TE Vwgh Erkenntnis 1997/12/16 95/09/0064

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Veröffentlicht am 16.12.1997
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
67 Versorgungsrecht;

Norm

AVG §58 Abs2;
HVG §21;
HVG §22;
KOVG 1957 §8 impl;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Fuchs und Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Loibl, über die Beschwerde des Dieter Z in P, vertreten durch Dr. Eugen Radel, Dr. Willibald Stampf und Dr. Christian Supper, Rechtsanwälte in Mattersburg, Brunnenplatz 5b, gegen den Bescheid der Schiedskommission beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales vom 10. Jänner 1995, Zl. OB. 113-491419-001, betreffend Einstellung der Beschädigtenrente nach dem Heeresversorgungsgesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren (Stempelgebühren) wird abgewiesen.

Begründung

Der im Jahr 1953 geborene Beschwerdeführer erlitt während seines im Jahr 1973 geleisteten Präsenzdienstes eine Gesundheitsschädigung, die als Dienstbeschädigung nach § 2 Abs. 1 HVG ("Hornhautnarbe links nach herpetischer Hornhautentzündung") im Bescheid des Landesinvalidenamtes vom 5. Mai 1975 Anerkennung fand. Nach der Begründung zu diesem Bescheid ergab sich aufgrund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens vom 3. Juli 1974 eine Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) nach den Richtsätzen zu § 21 HVG in Höhe von 15 % ("Mit Rücksicht auf die stark eingeschränkte Lesefähigkeit des linken Auges gelangte der obere Rahmensatzwert zur Anwendung."). Eine Prüfung nach § 22 HVG - so die weitere Begründung im damaligen Bescheid -, ob die MdE bei Berücksichtigung der Tauglichkeit des Beschwerdeführers zu einer Erwerbstätigkeit höher als nach § 21 HVG einzuschätzen sei, habe zu folgendem Ergebnis geführt: Bei der nach der Berufsgeschichte billigerweise sozial zumutbaren Erwerbstätigkeit eines qualifizierten kaufmännischen Angestellten (Operator und Sachbearbeiter) - Berufsblatt 167 der österreichischen Berufskartei - komme es durch die Dienstbeschädigung "zur Beeinträchtigung der Erbringung einer überdurchschnittlichen Berufsanforderung". Die zwar nicht ständig, doch immerhin öfter anfallenden berufsnotwendigen Arbeiten, "welche neben voller Sehschärfe mit Brille viel Naharbeit und gute Farbtüchtigkeit voraussetzen, während beidseitiges Sehen (plastisches Sehen, Entfernungsschätzen, Augenverletzungsgefahr) und volles Gesichtsfeld keineswegs berufsunabdingbar sind, werden durch die ungünstige Auswirkung (Sehverminderung) der Hornhautnarbe links nach herpetischer Hornhautentzündung empfindlich erschwert". Die MdE betrage gemäß § 22 HVG 30 v.H. Schließlich wird im Bescheid vom 5. Mai 1975 noch die Ermittlung der Höhe der zuerkannten Beschädigtenrente (auf der Grundlage einer MdE von 30 %) dargestellt.

Mit Bescheid vom 21. September 1994 stellte das Landesinvalidenamt die Auszahlung der Beschädigtenrente ein. Nach § 21 Abs. 1 HVG habe ein Beschädigter Anspruch auf Beschädigtenrente, wenn seine Erwerbsfähigkeit infolge der Dienstbeschädigung um mindestens 25 % vermindert sei; die Beschädigtenrente gebühre für die Dauer der MdE um mindestens 25 v.H. Hinsichtlich der medizinischen Beurteilung sei keine Änderung eingetreten; die MdE nach § 21 HVG betrage weiterhin 15 %. Eine Prüfung nach § 22 HVG habe ergeben, daß der seinerzeitigen berufskundlichen Einschätzung die Erwerbstätigkeit eines qualifizierten kaufmännischen Angestellten zugrunde gelegt worden sei. Seit 1. März 1994 sei der Beschwerdeführer als Expedient in einem "Kuvertindustrieunternehmen" beschäftigt und als solcher mit dem Zusammenstellen von "Kommissionen und deren Versand" betraut. Bei einer maßgebenden Änderung in den Berufsverhältnissen sei eine neuerliche berufskundliche Beurteilung erforderlich. Die vom Beschwerdeführer nunmehr ausgeübte Tätigkeit eines Expedienten sei daher billigerweise sozial zumutbar und werde der berufskundlichen Beurteilung zugrunde gelegt. Bei der nach der Berufsgeschichte billigerweise sozial zumutbaren Erwerbstätigkeit eines Expedienten komme es durch die Dienstbeschädigung nicht zur Beeinträchtigung der Erbringung einer überdurchschnittlichen Berufsanforderung. Da bei der Erfüllung der Berufsaufgaben mit mittlerer Sehschärfe das Auslangen gefunden werde und beidseitiges Sehen sowie volles Gesichtsfeld nicht unbedingt berufsnotwendig seien, könne es durch die Hornhautnarbe links nicht zur Beeinträchtigung bei der Erfüllung "irgendwelcher überdurchschnittlicher Berufsanforderungen" kommen. "Berufliche Sonderverhältnisse" für die Annahme einer MdE nach § 22 HVG seien daher nicht gegeben. Da die MdE (§§ 21 und 22 HVG) damit insgesamt weniger als 25 v.H. betrage, sei die Beschädigtenrente einzustellen gewesen.

