TE Bvwg Beschluss 2020/5/13 G306 2150042-2

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Veröffentlicht am 13.05.2020
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Entscheidungsdatum

13.05.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3

Spruch

G306 2150042-2/4E

BeschlusS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dietmar MAURER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Polen, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.05.2019, Zl. XXXX, beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA oder belangte Behörde) vom 24.05.2019 wurde gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG gegen den Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) ein auf die Dauer von fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 70 Abs. 3 FPG dem BF von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt (Spruchpunkt II).

2. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.

3. Am 04.07.2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) die gegenständliche Beschwerde samt dazugehörigem Verwaltungsakt ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF ist polnischer Staatsangehöriger.

1.2. Mit angefochtenem Bescheid wurde gegen den BF ein fünfjähriges Aufenthaltsverbot erlassen und dem BF von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt.

Im Verfahrensgang des Bescheides wurde sowohl auf eine strafrechtliche Verurteilung des BF in Polen von Dezember 2013, rechtskräftig mit Oktober 2014, als auch auf eine strafrechtliche Verurteilung des BF in Österreich von September 2016, rechtskräftig ebenso mit September 2016, hingewiesen.

Unter den Feststellungen "zu den Gründen für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes" wurde nur auf die strafrechtliche Verurteilung des BF in Polen Bezug genommen. Es wurde Folgendes festgehalten:

"Aus dem polnischen Gerichtsurteil geht hervor, dass Sie durch strafbare Handlungen einen Vermögensvorteil erlangen wollten und gefährdet dieses Verhalten die öffentliche Ordnung und Sicherheit. Sie haben auch ein Grundinteresse der Gesellschaft verletzt."

In der Beweiswürdigung wurde "betreffend die Feststellungen der Gründe für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes" Folgendes festgehalten:

"Ihr persönliches Verhalten stellt eine erhebliche Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft dar. Sie versuchten durch strafbare Handlungen einen finanziellen Vorteil zu erlangen und nahmen in Kauf, dass Sie durch Ihr persönliches Verhalten dritte Personen massiv finanziell schädigen. Sie haben dadurch das Grundinteresse der Gesellschaft am Schutz fremden Eigentums massiv verletzt. Ihr Aufenthalt stellt somit eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar."

In der Rechtlichen Beurteilung wurde nach Wiedergabe von § 67 Abs. 1 und Abs. 2 FPG Folgendes ausgeführt:

"Diese Voraussetzungen treffen für Sie zu.

So haben Sie sich durch strafbare Handlungen einen finanziellen Vorteil verschaffen wollen. Sie wurden durch ein polnisches als auch durch ein inländisches Gericht rechtskräftig verurteilt. Sie haben massiv ein Grundinteresse der Gesellschaft verletzt und besteht ein öffentliches Interesse an Ihrer sofortigen Ausreise. Ihr weiterer Aufenthalt stellt in jedem Fall eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar.

(...).

Nunmehr war eine individuelle Abwägung der betroffenen Interessen vorzunehmen, um festzustellen, ob der Eingriff durch das Aufenthaltsverbot auch als im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig angesehen werden kann.

Familiäre Bindungen zu Österreich können Ihnen nicht abgesprochen werden. Ihr persönliches Verhalten stellt jedoch eine erhebliche Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft dar. Sie versuchten durch strafbare Handlungen einen finanziellen Vorteil zu erlangen und nahmen in Kauf, dass Sie durch Ihr persönliches Verhalten dritte Personen massiv finanziell schädigen. Sie haben dadurch das Grundinteresse der Gesellschaft am Schutz fremden Eigentums massiv verletzt. Ihr Aufenthalt stellt somit eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar. Es muss somit davon ausgegangen werden, dass das öffentliche Interesse an Ordnung und Sicherheit Ihrem persönlichen Interesse an einem Verbleib in Österreich überwiegt.

Die Gesamtbeurteilung Ihres Verhaltens, Ihrer Lebensumstände sowie Ihrer familiären und privaten Anknüpfungspunkte haben daher im Zuge der von der Behörde vorgenommenen Abwägungsentscheidung ergeben, dass die Erlassung des Aufenthaltsverbotes in der angegebenen Dauer gerechtfertigt und notwendig ist, die von Ihnen ausgehende, erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu verhindern. Es ist auch zu erwarten, dass dieser Zeitraum erforderlich ist, um in Ihnen einen positiven Gesinnungswandel Ihrer Einstellung zur österreichischen Rechtsordnung zu bewirken.

