TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/13 L507 2167621-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.11.2019
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Entscheidungsdatum

13.11.2019

Norm

AsylG 2005 §3
B-VG Art133 Abs4

Spruch

L507 2167621-1/21E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Habersack über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Irak, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.07.2017, Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 02.10.2019, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 3 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsbürger arabischer Abstammung und moslemischer (schiitischer) Religionszugehörigkeit, stellte am 03.11.2015, nachdem er zuvor illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist ist, einen Antrag auf internationalen Schutz.

Hiezu wurde er am 05.12.2015 von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt, wobei er vorbrachte, dass er zuletzt in Bagdad gelebt und am 25.10.2015 den Irak mit einem Flugzeug verlassen habe. Die Ehegattin und die beiden Kinder des Beschwerdeführers sowie dessen Mutter und Geschwister würden nach wie vor in Bagdad leben. Den Irak habe der Beschwerdeführer verlassen, weil er für eine Menschenrechtsorganisation tätig gewesen und deswegen von unbekannten Milizen entführt und gefoltert worden sei. Die Miliz hätte vom Beschwerdeführer Informationen über Opfer von Menschenrechtsverletzungen erfahren wollen.

2. Am 18.01.2017 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) einvernommen. Dabei brachte er im Wesentlichen vor, dass er vor seiner Ausreise aus dem Irak in Bagdad gemeinsam mit seinen beiden Kindern und seiner Ehegattin gelebt habe. Nach der Schulausbildung sei der Beschwerdeführer während des Iran-Irak-Krieges elf Jahre lang als Soldat beim Militär gewesen und habe danach als Näher gearbeitet. Nach dem Sturz von Saddam Hussein habe sich alles geändert und der Beschwerdeführer habe seine Tätigkeit als Näher nicht mehr fortsetzen können, weil sich die gesamte Wirtschaft geändert habe und der Markt mit ausländischer Billigware geflutet worden sei.

Ab 2005 habe der Beschwerdeführer bei einer Menschenrechtsorganisation gearbeitet und danach eine eigene Menschenrechtsorganisation gegründet. 2006 sei diese Menschenrechtsorganisation beim Amt des Ministerpräsidenten registriert worden und bis zur Genehmigung habe es bis zum November 2008 gedauert. Zudem sei der Beschwerdeführer auch Wahlbeobachter gewesen. Am 25.10.2015 habe der Beschwerdeführer den Irak auf legale Art und Weise verlassen und sei in die Türkei geflogen. Der Beschwerdeführer gehöre der arabischen Volksgruppe und der schiitischen Religionsgemeinschaft an.

Den Irak habe der Beschwerdeführer verlassen, weil seine Heimat nicht mehr sicher sei und er mehrmals bedroht worden sei. Er sei der Vorsitzende einer Menschenrechtsorganisation gewesen und sei somit eine Zielscheibe für Personen gewesen, die mit seiner Arbeit nicht einverstanden gewesen seien, insbesondere die Milizen. Im Jahr 2008 sei der Beschwerdeführer von Milizen entführt worden. Er sei in ein Haus gebracht und dort angehalten und gefoltert worden. Immer wieder seien Angehörige der Milizen für kurze Zeit ins Haus gekommen und hätten den Beschwerdeführer zusammengeschlagen. Der Beschwerdeführer habe nichts zu essen bekommen und sei immer wieder geschlagen worden. Überall habe sich Blut befunden und der Beschwerdeführer habe eine Narbe auf der Stirn davongetragen. Die Gegend, in der der Beschwerdeführer festgehalten worden sei, sei von den Amerikanern belagert worden, wodurch die Entführer gezwungen worden seien, den Beschwerdeführer freizulassen bzw. ihn auf den Straßenrand zu werfen. Der Beschwerdeführer sei zwar am Ende gewesen, habe aber noch gelebt.

Danach sei der Beschwerdeführer für eineinhalb Jahre nach XXXX zu seinem Bruder gezogen. Nachdem sich die Sicherheitslage wieder gebessert habe, sei der Beschwerdeführer wieder nach Bagdad zurückgegangen, wo er im Jahr 2010 ein Geschäft für Lebensmittel eröffnet habe. Die Arbeit als Vorsitzender einer Menschenrechtsorganisation habe er auch wieder fortgesetzt. Die Menschenrechtsorganisation des Beschwerdeführers habe aber kein Büro mehr gehabt, weil dieses verwüstet worden sei. In diesem Büro habe der Beschwerdeführer Gehhilfen, Hilfsmittel, Behindertenbedarf und Laptops gelagert gehabt. Die Rechner seien mitgenommen worden. Der Beschwerdeführer wisse nicht, wer das Büro verwüstet habe. Damals hätten Milizen untereinander gekämpft und die Lage im Irak sei sehr komplex gewesen. Man habe nicht zwischen Milizen, Banden und Dieben unterscheiden können.

Im Jahr 2013 sei der Beschwerdeführer neuerlich bedroht worden. Er habe damals seine Kinder zum Haus der Großmutter gebracht und sei von einem Auto überfahren worden, wobei er einen Beckenbruch erlitten habe. Aufgrund des Beckenbruches sei ihm eine Platte eingesetzt worden und sei der Beschwerdeführer seither nicht mehr arbeitsfähig. Da der Beschwerdeführer nicht mehr arbeitsfähig sei, habe seine Ehegattin beim Staat eine Anstellung erhalten. Der Beschwerdeführer habe Angst um sein Leben gehabt und habe seitdem in XXXX [XXXX] gelebt. Er sei nunmehr im Geheimen nach Hause zurückgekehrt und habe in den Jahren 2014 und 2015 jeden Schritt im Voraus geplant, weil die Milizen überall präsent gewesen seien. Aus Angst um sein Leben, habe der Beschwerdeführer den Irak verlassen. Niemand könne die Milizen zur Rechenschaft ziehen, weil sie sich unter dem Schutz der irakischen Regierung befinden würden.

Am 10.02.2017 wurde der Beschwerdeführer neuerlich vom BFA niederschriftlich einvernommen, wobei er im Wesentlichen vorbrachte, dass er vor seiner Ausreise aus dem Irak in Bagdad gelebt habe. Im Jahr 2008 sei der Beschwerdeführer nach XXXX [XXXX] gezogen und habe dort zwei Jahre bei seinem Bruder gelebt. Danach sei der Beschwerdeführer im Jahr 2010 nach Bagdad zurückgekehrt und habe ein Haus gemietet, wo seine Familie jetzt leben würde. Der Beschwerdeführer sei von 1980 bis 1991 während des Iran-Irak-Krieges als Soldat beim Militär gewesen.

Der Beschwerdeführer habe den Irak verlassen, weil sein Leben in Gefahr sei. Das Haus des Beschwerdeführers sei einmal gestürmt worden, wobei der Beschwerdeführer entführt und zwei Tage lang angehalten worden sei. Für diese Entführung im Jahr 2008 mache der Beschwerdeführer die al Mahdi Armee verantwortlich. Damals habe man den Beschwerdeführer töten wollen, was aber durch die Einmischung wichtiger Persönlichkeiten verhindert worden sei. Man habe vom Beschwerdeführer nichts verlangt, man habe zu ihm nur gesagt, dass sehr ein amerikanischer Kollaborateur sei.

