TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/25 I403 2231059-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.05.2020
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Entscheidungsdatum

25.05.2020

Norm

BFA-VG §18 Abs3
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
FPG §2
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3
StGB §127
StGB §129
StGB §164
StGB §83 Abs1
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I403 2231059-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, StA. Ungarn und Ukraine, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.02.2020, Zl. XXXX zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers wurde gegen diesen 2010 mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft XXXX ein Aufenthaltsverbot verhängt, das aber mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22.05.2013 aufgrund des jugendlichen Alters des Beschwerdeführers, der Beziehung zu seiner Familie und seiner Ausbildung aufgehoben wurde.

Aufgrund weiterer strafrechtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet wurde ihm mit "Verständigung von der Beweisaufnahme" vom 29.01.2020 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) die Möglichkeit gewährt, innerhalb von 14 Tagen ab Zustellung eine Stellungnahme zur geplanten Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme abzugeben. Eine solche langte am 03.02.2020 beim BFA ein.

Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.02.2020, zugestellt am 26.02.2020, wurde gemäß § 67 Abs. 1 und 2 Fremdenpolizeigesetz gegen den Beschwerdeführer ein für die Dauer von sechs Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 70 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz wurde ihm kein Durchführungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.). Mit Spruchpunkt III. wurde einer Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.).

Dagegen wurde mit Schriftsatz vom 12.05.2020 (fristgerecht aufgrund des Fristenlaufs nach dem Covid-19-Justizbegleitgesetz) Beschwerde erhoben und kritisiert, dass der Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt vom BFA einvernommen worden sei und so nicht festgestellt worden sei, dass der Beschwerdeführer ein "enges familiäres und darüber hinaus ein starkes soziales Netzwerk" habe. Der Beschwerdeführer habe keinerlei Bezug zu Ungarn und sei daher die Entscheidung, den Beschwerdeführer nach Ungarn abschieben zu wollen, nicht nachvollziehbar. Die belangte Behörde habe auch missachtet, dass beim Beschwerdeführer ein mehr als zehnjähriger Aufenthalt vorliege und daher der erhöhte Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG anzuwenden sei, für dessen Anwendung schwere Straftaten vorliegen müssten. Die vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten seien zudem im Zusammenhang mit seiner Suchterkrankung zu sehen und habe er "große Fortschritte im Kampf gegen seine Drogenabhängigkeit" erzielt.

Am 18.05.2020 wurde die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der volljährige Beschwerdeführer wurde in der Ukraine geboren und ist Staatsangehöriger Ungarns und der Ukraine. Er hält sich spätestens seit Sommer 2003 in Österreich auf. Im Bundesgebiet leben seine Mutter und sein Bruder, seinen Vater hat der Beschwerdeführer nie kennengelernt. Er verfügt über eine gültige Daueraufenthaltsbescheinigung, ausgestellt am 24.09.2019.

Der Beschwerdeführer besuchte in der Ukraine eine Volksschule, danach in Österreich eine Hauptschule. Er machte von 2008 bis 2010 eine Lehre zum Maler bzw. eine Ausbildung zum Fleischverarbeiter. Er war von 07.05.2012 bis 03.07.2012, von 05.10.2015 bis 09.11.2015, von 18.04.2016 bis 10.10.2016 und von 12.08.2019 bis 28.08.2019 in einem Beschäftigungsverhältnis. In den letzten zehn Jahren war er daher insgesamt rund neun Monate beschäftigt, ansonsten lebte er vom Bezug des Arbeitslosengeldes bzw. der Notstandshilfe.

Der Beschwerdeführer hat keine Sorgepflichten und kein Vermögen, allerdings Schulden in der Höhe von insgesamt ca. 30.000 Euro.

Der Beschwerdeführer spricht Deutsch und Ungarisch, aber kein Ukrainisch. Er lebte bis zu seinem 12. Lebensjahr als Angehöriger der ungarischen Minderheit in der Ukraine, danach in Österreich. In Ungarn verfügt er über keine Anknüpfungspunkte.

Der Beschwerdeführer befindet sich aktuell in Strafhaft; er wurde sechsmal im Bundesgebiet verurteilt:

Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 29.05.2009, Zl. XXXX wegen Raubes und Körperverletzung nach den §§ 142 Abs. 1, 83 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt. Die Freiheitsstrafe wurde inzwischen endgültig nachgesehen.

Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom 22.04.2013, Zl. XXXX wegen Betrugs nach § 46 StGB zu einer Geldstrafe von 200 Tagsätzen verurteilt.

Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom 22.12.2014, Zl. XXXX wegen Raufhandel nach § 91 Abs. 2 StGB zu einer Geldstrafe von 200 Tagsätzen verurteilt.

Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 16.05.2018, Zl. XXXX wegen des Vergehens der versuchten Körperverletzung nach den §§ 15, 83 Abs. 1 StGB und des Vergehens der versuchten Begünstigung nach den §§ 15, 299 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Er hatte am 02.02.2017 einen anderen mit dem rechten Bein gegen den Oberschenkel getreten und dann bei der kriminalpolizeilichen Vernehmung falsche Angaben dazu gemacht, wie es dazu gekommen war. Mildernd wurde bei der Strafbemessung die geständige Verantwortung und der Umstand, dass es beim Versuch geblieben war, gewertet; erschwerend dagegen die zwei einschlägigen Vorstrafen und das Zusammentreffen mehrerer Vergehen.

Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 22.01.2019, Zl. XXXX wegen des Vergehens der Hehlerei nach § 164 Abs. 1 StGB und des Vergehens des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt. Er hatte am 03.08.2018 zwei anderen dabei geholfen die aus einem Getränkeautomaten gestohlenen Getränke wegzuschaffen und am 17.05.2018 Gegenstände aus einem Supermarkt zu stehlen versucht. Mildernd wurde bei der Strafbemessung das Geständnis und der Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben war, berücksichtigt; erschwerend dagegen die einschlägige Vorstrafe und der rasche Rückfall nach der letzten Verurteilung.

Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 26.06.2019, Zl. XXXX wegen des Vergehens des Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127, 129 Abs. 1 (3) StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten, davon elf bedingt, verurteilt. Er hatte um den 20.02.2019 herum eine Kassa bei einem Pfarramt aus ihrer Verankerung gerissen und den Inhalt gestohlen, wobei sich darin vermutlich nicht mehr als 10 Euro befanden. Es gab keine mildernd zu berücksichtigenden Umstände, leugnete der Beschwerdeführer doch die Tat, welche ihm aber aufgrund der aufgefundenen DNA-Spuren zugerechnet wurde. Erschwerend wurden die einschlägigen Vorstrafen, der rasche Rückfall und die Begehung innerhalb offener Probezeit gewertet. Der dagegen von der Staatsanwaltschaft erhobenen Berufung wurde mit Urteil des Oberlandesgerichts XXXX vom 20.11.2019, Zl. XXXX Folge gegeben und die teilbedingte Strafnachsicht aus dem Urteil ausgeschaltet. Dies wurde damit begründet, dass es aufgrund der kriminellen Vorgeschichte nicht nur der bloßen Androhung der Freiheitsstrafe bedürfen würde, um spezialpräventiv beim Beschwerdeführer den nötigen Effekt zu erzielen: "Die Gewaltbereitschaft gegen Sachen beruht auf der gleichen Motivation (dem gleichen charakterlichen Mangel) wie Gewalttätigkeiten gegen Personen. Ungeachtet dieser mehrfach gewährten Rechtswohltaten, aber auch des Verspürens von Haftübel anlässlich der letzten Vorstrafe vom 03.12.2018 bis 07.01.2019 delinquierte er nur ein knappes Monat später durch fallgegenständlichen Einbruchsdiebstahl bei einer Kirche. Das Berufungsgericht verkennt nicht, dass eine höhere als die zwölfmonatige Freiheitsstrafe dem Unrechtsgehalt der Tat und der Schuld des Angeklagten nicht angemessen wäre, ist jedoch der festen Überzeugung, dass es nun des Vollzugs der gesamten - immer noch im untersten Drittel des Strafrahmens verhängten - Freiheitsstrafe bedarf, um (den Beschwerdeführer) zukünftig von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten. Dreifach gewährte bedingte Strafnachsicht, die Verlängerung von Probezeit und zwei Geldstrafen vermochten dies nämlich nicht, sondern ist dem mittlerweile 27 Jahre alten Mann offenbar die Tragweite seines Handelns noch immer nicht bewusst, sodass es nun des Verspürens von Haftübel für längere Zeit hindurch bedarf, um spezialpräventiv den nötigen Effekt erzielen zu können."

