TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/24 W265 2205311-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.06.2020
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Entscheidungsdatum

24.06.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
VOG §1
VOG §10
VOG §6a

Spruch

W261 2205311-2/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Karin RETTENHABER-LAGLER als Vorsitzende und die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch die obsorgeberechtigte XXXX , diese wiederum vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Oberösterreich, vom 04.12.2019, betreffend die Höhe des gewährten Antrages auf Pauschalentschädigung für Schmerzengeld nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der Beschwerdeführerin eine einmalige Geldleistung in Höhe von € 8.000,-- als Pauschalentschädigung für Schmerzengeld mit der Maßgabe gewährt, dass die bereits geleistete Schmerzengeldzahlung von € 4.000,-- anzurechnen ist.

Die Durchführung obliegt dem Sozialministeriumservice.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die minderjährige Beschwerdeführerin, vertreten durch ihre Mutter als gesetzliche Vertreterin, stellte am 04.04.2018 beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Oberösterreich (im Folgenden auch als belangte Behörde bezeichnet), einen Antrag auf Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) in Form von Übernahme der Kosten für psychotherapeutische Krankenbehandlung sowie Pauschalentschädigung für Schmerzengeld. Dabei gab sie an, zwischen November 2015 und November 2017 von ihrem Stiefvater sexuell missbraucht worden zu sein, wobei er zwischen Frühling 2016 und Mitte November 2017 im Abstand von etwa zwei Wochen Vaginalverkehr an ihr durchgeführt habe. Im Zeitraum von etwa Mitte November 2015 bis Ende November 2017 sei die Beschwerdeführerin von ihrem Stiefvater darüber hinaus in einer Vielzahl von Angriffen im Brust- und Scheidenbereich auf der nackten Haut berührt worden, weiters habe er ihre Brüste und ihren Schambereich massiert und geknetet und habe die Beschwerdeführerin ihren Stiefvater zumindest einmal mit der Hand bis zum Samenerguss befriedigen müssen.

Die Mutter der Beschwerdeführerin gab am 11.04.2018 telefonisch bei der belangten Behörde bekannt, dass es im Strafverfahren gegen den Stiefvater zu keiner Aussage durch die Beschwerdeführerin gekommen und kein Gutachten zur Beschwerdeführerin erstellt worden sei, da der Täter voll geständig gewesen sei. Er sei zu sieben Jahren Haft verurteilt worden, das Urteil sei aber noch nicht rechtskräftig, Ende Mai werde voraussichtlich eine Verhandlung am Oberlandesgericht stattfinden. Nach Rechtskraft des Strafurteiles werde eine Zivilrechtsklage eingebracht. Eine Feststellungsklage und Haftung für künftige mögliche Schäden bzw. Kosten sei geplant. Die Beschwerdeführerin sei derzeit nicht in Therapie, sie werde vom Kinderschutzzentrum betreut.

Die belangte Behörde nahm ein am 28.06.2017 ebenfalls seitens des Sozialministeriumservice erstelltes ärztliches Sachverständigengutachten zum Familienlastenausgleichsverfahren zum Akt, in welchem bei der Beschwerdeführerin eine Aufmerksamkeitsstörung mit leichten sozialen Integrationsschwierigkeiten und Ängsten vor Kleintieren mit einem Grad der Behinderung von 30 v.H. festgestellt wurde.

Mit E-Mail vom 03.05.2018 übermittelte die Mutter der Beschwerdeführerin einen Arztbrief der Kinderklinik XXXX vom 18.04.2018 über die ambulante Behandlung der Beschwerdeführerin von 29.03.2018 bis 12.04.2018, in welchem eine Anpassungsstörung mit depressiver Symptomatik, eine Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität, Schul- und Leistungsängste, eine Phobische Störung, eine Störung der Fein- und Graphomotorik, eine expressive Sprachstörung, der Verdacht auf Tubenbelüftungsstörung rechts, der Verdacht auf geringgradige Schalleitungsschwerhörigkeit beidseits und sexueller Missbrauch diagnostiziert wurden.

Nach Ersuchen der belangten Behörde übermittelte das Landesgericht XXXX das Urteil desselben Gerichtes vom XXXX sowie das Urteil des Oberlandesgerichtes XXXX vom XXXX . Demnach wurde den Berufungen keine Folge gegeben und das Urteil des Landesgerichtes XXXX bestätigt, mit welchem der Stiefvater der Beschwerdeführerin wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs. 1 StGB, des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs. 1 StGB, des Vergehens des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs. 1 Z 1 und 2 StGB und des Vergehens der versuchten Nötigung nach den §§ 15 Abs. 1, 105 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafte in der Dauer von sieben Jahren verurteilt wurde.

