TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/22 W109 1415119-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.05.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

22.05.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W109 1415119-2/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. BÜCHELE über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX (alias XXXX ), StA. Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, vom 03.09.2018, Zl. XXXX - XXXX , zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I. und III. bis VI. des angefochtenen Bescheides gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 stattgegeben und diese ersatzlos behoben.

II. In Stattgebung der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird die Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers als subsidiär Schutzberechtigter um zwei weitere Jahre gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 verlängert.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Am 22.05.2010 stellte der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen, einen Antrag auf internationalen Schutz, den das Bundesasylamt mit Bescheid vom 23.08.2010 (in der Folge: Zuerkennungsbescheid), zugestellt am 25.08.2010, hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abwies (Spruchpunkt I.), dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannte (Spruchpunkt II.) und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 23.08.2011 erteilte. Zu Spruchpunkt II. führte das Bundesasylamt begründend aus, aufgrund der allgemein humanitären Lage in Afghanistan bestünden stichhaltige Gründe für die Annahme, dass der Beschwerdeführer im Fall der Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung in den Herkunftsstaat einer realen Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 und Nr. 13 zur EMRK ausgesetzt wäre.

Die gegen Spruchpunkt I. des Zuerkennungsbescheides erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.03.2014, Zl. 145 1415119-1/9E, als unbegründet abgewiesen.

Auf seine Anträge vom 18.07.2011, vom 06.08.2012, vom 26.06.2013, vom 24.07.2014 und vom 26.07.2016 hin wurde dem Beschwerdeführer mit Bescheiden vom 19.07.2011, vom 09.08.2012, vom 01.07.2013, vom 02.09.2014 und vom 11.08.2016 (zugestellt am 16.06.2016) jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG, zuletzt bis zum 23.08.2018, erteilt. Begründend führten das Bundesasylamt bzw. das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl jeweils im Wesentlichen aus, die Voraussetzungen für die Verlängerung würden vorliegen. Eine weitere Begründung könne, da dem Antrag vollinhaltlich stattgegeben würde, gemäß § 58 Abs. 2 AVG entfallen.

Mit Schreiben vom 20.07.2018, bei der belangten Behörde am selben Tag eingelangt, brachte der Beschwerdeführer erneut einen "Antrag auf Verlängerung des subsidiären Schutzes gemäß § 8 Abs. 4 ASylG" ein.

2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 03.09.2018 (in der Folge: Aberkennungsbescheid), zugestellt am 05.09.2018, erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer - nach niederschriftlicher Einvernahme am 31.08.2018 - den mit Bescheid vom 23.08.2010 zuerkannten Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG von Amts wegen ab (Spruchpunkt I.), wies den Antrag des Beschwerdeführers vom 20.07.2018 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG ab (Spruchpunkt II.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte die belangte Behörde aus, die Gründe für die Zuerkennung würden nicht mehr vorliegen, die subjektive Lage habe sich im Vergleich zum seinerzeitigen Entscheidungszeitpunkt, als dem Beschwerdeführer subsidiärer Schutz gewährt worden sei, geändert. Der Beschwerdeführer verfüge über familiäre Anknüpfungspunkte in Afghanistan, seine Kernfamilie sei weiterhin in der Heimatprovinz, wenn auch in einem anderen Bezirk, diese würde ihm Unterstützung nicht verwehren. Dies sei einer der großen Unterschiede im Vergleich zu dem Zeitpunkt, als dem Beschwerdeführer subsidiärer Schutz gewährt worden sei. Abgesehen von allgemeiner Lebenserfahrung habe er Erfahrung im Arbeitsleben gesammelt. Mit seinem Aufenthalt in Österreich habe der Beschwerdeführer unweigerlich von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, auf bestehende soziale Netzwerke zurückzugreifen, dies werde im Fall einer Rückkehr im Anbetracht des Erfahrungsschatzes hilfreich sein. Der Beschwerdeführer könne auf Verbindungen zur Volksgruppe der Paschtunen, sowie auf internationale und nationale Unterstützungsmöglichkeiten zurückgreifen. Im Zeitpunkt der Zuerkennung habe der Beschwerdeführer über keine familiären Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat verfügen wollen und sei ihm keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung gestanden. Der Beschwerdeführer könne seinen Lebensunterhalt in Kabul bestreiten. Der Beschwerdeführer könne in Moscheen und anderen islamischen Einrichtungen Unterstützung erhalten, da die islamische Glaubensgemeinschaft in aller Welt grundsätzlich bestrebt sei, Schutz- und Unterkunftsuchende zu beherbergen. Zudem verweist die belangte Behörde auf die aktuelle Entscheidungspraxis des Verwaltungsgerichtshofes, die in Kabul ein bestehendes soziales oder familiäres Netzwerk nicht erfordere, um von einer tauglichen innerstaatlichen Fluchtalternative ausgehen zu können.

