Entscheidungsdatum
24.06.2020Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
W265 2230652-1/6E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Karin RETTENHABER-LAGLER als Vorsitzende und die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Steiermark, vom 17.03.2020, betreffend die Abweisung des Antrages auf Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) in Form des Ersatzes des Verdienstentganges beschlossen:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Sozialministeriumservice zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang
Die Beschwerdeführerin stellte am 28.03.2019 und am 10.02.2020 beim Sozialministeriumservice (im Folgenden auch als belangte Behörde bezeichnet), einen Antrag auf Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) in Form von Zuschüssen zu verbrechensbedingt notwendigen psychotherapeutischen Behandlungen für die Dauer der verbrechensbedingten Notwendigkeit, in Form der Übernahme der für verbrechensbedingte Schädigung zu entrichtenden gesetz- und satzungsmäßigen Kostenbeteiligungen einschließlich Rezeptgebühren im Rahmen der Heilfürsorge, in Form der Pauschalentschädigung für Schmerzengeld sowie in Form von Ersatz des Verdienstentganges. Darin wurde zusammengefasst ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin mehrfacher Vergewaltigung, fortgesetzter Gewaltausübung und schwerer Nötigung ausgesetzt gewesen sei, wofür der Täter mit Urteil des XXXX zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden sei. Die Beschwerdeführerin legte mit dem Antrag neben dem strafgerichtlichen Urteil u.a. einen Arztbrief vom 14.03.2019 vor, worin eine rezidivierende depressive Störung und eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert wurden. Weiters wurde eine Bestätigung der psychotherapeutischen Behandlung, wonach sich die Beschwerdeführerin seit 26.06.2018 in Behandlung befinde, und eine Bestätigung der Arbeitsunfähigkeit/Krankenstand seit 31.07.2018 vorgelegt. Darüber hinaus legte die Beschwerdeführerin ein Konvolut an Rezeptgebührenbestätigungen und Aufenthaltsbestätigungen in einer Krankenanstalt sowie in Gesundheitseinrichtungen vor.
Die belangte Behörde holte daraufhin weitere Unterlagen und zwar beim Landesgericht für XXXX , beim Landeskrankenhaus XXXX , beim Gesundheitsresort XXXX , beim Kurzentrum XXXX , beim ehemaligen Arbeitgeber der Beschwerdeführerin sowie bei der Psychotherapeutin der Beschwerdeführerin ein.
Einem von der belangten Behörde eingeholten Sozialversicherungsdatenauszug ist zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin bis zum 31.07.2018 als Arbeiterin in Beschäftigung stand, von 01.08.2018 bis 25.08.2018 Urlaubsersatzleistung, von 26.08.2018 bis 31.03.2019 Krankengeld und seit 01.04.2019 Rehabgeld bezieht.
Mit Auftragsschreiben vom 11.09.2019 an den ärztlichen Dienst im Haus der belangten Behörde holte diese ein Sachverständigengutachten zur Beurteilung der Ansprüche nach dem Verbrechensopfergesetz ein. Die belangte Behörde stellte darin Fragen betreffend die Kausalität der Gesundheitsschädigungen der Beschwerdeführerin.
In dem daraufhin erstatteten psychiatrischen Sachverständigengutachten vom 21.10.2018 kam die Sachverständige zum Ergebnis, dass die Beschwerdeführerin verbrechensbedingt an einer posttraumatischen Belastungsstörung F43.1 nach ICD-10 leide, welche infolge der länger als drei monatigen Dauer einer schwere Körperverletzung iSd § 84 StGB darstelle und die Beschwerdeführerin bis auf weiteres, mindestens jedoch für 50 Stunden Psychotherapie benötige.