Ein zweites Mal sei der Beschwerdeführer bedroht worden, indem man ihn mit einem Auto überfahren habe. Der Beschwerdeführer sei von hinten von einem Auto erfasst worden und habe dadurch einen Beckenbruch erlitten. Das Auto sei weitergefahren. Der Beschwerdeführer mache für diesen Vorfall die al Mahdi Armee verantwortlich, weil sie die größte schiitische Miliz im Irak sei. Der Beschwerdeführer vermute, dass er absichtlich angefahren worden sei, weil er sich weit weg von der Fahrbahn befunden habe. Von Ende 2013 bis Ende 2014 habe sich der Beschwerdeführer kaum bewegen können und habe beinahe die ganze Zeit im Bett verbracht. Danach sei er im Rollstuhl gesessen und habe sich mit Krücken fortbewegt. Ende 2014 habe er beinahe wieder normal gehen können.

Anfang 2015 habe der Beschwerdeführer einen Supermarkt bzw. ein Lebensmittelgeschäft eröffnet, wo er auch gearbeitet habe. Immer wenn Leute den Laden betreten hätten, habe er nicht gewusst, ob die Leute etwas kaufen würden oder ob sie ihm etwas antun wollten. Immer wenn die Sicherheitslage nicht stabil gewesen sei, habe der Beschwerdeführer den Laden für einige Tage zugesperrt. Insgesamt sei das Lebensmittelgeschäft vier Monate lang geöffnet gewesen. Danach habe der Beschwerdeführer den Laden an den Verpächter zurückgegeben.

Der Beschwerdeführer habe sich nicht sicher gefühlt und habe ständig Angst um sein Leben gehabt. Dadurch, dass der Beschwerdeführer eine Organisation gegründet gehabt habe, habe man ihn überall gekannt. Dem Beschwerdeführer sei nichts Anderes übriggeblieben, als den Irak zu verlassen. Im Irak gebe es keine Sicherheit und keine Behörden, die für die Sicherheit sorgen würden. Man könne nicht zur Polizei gehen und Anzeige erstatten. Die Polizei sei von den Milizen unterwandert. Der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers sei schlecht und er könne nicht jede Arbeit annehmen. Er sei an den Nieren und an der Harnblase getroffen worden und habe ein Metallstück in der Hüfte. Er sei bereits dreimal am Herzen operiert worden, einmal davon in Österreich.

Die Menschenrechtsorganisation, die der Beschwerdeführer gegründet habe, gebe es seit 2013 nicht mehr, da die Zulassung im Jahr 2013 abgelaufen sei. Der Beschwerdeführer sei der Vorsitzende dieser Menschenrechtsorganisation gewesen und habe die Korrespondenz dieser Organisation mit dem Staat, den Ministerien, mit anderen Organisationen, dem Roten Kreuz, dem Roten Halbmond und mit den Koalitionstruppen besorgt. Der Beschwerdeführer habe auch persönlich Lebensmittel an Bedürftige verteilt, Bedürftige zu Hause besucht und sich einen Überblick über die Lage gemacht. Die Organisation des Beschwerdeführers sei im ganzen Bereich der Menschenrechte tätig gewesen und habe insbesondere ärmere und bedürftige Personen unterstützt. Die Organisation habe auch verletzte und behinderte Personen mit Krücken und Rollstühlen unterstützt, und habe Alphabetisierungskurse für ältere Personen organisiert. Es hätten ungefähr acht Personen im Rahmen der Organisation mitgearbeitet.

3. Mit Bescheid des BFA vom 13.07.2017, Zl. XXXX, wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß

§ 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen und dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten nicht zuerkannt. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 13.07.2018 erteilt.

Die Erstbehörde traf darin aktuelle Feststellungen mit nachvollziehbaren Quellenangaben zur allgemeinen Lage im Irak.

Im angefochtenen Bescheid traf die belangte Behörde unter anderem die Feststellung, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers bezüglich seiner Gründe zum Verlassen des Irak, nämlich, dass er entführt worden sei, dass er absichtlich von einem Auto angefahren worden sei sowie die Verwicklung in sein Handgemenge aufgrund ungerechtfertigter Rückgabe von Produkten im Lebensmittelgeschäft, nicht glaubhaft sei. Nicht festgestellt werden könne, dass der Beschwerdeführer einer Gefährdung oder Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention im Irak ausgesetzt sei oder gewesen sei.

Beweiswürdigend wurde vom BFA ausgeführt, dass die behauptete Bedrohung durch Mitglieder der al Mahdi Miliz aufgrund des gesteigerten, vagen und abstrakten Vorbringens für nicht glaubwürdig befunden werde.

Infolge der derzeitig im Irak vorherrschenden instabilen Sicherheitslage seien dem Beschwerdeführer jedoch der Status des subsidiär Schutzberechtigten und gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung zu erteilen gewesen.

4. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 31.07.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

5. Der bekämpfte Bescheid wurde der Vertretung des Beschwerdeführers am 02.08.2017 ordnungsgemäß zugestellt. Gegen Spruchpunkt I dieses Bescheides richtet sich die am 13.08.2017 beim BFA eingelangte Beschwerde.

Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer als Fluchtgründe angegeben habe, aus religiösen Gründen, politischen Gründen bzw. wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt zu werden. Der Beschwerdeführer sei aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit Todesdrohungen und konkreten Verfolgungshandlungen durch die mit dem irakischen Staat verbundenen radikal-schiitischen Milizen ausgesetzt.

Die Befürchtungen des Beschwerdeführers asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt zu sein, seien nicht spekulativ, sondern realistisch und würden durch die Länderberichte bestätigt werden. Überdies habe der Beschwerdeführer auch konkrete Vorfälle angeführt, die ihn an seiner Sicherheit zweifeln lassen und liege daher auch eine persönliche Bedrohung vor.

Nicht richtig sei, dass der Beschwerdeführer keine ausreichenden Informationen über die fluchtauslösenden Ereignisse machen habe können. Seine Angaben seien verständlich, da er in seinen Wahrnehmungen aufgrund der Unübersichtlichkeit der Ereignisse überfordert gewesen sei, zumal dies natürlich auch traumatisierend gewesen sei. Dass jemand wie der Beschwerdeführer den genauen Verlauf der Ereignisse nicht in allen Details schildern könne, wäre ihm hinsichtlich seiner Glaubensinhalt allenfalls anzurechnen gewesen, da Asylwerber in der Einvernahme stets dazu angehalten seien, nichts dazu zu erfinden oder zu spekulieren, sondern zuzugeben, wenn sie über bestimmte Dinge keine Erinnerungen hätten. Die diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers würden daher genau dem entsprechen, was von jemanden in einer solchen Situation zu erwarten sei. In Anbetracht dessen, dass die fluchtauslösenden Ereignisse mittlerweile einige Jahre zurückliegen würden, seien auch die geringfügigen Diskrepanzen, die dem Beschwerdeführer vorgeworfen worden seien erklärlich, da derartige unterschiedliche Erinnerungen bei tatsächlich selbst erlebten Ereignissen normal seien, im Gegensatz zu einer bloß auswendig gelernten Geschichte.

Auch seien die Verfolgungshandlungen, denen der Beschwerdeführer ausgesetzt gewesen sei, durchaus dem Staat selbst zuzurechnen. In den Länderberichten werde bestätigt, dass die staatlichen Institutionen des Irak und gerade auch die Justiz zunehmend und bereits fast vollständig von Schiiten kontrolliert werden würden, und dass die radikal-schiitischen Milizen untrennbar mit der Exekutive des Irak verwoben seien.

