Entscheidungsdatum
15.06.2020Norm
AsylG 2005 §12a Abs2Spruch
G314 2231610-1/3E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin
Mag.a Katharina BAUMGARTNER im Verfahren zur Überprüfung der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes des albanischen Staatsangehörigen XXXX, geboren am XXXX, durch den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX.06.2020, Zl. XXXX:
A) Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist rechtmäßig.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
Verfahrensgang und Sachverhalt:
Der am XXXX geborene albanische Staatsangehörige XXXX (im Folgenden als Beschwerdeführer, kurz BF, bezeichnet) verfügt (abgesehen vom Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG) über keine Aufenthaltsberechtigung in Österreich. Er hat keine schwerwiegenden behandlungsbedürftigen gesundheitlichen Probleme. Seine Muttersprache ist Albanisch.
Der BF verließ Albanien Ende 2013 und reiste nach einem Aufenthalt in Italien im September 2016 in das Bundesgebiet ein, wo er sich in der Folge aufhielt. Im Zuge einer Anhaltung wegen unrechtmäßigen Aufenthalts stellte er am XXXX.11.2018 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er im Wesentlichen damit, dass er in Albanien keine Arbeit gefunden und das Land aus wirtschaftlichen Gründen verlassen habe. Er habe dort keine Existenzgrundlage und keine Zukunft. Ihm würden in Albanien aber keine Sanktionen (wie unmenschliche Behandlung oder Strafe) drohen. Dieser Antrag wurde mit dem Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom XXXX.12.2018 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Gleichzeitig erteilte das BFA dem BF keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Albanien zulässig sei. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.
Der BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten. Ab XXXX.12.2018 war er (entgegen der mit Verfahrensanordnung vom 30.11.2018 gemäß § 15b AsylG getroffenen Anordnung, bis zur Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz in dem ihm zur Verfügung gestellten Grundversorgungsquartier Unterkunft zu nehmen), unbekannten Aufenthalts, bis er am XXXX.04.2020 im Zuge polizeilicher Ermittlungen wegen des Verdachts einer Sachbeschädigung in XXXX aufgegriffen und aufgrund eines Festnahmeauftrags des BFA festgenommen wurde. Am XXXX.04.2020 wurde über ihn die Schubhaft angeordnet.
Der BF wurde ab XXXX.04.2020 im Polizeianhaltezentrum XXXX und ab XXXX.05.2020 im XXXX angehalten. Am XXXX.05.2020 stellte er während der Anhaltung in Schubhaft einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er zusammengefasst damit, dass die Fluchtgründe aus dem vorangegangenen Verfahren noch aufrecht seien. Er werde nicht von Seiten des albanischen Staates verfolgt, aber von Personen, die ihn aufgrund einer Blutrachefehde umbringen wollten. Er habe sich 2011 von seiner Verlobten getrennt. Da dies der Tradition widerspreche, würden ihre Eltern und Brüder seit nunmehr sieben Jahren nach ihm suchen. Sie hätten ihn zunächst über soziale Medien mit dem Tode bedroht. Vor seiner Ausreise im Dezember 2013 habe er sich sechs Monate lang zu Hause aufgehalten und nicht gearbeitet. Eine wegen der Drohungen bei der Polizei erstattete Anzeige habe er zurückgezogen, weil ihm gesagt worden sei, dass sonst jemand von seiner Familie umgebracht werde. Im ersten Asylverfahren habe er keine Gelegenheit gehabt, diese Details anzugeben. Vor drei Monaten habe er dann von seinen Eltern erfahren, dass nunmehr intensiv nach ihm gesucht werde.
Der BF bezog im Bundesgebiet zwischen XXXX. und XXXX.12.2018 Grundversorgungsleistungen und war während dieser Zeit als Asylwerber krankenversichert. Er ging in Österreich nie einer legalen Erwerbstätigkeit nach, arbeitete aber ohne die entsprechenden Bewilligungen zeitweilig in einer Pizzeria. Er ist seit fünf Jahren mit einer in XXXX liiert. Seine Eltern und seine beiden Brüder leben nach wie vor in Albanien.
