Entscheidungsdatum
24.04.2020Norm
AsylG 2005 §9 Abs2Spruch
W245 2172251-1/36E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. Bernhard SCHILDBERGER, LL.M. als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.08.2017, Zahl: XXXX :
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG als unzulässig zurückgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
I.1. Der zum damaligen Zeitpunkt minderjährige Beschwerdeführer (in der Folge auch „BF“), ein afghanischer Staatsbürger, reiste illegal ins österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 18.06.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
I.2. Am 20.06.2015 erfolgte die Erstbefragung des BF durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Am 06.07.2015 wurde der BF vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge auch „belangte Behörde“ oder „bB“) einvernommen.
I.3. Mit Verfahrensanordnung vom 30.03.2016 setzte die bB das Geburtsdatum des BF unter Verweis auf das medizinische Sachverständigengutachten von XXXX vom 21.03.2016, mit XXXX fest.
I.4. Am 07.07.2016 wurde der nunmehr volljährige BF erneut von der bB einvernommen.
I.5. Mit Bescheid vom 25.10.2016 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 18.06.2015 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 25.10.2017 erteilt (Spruchpunkt III.).
I.6. Der Bescheid erwuchs - mangels Erhebung eines Rechtsmittels - in Rechtskraft.
I.7. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 19.04.2017, GZ: XXXX , wurde der BF wegen des versuchten Verbrechens der absichtlich schweren Körperverletzung nach § 15 § 87 Abs. 1 StGB unter Anwendung des § 19 Abs. 1 iVm § 5 Z 4 JGG zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten verurteilt, wobei 16 Monate der verhängten Strafe für eine Probezeit von drei Jahren, mit der Weisung, sich einer psychiatrischen Behandlung zu unterziehen und den Nachweis alle drei Monate unaufgefordert dem Gericht zu überbringen, bedingt nachgesehen wurden.
I.8. Mit Schreiben vom 27.07.2017 wurde der BF von der bB verständigt, dass ein Aberkennungsverfahren im Hinblick auf den subsidiären Schutzstatus des BF eingeleitet werde. Der BF wurde gleichzeitig zur Beantwortung mehrerer Fragen und Vorlage entsprechender Belege aufgefordert, um den Sachverhalt im Lichte seiner persönlichen Verhältnisse beurteilen zu können.
I.9. Dieser Aufforderung kam der BF am 10.08.2017 nach.
I.10. Mit dem im Spruch genannten Bescheid vom 18.08.2017 wurde der dem BF mit Bescheid vom 25.10.2016 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und ihm die erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II.). Die Zurückweisung, Zurückschiebung und Abschiebung des BF aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan wurde gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 für unzulässig erklärt (Spruchpunkt III.). Schließlich wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt.
Mit Zustellverfügung ordnete die belangte Behörde die Zustellung dieses Bescheides ausschließlich an den BF als Empfänger (Adressaten) an.
I.11. Mit Verfahrensanordnung vom 21.08.2017 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG XXXX , als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.
I.12. Am 08.09.2017 wurde der Bescheid dem BF zugestellt.
I.13. Gegen den Bescheid der bB richtete sich die am 28.09.2017 fristgerecht erhobene Beschwerde.
I.14. Am 28.09.2017 erteilte der BF dem XXXX Vollmacht.
I.15. Die gegenständliche Beschwerde und der bezugshabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge auch „BVwG“) am 03.10.2017 von der bB vorgelegt.
I.16. Am 02.08.2018 erteilte der BF der Diakonie-Flüchtlingsdienst gem. GmbH Vollmacht.
I.17. Mit Schreiben vom 20.07.2018 wurde die Bestellung eines Sachwalters (nunmehr Erwachsenenvertreter) für den BF beim Bezirksgericht Baden beantragt.
I.18. Mit Schreiben vom 03.10.2018 erstattete der BF im Wege seiner Vertretung eine Beschwerdeergänzung.
I.19. Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 24.10.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF im Beisein seines bevollmächtigten Vertreters persönlich teilnahm. Ein Vertreter der bB nahm an der Verhandlung nicht teil.
I.20. Mit Beschluss des Bezirksgericht Baden vom 08.11.2018, XXXX , wurde mit sofortiger Wirkung nach dem AußStrG zum Rechtsbeistand im Verfahren, in dem die Notwendigkeit der Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters/einer gerichtlich Erwachsenenvertreterin geprüft wird sowie zur Besorgung folgender dringender Angelegenheiten: Vertretung vor Gerichten, Behörden, Sozialversicherungsträgern, insbesondere auch im Aberkennungsverfahren, XXXX als Erwachsenenvertreter des BF bestellt.