Das Aufenthaltsverbot bezieht sich auf das Hoheitsgebiet der Republik Österreich. Sie sind daher angewiesen, im angegebenen Zeitraum nicht nach Österreich einzureisen und sich hier nicht aufzuhalten. Die Frist des Aufenthaltsverbotes beginnt mit Durchsetzbarkeit dieses Bescheides. Mit diesem Zeitpunkt haben Sie unverzüglich Österreich zu verlassen."

Ohne Übergang bzw. ohne weitere Ausführungen zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wurde abschließend hinzugefügt:

"Die Erteilung des Durchsetzungsaufschubes beruht auf der obgenannten Gesetzesstelle."

2. Beweiswürdigung:

Der Punkt I. angeführte Verfahrensgang und die unter Punkt II. getroffenen Feststellungen ergaben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 9 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, und § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA.

Da sich die gegenständliche - zulässige und rechtzeitige - Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß §§ 16 Abs. 6 und 18 Abs. 7 BFA-VG sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG (Anmerkung: sog. Bescheidbeschwerden) dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2).

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg cit. nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1

B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung des Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) § 28 VwGVG Anm11). Gemäß dieser Bestimmung kann die Berufungsbehörde, sofern der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Wie oben ausgeführt, ist aufgrund von § 17 VwGVG die subsidiäre Anwendung von § 66 Abs. 2 AVG durch die Verwaltungsgerichte ausgeschlossen.

Im Gegensatz zu § 66 Abs. 2 AVG setzt § 28 Abs. 3 VwGVG die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung nicht mehr voraus.

Der VwGH hat mit Erkenntnis vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063 (Waffenverbot), in Bezug auf die grundsätzliche Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte nach § 28 VwGVG und die Möglichkeit der Zurückverweisung ausgesprochen, dass angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte darstellt. So kommt eine Aufhebung des Bescheides nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Das Verwaltungsgericht hat nachvollziehbar zu begründen, wenn es eine meritorische Entscheidungszuständigkeit nicht als gegeben annimmt, etwa weil es das Vorliegen der Voraussetzungen der Z 1 und Z 2 des § 28 Abs. 2 VwGVG verneint bzw. wenn es von der Möglichkeit des § 28 Abs. 3 erster Satz VwGVG nicht Gebraucht macht.

Gemäß § 60 AVG sind in der Begründung eines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Die Begründung eines Bescheides bedeutet die Bekanntgabe der Erwägungen, aus denen die Behörde zur Überzeugung gelangt ist, dass ein bestimmter Sachverhalt vorliegt und dass damit der Tatbestand einer bestimmten Rechtsnorm verwirklicht ist. Die Begründung eines Bescheides hat Klarheit über die tatsächlichen Annahmen der Behörde und ihre rechtlichen Erwägungen zu schaffen. In sachverhaltsmäßiger Hinsicht hat sie daher alle jene Feststellungen in konkretisierter Form zu enthalten, die zur Subsumierung dieses Sachverhaltes unter die von der Behörde herangezogene Norm erforderlich sind. Denn nur so ist es möglich, den Bescheid auf seine Rechtsrichtigkeit zu überprüfen (VwGH 23.11.1993, Zl. 93/04/0156; 13.10.1991, Zl. 90/09/0186; 28.07.1994, Zl. 90/07/0029).

3.2. Der im gegenständlichen Fall relevante, mit "Aufenthaltsverbot" betitelte § 67 FPG lautet auszugsweise wie folgt:

"(1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden."

Im gegenständlichen Fall wurde im Verfahrensgang des angefochtenen Bescheides auf die beiden rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilungen des BF aus Polen und Österreich und die vom BF in Polen vom XXXX.2004 bis XXXX.2005 und in Österreich am XXXX.2016 begangenen strafbaren Handlungen hingewiesen, und angeführt, dass aus Sicht der Behörde das vom BF gesetzte Verhalten die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde, auch wenn die erstangeführte Straftat bereits vor längerer Zeit erfolgt sei.

Unter den Feststellungen im Bescheid wurde "zu den Gründen für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes" nur mehr auf die strafrechtliche Verurteilung des BF in Polen Bezug genommen und Folgendes angeführt:

"Aus dem polnischen Gerichtsurteil geht hervor, dass Sie durch strafbare Handlungen einen Vermögensvorteil erlangen wollten und gefährdet dieses Verhalten die öffentliche Ordnung und Sicherheit. Sie haben auch ein Grundinteresse der Gesellschaft verletzt."

In der Rechtlichen Beurteilung des angefochtenen Bescheides wurde nach Wiedergabe von § 67 Abs. 1 und Abs. 2 FPG festgehalten:

"Diese Voraussetzungen treffen für Sie zu."

Welche der oberhalb angeführten Voraussetzungen auf den BF zutreffen soll, wurde nicht angeführt.