Mit Schreiben vom 13.01.2020 brachte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zur Kenntnis und räumte ihr die Möglichkeit einer Stellungnahme ein. Darin führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass beabsichtigt sei, die Hilfeleistung in Form von Zuschüssen zu verbrechensbedingt notwendigen psychotherapeutischen Behandlungen gemäß § 1 Abs. 1, § 2 Z 2 und § 4 VOG für die Dauer der verbrechensbedingten Notwendigkeit, die Hilfeleistung in Form der Übernahme der für verbrechensbedingte Schädigungen zu entrichtenden gesetz- und satzungsmäßigen Kostenbeteiligungen einschließlich Rezeptgebühren im Rahmen der Heilfürsorge gemäß § 1 Abs. 1, § 2 Z 2 und § 4 Abs. 1 und 2 letzter Satz VOG grundsätzlich und die Hilfeleistung in Form der Pauschalentschädigung für Schmerzengeld gemäß § 1 Abs. 1, § 2 Z 10 iVm § 6a Abs. 1 2. Halbsatz VOG in Höhe von EUR 4.000,- zu bewilligen, die Hilfeleistung in Form des Ersatzes von Verdienstentgang gemäß § 1 Abs. 3, § 2 Z 1 iVm § 3 VOG jedoch abzuweisen. Das Dienstverhältnis bei der Firma XXXX sei aus akausalen Gründen einvernehmlich gelöst worden, da das Tätigkeitsfeld der Beschwerdeführerin mit Ende Juni 2018 weggefallen sei. Die Beendigung stehe damit in keinem Zusammenhang mit den Vorfällen von August 2017 bis 09.08.2018, weshalb der Antrag auf Ersatz des Verdienstentganges abzuweisen sei.
Die Beschwerdeführerin brachte daraufhin in ihrer Stellungnahme vom 10.02.2020 betreffend die beabsichtigte Abweisung des Antrages auf Ersatz des Verdienstentganges vor, dass sie sicherlich recht schnell wieder eine adäquate Arbeit mit einem ähnlichen Verdienst gefunden hätte, wäre sie nicht durch diesen Vorfall gesundheitlich derart geschädigt worden. Durch das strafbare Verhalten ihres Exmannes sei sie ab 10.08.2018 bis jetzt ständig im Krankenstand gewesen. Seit 01.04.2019 beziehe sie Rehabgeld, was jedoch deutlich geringer sei, als ein Verdienst aus unselbständiger Vollzeitarbeit.
Mit angefochtenem Bescheid vom 17.03.2020 gab die belangte Behörde den Anträgen der Beschwerdeführerin vom 28.03.2019 und vom 10.02.2020 betreffend die Hilfeleistung in Form von Zuschüssen zu verbrechensbedingt notwendigen psychotherapeutischen Behandlungen (Spruchpunkt 1.), die Hilfeleistung in Form der Übernehme der für verbrechensbedingte Schädigungen zu entrichtenden gesetz- und satzungsmäßigen Kostenbeteiligungen einschließlich Rezeptgebühren (Spruchpunkt 2.) und die Hilfeleistung in Form der Pauschalentschädigung für Schmerzengeld in Höhe von EUR 4.000,- (Spruchpunkt 3.) statt, erkannte die entsprechenden Beträge zu und wies in Spruchpunkt 4. die Hilfeleistung in Form des Ersatzes von Verdienstentgang ab.
Die belangte Behörde begründete die Abweisung des Antrages auf Ersatz des Verdienstentganges wie bereits im Parteiengehör vom 13.01.2020 und führte zu den erhobenen Einwendungen der Beschwerdeführerin in der Bescheidbegründung aus, dass diese nicht geeignet gewesen wären, vom Ermittlungsergebnis abzugehen, da das Ende ihres Dienstverhältnisses, wie bereits festgehalten, in keinem Zusammenhang mit den Vorfällen von August 2017 bis 09.08.2018 stehen würde. Da sie darüber hinaus auch keinen anderen Arbeitsplatz fix in Aussicht gehabt hätte, den sie verbrechensbedingt nicht antreten hätte können, sei ein Anspruch auf einen Ersatz des Verdienstentganges nicht gegeben. Eine möglicherweise kausal erschwerte Jobsuche sei nicht anspruchsbegründend.
Mit Schreiben vom 14.04.2020, einlangend bei der belangten Behörde am 21.04.2020, erhob die Beschwerdeführerin das Rechtsmittel der Beschwerde und führte darin im Wesentlichen ebenfalls aus wie bereits in ihrer Stellungnahme vom 10.02.2020 im Rahmen des Parteiengehörs. Darüber hinaus gab sie an, bis heute nicht arbeitsfähig zu sein, weshalb es sich nicht um eine „möglicherweise erschwerte Jobsuche“ handle. Zur Abklärung, welcher Verdienstentgang ihr zustehen würde, ersuche sie entweder von ihrem vorherigen Einkommen auszugehen oder durch ein arbeitsrechtliches Gutachten festzustellen, welches Einkommen sie aufgrund ihrer Ausbildung und ihren bisherigen Tätigkeiten am Arbeitsmarkt voraussichtlich hätte erzielen können. Da sie keine Kinder mehr zu versorgen habe und auch sonst keine medizinischen Einschränkungen gegeben gewesen wären, sei auf jeden Fall von einer normalen Vollbeschäftigung auszugehen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 9d Abs. 1 VOG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide nach diesem Bundesgesetz durch einen Senat, dem ein fachkundiger Laienrichter angehört. Gegenständlich liegt daher Senatszuständigkeit mit Laienrichterbeteiligung vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu A)
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Nach § 28 Abs. 2 leg.cit. hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Das Modell der Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren, 2013, § 28 VwGVG, Anm. 11).
