Entscheidungsdatum
23.07.2020Index
40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
VStG §49Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seine Richterin MMag.a Dr.in Besler über die Beschwerde der AA, geboren am xx.xx.xxxx, wohnhaft in Z, Adresse 1, vertreten durch BB, Rechtsanwälte in Z, Adresse 2, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Z vom 3.6.2020, ***, betreffend Übertretung nach dem COVID-19-Maßnahmengesetz, BGBl I Nr 12/2020, in der Fassung BGBl I Nr 23/2020, in Verbindung mit der COVID-19-Lockerungsverordnung, BGBl II Nr 197/2020, in der Fassung BGBl II Nr 299/2020,
zu Recht:
1. Der Beschwerde wird Folge gegeben und das Straferkenntnis behoben.
2. Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Verfahrensgang:
Mit dem nunmehr angefochtenen Straferkenntnis vom 3.6.2020 wies die belangte Behörde den Einspruch der Beschwerdeführerin gegen die Strafverfügung vom 18.5.2020 als unbegründet ab.
Dagegen richtet sich die fristgerechte und zulässige Beschwerde der Beschwerdeführerin an das Landesverwaltungsgericht Tirol (LVwG) mit dem Antrag, das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben. Sie führt im Wesentlichen ins Treffen, ihr Einspruch habe sich nicht bloß gegen die Strafhöhe, sondern gegen die Strafverfügung an sich gerichtet.
Beweis wurde aufgenommen durch Einsichtnahme in die Strafverfügung vom 18.5.2020, den Einspruch gegen diese Strafverfügung vom 1.6.2020, das angefochtene Straferkenntnis und die Beschwerde. Die Verhandlung entfällt, weil das angefochtene Straferkenntnis bereits auf Grund der Aktenlage aufzuheben ist (vgl § 44 Abs 2 VwGVG).
II. Sachverhalt:
Mit Strafverfügung vom 18.5.2020 erkannte die belangte Behörde die Beschwerdeführerin einer Übertretung nach dem COVID-19-Maßnahmengesetz, BGBl I Nr 12/2020, in der Fassung BGBl I Nr 23/2020, in Verbindung mit der COVID-19-Lockerungsverordnung, BGBl II Nr 197/2020, in der Fassung BGBl II Nr 299/2020, schuldig und verhängte über sie eine Geldstrafe in Höhe von EUR 150,00 (im Fall der Uneinbringlichkeit 14 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe). Der der Strafverfügung vom 18.5.2020 zu Grunde liegende Schuldspruch lautet Folgendermaßen:
„Tatzeit: 08.05.2020, 19.35 Uhr
Tatort: Gemeinde Y, auf Höhe Adresse 3
Sie haben zum angeführten Zeitpunkt den Weiher CC/Adresse 3 in Y einen öffentlichen Ort im Freien betreten und gegenüber anderen Personen, bei welchen es sich nicht um Personen, die mit Ihnen im gemeinsamen Haushalt leben, gehandelt hat, den Mindestabstand von einem Meter nicht eingehalten, obwohl aufgrund der COVID-19-Lockerungsverordnung - COVID-19-LV, BGBl II Nr 197/2020, in der Zeit vom 01.05.2020 bis 30.06.2020 beim Betreten öffentlicher Orte im Freien gegenüber Personen, die nicht im gemeinsamen Haushalt leben, ein Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten ist. Sie haben sich neben die anderen Personen ohne Mindestabstand gesessen.“
Gegen die Strafverfügung vom 18.5.2020 erhob die Beschwerdeführerin mit E-Mail vom 1.6.2020 rechtzeitig Einspruch. In diesem Einspruch führte die Beschwerdeführerin wörtlich wie folgt aus:
„Ich darf sehr höflich um Abänderung der Strafverfügung in eine Abmahnung bitten. Die Beamten der Polizei haben mich ohne vorige Abmahnung (wie in den Medien immer kommuniziert wurde) sofort mit einer Anzeige bestraft oder auch kein Organmandat an Ort und Stelle über mich verhängt. Nach der Aufforderung der Beamten war ich sofort einsichtig und habe den Mindestabstand zu den anderen Personen eingehalten. Nach Rücksprache mit dem Polizeiposten Z wurde ebenfalls die Auskunft gegeben, bei Nichteinhaltung der Abstandsregelung zuerst eine Mahnung auszusprechen. Ich befinde mich noch in Ausbildung (Gesundheits- und Krankenpflege) und die Strafe von € 150,00 bedeutet für mich eine hohe finanzielle Belastung. Ich hoffe sehr, dass Sie Verständnis für mein Anliegen aufbringen und bitte um eine positive Rückmeldung.