Der von der belangten Behörde zuvor festgestellte Aufenthalt des BF in Österreich seit 2009 hätte in der Rechtlichen Beurteilung des angefochtenen Bescheides vom 24.05.2019 jedenfalls zu einer Prüfung nach erhöhtem Gefährdungsmaßstab nach § 67 Abs. 1 S. 5 FPG statt zu einer Prüfung nach einfachem Gefährdungsmaßstab nach § 67 Abs. 1 S. 2 FPG zu führen gehabt, kommt doch bei zehnjähriger Aufenthaltsdauer nach § 67 Abs. 1 S. 5 FPG ein gegenüber geringerer Aufenthaltsdauer erhöhter Gefährdungsmaßstab zur Anwendung.

Demnach wäre nicht wie von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid zu prüfen gewesen, ob das persönliche Verhalten des BF eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, sondern zu prüfen gewesen, ob aufgrund des persönlichen Verhaltens des BF davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch einen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet wäre.

Abgesehen davon, dass die belangte Behörde bei ihrer Prüfung nicht den erhöhten, sondern den einfachen Gefährdungsmaßstab herangezogen hat, war ihre Prüfung ganz kurzgehalten und aus folgender Ausführung bestehend:

"So haben Sie sich durch strafbare Handlungen einen finanziellen Vorteil verschaffen wollen. Sie wurden durch ein polnisches als auch durch ein inländisches Gericht rechtskräftig verurteilt. Sie haben massiv ein Grundinteresse der Gesellschaft verletzt und besteht ein öffentliches Interesse an Ihrer sofortigen Ausreise. Ihr weiterer Aufenthalt stellt in jedem Fall eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar."

Die belangte Behörde hat die den angeführten strafrechtlichen Verurteilungen des BF zugrundeliegenden Delikte bzw. die den Verurteilungen zugrundeliegenden strafbaren Handlungen nicht berücksichtigt, sondern nur allgemeingehalten festgehalten, dass sich der BF durch strafbare Handlungen einen finanziellen Vorteil verschaffen wollen habe und durch ein polnisches und ein inländisches Gericht rechtskräftig verurteilt worden sei, und auf eine massive Verletzung eines Grundinteresses der Gesellschaft bzw. auf eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung geschlossen.

Bezüglich der vorzunehmenden Gefährdungsprognose hält der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Folgendes fest:

"Im Rahmen der Gefährdungsprognose hinsichtlich eines Aufenthaltsverbotes ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung eines Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Für eine nachvollziehbare Gefährdungsprognose ist es nicht ausreichend, wenn lediglich das Gericht, die Urteilsdaten, die maßgeblichen Strafbestimmungen und die verhängte Strafe angeführt werden. Im Rahmen der zu treffenden Feststellungen kann es fallbezogen mitunter aber auch nicht ausreichend sein, die im Urteilstenor des Strafgerichts zum Ausdruck kommenden Tathandlungen wiederzugeben, sondern sich als notwendig darstellen, darüber hinausgehende Feststellungen zu treffen, um die Gefährdungsprognose in einer dem Gesetz entsprechenden Weise vornehmen zu können. (VwGH 01.03.2018, Ra 2018/19/0014, mwN). "

Die belangte Behörde wird daher jedenfalls die den strafrechtlichen Verurteilungen zugrundeliegenden strafbaren Handlungen des BF zu berücksichtigen und auf deren Art und Schwere und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen haben.

Die im Bescheid getroffenen Feststellungen, dass der BF seit 2009 im Bundesgebiet lebt, über einen festen Wohnsitz verfügt, seinen Unterhalt durch Ausübung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit sichert, und ihm gewisse familiäre und soziale Bindungen (Bruder, Schwester, Freunde laut seiner Stellungnahme vom 23.08.2018) im Bundesgebiet nicht abgesprochen werden können, wurden im weiteren Begründungsverlauf nicht mehr berücksichtigt.

Es ist unter Berücksichtigung aller individuellen Umstände jedoch auch zu prüfen, inwiefern angesichts vorhandener familiärer und privater Interessen die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gerechtfertigt und verhältnismäßig ist.

Die im Folgenden angeführte kurzgehaltene Schlussfolgerung des BFA wird als nicht hinreichend begründet angesehen:

"Familiäre Bindungen zu Österreich können Ihnen nicht abgesprochen werden. Ihr persönliches Verhalten stellt jedoch eine erhebliche Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft dar. Sie versuchten durch strafbare Handlungen einen finanziellen Vorteil zu erlangen und nahmen in Kauf, dass Sie durch Ihr persönliches Verhalten dritte Personen massiv finanziell schädigen. Sie haben dadurch das Grundinteresse der Gesellschaft am Schutz fremden Eigentums massiv verletzt. Ihr Aufenthalt stellt somit eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar. Es muss somit davon ausgegangen werden, dass das öffentliche Interesse an Ordnung und Sicherheit Ihrem persönlichen Interesse an einem Verbleib in Österreich überwiegt.