Zur allgemeinen Lage in Albanien:
Albanien ist eine parlamentarische Demokratie mit einem Mehrparteiensystem, in der sich politische Parteien frei betätigen können. Es ist Mitglied der OSZE, des Europarates und der NATO. Die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der EU wurden 2018 von der Kommission empfohlen; die Gespräche wurden aber bislang noch nicht aufgenommen.
Die Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor. Politischer Druck, Einschüchterung, verbreitete Korruption und beschränkte Mittel verhindern aber, dass die Justiz unabhängig und effizient arbeitet. Albanien zeigt jedoch Fortschritte bei Reformen in Bezug auf die Unabhängigkeit und Professionalität der Justiz und bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Sorge bereitet das anhaltend hohe Maß an Korruption.
Die zivilen Behörden üben effektive Kontrolle über alle Sicherheitskräfte aus. Während die Regierung über Mechanismen zur Untersuchung und Bestrafung von Missbrauch und Korruption verfügt, bleibt die Polizeikorruption ein Problem. Es gibt die Möglichkeit von Beschwerden an die staatliche Dienstaufsicht, die zu verwaltungsrechtlichen Sanktionen oder strafrechtlicher Verfolgung führen können. Auch die Ombudsperson bearbeitet Beschwerden gegen Polizeibeamte. Dank personeller Umbesetzungen, Umstrukturierung und Lohnerhöhungen hat sich der Ruf der Polizei verbessert. Die Regierung unternimmt große Anstrengungen, die Professionalisierung der Polizei voranzutreiben.
Nach übereinstimmenden Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen wird in Albanien in Polizeigewahrsam und in den Haftanstalten nicht auf staatliche Anordnung gefoltert. Es gibt jedoch immer wieder Fälle von Gewalt und Misshandlungen, insbesondere im Verantwortungsbereich der Polizei, vorrangig während sich Personen in Polizeigewahrsam befinden. Systematische Menschenrechtsverletzungen finden nicht statt, ebensowenig politische Verfolgung, Folter, Zensur oder staatliche Repression gegenüber bestimmten Personen oder Personengruppen wegen ihrer Nationalität, politischen Überzeugung, Rasse oder Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft oder sozialen Gruppe. Die albanische Regierung hat eine Ombudsperson eingerichtet, die die Bürger bei Menschenrechtsverletzungen anrufen können. Diese untersucht Missstände und kann gerichtliche Verfahren einleiten. Die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sowie die Meinungs- und Pressefreiheit sind grundsätzlich gewahrt. Die Verfassung und andere Gesetze schützen die Religionsfreiheit und die Regierung respektiert dies im Allgemeinen in der Praxis.
Die Haftbedingungen in den meisten albanischen Gefängnissen entsprechen mittlerweile westeuropäischen Standards. Überbelegung in den Gefängnissen stellt weiterhin ein Problem dar. Die Todesstrafe wurde abgeschafft.
Es besteht die Freiheit sich niederzulassen, zu reisen, zu emigrieren und wieder einzureisen; die Regierung respektiert diese Rechte grundsätzlich. Rückgeführte Staatsangehörige unterliegen keiner Form der Diskriminierung und haben nicht mit staatlichen Maßnahmen zu rechnen.
Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist gewährleistet. Der Staat gewährt Bedürftigen Sozialhilfe und Invalidengeld durch Geldbeträge sowie Sozialdienstleistungen durch soziale Pflegedienste. Die medizinische Versorgung ist im Wesentlichen dreistufig aufgebaut und umfasst staatliche und private Einrichtungen. Die Versorgung in staatlichen Krankenhäusern und Polikliniken ist grundsätzlich kostenlos; Zuzahlungen sind aber eine häufige Praxis. Private Spitäler verfügen über einen umfänglichen Pflegedienst und sind technisch besser ausgestattet als staatliche Krankenhäuser. Sie verlangen vor der Behandlung aber einen Kostenvorschuss oder eine finanzielle Garantie. Die Versorgung mit Medikamenten stellt kein Problem dar.