Soweit das Bundesamt Spekulationen darüber getroffen habe, warum die Miliz, die den Beschwerdeführer bedroht habe, dies oder jenes getan oder nicht getan habe, sei festzustellen, dass die Vorgangsweise radikal-islamistischer Terroristen einerseits nicht immer rational erklärlich sei, und andererseits der Beschwerdeführer in seiner Einvernahme konsistente, sinnvolle Angaben dazu gemacht habe, weshalb nicht nachvollziehbar sei, was das Bundesamt eigentlich daran unplausibel finde.

Soweit das Bundesamt meine, die Bedrohung, der der Beschwerdeführer ausgesetzt gewesen sei, sei nicht glaube, weil er nicht schon früher geflüchtet sei, sei festzustellen, dass im allenfalls anzurechnen gewesen wäre, dass er nicht schon bei der erstbesten Gelegenheit geflüchtet sei, sondern erst als es unbedingt notwendig gewesen sei, um sein Leben zu retten. Auch würden die Vorwürfe bezüglich des Geschäftes, das der Beschwerdeführer betrieben habe, nicht überzeugen, da er schließlich seinen Lebensunterhalt verdienen musste und ihm die allgemeine wirtschaftliche Situation im Irak keine andere Option geboten habe.

Zur Asylrelevanz der Verfolgung des Beschwerdeführers sei festzustellen, dass nach ständiger Judikatur auch einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden Verfolgung Asylrelevanz zukommen könne, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage sei, die Verfolgungshandlungen zu unterbinden. Auch wenn kein Staat jeden Übergriff Dritter verhindern könne, sei die Frage zu beantworten, ob im Fall des Beschwerdeführers eine Verfolgung entsprechender Intensität aufgrund von Konventionsgründen durch Dritte mit ausreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei. Laut dem Verwaltungsgerichtshof mache es für einen Verfolgten nämlich keinen Unterschied, ob er aufgrund staatlicher Verfolgung mit maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten habe oder ihm dieser Nachteil aufgrund einer von Dritten ausgehenden, vom Staat nicht ausreichend verhinderbaren Verfolgung mit derselben Wahrscheinlichkeit drohe. In beiden Fällen sei es ihm nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich dem Schutze seines Heimatlandes zu bedienen. Dies treffe auf den Beschwerdeführer zu, da die irakische Regierung ihm gegenüber keinen Schutz gewähren könne.

Die allgemeine Situation im Irak sei weiterhin - und möglicherweise verschärft massiv -instabil, und eine Abschiebung des Beschwerdeführers wäre unverantwortlich. Der Beschwerdeführer unterliege im gesamten Staatsgebiet des Irak asylrelevanter Verfolgung, da die irakischen Behörden zumindest nicht fähig möglicherweise auch nicht willig seien, ihre Bürger zu beschützen, weder vor den radikal-islamistischen sunnitischen Terroristen noch vor den schiitischen Milizen.

Zusammenfassend müsse daher festgestellt werden, dass die Argumentation des Bundesamtes aus den oben genannten Gründen nicht nachvollziehbar sei. Das Vorbringen des Beschwerdeführers entspreche der Wahrheit, sei glaubwürdig und gründlich substantiiert. Dem Beschwerdeführer drohe in seiner Heimat Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention und es wäre ihm daher Flüchtlingsstatus zu gewähren gewesen.

Eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens stelle dar, dass die Behörde es verabsäumt habe, sich mit der konkreten Situation des Beschwerdeführers und der aktuellen Situation im Irak auseinanderzusetzen. Die Verpflichtung, ein amtswegiges Ermittlungsverfahren durchzuführen, bedeute, dass die konkrete und aktuelle Situation untersucht werde. Dies sei in diesem Fall verabsäumt worden, insbesondere dadurch, dass das Bundesamt als Spezialbehörde ausreichend Material vorliegen müsste, aus dem die Verfolgungssituation erkennbar sei.

Dadurch, dass sich die erkennende Behörde nicht mit der konkreten Situation des Beschwerdeführers auseinandergesetzt habe, sei eine rechtliche Auseinandersetzung mit seinem Vorbringen nicht möglich.

6. Am 02.10.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht in der Sache des Beschwerdeführers eine öffentlich mündliche Verhandlung durch. In dieser wurde dem Beschwerdeführer die Gelegenheit gegeben, neuerlich seine Ausreisemotivation umfassend darzulegen. Zudem wurden ihm die aktuellen Länderinformationen zum Irak ausgehändigt und ihm die Möglichkeit zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme innerhalb einer Frist von zwei Wochen eingeräumt.

Im darauf Bezug habenden Schreiben der Vertretung des Beschwerdeführers vom 15.10.2019 wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer wegen seiner Tätigkeit für die Hilfsorganisation, bei der er durch Amerikaner unterstützt worden sei, im Falle einer Rückkehr in den Irak von der Miliz Saraya al-Salam, die aus der ehemaligen Mahdi Armee hervorgegangen sei, erneut verfolgt werden würde, weil diese Miliz gegen die Einmischung der Amerikaner sei und der Beschwerdeführer bereits in der Vergangenheit deswegen entführt, geschlagen und gefoltert worden sei, unter anderem auch deswegen, weil der Beschwerdeführer aufgrund seiner früheren Tätigkeit eine gewisse Bekanntheit erlangt habe und ihm von der Miliz Saraya al-Salam eine oppositionelle politische Einstellung unterstellt werden würde.

Ferner wurde in dieser Stellungnahme auf die aktuell in Bagdad stattfindenden Proteste und Demonstrationen hingewiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger des Irak, schiitischen Glaubens und Angehöriger der arabischen Volksgruppe. Er stammt aus XXXX bzw. XXXX und lebte zuletzt mit seiner Ehegattin und seinen beiden minderjährigen Kindern in Bagdad.

Nach dem Ausscheiden aus dem Militärdienst im Jahr 1991 betrieb der Beschwerdeführer eine Schneiderei und war nach 2003 auch als Taxifahrer und Mechaniker tätig. Die Schneiderei des Beschwerdeführers besteht nach wie vor und wird von Mitarbeitern des Beschwerdeführers betrieben. Der Beschwerdeführer besitzt in XXXX ein Haus und Grundstücke, die verpachtet sind.

Die Ehegattin des Beschwerdeführers ist als Beamtin Abteilungsleiterin im Institut XXXX. Die beiden minderjährigen Kinder des Beschwerdeführers besuchen jeweils eine Hauptschule.

Die Mutter des Beschwerdeführers - der Vater ist bereits verstorben - sowie die Geschwister des Beschwerdeführers leben nach wie vor im Irak, teils in Bagdad und teils in XXXX.

Der Beschwerdeführer hat zu seinen Familienangehörigen im Irak regelmäßig Kontakt.

Der Beschwerdeführer gründete im Jahr 2007 gemeinsam mit seiner Ehegattin und weiteren sechs Personen eine Hilfsorganisation, die Personen aus armen Verhältnissen und insbesondere verwitwete Frauen und deren Familien im Irak mit Hilfsgütern, wie etwa Lebensmitteln, Krücken und Rollstühle, Kleidung, etc., unterstützte und auch Englischunterricht und Alphabetisierungskurse organisierte. Diese Hilfsorganisation war behördlich registriert und genehmigt. Die Hilfsorganisation existiert nicht mehr und ist die wobei die Zulassung seit 2013 abgelaufen.

Der Beschwerdeführer wurde im Jahr 2013 oder 2014 von einem Auto angefahren, wobei er einen Beckenbruch erlitt und in der Folge in einem Krankenhaus in Bagdad medizinisch bzw. unfallchirurgisch behandelt wurde.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor der Ausreise aus seiner engeren Heimat einer aktuellen, individuellen Verfolgung durch Mitglieder schiitischer Milizen ausgesetzt war.