In der Berufung vom 26. September 1994 brachte der Beschwerdeführer vor, wie er dem Bescheid der Behörde erster Instanz entnehmen könne, sei sein derzeitiger Beruf nicht der eines qualifizierten kaufmännischen Angestellten. Der Beschwerdeführer wisse zwar nicht, wie die Behörde zu dieser Beurteilung komme, sei aber der Meinung, daß er bei seiner jetzigen Tätigkeit "auch sehr viele kaufmännische Arbeiten verrichten muß, wie in meinem vorherigen Beruf". Sein Auge sei seit der Virusinfektion beim Bundesheer in Abständen von ca. drei Jahren immer wieder erkrankt und die Sehschärfe sei von "Mal zu Mal" schlechter geworden. Die letzte Augenerkrankung, die er im Krankenhaus habe behandeln lassen, sei im Juni 1992 gewesen. Als zusätzliches Erschwernis komme noch hinzu, daß er jetzt "weit weniger verdiene, da man als Invalide nicht so leicht eine freie Stelle" finde. Gerade aus diesem Grund sei ihm mit der Rente "weiterhin sehr geholfen". Darum ersuche er um eine medizinische Untersuchung zur Feststellung "meiner derzeitigen Invalidität".

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge. Nach Wiedergabe des Inhaltes des erstinstanzlichen Bescheides wird in der Begründung ausgeführt, das "erstinstanzliche Berufskundegutachten" sei von der belangten Behörde als schlüssig erkannt und daher der Entscheidung zugrunde gelegt worden. Der Beschwerdeführer sei seit 1. März 1994 aus Gründen, die nicht mit der Dienstbeschädigung zusammenhingen, als Expedient in einem Kuvertindustrieunternehmen beschäftigt und als solcher mit dem Zusammenstellen von Kommissionen und deren Versand betraut. Die vom Beschwerdeführer nunmehr ausgeübte Erwerbstätigkeit eines Expedienten sei daher billigerweise sozial zumutbar und der berufskundlichen Beurteilung zugrundezulegen. Wie im erstinstanzlichen Gutachten festgehalten, komme es durch die Hornhautnarbe links nicht zur Beeinträchtigung bei der Erfüllung "irgendwelcher überdurchschnittlicher Berufsanforderungen". Da berufliche Sonderverhältnisse für die Annahme einer MdE nach § 22 HVG nicht vorlägen, sei eine Einschätzung nach dieser Gesetzesbestimmung nicht möglich. Die Berufsbehinderung im "allgemeinen Erwerbsleben" sei bereits durch die richtsatzmäßig ermittelte MdE nach § 21 HVG berücksichtigt und betrage wie bisher 15 v.H. Die Durchführung des Parteiengehörs habe insofern unterbleiben können, als sich die belangte Behörde bei der Entscheidung auf das "bereits bekannte erstinstanzliche Berufskundesachverständigengutachten" gestützt habe.

In der Beschwerde werden Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in der Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 21 Abs. 1 HVG hat der Beschädigte Anspruch auf Beschädigtenrente, wenn seine Erwerbstätigkeit infolge der Dienstbeschädigung über drei Monate nach dem Eintritt der Gesundheitsschädigung (§ 2) hinaus um mindestens 25 v.H. vermindert ist; die Beschädigtenrente gebührt für die Dauer der MdE um mindestens 25 v.H. Unter MdE im Sinne des Bundesgesetzes ist die durch die Dienstbeschädigung bewirkte körperliche Beeinträchtigung im Hinblick auf das allgemeine Erwerbsleben zu verstehen.

Bei Feststellung des Grades der MdE ist gemäß § 22 HVG auch zu prüfen, ob sie bei Berücksichtigung der Tauglichkeit des Beschädigten zu einer Erwerbstätigkeit, die ihm nach seinem Beruf oder seiner Vorbildung billigerweise zugemutet werden kann, höher als nach § 21 HVG einzuschätzen ist. In diesen Fällen ist die MdE unter Bedachtnahme auf die Erfahrungen auf dem Gebiete der Berufskunde einzuschätzen; die Verdienstverhältnisse haben dabei außer Betracht zu bleiben.