3. Gegen den oben dargestellten Aberkennungsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.09.2018 richtet sich die am 02.10.2018 bei der belangten Behörde eingelangte vollumfängliche Beschwerde, in der im Wesentlichen ausgeführt wird, das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz sei von der Rechtskraftwirkung der Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung umfasst und könne nur eine nachträgliche Änderung zu einer Aberkennung führen. Weder persönlichen Lebensumstände des Beschwerdeführers, noch die Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan hätten sich geändert. Beantragt wurde - für den Fall, dass das Bundesverwaltungsgericht beabsichtigt, nicht antragsgemäß zu entscheiden - die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, die Behebung des angefochtenen Bescheides, sowie, dass dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 4 AsylG für weitere zwei Jahre erteilt werde.

Mit Schreiben vom 03.10.2018 legte die belangte Behörde die Beschwerde unter Anschluss des Aktes vor, verzichtete auf Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Beschwerdeverhandlung und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 15.04.2020 wurde die gegenständliche Rechtssache der bis dahin zuständigen Gerichtsabteilung abgenommen und in der Folge der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung neu zugewiesen.

Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

- WGKK-Anmeldung betreffend den Beschwerdeführer

- Lohn-Gehaltsabrechnungen

- ÖSD Zertifikat A2 vom 11.10.2017

- Teilnahmebestätigung für Deutschkurs

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zu Person und Lebensumständen Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, wurde spätestens am XXXX geboren, ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan und Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen. Er bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Paschtu. Er spricht auch Deutsch auf dem Niveau A2 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer wurde in einem Dorf in der Provinz Kapisa, Distrikt Tagab geboren, wo er bis zu seiner Ausreise nach Österreich lebte. Zunächst wuchs der Beschwerdeführer bei seinen Eltern auf. Die Mutter des Beschwerdeführers starb etwa sechs Jahre vor seiner Ausreise bei der Geburt eines Kindes, auch dieses Kind verstarb. Der Vater des Beschwerdeführers heiratete etwa fünf Jahre vor der Ausreise des Beschwerdeführers erneut. Der Beschwerdeführer, seine jüngere Schwester und sein jüngerer Bruder zogen daraufhin aufgrund von Spannungen mit der Stiefmutter zum Onkel mütterlicherseits. Der Kontakt zum Vater blieb aufrecht. Im Herkunftsdistrikt lebten zudem zwei Onkel väterlicherseits und eine Tante mütterlicherseits.

Der Onkel mütterlicherseits des Beschwerdeführers ist Tischler, die letzten Jahre bis zur Ausreise des Beschwerdeführers arbeitete er jedoch für die Taliban. Auch der Vater des Beschwerdeführers ist Tischler.

Der Beschwerdeführer selbst arbeitete als Landwirt, zunächst auf dem Feld des Vaters und später auf dem des Onkels. Der Beschwerdeführer hat im Herkunftsstaat keine Schule besucht.

Zur Familie im Herkunftsstaat bestand nach der Einreise in das Bundesgebiet noch Kontakt. Sie lebte weiterhin im Herkunftsdorf.

Etwa im Jahr 2016 hatte der Beschwerdeführer zuletzt Kontakt mit seinem Onkel mütterlicherseits. Im Herkunftsdorf war es zu Gefechten zwischen Taliban und Regierungsstreitkräften gekommen, die Familie des Beschwerdeführers flüchtete daraufhin aus dem Herkunftsdorf, ist aber noch im Herkunftsdistrikt aufhältig und lebt in einem Zeltlager.

Im Bundesgebiet hat der Beschwerdeführer Deutschkurse besucht, einige Jahre bei McDonalds und in einem chinesischen Restaurant gearbeitet.

1. 2. Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat:

Afghanistan ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt betroffen.

Die Provinz Kapisa zählt zu den volatilen Provinzen des Herkunftsstaates, die afghanischen Sicherheitskräfte führen Regelmäßig Operationen durch. Es kommt zu Luftangriffen und bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften. Die Sicherheitslage im Herkunftsdistrikt war bereits in den Jahren 2015, 2016 und 2017 von wiederholten Kämpfen und Vertreibungen geprägt. Zuletzt kam es zu einer Zunahme ziviler Opfer. Die Taliban sind im Herkunftsdistrikt seit Jahren stark präsent.

Hinsichtlich der Hauptstadt Kabul ist ein negativer Trend in Bezug auf die Sicherheitslage für Zivilisten deutlich erkennbar. Die Stadt ist vom innerstaatlichen Konflikt und insbesondere stark von öffentlichkeitswirksamen Angriffen der Taliban und anderer regierungsfeindlicher Kräfte betroffen. Kabul verzeichnet die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans, die insbesondere aus Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen regierungsfeindlicher Kräfte resultieren. Die afghanische Regierung führt regelmäßig Sicherheitsoperationen in der Hauptstadt durch. Die Konfliktsituation ist geprägt von asymmetrischer Kriegsführung.