1.2. Zur Lage im Irak wird festgestellt:

Politische Lage

Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018). Gemäß der Verfassung ist der Irak ein demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.2.2018), der aus 18 Provinzen (muhafazat) besteht (Fanack 27.9.2018). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Autonome Region Kurdistan ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaymaniya. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung, verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).

An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuwwab, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat), für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt. Zusammen bilden sie den Präsidialrat (Fanack 27.9.2018).

Teil der Exekutive ist auch der Ministerrat, der sich aus dem Premierminister und anderen Ministern der jeweiligen Bundesregierung zusammensetzt (Fanack 27.9.2018; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (RoI 15.10.2005).

Am 2.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih zum Präsidenten des Irak (DW 2.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (BBC 3.10.2018). Abd al-Mahdi ist seit 2005 der erste Premier, der nicht die Linie der schiitischen Da'wa-Partei vertritt, die seit dem Ende des Krieges eine zentrale Rolle in der Geschichte Landes übernommen hat. Er unterhält gute Beziehungen zu den USA. Der Iran hat sich seiner Ernennung nicht entgegengestellt (Guardian 3.10.2018).

Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik (Fanack 27.9.2018). Im Gegensatz zum Präsidenten, dessen Rolle weitgehend zeremoniell ist, liegt beim Premierminister damit die eigentliche Exekutivgewalt (Guardian 3.10.2018).

Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 27.9.2018). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 17.10.2018; vgl. IRIS 11.5.2018).

Die konfessionell/ethnische Verteilung der politischen Spitzenposten ist nicht in der irakischen Verfassung festgeschrieben, aber seit 2005 üblich (Standard 3.10.2018). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnite, der Premierminister ist ein Schiite und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018).

In weiten Teilen der irakischen Bevölkerung herrscht erhebliche Desillusion gegenüber der politischen Führung (LSE 7.2018; vgl. IRIS 11.5.2018). Politikverdrossenheit ist weit verbreitet (Standard 13.5.2018). Dies hat sich auch in der niedrigen Wahlbeteiligung bei den Parlamentswahlen im Mai 2018 gezeigt (WZ 12.5.2018). Der Konfessionalismus und die sogennante "Muhassasa", das komplizierte Proporzsystem, nach dem bisher Macht und Geld unter den Religionsgruppen, Ethnien und wichtigsten Stämmen im Irak verteilt wurden, gelten als Grund für Bereicherung, überbordende Korruption und einen Staat, der seinen Bürgern kaum Dienstleistungen wie Strom- und Wasserversorgung, ein Gesundheitswesen oder ein Bildungssystem bereitstellt (TA 12.5.2018).

Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten und Schiiten sowie Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 12.2.2018).

Die Zeit des Wahlkampfs im Frühjahr 2018 war nichtsdestotrotz von einem Moment des verhaltenen Optimismus gekennzeichnet, nach dem Sieg über den sogenannten Islamischen Staat (IS) im Dezember 2017 (ICG 9.5.2018). Am 9.12.2017 hatte Haider al-Abadi, der damalige irakische Premierminister, das Ende des Krieges gegen den IS ausgerufen (BBC 9.12.2017). Irakische Sicherheitskräfte hatten zuvor die letzten IS-Hochburgen in den Provinzen Anbar, Salah al-Din und Ninewa unter ihre Kontrolle gebracht. (UNSC 17.1.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 12.10.2018

-Al Jazeera (15.9.2018): Deadlock broken as Iraqi parliament elects speaker, https://www.aljazeera.com/news/2018/09/deadlock-broken-iraqi-parliament-elects-speaker-180915115434675.html, Zugriff 19.10.2018

-BBC - British Broadcasting Corporation (9.12.2017): Iraq declares war with Islamic State is over, http://www.bbc.com/news/world-middle-east-42291985, Zugriff 18.10.2018

-BBC - British Broadcasting Corporation (3.10.2018): New Iraq President Barham Saleh names Adel Abdul Mahdi as PM, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-45722528, Zugriff 18.10.2018

-CIA - Central Intelligence Agency (17.10.2018): The World Factbook - Iraq, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/iz.html, Zugriff 19.10.2018

-DW - Deutsche Welle (2.10.2018): Iraqi parliament elects Kurdish moderate Barham Salih as new president, https://www.dw.com/en/iraqi-parliament-elects-kurdish-moderate-barham-salih-as-new-president/a-45733912, Zugriff 18.10.2018

-Fanack (27.9.2018): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq/, Zugriff 17.10.2018

-The Guardian (3.10.2018): Iraqi president names Adel Abdul-Mahdi as next prime minister, https://www.theguardian.com/world/2018/oct/03/iraqi-president-names-adel-abdul-mahdi-as-next-prime-minister, Zugriff 18.10.2018

-ICG - International Crisis Group (9.5.2018): Iraq's Pre-election Optimism Includes a New Partnership with Saudi Arabia, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/iraq/iraqs-pre-election-optimism-includes-new-partnership-saudi-arabia, Zugriff 18.10.2018

-KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459, Zugriff 17.10.2018

-LSE - London School of Economics and Political Science (7.2018): The 2018 Iraqi Federal Elections: A Population in Transition?, http://eprints.lse.ac.uk/89698/7/MEC_Iraqi-elections_Report_2018.pdf, Zugriff 18.10.2018

-Reuters (15.9.2018): Iraq parliament elects Sunni lawmaker al-Halbousi as speaker, breaking deadlock, https://www.reuters.com/article/us-iraq-politics/iraq-parliament-elects-sunni-lawmaker-al-halbousi-as-speaker-breaking-deadlock-idUSKCN1LV0BH, Zugriff 18.10.2018

-RoI - Republic of Iraq (15.10.2005): Constitution of the Republic of Iraq, http://www.refworld.org/docid/454f50804.html, Zugriff 18.10.2018

-Der Standard (13.5.2018): Wahlen im Irak: Al-Abadi laut Kreisen in Führung, https://derstandard.at/2000079629773/Irakische-Parlamentswahl-ohne-groessere-Zder, Zugriff 2.11.2018

-Der Standard (3.10.2018): Neue alte Gesichter für Iraks Topjobs, https://derstandard.at/2000088607743/Neue-alte-Gesichter-fuer-Iraks-Topjobs, Zugriff 19.10.2018

-TA - Tagesanzeiger (12.5.2018): Im Bann des Misstrauens, https://www.tagesanzeiger.ch/ausland/naher-osten-und-afrika/im-bann-des-misstrauens/story/29434606, Zugriff 18.10.2018

-UNSC - United Nations Security Council (17.1.2018): Report of the Secretary-General pursuant to resolution 2367 (2017), https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/N1800449.pdf, Zugriff 19.10.2018

-WZ - Wiener Zeitung (12.5.2018): Erste Wahl im Irak nach Sieg gegen IS stößt auf wenig Interesse, https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/welt/weltpolitik/964399_Erste-Wahl-im-Irak-nach-Sieg-gegen-IS-stoesst-auf-wenig-Interesse.html, Zugriff 23.10.2018

Sicherheitslage

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen Sieg über den Islamischen Staat (IS). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem die territoriale Kontrolle des IS gebrochen wurde, verbessert (CRS 4.10.2018; vgl. MIGRI 6.2.2018). IS-Kämpfer sind jedoch weiterhin in manchen Gebieten aktiv, die Sicherheitslage ist veränderlich (CRS 4.10.2018).

Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.2.2018).

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.2.2018). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (MIGRI 6.2.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 19.7.2018

-CRS - Congressional Research Service (4.10.2018): Iraq: Issues in the 115th Congress, https://fas.org/sgp/crs/mideast/R45096.pdf, Zugriff 29.10.2018

-MIGRI - Finnische Immigrationsbehörde (6.2.2018): Finnish Immigration Service report: Security in Iraq variable but improving, https://yle.fi/uutiset/osasto/news/finnish_immigration_service_report_security_in_iraq_variable_but_improving/10061710, Zugriff 30.10.2018

Sicherheitslage in Bagdad

Die Provinz Bagdad ist die kleinste und am dichtesten bevölkerte Provinz des Irak, mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit der Provinz wird sowohl vom "Baghdad Operations Command" kontrolliert, der seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst zieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden (OFPRA 10.11.2017).

Laut Joel Wing kam es im Januar 2018 noch zu durchschnittlich 3,3 sicherheitsrelevanten Vorfällen in Bagdad pro Tag, eine Zahl die bis Juni 2018 auf durchschnittlich 1,1 Vorfälle pro Tag sank (Joel Wing 3.7.2018). Seit Juni 2018 ist die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Bagdad langsam wieder auf 1,5 Vorfälle pro Tag im Juli, 1,8 Vorfälle pro Tag im August und 2,1 Vorfälle pro Tag im September gestiegen. Diese Angriffe bleiben Routine, wie Schießereien und improvisierte Sprengkörper und konzentrieren sich hauptsächlich auf die äußeren südlichen und nördlichen Gebiete der Provinz (Joel Wing 6.10.2018).

Insgesamt kam es im September 2018 in der Provinz Bagdad zu 65 sicherheitsrelevanten Vorfällen. Damit verzeichnete Bagdad die höchste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen im ganzen Land (Joel Wing 6.10.2018). Auch in der ersten und dritten Oktoberwoche 2018 führte Bagdad das Land in Bezug auf die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle an. Wenn man jedoch die Größe der Stadt bedenkt, sind Angriffe immer noch selten (Joel Wing 9.10.2018 und Joel Wing 30.10.2018).

In Bezug auf die Opferzahlen war Bagdad von Januar bis März 2018, im Mai 2018, sowie von Juli bis September 2018 die am schwersten betroffene Provinz im Land (UNAMI 1.2.2018; UNAMI 2.3.2018; UNAMI 4.4.2018; UNAMI 31.5.2018; UNAMI 1.8.2018; UNAMI 3.9.2018; UNAMI 1.10.2018). Im September 2018 verzeichnete UNAMI beispielsweise 101 zivile Opfer in Bagdad (31 Tote, 70 Verletzte) (UNAMI 1.10.2018).

Quellen:

-Joel Wing - Musings on Iraq (8.7.2017): 3,230 Dead, 1,128 Wounded In Iraq June 2017, https://musingsoniraq.blogspot.com/2017/07/3230-dead-1128-wounded-in-iraq-june-2017.html, Zugriff 1.11.2018

-Joel Wing - Musings on Iraq (4.10.2017): 728 Dead And 549 Wounded In September 2017 In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2017/10/728-dead-and-549-wounded-in-september.html , Zugriff 1.11.2018

-Joel Wing - Musings on Iraq (6.10.2018): Islamic State Returns To Baghdad While Overall Security In Iraq Remains Steady, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/10/islamic-state-returns-to-baghdad-while.html , Zugriff 30.10.2018

-Joel Wing - Musings on Iraq (9.10.2018): Security In Iraq Oct 1-7, 2018, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/10/security-in-iraq-oct-1-7-2018.html, Zugriff 1.11.2018

-Joel Wing - Musings on Iraq (30.10.2018): Security In Iraq Oct 22-28, 2018, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/10/security-in-iraq-oct-22-28-2018.html, Zugriff 1.11.2018

-OFPRA - Office Français de Protection des Réfugiés et Apatrides (10.11.2017): The Security situation in Baghdad Governorate, https://www.ofpra.gouv.fr/sites/default/files/atoms/files/39_irq_security_situation_in_baghdad.pdf, Zugriff 31.10.2018UNAMI - United Nations Assistance Mission in Iraq (1.2.2018): UN Casualty Figures for Iraq for the Month of January 2018, http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=8500:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-january-2018&Itemid=633&lang=en, Zugriff 1.11.2018

-UNAMI - United Nations Assistance Mission in Iraq (2.3.2018): UN Casualty Figures for Iraq for the Month of February 2018, http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=8643:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-february-2018&Itemid=633&lang=en, Zugriff 1.11.2018

-UNAMI - United Nations Assistance Mission in Iraq (4.4.2018): UN Casualty Figures for Iraq for the Month of March 2018, http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=8801:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-march-2018&Itemid=633&lang=en, Zugriff 1.11.2018

-UNAMI - United Nations Assistance Mission in Iraq (31.5.2018): UN Casualty Figures for Iraq for the Month of May 2018, http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=9155:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-may-2018&Itemid=633&lang=en, Zugriff 1.11.2018

-UNAMI - United Nations Assistance Mission in Iraq (1.8.2018): UN Casualty Figures for Iraq for the Month of July 2018, http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=9402:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-july-2018&Itemid=633&lang=en, Zugriff 1.11.2018

-UNAMI - United Nations Assistance Mission in Iraq (3.9.2018): UN Casualty Figures for Iraq for the Month of August 2018, http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=9542:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-august-2018&Itemid=633&lang=en, Zugriff 1.11.2018

-UNAMI - United Nations Assistance Mission in Iraq (1.10.2018): UN Casualty Figures for Iraq for the Month of September 2018, http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=9687:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-september-2018&Itemid=633&lang=en, Zugriff 31.10.2018

-USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html , Zugriff 31.10.2018

Sicherheitslage im Nord- und Zentralirak

In den Provinzen Ninewa und Salah al-Din muss weiterhin mit schweren Anschlägen und offenen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen dem IS und irakischen Sicherheitskräften gerechnet werden. Diese Gefährdungslage gilt ebenfalls für die Provinz Anbar und die Provinz Ta'mim (Kirkuk), sowie auch für die Provinz Diyala. Hinzu kommen aktuelle Spannungen zwischen irakischen Streitkräften und kurdischen Peshmerga (AA 1.11.2018).

Mit dem Zuwachs und Gewinn an Stärke von lokalen und sub-staatlichen Kräften, haben diese auch zunehmend Verantwortung für die Sicherheit, politische Steuerung und kritische Dienstleistungen übernommen. Infolgedessen ist der Nord- und Zentralirak, obgleich nicht mehr unter der Kontrolle des IS, auch nicht unter fester staatlicher Kontrolle. Die Fragmentierung der Macht und die große Anzahl an mobilisierten Kräften mit widersprüchlichen Loyalitäten und Programmen stellt eine erhebliche Herausforderung für die allgemeinen Stabilität dar (GPPI 3.2018).