Der Beschwerdeführer ist gesund, befindet sich allerdings seit eineinhalb Jahren in einem Substitutionsprogramm.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes. Insbesondere wurden auch Auszüge aus dem Informationsverbund Zentrales Fremdenregister (IZR), dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem Sozialversicherungsdatenbankauszug und dem Strafregister eingeholt.

Die Identität des Beschwerdeführers und seine doppelte Staatsbürgerschaft stehen aufgrund seiner in Kopie im Akt enthaltenen ungarischen und ukrainischen Reisepässe fest.

Sein Aufenthalt im Bundesgebiet ergibt sich aus dem ZMR und aus der Feststellung im angefochtenen Bescheid. In der Stellungnahme vom 03.02.2020 gibt der Beschwerdeführer an, von seiner Mutter 2002 nach Österreich geholt worden zu sein, im ZMR ist er allerdings erst seit Juli 2003 gemeldet. In der Beschwerde wurde auch eine Einreise im Jahr 2003 erwähnt. Es ist daher jedenfalls davon auszugehen, dass er sich spätestens seit Sommer 2003 in Österreich aufhält.

Die Feststellungen zu seinen Vermögensverhältnissen ergeben sich aus dem Urteil des LG XXXXs vom 26.06.2019. In der schriftlichen Stellungnahme vom 03.02.2020 bestätigte der Beschwerdeführer, dass er nur über 100 Euro verfügt.

Dass der Beschwerdeführer in Österreich nur für wenige Monate einer geregelten Arbeit nachging, ergibt sich, ebenso wie seine Lehre, aus dem Sozialversicherungsdatenbankauszug.

Die Feststellungen zu seiner Familie in Österreich, seiner Ausbildung, seinem Gesundheitszustand, seinem Bezug zur Ukraine und zu Ungarn ergeben sich aus seiner schriftlichen Stellungnahme vom 03.02.2020.

Die Verhängung des ersten Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer und dessen Behebung durch den VwGH ergeben sich aus dem Akt und blieben auch in der Beschwerde unbestritten.

Dass der Beschwerdeführer seinen Vater nie kennengelernt hat, ergibt sich aus dem Beschwerdevorbringen.

Die näheren Umstände seiner Verurteilungen ergeben sich aus den Urteilen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Zum Aufenthaltsverbot und den darauf aufbauenden Spruchpunkten:

3.2.1. Zu den Rechtsgrundlagen:

§ 67 FPG lautet:

§ 67. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

(3) Ein Aufenthaltsverbot kann unbefristet erlassen werden, wenn insbesondere

1. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

2. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB);

3. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder

4. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

(4) Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist des Aufenthaltsverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise.

3.2.2. Der Beschwerde gegen den Bescheid des BFA war aus den folgenden Gründen stattzugeben:

Gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG gilt als Fremder jener, der die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt und gemäß Abs. 4 Z 8 leg cit als EWR-Bürger jener Fremde, der Staatsangehöriger einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) ist. Der Beschwerdeführer als Staatsangehöriger Ungarns ist sohin EWR-Bürger iSd. § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.

Gegen einen grundsätzlich unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 67 Abs. 1 FPG generell zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet tatsächlich, gegenwärtig und erheblich gefährdet wäre. Entsprechend hatte die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid festgestellt, dass vom Beschwerdeführer bzw. von seinem Aufenthalt im Bundesgebiet "eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr" ausgehe. Die belangte Behörde stellte zu Recht fest, dass das Verhalten des Beschwerdeführers zeige, dass er nicht bereit sei, sich an die österreichische Rechtsordnung zu halten, dass er keinen Respekt vor den österreichischen Sicherheitsbehörden habe und dass, auch aufgrund der fehlenden beruflichen Verankerung im Bundesgebiet, von einer hohen Rückfallwahrscheinlichkeit auszugehen sei. Diese Bewertung der belangten Behörde ist angesichts des wiederholten strafrechtlichen Verhaltens des Beschwerdeführers durchaus zu Recht erfolgt.

