TE Bvwg Beschluss 2020/5/13 G306 2220984-1

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Veröffentlicht am 13.05.2020
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Entscheidungsdatum

13.05.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §66 Abs1
FPG §70 Abs3
NAG §55 Abs3

Spruch

G306 2220984-1/5E

BeschlusS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dietmar MAURER als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX, geb. XXXX, StA. Ungarn, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.06.2019, Zl. XXXX, beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 06.06.2019 wurde die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) gemäß § 66 Abs. 1 FPG iVm. § 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I.) und der BF gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzungskraft der Entscheidung erteilt (Spruchpunkt II.).

2. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.

3. Am 08.07.2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) die Beschwerdevorlage des BFA vom 02.07.2019 mit gegenständlicher Beschwerde und dazugehörigem Verwaltungsakt ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Die BF ist Staatsangehörige von Ungarn.

1.2. Sie wies laut einem auf ihren mit nur einem "n" geschriebenen Vornamen lautenden Auszug aus dem Zentralen Melderegister vom 04.04.2019 zuletzt von November 2014 bis September 2015 eine Nebenwohnsitzmeldung in Österreich auf.

1.3. Aus einem die BF betreffenden AJ-WEB Auskunftsverfahrensauszug vom 04.04.2019 gehen unselbstständige Erwerbstätigkeiten in den Zeiträumen von August 2014 bis August 2015, im September 2015 und von November 2018 bis Jänner 2019, ein Bezug von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung ab September 2015 und ab Februar 2019, und ein Bezug von Kinderbetreuungsgeld ab Mai 2016 bis Jänner 2018 hervor.

1.4. Laut einem Auszug aus dem "Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister" wurde der BF am 09.06.2016 eine Anmeldebescheinigung als Arbeitnehmerin erteilt und am 14.06.2016 zugestellt, nachdem sie am 07.06.2016 einen diesbezüglichen Antrag gestellt hatte.

1.5. Mit Schreiben vom 03.04.2019 ersuchte, nachdem die BF am XXXX.2019 einen Antrag auf bedarfsorientierte Mindestsicherung gestellt und sich das Sozialamt mit einem Amtshilfeersuchen an die Fremdenabteilung der zuständigen NAG-Behörde gewandt hatte, letztere das BFA um Überprüfung, ob aufenthaltsbeendende Maßnahmen möglich sind.

1.6. Das BFA leitete gegen die BF ein aufenthaltsbeendendes Verfahren ein und versendete ein für die BF bestimmtes Schreiben vom 04.04.2019 mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme bzw. der behördlichen Beabsichtigung, gegen die BF eine Ausweisung zu erlassen, an eine bestimmte Adresse. Dieses Schreiben konnte der BF jedoch nicht zugestellt werden und wurde mit dem Vermerk "Unbekannt" und "Anschrift ungenügend" wieder retourgesendet.

Auf dem Schreiben des BFA mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 04.04.2019 steht der Name der BF mit einem ein "n", zwei "t" beinhaltenden Vornamen.

Auf dem Rückscheinbrief ist als Adressat der Name der BF mit einem zwei "n" und ein "t" beinhaltenden Vornamen und als Adresse eine im Zentralen Melderegister auf den Namen mit einem zwei "n" und zwei "t" beinhaltenden Vornamen recherchierte Meldeadresse angeführt.

Im Verwaltungsakt gibt es auch einen Zentralmelderegisterauszug betreffend den Namen der BF mit einem ein "n" und zwei "t" beinhaltenden Vornamen, auf welchem andere Meldeadressen als auf dem Zentralmelderegisterauszug betreffend den Namen der BF mit einem zwei "n" und zwei "t" beinhaltenden Vornamen aufscheinen.

Da die behördliche schriftliche Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme der BF nicht zugestellt werden konnte, konnte die BF auch nicht Stellung dazu nehmen.

Nach der Retoursendung des Schreibens des BFA vom 04.04.2019 mit dem Vermerk "Unbekannt", "Anschrift ungenügend" sind bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides vom 06.06.2019 rund zwei Monate vergangen, ohne dass die belangte Behörde weitere Erhebungen zur Zustelladresse der BF durchgeführt hat.