I.21. Mit Urteil des Landesgericht Wiener Neustadt vom 28.02.2019, GZ: XXXX , wurde der BF wegen des versuchten Verbrechens der absichtlich schweren Körperverletzung nach § 15 § 87 Abs. 1 StGB verurteilt. Gemäß § 21 Abs. 1 StGB wurde er in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.
I.22. Mit Bestellungsurkunde des Bezirksgerichts Steyr vom 21.10.2019, XXXX , wurde RA Mag. Thomas LOOS gemäß § 271 ABGB zum gerichtlichen Erwachsenenvertreter des BF bestellt. Der Erwachsenenvertreter hat gemäß § 272 ABGB die Vertretung des BF in dessen Aberkennungsverfahren zu besorgen. Mit Schreiben vom 21.11.2019 wurde das Bundesverwaltungsgericht davon in Kenntnis gesetzt.
I.23. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 31.01.2020 wurde XXXX , Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie, gemäß § 52 Abs. 2 AVG iVm § 17 VwGVG als Sachverständige aus dem Fachgebiet Psychiatrie und Neurologie im gegenständlichen Verfahren bestellt und dieser aufgetragen, ein schriftliches Gutachten unter Berücksichtigung der beigelegten ärztlichen Untersuchungsberichte (Befunde, Diagnosen und notwendigen Behandlungen und Medikamenten) zu erstatten.
I.24. Am 27.02.2020 langte das psychiatrische Gutachten von XXXX , Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie, vom 25.02.2020, beim Bundesverwaltungsgericht ein. Der bB, dem BF bzw. dessen Erwachsenenvertreter wurde Parteiengehör eingeräumt. Von den Parteien wurde eine Stellungnahme zum Gutachten nicht erstattet.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest.
II.1.1. Zum Verfahrensgang:
Der unter Punkt … dargestellte Verfahrensgang wird festgestellt und der Entscheidung zu Grunde gelegt.
II.1.2. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der BF führt den Namen XXXX (alias XXXX ), geboren am XXXX , ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam.
II.1.3. Zum Gesundheitszustand des BF:
Der BF leidet an paranoider Schizophrenie.
Mit Beschluss des Bezirksgericht Baden vom 08.11.2018, XXXX , wurde mit sofortiger Wirkung nach dem AußStrG zum Rechtsbeistand im Verfahren, in dem die Notwendigkeit der Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters/einer gerichtlich Erwachsenenvertreterin geprüft wird sowie zur Besorgung folgender dringender Angelegenheiten: Vertretung vor Gerichten, Behörden, Sozialversicherungsträgern, insbesondere auch im Aberkennungsverfahren, XXXX als Erwachsenenvertreter des BF bestellt.
Mit Bestellungsurkunde des Bezirksgerichts Steyr vom 21.10.2019, XXXX , wurde XXXX gemäß § 271 ABGB zum gerichtlichen Erwachsenenvertreter des BF bestellt. Der Erwachsenenvertreter hat gemäß § 272 ABGB die Vertretung des BF in dessen Aberkennungsverfahren zu besorgen.
Aufgrund der Negativsymptomatik und zusätzlich flüchtig auftretender psychotischer Symptome im Rahmen seiner paranoiden Schizophrenie konnte der BF jedenfalls seit Juli 2017 die Bedeutung und die Tragweite seiner Handlungen und des Verfahrens über die Aberkennung des subsidiären Schutzes und der prozessualen Vorgänge nicht erkennen und diese nicht verstehen.
Er ist nicht in der Lage, sich den Anforderungen eines Aberkennungsverfahrens entsprechend zu verhalten. Dies ist auch zukünftig nicht zu erwarten.
II.2. Beweiswürdigung:
Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt sowie in den Gerichtsakt, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid der bB, der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG (in der Folge kurz „Verhandlungsprotokoll“ bezeichnet), der im Verfahren vorgelegten Dokumente, dem eingeholten Sachverständigengutachten sowie durch Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister und das Grundversorgungs-Informationssystem. Die Feststellungen basieren auf den in den Klammern angeführten Beweismitteln.
II.2.1. Zum Verfahrensgang:
Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der bB und des Gerichtsaktes des BVwG.
