TE Bvwg Beschluss 2019/10/4 L524 2214743-1

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Veröffentlicht am 04.10.2019
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Entscheidungsdatum

04.10.2019

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53
FPG §55
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

L524 2214743-1/5E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht fasst durch die Richterin Mag. Veronika SANGLHUBER LL.B. über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch RA Dr. Rudolf Mayer, Universitätsstr. 8/2, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.01.2019, Zl. 241489610-171281846/BMI-BFA_WIEN_RD, betreffend eine Angelegenheit nach dem FPG, den Beschluss:

A) In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Dem Beschwerdeführer, einem türkischen Staatsangehörigen, wurde mit Schreiben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 07.01.2019 mitgeteilt, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot beabsichtigt sei, da der Beschwerdeführer zwei Mal von einem inländischen Gericht verurteilt worden sei (wobei allerdings zu beachten ist, dass hinsichtlich der zweiten Verurteilung eine falsche Strafhöhe angeführt wird). Weiters wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, die im Schreiben angeführten Fragen zu beantworten und entsprechende Belege vorzulegen.

2. In einem handschriftlichen Schreiben beantwortete der Beschwerdeführer die an ihn gerichteten Fragen und verwies darauf, dass etwaige Bestätigungen nachgereicht werden könnten.

3. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.01.2019, Zl. 241489610-171281846/BMI-BFA_WIEN_RD, wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA-VG erlassen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG "nach Herkunftsland" zulässig sei (Spruchpunkt II.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt III.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.).

4. Gegen diesen Bescheid richtet sie die fristgerecht erhobene Beschwerde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu A) Zurückverweisung an das BFA:

1. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist (§ 28 Abs. 3 dritter Satz VwGVG).

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG 2014 bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. VwGH 10.09.2014, Ra 2104/08/0005; 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

2. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das BFA die Rückkehrentscheidung auf § 52 Abs. 4 FPG gestützt hat. Wie sich jedoch aus der im Akt aufliegenden Kopie des Aufenthaltstitels des Beschwerdeführers ergibt, verfügt dieser über einen "Daueraufenthalt - EU", weshalb § 52 Abs. 5 FPG anzuwenden gewesen wäre.

3. Aus folgenden Gründen muss angenommen werden, dass der entscheidungswesentliche Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt wurde:

Bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung ist unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 MRK ihre Verhältnismäßigkeit am Maßstab des § 9 BFA-VG 2014 zu prüfen. Nach dessen Abs. 1 ist nämlich (ua) die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FrPolG 2005, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei Beurteilung dieser Frage ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG 2014 genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG 2014 ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. E 12. November 2015, Ra 2015/21/0101; E 20. Oktober 2016, Ra 2016/21/0198). Das gilt aber nicht nur für die Rückkehrentscheidung und für das in § 9 Abs. 1 BFA-VG 2014 weiters ausdrücklich genannte Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FrPolG 2005, sondern auch für das - nur bei gleichzeitiger Erlassung einer Rückkehrentscheidung zulässige - Einreiseverbot iSd § 53 FrPolG 2005, in dessen Abs. 2 und 3 in Bezug auf die Bemessung der Dauer auch die Abwägung nach Art. 8 MRK angesprochen wird (vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289 unter Hinweis auf VwGH 03.09.2015, Ra 2015/21/0111; 30.06.2016, Ra 2016/21/0179).

In Bezug auf die für ein Einreiseverbot zu treffende Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme (hier: "schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit") gerechtfertigt ist (vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289, mwN). Dabei ist - abgesehen von der Bewertung des bisherigen Verhaltens des Revisionswerbers - darauf abzustellen, wie lange die von ihm ausgehende Gefährdung zu prognostizieren ist. Diese Prognose ist nachvollziehbar zu begründen (vgl. VwGH 06.11.2018, Ra 2018/18/0203 unter Hinweis auf VwGH 30.6.2015, Ra 2015/21/0002, mwN).

Es ist auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist (vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289). Es ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. VwGH 20.12.2016, Ra 2016/21/0109; 31.8.2017, Ra 2017/21/0120).

Im Rahmen der zu treffenden Feststellungen kann es fallbezogen mitunter aber auch nicht ausreichend sein, die im Urteilstenor des Strafgerichts zum Ausdruck kommenden Tathandlungen wiederzugeben, sondern es sich als notwendig darstellen, darüber hinausgehende Feststellungen zu treffen, um die Gefährdungsprognose in einer dem Gesetz entsprechenden Weise vornehmen zu können (vgl. VwGH 01.03.2018, Ra 2018/19/0014 unter Hinweis auf VwGH 03.04.2009, 2008/22/0913; 24.11.2009, 2009/21/0267; 31.05.2011, 2008/22/0831; 05.07.2011, 2008/21/0131, jeweils mwN).