Blutrachefehden werden häufig als Grund für Verfolgung angeführt. Seit den 1990 Jahren ist dabei eine Vermischung zwischen traditionellen Wertvorstellungen und kriminellen oder politischen Motiven festzustellen. Der Staat lehnt Blutrache ab, bekämpft sie und kann Schutz vor ihr gewähren, aufgrund begrenzter Kapazitäten und der langsamen und korruptionsanfälligen Justiz jedoch nur mit eingeschränktem Erfolg. Es gibt einige Nichtregierungsorganisationen, die sich um die Schlichtung von Blutrachefehden bemühen. Ein hundertprozentiger Schutz für betroffene Personen in Blutrachefällen kann nicht gewährleistet werden; verstärkte Kontrollen der Aufenthaltsorte möglicher Täter und Opfer stellen das Maximum des Möglichen dar. Ohne (ausgesprochene oder signalisierte) Drohungen fehlt die gesetzliche Grundlage für ein präventives Einschreiten der Behörde.
In Albanien herrschen keine kriegerischen oder sonstigen bewaffneten Auseinandersetzungen.
Die albanische Regierung hat seit dem 16.03.2020 extrem strenge Maßnahmen ergriffen, um die Verbreitung der COVID-19-Pandemie zu bremsen, weil auf den Intensivstationen des Landes Mitte März insgesamt nur 150 Betten mit Beatmungsgeräten verfügbar waren. Bis auf Weiteres wurden alle Landesgrenzen für den privaten Personenverkehr geschlossen und der Flug- und Fährverkehr weitgehend eingestellt. Ausgenommen sind u.a. humanitäre Flüge, Rückführungsflüge, Frachtflüge und Repatriierungsflüge von albanischen Staatsangehörigen. Die eingereisten Personen müssen sich in eine 14-tägige Quarantäne begeben. Der öffentliche Personennahverkehr bleibt weiterhin eingestellt. Veranstaltungen wurden abgesagt. Alle Bildungseinrichtungen sind geschlossen, der Unterricht findet online statt. Für Privatpersonen ist eine strenge Ausgangssperre in Kraft. Eine Ausgeherlaubnis muss vorab online beantragt werden. Es gibt bereits erste Lockerungen in Städten, in denen es keine oder nur sehr wenige Infizierte gibt. Restaurants und Bars sowie Geschäfte in Einkaufszentren durften unter der Einhaltung von Vorsichtsmaßnahmen wieder öffnen; andere Einrichtungen bleiben geschlossen. Die Wirtschaftstätigkeit in vielen Branchen läuft wieder fast normal weiter. Für Arbeitende muss eine Ausgeherlaubnis jede Woche neu beantragt werden. Die albanische Regierung hat die Verlängerung des Naturkatastrophenzustands zuletzt bis zum 23.06.2020 genehmigt. In der letzten Woche gab es in Albanien zwischen 7 und 21 bestätigte Neuinfektionen pro Tag; die Zahl der bestätigten Todesfälle betrug am 07.07.2020 34.