Die belangte Behörde ersuchte den Ärztlichen Dienst um aktenmäßige Stellungnahme und Beantwortung der Frage, ob eine Psychotherapie aufgrund des sexuellen Missbrauchs in der Zeit von Mitte November 2015 bis Ende November 2017 notwendig bzw. medizinisch indiziert sei. Mit Stellungnahme vom 24.07.2018 gab die Chefärztin des Ärztlichen Dienstes eine Stellungnahme ab, in welcher sie ausführte, dass eine Psychotherapie aufgrund der Aktenlage gerechtfertigt sei.

Mit Bescheid vom 24.07.2018 bewilligte die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf Übernahme der Selbstkosten für psychotherapeutische Krankenbehandlung für die auf Grund der strafbaren Handlungen in der Zeit von etwa Mitte November 2015 bis etwa Ende November 2017 erlittenen Gesundheitsschädigungen ab Behandlungsbeginn.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 24.07.2018 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf Leistungen nach dem Verbrechensopfergesetz in Form von Pauschalentschädigung für Schmerzengeld gemäß § 1 Abs. 1 und § 6a VOG ab und führte begründend aus, dass keine Verurteilung des Täters gemäß den Qualifikationstatbeständen der §§ 206 Abs. 3 bzw. 207 Abs. 3 StGB erfolgt sei, die jeweils eine schwere Körperverletzung im Sinne des § 84 Abs. 1 StGB voraussetzen. Gemäß § 6a VOG sei Pauschalentschädigung für Schmerzengeld in Höhe von € 2.000,- für eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB) zu leisten; sie betrage € 4.000,-, sofern die durch die schwere Körperverletzung verursachte Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit länger als drei Monate andauere. Da bei der Verurteilung des Täters ausschließlich die §§ 206 Abs. 1 und 2017 Abs. 1 StGB angeführt worden seien, habe das Amt aufgrund der Bindungswirkung des Strafurteils auf das Verbrechensopfergesetz leider keine Möglichkeit, gegen diese Ausführungen im Urteil zu entscheiden. Auf die Einholung eines Gerichtsgutachtens über die Schwere der psychischen Gesundheitsschädigungen sei verzichtet worden.

Mit Schriftsatz vom 04.09.2018 erhob die rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführerin gegen den Bescheid vom 24.07.2018, mit welchem der Antrag auf Pauschalentschädigung für Schmerzengeld abgewiesen wurde, fristgerecht die gegenständliche Beschwerde. Dabei wurde im Wesentlichen vorgebracht, es sei in einem Strafverfahren hinsichtlich sexuellen Missbrauchs absolut nicht üblich, auch wegen schwerer Körperverletzung im Sinne des § 84 Abs. 1 StGB zu verurteilen. Die Begründung der belangten Behörde, dass diese aufgrund der Bindungswirkung des Strafurteils keine andere Möglichkeit gehabt habe, als den Antrag abzuweisen, sei nicht nachvollziehbar. Der Stiefvater und Verurteilte habe sich schuldig bekannt und wäre daher, auch wenn ein Antrag auf Einholung eines Gerichtsgutachtens gestellt worden wäre, ein solcher Antrag abgewiesen worden. Es sei nicht Aufgabe des Strafgerichts, die Schwere einer psychischen Gesundheitsschädigung festzustellen, sondern sei dies vielmehr eine zivilrechtliche Angelegenheit. Die Beschwerdeführerin sei über zwei Jahre lang sexuell missbraucht worden und auch die Chefärztin des Ärztlichen Dienstes habe die Inanspruchnahme von Psychotherapie für kausal erachtet. Es werde der (bereits von der Mutter der Beschwerdeführerin vorgelegte) Bericht der Kinderklinik XXXX in XXXX vorgelegt, bei dem schon alleine aus den Diagnosen und durchgeführten Tests ersichtlich sei, dass beinahe alle Parameter auffällig oder im Grenzbereich zur Auffälligkeit seien. Die Beschwerdeführerin erreiche demnach einen Gesamtwert von 78 bis 89, was ein Ergebnis im überdurchschnittlichen Bereich und klinisch in jedem Fall auffällig sei. Fakt sei, dass für eine schwere Körperverletzung eine mehr als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung die Voraussetzung sei und es daher fast lebensfremd erscheine, dass die belangte Behörde dies bei einem Missbrauch über zwei Jahre bei einem 12jährigen Kind bezweifle und auf die Bindungswirkung des Strafurteils verweise. Bei Missbrauch einer 12jährigen sei eher davon auszugehen, dass diese einen Dauerschaden habe und lebenslang an den Folgen leide oder leiden werde. Der Stiefvater werde aufgrund der langjährigen Haftstrafe niemals den anerkannten Schmerzengeldbetrag zahlen bzw. zahlen können und gehe bisher alles zu Lasten der Kindesmutter. Genau für derartige Fälle gebe es das Verbrechensopfergesetz und sei die Abweisung der Pauschalentschädigung für Schmerzengeld absolut nicht nachvollziehbar. Neben dem bereits erwähnten psychologischen Bericht der Kinderklinik XXXX wurde auch ein Anerkenntnis des Täters über weiteres Schmerzengeld in der Höhe von €9.000,- vorgelegt.