Der Zentralirak ist derzeit der wichtigste Stützpunkt für den IS. Die Gewalt dort nahm im Sommer 2018 zu, ist aber inzwischen wieder gesunken. In der Provinz Diyala beispielsweise fiel die Zahl sicherheitsrelevanter Vorfälle von durchschnittlich 1,7 Vorfällen pro Tag im Juni 2018 auf 1,1 Vorfälle im Oktober 2018. Auch in der Provinz Salah al-Din kam es im Juni 2018 zu durchschnittlich 1,4 sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Tag, im Oktober jedoch nur noch zu 0,5. Die Provinz Kirkuk verzeichnete im Oktober 2018 einen Anstieg an sicherheitsrelevanten Vorfällen, mit durchschnittlich 1,5 Vorfällen pro Tag, die höchste Zahl seit Juni 2018. Die Anzahl der Vorfälle selbst ist jedoch nicht so maßgeblich wie die Art der Vorfälle und die Schauplätze an denen sie ausgeübt werden. Der IS ist in allen ländlichen Gebieten der Provinz Diyala, in Süd-Kirkuk, Nord- und Zentral-Salah-al-Din tätig. Es gibt regelmäßige Angriffe auf Städte; Zivilisten und Beamte werden entführt; Steuern werden erhoben und Vergeltungsmaßnahmen gegen diejenigen ausgeübt, die sich weigern zu zahlen; es kommt auch regelmäßige zu Schießereien. Es gibt immer mehr Berichte über IS-Mitglieder, die sich tagsüber im Freien bewegen und das Ausmaß ihrer Kontrolle zeigen. Die Regierung hat in vielen dieser Gegenden wenig Präsenz und die anhaltenden Sicherheitseinsätze sind ineffektiv, da die Kämpfer ausweichen, wenn die Einsätze im Gang sind, und zurückkehren, wenn sie wieder beendet sind. Der IS verfügt derzeit über eine nach außen hin expandierende Kontrolle in diesen Gebieten (Joel Wing 2.11.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (1.11.2018): Irak: Reisewarnung, https://www.auswaertiges-amt.de/de/iraksicherheit/202738, Zugriff 1.11.2018

-GPPI - Global Public Policy Institute (3.2018): Iraq after ISIL: Sub-State Actors, Local Forces, and the Micro-Politics of Control, http://www.gppi.net/fileadmin/user_upload/media/pub/2018/Gaston_Derzsi-Horvath_Iraq_After_ISIL.pdf, Zugriff 5.11.2018

-Joel Wing - Musings on Iraq (2.11.2018): October 2018: Islamic State Expanding Operations In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/11/october-2018-islamic-state-expanding.html, Zugriff 5.11.2018

Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF)

Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF, Iraqi Security Forces) bestehen aus Sicherheitskräften, die vom Innenministerium verwaltet werden, Sicherheitskräften, die vom Verteidigungsministerien verwaltet werden, den Volksmobilisierungseinheiten (PMF, Popular Mobilization Forces), und dem Counter-Terrorism Service (CTS). Das Innenministerium ist für die innerstaatliche Strafverfolgung und die Aufrechterhaltung der Ordnung zuständig; es beaufsichtigt die Bundespolizei, die Provinzpolizei, den Dienst für den Objektschutz, den Zivilschutz und das Ministerium für den Grenzschutz. Die Energiepolizei, die dem Ölministerium unterstellt ist, ist für den Schutz von kritischer Infrastruktur in diesem Bereich verantwortlich. Konventionelle Streitkräfte, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die Verteidigung des Landes zuständig, führen aber in Zusammenarbeit mit Einheiten des Innenministeriums auch Einsätze zur Terrorismusbekämpfung sowie interne Sicherheitseinsätze durch. Der Counter-Terrorism Service (CTS) ist direkt dem Premierminister unterstellt und überwacht das Counter-Terrorism Command (CTC), eine Organisation, zu der drei Brigaden von Spezialeinsatzkräften gehören (USDOS 20.4.2018).

Die irakischen Streit- und Sicherheitskräfte dürften mittlerweile wieder ca. 100.000 Armee-Angehörige (ohne PMF und Peshmerga) und über 100.000 Polizisten umfassen. Sie sind noch

nicht befähigt, landesweit den Schutz der Bürger zu gewährleisten. Die Anwendung bestehender Gesetze ist nicht gesichert. Personelle Unterbesetzung, mangelnde Ausbildung, mangelndes rechtsstaatliches Bewusstsein vor dem Hintergrund einer über Jahrzehnte gewachsenen Tradition von Unrecht und Korruption auf allen Ebenen sind hierfür die Hauptursachen. Ohnehin gibt es kein Polizeigesetz, die individuellen Befugnisse einzelner Polizisten sind sehr weitgehend. Ansätze zur Abhilfe und zur Professionalisierung entstehen durch internationale Unterstützung: Die Sicherheitssektorreform wird aktiv und umfassend von der internationalen Gemeinschaft unterstützt (AA 12.2.2018).

Straffreiheit ist ein Problem. Es gibt Berichte über Folter und Misshandlungen im ganzen Land in Einrichtungen des Innen- und Verteidigungsministeriums. Nach Angaben internationaler Menschenrechtsorganisationen findet Missbrauch vor allem während der Verhöre inhaftierter Personen im Rahmen der Untersuchungshaft statt. Probleme innerhalb der Provinzpolizei des Landes, einschließlich Korruption, bleiben weiterhin bestehen. Armee und Bundespolizei rekrutieren und entsenden bundesweit Soldaten und Polizisten. Dies führt zu Beschwerden lokaler Gemeinden bezüglich Diskriminierung aufgrund ethno-konfessioneller Unterschiede durch Mitglieder von Armee und Polizei. Die Sicherheitskräfte unternehmen nur begrenzte Anstrengungen, um gesellschaftliche Gewalt zu verhindern oder darauf zu reagieren (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 31.10.2018

-USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 31.10.2018

Volksmobilisierungseinheiten (PMF)

Der Name "Volksmobilisierungseinheiten" (al-hashd al-sha'bi, engl.: popular mobilization units, PMU oder popular mobilization forces bzw. popular mobilization front, PMF), bezeichnet eine Dachorganisation für etwa vierzig bis siebzig Milizen und demzufolge ein loses Bündnis paramilitärischer Formationen (Süß 21.8.2017). Die PMF werden vom Staat unterstützt und sind landesweit tätig. Die Mehrheit der PMF-Einheiten ist schiitisch, was die Demografie des Landes widerspiegelt. Sunnitische, jesidische, christliche und andere "Minderheiten-Einheiten" der PMF sind in ihren Heimatregionen tätig (USDOS 20.4.2018). Es gibt große, gut ausgerüstete Milizen, quasi militärische Verbände, wie die Badr-Organisation, mit eigenen Vertretern im Parlament, aber auch kleine improvisierte Einheiten mit wenigen Hundert Mitgliedern, wie die Miliz der Schabak. Viele Milizen werden von Nachbarstaaten wie dem Iran oder Saudi-Arabien unterstützt. Die Türkei unterhält in Baschika nördlich von Mosul ein eigenes Ausbildungslager für sunnitische Milizen. Die Milizen haben eine ambivalente Rolle. Einerseits wäre die irakische Armee ohne sie nicht in der Lage gewesen, den IS zu besiegen und Großveranstaltungen wie die Pilgerfahrten nach Kerbala mit jährlich bis zu 20 Millionen Pilgern zu schützen. Andererseits stellen die Milizen einen enormen Machtfaktor mit Eigeninteressen dar, was sich in der gesamten Gesellschaft, der Verwaltung und in der Politik widerspiegelt und zu einem allgemeinen Klima der Korruption und des Nepotismus beiträgt (AA 12.2.2018).