§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet (vgl. auch VwGH 30.06.2015, Ra 2014/03/0054):
* Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht kommt nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.
* Der Verfassungsgesetzgeber hat sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.
* Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg.cit. bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 leg.cit. verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das in § 28 leg.cit. insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).
Der angefochtene Bescheid erweist sich vor diesem Hintergrund in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:
Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Verbrechensopfergesetzes (VOG) lauten:
„Kreis der Anspruchsberechtigten
§ 1 (1) Anspruch auf Hilfe haben österreichische Staatsbürger, wenn mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie
1. durch eine zum Entscheidungszeitpunkt mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten haben oder
2. durch eine an einer anderen Person begangene Handlung im Sinne der Z 1 nach Maßgabe der bürgerlich-rechtlichen Kriterien einen Schock mit psychischer Beeinträchtigung von Krankheitswert erlitten haben oder
3. als Unbeteiligte im Zusammenhang mit einer Handlung im Sinne der Z 1 eine Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung erlitten haben, soweit nicht hieraus Ansprüche nach dem Amtshaftungsgesetz, BGBl. Nr. 20/1949, bestehen,
und ihnen dadurch Heilungskosten erwachsen sind oder ihre Erwerbsfähigkeit gemindert ist. Wird die österreichische Staatsbürgerschaft erst nach der Handlung im Sinne der Z 1 erworben, gebührt die Hilfe nur, sofern diese Handlung im Inland oder auf einem österreichischen Schiff oder Luftfahrzeug (Abs. 6 Z 1) begangen wurde.
…
(3) Wegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit ist Hilfe nur zu leisten, wenn
1. dieser Zustand voraussichtlich mindestens sechs Monate dauern wird oder
2. durch die Handlung nach Abs. 1 eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB, BGBl. Nr. 60/1974) bewirkt wird.
…
Hilfeleistungen
§ 2 Als Hilfeleistungen sind vorgesehen:
1. Ersatz des Verdienst- oder Unterhaltsentganges;
…
Ersatz des Verdienst- oder Unterhaltsentganges
§ 3. (1) Hilfe nach § 2 Z 1 ist monatlich jeweils in Höhe des Betrages zu erbringen, der dem Opfer durch die erlittene Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung (§ 1 Abs. 3) als Verdienst oder den Hinterbliebenen durch den Tod des Unterhaltspflichtigen als Unterhalt entgangen ist oder künftighin entgeht. Sie darf jedoch zusammen mit dem Einkommen nach Abs. 2 den Betrag von monatlich 2 068,78 Euro nicht überschreiten. Diese Grenze erhöht sich auf 2 963,23 Euro, sofern der Anspruchsberechtigte seinen Ehegatten überwiegend erhält. Die Grenze erhöht sich weiters um 217,07 Euro für jedes Kind (§ 1 Abs. 5). Für Witwen (Witwer) bildet der Betrag von 2 068,78 Euro die Einkommensgrenze. Die Grenze beträgt für Waisen bis zur Vollendung des 24. Lebensjahres 772,37 Euro, falls beide Elternteile verstorben sind 1 160,51 Euro und nach Vollendung des 24. Lebensjahres 1 372,14 Euro, falls beide Elternteile verstorben sind 2 068,78 Euro. Diese Beträge sind ab 1. Jänner 2002 und in der Folge mit Wirkung vom 1. Jänner eines jeden Jahres mit dem für den Bereich des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes festgesetzten Anpassungsfaktor zu vervielfachen. Die vervielfachten Beträge sind auf Beträge von vollen 10 Cent zu runden; hiebei sind Beträge unter 5 Cent zu vernachlässigen und Beträge von 5 Cent an auf 10 Cent zu ergänzen. Übersteigt die Hilfe nach § 2 Z 1 zusammen mit dem Einkommen nach Abs. 2 die Einkommensgrenze, so ist der Ersatz des Verdienst- oder Unterhaltsentganges um den die Einkommensgrenze übersteigenden Betrag zu kürzen.