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17.10.2018 wurde in Erledigung der Beschwerde der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Sozialministeriumservice zurückverwiesen. Begründung wurde ausgeführt, dass die belangte Behörde bisher keine geeigneten Ermittlungsschritte gesetzt habe, den maßgebenden Sachverhalt im Hinblick auf die Frage des Vorliegens einer schweren Körperverletzung infolge einer Handlung iSd § 1 Abs. 1 Z 1 VOG zu ermitteln. Zum Zwecke der Feststellung, ob die vorliegenden strafbaren Handlungen bei der Beschwerdeführerin eine schwere Körperverletzung im Sinne des § 84 Abs. 1 StGB zur Folge hatten, wurde der belangte Behörde im fortgesetzten Verfahren die Einholung eines psychologisches bzw. psychiatrisches Sachverständigengutachten aufgetragen.

Zur Überprüfung des Antrages auf Pauschalentschädigung für Schmerzengeld holte die belangte Behörde ein Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Psychiatrie ein. In dem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 11.10.2019 erstatteten Gutachten vom 11.10.2019 kommt die Sachverständige zusammenfassend zum Ergebnis, dass bei der Beschwerdeführerin eine posttraumatische Belastungsstörung mit der Symptomatik von Flashbacks, wiederkehrende Träume, Schreckhaftigkeit, Schlafstörungen, Vermeidungsstrategien und Panikattacken bestehe, und dass diese psychischen Gesundheitsschäden kausal auf die Tathandlungen im Zeitraum 11/2015 bis 11/2017 zurückzuführen seien. Eine posttraumatische Belastungsstörung stelle in diesem Zusammenhang ein schweres psychiatrisches Krankheitsbild dar. Zuletzt habe vom 23.04. bis 06.09.2019 ein stationärer Aufenthalt in der psychosomatischen Einheit der Kinderklinik XXXX stattgefunden. Von dieser werde auch eine therapeutisch aufsuchende Begleitung, eine Traumatherapie (vorzugsweise EMDR) und eine Wiedervorstellung vor Verlaufskontrolle im SPZ empfohlen. Die gegenständlichen Taten haben eine massive psychische Beeinträchtigung sohin eine schwere psychiatrische Gesundheitsschädigung von mehr als 24-tägiger Dauer bewirkt. Es liegt aufgrund der Straftaten von 11/2015 bis 22/2017 ein schweres psychiatrisches Krankheitsbild in der Dauer von mehr als drei Monaten vor. Die schwere Körperverletzung ist mit Wahrscheinlichkeit überwiegend auf die durch diese Straftat erlittene Gesundheitsschädigung zurückzuführen.

Mit Schriftsatz vom 03.12.2019 übermittelte die Rechtsvertretung der Beschwerdeführerin die unterfertigte Abtretungserklärung, wonach der mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 21.02.2019 zugesprochene Schadenersatzbetrag in der Höhe von € 1.000,-- und das der Beschwerdeführerin mit Anerkenntnis vom 20.08.2018 zugesprochene Schmerzengeld in Höhe von € 9.000,-- bis zur Höhe der nach dem Verbrechensopfergesetz gewährten Leistungen an den Bund, vertreten durch das Sozialministeriumservice, abgetreten werde.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 04.12.2019 wurde dem Antrag der Beschwerdeführerin vom 04.04.2018 stattgegeben und eine Pauschalentschädigung für Schmerzengeld als einmalige Geldleistung gemäß §§ 1 Abs. 1, 6a und § 10 Abs. 1 VOG in der Höhe von € 4.000,-- zuerkannt.

Begründend führte die belangte Behörde. aus, dass zur Prüfung, ob die Beschwerdeführerin im Zuge der Straftat eine schwere Körperverletzung im Sinne des § 84 Abs. 1 StGB erlitten habe, ein Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet Psychiatrie eingeholt worden sei, mit welchem festgestellt worden sei, dass bei der Beschwerdeführerin aufgrund der Straftaten von 11/2015 bis 11/2017 eine kausale posttraumatische Belastungsstörung, die einem schweren psychiatrischen Krankheitsbild in der Dauer von mehr als drei Monaten entspreche, vorliege.