In Balkh hat sich die Sicherheitslage - nachdem die Provinz lange zu den relativ ruhigen Provinzen gezählt wurde - verschlechtert. In Mazar-e-Sharif ist es zu einem Anstieg krimineller Aktivitäten wie Raub, Mord, Entführung etc. gekommen. Im Jahr 2018 ist die Anzahl ziviler Opfer in Balkh im Vergleich zu 2017 um 76 % angestiegen. Hauptursachen sind Bodenkämpfe, Unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen und gezielte Tötungen. Insbesondere sind die Todesfälle infolge von Bodenoffensiven um 296 % angestiegen. UNOCHA stuft Mazar-e-Sharif hinsichtlich der Schwere des Konfliktes in der zweithöchsten Kategorie ein.

Die Sicherheitslage im Distrikt Herat und in Herat (Stadt) hat sich nicht verbessert.

Versorgungslage und Lebensbedingungen im Herkunftsstaat haben sich in den letzten Jahren nicht verbessert. Rückkehrhilfeangebote gab es bereits im Jahr 2016.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers, seiner Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie seinen Sprachkenntnissen ergeben sich aus den gleichbleibenden und plausiblen Angaben des Beschwerdeführers, die auch die belangte Behörde ihrer Entscheidung zugrunde legte. Die Feststellung zum spätestmöglichen Geburtsdatum beruht auf dem schlüssigen, widerspruchsfreien von der Behörde im Zuerkennungsverfahren eingeholten gerichtsmedizinischen Gutachten zur forensischen Altersschätzung vom 22.06.2010 (AS 53 ff.), aus dem sich für den Untersuchungszeitpunkt ein Mindestalter von 19 Jahren oder älter ergibt (AS 63). Der Beschwerdeführer ist dem Gutachten nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten (AS 119-121) und konnte auch keine Identitätsdokumente vorlegen. Die Feststellung zu den Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers beruht auf dem vorgelegten ÖSD Zertifikat für das Niveau A2 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen vom 11.10.2017 (Anlage 1 zum Einvernahmeprotokoll vom 31.08.2018).

Die Feststellung zur Unbescholtenheit des Beschwerdeführers beruht auf dem im Akt einliegenden aktuellen Auszug aus dem Strafregister.

Die Feststellungen zum Lebenswandel des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat beruhen auf seinen im Wesentlichen gleichbleibenden Angaben vor dem Bundesasylamt und dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, an denen auch die belangte Behörde keine Zweifel hegte.

Dass Kontakt zur Familie besteht, hat der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 09.08.2010 angegeben (AS 147) und am 31.08.2018 erläutert, er habe zuletzt vor etwa zwei Jahren Kontakt gehabt und dabei habe ihm der Onkel mitgeteilt, dass die Familie flüchte. Die Angaben des Beschwerdeführers zur Vertreibung seiner Familie erweist sich zudem vor dem Hintergrund der Länderberichte als plausibel. So berichtet der EASO COI Report: Afghanistan, Security situation von Juni 2019, dass es in der Provinz Kapisa seit dem Jahr 2012 zu einer Intensivierung der Kämpfe zwischen Aufständischen und Streitkräften der Regierung gekommen ist. Insbesondere hinsichtlich der südlichen Distrikte der Provinz - zu denen auch der Herkunftsdistrikt gehört - wird von einer starken Verankerung der Taliban berichtet. Der Herkunftsdistrikt gehörte dem Bericht zufolge auch 2015 zu den unsichersten Distrikten der Provinz. Für das Jahr 2017 ist die offene Talibanpräsenz als hoch verzeichnet (BBC), 2018 hat das US-Militär dem Bericht zufolge den Distrikt als umkämpft eingestuft (Kapitel 2.17 Kapisa, 2.17.2 Conflict background and actors in Kapisa, S. 176-177). Der EASO COI Report: Afghanistan, Security situation von November 2016 berichtet für das Jahr 2016 von wiederholten schweren Zusammenstößen zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften, die insbesondere den Herkunftsdistrikt des Beschwerdeführers betrafen (Kapitel 2.1.3. Kapisa, S. 47 ff.). Der EASO COI Report: Afghanistan, Security situation von Dezember 2017 berichtet auch für die zweite Jahreshälfte 2016 sowie für das Jahr 2017 von fortgesetzten Kämpfen auch im Herkunftsdistrikt (Kapitel 2.17 Kapisa, S. 164 ff.). Beide berichte Bestätigen Vertreibungen in der Provinz, wobei der EASO COI Report: Afghanistan, Security situation von November 2016 für den Zeitraum Jänner bis April 2016 über 5.000 Vertriebene insbesondere aus Tagab und Alasay verzeichnet (S. 50). Damit lassen die Berichte die Angaben des Beschwerdeführers zur Vertreibung seiner Familie aus dem Herkunftsdorf wahrscheinlich erscheinen. Zudem ergibt sich aus den Ausführungen im angefochtenen Aberkennungsbescheid, dass die belangte Behörde nicht an den Angaben des Beschwerdeführers zweifelt, wenn sie vom Aufenthalt der Kernfamilie des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat ausgeht (Aberkennungsbescheid, S. 92) und in ihrer rechtlichen Beurteilung ausführt, der Beschwerdeführer habe glaubhaft gemacht, dass seine Familienangehörigen weiterhin in der Heimatprovinz leben würden (Aberkennungsbescheid, S. 96).