II.2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zur Identität (Name und Geburtsdatum) des BF ergeben sich aus seinen Angaben vor der bB, in der Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG (vgl. Verhandlungsprotokoll, Seite 11). Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität des BF getroffen wurden, gelten diese ausschließlich für die Identifizierung der Person des BF im Asylverfahren, da seine Identität – mangels Vorlage unbedenklicher Identitätsdokumente oder anderer relevanter Bescheinigungsmittel – nicht abschließend geklärt werden konnte.
II.2.3. Zum Gesundheitszustand des BF:
Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF ergeben sich aus dem eingeholten psychiatrischen Gutachten von XXXX , Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie, vom 25.02.2020 und insbesondere den im Verfahren vorgelegten Unterlagen (Klientenkarte, AS 145; Entlassungsbericht des Landesklinikums Baden-Mödling nach stationärer Aufenthaltsdauer vom 09.07.2015 – 25.09.2015, AS 297-305; Kurzarztbriefe des Landesklinikum Mödling vom 09.12.2015 und 21.01.2016, AS 307 und 309-311; Landesklinikum Baden-Mödling: Ambulanzbefund vom 25.01.2016, AS 313-315; dem medizinischen Sachverständigengutachten zur Volljährigkeitsbeurteilung von XXXX vom 21.03.2016 [vgl. etwa Seite 4]; Bericht einer Untersuchung des BF in der Psychiatrie in der Justizanstalt Hirtenberg vom 13.09.2017, AS 137; Ärztlicher Befundbericht von XXXX vom 03.04.2018, OZ 7; Ärztlicher Entlassungsbericht des Landesklinikum Baden vom 19.07.2018, OZ 7; Kurzarztbrief des Landesklinikums Mauer vom 13.07.2018, OZ 7; Aufenthaltsbestätigung des Landesklinikums Mauer vom 13.07.2018; OZ 7; Situationsbericht des Diakonie Flüchtlingsdienst vom 19.07.2018; OZ 7; Anregung der Bestellung eines Erwachsenenvertreters durch den Diakonie Flüchtlingsdienst vom 20.07.2018, OZ 7; Ergänzung des Situationsbericht des Diakonie Flüchtlingsdienst vom 24.07.2018, OZ 7; Nervenärztlicher Befundbericht von XXXX , Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, vom 13.09.2018; Vorausgutachten von XXXX vom 19.10.2018; Situationsbericht des Diakonie Flüchtlingsdiensts vom 21.09.2018; Gutachten von XXXX vom 23.10.2018; Gutachten von XXXX vom 26.11.2018; Psychiatrischer Befund und Gutachten von XXXX vom 24.01.2019) sowie aus den Einvernahmen zum Gesundheitszustand (Niederschrift vom 07.07.2016, AS 281-295; Verhandlungsprotokoll vom 24.10.2018; OZ 18).
Dem psychiatrischen Gutachten von XXXX , Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie, vom 25.02.2020 ist zu entnehmen, dass aufgrund der vorliegenden Befunde und Untersuchungsberichte (siehe oben) eine Erkrankung des BF an einer paranoiden Schizophrenie als gesichert anzunehmen ist (psychiatrisches Gutachten von XXXX , Seite 2). Nachdem das Gutachten vollständig, in sich schlüssig und widerspruchsfrei ist, konnte auf Grundlage dessen, zweifelsfrei die Feststellung zum Gesundheitszustand des BF getroffen werden. Auch wurde dies von den Parteien nicht substantiiert bestritten (siehe Punkt Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden.).