Gegen diesen Bescheid erhob die rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 13.01.2020 fristgerecht Beschwerde. Darin führte sie aus, dass das eingeholte Gutachten der Sachverständigen weder der Beschwerdeführerin, noch ihrer obsorgeberechtigten Mutter zur Äußerung zugestellt worden sei. Folglich hätten keine Äußerungen zum Gutachten gemacht werden können. Es sei nicht nachvollziehbar, dass aufgrund der Straftat vom November 2015 bis November 2017 zwar eine kausale posttraumatische Belastungsstörung vorliege, jedoch nur von einer Dauer von drei Monaten ausgegangen werde. Es hätte in jedem Fall von der belangten Behörde der Absatz 2 herangezogen werden müssen, nämlich, dass die Handlung, sprich der Missbrauch über zwei Jahre sehr wohl schwere Dauerfolgen nach sich gezogen habe. Es sei nicht nachvollziehbar, auf welcher Grundlage die belangte Behörde davon ausgehe, dass diese posttraumatische Belastungsstörung keine schwere Dauerfolge nach sich ziehe. Die behandelnden Ärzte würden davon ausgehen, dass sich die Minderjährige von diesem Missbrauch nicht mehr erholen werde. Fest stehe, dass bei Übermittlung des Gutachtens die belangte Behörde jedenfalls zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, die die Beschwerdeführerin hier die Möglichkeit gehabt hätte eine Stellungnahme abzugeben bzw. dieses Gutachten an die behandelnden Ärzte weiterzugeben. Fakt sei, dass bei einem sexuellen Missbrauch schwere Dauerfolgen möglich seien und sei diesbezüglich eine Abwägung vorzunehmen und auch zu begründen, warum im gegenständlichen Fall kein Dauerschaden vorliege.

Aufgrund der Einwendungen in der Beschwerde holte die belangte Behörde eine ergänzende Stellungnahme der psychiatrischen Sachverständigen mit der Frage ein, ob die bei der Beschwerdeführerin im Gutachten vom 11.10.2019 festgestellten kausalen Gesundheitsschädigungen einen Dauerschaden verursacht hätten.

In der Stellungnahme führte die psychiatrische Sachverständige am 21.01.2020 aus, dass sich zum derzeitigen Zeitpunkt aus psychiatrischer Sicht nicht beurteilen lasse, ob bei der Beschwerdeführerin eine Gesundheitsschädigung mit schweren Dauerfolgen gemäß § 85 StGB vorliege. Aus der Diagnose Posttraumatische Belastungsstörung könne nicht zwingend auf einen Dauerzustand geschlossen werden. Unterschiedliche prognostische Verläufe seien möglich. Zur Beantwortung dieser Frage werde eine Beobachtung des weiteren Krankheitsverlaufes mit Verlaufsberichten der behandelnden Fachärzte und Psychotherapeuten notwendig sein.

Mit Beschwerdevorlage vom19.02.2020 wurde das gegenständliche Verfahren dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.

Das Bundesverwaltungsgericht ersuchte mit Schreiben vom 28.02.2020 die psychiatrische Sachverständige um eine Stellungnahme und u.a. um ausführliche Begründung, warum der schwere sexuelle Missbrauch an der minderjährigen Beschwerdeführerin mit Wahrscheinlichkeit ein für immer oder für lange Zeit bestehendes schweres Leiden zur Folge habe oder nicht.

In der ergänzenden Stellungnahme führte die psychiatrische Sachverständige am 20.05.2020 aus, bei der Beschwerdeführerin handle es sich bei der ursächlichen Traumatisierung für die kausale Gesundheitsschädigung um einen mehrjährigen Missbrauch. Es habe zum Begutachtungszeitpunkt noch immer die Symptomatik einer posttraumatischen Belastungsstörung bestanden. Dies obwohl der Missbrauch bereits über zwei Jahre zurückgelegen sei. Es sei davon auszugehen, dass der Krankheitsverlauf auch bei günstigem Verlauf noch längere Zeit in Anspruch nehmen werde. Ein noch länger dauernder Krankheitsverlauf sei aufgrund der jetzt schon langen Dauer zu erwarten. Dass die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht zwingend auf einen Dauerzustand schließen lasse bleibe aufrecht, der weitere Verlauf bleibe abzuwarten. Allerdings könne man in Hinblick auf den bisherigen Krankheitsverlauf davon ausgehen, dass das Leiden auch bei positivem Verlauf noch für eine längere Zeit bestehen werde.

Mit Schreiben vom 20.05.2020 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht der Rechtsvertretung der Beschwerdeführerin sowie der belangten Behörde die ergänzende Stellungnahme der psychiatrischer Sachverständigen vom 20.05.2020 und räumte die Möglichkeit ein, im Rahmen des Parteiengehörs eine schriftliche Stellungnahme bis spätestens 05.06.2020 abzugeben.

Mit Schriftsatz vom 27.05.2020 gab die rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführerin eine Stellungnahme ab. Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, aus der ergänzenden Stellungnahme ergebe sich sehr wohl, dass bei der minderjährigen Beschwerdeführerin ein Dauerschaden vorliege. Auch wenn die Sachverständige ausführt, dass die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht zwingend auf einen Dauerzustand schließen lasse, revidiere die Sachverständige dies in weiterer Folge. Sie führt aus, dass das Leiden auch bei einem positiven Verlauf für eine längere Zeit bestehen werde und schließe sie durch ihr Ergänzungsgutachten keineswegs einen Dauerschaden aus, sodass der minderjährigen Beschwerdeführerin eine Geldleistung von € 8.000,-- gemäß § 6 Abs. 2 nach dem VOG zustehe.