1.7. Mit Bescheid des BFA vom 06.06.2019, in welchem der Name der BF wie auf dem Schreiben mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme mit einem ein "n" und zwei "t" beinhaltenden Vornamen angeführt wurde, wurde die BF gemäß § 66 Abs. 1 FPG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen und ihr gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit der Entscheidung erteilt.

Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen wie folgt (von allgemeinen Textböcken wird großteils abgesehen):

"Sie waren schon mehrfach in Österreich gemeldet und gingen dabei lediglich ein Jahr einer geregelten Arbeit nach, von August 2015 bis August 2016, offensichtlich um dann von Kindergeld, Wochengeldbezug, Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und Überbrückungshilfe zu leben.

Im Jahr 2016 erhielten Sie eine Anmeldebescheinigung für Arbeitnehmer, gingen jedoch erst im November 2018 einer Arbeit nach.

Im April 2019 stellten Sie einen Antrag auf bedarfsorientierte Mindestsicherung und brachten damit zum Ausdruck, dass sie ausschließlich durch öffentliche Gelder im Bundesgebiet lebensfähig sind. Sie versuchen das das Sozialsystem auszunützen und den Staat zu schädigen und stellen durch Ihre Mittellosigkeit eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar.

(...).

Sie sind mehr als 5 Jahre ununterbrochen in Österreich aufhältig, jedoch erfüllen Sie die Voraussetzungen nicht, die einen rechtmäßigen ununterbrochenen Aufenthalt bedingen, denn Sie lebten fast ausschließlich von Sozialhilfe. Laut Auszug aus dem Versicherungsdatenauszug konnte die Erkenntnis gewonnen werden, dass Sie insgesamt nur wenige Monate in Österreich erwerbstätig waren.

(...).

Sie hielten sich seit 15.10.2013 in Österreich auf. Über eine Ehe oder Lebensgemeinschaft sind der Behörde keine Unterlagen bekannt. Im Jahr 2016 bekamen Sie Ihr Kind.

Gemäß §§ 51 und 52 NAG sind EWR-Bürger aufgrund der Freizügigkeitsrichtlinie zum Aufenthalt in Österreich berechtigt, wenn bestimmte Voraussetzungen vorliegen. Wie oben detailliert erläutert, erfüllen Sie die Voraussetzungen nicht mehr.

Es liegt somit iS von Art. 8 EMRK kein schützenswertes Familienleben in Österreich vor.

(...).

Sie konnten nicht davon ausgehen, dass Sie unbefristet in Österreich bleiben können, wenn Sie die Voraussetzungen nicht erfüllen, die ein rechtmäßiger Aufenthalt bedingt. Ein Familienleben, welches nicht in ihrer Heimat Ungarn fortgesetzt werden könnte, konnte nicht festgestellt werden.

(...).

Sie sind - in Bezug auf Ihr Lebensalter - einen relativ kurzen Zeitraum in Österreich aufhältig, haben aber keine qualifizierten Anknüpfungspunkte und auch kein Familienleben in Österreich, welches nicht in Ungarn fortgesetzt werden könnte. Es geht aus dem Akteninhalt auch nicht hervor, dass es in der Vergangenheit ersthafte Bemühungen von Ihrer Seite gegeben hätte selbsterhaltungsfähig zu sein. Die Tatsache, dass Sie insgesamt nur wenige Monate in Österreich gearbeitet haben, und den überwiegenden Teil Ihres Aufenthaltes auf das Sozialsystem sowie Arbeitslosenunterstützung angewiesen waren, zeigt, dass Sie offensichtlich nach Österreich gereist sind, um das Sozialsystem auszunützen. Aus dem Akteninhalt geht nicht hervor, dass Sie selbsterhaltungsfähig wären bzw. ernsthafte Bemühungen zur Herstellung der Selbsterhaltungsfähigkeit unternommen hätten.

Unter "Bindungen zum Herkunftsstaat" wurde festgehalten:

"Sie verbrachten den überwiegenden Teil Ihres Lebens in Ungarn, wurden dort sozialisiert, sprechen die dortige Mehrheitssprache auf muttersprachlichem Niveau. Ebenso ist davon auszugehen, dass in Ungarn Bezugspersonen etwa im Sinne eines gewissen Freundes- und/oder Bekanntenkreises existieren, da nichts darauf hindeutet, dass Sie vor Ihrer Ausreise in Ihrem Herkunftsstaat in völliger Isolation gelebt hätten. Es deutet daher nichts darauf hin, dass es Ihnen im Falle einer Rückkehr in Ihren Herkunftsstaat nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren.