Das BFA hob - nach Einvernahme des BF - mit dem am XXXX.06.2020 mündlich verkündeten Bescheid gemäß § 12a Abs 2 AsylG den faktischen Abschiebeschutz auf. Dies wurde zusammengefasst damit begründet, dass die von ihm angegebenen Gründe für die Folgeantragstellung nicht glaubhaft seien. Mangels eines glaubhaften Kerns des neuen Fluchtvorbringens sei keine entscheidungswesentliche Änderung des Sachverhalts eingetreten. Außerdem hätte er die Verfolgung durch die Angehörigen der von ihm verlassenen Frau schon im ersten Asylverfahren vorbringen müssen, weil sie ihm schon vor Rechtskraft der Entscheidung in diesem Verfahren bekannt gewesen sei. Weder die allgemeine Lage in Albanien noch seine persönlichen Verhältnisse hätten sich seit der Entscheidung über den ersten Antrag auf internationalen Schutz entscheidungswesentlich geändert. Auch aufgrund der COVID-19-Pandemie bestünde kein reales Risiko einer Verletzung von Art 3 EMRK. Das Risiko einer Erkrankung sei weltweit erhöht; das individuelle Risiko des BF, schwer oder gar tödlich zu erkranken, sei äußerst gering, zumal er keiner Risikogruppe angehöre.
Weder in Bezug auf das Privat- und Familienleben des BF noch in Bezug auf die Situation in seinem Herkunftsland Albanien hat sich die Situation seit dem Abschluss des Verfahrens über seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz entscheidungswesentlich geändert.
Die vom BFA zur Überprüfung der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes übermittelten Verwaltungsakten langten am 08.06.2020 in der zuständigen Gerichtsabteilung des BVwG ein.
Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang und der entscheidungswesentliche Sachverhalt ergeben sich aus dem unbedenklichen Inhalt der Verwaltungsakten des BFA und der Gerichtsakten des BVwG.
Ein über die Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber hinausgehendes Aufenthaltsrecht des BF wird von ihm nicht behauptet und lässt sich weder den Akten noch dem Auszug aus dem Informationsverbund Zentrales Fremdenregister (IZR) entnehmen, zumal gegen ihn Ende 2018 eine Rückkehrentscheidung erlassen wurde.
Es sind keine Anhaltspunkte für gesundheitliche Probleme des BF aktenkundig. Daher ist davon auszugehen, dass er derzeit jedenfalls an keiner schwerwiegenden behandlungsbedürftigen Erkrankung leidet.
Albanischkenntnisse des BF gehen aus seinen Angaben bei der Erstbefragung hervor und sind angesichts seiner Herkunft plausibel, zumal es bei den Einvernahmen keine Verständigungsprobleme mit den beigezogenen Albanischdolmetschern gab.
Der BF schilderte das Verlassen seines Herkunftsstaates Ende 2013, den Aufenthalt in Italien und die anschließende Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet ab September 2016 in seinem ersten Asylverfahren nachvollziehbar und machte dazu im nunmehrigen Verfahren keine abweichenden Angaben. Die von ihm im ersten Asylverfahren angegebenen Fluchtgründe werden anhand seiner Angaben bei der Erstbefragung festgestellt. Der Bescheid des BFA vom XXXX.12.2018 liegt vor und ist im IZR dokumentiert.
Die strafgerichtliche Unbescholtenheit des BF geht aus dem Strafregister hervor, in dem keine Verurteilung aufscheint. Die Anordnung der Unterkunftnahme ergibt sich aus der entsprechenden Verfahrensanordnung und aus Spruchpunkt VIII. des Bescheids vom XXXX.12.2018. Der Umstand, dass der BF ab XXXX.12.2018 unbekannten Aufenthalts war, ergibt sich aus dem GVS-Betreuungsinformationssystem und daraus, dass nach einer ersten Wohnsitzmeldung im Zeitraum XXXX. bis XXXX.12.2018 erst wieder am XXXX.04.2020 eine Wohnsitzmeldung im Zentralen Melderegister (ZMR) aufscheint. Dies steht im Einklang mit den Angaben des BF vor dem BFA am 27.05.2020, als er angab, er habe sich nach dem XXXX.12.2018 in Italien aufgehalten. Seiner Behauptung, er sei in XXXX angemeldet gewesen, kann nicht gefolgt werden, zumal dies nicht im ZMR aufscheint. Dem Abschlussbericht der Polizeiinspektion XXXX vom XXXX.04.2020 lässt sich entnehmen, dass er kurz vor dem XXXX.04.2020 in eine Wohnung in XXXX eingezogen war, wobei laut ZMR auch diesbezüglich keine Wohnsitzmeldung besteht. Die Feststellungen zur Festnahme des BF am XXXX.04.2020 und seine darauffolgende Anhaltung in Polizeianhaltezentrum XXXX und im XXXX folgen diesem Bericht und den entsprechenden Meldungen laut ZMR. Die Anordnung der Schubhaft ist im IZR dokumentiert.