Die belangte Behörde gab innerhalb der eingeräumten Frist keine Stellungnahme ab.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist österreichische Staatsbürgerin.

Sie beantragte am 04.04.2018 beim Sozialministeriumservice eine Pauschalentschädigung für Schmerzengeld nach dem Verbrechensopfergesetz.

Die Beschwerdeführerin wurde in der Zeit von Mitte November 2015 bis etwa November 2017 wiederholt von ihrem Stiefvater sexuell missbraucht.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX wurde der Stiefvater der Beschwerdeführerin wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs. 1 StGB, des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs. 1 StGB, des Vergehens des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs. 1 Z 1 und 2 StGB und des Vergehens der versuchten Nötigung nach den §§ 15 Abs. 1, 105 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafte in der Dauer von sieben Jahren verurteilt wurde. Mit Urteil des Oberlandesgerichtes XXXX vom XXXX wurde den Berufungen keine Folge gegeben und das Urteil des Landesgerichtes XXXX bestätigt.

Die Beschwerdeführerin hat mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit aufgrund der Straftaten von 11/2015 bis 11/2017 eine kausale posttraumatische Belastungsstörung erlitten, welche als schwere Körperverletzung zu qualifizieren ist, welche mit hoher Wahrscheinlichkeit aufgrund der jetzt schon langen Dauer noch längere Zeit bestehen wird.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellung zur österreichischen Staatsbürgerschaft der Beschwerdeführerin sowie zum Datum der Einbringung des Antrages auf Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz basieren auf dem Akteninhalt.

Die Feststellungen zu den Straftaten von 11/2015 bis 11/2017 und der Verurteilung des Stiefvaters der Beschwerdeführerin basieren auf der strafrechtlichen Verurteilung.

Die Feststellungen zu der durch die Tat erlittene schweren Körperverletzung der Beschwerdeführerin basieren auf dem seitens der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Psychiatrie vom 11.10.2019, auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am selben Tag, sowie den ergänzenden Stellungnahmen der Sachverständigen vom 21.01.2020 und vom 20.05.2020.

Darin führte die Sachverständige nachvollziehbar aus, dass bei der Beschwerdeführerin aufgrund der Straftaten von 11/2015 bis 11/2017 eine kausale posttraumatische Belastungsstörung vorliegt. Bei dieser ursächlichen Traumatisierung für die kausale Gesundheitsschädigung handelte es sich um einen mehrjährigen Missbrauch. Zum Zeitpunkt der Begutachtung bestand noch immer die Symptomatik einer posttraumatischen Belastungsstörung, obwohl der Missbrauch bereits über 2 Jahre zurücklag. Die Sachverständige hält weiters fest, dass ein noch längerer Krankheitsverlauf aufgrund der jetzt schon langen Dauer zu erwarten ist. Es ist davon auszugehen, dass der Krankheitsverlauf auch bei günstigem Verlauf noch längere Zeit in Anspruch nehmen wird.

Es kann daher mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass die nunmehr mehr als zwei Jahre zurückliegende Tat bei der Beschwerdeführerin für immer oder für lange Zeit ein schweres Leiden verursacht hat.

Die Beschwerdeführerin widersprach den Ausführungen der Sachverständigen für Psychiatrie nicht, sondern brachte selbst vor, dass es sich bei dem durch das Verbrechen erlittenen Leiden als Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen im Sinne des § 85 StGB handle.

Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen folglich keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit, Widerspruchsfreiheit und Schlüssigkeit des vorliegenden Sachverständigengutachtens vom 11.10.2019 sowie den ergänzenden Stellungnahmen der Sachverständigen vom 21.01.2020 und vom 20.05.2020. Diese werden daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Verbrechensopfergesetzes lauten auszugsweise:

„Kreis der Anspruchsberechtigten

§ 1. (1) Anspruch auf Hilfe haben österreichische Staatsbürger, wenn mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie

1.       durch eine zum Entscheidungszeitpunkt mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten haben oder

2.       durch eine an einer anderen Person begangene Handlung im Sinne der Z 1 nach Maßgabe der bürgerlich-rechtlichen Kriterien einen Schock mit psychischer Beeinträchtigung von Krankheitswert erlitten haben oder

3.       als Unbeteiligte im Zusammenhang mit einer Handlung im Sinne der Z 1 eine Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung erlitten haben, soweit nicht hieraus Ansprüche nach dem Amtshaftungsgesetz, BGBl. Nr. 20/1949, bestehen,

und ihnen dadurch Heilungskosten erwachsen sind oder ihre Erwerbsfähigkeit gemindert ist. Wird die österreichische Staatsbürgerschaft erst nach der Handlung im Sinne der Z 1 erworben, gebührt die Hilfe nur, sofern diese Handlung im Inland oder auf einem österreichischen Schiff oder Luftfahrzeug (Abs. 6 Z 1) begangen wurde.