Die Behörde muß im Verfahren nach § 22 HVG zunächst objektiv Art und Maß der Anforderungen bestimmen, die ein von ihr als zumutbar erkannter Beruf allgemein an die menschliche Konstitution in seelischer und körperlicher Hinsicht stellt, und danach beurteilen, ob diese Anforderungen das im § 21 bereits berücksichtigte Durchschnittsmaß übersteigen. Ist dies der Fall, dann liegen berufliche Sonderverhältnisse vor. Erst dann ist zu prüfen, ob und inwieweit die Tauglichkeit des Beschwerdeführers zur Bewältigung dieser besonderen Verhältnisse durch seine Dienstbeschädigung gemindert ist (vgl. beispielsweise die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. November 1955, 2657/54 = Slg. Nr. 3.896/A, und vom 25. April 1956, 2711/53, zu der dem § 22 HVG entsprechenden Bestimmung des § 8 KOVG 1957).

Die belangte Behörde vertrat im angefochtenen Bescheid die Ansicht, es sei deshalb eine neuerliche berufskundliche Beurteilung nach § 22 HVG erforderlich, weil eine maßgebliche Änderung in den Berufsverhältnissen des Beschwerdeführers eingetreten sei. Sie legt aber nicht konkret da, worin die Anforderungen des nunmehr zugrunde gelegten Berufes eines "Expedienten" an die körperlichen und geistigen Eignungen (auch im Unterschied zum bisher zugrunde gelegten Beruf eines kaufmännischen Angestellten) im einzelnen gelegen sein sollen. Auf das Tätigkeitsprofil eines "Expedienten in einem Kuvertindustrieunternehmen" geben allgemeine Hinweise auf das Erfordernis des "Zusammenstellens von Kommissionen und deren Versand" keine hinreichende Auskunft.

Zu diesen fehlenden Feststellungen im angefochtenen Bescheid ist weiters darauf hinzuweisen, daß der Beschwerdeführer ausdrücklich in der Berufung geltend gemacht hat, ihm sei nicht klar, wie die Behörde erster Instanz zu der Beurteilung gelangt sei, sein derzeitiger Beruf sei nicht mehr der eines qualifizierten kaufmännischen Angestellten (er sei vielmehr der Meinung, daß er bei seiner jetzigen Tätigkeit "auch sehr viele kaufmännische Arbeiten verrichten muß, wie in meinem vorherigen Beruf"). Soweit im angefochtenen Bescheid ausgeführt wird, eine Durchführung des "Parteiengehörs" habe unterbleiben können, weil sich die belangte Behörde bei der Entscheidung auf das "bereits bekannte erstinstanzliche Berufskundesachverständigengutachten" habe stützen können, ist festzuhalten, daß die (aktenkundige) "Berufskundliche Beurteilung" vom 19. September 1994, die lediglich in ihrer zusammenfassenden Beurteilung (so insbesondere ohne dem "Berufsbild") in der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides wiedergegeben worden war, nach der Aktenlage dem Beschwerdeführer nicht zur Kenntnis gebracht wurde.

Dieser bei der Feststellung des maßgebenden Berufsbildes und der daran zu knüpfenden Prüfung des Vorliegens von beruflichen Sonderverhältnissen nach § 22 HVG unterlaufene Verfahrensmangel ist auch wesentlich. In der Beschwerde wird diesbezüglich neuerlich auf die vom Beschwerdeführer im derzeitigen Beruf zu verrichtenden kaufmännischen Arbeiten (Bearbeitung von Versandlisten, zeitweise Bildschirmarbeit, aber auch "Schreiben von Belegen, Kontrolle der Briefköpfe und ähnlichem) hingewiesen (..., "daß bei der Erfüllung der derzeitigen Berufsaufgaben mit mittlerer Sehschärfe das Auslangen gefunden werden könne und beidseitiges Sehen sowie volles Gesichtsfeld nicht berufsnotwendig seien, und es daher durch die Hornhautnarbe nicht zur Beeinträchtigung bei der Erfüllung überdurchschnittlicher Berufsanforderungen komme, ist unrichtig.").

Die auch in diesem Zusammenhang in der Beschwerde erhobene Rüge, daß die "Neubeurteilung" aufgrund unrichtiger Grundlagen und Annahmen erfolgt und auch das Parteiengehör verletzt worden sei, erweist sich damit als berechtigt, sodaß der angefochtene Bescheid schon deshalb - ohne das auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war - wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften nach § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994. Stempelgebühren waren wegen der im § 68 Abs. 2 HVG normierten Gebührenfreiheit nicht zuzusprechen.

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete Diverses

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995090064.X00

Im RIS seit

27.03.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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