Der Folgeantrag des BF auf internationalen Schutz und die von ihm angegebenen Fluchtgründe werden anhand seiner Angaben bei der Erstbefragung und vor dem BFA festgestellt.
Der Bezug von Grundversorgungsleistungen und die Krankenversicherung werden anhand der Informationen aus dem GVS-Betreuungsinformationssystem festgestellt. Das Fehlen einer legalen Erwerbstätigkeit folgt schon daraus, dass dem BF kein Aufenthaltstitel erteilt wurde, der ihn zur Erwerbstätigkeit in Österreich berechtigen würde. Es sind auch keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer arbeitsmarktbehördlichen Bewilligung aktenkundig. Die Feststellungen, er habe (ohne Bewilligung) in einer Pizzeria gearbeitet und sei mit einer in XXXX lebenden Frau liiert, basieren auf den Angaben des BF vor dem BFA. Bei der Erstbefragung nannte er die in XXXX wohnhafte XXXX als seine Freundin. Laut ZMR ist die in XXXX wohnhafte XXXX (die allerdings nicht an der vom BF angegebenen Adresse gemeldet ist) slowenische Staatsangehörige (wobei ihre konkrete Staatsangehörigkeit hier gar nicht entscheidungswesentlich ist). Der BF gab vor dem BFA auch an, dass seine Eltern und Brüder in Albanien leben würden.
Das BFA legt seiner Entscheidung Informationen über die allgemeine Situation in Albanien zugrunde, die von verschiedenen anerkannten Institutionen stammen und ein konsistentes Gesamtbild ergeben. Das BVwG hegt keine Zweifel an der Richtigkeit der in den zu überprüfenden Bescheid unter Angabe konkreter Quellen aufgenommenen Feststellungen zur Lage in Albanien und übernimmt diese. Entscheidungswesentliche Änderungen seit dem Bescheid des BFA vom 12.12.2018 liegen nicht vor, zumal sich die in diesen Bescheid aufgenommenen Länderinformationen nur unwesentlich von den in den nunmehr zu beurteilenden Bescheid aufgenommenen unterscheiden und die Situation in Albanien stabil ist. Es gibt unter Berücksichtigung der aktuellen Berichte zur Lage in Albanien keine Anhaltspunkte dafür, dass die damals getroffenen Feststellungen zur Situation dort unrichtig oder nicht mehr aktuell sein könnten oder dass in der Zwischenzeit eine entscheidungswesentliche Änderung eingetreten wäre, zumal Albanien laut § 1 HStV seit Dezember 2010 als sicherer Herkunftsstaat gilt (siehe BGBl II Nr. 428/2010).
Die Feststellungen zu Fallzahlen und zu aktuellen Maßnahmen zur Verhinderung der weiteren Ausbreitung der Corona-Pandemie in Albanien basieren auf den dazu veröffentlichten Informationen, z.B. https://de.wikipedia.org/wiki/COVID-19-Pandemie_in_Albanien und https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-situation-in-albanien.html (Zugriff jeweils am 08.06.2020).
Die Feststellung, dass sich die Situation in Bezug auf das Privat- und Familienleben des BF seit der Entscheidung in den Vorverfahren nicht entscheidungswesentlich geändert hat, beruht darauf, dass sich weder aus seiner Schilderung noch aus den vorgelegten Akten und den vom BVwG vorgenommenen Registerabfragen entscheidungswesentlichen Änderungen ergeben, zumal die Beziehung mit einer in XXXX lebenden Frau nach den Angaben des BF seit mehreren Jahren besteht (und dadurch relativiert wird, dass sie in einem Zeitpunkt eingegangen wurde, zu dem er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war).
Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 22 Abs 10 AsylG ergehen Entscheidungen des BFA über die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs 2 AsylG mündlich in Bescheidform. Die Beurkundung gemäß § 62 Abs 2 AVG gilt auch als schriftliche Ausfertigung gemäß § 62 Abs 3 AVG. Die Verwaltungsakten sind dem BVwG unverzüglich zur Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG zu übermitteln. Diese gilt als Beschwerde an das BVwG.
Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes entscheidet das BVwG im Rahmen der Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG ohne mündliche Verhandlung mit Beschluss. Dabei wird einerseits geprüft, ob die materiellen Voraussetzungen des § 12a Abs 2 AsylG vorliegen und andererseits, ob das BFA bei der Durchführung des Verfahrens die gesetzlichen Bestimmungen eingehalten hat. Beides ist hier der Fall.
§ 12a Abs 2 AsylG ermöglicht dem BFA die bescheidmäßige Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes bei Folgeanträgen, wenn kein Fall des § 12a Abs 1 AsylG (Folgeanträge nach einer Entscheidung gemäß § 4a AsylG [Schutz in einem anderen EWR-Staat oder in der Schweiz] oder § 5 AsylG [Zuständigkeit eines anderen Staats]) vorliegt. Voraussetzung ist, dass gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG oder eine Ausweisung gemäß § 66 FPG besteht (Z 1), der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist (Z 2), und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde (Z 3).
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Ein Folgeantrag ist gemäß § 2 Abs 1 Z 23 AsylG jeder weitere Antrag auf internationalen Schutz, der einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag zeitlich nachfolgt. Da dem Antrag auf internationalen Schutz vom 11.05.2020 bereits ein rechtskräftig erledigter Antrag des BF voranging, handelt es sich um einen Folgeantrag. Es liegt kein Fall des § 12a Abs 1 AsylG vor. Gegen den BF wurde mit dem Bescheid vom 12.12.2018 eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen, die gemäß § 12a Abs 6 AsylG aufrecht ist, zumal der BF das Gebiet der Mitgliedstaaten seither nicht verlassen hat.
Das BFA geht nach dem derzeitigen Verfahrensstand zu Recht davon aus, dass der Folgeantrag des BF voraussichtlich gemäß § 68 AVG zurückzuweisen sein wird, weil sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt nicht geändert hat. Bei der dabei anzustellenden Prognoseentscheidung ist relevant, ob eine Sachverhaltsänderung behauptet wird, die zu einem anderen Ergebnis als im vorangegangenen Verfahren führen kann, wobei die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen muss, dem Asylrelevanz zukommt. Eine Modifizierung, die nur für die rechtliche Beurteilung der Sache unerhebliche Nebenumstände betrifft, kann an der Identität der Sache nichts ändern (vgl VwGH 06.11.2009, 2008/19/0783).