Hinsichtlich des Erkrankungszeitpunktes des BF und dem Verlauf der Erkrankung, wird im Gutachten näher ausgeführt, dass es im Fall des BF bereits erstmals im Juni/Juli 2015 im Alter von 15 Jahren zum Auftreten einer akut psychotischen Episode gekommen ist (Gutachten von XXXX , Seite 5). Die Verlaufsformen der Erkrankung seien individuell unterschiedlich, es könne aber jedenfalls davon ausgegangen werden, dass die Dauer der Erkrankung eine Negativsymptomatik persistiert, die im Regelfall zu beträchtlichen Schwierigkeiten in der Alltagsbewältigung führt, weshalb die Aufrechterhaltung einer geregelten Tagesstruktur häufig nur von extern gelinge. Vor Ausbruch der eigentlichen Erkrankung gehe man davon aus, dass eine bis zu fünf Jahre dauernde Prodromalphase vorliegt (Gutachten von XXXX , Seite 4 f). Nebenwirkungen von Medikamenten, die teils beträchtlich und unangenehm seien, würden nicht die Compliance zur regelmäßigen Einnahme der Medikation führen, sondern im Gegenteil, häufig zur Absetzung der Medikation (Gutachten von XXXX , Seite 6). Es gebe bisher keine Medikamente, die auf die Negativsymptomatik einen positiven Effekt hätten, lediglich einige Medikament, würde eine weniger ausgeprägte Verstärkung der Negativsymptomatik attestiert werden (Gutachten von XXXX , Seite 7). Die Gutachterin folgerte daraus, dass der BF aufgrund der Negativsymptomatik und zusätzlich flüchtig auftretender psychotischer Symptome im Rahmen seiner paranoiden Schizophrenie bei der schriftlichen Beweisaufnahme durch die bB im Juli 2017 und der Zustellung des Bescheides der bB am 08.09.2017 und bei der Erteilung der Vollmacht für den XXXX am 28.09.2017 die Bedeutung und die Tragweite seiner Handlungen und des Verfahrens über die Aberkennung des subsidiären Schutzes und der prozessualen Vorgänge nicht zu erkennen und zu verstehen vermochte und nicht in der Lage gewesen sei, sich den Anforderungen eines derartigen Verfahrens entsprechend zu verhalten (Gutachten von XXXX , Seite 8 f). Aufgrund der in sich schlüssigen und substantiierten Ausführungen der Gutachterin konnte daher zu der Feststellung gelangt werden, dass der Beschwerdeführer aufgrund der Negativsymptomatik und zusätzlich flüchtig auftretender psychotischer Symptome im Rahmen seiner paranoiden Schizophrenie seit Juli 2017 die Bedeutung und die Tragweite seiner Handlungen und des Verfahrens über die Aberkennung des subsidiären Schutzes und der prozessualen Vorgänge nicht erkennen und diese nicht verstehen konnte und nicht in der Lage gewesen ist, sich den Anforderungen eines derartigen Verfahrens entsprechend zu verhalten.
Dafür, dass der BF nicht in der Lage ist, sich den Anforderungen eines Aberkennungsverfahrens entsprechend zu verhalten, und dies auch zukünftig nicht zu erwarten ist, sprechen auch die Ausführungen der Gutachterin dahingehend, dass der BF auf sich alleine gestellt krankheitsbedingt nicht fähig sei, für sich selbst ausreichende Pflege, Betreuung und medizinische Behandlung zu organisieren. Ebenso ist die Entscheidungsfähigkeit für die Bestimmung des Wohnortes unzureichend gegeben (Gutachten von XXXX , Seite 10). Es ist außerdem mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass es der BF auf sich alleine gestellt nicht schaffen werde, sich einer einschlägigen adäquaten Behandlung zu unterziehen. Weitere psychotische Exacerbationen seien daher zu erwarten (Gutachten von XXXX , Seite 11). Ohne fremde Hilfe ist der BF auch nicht in der Lage, sich selbstständig Arbeit, Unterkunft, Verpflegung und medizinische Betreuung zu verschaffen oder sich in einer fremden Stadt zu orientieren. Im Falle einer Abschiebung nach Afghanistan in eine völlig fremde Umgebung sei er noch weniger dazu in der Lage (Gutachten von XXXX , Seite 11). Jedenfalls sei auch davon auszugehen, dass der BF auch nach Abklingen der akut psychotischen Episode in seiner Wahrnehmungsfähigkeit, Erinnerungsfähigkeit und Wiedergabefähigkeit beeinträchtigt ist. Die Einschränkungen der Erinnerungsfähigkeit sind ebenfalls einerseits durch die kognitiven Beeinträchtigungen mit verminderter Aufmerksamkeit, Konzentrationsfähigkeit, eventuell auftretendem psychotischen Erleben mit Realitätsstörung und andererseits sicherlich auch durch die Nebenwirkungen der Medikamente verursacht (Gutachten von XXXX , Seite 12).
Vor diesem Hintergrund konnte unzweifelhaft die Feststellungen getroffen werden.
II.3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.
Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Mangels materienspezifischer Sonderregelung besteht somit gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles sowie andere näher genannte (im vorliegenden Fall nicht relevante) Gesetze und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
Die Zulässigkeit einer Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG setzt einen tauglichen Anfechtungsgegenstand, somit die Erlassung (rechtliche Existenz) eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde voraus.