(2) Hilfe ist auch dann zu leisten, wenn

1.       die mit Strafe bedrohte Handlung im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit begangen worden ist oder der Täter in entschuldigendem Notstand gehandelt hat,

2.       die strafgerichtliche Verfolgung des Täters wegen seines Todes, wegen Verjährung oder aus einem anderen Grund unzulässig ist oder

3.       der Täter nicht bekannt ist oder wegen seiner Abwesenheit nicht verfolgt werden kann.

(3) Wegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit ist Hilfe nur zu leisten, wenn

1.       dieser Zustand voraussichtlich mindestens sechs Monate dauern wird oder

2.       durch die Handlung nach Abs. 1 eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB, BGBl. Nr. 60/1974) bewirkt wird.

(4) Hatte die Handlung im Sinne des Abs. 1 den Tod eines Menschen zur Folge, dann ist den Hinterbliebenen, für deren Unterhalt der Getötete nach dem Gesetz zu sorgen hatte, Hilfe zu leisten, wenn sie österreichische Staatsbürger sind und ihnen durch den Tod der Unterhalt entgangen ist. Die Kostenübernahme gemäß § 4 Abs. 5 erfolgt unabhängig vom Vorliegen eines tatsächlichen Unterhaltsentganges.

(5) Kindern ist Hilfe gemäß Abs. 4 bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres zu leisten. Darüber hinaus ist ihnen auch dann Hilfe zu leisten, wenn sie

1.       wegen wissenschaftlicher oder sonstiger regelmäßiger Schul- oder Berufsausbildung sich noch nicht selbst erhalten können, bis zur ordnungsmäßigen Beendigung der Ausbildung, längstens jedoch bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres. Kindern, die eine im § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992, BGBl. Nr. 305, genannte Einrichtung besuchen, gebührt die Hilfe nur dann, wenn sie ein ordentliches Studium ernsthaft und zielstrebig im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. b des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 311/1992, betreiben;

2.       infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, sofern das Gebrechen vor Vollendung des 18. Lebensjahres oder während des in Z 1 bezeichneten Zeitraumes eingetreten ist und solange dieser Zustand dauert.

(6) Hilfe ist Unionsbürgern sowie Staatsbürgern von Vertragsparteien des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum in gleicher Weise wie österreichischen Staatsbürgern zu leisten, wenn die Handlung nach Abs. 1

1.       im Inland oder auf einem österreichischen Schiff oder Luftfahrzeug, unabhängig davon, wo sich dieses befindet, begangen wurde oder

2.       im Ausland begangen wurde, die betroffenen Personen ihren rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich haben und die Handlung nach dessen Begründung begangen wurde.

(7) Hilfe ist ferner den nicht in den Abs. 1 und 6 genannten Personen zu leisten, wenn die Handlung nach Abs. 1 nach dem 30. Juni 2005 im Inland oder auf einem österreichischen Schiff oder Luftfahrzeug, unabhängig davon, wo sich dieses befindet, begangen wurde und sie sich zum Zeitpunkt der Handlung dort rechtmäßig aufgehalten haben. Wurde ein unrechtmäßiger Aufenthalt zum Tatzeitpunkt durch einen erlittenen Menschenhandel bewirkt, ist Personen Hilfe solange zu leisten, als sie dafür über ein Aufenthaltsrecht für besonderen Schutz verfügen oder im Anschluss daran weiterhin aufenthaltsberechtigt sind und sie sich gewöhnlich im Inland aufhalten.

(8) Einer Körperverletzung und einer Gesundheitsschädigung im Sinne des Abs. 1 stehen die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, insbesondere einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich, wenn die zur Beschädigung führende Handlung nach Abs. 1 nach dem 30. Juni 2005 begangen wurde. Der Ersatz und die Reparatur richten sich nach § 5 Abs. 2.

Hilfeleistungen

§ 2. Als Hilfeleistungen sind vorgesehen:

1. Ersatz des Verdienst- oder Unterhaltsentganges;

2. Heilfürsorge

a)       ärztliche Hilfe,

b)       Heilmittel,

c)       Heilbehelfe,

d)       Anstaltspflege,

e)       Zahnbehandlung,

f)       Maßnahmen zur Festigung der Gesundheit (§ 155 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes, BGBl. Nr. 189/1955);

2a. Kostenübernahme bei Krisenintervention durch klinische Psychologen und Gesundheitspsychologen sowie Psychotherapeuten;