Zur Tatbestandsvoraussetzung des § 12a Abs 2 Z 2 AsylG ("wenn der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist") führen die Gesetzesmaterialien (RV 220 BlgNR 24. GP 13) aus, dass "eine Grobprüfung in Form einer Prognose über die Zulässigkeit des Antrags" zu treffen ist. Zieht man das vom Gesetz angestrebte Ziel in Betracht, den faktischen Abschiebeschutz nur für "klar missbräuchliche Anträge" beseitigen zu wollen, kann damit nur gemeint sein, dass schon bei einer Grobprüfung die (spätere) Zurückweisung des Folgeantrags auf der Hand liegt, weil sich der maßgebliche Sachverhalt nicht entscheidungswesentlich geändert hat. Nicht jeder Folgeantrag, bei dem eine (spätere) Zurückweisung wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG in Betracht kommen könnte, berechtigt daher zur Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes nach § 12a Abs 2 AsylG. Es muss sich vielmehr um einen Fall handeln, in dem sich dieser Verfahrensausgang von vornherein deutlich abzeichnet. Nur dann kann auch angenommen werden, dass die Antragstellung in Wirklichkeit den Zweck verfolgt, die Durchsetzung einer vorangegangenen und mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbundenen (rechtskräftigen) Vorentscheidung zu verhindern. Auf einen solchen missbräuchlichen Zweck deutet - unter Bedachtnahme auf Art 41 Abs 1 lit b der Richtlinie 2013/32/EU - etwa die mehrfache Folgeantragstellung hin, wenn dieser keine substanziell neuen und eine andere Beurteilung rechtfertigenden Sachverhaltselemente zugrunde liegen. Möglich sind aber auch andere Umstände, die den Schluss zulassen, dass der Fremde mit seinem Folgeantrag eine (bevorstehende) Abschiebung verhindern oder verzögern möchte (siehe VwGH 18.09.2019, Ra 2019/18/0338).
Diese Voraussetzung ist hier erfüllt, weil der BF den Folgeantrag erst nach seiner Festnahme während der Anhaltung in Schubhaft stellte, nachdem sein Aufenthalt davor unbekannt gewesen war.
Die nunmehr behauptete Bedrohung des BF durch die Familie seiner ehemaligen Verlobten im Rahmen einer "Blutrachefehde" stellt keine asylrelevante Verfolgung dar, selbst wenn diese Behauptung zutreffen sollte. Die albanischen Behörden sind in Bezug auf eine derartige Bedrohung durch Privatpersonen - wie sich aus den Länderinformationen ergibt - schutzfähig und -willig. Dies ist grundsätzlich bei Einrichtung eines entsprechenden staatlichen Sicherheitssystems, an dem der BF wirksam teilhaben kann, gewährleistet, wenn also der Herkunftsstaat geeignete Schritte einleitet, um die Verfolgung oder ernsthaften Schaden zu verhindern, beispielweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung der Verfolgungshandlungen, und er Zugang zu diesem Schutz hat (siehe VwGH 16.11.2016, Ra 2016/18/0233). Die Schutzfähigkeit und -willigkeit der staatlichen Behörden ist grundsätzlich daran zu messen, ob im Heimatland wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung oder einen ernsthaften Schaden darstellen, vorhanden sind, ob die schutzsuchende Person Zugang zu diesem Schutz hat und ob sie unter Berücksichtigung ihrer besonderen Umstände in der Lage ist, an diesem staatlichen Schutz wirksam teilzuhaben (vgl. VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119).
Albanien gilt gemäß § 19 Abs 5 BFA-VG iVm § 1 Z 7 HStV als sicherer Herkunftsstaat, was für die Annahme einer grundsätzlich bestehenden staatlichen Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit der Behörden dieses Staates spricht. Hier gibt es keine Anhaltspunkte für eine Widerlegung der gesetzlichen Vermutung der grundsätzlich bestehenden staatlichen Schutzfähigkeit und -willigkeit der Behörden, die sich aus der Aufnahme eines Staates in die Liste sicherer Herkunftsstaaten ergibt. Es wurden keine spezifischen Umstände aufgezeigt, die dazu führen könnten, dass der vorhandene staatliche Schutz im Albanien, der trotz gewisser Probleme bei der Bekämpfung von Blutrachefehden jedenfalls als ausreichend anzusehen ist, zumal wirksame Beschwerde- und Rechtsschutzmöglichkeiten bei unangemessenen oder unzureichenden Reaktionen der Polizei existieren, gerade dem BF nicht zuteil werden würde. Trotz bestehender Mängel gibt es keine Hinweise darauf, dass dem BF in Albanien systematisch staatlicher Schutz vor Bedrohungen wie den geschilderten verweigert würde. Da er erwachsen und gesund ist, keiner besonders vulnerablen Personengruppe angehört und über Berufserfahrungen verfügt, ist nicht konkret zu befürchten, dass er an dem in Albanien grundsätzlich vorhandenen staatlichen Sicherheitssystem nicht wirksam teilhaben könnte (siehe dazu VwGH 30.10.2019, Ra 2019/14/0436 und 28.01.2020, Ra 2020/14/0014).
