TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/25 W137 2226127-8

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.06.2020
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Entscheidungsdatum

25.06.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W137 2226127-8/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Peter HAMMER als Einzelrichter im amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Zahl 1076451808-190044000 über die weitere Anhaltung von XXXX , StA. Marokko, in Schubhaft zu Recht:

A)

Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 02.08.2019 wurde über den Beschwerdeführer gemäß §76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet.

Der Beschwerdeführer war bis 14.08.2019 in Strafhaft und vom 14.08.2019 bis zum 16.08.2019 in Verwaltungsstrafhaft. Seit 16.08.2019 wird der Beschwerdeführer in Schubhaft angehalten.

2. Am 30.08.2019 stellte der Beschwerdeführer aus dem Stande der Schubhaft einen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Mit Aktenvermerk vom 30.08.2019 setzte das Bundesamt die Schubhaft gemäß § 76 Abs 6 FPG fort.

3. Mit Bescheid des BFA vom 10.09.2019, Zl. 1076451808/190889794, wurde der Antrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG, wegen entschiedener Sache zurückgewiesen, kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt und festgestellt, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht. Gegen diesen Bescheid erhob der Fremde Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) und wurde diese mit Erkenntnis des BVwG vom 01.10.2019, GZ: I413 2223585-1/2E mit der Maßgabe abgewiesen, als der Spruchunkt III. (Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG behoben wurde. Dies mit der Begründung, dass über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 57 AsylG bereits im vorangegangenen Verfahren mit Bescheid vom 14.06.2018 (Zl 1976451808/150794140) rechtskräftig abgesprochen wurde, sodass die Voraussetzungen im Folgeverfahren, nachdem aufgrund der aufrechten und rechtskräftigen Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer auch keine neuerliche Rückkehrentscheidung zu erlassen war (vgl VwGH 22.03.2018, Ra 2017/01/0287, Rz 16), nicht erneut zu prüfen sind, weil dem das Verfahrenshindernis der entschiedenen Sache entgegensteht.

Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 13.12.2019, Zl. W117 2226127-1, vom 10.01.2020, Zl. W112 2226127-2, vom 07.02.2020, Zl. W112 2226127-3, vom 06.03.2020, Zl. W251 2226127-4, vom 06.04.2020, Zl. W180 2226127-5, und vom 30.04.2020, Zl. W117 2226127-6, wurde jeweils festgestellt, dass zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung verhältnismäßig ist.

4. Mit Erkenntnis vom 28.05.2020, W154 2226127-7/3E, hat das Bundesverwaltungsgericht zuletzt im Rahmen der amtswegigen Verhältnismäßigkeitsprüfung festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Der Entscheidung zugrunde gelegt wurden insbesondere die Identifizierung des Beschwerdeführers durch Interpol Rabat sowie laufende Urgenzen seitens des Bundesamtes. Eine Abschiebung sei jedenfalls im Rahmen der zulässigen Anhaltedauer möglich.

5. Mit Schreiben vom 18.06.2020 legte das Bundesamt den Verwaltungsakt ein weiteres Mal zur amtswegigen Prüfung gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG vor. Darin wurde auf bisherige Verfahren des Beschwerdeführers in Österreich verwiesen, insbesondere die Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz unter Angabe einer falschen Identität sowie strafrechtliche Verurteilungen wegen der Begehung von Suchtmitteldelikten. Im Zusammenhang mit der Ausstellung eines Heimreisezertifikats werde weiterhin laufend urgiert. Aufgrund der unverändert bestehenden Fluchtgefahr sei weiterhin die zur Aufrechterhaltung der Schubhaft erforderliche ultima-ratio-Situation gegeben. Mit der Abschiebung könne jedenfalls im Rahmen der zulässigen Anhaltedauer gerechnet werden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist volljährig und verfügt über keine Dokumente, die seine Identität bescheinigen. Er machte gegenüber österreichischen Behörden und Gerichten über Jahre hinweg bewusst tatsachenwidrige Angaben zu seiner Identität. Die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt er nicht, er ist weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter. Der Beschwerdeführer ist grundsätzlich gesund und haftfähig. Er wird seit 16.08.2019 in Schubhaft angehalten.

Es liegt eine rechtskräftige und durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme in Bezug auf den Herkunftsstaat Marokko vor. Der Beschwerdeführer wurde mittlerweile von Interpol Rabat identifiziert; seine Staatsangehörigkeit steht fest. Das Bundesamt urgiert laufend – zuletzt im Juni 2020 – bei der marokkanischen Botschaft bezüglich der Ausstellung eines Heimreisezertifikats. Mit der Ausstellung eines Heimreisezertifikats ist nicht nur grundsätzlich, sondern auch realistisch zu rechnen. Die diesbezügliche erforderliche Zeitspanne ist vorrangig dem Beschwerdeführer, jedenfalls aber nicht dem Bundesamt zuzurechnen. Eine Untätigkeit der Behörde ist nicht ersichtlich.