Die Feststellungen zu den Aktivitäten im Bundesgebiet beruhen auf den plausiblen Angaben des Beschwerdeführers und den in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 31.08.2018 sowie mit Verlängerungsantrag vom 06.08.2012 vorgelegten Dokumenten.

2.2. Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat

Die Feststellung zum innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in Afghanistan beruht auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 13.11.2019 (in der Folge: Länderinformationsblatt), der EASO Country Guidance von Juni 2019 (in der Folge: EASO Country Guidance) und dem auch deren Grundlage bildenden EASO COI Report. Afghanistan. Security situation. von Juni 2019 sowie den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (in der Folge: UNHCR-Richtlinien).

Die Feststellungen zur Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 3. Sicherheitslage, Unterkapitel 3.16. Kapisa, sowie auf den unter 2.1. bereits zitierten EASO COI Reports zur Sicherheitslage in Afghanistan. Von der Zunahme ziviler Opfer berichtet das Länderinformationsblatt.

Die Feststellungen zur Sicherheitslage in Kabul beruhen im Wesentlich auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 3. Sicherheitslage, Unterkapitel 3.1. Kabul, den UNHCR-Richtlinien und dem EASO COI Report. Afghanistan. Security situation von Juni 2019, Kapitel 2.1 Kabul city, S. 67 ff. So berichten Länderinformationsblatt und UNHCR-Richtlinien von einer Verschlechterung der Sicherheitslage in Kabul sowie von einer Zunahme der zivilen Opfer. Insbesondere die UNHCR-Richtlinien berichten von negativen Trends hinsichtlich der Sicherheitslage und bestätigen, dass Kabul wiederholt die höchste Zahl ziviler Opfer verzeichnet und diese insbesondere auf Selbstmordanschläge und komplexe Angriffe regierungsfeindliche Kräfte zurückgehen, die zahlreiche Zivilisten auf ihren täglichen Wegen das Leben kosten. Die Gefahr, Opfer eines solchen Angriffs zu werden, sei bei sozialen und wirtschaftlichen Aktivitäten allgegenwärtig, etwa auf dem Arbeits- oder Schulweg, auf dem Weg zu medizinischen Behandlungen, beim Einkaufen, auf Märkten, in Moscheen oder an anderen Orten, wo viele Menschen zusammentreffen (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel C. Interne Flucht-, Neuansiedlungs- oder Schutzalternative, Unterkapitel 4. Interne Flucht- oder Neuansiedlungsalternative in Kabul, Buchstabe a) Die Relevanz von Kabul als interner Schutzalternative, S. 127 f.). Insbesondere ergibt sich aus dem EASO COI Report. Afghanistan. Security situation von Juni 2019 auch keine Trendumkehr in Bezug auf die Sicherheitslage in Kabul, weswegen eine Verschlechterung der Sicherheitslage in Kabul festgestellt wurde.

Die Feststellungen zur Sicherheitslage in Balkh und Mazar-e Sharif basieren auf dem EASO COI Report: Afghanistan. Security situation von Juni 2019, Kapitel 3.5. Balkh, S. 108 ff.

Die Feststellungen zur Sicherheitslage im Distrikt Herat und in Herat (Stadt) beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 3. Sicherheitslage, Unterkapitel 2.13. Herat, wo berichtet wird, dass Herat zu den relativ ruhigen Provinzen gehört, obgleich sich die Situation in den abgelegenen Distrikten in den letzten Jahren verschlechtert habe. Es komme zu Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen. Ähnlich berichtet auch der EASO COI Report. Afghanistan. Security situation von Juni 2019 in seinem Kapitel 3.13. Herat (S. 149 ff.), dass es weiterhin Talibanaktivitäten und Kämpfe gibt. Hinsichtlich Herat (Stadt) wird von einem Anstieg der Kriminalität berichtet. Allerdings lässt sich den Berichten ein klarer Trend hinsichtlich der Sicherheitslage weder in Richtung einer Verbesserung noch in Richtung einer Verschlechterung entnehmen.