(...)

Letztlich ist festzustellen, dass eine Gegenüberstellung der von Ihnen in Ihrem Herkunftsstaat vorzufindenden Verhältnisse mit jenen in Österreich im Rahmen einer Interessensabwägung zu keinem Überwiegen Ihrer privater Interessen am Verbleib in Österreich gegenüber den öffentlichen Interessen an einem Verlassen des Bundesgebietes führen würde.

Würde sich ein Fremder nunmehr generell in einer solchen Situation erfolgreich auf das Privat- und Familienleben berufen können, so würde dies dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen. (...) Aufgrund oa. Ausführungen war spruchgemäß zu entscheiden."

Dieser Bescheid vom 06.06.2019, auf dem der Name der BF mit einem Vornamen mit einem "n" und zwei "t" aufscheint, konnte der BF zugestellt werden.

1.8. Festgehalten wird, dass die Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme mit Schreiben des BFA vom 04.04.2019, auf welchem der Name der BF mit einem zwei "n" und ein "t" beinhaltenden Vornamen aufscheint, der BF nicht zugestellt werden konnte, der Bescheid des BFA vom 06.06.2019, der an die BF mit einem einen Vornamen mit einem "n" und zwei "t" beinhaltenden Namen gerichtet war, unter Anführung derselben Zustelladresse wie mit Verständigung der Beweisaufnahme der BF jedoch zugestellt werden konnte.

2. Beweiswürdigung:

Der Punkt I. angeführte Verfahrensgang und die unter Punkt II. getroffenen Feststellungen ergaben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 9 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, und § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA.

Da sich die gegenständliche - zulässige und rechtzeitige - Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß §§ 16 Abs. 6 und 18 Abs. 7 BFA-VG sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG (Anmerkung: sog. Bescheidbeschwerden) dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2).

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg cit. nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1

B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung des Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) § 28 VwGVG Anm11). Gemäß dieser Bestimmung kann die Berufungsbehörde, sofern der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Wie oben ausgeführt, ist aufgrund von § 17 VwGVG die subsidiäre Anwendung von § 66 Abs. 2 AVG durch die Verwaltungsgerichte ausgeschlossen.

Im Gegensatz zu § 66 Abs. 2 AVG setzt § 28 Abs. 3 VwGVG die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung nicht mehr voraus.

Der VwGH hat mit Erkenntnis vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063 (Waffenverbot), in Bezug auf die grundsätzliche Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte nach § 28 VwGVG und die Möglichkeit der Zurückverweisung ausgesprochen, dass angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte darstellt. So kommt eine Aufhebung des Bescheides nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Das Verwaltungsgericht hat nachvollziehbar zu begründen, wenn es eine meritorische Entscheidungszuständigkeit nicht als gegeben annimmt, etwa weil es das Vorliegen der Voraussetzungen der Z 1 und Z 2 des § 28 Abs. 2 VwGVG verneint bzw. wenn es von der Möglichkeit des § 28 Abs. 3 erster Satz VwGVG nicht Gebraucht macht.

Gemäß § 60 AVG sind in der Begründung eines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Die Begründung eines Bescheides bedeutet die Bekanntgabe der Erwägungen, aus denen die Behörde zur Überzeugung gelangt ist, dass ein bestimmter Sachverhalt vorliegt und dass damit der Tatbestand einer bestimmten Rechtsnorm verwirklicht ist. Die Begründung eines Bescheides hat Klarheit über die tatsächlichen Annahmen der Behörde und ihre rechtlichen Erwägungen zu schaffen. In sachverhaltsmäßiger Hinsicht hat sie daher alle jene Feststellungen in konkretisierter Form zu enthalten, die zur Subsumierung dieses Sachverhaltes unter die von der Behörde herangezogene Norm erforderlich sind. Denn nur so ist es möglich, den Bescheid auf seine Rechtsrichtigkeit zu überprüfen (VwGH 23.11.1993, Zl. 93/04/0156; 13.10.1991, Zl. 90/09/0186; 28.07.1994, Zl. 90/07/0029).