Die realistische Möglichkeit einer Überstellung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat (innerhalb der gesetzlich normierten Zeitspanne für die Anhaltung in Schubhaft) besteht weiterhin. Die schrittweise Rücknahme der gegenwärtigen Restriktionen im Zusammenhang mit Covid-19 ist bereits angelaufen – für den internationalen Luftverkehr ist sie in einigen Wochen zumindest in einem reduzierten Ausmaß (das Abschiebungen ermöglicht) zu erwarten.

Die absehbare weitere Dauer der Anhaltung in Schubhaft ist nach derzeitigem Stand – kooperatives Verhalten des Beschwerdeführers vorausgesetzt – mit wenigen Monaten einzustufen. Eine Abschiebung im Sommer 2020 ist jedenfalls realistisch.

Der BF verfügt in Österreich über keinen gesicherten Wohnsitz. Seit 07.11.2018 ist er in Österreich ausschließlich in Justizanstalten und Polizeianhaltezentren gemeldet. Er ist in Österreich weder beruflich noch sozial integriert und nicht selbsterhaltungsfähig. Der Beschwerdeführer wurde in Österreich wegen Suchtmitteldelikten zu mehrmonatigen Freiheitsstrafen verurteilt. Von 14.12.2019 bis 18.12.2019 trat er in Hungerstreik, den er freiwillig beendete. Er ist insgesamt nicht vertrauenswürdig.

Der Beschwerdeführer ist grundsätzlich gesund und jedenfalls haftfähig. Ihm steht im Polizeianhaltezentrum eine psychologische und medizinische Betreuung zur Verfügung.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen ergeben sich aus der Aktenlage im gegenständlichen Verfahren sowie den Gerichts- und Verwaltungsakten zu seinen Asylverfahren. Die Feststellungen bezüglich der Meldeadressen des Beschwerdeführers ergeben sich aus der Aktenlage. Die Feststellungen zu den strafrechtlichen Verurteilungen sind dem Strafregister entnommen. Der Beschwerdeführer hat im Asylverfahren nachweislich unterschiedliche Angaben zu seiner Identität und seinem Herkunftsstaat gemacht – was aus den Akten zweifelsfrei ersichtlich ist.

2.2. Die realistische Möglichkeit der Rücküberstellung ergibt sich aus der diesbezüglich grundsätzlich problemlosen Zusammenarbeit mit den Vertretungen und Behörden des Herkunftsstaates. Abschiebungen fanden vor dem „Lockdown“ der internationalen Luftfahrt regelmäßig statt. Es ist davon auszugehen, dass in einigen Wochen der internationale Luftverkehr (nicht zwingend der allgemeine Reiseverkehr) wiederaufgenommen wird – womit auch (begleitete) Abschiebungen wieder möglich sind. Entsprechende Ankündigungen von Regierungen und internationalen Fluglinien wurden in den letzten Wochen veröffentlicht und sind notorisch. Sobald eine Zustimmung Marokkos zur Rückübernahme beziehungsweise HRZ-Ausstellung vorliegt, kann eine Abschiebung geplant werden. Dass dies im Sommer 2020 erfolgen kann, ist jedenfalls realistisch.

Die bisherigen Ermittlungs- und Prüfungsverfahren sind allein dem Beschwerdeführer zuzurechnen, weil er ohne Dokumente durch Europa reiste und bei Behördenkontakten bewusst tatsachenwidrige Behauptungen zu seiner Identität machte. Laufende Urgenzen des Bundesamtes sind der Aktenlage zu entnehmen.

2.3. Die Feststellungen zur fehlenden Integration des Beschwerdeführers und seiner Vermögenslage ergeben sich aus der Aktenlage. Die in besonderem Maße geminderte Vertrauenswürdigkeit ergibt sich aus den vom Beschwerdeführer in den Asylverfahren bewusst getätigten falschen Angaben zu seiner Person und der Begehung von Straftaten sowie dem wiederholten Aufenthalt im Verborgenen. Der Hungerstreik ist der Anhaltedatei zu entnehmen.

Hinweise für ein Fehlen der Haftfähigkeit oder gröbere gesundheitliche Probleme sind im Verfahren nicht hervorgetreten. Zudem befand sich der Beschwerdeführer vor Anordnung der Schubhaft regelmäßig in anderen Formen der behördlichen Freiheitsentziehung, zuletzt rund elf Monate lang in Untersuchungs- und Strafhaft.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A) (Vorliegen der Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft):

Entsprechend dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2015 – FrÄG 2015 vom 18.06.2015, BGBl. I Nr. 70/2015, lautet §22a Abs. 4 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG) wie folgt:

„§ 22a. (4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.“

§22a Abs. 4 bildet im gegenständlichen Fall die formelle Grundlage, da der Beschwerdeführer seit 16.08.2019 in Schubhaft angehalten wird.