Die PMF unterstehen seit 2017 formal dem Oberbefehl des irakischen Ministerpräsidenten, dessen tatsächliche Einflussmöglichkeiten aber weiterhin als begrenzt gelten (AA 12.2.2018). Obwohl die PMF laut Gesetz auf Einsätze im Irak beschränkt sind, sollen, ohne Befugnis durch die irakische Regierung, in einigen Fällen Einheiten das Assad-Regime in Syrien unterstützt haben. Die irakische Regierung erkennt diese Kämpfer nicht als Mitglieder der PMF an, obwohl ihre Organisationen Teil der PMF sind. Alle PMF-Einheiten sind offiziell dem Nationalen Sicherheitsberater unterstellt. In der Praxis gehorchen aber mehrere Einheiten auch dem Iran und der iranischen Revolutionsgarde. Ende 2017 war keine einheitliche Führung und Kontrolle der PMF durch Premierminister und ISF feststellbar, insbesondere nicht der mit dem Iran verbundenen Einheiten. Die Bemühungen der Regierung, die PMF als staatliche Sicherheitsbehörde zu formalisieren, werden fortgesetzt, aber Teile der PMF bleiben "iranisch" ausgerichtet. Das Handeln dieser unterschiedlichen Einheiten stellt zeitweise eine zusätzliche Herausforderungen in Bezug auf die Sicherheitslage dar, insbesondere - aber nicht nur - in ethnisch und religiös gemischten Gebieten des Landes (USDOS 20.4.2018).

Die Schwäche der ISF hat es vornehmlich schiitischen Milizen, wie den vom Iran unterstützten Badr-Brigaden, den Asa'ib Ahl al-Haqq und den Kata'ib Hisbollah, erlaubt, Parallelstrukturen im Zentralirak und im Süden des Landes aufzubauen. Die PMF waren und sind ein integraler Bestandteil der Anti-IS-Operationen, wurden jedoch zuletzt in Kämpfen um sensible sunnitische Ortschaften nicht an vorderster Front eingesetzt. Es gab eine Vielzahl an Vorwürfen von Plünderungen und Gewalttaten durch die PMF. Diese Meldungen haben sich mit dem Konflikt um die umstrittenen Gebiete zum Teil verschärft (AA 12.2.2018).

Die Badr-Organisation ist die älteste schiitische Miliz im Irak und gleichermaßen die mit den längsten und engsten Beziehungen zum Iran. Hervorgegangen ist sie aus dem Badr-Korps, das 1983/84 als bewaffneter Arm des "Obersten Rates für die Islamische Revolution im Irak" gegründet wurde und von Beginn an den iranischen Revolutionsgarden (Pasdaran) unterstellt war [Anm. der "Oberste Rat für die Islamische Revolution im Irak" wurde später zum "Obersten Islamischen Rat im Irak" (OIRI), siehe Abschnitt "Politische Lage"]. Die Badr-Organisation wird von Hadi al-Amiri angeführt und gilt heute als die bedeutendste Teilorganisation und dominierende Kraft der PMF. Sie ist besonders mächtig, weil sie Kontrolle über das irakische Innenministerium und damit auch über die Polizeikräfte besitzt; ein Großteil der bewaffneten Kräfte der Organisation wurde ab 2005 in die irakische Polizei aufgenommen. Sie soll über etwa 20.000 bis 50.000 Mann verfügen und ist Miliz und politische Partei in einem (Süß 21.8.2017).

Die Kata'ib Hizbullah (Bataillone der Partei Gottes, Hizbullah Brigades) wurden 2007 von Abu Mahdi al-Muhandis gegründet und werden auch von diesem angeführt. Die Miliz kann als Eliteeinheit begriffen werden, die häufig die gefährlichsten Operationen übernimmt und vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv ist. Ihre Personalstärke ist umstritten, teilweise ist die Rede von bis zu 30.000 Mann. Die Ausrüstung und militärische Ausbildung ihrer Mitglieder sind besser als die der anderen Milizen innerhalb der PMF. Kata'ib Hizbullah arbeiten intensiv mit Badr und der libanesischen Hizbullah zusammen und gelten als Instrument der iranischen Politik im Irak. Die Miliz wird von den USA seit 2009 als Terrororganisation geführt (Süß 21.8.2017).

Die Asa'ib Ahl al-Haqq (Liga der Rechtschaffenen oder Khaz'ali-Netzwerk, League of the Righteous) wurde 2006 von Qais al-Khaz'ali gegründet und bekämpfte zu jener Zeit die US-amerikanischen Truppen im Irak. Asa'ib Ahl al-Haqq unternahm den Versuch, sich als politische Kraft zu etablieren, konnte bei den Parlamentswahlen 2014 allerdings nur ein einziges Mandat gewinnen. Ausgegangen wird von einer Gruppengröße von mindestens 3.000 Mann; einige Quellen sprechen von 10.000 bis 15.000 Kämpfern. Die Miliz erhält starke Unterstützung vom Iran und ist wie die Badr-Oganisation und Kata'ib Hizbullah vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv. Sie gilt heute als gefürchtetste, weil besonders gewalttätige Gruppierung innerhalb der Volksmobilisierung, die religiös-politische mit kriminellen Motiven verbindet. Ihr Befehlshaber Khaz'ali ist einer der bekanntesten Anführer der PMF (Süß 21.8.2017).

Die Saraya as-Salam (Schwadronen des Friedens, Peace Brigades) wurden im Juni 2014 nach der Fatwa von Großayatollah Ali al-Sistani, in der alle junge Männer dazu aufgerufen wurden, sich im Kampf gegen den IS den Sicherheitskräften zum Schutz von Land, Volk und heiligen Stätten im Irak anzuschließen, von Muqtada as-Sadr gegründet. Die Gruppierung kann de facto als eine Fortführung der ehemaligen Mahdi-Armee bezeichnet werden. Diese ist zwar 2008 offiziell aufgelöst worden, viele ihrer Kader und Netzwerke blieben jedoch aktiv und konnten 2014 leicht wieder mobilisiert werden. Quellen sprechen von einer Gruppengröße von 50.000, teilweise sogar 100.000 Mann, ihre Schlagkraft ist jedoch mangels ausreichender finanzieller Ausstattung und militärischer Ausrüstung begrenzt. Dies liegt darin begründet, dass Sadr politische Distanz zu Teheran wahren will, was in einer nicht ganz so großzügigen Unterstützung Irans resultiert. Das Haupteinsatzgebiet der Miliz liegt im südlichen Zentrum des Irak, wo sie vorgibt, die schiitischen heiligen Stätten zu schützen. Ebenso waren Saraya as-Salam aber auch mehrfach an Kämpfen nördlich von Bagdad beteiligt (Süß 21.8.2017).

Auch die Kata'ib al-Imam Ali (Bataillone des Imam Ali, Imam Ali Batallions) ist eine der Milizen, die im Juni 2014 neu gebildet wurden. Sie sticht hervor, weil sie sich rasant zu einer schlagkräftigen Gruppe entwickelte, die an den meisten wichtigen Auseinandersetzungen im

Kampf gegen den IS beteiligt war. Dies lässt auf eine beträchtliche Kämpferzahl schließen. Die Funktion des Generalsekretärs hat Shibl al-Zaidi inne, ein früherer Angehöriger der Sadr-Bewegung. Zaidi steht in engem Kontakt zu Muhandis und den Pasdaran, weshalb die Miliz intensive Beziehungen zur Badr-Organisation, den Kata'ib Hizbullah und den iranischen Revolutionsgarden unterhält. Die Miliz betreibt außerdem wirkungsvolle Öffentlichkeitsarbeit, wodurch ihr Bekanntheitsgrad schnell gestiegen ist. Vor allem der Feldkommandeur Abu Azrael erlangte durch Videos mit äußerst brutalen Inhalten zweifelhafte Berühmtheit. Die Gruppe scheint Gefangene routinemäßig zu foltern und hinzurichten (Süß 21.8.2017).