3. orthopädische Versorgung

a)       Ausstattung mit Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, deren Wiederherstellung und Erneuerung,

b)       Kostenersatz für Änderungen an Gebrauchsgegenständen sowie für die Installation behinderungsgerechter Sanitärausstattung,

c)       Zuschüsse zu den Kosten für die behinderungsgerechte Ausstattung von mehrspurigen Kraftfahrzeugen,

d)       Beihilfen zur Anschaffung von mehrspurigen Kraftfahrzeugen,

e)       notwendige Reise- und Transportkosten;

4. medizinische Rehabilitation

a)       Unterbringung in Krankenanstalten, die vorwiegend der Rehabilitation dienen,

b)       ärztliche Hilfe, Heilmittel und Heilbehelfe, wenn diese Leistungen unmittelbar im Anschluß oder im Zusammenhang mit der unter lit. a angeführten Maßnahme erforderlich sind,

c)       notwendige Reise- und Transportkosten;

5. berufliche Rehabilitation

a)       berufliche Ausbildung zur Wiedergewinnung oder Erhöhung der Erwerbsfähigkeit,

b)       Ausbildung für einen neuen Beruf,

c)       Zuschüsse oder Darlehen (§ 198 Abs. 3 ASVG 1955);

6. soziale Rehabilitation

a)       Zuschuß zu den Kosten für die Erlangung der Lenkerberechtigung, wenn auf Grund der Behinderung die Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels nicht zumutbar ist,

b)       Übergangsgeld (§ 306 ASVG 1955);

7. Pflegezulagen, Blindenzulagen;

8. Ersatz der Bestattungskosten;

9. einkommensabhängige Zusatzleistung;

10. Pauschalentschädigung für Schmerzengeld.

Pauschalentschädigung für Schmerzengeld

§ 6a (1) Hilfe nach § 2 Z 10 ist für eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB) infolge einer Handlung im Sinne des § 1 Abs. 1 als einmalige Geldleistung im Betrag von 2 000 Euro zu leisten; sie beträgt 4 000 Euro, sofern die durch die schwere Körperverletzung verursachte Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit länger als drei Monate andauert.

(2) Zieht die Handlung eine Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen (§ 85 StGB) nach sich, gebührt eine einmalige Geldleistung im Betrag von 8 000 Euro; sie beträgt 12 000 Euro, sofern wegen der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen ein Pflegebedarf im Ausmaß von zumindest der Stufe 5 nach dem Bundespflegegeldgesetz (BPGG), BGBl. Nr. 110/1993, besteht.“

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Strafgesetzbuches (StGB) lauten – soweit im gegenständlichen Fall relevant - auszugsweise:

„Schwere Körperverletzung

§ 84 (1) Hat die Tat eine länger als vierundzwanzig Tage dauernde Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit zur Folge oder ist die Verletzung oder Gesundheitsschädigung an sich schwer, so ist der Täter mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.

(2) Ebenso ist zu bestrafen, wer eine Körperverletzung (§ 83 Abs. 1 oder Abs. 2) an einem Beamten, Zeugen oder Sachverständigen während oder wegen der Vollziehung seiner Aufgaben oder der Erfüllung seiner Pflichten begeht.

(3) Ebenso ist der Täter zu bestrafen, wenn er mindestens drei selbstständige Taten (§ 83 Abs. 1 oder Abs. 2) ohne begreiflichen Anlass und unter Anwendung erheblicher Gewalt begangen hat.

(4) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren ist zu bestrafen, wer einen anderen am Körper verletzt oder an der Gesundheit schädigt und dadurch, wenn auch nur fahrlässig, eine schwere Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung (Abs. 1) des anderen herbeiführt.

(5) Ebenso ist zu bestrafen, wer eine Körperverletzung (§ 83 Abs. 1 oder Abs. 2) begeht

1. auf eine Weise, mit der Lebensgefahr verbunden ist,

2. mit mindestens zwei Personen in verabredeter Verbindung oder

3. unter Zufügung besonderer Qualen.

Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen

§ 85 (1) Wer einen anderen am Körper misshandelt und dadurch fahrlässig für immer oder für lange Zeit

1. den Verlust oder eine schwere Schädigung der Sprache, des Sehvermögens, des Gehörs oder der Fortpflanzungsfähigkeit,

2. eine erhebliche Verstümmelung oder eine auffallende Verunstaltung,

2a. eine Verstümmelung oder sonstige Verletzung der Genitalien, die geeignet ist, eine nachhaltige Beeinträchtigung des sexuellen Empfindens herbeizuführen, oder

3. ein schweres Leiden, Siechtum oder Berufsunfähigkeit des Geschädigten,

herbeiführt, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.