Die in diesem Zusammenhang maßgeblichen (innerstaatlichen) verfassungsrechtlichen Bestimmungen des Art 5 Abs. lit. f EMRK und des Art 2 Abs. 1 Z. 7 PersFrBVG sowie einfachgesetzlichen Normen des mit 20. Juli 2015 im Rahmen des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2015 – FrÄG 2015 in Kraft getretenen Fremdenpolizeigesetzes 2005 lauten:

Art 5 Abs. 1 lit. F EMRK

(1) Jedermann hat ein Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf einem Menschen nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:
f)         wenn er rechtmäßig festgenommen worden ist oder in Haft gehalten wird, um ihn daran zu hindern, unberechtigt in das Staatsgebiet einzudringen oder weil er von einem gegen ihn schwebenden Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren betroffen ist.

Art 2 Abs. 1 Z. 7 PersFrBVG

(1) Die persönliche Freiheit darf einem Menschen in folgenden Fällen auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:

7. wenn dies notwendig ist, um eine beabsichtigte Ausweisung oder Auslieferung zu sichern.

§ 76 FPG (in der nunmehr gültigen Fassung)

„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1.         dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,
2.         dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3.         die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1.         ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a.         ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2.         ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3.         ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4.         ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5.         ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6.         ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a.         der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b.         der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c.         es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7.         ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8.         ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9.         der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

Gemessen also an § 76 Abs. 3, konkret an dessen ersten Satz „liegt eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 2 - immer noch - vor, da „bestimmte Tatsachen“, nämlich jene bereits im Rahmen der angeführten Beweiswürdigung relevierten, indizieren, dass sich der Beschwerdeführer einer drohenden Abschiebung in den Herkunftsstaat entziehen wird.

Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass das zwischenzeitlich eingeleitete Asylfolgeverfahren (das eine Änderung der Rechtsgrundlage auf § 76 Abs. 6 FPG bedingte), rechtskräftig abgeschlossen wurde. Konsequenterweise ist damit § 76 Abs. 2 Z 2 FPG erneut die Referenzbestimmung, da § 76 Abs. 6 FPG ein laufendes Asylverfahren verlangt.

Die Gründe, aus denen das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Schubhaft anordnete, haben sich seither nicht geändert und erweisen sich als grundsätzlich nachvollziehbar. Insbesondere hat der Beschwerdeführer das Kriterium der Ziffer 1 des § 76 Abs. 3 FPG durch bewusst falsche Angaben zu seiner Identität im Rahmen des Asylverfahrens erfüllt.

Mit der Anordnung gelinderer Mittel kann dementsprechend weiterhin nicht das Auslangen gefunden werden. Angesichts (in besonderem Umfang) fehlender persönlicher Vertrauenswürdigkeit – siehe dazu auch die wiederholte Nutzung falscher Identitätsangaben und die nicht bloß geringe Straffälligkeit – kommen diese schon aus grundsätzlichen Erwägungen nicht in Betracht.

Der Beschwerdeführer war bei Anordnung der Schubhaft haftfähig und ist dies auch weiterhin.

Verzögerungen im Zusammenhang mit der Abschiebung, die in der Sphäre des Bundesamtes liegen würden, sind nicht zu erkennen. Pandemiebedingte Verzögerungen sind zwar dem Beschwerdeführer nicht zur Last zu legen, doch hat er durch sein bisheriges Verhalten wesentlich dazu beigetragen, dass die Schubhaft zum Zeitpunkt des „Lockdowns“ überhaupt noch aufrecht war.

Die (zum Entscheidungszeitpunkt) voraussichtliche Dauer der Anhaltung ergibt sich aus den oben angeführten Umständen. Es ist davon auszugehen, dass (wie bis März 2020) eine begleitete Abschiebung binnen weniger Wochen nach Zusage einer HRZ-Ausstellung erfolgen kann. Der internationale Flugverkehr sollte - nach der gegenwärtigen Planung der Fluglinien - in einem hinreichenden Umfang ebenfalls wiederaufgenommen worden sein. Substanzielle gesundheitliche Probleme des Beschwerdeführers sind nicht aktenkündig.

Aus diesen Gründen ist festzustellen, dass im Zeitpunkt der Entscheidung die Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft gegeben ist. Eine über die Frage der Verhältnismäßigkeit hinausgehende Prüfung der Schubhaft ist nach dem eindeutigen Wortlaut von § 22a Abs. 4 BFA-VG nicht vorgesehen.

Zu Spruchteil B) – Revision:

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Im vorliegenden Akt findet sich kein schlüssiger Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Ob die weitere Anhaltung in Schubhaft verhältnismäßig ist, ist eine Frage des konkreten Einzelfalles, sodass keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung vorliegt. Dass aktenkundiges Vorverhalten im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsbeurteilung in die Entscheidung einbezogen werden kann, entspricht der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes.

Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

Fluchtgefahr Fortsetzung der Schubhaft Identität Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf strafrechtliche Verurteilung Überprüfung Verhältnismäßigkeit Vertrauenswürdigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W137.2226127.8.00

Im RIS seit

09.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

09.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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