Rechtsstellung und Aktivitäten der PMF

Obwohl das Milizenbündnis der PMF unter der Aufsicht des 2014 gegründeten Volksmobilisierungskomitees steht und Ende 2016 ein Gesetz in Kraft trat, das die PMF dem regulären irakischen Militär in allen Belangen gleichstellt und somit der Weisung des Premierministers unterstellt, hat der irakische Staat nur mäßige Kontrolle über die Milizen. In diesem Zusammenhang kommt vor allem Badr eine große Bedeutung zu: Die Milizen werden zwar von der irakischen Regierung in großem Umfang mit finanziellen Mitteln und Waffen unterstützt, unterstehen aber formal dem von Badr dominierten Innenministerium, wodurch keine Rede von umfassender staatlicher Kontrolle sein kann. Die einzelnen Teilorganisationen agieren größtenteils eigenständig und weisen eigene Kommandostrukturen auf, was zu Koordinationsproblemen führt und letztendlich eine institutionelle Integrität verhindert (Süß 21.8.2017).

Die militärischen Erfolge der PMF gegen den IS steigerten ihre Popularität vor allem bei der schiitischen Bevölkerung, gleichzeitig wurden allerdings auch Berichte über Menschenrechtsverletzungen wie willkürliche Hinrichtungen, Entführungen und Zerstörung von Häusern veröffentlicht (Süß 21.8.2017). In Gebieten, die vom IS zurückerobert wurden, klagen Einheimische, dass sich die PMF gesetzwidrig und unverhohlen parteiisch verhalten. In Mosul beispielsweise behaupteten mehrere Einwohner, dass die PMF weit davon entfernt seien, Schutz zu bieten, und durch Erpressung oder Plünderungen illegale Gewinne erzielten. PMF-Kämpfer haben im gesamten Nordirak Kontrollpunkte errichtet, um Zölle von Händlern einzuheben. Auch in Bagdad wird von solchen Praktiken berichtet. Darüber hinaus haben die PMF auch die Armee in einigen Gebieten verstimmt. Zusammenstöße zwischen den PMF und den regulären Sicherheitskräften sind häufig. Auch sind Spannungen zwischen den verschiedenen Gruppen der PMF weitverbreitet. Die Rivalität unter den verschiedenen Milizen ist groß (ICG 30.7.2018).

Neben der Finanzierung durch den irakischen, sowie den iranischen Staat bringen die Milizen einen wichtigen Teil der Finanzmittel selbst auf - mit Hilfe der organisierten Kriminalität. Ein Naheverhältnis zu dieser war den Milizen quasi von Beginn an in die Wiege gelegt. Vor allem bei Stammesmilizen waren Schmuggel und Mafiatum weit verbreitet. Die 2003/4 neu gegründeten Milizen kooperierten zwangsläufig mit den Mafiabanden ihrer Stadtviertel. Kriminelle Elemente wurden aber nicht nur kooptiert, die Milizen sind selbst in einem dermaßen hohen Ausmaß in kriminelle Aktivitäten verwickelt, dass manche Experten sie nicht mehr von der organisierten Kriminalität unterscheiden, sondern von Warlords sprechen, die in ihren Organisationen Politik und Sozialwesen für ihre Klientel und Milizentum vereinen - oft noch in Kombination mit offiziellen Positionen im irakischen Sicherheitsapparat. Die Einkünfte kommen hauptsächlich aus dem großangelegten Ölschmuggel, Schutzgelderpressungen, Amtsmissbrauch, Entführungen, Waffen- und Menschenhandel, Antiquitäten- und Drogenschmuggel. Entführungen sindwaren ein wichtiges Geschäft aller Gruppen, dessen hauptsächliche Opfer zahlungsfähige Iraker sind waren (Posch 8.2017).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 31.10.2018

-ICG - International Crisis Group (30.7.2018): Iraq's Paramilitary Groups: The Challenge of Rebuilding a Functioning State, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/iraq/188-iraqs-paramilitary-groups-challenge-rebuilding-functioning-state, Zugriff 31.10.2018

-Posch, Walter (8.2017): Schiitische Milizen im Irak und in Syrien -Volksmobilisierungseinheiten und andere, per E-mail

-Süß, Clara-Auguste (21.8.2017): Al-Hashd ash-Sha'bi: Die irakischen "Volksmobilisierungseinheiten" (PMU/PMF), in BFA Staatendokumentation: Fact Finding Mission Report Syrien mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1410004/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 31.10.2018

-USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 31.10.2018

Allgemeine Menschenrechtslage

Die Verfassung garantiert demokratische Grundrechte wie Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit, Schutz von Minderheiten und Gleichberechtigung. Der Menschenrechtskatalog umfasst auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte wie das Recht auf Arbeit und das Recht auf Bildung. Der Irak hat wichtige internationale Abkommen zum Schutz der Menschenrechte ratifiziert. Es kommt jedoch weiterhin zu Menschenrechtsverletzungen durch Polizei und andere Sicherheitskräfte. Der in der Verfassung festgeschriebene Aufbau von Menschenrechtsinstitutionen kommt weiterhin nur schleppend voran. Die unabhängige Menschenrechtskommission konnte sich bisher nicht als geschlossener und durchsetzungsstarker Akteur etablieren. Internationale Beobachter kritisieren, dass Mitglieder der Kommission sich kaum mit der Verletzung individueller Menschenrechte beschäftigen, sondern insbesondere mit den Partikularinteressen ihrer jeweils eigenen ethnisch-konfessionellen Gruppe. Ähnliches gilt für den Menschenrechtsausschuss im irakischen Parlament. Das Menschenrechtsministerium wurde 2015 abgeschafft (AA 12.2.2018).

Zu den wesentlichsten Menschenrechtsfragen im Irak zählen unter anderem: Anschuldigungen bezüglich rechtswidriger Tötungen durch Mitglieder der irakischen Sicherheitskräfte, insbesondere durch einige Elemente der PMF; Verschwindenlassen und Erpressung durch PMF-Elemente; Folter; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen; willkürliche Eingriffe in die Privatsphäre; Einschränkungen der Meinungsfreiheit, einschließlich der Pressefreiheit; Gewalt gegen Journalisten; weit verbreitete Korruption; stark reduzierte Strafen für so genannte "Ehrenmorde"; gesetzliche Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Frauen; Menschenhandel. Militante Gruppen töteten bisweilen LGBTI-Personen. Es gibt auch Einschränkungen bei den Arbeitnehmerrechten, einschließlich Einschränkungen bei der Gründung unabhängiger Gewerkschaften (USDOS 20.4.2018).

Im Zuge des internen bewaffneten Konflikts begingen Regierungstruppen, kurdische Streitkräfte, paramilitärische Milizen, die US-geführte Militärallianz und der IS auch 2017 Kriegsverbrechen, Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht und schwere Menschenrechtsverstöße. Der IS vertrieb Tausende Zivilpersonen, zwang sie in Kampfgebiete und missbrauchte sie massenhaft als menschliche Schutzschilde. Er tötete vorsätzlich Zivilpersonen, die vor den Kämpfen fliehen wollten, und setzte Kindersoldaten ein. Regierungstruppen und kurdische Streitkräfte sowie paramilitärische Milizen waren für außergerichtliche Hinrichtungen von gefangen genommenen Kämpfern und Zivilpersonen, die dem Konf

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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