Daraufhin erließ die belangte Behörde das angefochtene Straferkenntnis vom 3.6.2020.
III. Beweiswürdigung:
Die getroffenen Feststellungen sind unstrittig.
IV. Rechtslage:
§ 49 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG), BGBl Nr 52/1991, in der Fassung BGBl I Nr 58/2018 lautet (auszugsweise):
„§ 49. (1) Der Beschuldigte kann gegen die Strafverfügung binnen zwei Wochen nach deren Zustellung Einspruch erheben und dabei die seiner Verteidigung dienlichen Beweismittel vorbringen. Der Einspruch kann auch mündlich erhoben werden. Er ist bei der Behörde einzubringen, die die Strafverfügung erlassen hat.
(2) Wenn der Einspruch rechtzeitig eingebracht und nicht binnen zwei Wochen zurückgezogen wird, ist das ordentliche Verfahren einzuleiten. Der Einspruch gilt als Rechtfertigung im Sinne des § 40. Wenn im Einspruch ausdrücklich nur das Ausmaß der verhängten Strafe oder die Entscheidung über die Kosten angefochten wird, dann hat die Behörde, die die Strafverfügung erlassen hat, darüber zu entscheiden. In allen anderen Fällen tritt durch den Einspruch, soweit er nicht binnen zwei Wochen zurückgezogen wird, die gesamte Strafverfügung außer Kraft. In dem auf Grund des Einspruches ergehenden Straferkenntnis darf keine höhere Strafe verhängt werden als in der Strafverfügung.
(3) Wenn ein Einspruch nicht oder nicht rechtzeitig erhoben oder zurückgezogen wird, ist die Strafverfügung zu vollstrecken.“
V. Erwägungen:
Aus § 49 Abs 2 VStG geht hervor, dass hinsichtlich der Rechtswirkungen eines zulässigen und rechtzeitigen Einspruches zu unterscheiden ist:
Wird im Einspruch ausdrücklich nur das Ausmaß der verhängten Strafe oder die Entscheidung über die Kosten angefochten, bleibt die angefochtene Strafverfügung in Kraft; die belangte Behörde hat in diesem Fall über den Einspruch zu entscheiden und die Strafverfügung allenfalls abzuändern. Gegenstand des Verfahrens ist der angefochtene Teil der Strafverfügung; die nicht angefochtenen Teile, insbesondere der Schuldspruch, werden rechtskräftig („Teilrechtskraft“).
In allen anderen Fällen – das heißt, wenn keine solche ausdrückliche Einschränkung erfolgt - tritt durch den Einspruch die gesamte Strafverfügung außer Kraft. Diese Rechtsfolge tritt schon durch die Einbringung des Einspruches ein. Es ist dann das ordentliche Verfahren einzuleiten. Ist der Einspruch begründet, gilt er als Rechtfertigung im Sinne des § 40 VStG.
Im vorliegenden Fall hat die nunmehrige Beschwerdeführerin rechtzeitig Einspruch erhoben.
Nunmehr ist folglich zu prüfen, ob sich der Einspruch der Beschwerdeführerin - wie von der belangten Behörde angenommen - tatsächlich ausschließlich gegen das Ausmaß der verhängten Strafe oder möglicherweise auch gegen den Schuldvorwurf gerichtet hat:
Bei der Ermittlung von Rechtsqualität und Inhalt eines Anbringens kommt es nach der Rechtsprechung nicht auf die Bezeichnung durch den Einschreiter, sondern auf den Inhalt der Eingabe, also auf das daraus erkenn- und erschließbare Ziel des Einschreiters an (vgl VwGH 26.02.2003, 2002/17/0279). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind Parteierklärungen ausschließlich nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen. Entscheidend ist, wie das Erklärte (vgl VwGH 28.01.2003, 2001/14/0229), also der Wortlaut des Anbringens unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszwecks und der Aktenlage objektiv verstanden werden muss (vgl VwGH 06.11.1994, 97/18/0160).
