0222).

Das monatliche Nettoerwerbseinkommen des Lebensgefährten in der Höhe von über 2000 Euro würde zudem auch die von der belangten Behörde als notwendig angesehenen Existenzmittel erfüllen. Das Einkommen reicht daher jedenfalls aus, um den Anforderungen der genannten Bestimmungen zu genügen, zumal die Kosten für die mit den Eltern des Lebensgefährten geteilte Mietwohnung weniger als 400 Euro betragen.

Soweit im angefochtenen Bescheid von der belangten Behörde argumentiert wurde, "dass der in der Stellungnahme behauptete gewährleistete Unterhalt/ die finanzielle Unterstützung durch Ihren Lebensgefährten, die Mitversicherung bei Ihrem Lebensgefährten sowie die Möglichkeit für Sie der kostenfreien Unterkunftnahme bei eben diesen, keine auf Dauer gesicherten Leistungen darstellen, zumal Sie ebenfalls keinen Rechtsanspruch auf diese Leistungen haben", wird verkannt, dass der EuGH, wie oben ausgeführt, keine besonderen Anforderungen an die Herkunft der Mittel stellt.

Es ist daher von einem unionsrechtliches Aufenthaltsrecht nach § 51 NAG auszugehen und der angefochtene Bescheid ersatzlos zu beheben.

4. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Zu überprüfen war letztlich nur das Vorliegen ausreichender Existenzmittel, welche durch die Vorlage verschiedener Unterlagen am 12.05.2020 nachgewiesen wurden.

Es waren keine weiteren Beweise aufzunehmen und wurde zudem dem Beschwerdebegehren stattgegeben, so dass auch auf die mit der Stellungnahme vom 12.05.2020 beantragte zeugenschaftliche Einvernahme des Lebensgefährten der Beschwerdeführerin verzichtet werden konnte. Letztlich ist davon auszugehen, dass auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren verzichtet hätte werden können, wenn die am 12.05.2020 vorgelegten Unterlagen bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren vorgelegt worden wären.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Schlagworte

Ausweisung Ausweisung nicht rechtmäßig Behebung der Entscheidung Dienstverhältnis Durchsetzungsaufschub Erwerbstätigkeit EWR-Bürger geringfügige Beschäftigung Kassation Melderegister Nachweise finanzielle und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Nachweismangel Nebenwohnsitz Nettoeinkommen Recht auf Freizügigkeit Unionsbürger

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I403.2230152.1.00

Im RIS seit

10.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

10.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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