II.3.1. Zu A) Zurückweisung der Beschwerde:
II.3.1.1. Zur Rechtslage im gegenständlichen Beschwerdeverfahrens:
Die Erlassung eines - wie hier - schriftlichen Bescheides hat durch rechtswirksame Zustellung bzw. Ausfolgung zu erfolgen.
Verfahrensakte, wie etwa Zustellungen, gegen prozessunfähige Personen sind unwirksam. Mangelt es einem Adressaten einer Verfahrenshandlung (insbesondere auch eines Bescheides) in Bezug auf den Verfahrensgegenstand an der Prozessfähigkeit, so geht die Verfahrenshandlung insofern ins Leere, als sie diesem Adressaten gegenüber keinerlei Rechtswirkungen entfaltet. Die Behörde kann diesfalls Verfahrenshandlungen rechtswirksam nur gegenüber dem gesetzlichen Vertreter (etwa einem Sachwalter [nunmehr Erwachsenenvertreter]) setzen (vgl. etwa VwGH 25.02.2016, Ra 2016/19/0007, mwN sowie die in Hengstschläger/Leeb, AVG I2, unter Rz 5 f zu § 9 AVG wiedergegebene weitere Judikatur).
II.3.1.2. Vor diesem Hintergrund ist im vorliegenden Fall Folgendes auszuführen:
Die - nur an den BF als Zustellungsempfänger verfügte und erfolgte - Zustellung des angefochtenen Bescheides wäre nur dann rechtswirksam - und der angefochtene Bescheid damit erlassen (rechtlich existent) -, wenn der BF im Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides am 08.09.2017 prozessfähig gewesen wäre. Davon kann aus folgenden Gründen nicht ausgegangen werden.
Insoweit die persönliche Rechts- und Handlungsfähigkeit von Beteiligten (hier: des BF) in Frage kommt, ist diese gemäß § 9 AVG, soweit in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen. Einen Mangel der Prozessfähigkeit ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen (VwGH 21.05.2019, Ra 2019/03/0037).
Der Beschluss über die Bestellung eines Sachwalters (nunmehr Erwachsenenvertreters) führt ab seiner Erlassung - innerhalb des Wirkungskreises des Sachwalters - zur eingeschränkten Geschäfts- und Handlungsfähigkeit des Betroffenen und wirkt insofern konstitutiv, als ab seiner Wirksamkeit die Prozessfähigkeit und Handlungsfähigkeit im dort umschriebenen Ausmaß keinesfalls mehr gegeben ist (vgl. etwa VwGH 22.06.2016, Ra 2016/03/0064; VwGH 20.12.2016, Ra 2015/01/0162; VwGH 27.10.2014, Ra 2014/02/0107, mwH). Für die Zeit davor ist erforderlichenfalls zu prüfen, ob der Betroffene schon damals nicht mehr prozessfähig gewesen ist und somit nicht mehr in der Lage war, Bedeutung und Tragweite der Verfahren und der sich in diesen ereignenden prozessualen Vorgänge zu erkennen, zu verstehen und sich den Anforderungen derartiger Verfahren entsprechend zu verhalten (zur Prüfungsbefugnis der Prozessfähigkeit für die Zeit vor Erlassung des im Sachwalterverfahren ergangenen gerichtlichen Bestellungsbeschlusses vgl. zB VwGH 30.03.2017, Ra 2016/07/0084; VwGH 16.05.2000, 98/14/0225, mwN; ebenso VwGH 25.03.1999, 98/06/0141).
Im vorliegenden Fall wurde erstmals mit bezirksgerichtlichem Beschluss vom 08.11.2018, XXXX , nach dem AußStrG für den BF ein Erwachsenenvertreter zum Rechtsbeistand im Verfahren, in dem die Notwendigkeit der Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters/einer gerichtlich Erwachsenenvertreterin geprüft wird sowie zur Besorgung folgender dringender Angelegenheiten: Vertretung vor Gerichten, Behörden, Sozialversicherungsträgern, insbesondere auch im Aberkennungsverfahren, bestellt. Vor diesem Hintergrund ist die Prozess- und Handlungsfähigkeit des BF ab diesem Zeitpunkt im verfahrensgegenständlichen Aberkennungsverfahren jedenfalls nicht mehr gegeben gewesen. Mit bezirksgerichtlicher Bestellungsurkunde vom 21.10.2019, 1 P 127/19 g, wurde dann schließlich gemäß § 271 ABGB ein gerichtlicher Erwachsenenvertreter des BF bestellt. Wie dem Beschluss zu entnehmen ist, hat der Erwachsenenvertreter gemäß § 272 ABGB ausdrücklich die Vertretung des BF in dessen Aberkennungsverfahren zu besorgen.