In ihrem Einspruch weist die Beschwerdeführerin darauf hin, dass in den Medien stets davon die Rede gewesen sei, dass zuerst abgemahnt, bevor gestraft werde. Sie ist zusammengefasst der Meinung die Polizisten hätten sie nicht anzeigen, sondern bloß abmahnen dürfen. Damit beantragt die Beschwerdeführerin eindeutig nicht nur eine Herabsetzung der verhängten Geldstrafe. Vielmehr vertritt sie die Auffassung, die Strafverfügung hätte gar nicht erlassen werden dürfen, weil sie abgemahnt werden hätte müssen.
Im Ergebnis hat sich der Einspruch der Beschwerdeführerin daher gegen den in der Strafverfügung der belangten Behörde enthaltenen Schuldvorwurf - und nicht bloß gegen das Ausmaß der verhängten Strafe - bezogen. Es liegt daher keinesfalls ein Einspruch im Sinne des § 49 Abs 2 dritter Satz VStG vor, sodass die belangte Behörde dadurch, dass sie ausschließlich über die Höhe der Strafe abgesprochen hat, eine ihr nicht zukommende Zuständigkeit wahrgenommen hat. Mit Einbringung des Einspruchs bei der belangten Behörde ist die Strafverfügung nämlich außer Kraft getreten.
Aufgrund des rechtzeitigen und zulässigen Einspruchs seitens der Beschwerdeführerin hätte die belangte Behörde das ordentliche Ermittlungsverfahren einleiten müssen.
VI. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die vorliegende Entscheidung orientiert sich an der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl VwGH 26.1.2007, 2006/02/0252). Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art 133 Abs 4 B-VG liegt daher nicht vor.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Soweit die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof in Wien für zulässig erklärt worden ist, kann innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung dieser Entscheidung eine ordentliche Revision erhoben werden. Im Fall der Nichtzulassung der ordentlichen Revision kann innerhalb dieser Frist nur die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden.
Wenn allerdings in einer Verwaltungsstrafsache oder in einer Finanzstrafsache eine Geldstrafe von bis zu Euro 750,00 und keine Freiheitsstrafe verhängt werden durfte und im Erkenntnis eine Geldstrafe von bis zu Euro 400,00 verhängt wurde, ist eine (ordentliche oder außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichthof wegen Verletzung in Rechten nicht zulässig.
Jedenfalls kann gegen diese Entscheidung binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, erhoben werden.
Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die (ordentliche oder außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.
Es besteht die Möglichkeit, für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof und für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof Verfahrenshilfe zu beantragen. Verfahrenshilfe ist zur Gänze oder zum Teil zu bewilligen, wenn die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten bzw wenn die zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel weder von der Partei noch von den an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.
Für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ist der Antrag auf Verfahrens-hilfe innerhalb der oben angeführten Frist beim Verfassungsgerichtshof einzubringen. Für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ist der Antrag auf Verfahrenshilfe innerhalb der oben angeführten Frist im Fall der Zulassung der ordentlichen Revision beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen. Im Fall der Nichtzulassung der ordentlichen Revision ist der Antrag auf Verfahrenshilfe beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen. Dabei ist im Antrag an den Verwaltungsgerichtshof, soweit dies dem Antragsteller zumutbar ist, kurz zu begründen, warum entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.
Zudem besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.
Landesverwaltungsgericht Tirol
MMag.a Dr.in Besler
(Richterin)
Schlagworte
Einspruch gegen Strafverfügung;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGTI:2020:LVwG.2020.34.1493.1Zuletzt aktualisiert am
09.09.2020