(2) Als Einkommen gelten alle tatsächlich erzielten und erzielbaren Einkünfte in Geld oder Güterform einschließlich allfälliger Erträgnisse vom Vermögen, soweit sie ohne Schmälerung der Substanz erzielt werden können, sowie allfälliger Unterhaltsleistungen, soweit sie auf einer Verpflichtung beruhen. Außer Betracht bleiben bei der Feststellung des Einkommens Familienbeihilfen nach dem Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376, Leistungen der Sozialhilfe und der freien Wohlfahrtspflege sowie Einkünfte, die wegen des besonderen körperlichen Zustandes gewährt werden (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindenzulage und gleichartige Leistungen). Auf einer Verpflichtung beruhende Unterhaltsleistungen sind nicht anzurechnen, soweit sie nur wegen der Handlung im Sinne des § 1 Abs. 1 gewährt werden.
…
Beginn und Ende der Hilfeleistungen, Rückersatz und Ruhen
§ 10. (1) Leistungen nach § 2 dürfen nur von dem Monat an erbracht werden, in dem die Voraussetzungen hiefür erfüllt sind, sofern der Antrag binnen drei Jahren nach der Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung (§ 1 Abs. 1) bzw. nach dem Tod des Opfers (§ 1 Abs. 4) gestellt wird. Wird ein Antrag erst nach Ablauf dieser Frist gestellt, so sind die Leistungen nach § 2 Z 1, 2, 3 bis 7 und 9 mit Beginn des auf den Antrag folgenden Monates zu erbringen. Bei erstmaliger Zuerkennung von Ersatz des Verdienst- und Unterhaltsentganges ist von Amts wegen auch darüber zu entscheiden, ob und in welcher Höhe eine einkommensabhängige Zusatzleistung zu gewähren ist. Anträge auf Leistungen gemäß § 4 Abs. 5 unterliegen keiner Frist.
…“
Mit Urteil des XXXX vom XXXX wurde festgestellt, dass XXXX an seiner Gattin, der Beschwerdeführerin, im Zeitraum August 2017 bis 09.08.2018 die Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 1 StGB, das Vergehen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs. 1 und 2 StGB, sowie die Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 Z 1 fünfter Fall und Z 3 dritter Fall StGB begangen hat und rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren verurteilt wurde.
Aus dem seitens der belangten Behörde eingeholten psychiatrischen Sachverständigengutachten vom 21.10.2019 geht hervor, dass die Beschwerdeführerin bedingt durch die erlebten Verbrechen eine posttraumatische Belastungsstörung F43.1 nach ICD-10 erlitten hat und Psychotherapie indiziert ist. Diese Gesundheitsschädigung dauerte länger als 24 Tage an, wodurch eine schwere Körperverletzung iSd § 84 StGB vorliegt.
Die Beschwerdeführerin, eine österreichische Staatsbürgerin, hat daher durch eine zum Entscheidungszeitpunkt mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten, womit die grundsätzlichen Voraussetzungen für Leistungen nach dem Verbrechensopfergesetz gemäß § 1 Abs. 1 VOG vorliegen.
Es ist für das erkennende Gericht nicht nachvollziehbar, dass die belangte Behörde in dem eingeholten Sachverständigengutachten zwar Fragestellungen zu kausalen Gesundheitsschädigung tätigte, doch an die fachärztliche Sachverständige keine darüber hinausgehenden Fragen betreffend einen kausal bedingten Verdienstentgang infolge der seit 31.07.2018 bestehenden Arbeitsunfähigkeit der Beschwerdeführerin richtete. Der Behörde war aus einem im Verwaltungsakt einliegenden Sozialversicherungsdatenauszug jedenfalls bekannt, dass die Beschwerdeführerin im Anschluss an ihre Urlaubsersatzleistung im Zeitraum von 26.08.2018 bis zum 31.03.2019 Krankengeld bezog und drauffolgend seit 01.04.2019 Rehabilitationsgeld erhält, sohin gemäß der Aktenlage bis dato arbeitsunfähig ist.
Ob diese Arbeitsunfähigkeit auf die erlittenen Verbrechen zurückzuführen ist, gilt es im fortgesetzten Verfahren durch die belangte Behörde jedenfalls zu klären.