Hinsichtlich der Frage der wirksamen Zustellung des angefochtenen Bescheides ist zu prüfen, ob der BF als Bescheidadressat bzw. im Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides (08.09.2017) im angeführten Sinn prozessfähig war.
Angesichts des oben dargelegten, auf einer Befundung durch eine psychiatrische Sachverständige beruhenden Zustandsbildes des BF, dem zufolge beim BF eine paranoide Schizophrenie besteht und er aufgrund der Negativsymptomatik und zusätzlich flüchtig auftretender psychotischer Symptome die Bedeutung und die Tragweite seiner Handlungen und des Verfahrens über die Aberkennung des subsidiären Schutzes und der prozessualen Vorgänge jedenfalls seit Juli 2017 nicht erkennen und diese nicht verstehen konnte und weiterhin zu befürchten ist, dass der BF in seiner Wahrnehmungsfähigkeit, Erinnerungsfähigkeit und Wiedergabefähigkeit beeinträchtigt ist, die Anforderungen eines Aberkennungsverfahrens von subsidiären Schutz zu erfüllen, geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass der BF im Zeitpunkt des Zustellvorganges betreffend den angefochtenen Bescheid im September 2017 nicht prozessfähig war. Der BF trat dem vom Sachverständigen beschriebenen Zustandsbild nicht entgegen und brachte im Übrigen auch keine konkreten, überzeugenden Umstände vor, die gegen die Richtigkeit der gerichtlichen Bestellung eines Erwachsenenvertreters sprechen.
Vor diesem Hintergrund vermochte die von der belangten Behörde vorgenommene Zustellung des angefochtenen Bescheides an den prozessual handlungsunfähigen BF keine Rechtswirkungen auszulösen (vgl. etwa VwGH 25.02.2016, Ra 2016/19/0007, mwN).
Es wurde auch nicht behauptet und ist auch sonst nicht ersichtlich geworden, dass der angefochtene Bescheid dadurch wirksam erlassen worden wäre, dass er etwa einem gewillkürten Vertreter des BF zugestellt worden wäre (wobei sich aus den Ausführungen der psychiatrischen Sachverständigen überdies ergibt, dass der BF nicht in der Lage war, Vollmachten zu erteilen, die Bestellung eines gewillkürten Vertreters die Prozessfähigkeit aber voraussetzt).
Das Bundesverwaltungsgericht gelangt daher zum Ergebnis, dass der angefochtene Bescheid nicht rechtswirksam erlassen (rechtlich existent) wurde. Die Beschwerde war daher schon deshalb (ungeachtet allfälliger weiterer die Unzulässigkeit der Beschwerde bewirkender Mängel, etwa der Vollmacht oder der Genehmigung durch den gesetzlichen bzw. gerichtlichen Vertreter) mangels eines tauglichen Anfechtungsgegenstandes als unzulässig zurückzuweisen (vgl. etwa VwGH 27.04.2011, 2008/23/1027, dessen diesbezügliche Aussagen auch für das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten gelten).
Der Vollständigkeit halber ist noch auf Folgendes hinzuweisen: Die Frage der Prozessfähigkeit ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als Vorfrage (iSd § 38 AVG) zu beurteilen. Muss die Behörde von Amts wegen oder auf Grund eines eingebrachten Antrages gegen einen Prozessunfähigen, der eines gesetzlichen Vertreters entbehrt, eine Amtshandlung vornehmen, so muss sie einen Kurator (etwa einen Sachwalter [nunmehr Erwachsenenvertreter]) bestellen lassen. Im Fall der Anhängigkeit eines Verfahrens zur Vorfrage steht es im Ermessen der Behörde, das Verfahren auszusetzen oder selbst die Vorfrage zu beurteilen.
II.3.2. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, weil die Beschwerde zurückzuweisen war.
II.3.3. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlichen Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen (siehe dazu insbesondere die unter A) zitierte Judikatur). Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zum Teil zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich weitestgehend gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten Bescheiderlassung Bescheidwirkung Handlungsfähigkeit Prozessfähigkeit psychische Erkrankung Rechtsbeistand Sachwalter Zustellung ZustellwirkungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W245.2172251.1.01Im RIS seit
09.09.2020Zuletzt aktualisiert am
09.09.2020