3.2. Das für die BF bestimmte Schreiben vom 04.04.2019 mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme wurde an eine bestimmte Adresse gesendet und am 08.04.2019 auf dem Postweg mit dem Vermerk "Unbekannt" und "Anschrift ungenügend" wieder an das BFA retourgesendet.

Mangels Zustellbarkeit der Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme konnte keine Stellungnahme beim BFA einlangen.

Ab Einlangen des Rückscheinbriefes beim BFA im April 2019 sind bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides vom 06.06.2019 beinahe zwei Monate vergangen, ohne dass die belangte Behörde weitere Erhebungen zur Wohnsitzadresse der BF durchgeführt hat.

Die belangte Behörde ging ohne weitere Ermittlungen davon aus, dass sich die BF seit 15.10.2013 im Bundesgebiet aufhalte. Diesbezüglich stützte sich die belangte Behörde auf einen Zentralmelderegisterauszug vom 04.04.2019 betreffend den Namen der BF mit einem zwei "n" und zwei "t" beinhaltenden Vornamen.

Auf dem angefochtenen Bescheid, welcher der BF im Juni 2019 zugestellt werden konnte, ist jedenfalls der Name der BF mit einem ein "n" und zwei "t" beinhaltenden Vornamen angeführt. Der Bescheid vom 06.06.2019 war an dieselbe Adresse wie die Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 04.04.2019 gerichtet. Diese Adresse stellt die Meldeadresse aus dem Zentralmelderegisterauszug betreffend den Namen der BF mit einem zwei "n" und zwei "t" beinhaltenden Vornamen dar. Im Gegensatz zur Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 04.04.2019 kam der Bescheid des BFA vom 06.06.2019 nicht mehr mit dem Vermerk "Unbekannt", Anschrift ungenügend" an das BFA retour, sondern konnte der BF zugestellt werden, offenbar deshalb, weil er mit einem anders als mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme geschriebenen Vornamen an die BF adressiert war.

Festgehalten wird, dass die Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme mit Schreiben des BFA vom 04.04.2019, auf welchem der Name der BF mit einem zwei "n" und ein "t" beinhaltenden Vornamen aufscheint, der BF nicht zugestellt werden konnte, der Bescheid des BFA vom 06.06.2019, der an die BF mit einem einen Vornamen mit einem "n" und zwei "t" beinhaltenden Namen gerichtet war, unter Anführung derselben Zustelladresse wie mit Verständigung der Beweisaufnahme der BF jedoch zugestellt werden konnte.

Fest gestellt wird zudem, dass die Meldung einer Person nichts über deren tatsächlichen Aufenthalt aussagt.

Die belangte Behörde führte, bevor sie einen Aufenthalt der BF im Bundesgebiet seit 15.10.2013 festgehalten hat, aus:

"Unbestritten ist die Tatsache, dass Sie - wie oben erläutert - mehr als 5 Jahre ununterbrochen im Bundesgebiet lebten."

Entgegen dieser Angabe wurde jedoch "oben" bzw. davor im Bescheid nicht auf die konkrete Aufenthaltsdauer eingegangen. Erst später im Zuge der Begründung des Bescheides wurde ein Aufenthalt der BF im Bundesgebiet seit 15.10.2013 festgehalten.

Die Behörde hielt fest, dass sich die BF zwar mehr als fünf Jahre lang im Bundesgebiet aufhalte, dies jedoch nicht rechtmäßig, komme ihr doch keine unionsrechtliche Aufenthaltsberechtigung zu. Dies wiederum begründete die Behörde damit, dass die BF fast ausschließlich von Sozialhilfe gelebt habe. Hinzugefügt wurde, dass aus einem Versicherungsdatenauszug die Erkenntnis gewonnen werden habe können, dass die BF insgesamt nur wenige Monate in Österreich erwerbstätig gewesen sei. Nach Wiedergabe einiger allgemeiner Textblöcke im Bescheid verwies die Behörde darauf, dass die Tatsache, dass die BF insgesamt nur wenige Monate in Österreich gearbeitet habe und den überwiegenden Teil ihres Aufenthaltes auf das Sozialsystem sowie Arbeitslosenunterstützung angewiesen gewesen sei, zeige, dass die BF offensichtlich deshalb nach Österreich gereist sei, um das Sozialsystem auszunützen. Die belangte Behörde gab an, aus dem Akteninhalt gehe nicht hervor, dass die BF selbsterhaltungsfähig wäre bzw. sich ernsthaft um die Erlangung der Selbsterhaltungsfähigkeit bemüht hätte.