Zur Versorgungslage ist auszuführen, dass in diesem Bereich von einer Verbesserung der Situation nicht berichtet wird. Es wird unverändert von hohen Armuts- und Arbeitslosenraten, von fortbestehender Abhängigkeit von Hilfsleistungen wegen der unveränderten Konfliktbetroffenheit berichtet (Länderinformationsblatt, Kapitel 21. Grundversorgung und Wirtschaft) und lässt sich den Informationen zur allgemeinen Rückkehrsituation ebenso (Länderinformationsblatt, Kapitel 23. Rückkehr und Kapitel 20. Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge) nicht entnehmen, dass es zu einer Entspannung der Situation gekommen wäre. Zur medizinischen Versorgungslage ergibt sich aus dem Länderinformationsblatt (Kapitel 22. Medizinische Versorgung) eine noch immer deutlich mangelhafte Gesundheitsversorgung, auch wenn grundsätzlich von Fortschritten in den letzten zehn Jahren berichtet wird. Eine Verbesserung der Versorgungslage im Herkunftsstaat ist jedoch nicht ersichtlich, weswegen eine dementsprechende Feststellung getroffen wurde.

Zur Rückkehrhilfe ist auszuführen, dass bereits das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Geamtaktualisierung am 02.03.2017, für das Jahr 2016 von diversen Rückkehrangeboten berichtet (Kapitel 23. Rückkehr, Abschnitt Unterstützung durch verschiedene Organisationen Vorort).

Zur Plausibilität und Seriosität der herangezogenen Länderinformationen zur Lage im Herkunftsstaat ist auszuführen, dass die im Länderinformationsblatt zitierten Unterlagen von angesehen Einrichtungen stammen. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach § 5 Abs. 2 BFA-VG verpflichtet ist, gesammelte Tatsachen nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten und in allgemeiner Form zu dokumentieren. Auch das European Asylum Support Office (EASO) ist nach Art. 4 lit. a Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen bei seiner Berichterstattung über Herkunftsländer zur transparent und unparteiisch erfolgende Sammlung von relevanten, zuverlässigen, genauen und aktuellen Informationen verpflichtet. Damit durchlaufen die länderkundlichen Informationen, die diese Einrichtungen zur Verfügung stellen, einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat. Den UNHCR-Richtlinien ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besondere Beachtung zu schenken ("Indizwirkung"), wobei diese Verpflichtung ihr Fundament auch im einschlägigen Unionsrecht findet (Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU [Verfahrensrichtlinie] und Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/95/EU [Statusrichtlinie]; VwGH 07.06.2019, Ra 2019/14/0114) und der Verwaltungsgerichtshof auch hinsichtlich der Einschätzung von EASO von einer besonderen Bedeutung ausgeht und eine Auseinandersetzung mit den "EASO-Richtlinien" verlangt (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0405). Parteiengehör bezüglich der in dieser Entscheidung verwendeten Länderberichte konnte entfallen. Die belangte Behörde hat aufgrund ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Abfassung von Länderberichten Kenntnisse über ebendiese Länderberichte; weiters wurden diese ausschließlich zugunsten des Beschwerdeführers verwendet, weshalb auch diesbezüglich eine Notwendigkeit zur Gewährung von Parteiengehör nicht gegeben war. Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich daher auf die angeführten Länderberichte, wobei eine beweiswürdigende Auseinandersetzung im Detail oben erfolgt ist.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zur ersatzlosen Behebung von Spruchpunkt I. des angefochtenen Aberkennungsbescheides (Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten):

Gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG) ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amtswegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1 AsylG) nicht oder nicht mehr vorliegen.

§ 9 Abs. 1 Z 1 erster Fall AsylG erfasst die Konstellation, in der der Fremde schon im Zeitpunkt der Zuerkennung die dafür notwendigen Voraussetzungen nicht erfüllt hat, während § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall jene Konstellationen betrifft, in denen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nachträglich weggefallen sind (VwGH 17.10.2019, Ro 2019/18/0005 m.w.N.).

Die belangte Behörde stützt sich in Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides lediglich auf § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG ohne explizit zu erkennen zu geben, auf welchen konkreten Aberkennungstatbestand sie Bezug nimmt. Aus dem angefochtenen Aberkennungsbescheid, wo die belangte Behörde rechtlich ausführt, dass "die Gründe für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorliegend" sind (Aberkennungsbescheid, S. 94)., ergibt sich klar, dass die belangte Behörde sich auf § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG stützt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass es unter Berücksichtigung der Rechtskraftwirkung von Bescheiden nicht zulässig ist, die Aberkennung nach § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG auszusprechen, obwohl sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. der erfolgten Verlängerung nicht geändert hat (VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0353). Auch der Verfassungsgerichtshof hat zu § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG bereits ausgesprochen, dass diese Bestimmung keine Neubewertung eines rechtskräftigen Entschiedenen Sachverhaltes erlaubt, sondern eine Aberkennung nach § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG lediglich in Frage kommt, wenn sie die Umstände nach der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten maßgeblich geändert haben (VfGH 24.09.2019, E 2330/2019).