Die Gesamtbeurteilung Ihres Verhaltens, Ihrer Lebensumstände sowie Ihrer familiären und privaten Anknüpfungspunkte haben daher im Zuge der von der Behörde vorgenommenen Abwägungsentscheidung ergeben, dass die Erlassung des Aufenthaltsverbotes in der angegebenen Dauer gerechtfertigt und notwendig ist, die von Ihnen ausgehende, erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu verhindern. Es ist auch zu erwarten, dass dieser Zeitraum erforderlich ist, um in Ihnen einen positiven Gesinnungswandel Ihrer Einstellung zur österreichischen Rechtsordnung zu bewirken."

Auch im Zuge dieser Ausführung wurde auf die vom BF begangenen strafbaren Handlungen nicht näher eingegangen, sondern nur festgehalten, der BF habe durch seine strafbaren Handlungen einen finanziellen Vorteil zu erlangen versucht und in Kauf genommen, dass er durch sein persönliches Verhalten dritte Personen massiv finanziell schädigt. Auf die vom BFA dem BF nicht abgesprochenen familiären Bindungen in Österreich bzw. auf die Beziehung des BF zu seinen in Österreich lebenden Familienangehörigen wurde ebenso wenig eingegangen wie auf sonstige private bzw. arbeitsmäßige Bindungen.

Ohne auf das vom BF im Bundesgebiet gesetzte (Fehl-)Verhalten, die individuellen Umstände und die familiären und privaten Anknüpfungspunkte des BF eingegangen zu sein, wurde festgehalten:

"Die Gesamtbeurteilung Ihres Verhaltens, Ihrer Lebensumstände sowie Ihrer familiären und privaten Anknüpfungspunkte haben daher im Zuge der von der Behörde vorgenommenen Abwägungsentscheidung ergeben, dass die Erlassung des Aufenthaltsverbotes in der angegebenen Dauer gerechtfertigt und notwendig ist, die von Ihnen ausgehende, erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu verhindern."

Eine hinreichend begründete Beurteilung der Gefährdungsprognose bzw. eine alle individuellen Umstände berücksichtigende Bemessung der Aufenthaltsverbotsdauer fehlt und ist nachzuholen.

Ohne Übergang führte die belangte Behörde hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides nach Angabe, dass die Frist des Aufenthaltsverbotes mit Durchsetzbarkeit des Bescheides beginnt und der BF mit diesem Zeitpunkt unverzüglich aus Österreich auszureisen habe, kurzgehalten an:

"Die Erteilung des Durchsetzungsaufschubes beruht auf der obgenannten Gesetzesstelle."

Damit hat die belangte Behörde offenbar auf die im Spruch unter Spruchpunkt 2. des angefochtenen Bescheides angeführte Bestimmung des § 70 Abs. 3 FPG verwiesen.

Mit Spruchpunkt 2. des angefochtenen Bescheides wurde ausgesprochen, dass gemäß § 70 Abs. 3 FPG dem BF von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt wird.

Gemäß § 70 Abs. 3 FPG ist EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen bei der Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.

Abgesehen davon, dass die belangte Behörde nur kurzgehalten angeführt hat, dass "die Erteilung des Durchsetzungsaufschubes auf der obgenannten Gesetzesstelle beruhe", hat sie sich mit dem mit Spruchpunkt 2. erteilten einmonatigen Durchsetzungsaufschub auch insofern widersprochen, als sie in der Begründung zu Spruchpunkt 1. des angefochtenen Bescheides noch von einem öffentlichen Interesse an der "sofortigen Ausreise" des BF ausgegangen ist, wird doch nach § 70 Abs. 3 FPG von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat nur dann erteilt, wenn die sofortige Ausreise nicht im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit für erforderlich gehalten wird.

Aufgrund mangelhafter und fehlender Ermittlungen und Feststellungen und einer nicht hinreichend begründeten Vornahme der Beurteilung der Gefährdungsprognose war der angefochtene Bescheid daher gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Verfahrensergänzung und Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das BVwG selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist, war nicht erkennbar.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

4. Entfall einer mündlichen Verhandlung

Da im gegenständlichen Fall bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z. 1 VwGVG die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entfallen.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht Gefährdungsprognose Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G306.2150042.2.00

Im RIS seit

10.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

10.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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