Bezüglich dieser Ausführungen ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die belangte Behörde irrtümlich festgehalten hat, die BF sei ein Jahr lang von August 2015 bis August 2016 einer geregelten Arbeit nachgegangen, geht doch aus dem AJ WEB - Auskunftsverfahrensauszug vom 04.04.2019, der dem Verwaltungsakt einliegt, eine Beschäftigung der BF im Zeitraum von August 2014 bis August 2015 hervor. Darauf folgte laut dem besagten AJ WEB - Auskunftsverfahrensauszug eine paartägige Beschäftigung im September 2015, ein Bezug von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung ab Mitte September 2015, ein rund zweimonatiges Beschäftigungsverhältnis von November 2018 bis Jänner 2019, und darauf ab Februar 2019 wieder ein Bezug von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung. Der belangten Behörde nach habe die BF das Sozialsystem in Österreich auszunützen versucht. Dies habe die Behörde jedoch nicht hinreichend begründen können. Sie nahm auf den Antrag der BF auf bedarfsorientierte Mindestsicherung von April 2019 Bezug. Ein tatsächlicher Mindestsicherungsbezug geht aus dem am 04.04.2019 erstellten AJ WEB - Auskunftsverfahrensauszug jedenfalls nicht hervor. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde kann nicht davon ausgegangen werden, dass allein mit dem Antrag der BF auf bedarfsorientierte Mindestsicherung zum Ausdruck gebracht werden konnte, dass die BF "ausschließlich durch öffentliche Gelder im Bundesgebiet lebensfähig ist".

Bei den Ausführungen der belangten Behörde, die BF habe in Österreich nur das Sozialsystem auszunützen versucht und keine ernsthaften Bemühungen zur Erlangung der Selbsterhaltungsfähigkeit angestellt, handelt es sich um bloße Mutmaßungen.

Ohne weitergehende Ermittlungen dazu, ob die BF nach Arbeit sucht oder bereits eine Einstellungszusage erhalten und eine Arbeit in Aussicht hat, kann nicht mutmaßend der Schluss gezogen werden, dass die BF versucht, das Sozialsystem auszunützen, und sich nicht ernsthaft um die Erlangung der Selbsterhaltungsfähigkeit bemüht.

Nach dem am 04.04.2019 erstellten AJ WEB - Auskunftsverfahrensauszug hat die belangte Behörde rund zwei Monate lang bis zur Erlassung des gegenständlich angefochtenen Bescheides vom 06.06.2019 keinen weiteren Versicherungsdatenauszug mehr erstellt. Ein zeitnah zur Erlassung des angefochtenen Bescheides erstellter diesbezüglicher Auszug hätte jedoch über die zum damaligen Zeitpunkt aktuelle Einkommens- bzw. Bezugssituation der BF Auskunft geben können.

Die belangte Behörde stellte im Bescheid zudem kurzgehalten fest, dass die BF ein im Jahr 2016 geborenes Kind hat, und beschränkte sich in der Rechtlichen Beurteilung bezüglich eines in Österreich bestehenden Familien- und Privatlebens darauf, dass "über eine Ehe oder Lebensgemeinschaft der Behörde keine Unterlagen bekannt" seien und die BF im Jahr 2016 ihr Kind bekommen habe, bzw. etwas später darauf, dass die BF ledig sei, in keiner Lebensgemeinschaft lebe, und sie ein minderjähriges Kind habe, dessen Wohnadresse nicht ermittelt werden habe können.