In seiner Judikatur zum Aberkennungstatbestand des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG zeichnet der Verwaltungsgerichtshof im Wesentlichen das Prüfschema vor, dass zunächst zu ermitteln ist, ob, seit dem Beschwerdeführer zuletzt eine befristete Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG erteilt wurde, neue Umstände hinzugetreten sind. Erst wenn dies zu bejahen ist, ist eine erneute Gesamtbeurteilung vorzunehmen, bei der alle für die Entscheidung maßgeblichen Elemente einbezogen werden, auch wenn sie sich vor der letzten Verlängerung ereignet haben (VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0353).

Zur unionsrechtskonformen Interpretation des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG zieht der Verwaltungsgerichtshof das Erforderlichkeitskalkül des Art. 16 Abs. 1 und Abs. 2 Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (in der Folge Statusrichtlinie) heran (VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153).

Art. 16 Abs. 1 Statusrichtlinie sieht vor, dass ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser keinen Anspruch auf subsidiären Schutz mehr hat, wenn die Umstände, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt haben, nicht mehr bestehen oder sich in einem Maße verändert haben, dass ein solcher Schutz nicht mehr erforderlich ist. Nach Abs. 2 leg. cit. berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei Anwendung des oben zitierten Abs. 1, ob sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorrübergehend verändert haben, dass die Person, die Anspruch auf subsidiären Schutz hat, tatsächlich nicht länger Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden.

Eine solche Änderung der Umstände kann sich nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aus einer Änderung der tatsächlichen Umstände im Herkunftsstaat ergeben, aber auch in der persönlichen Situation des Fremden gelegen sein, wobei es regelmäßig nicht auf den Eintritt eines einzelnen Ereignisses ankommt (VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153).

Dem Beschwerdeführer wurde zuletzt mit Verlängerungsbescheid vom 11.08.2016, zugestellt am 16.08.2016, eine Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 8 Abs. 4 AsylG erteilt, weswegen gegenständlich Änderungen im Hinblick auf den in diesem Zeitpunkt maßgeblichen Sachverhalt relevant sind.

Die belangte Behörde führt im angefochtenen Aberkennungsbescheid aus, dass die Lage sich seit dem seinerzeitigen Entscheidungszeitpunkt insofern geändert habe, als dem Beschwerdeführer nunmehr eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul zur Verfügung stehe (Aberkennungsbescheid S. 93).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bringt § 8 Abs. 3 AsylG unmissverständlich zum Ausdruck, dass die in § 8 Abs. 1 AsylG genannten Voraussetzungen für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz nicht gegeben sind, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG zur Verfügung steht. Damit ist auch das Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Aberkennungsverfahren beachtlich (VwGH 29.01.2020, Ro 2019/18/0002).

Allerdings zeigt die belangte Behörde - wie in der Beschwerde zutreffend ausgeführt wird - keinerlei Sachverhaltsänderung auf, sondern beschränkt sich im Wesentlichen auf eine neue, anderslautende Beurteilung eines unveränderten Sachverhaltes.

So erfolgte die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten der Begründung des Zuerkennungsbescheides zufolge aufgrund der der allgemein humanitären Lage in Afghanistan, wobei den jeweiligen Verlängerungsbescheiden nicht zu entnehmen ist, dass die Verlängerung aus anderen Gründen erfolgt wäre. Die Ausführungen der belangten Behörde im angefochtenen Aberkennungsbescheid, dem Beschwerdeführer sei der Status des subsidiär Schutzberechtigten lediglich zuerkannt worden, weil er damals über keine familiären Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat verfügt haben wolle, sowie keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung gestanden sei (Aberkennungsbescheid, S. 93). Dies erweist sich mit Blick auf die Begründung des Zuerkennungsbescheides als aktenwidrig.

Im Hinblick auf die von ihr konstatierte Änderung der individuellen Lage führt die belangte Behörde ins Treffen, der Beschwerdeführer verfüge über familiäre Anknüpfungspunkte in Afghanistan, seine Kernfamilie sei weiterhin in der Heimatprovinz aufhältig und würde ihm Unterstützung nicht verwehren, er habe Lebenserfahrung und Erfahrung im Arbeitsleben gesammelt, bei seinem Aufenthalt in Österreich unweigerlich von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, auf bestehend soziale Netzwerke zurückzugreifen, könne auf Verbindungen zur Volksgruppe der Paschtunen, auf internationale und nationale Unterstützungsmöglichkeiten zurückgreifen und aufgrund der Bestrebung der islamischen Glaubensgemeinschaft in aller Welt in Moscheen und anderen islamischen Einrichtungen Unterstützung erhalten.