Das Bundesverwaltungsgericht verkennt dabei nicht, dass das Arbeitsverhältnis bei der XXXX aufgrund des Wegfalles des Tätigkeitsbereiches der Beschwerdeführerin einvernehmlich gelöst wurde, dennoch sieht § 3 Abs. 1 VOG vor, dass Hilfe nach § 2 Z 1 monatlich jeweils in Höhe des Betrages zu erbringen ist, der dem Opfer durch die erlittene Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung (§ 1 Abs. 3) als Verdienst entgangen ist oder künftighin entgeht. Demnach ist die Beschwerdeführerin so zu stellen, als hätte sie die kausal auf die Verbrechen zurückzuführende Gesundheitsschädigung nicht erlitten, vorausgesetzt natürlich die Verbrechen sind auch Ursache für ihre fortdauernde Arbeitsunfähigkeit. Eine verbrechensbedingt erschwerte Arbeitssuche fällt jedenfalls nicht – wie die belangte Behörde aber vermeint – in die von der Beschwerdeführerin zu vertretende Sphäre. Umso weniger kann eine verbrechensbedingt kausale Arbeitsunfähigkeit, die es der Beschwerdeführerin verunmöglicht überhaupt einer Arbeit nachzugehen, zu ihren Lasten fallen.
Des Weiteren wird demnach zu erheben sein, welche Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten die Beschwerdeführerin auf dem Arbeitsmarkt im fiktiven schadensfreien Verlauf gehabt hätte. Das Arbeitsmarktservice deutete im Zuge der Kündigungsverhandlung zwischen der XXXX und der Beschwerdeführerin iSd Vorschriften des Behinderteneinstellungsgesetzes am 24.05.2018 die generelle Problematik der Vermittlung von Personen ab Vollendung des 50. Lebensjahres am Arbeitsmarkt jedenfalls bereits an. Des Weiteren wird die besondere Situation der Beschwerdeführerin zu berücksichtigen sein, dass sie seit 27.06.2016 dem Personenkreis der begünstigten Behinderten angehört und bedingt durch ihre akausalen Gesundheitsschädigungen auch verbrechensunabhängig möglicherweise erschwerte Vermittlungseigenschaften aufgewiesen hätte.
Sofern das Ergebnis erzielt wird, dass eine längere Arbeitslosigkeit der Beschwerdeführerin auch ohne ihre verbrechensbedingte Arbeitsunfähigkeit wahrscheinlich gewesen wäre, so wird dennoch zu erheben sein, ob die Beschwerdeführerin durch den Bezug der Sozialleistungen aus einer Arbeitslosigkeit gegenüber ihrem tatsächlichen Bezug von Krankengeld und in der Folge Rehabgeld bessergestellt gewesen wäre und daher allenfalls ein sich daraus ergebender Differenzbetrag als Verdienstentgang zusteht.
Die belangte Behörde hat es im gegenständlichen Fall unterlassen wesentliche Ermittlungen betreffend den Antrag auf Verdienstentgang zu tätigen. Zwar wurde mittels dem eingeholten psychiatrischen Sachverständigengutachten geklärt, dass eine bei der Beschwerdeführerin vorliegende posttraumatische Belastungsstörung kausal auf die erlittenen Verbrechen zurückzuführen ist, dennoch unterließ es die belangte Behörde weitere Ermittlungen zu einer im Raum stehenden kausalen Arbeitsunfähigkeit vorzunehmen, weshalb im gegenständlichen Fall bloß ansatzweise ermittelt wurde und jedenfalls hinsichtlich der beantragten Hilfeleistung des Verdienstentganges gravierende Ermittlungslücken bestehen.
Unter diesen Gesichtspunkten leidet der angefochtene Bescheid unter erheblichen Ermittlungsmängeln und erweist sich für das Bundesverwaltungsgericht der vorliegende Sachverhalt als so mangelhaft, dass weitere notwendige Ermittlungen diesbezüglich unerlässlich erscheinen.
Da der maßgebliche Sachverhalt noch nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid des Sozialministeriumservice gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.
Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Aufgrund der Behebung des angefochtenen Bescheides konnte eine Verhandlung gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Arbeitsunfähigkeit Ermittlungspflicht Kassation Kausalität mangelnde Sachverhaltsfeststellung VerdienstentgangEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W265.2230652.1.00Im RIS seit
09.09.2020Zuletzt aktualisiert am
09.09.2020