Im Ergebnis liegt daher keine relevante Sachverhaltsänderung vor; es ist vielmehr davon auszugehen, dass der BF nur deshalb neuerlich internationalen Schutz beantragt hat, um die unmittelbar bevorstehende Durchsetzung der Ende 2018 erlassenen aufenthaltsbeendenden Maßnahme zu verhindern.
Vor Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12 Abs 2 Z 3 AsylG eine Refoulement-Prüfung im weiteren Sinn und eine Interessenabwägung iSd Art 8 EMRK vorzunehmen. Das BFA ist hier zutreffend davon ausgegangen, dass die Abschiebung für den BF keine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 (Recht auf Leben), Art 3 (Verbot der Folter) oder Art 8 (Recht auf Privat- und Familienleben) EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK (Abschaffung der Todesstrafe) bedeutet und für ihn als Zivilperson auch keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringt. Weder in den vorangegangenen Verfahren noch in diesem Verfahren sind konkrete Anhaltspunkte für die Annahme einer solchen Gefahr hervorgekommen. Es liegen - insbesondere angesichts der stabilen Situation in Albanien, wo die Todesstrafe abgeschafft ist und kein bewaffneter Konflikt herrscht - auch unter Berücksichtigugn der aktuellen COVID-19-Pandemie keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der BF abweichend von dieser Einschätzung nunmehr durch die Rückkehr in seine Heimat doch dem realen Risiko einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre.
Auch zur Interessenabwägung iSd Art 8 EMRK ist auf die Entscheidung im Vorverfahren zu verweisen. Eine maßgebliche Änderung der für den Verbleib des BF in Österreich sprechenden Interessenlage, die zu einer anderen rechtlichen Beurteilung führen könnte, liegt nicht vor, sodass nach wie vor kein unverhältnismäßiger Eingriff in sein Privat- und Familienleben anzunehmen ist. Seine Anknüpfungen im Inland entstanden durchwegs zu einem Zeitpunkt, zu dem er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war, war ihr Gewicht entscheidend relativiert (§ 9 Abs 2 Z 8 BFA-VG). Im nunmehrigen Verfahren haben sich keine Anhaltspunkte für eine maßgebliche weitere soziale Verfestigung oder Integration ergeben, zumal nahe Angehörige des BF nach wie vor in Albanien leben und er ausreichende Bindungen zu seinem Herkunftsstaat (§ 9 Abs 2 Z 5 BFA-VG) hat.
Das BFA hat die bei der Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes einzuhaltenden Verfahrensschritte eingehalten und ist der ihm obliegenden Verpflichtung, ein Ermittlungsverfahren gemäß § 18 AsylG durchzuführen, ordnungsgemäß nachgekommen. Dem BF wurde Parteiengehör eingeräumt; es wurde ihm auch Gelegenheit zur Stellungnahme zu den wesentlichen Berichten zur allgemeinen Lage in Albanien gegeben. Im Ergebnis ist daher die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs 2 AsylG durch den mündlich verkündeten Bescheid des BFA festzustellen.
Erhebliche Rechtsfragen von der über den Einzelfall hinausgehenden, grundsätzlichen Bedeutung iSd Art 133 Abs 4 B-VG stellten sich nicht, weshalb die Revision an das Höchstgericht nicht zuzulassen ist.
Schlagworte
faktischer Abschiebeschutz - Aufhebung rechtmäßig Folgeantrag Interessenabwägung Pandemie VoraussetzungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G314.2231610.1.00Im RIS seit
10.09.2020Zuletzt aktualisiert am
10.09.2020