Hiermit zeigt die belangte Behörde hinsichtlich der persönlichen Situation des Beschwerdeführers keinerlei maßgebliche Sachverhaltsänderung auf. So führt bereits die belangte Behörde selbst an, die Familie des Beschwerdeführers sei weiterhin in der Heimatprovinz aufhältig und gibt damit zu erkennen, dass ihr der Umstand, dass ein diesbezüglich unverändertes Sachverhaltselement vorliegt, bereits selbst zu erkennen. Zur Lebens- und Arbeitserfahrung ist auszuführen, dass deren Mangel dem Zuerkennungsbescheid zufolge nicht ausschlaggebend war, der Beschwerdeführer bereits vor seiner Ausreise Arbeitserfahrung hatte und zudem ein maßgeblicher Lebens- und Arbeitserfahrungsgewinn, seit dem Beschwerdeführer zuletzt mit Bescheid vom 11.08.2016 eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG erteilt worden ist, in Relation zur bis dahin gewonnenen Arbeits- und Lebenserfahrung nicht ersichtlich ist. Bei der Volkgsruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers handelt es sich - soweit amtsbekannt - um ein unveränderliches Merkmal und verweist die Behörde selbst auf den Ehrenkodex der Paschtunen, auf dessen Grundlage dem Beschwerdeführer Hilfe gewährt werden solle. Dass es sich bei seit Jahrhunderten tradiertem Gewohnheitsrecht nicht um eine Neuerung handelt, muss kaum weiter begründet werden. Gleiches gilt im Übrigen für die den Ausführungen der Behörde zufolge in der islamischen Tradition verankerte Unterstützung. Auch Rückkehrhilfe wurde bereits im Zeitpunkt der letzten Verlängerung gewährt. Der Sinngehalt der Annahme der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe bei seinem Aufenthalt in Österreich unweigerlich von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, auf bestehend soziale Netzwerke zurückzugreifen, erschließt sich dagegen nicht und erweist sich als inhaltsleere Floskel.

Im Wesentlichen liefert die belangte Behörde mit ihren - im Übrigen zum Teil aktenwidrigen - Ausführungen lediglich eine Scheinbegründung, die klar das Ziel verfolgt, dem Beschwerdeführer trotz unverändertem Sachverhalt den Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen.

Von Änderungen der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat geht die Behörde dagegen nicht aus und konnte auch das Bundesverwaltungsgericht keine diesbezüglichen Sachverhaltsänderungen feststellen. Hinsichtlich Kabul und Mazar-e Sharif ist viel mehr von einer Verschlechterung der Sicherheitslage auszugehen, während dieselbe in Herat unverändert ist. Die Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz hat sich dagegen verschlechtert. Verbesserungen im Hinblick auf die Versorgungslage sind auch nicht ersichtlich.

Zum Verweis der belangten Behörde auf die aktuelle Entscheidungspraxis des Verwaltungsgerichtshof, der zufolge in Kabul ein bestehendes soziales oder familiäres Netzwerk nicht erforderlich sei, um von einer tauglichen innerstaatlichen Fluchtalternative ausgehen zu können, ist die Behörde auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, der zufolge eine maßgebliche Änderung der Umstände im Herkunftsstaat nicht per se in neuerer Judikatur zu vergleichbaren Fällen liegt (VwGH 24.01.2019, Ro 2018/21/0011), sondern ausschließlich die Tatsachenebene betrifft.

Mangels hinzutreten neuer Umstände steht sohin einer neuen Gesamtbeurteilung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Rechtskraft des Zuerkennungsbescheides vom 08.03.2017 entgegen (VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0353).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist "die zu entscheidende Angelegenheit" im Verfahren über die Beschwerde gegen einen Bescheid, mit dem dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wurde, die Aberkennung des subsidiären Schutzstatus an sich und damit sämtliche in § 9 Abs. 1 und 2 AsylG vorgesehenen Prüfschritte und Aussprüche (VwGH 17.10.2019, Ro 2019/18/0005). Demnach ist das Bundesverwaltungsgericht nicht lediglich auf den Aberkennungstatbestand des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG beschränkt, sondern hat viel mehr alle Hinweise auf das Vorliegen der Voraussetzungen eines der Aberkennungstatbestände des § 9 Abs. 1 und Abs. 2 AsylG aufzugreifen.

Hinweise darauf, dass einer der Aberkennungstatbestände des § 9 Abs. 1 Z 1 erster Fall, Z 2, Z 3 oder 2 AsylG erfüllt wäre, haben sich im Verfahren nicht ergeben.

Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides war damit ersatzlos zu beheben.