Das BFA trifft im gesamten Bescheid keine Feststellungen zur Art und Schwere der den strafrechtlichen Verurteilungen zu Grunde liegenden Straftaten, sondern stellt (im Verfahrensgang) bloß die im Urteilstenor zum Ausdruck kommenden Tathandlungen dar. Dies genügt nicht, um eine Gefährdungsprognose vornehmen zu können.

Zum Privat- und Familienleben stellt das BFA fest, dass der Beschwerdeführer verheiratet sei und fünf Kinder habe. Es führte keine Ermittlungen und trifft keine Feststellungen dazu, welche Staatsangehörigkeit seine Frau und seine Kinder besitzen bzw. über welche Aufenthaltstitel sie verfügen. Dies ist aber im Hinblick auf § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG erforderlich.

Dass der Sachverhalt nicht vollständig ermittelt wurde, bringt das BFA selbst auch zum Ausdruck, wenn es im Bescheid anführt, dass der Behörde nicht klar sei, wie er den Lebensunterhalt seiner Familie finanziere (AS 271). Obwohl für die Behörde der Sachverhalt ungeklärt blieb, hat sie es unterlassen, den Beschwerdeführer hierzu einzuvernehmen. Auch hat das BFA keine Feststellungen zum Privatleben des Beschwerdeführers getroffen, sondern ausschließlich zum Familienleben (und hier auch im Rahmen der Feststellungen rechtliche Erwägungen vorgenommen). Darüber hinaus trifft das BFA auch bloß Mutmaßungen über die Aufrechterhaltung des Familienlebens trotz Haft des Beschwerdeführers, hat diesbezüglich aber keine Ermittlungen angestellt.

Der Beschwerdeführer hat in seiner Stellungnahme auch die Vorlage von Bestätigungen angeboten. Hier unterließ es die Behörde, diese vom Beschwerdeführer anzufordern.

Bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen kommt der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks besondere Bedeutung zu und zwar sowohl in Bezug auf Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK (sonst) relevanten Umstände (vgl. VwGH 26.04.2018, Ra 2018/21/0052). Das BFA hätte den Beschwerdeführer daher auch persönlich einvernehmen müssen, um auf dieser Basis Feststellungen treffen zu können, die für eine Gefährdungsprognose und die Abwägung nach Art. 8 EMRK notwendig sind.

Unter diesen Gesichtspunkten leidet der angefochtene Bescheid unter erheblichen Ermittlungsmängeln in Bezug auf verschiedene grundlegende Fragen. Damit hat das BFA im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bloß ansatzweise ermittelt und Ermittlungen unterlassen, damit diese vom Bundesverwaltungsgericht durchgeführt werden. Auf Grund der dargestellten Mängel ist es nicht möglich, den maßgeblichen Sachverhalt festzustellen.

Das BFA hat daher im fortgesetzten Verfahren auf Basis der strafgerichtlichen Urteile die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten festzustellen. Dabei ist es erforderlich, sich mit dem Inhalt des Strafurteils auseinanderzusetzen. Ein bloßes Aufzählen der Verurteilung und die Wiedergabe der Tathandlungen laut Urteilstenor ist nicht ausreichend. Es bedarf auch konkreter Feststellungen zum Gesamtverhalten des Beschwerdeführers. Schließlich sind zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers auf Basis ergänzender Ermittlungen nach Durchführung einer Einvernahme konkrete Feststellungen zu treffen. Allenfalls kann es auch erforderlich sein, die Ehefrau des Beschwerdeführers als Zeugin einzuvernehmen.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, vor allem weil das Ermittlungsverfahren nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden soll.

In der Gesamtschau ist der Aufhebung des angefochtenen Bescheides und der Zurückverweisung an die belangte Behörde zur Erlassung eines neuen Bescheides im Vergleich zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht unter dem Aspekt der Raschheit und der Kostenersparnis der Vorzug zu geben. Das behördliche Verfahren erweist sich aus den dargelegten Gründen insgesamt als so mangelhaft, dass von dem in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG eingeräumten Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung Gebrauch zu machen war (VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063).

Der Bescheid war daher nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückzuverweisen.

4. Zudem wird darauf hingewiesen, dass der angefochtene Bescheid den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung gem. §§ 58 und 60 AVG nicht gerecht wird. Demnach sind in der Begründung die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die für die Beweiswürdigung maßgeblichen Erwägungen sowie die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies im ersten Schritt die eindeutige, konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche im Fall des Vorliegens wiederstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch der Entscheidung geführt haben (vgl. VwGH 14.09.2016, Ra 2015/08/0145 mwN). Eine solche klare Trennung erfolgte nicht. Es enthalten etwa die "Feststellungen" und die "Beweiswürdigung" bereits rechtliche Erwägungen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und die Zurückverweisung an das BFA ergeht in Anlehnung an die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (vgl. VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

Schlagworte

Begründungspflicht Einreiseverbot Ermittlungspflicht Gefährdungsprognose Interessenabwägung Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung persönliche Einvernahme Privat- und Familienleben strafgerichtliche Verurteilung Strafhaft

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:L524.2214743.1.00

Im RIS seit

08.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

08.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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