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die belangte Behörde nähere Ermittlungen dazu anzustellen gehabt hätte, ob die Unzustellbarkeit der Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme mit der im Akt aufscheinenden unterschiedlichen Schreibweise des Vornamens der BF zusammenhängt, unter welchem Namen die BF wo in Österreich wohnhaft ist, seit wann sich die BF im Bundesgebiet aufhält, ob sie in Österreich jemals Sozialhilfeleistungen bezogen hat, ob sie sich während ihrer Arbeitslosigkeit um neue Arbeit bemüht oder bereits eine neue Arbeit in Aussicht hat, wie bzw. wovon sie im Bundesgebiet ihren Lebensunterhalt und denjenigen ihres Sohnes bestreiten kann, und wie ihre familiären, privaten Verhältnisse bzw. diejenigen ihres im Mai 2016 geborenen Sohnes aussehen - wie etwa das Verhältnis der BF und dasjenige ihres Sohnes zum Kindesvater ist, und ob der minderjährige Sohn der BF, der zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides vom 06.06.2019 rund drei Jahre alt war, in einer Kinderbetreuungseinrichtung betreut wird.

Nähere Ermittlungen zu den individuellen Verhältnissen des Sohnes der BF, der sich ab seiner Geburt im Mai 2016 bis zur Erlassung des gegenständlich angefochtenen Bescheides vom 06.06.2019 rund drei Jahre lang in Österreich aufgehalten hat, sind vor allem zur Beachtung des Kindeswohls notwendig, wirkt sich doch eine altersentsprechende starke Anbindung ihres Sohnes zu Österreich auch auf die gegenüber den öffentlichen Interessen zu beurteilende Gewichtung der privaten Interessen der BF selbst aus.

Die belangte Behörde hat keine zur Erlassung des angefochtenen Bescheides vom 06.06.2019 zeitnahen Ermittlungen durchgeführt, sondern es etwa bei AJ-WEB - Auskunftsverfahrensauszügen vom 04.04.2019 bewenden lassen und keine (aktuellen) Ermittlungen zu den familiären, privaten Verhältnissen der BF in Österreich angestellt.

Um sich ein umfassendes Bild über alle individuellen Gegebenheiten und Verhältnisse der BF machen zu können, wird eine Ladung der BF zu einer niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA für nötig gehalten.

Bei der Ladung der BF wird auf die Schreibweise des Namens bzw. Vornamens der BF zu achten sein bzw. der Name bzw. Vorname der BF heranzuziehen sein, unter welchem der angefochtene Bescheid zugestellt werden konnte, zumal im Verwaltungsakt zwei Zentralmelderegisterauszüge betreffend den Namen der BF mit unterschiedlich geschriebenen Vornamen aufscheinen und die behördliche Verständigung der BF vom Ergebnis der Beweisaufnahme, gerichtet an die BF mit einem Vornamen aus zwei "n" und einem "t" mit dem Vermerk "Unbekannt" und "Anschrift ungenügend" wieder retour kam, der Bescheid vom 06.06.2019, an die BF mit einem Vornamen aus einem "n" und zwei "t" gerichtet, der BF hingegen zugestellt werden konnte.

Um ihr Recht auf Parteiengehör wahren und der BF die Möglichkeit zu einer Stellungnahme zum Ergebnis der Beweisaufnahme gewähren zu können, war ihr dies mangels Zustellung der Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme doch noch nicht möglich, wird eine niederschriftliche Einvernahme der BF für notwendig gehalten, damit diese im Zuge dieser ihre privaten und familiären Verhältnisse und ihre Einkommenssituation persönlich darlegen und nachweisen kann.

Nähere Ermittlungen sind somit nachzuholen, um hinreichend begründen zu können, ob der BF ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zukommt, und wenn nicht, ob die BF, zur Arbeitssuche in Österreich eingereist, nachweisen kann, dass sie weiterhin Arbeit sucht und begründete Aussicht hat, eingestellt werden, und wenn sie dies nicht kann, ob im gegenständlichen Fall unter Berücksichtigung der individuellen Umstände eine Ausweisung der BF nach § 66 Abs. 2 FPG gerechtfertigt ist.

Aufgrund mangelhafter und fehlender Ermittlungen und Feststellungen war der angefochtene Bescheid daher gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Verfahrensergänzung und Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das BVwG selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist, war nicht erkennbar.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

4. Entfall einer mündlichen Verhandlung

Da im gegenständlichen fall bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z. 1 VwGVG die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entfallen.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Ausweisung Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G306.2220984.1.00

Im RIS seit

10.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

10.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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