Allerdings übersieht die belangte Behörde in ihrer rechtlichen Beurteilung des gegenständlichen Sachverhaltes einen wesentlichen Punkt: Der Beschwerdeführer hält sich, so auch die Feststellung im angefochtenen Bescheid, spätestens seit 2003 und damit rund 17 Jahre im Bundesgebiet auf. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist aber nach dem fünften Satz des § 67 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde.

Mit § 67 Abs. 1 Satz 5 FPG soll Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38EG ("Freizügigkeitsrichtlinie"; siehe § 2 Abs. 4 Z 18 FPG) umgesetzt werden, wozu der Gerichtshof der Europäischen Union bereits judizierte, dass hierauf gestützte Maßnahmen auf "außergewöhnliche Umstände" begrenzt sein sollten; es sei vorausgesetzt, dass die vom Betroffenen ausgehende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit einen "besonders hohen Schweregrad" aufweise, was etwa bei bandenmäßigem Handeln mit Betäubungsmitteln der Fall sein könne (siehe VwGH 24.1.2019, Ra 2018/21/0248, Rn 6, mit dem Hinweis auf EuGH (Große Kammer) 23.11.2010, Tsakouridis, C-145/09, insbesondere Rn. 40, 41 und 49 ff, und daran anknüpfend EuGH (Große Kammer) 22.5.2012, P.I., C-348/09, Rn. 19 und 20 sowie Rn. 28, wo überdies - im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch eines Kindes, der zu einer siebeneinhalbjährigen Freiheitsstrafe geführt hatte - darauf hingewiesen wurde, dass es "besonders schwerwiegender Merkmale" bedarf).

Dass die vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten - auch wenn sie nicht verharmlost werden sollen - aber von derart "außergewöhnlichen Umständen" mit "besonders hohem Schweregrad" bzw. von "besonders schwerwiegenden Merkmalen" gekennzeichnet gewesen wären, ist jedoch nicht ersichtlich und wird auch von der belangten Behörde nicht aufgezeigt (vgl. zu einem ähnlichen Fall VwGH, 16.05.2019, Ra 2018/21/0244).

Der Beschwerdeführer wurde zuletzt erstmals zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt, wobei die Erstrichterin elf Monate der zwölfmonatigen Freiheitsstrafe zunächst nur bedingt ausgesprochen hatte. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt dabei nicht, dass das OLG (nachvollziehbar) die Erfahrung einer längeren unbedingten Haftstrafe als notwendig angesehen hatte, um den Beschwerdeführer zukünftig von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten, da er sich bislang durch die ihm "mehrfach gewährten Rechtswohltaten" nicht von der Begehung weiterer Straftaten abhalten ließ. Zugleich muss aber auch berücksichtigt werden, dass der der Verurteilung zugrundeliegende Sachverhalt darin lag, dass der Beschwerdeführer eine Kassa des Pfarramtes aufgebrochen hatte, in der sich wahrscheinlich nicht mehr als 10 Euro befanden. Von dieser Straftat auf eine nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich zu schließen, erscheint aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht gerechtfertigt.

Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen den Beschwerdeführer war daher nicht zulässig und der angefochtene Bescheid ersatzlos zu beheben.

4. Entfall der mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Die wesentlichen Feststellungen im angefochtenen Bescheid, insbesondere zu den vom Beschwerdeführer in Österreich begangenen Straftaten, blieben unbestritten. Dass diese Straftaten nicht den erhöhten Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG erfüllen, bedurfte angesichts der vorliegenden höchstgerichtlichen Judikatur (vgl. etwa VwGH, 16.05.2019, Ra 2018/21/0244) keiner Erörterung. Da bereits die für die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes notwendige Gefährdung nicht festgestellt werden konnte, war es auch nicht notwendig, sich im Sinne des § 9 BFA-VG einen persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer zu machen. Es ergab sich bereits aus der Aktenlage, dass der angefochtene Bescheid zu beheben war.

Im vorliegenden Fall konnte daher, in Übereinstimmung mit der höchstgerichtlichen Rechtsprechung, eine mündliche Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (VwGH, 16.05.2019, Ra 2018/21/0244); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Schlagworte

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European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I403.2231059.1.00

Im RIS seit

10.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

10.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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