(2) Mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren ist zu bestrafen, wer einen anderen am Körper verletzt oder an der Gesundheit schädigt und dadurch, wenn auch nur fahrlässig, eine schwere Dauerfolge (Abs. 1) beim Verletzten herbeiführt.“

Der Beschwerdeführerin ist österreichische Staatsbürgerin. Die Beschwerdeführerin wurde in der Zeit von Mitte November 2015 bis etwa November 2017 von ihrem Stiefvater mehrfach sexuell missbraucht. Der Stiefvater der Beschwerdeführerin wurde deshalb wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs. 1 StGB, des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs. 1 StGB, des Vergehens des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs. 1 Z 1 und 2 StGB und des Vergehens der versuchten Nötigung nach den §§ 15 Abs. 1, 105 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafte in der Dauer von sieben Jahren verurteilt wurde.

Die Beschwerdeführerin erlitt durch die Straftaten eine posttraumatische Belastungsstörung.

Gemäß § 1 Abs. 1 Z 2 VOG liegen die grundsätzlichen Voraussetzungen für Leistungen nach dem Verbrechensopfergesetz damit vor.

Die belangte Behörde bewilligte der Beschwerdeführerin den Antrag auf Pauschalentschädigung für Schmerzengeld in Höhe von € 4.000,-- gemäß § 6a Abs. 1 VOG. Dabei stützte sich die belangte Behörde auf die Ausführungen der Fachärztin für Psychiatrie im Sachverständigengutachten vom 11.10.2019, wonach die posttraumatische Belastungsstörung eine schwere Körperverletzung darstellt, die länger als drei Monate andauert.

Die Gutachterin führte jedoch in der ergänzenden Stellungnahme vom 18.05.2020 aus, dass ein noch länger dauernder Krankheitsverlauf aufgrund der jetzt schon langen Dauer zu erwarten ist und wies weiters darauf hin, dass der Krankheitsverlauf auch bei günstigem Verlauf noch längere Zeit in Anspruch nehmen wird.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist für die Auslegung des Begriffes "wahrscheinlich" der allgemeine Sprachgebrauch maßgebend. Wahrscheinlichkeit ist gegeben, wenn nach der geltenden ärztlichen-wissenschaftlichen Lehrmeinung erheblich mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19.03.2014, Zl. 2013/09/0181).

Es ist daher mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass das Verbrechen bei der Beschwerdeführerin zu einer Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen gemäß § 85 Abs. 1 Z 3 StGB geführt hat.

Wie oben unter Punkt II.2. ausgeführt, wird der gegenständlichen Entscheidung das seitens der belangten Behörde eingeholte, auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 11.10.2019 beruhende Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Psychiatrie vom selben Tag sowie die ergänzenden Stellungnahmen der Sachverständigen vom 21.01.2020 und vom 20.05.2020 zu Grunde gelegt, wonach noch ein länger dauernder Krankheitsverlauf der durch die Tat erlittenen posttraumatischen Belastungsstörung der Beschwerdeführerin aufgrund der jetzt schon langen Dauer zu erwarten ist.

Der Beschwerde des angefochtenen Bescheides war daher spruchgemäß mit der Maßgabe stattzugeben, dass die bereits geleistete Schmerzengeldzahlung von € 4.000,-- auf die nunmehr bewilligte Pauschalentschädigung für Schmerzengeld in Höhe von € 8.000,-- anzurechnen ist.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1.       der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2.       die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Im vorliegenden Fall wurde eine Verhandlung vom Bundesverwaltungsgericht für nicht erforderlich erachtet, zumal für die Entscheidung über die vorliegende Beschwerde der maßgebliche Sachverhalt durch Aktenstudium des vorgelegten Fremdaktes, insbesondere auch der Beschwerde, zu klären war. Alle aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes notwendigen Unterlagen befanden sich im verwaltungsbehördlichen Fremdakt. Ansonsten waren im gegenständlichen Fall rechtliche Fragen zu klären. Damit liegt ein besonderer Grund vor, welcher auch im Lichte der Rechtsprechung des EGMR eine Einschränkung des Grundrechts auf Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung zulässt. Im Fall Faugel (EGMR 20.11.2003, 58647/00 und 58649/00) wurde ein solch besonderer Grund, der von der Pflicht zur Durchführung einer Verhandlung entbindet, etwa dann angenommen, wenn in einem Verfahren ausschließlich rechtliche oder höchst technische Fragen zur Diskussion stehen. Dem Bundesverwaltungsgericht liegt auch kein Beschwerdevorbringen vor, das mit der beschwerdeführenden Partei mündlich zu erörtern gewesen wäre und konnte daher die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.

Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG nicht entgegen. Im vorliegenden Fall wurde darüber hinaus seitens beider Parteien eine mündliche Verhandlung nicht beantragt (vgl. VwGH 16.12.2013, 2011/11/0180 mit weiterem Verweis auf die Entscheidung des EGMR vom 21.03.2002, Nr. 32.636/96). All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Dauer Kausalität Körperverletzung Missbrauch Pauschalentschädigung Sachverständigengutachten Schmerzengeld VerbrechensopferG

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W265.2205311.2.00

Im RIS seit

09.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

09.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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