3.2. Zur ersatzlosen Behebung der Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Aberkennungsbescheides:

Nachdem dem Beschwerdeführer infolge der Behebung von Spruchpunkt I. des angefochtenen Aberkennungsbescheides mit gegenständlichem Erkenntnis weiterhin der Status des subsidiär Schutzberechtigten zukommt, war auch die mit Spruchpunkt IV. des angefochtenen Aberkennungsbescheides nach § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassene Rückkehrentscheidung, sowie die weiteren damit verbundenen Aussprüche (Spruchpunkte III., V. und VI.) ersatzlos zu beheben (Vgl. VwGH 21.05.2019, Ro 2019/19/0006). Ein Eingehen darauf, dass die belangte Behörde ihre Rückkehrentscheidung auf die falsche Rechtsgrundlage stützt, erübrigt sich sohin.

3.3. Zur Stattgebung der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Aberkennungsbescheides (Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG):

Nach § 8 Abs. 4 AsylG ist die gleichzeitig mit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannte Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden für jeweils zwei weitere Jahre zu verlängern. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts fort, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.

Nachdem mit gegenständlichem Erkenntnis das weitere Vorliegen der Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten bejaht wurden (siehe oben unter 3.1.), war dem Beschwerdeführer in Stattgebung der Beschwerde gegen Spruchpunkte II. des angefochtenen Bescheides die mit Zuerkennungsbescheid erteilte Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG spruchgemäß um weitere zwei Jahre zu verlängern.

Der Ausspruch der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung mit Spruchpunkt II des gegenständlichen Erkenntnisses tritt im Übrigen auch an die Stelle (Vgl. etwa jüngst VwGH 28.02.2019, Ra 2019/07/0010) des von der belangten Behörde lediglich implizit ausgesprochenen Entzuges der Aufenthaltsberechtigung gemäß § 9 Abs. 4 AsylG. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes spielt es für die Rechtswirkung eines gemäß § 9 Abs. 4 AsylG erfolgten Ausspruches keine Rolle, ob er in seiner Formulierung an den dort enthaltenen Gesetzestext angelehnt wird oder sprachlich in der Abweisung des Verlängerungsantrages zum Ausdruck kommt. Die behördliche Anordnung im Fall eines fristgerecht gestellten Verlängerungsantrages zielt darauf ab, das zuvor nach § 8 Abs. 4 erteilte Recht zum Aufenthalt nicht weiter bestehen zu lassen (VwGH 30.10.2019, Ro 2019/14/0007). Demnach ist in der Abweisung des Verlängerungsantrages nach § 8 Abs. 4 AsylG sowie im Entzug der Aufenthaltsberechtigung nach § 9 Abs. 4 AsylG dieselbe Entscheidung in unterschiedlicher sprachlicher Variation zu erblicken.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nicht nur aus Anlass der erstmaligen Erteilung der Aufenthaltsberechtigung, sondern auch bei der Verlängerung die Gültigkeitsdauer der zu erteilenden Berechtigung ausgehend vom Entscheidungszeitpunkt festzulegen (VwGH 27.12.2019, Ra 2019/18/0281). Beim im Aberkennungsverfahren durch Einzelrichter entscheidenden Bundesverwaltungsgericht ist dies der Zeitpunkt, in dem die Entscheidung erlassen, das heißt verkündet oder zugestellt wird (VwGH 27.04 2016, Ra 2015/05/0069). Die befristete Aufenthaltsberechtigung gilt damit zwei Jahre ab Zustellung des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts an den Beschwerdeführer.

3.4. Zum Unterbleiben der mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG kann die Verhandlung unter anderem entfallen, wenn bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Die belangte Behörde verzichtete in ihrem Begleitschreiben zur Beschwerdevorlage auf Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Beschwerdeverhandlung, während der Beschwerdeführer seinen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung auf den Fall einer Abweisung der Beschwerde beschränkt. Zudem wird dem Beschwerdebegehren des Beschwerdeführers vollinhaltlich Rechnung getragen. Weiter ergibt sich aus den Ermittlungsergebnissen der belangten Behörde zweifelsfrei, dass ein geänderter Sachverhalt nicht vorliegt und die Spruchpunkte I. und III. bis VI. des angefochtenen Bescheides ersatzlos zu beheben sind.

Eine mündliche Verhandlung konnte daher unterbleiben.

4. Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG abhängt. Das Bundesverwaltungsgericht folgt in seiner Prüfung hinsichtlich der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten der vorliegenden jüngsten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Themenkomplex der Aberkennung nach § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG, die unter 3. zitiert wird.

Schlagworte

Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten Aberkennungstatbestand § 9 Abs. 1 befristete Aufenthaltsberechtigung Behebung der Entscheidung Berufserfahrung ersatzlose Teilbehebung individuelle Verhältnisse Rückkehrentscheidung behoben Sicherheitslage Verlängerung Versorgungslage wesentliche Änderung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W109.1415119.2.00

Im RIS seit

10.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

10.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten