TE Bvwg Erkenntnis 2019/12/10 L504 1230575-4

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Veröffentlicht am 10.12.2019
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Entscheidungsdatum

10.12.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs3 Z2
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §6 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §18 Abs2 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z5
FPG §55

Spruch

L504 1230575-4/48E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. ENGEL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , XXXX alias XXXX geb., StA. Türkei, vertreten durch RA Mag. Doris EINWALLNER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.10.2017, Zl. 242399104-14737747, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrenshergang

1. Die beschwerdeführende Partei [bP] ist ihren Angaben nach ein alevitischer Kurde und Staatsangehöriger der Türkei. Sie stellte erstmals am 24.06.2002 einen Asylantrag, welcher nach wiederholter Zurückweisung durch den UBAS letztlich mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 21.06.2007 rechtskräftig - Berufung wurde nicht mehr erhoben - entschieden wurde.

Der Asylantrag wurde gem. § 7 iVm § 13 Abs 2 AsylG 1997 wegen Vorliegens eines Asylausschlussgrundes abgewiesen (Spruchpunkt I.). Die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Türkei wurde gem. § 8 Abs 1 AsylG 1997 für zulässig erklärt. Gemäß § 8 Abs 2 AsylG wurde die bP aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen.

Als Fluchtgrund brachte die bP dabei im Wesentlichen vor, dass sie Kurde sei, sie habe in Deutschland mit der PKK Kontakt aufgenommen und sei HADEP-Mitglied. Das Bundesasylamt erachtete das als ausreisekausal dargelegte Vorbringen im Wesentlichen als nicht glaubhaft. Als Asylausschlussgrund wurde geltend gemacht, dass die bP mit Urteil des LG Wien v. 13.04.2005 zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt wurde, wobei diese Strafe nach Einbringung eines Rechtsmittels auf 15 Jahre erhöht wurde.

2. Aus der Strafhaft heraus stellte die bP am 23.06.2014 verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Begründet wurde dieser im Wesentlichen damit, dass sie von Freunden bzw. Verwandten 2005, 2013 und 2014 "Informationsbriefe" erhalten habe, wonach diese gehört hätten, dass die Familie des Getöteten an der bP Rache nehmen wolle. Die bP erachte sich dadurch bei einer Rückkehr in die Türkei der Gefahr einer Blutrache ausgesetzt. In einer anschließenden Stellungnahme zu den zu Gehör gebrachten Länderberichten äußerte die bP durch ihren Rechtsfreund weiters, dass bisher unberücksichtigt geblieben sei, dass die bP religiös den Aleviten zugehörig und Kurde sei. Die staatliche Verfolgung der Kurden würde den Berichten zu entnehmen sein und die bP erachte ihre körperliche Integrität auch aus diesem Grund als nicht gewährleistet.

Mit Bescheid vom 28.01.2016 hat das Bundesamt den Antrag gemäß § 68 Abs 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.) Ein Aufenthaltstitel gem. §§ 57, 55 wurde nicht erteilt; gem. § 10 Abs 2 AsylG iVm § 9 Abs 2 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt II.). Gem. § 52 Abs 9 FPG wurde die Abschiebung gem. § 46 FPG in die Türkei für zulässig erklärt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 5 FPG wurde ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.). Einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung wurde gem. § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt.

Res judicata wurde im Wesentlichen damit begründet, dass das behauptete Bedrohungsszenario durch die Familie des Ermordeten bereits zum Zeitpunkt des Erstverfahrens vorgelegen habe und dort von ihr vorgebracht werden hätte können, was aber von ihr unterlassen worden sei. So sei ein Informationsbrief der bP auch schon 2005 zugekommen. Die belangte Behörde erachtete in der Darlegung der nunmehrigen Gefährdung eine Fortwirkung eines Umstandes, der schon zum Zeitpunkt der Erstentscheidung bestanden habe und von der entschiedenen Sache mitumfasst sei. Zudem werde die darin enthaltene Information dahingehend gewürdigt, dass es sich um Mitteilung von Sympathiepersonen handle, das nicht den Tatsachen entspreche und lediglich der Aufenthaltsverfestigung nach Haftentlassung dienen sollte.

Hinsichtlich der vorgebrachten Gefährdung, da sie alevitischer Kurde sei, führte das Bundesamt im Wesentlichen aus, dass die bP bereits im Erstverfahren alevitischer Kurde gewesen sei und diesen Umstand dort nicht als problematisch bezeichnet habe. Wäre dies der Fall gewesen, hätte sie dies bereits bei damaliger Asylerstantragstellung vorbringen müssen.

Der dagegen erhobenen Beschwerde wurde vom BVwG auf Grund eines mangelhaften Ermittlungsverfahrens gem. § 21 Abs 3 BFA-VG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

Nach Durchführung eines ergänzenden Ermittlungsverfahrens hat die Behörde mit verfahrensgegenständlichem Bescheid wie folgt entschieden:

"Ihr Antrag auf internationalen Schutz vom 23.06.2014 wird bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 3 Ziffer 2 iVm § 2 Ziffer 13 und § 6 Absatz 1 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, abgewiesen.

Gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG wird Ihr Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Ihren Herkunftsstaat Türkei abgewiesen.

Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird Ihnen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt.

Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wird gegen Sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr 100/2005 (FPG) idgF, erlassen.

Es wird gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass Ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Türkei zulässig ist.

Gemäß § 53 Absatz 1 iVm Absatz 3 Ziffer 5 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. Nr. 100/2005 (FPG) idgF, wird gegen Sie ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen.

Einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung wird gemäß § 18 Absatz 2 Ziffer 1 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. Nr. 87/2012, (BFA-VG) idgF, die aufschiebende Wirkung aberkannt."

Dagegen wurde durch die gewillkürte Vertretung innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben. Moniert wird im Wesentlichen, dass

* die bP seit Juni 2017 mit der bisherigen Lebensgefährtin, eine österreichische Staatsbürgerin, verheiratet sei;

* die beschwerdeführende Partei im Falle der Rückkehr Rache zu befürchten habe; weiters habe ihre Ex-Frau politische Fotos, die die bP von sich auf Facebook gepostet habe, an die türkischen Behörden weitergegeben und im Falle der Rückkehr würde sie auch deshalb mit ernsten Schwierigkeiten zu rechnen haben;

* die bP keinen Asylausschlussgrund verwirklicht habe, auch wenn Mord an sich ein besonders schweres Verbrechen darstelle, wären seit der Tatbegehung bereits rund 13 Jahre verstrichen und sie sei seit der Haftentlassung nicht mehr straffällig geworden; es habe sich beim Mord auch um die einzige Straftat gehandelt;

* das Bundesamt keine Feststellungen zu der von der beschwerdeführenden Partei vorgebrachten Bedrohungslage in der Türkei getroffen habe;

* die bP im Falle der Rückkehr als Kurde und Alevit eine asylrelevante Verfolgungen in der Türkei drohe; hierzu sei auf die Aussage der beschwerdeführenden Partei zu verweisen, wonach sie auf Facebook politisch motivierte Fotos veröffentlicht habe; die ehemalige Ehegattin habe diese Fotos den türkischen Behörden weitergegeben;

* die Voraussetzungen für eine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot nicht vorliegen würden; aufgrund des langjährigen Aufenthaltes in Österreich, der dadurch bedingten "hervorragenden sozialen, familiären und beruflichen Integration" könne die bP sich nach der Haftentlassung schnell wieder in das soziale Gefüge eingliedern; die bP sei nunmehr mit einer österreichischen Staatsangehörigen verheiratet sei und es ihr nicht möglich und zumutbar wäre mit der beschwerdeführenden Partei in die Türkei zu übersiedeln;

* die bP ua. die zeugenschaftliche Einvernahme der Ehegattin beantrage sowie werde auf bisherige Beweisanträge verwiesen.

Mit Beschluss vom 27.11.2017 wurde der Beschwerde auf Grund eines abermals nicht hinreichend festgestellten und ergänzungsbedürftigen Sachverhalts gem. § 18 Abs 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Am 13.06.2019 fand die von der bP beantragte Beschwerdeverhandlung statt. Im Zuge dieser wurden die Ehegattin sowie die Bewährungshelferin als Zeugen einvernommen. Die beantragten zeugenschaftlichen Einvernahmen der Verfasser der 3 Briefe konnten mangels feststellbarer ladungsfähiger Adresse nicht durchgeführt bzw. nicht zur Verhandlung geladen werden.

Auf Grund des seit der Antragstellung bereits verstrichenen Zeitraumes wurde die bP in der Verhandlung nach ihrer aktuellen Problemlage befragt und schränkte sie dies persönlich auf die von ihr erwartete Blutrache ein. Weitere Probleme im Falle der Rückkehr äußerte sie dabei nicht. Auszug aus der Verhandlungsschrift:

"Würden Sie aus heutiger Sicht bei der Rückkehr in die Türkei noch Probleme erwarten? Wenn ja, geben Sie bitte konkret und vollständig alle Probleme an, die Sie persönlich für sich bei der Rückkehr erwarten würden.

Das einzige Problem ist, dass es eine Blutfehde gegeben wird. Meine Geschwister samt meiner Ehefrau möchten nicht, dass ich in die Türkei zurückkehre." [Anm.: Ende der freien Rede]

Die bP äußerte damit persönlich aus eigenem zum Zeitpunkt der Verhandlung somit insbesondere nicht mehr, dass sie im Falle der Rückkehr Probleme wegen ihrer Religionszugehörigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit oder mit der Polizei wegen behaupteter Weiterleitung eines politischen Postings auf Facebook an die türkischen Behörden durch die ehemalige Gattin.

Der bP wurde am Ende der Verhandlung das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation mit letzter Kurzinformation vom März 2019 zur Stellungnahme ausgefolgt und eine Frist von 2 Wochen eingeräumt.

Das Bundesamt brachte eine Stellungnahme ein. Rechtliche Ausführungen zum Vorliegen eines Asylausschlussgrundes werden dargelegt. Aus dem Vorbringen der berschwerdeführenden Partei und der konkreten Lage im Herkunftsstaat könne keine entscheidungsrelevante Gefährdung erkannt werden. Die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung würden die privaten und familiären Interessen bei weitem überwiegen und sei diese notwendig. Die beschwerdeführende Partei habe die Beziehung zu ihrer nunmehrigen Ehegattin in einer Zeit geknüpft, als der Aufenthaltsstatus prekär gewesen sei. Der Beschwerdeführer seit mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 21. Juni 2007 aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen worden. Am 8. Juni 2014 habe die beschwerdeführende Partei aus der Strafhaft heraus einen Folgeantrag gestellt, welcher nunmehr Inhalt des gegenständlichen Beschwerdeverfahrens sei. Die beschwerdeführende Partei habe seit der Asylantragsstellung im Jahr 2002 bis zur Arbeitsaufnahme im November 2018 ihren Lebensunterhalt allein aus österreichischen Mitteln bestritten und nicht wie behauptet aus eigenem Einkommen bzw. den Einkommen der nunmehr arbeitslosen Ehegattin.

Mit Schriftsatz vom 28. Juni 2019 brachte die beschwerdeführende Partei durch ihre Rechtsfreundin eine Stellungnahme ein. Das Länderinformationsblatt bestätige, dass in der Türkei ganz allgemeine schwere politische und demokratische Rückschritte zu verzeichnen seien. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass dem Beschwerdeführer aufgrund der - unbedachten - Veröffentlichung von Fotos auf Facebook im Jahr 2017 Verfolgung und Haft in der Türkei drohen, obwohl sie kein Unterstützer der PKK sei und die Fotos umgehend wieder entfernt habe. Jedenfalls sei die bP im Falle der Rückkehr aber mit massiv menschenrechtswidrigen Verhältnissen konfrontiert. Weiters werde auf die drohende Blutrache hingewiesen. Die Türkei könne dagegen keinen staatlichen Schutz bieten.

Für die Ehegattin wäre es nicht zumutbar die beschwerdeführende Partei in die Türkei zu begleiten. Dies deshalb, weil sie stets in Österreich gelebt habe und ihr gesamtes soziales Umfeld sich hier befinde. Es sei aber auch aufgrund der dem Beschwerdeführer drohenden Gefahr und der menschenrechtswidrigen Lage in der Türkei nicht zumutbar in dieses Land zu ziehen. Insgesamt sei eine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot nicht gerechtfertigt. Dies ergebe sich auch aus den Aussagen der Bewährungshelferin, wonach eine positive Zukunftsprognose gegeben sei.

Am Ende der Verhandlung wurde die beschwerdeführende Partei aufgefordert, dass, wenn sich bis zur Zustellung der Entscheidung noch neue Umstände ergeben würden, die in ihrer persönliche Sphäre liegen und für das gegenständliche Verfahren von Bedeutung sind, sie dies unverzüglich den BVwG mitzuteilen habe und dies gegebenenfalls, soweit als möglich, durch Bescheinigungsmittel zu belegen hat.

Bis zum Zeitpunkt dieser Entscheidung langte - abgesehen von der Stellungnahme zu den Länderberichten - seitens der beschwerdeführenden Partei bis dato keine weitere Stellungnahme bzw. Mitteilung von neuen Umständen ein, weshalb das BVwG diesbezüglich von unveränderter Sachlage ausgeht.

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1.1. Identität und Herkunftsstaat:

Die Identität der bP steht fest. Sie ist türkische Staatsangehörige.

Die bP bezeichnet sich der Volksgruppe der Kurden zugehörig. Welchem Glauben sie folgt kann auf Grund von unterschiedlichen Angaben nicht festgestellt werden. Religion spielt für sie eine untergeordnete Rolle.

Ihre Staatsangehörigkeit und der hier der Prüfung zugrundeliegende Herkunftsstaat ist die Türkei.

1.2. Regionale Herkunft und persönliche Lebensverhältnisse vor der Ausreise:

Die bP ist in der BRD geboren. Vom 3. - 18. Lebensjahr lebte sie in der Türkei. Ihr letzter Wohnort war in der Region Ankara.

Im Folgenden wechselten sich legale und nicht rechtmäßige Aufenthalte in der BRD und Österreich ab, wobei die genauen Zeiträume und der genaue Zeitpunkt des letzten Verlassens der Türkei nicht festgestellt werden kann.

Sie absolvierte in der Türkei die Schule und wurde dort sozialisiert. Sie spricht Türkisch, Kurdisch und Deutsch.

In der Türkei hat sie Berufserfahrung im Gastgewerbe gesammelt.

1.3. Familiäres/verwandtschaftliches bzw. soziales Netzwerk im Herkunftsstaat

Die bP hat aus der ersten geschiedenen Ehe zwei inzwischen volljährige Kinder, die in der Türkei leben. Mehrere Geschwister der bP leben im Herkunftsstaat, darunter auch jener Bruder der als Beteiligter am Mord ebenfalls zu einer unbedingten Haftstrafe verurteilt wurde.

Die bP hat weder beim Bundesamt noch beim BVwG konkret dargelegt, dass bei der Rückkehr keinerlei für sie zugängliches soziales Netzwerk mehr bestünde.

Familiäre Unterstützungsleistungen sind gegeben.

1.4. Ausreisemodalitäten

Der letzte Ausreisezeitpunkt aus der Türkei und die nähere Reisebewegung nach Österreich kann nicht konkret festgestellt werden.

1.5. Gesundheitszustand

Die bP hat im Verfahren keine aktuell behandlungsbedürftige Erkrankung dargelegt.

1.6. Privatleben / Familienleben in Österreich

Art, Dauer, Rechtmäßigkeit des bisherigen Aufenthaltes:

Im November 2001 ist sie unter Verwendung des Reisepasses des Schwagers, somit unter falscher Identität, nicht rechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist. Sie wurde in diesem Zusammenhang wegen Schlepperei, Urkundendelikte und schwerem Betrug zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 6 Monate rk. verurteilt.

Im Stande der Schubhaft und des nicht rechtmäßigen Aufenthaltes stellte die bP erstmals am 07.01.2002 in Österreich einen Asylantrag. Sie erlangte dadurch eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung gem. AsylG. Zuvor hatte sie bereits 1995 in der BRD einen solchen Antrag gestellt. Sie verweigerte beim Bundesamt aber die Angabe der damals in Deutschland geltend gemachten Gründe.

Nach Zurückverweisungen durch den UBAS erwuchs die nachfolgende Entscheidung des Bundesasylamtes vom 21.06.2007 mit 10.07.2007 in Rechtskraft und verfügte sie sodann über keinen Aufenthaltstitel mehr. Der Asylantrag wurde damit abgewiesen, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Türkei für zulässig erklärt und die Ausweisung verfügt. Die behauptete Bedrohung wegen vorgeblicher Unterstützung der PKK sowie wegen ihrer HADEP Mitgliedschaft wurde als nicht glaubhaft erachtet. Während des Asylverfahrens verfügte die bP über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung gem. AsylG.

Während des laufenden ersten Asylverfahrens wurde sie am 21.05.2004 wegen Verdacht des Mordes festgenommen und am 16.01.2006, nach Erhebung eines Rechtsmittels, rechtskräftig zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt. Die Haftstrafe wurde dabei nach Berufung der bP und der Staatsanwaltschaft von 13 Jahren auf 15 Jahre hinaufgesetzt.

Vor der Haftentlassung auf Probe stellte die bP am 23.06.2014 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz, wodurch sie seither über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung gem. AsylG verfügt. Am 21.03.2016 wurde sie, bedingt unter einer Probezeit von 5 Jahren, aus der Strafhaft entlassen.

Familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich:

Nach der bedingten Entlassung hat die bP im November 2016 über Facebook eine österr. Staatsangehörige kennengelernt und haben sie im Juni 2017 geheiratet. Sie leben seit Anfang 2017 in Wohngemeinschaft. Die Ehegattin spricht kein Türkisch, ist röm. kath. Glaubens, jedoch nicht praktizierend. Kinder resultieren aus dieser Beziehung nicht und hat sie auch keine Sorgepflichten gegenüber anderen Personen. Das Verhältnis zu den jeweiligen Verwandten der Ehegatten wird als gut bezeichnet.

Bei der Eingehung der Beziehung und Eheschließung war der Ehegattin das Vorleben der bP und das laufende Asylverfahren bekannt und bewusst, dass die bP über kein gesichertes Aufenthaltsrecht verfügt und es real eintreten kann, dass die bP bei rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens Österreich auf Dauer verlassen muss. Die Beziehung bezeichnet sie als intensiv, sie wäre aber nicht bereit mit der bP außerhalb von Österreich bzw. in der Türkei zu leben. Sie möchten in Österreich die Beziehung fortführen. Die Türkei kommt für die Ehegattin nicht in Frage, da sie die Sprache nicht beherrscht und dort niemanden kennt. Sie war bislang auch noch nie im Ausland, abgesehen von Zahnarztbesuchen in Ungarn.

Geschwister und Verwandte der bP wohnen auch in Österreich. Ein Abhängigkeitsverhältnis zu diesen kam nicht hervor.

Schutzwürdigkeit des Privatlebens / Die Frage, ob das Privatleben / Familienleben zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstaates bewusst waren / Grad der Integration

Die bP ist weitgehend in der Lage sich auf Deutsch zu verständigen und sie legte zum Nachweis ein A2 Zertifikat vor. Nach Haftentlassung hat sie die Führerscheinprüfung abgelegt. Bei der ÖBB hat sie im November 2018 die Verwendungsprüfung als Remisenwart abgelegt. Eine Weiterbeschäftigung erfolgte nicht.

Die Freizeit verbringt die bP mit der Ehegattin und dem Hund. Sie treffen gemeinsame Freunde und Verwandte, machen Wanderungen und verschiedene sportliche Aktivitäten.

Die bP hat alle ihren privaten und familiären Anknüpfungspunkte in einer Zeit begründet als ihr Aufenthalt in Österreich prekär war.

Nach Auskunft der Bewährungshelferin handelt es sich bei der bP um einen "vorbildlichen Klienten". Dies deshalb, da die bP verlässlich ist und es keine Probleme gab, auch in Hinblick auf die Ziele, zB stabile Lebensverhältnisse und Arbeit sowie Aufarbeitung des Delikts. Derzeit gibt es noch die Arbeitsanweisung. Die Weisung betreffend Alkoholkontrollen wurde im Dezember 2018 vom Gericht aufgehoben. Derzeit findet 1 x im Monat ein Kontakt mit der Bewährungshilfe statt. Ihrer Ansicht nach hat sich die bP gut stabilisiert und ist für sie keine Rückfallgefährdung hinsichtlich Delinquenz erkennbar.

Davon, dass die bP 2017 auf ihrem Facebook-Profil Fotos veröffentlicht hat, die sie mit Bildern des PKK-Führers Öcalan und Symbolen der PKK zeigen, sie angab in Österreich einen "PKK-Verein" zu besuchen, sie selbst angab dass diese Fotos politisch motiviert waren und sie damit in Österreich während der Probezeit offen ihre Sympathie für eine terroristische Organisation und dessen Führer darlegte, hat sie keine Kenntnis, da die bP dies der Bewährungshelferin nicht erzählt hat.

Beim Sozialversicherungsverband (Auszug vom 03.12.2019) scheinen seit Haftentlassung folgende sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen auf:

09.11.2018 - 30.07.2019, Arbeiter

09.09.2019 - 10.09.2019, Arbeiter

02.10.2019 - 27.10.2019, geringfügig beschäftigter Arbeiter

11.09.2019 - laufend, Arbeitslosengeldbezug

Zum Stichtag 03.12.2019 ist die bP bei der Ehegattin krankenversichert.

Am 22.03.2019 hat die bP bei der Bezirkshauptmannschaft einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gem. dem NAG, unter Berufung auf die Angehörigeneigenschaft, gestellt. Die BH hat dieses Verfahren bis zur Entscheidung über gegenständliche Beschwerde formal ausgesetzt.

Gemeinnützige Tätigkeiten kamen nicht hervor.

Bindungen zum Herkunftsstaat:

Die Geschwister XXXX , XXXX und XXXX leben in der Türkei. Die Eltern sind bereits verstorben. Beim Bruder XXXX handelt es sich um einen Mittäter am Mord. Die Brüder leben in XXXX . Bis vor kurzer Zeit hat XXXX in der Türkei noch ein Restaurant bzw. einen Supermarkt betrieben. Das nunmehrige Berufsfeld des Bruders ist der bP nicht bekannt. Die bP hatte zwei Monate vor der Verhandlung noch mit diesem telefonisch Kontakt und man unterhielt sich dabei über das jeweilige persönliche Befinden und wie es der bP in der Ehe geht.

Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die beschwerdeführende Partei als von ihrem Herkunftsstaat gänzlich entwurzelt zu betrachten wäre.

Strafrechtliche Vormerkungen:

In der Datenbank des österreichischen Strafregisters scheinen folgende Vormerkung wegen rk. gerichtlicher Verurteilungen auf:

1. Landesgericht K., vom 08.04.2002 Rk 08.04.2002

§ 104 FrG, §§ 223/2, 224, 15, 12, 229/1, 146, 147/2 StGB

Freiheitsstrafe 6 Monate

2. Landesgericht W., vom 13.05.2005, rk 16.01.2006

§ 75 StGB

Freiheitsstrafe 15 Jahre

Aus Freiheitsstrafe entlassen am 21.03.2016, bedingt, Probezeit 5 Jahre, Anordnung der Bewährungshilfe

Die beschwerdeführende Partei hat im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter mit XXXX [F.K.], auf das Opfer zwei Schüsse, davon einen in stehender Position und einen in liegender Position, abgegeben, während F.K. dem Opfer zahlreiche Messerstiche im Bereich des Oberkörpers und des Genitalbereiches zufügte, und damit vorsätzlich getötet.

Weiters wurde erkannt, dass sich die beschwerdeführende Partei bei der bezeichneten Tat nicht nur der Verteidigung bediente, die notwendig ist, um einen gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriff auf Leben, Gesundheit oder körperliche Unversehrtheit von sich abzuwehren.

Der Bruder der beschwerdeführende Partei F.K. wurde für schuldig erkannt, dass er am 19. Mai 2004 in Wien dem Opfer zahlreiche Messerstiche im Bereich des Oberkörpers und des Genitalbereiches versetzte, absichtlich eine schwere Körperverletzung zufügte, wobei die Tat den Tod des Opfers zur Folge hatte.

Die beschwerdeführende Partei ist schuldig, dass sie am 19. Mai 2004 in Wien, indem sie auf das Opfer zwei Schüsse, davon einen in stehender Position und einen in liegender Position abfeuerte, während der Bruder der beschwerdeführende Partei dem Opfer zahlreiche Messerstiche im Bereich des Oberkörpers und zufügte, vorsätzlich tötete.

Die beschwerdeführende Partei hat dadurch das Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB begangen.

Der Bruder der bP wurde wegen des Verbrechens der absichtlich schweren Körperverletzung nach dem § 87 Abs. 2 StGB verurteilt

Die beschwerdeführende Partei wurde vom Landesgericht zu einer Haftstrafe von 13 Jahren verurteilt, der Bruder der beschwerdeführenden Partei wurde als Mittäter zu einer Freiheitsstrafe in der Höhe von fünf Jahren rechtskräftig verurteilt.

Über die von der bP und der Staatsanwalt dagegen erhobenen Berufung hat das Oberlandesgericht entschieden und für die beschwerdeführende Partei die Freiheitsstrafe von 13 Jahren auf 15 Jahre erhöht. Das Berufungsgericht wertete dabei insbesondere den vom Erstgericht herangezogenen Milderungsgrund des Tatsachengeständnisses relativierend, weil weder von einem reumütigen Geständnis noch von einem wesentlichen Beitrag zur Wahrheitsfindung die Rede sein konnte. Berücksichtigt man hingegen die hohe Gewaltbereitschaft und das hohe verbrecherische Potenzial der im Zusammenhang mit illegalen Substanzen im gesamten Schengengebiet mit einem Aufenthaltsverbot belegten beschwerdeführende Partei, die nicht davor zurückscheute, auf den bereits schwer verletzt und völlig wehrlos am Boden liegenden Opfer aus sehr kurzer Distanz (ca. 40 - 70 cm) einen weiteren Schuss abzufeuern, so erweist sich selbst unter Wertung der von der Sachverständigen attestierten Persönlichkeitsstörung angesichts einer Strafdrohung von 10 bis 20 Jahren bzw. lebenslanger Freiheitsstrafe die vom Erstgericht ausgemittelte Sanktion als zu milde. Sie war daher in Stattgebung der Berufung des öffentlichen Anklägers auf tat-schuld-und unrechtsangemessene 15 Jahre Freiheitsstrafe zu erhöhen.

Das Vorliegen von rk. Verwaltungsstrafen wurde dem BVwG nicht mitgeteilt und ergibt sich auch nicht aus dem Akteninhalt.

Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts:

Das BVwG geht davon aus, dass die bP ihren Antrag in wesentlichen Punkten auf falsche Angaben begründete, um einen Aufenthaltstitel über das Asylverfahren zu erlangen. Sie verletzte dadurch ihre gesetzliche Mitwirkungs- und Verfahrensförderungspflicht.

Die bP hat selbst vorgebracht und Beweismittel vorgelegt, wonach sie während der Probezeit nach der Haftentlassung öffentlich und für andere wahrnehmbar auf ihrem Facebook Profil Fotos veröffentlichte, die sie mit einem Bild des Führers der terroristischen Organisation PKK sowie deren Symbol zeigen. Wenngleich dies zum Tatzeitpunkt nach dem Symbole-Gesetz noch nicht strafbar war, so stellt diese Sympathiekundgebung für eine terroristische Organisation zumindest aus fremdenrechtlicher Sicht ein bedenkliches Verhalten dar.

Verfahrensdauer:

Die bP stellte während der Strafhaft am 23.06.2014 gegenständlichen Folgeantrag auf Zuerkennung von internationalen Schutz.

Nach erstmaliger Entscheidung (Zurückweisung wegen entschiedener Sache) durch das Bundesamt mit Bescheid vom 28.01.2016 wurde der angefochtene Bescheid mit Beschluss des BVwG vom 22.02.2016 behoben.

Mit Bescheid vom 05.10.2017 hat das Bundesamt nunmehr inhaltlich über den Antrag entschieden.

Auf Grund eines abermals mangelhaftem Ermittlungsverfahrens und der sich daraus ergebenden Ergänzungsnotwendigkeit samt Durchführung einer Verhandlung, wurde der Beschwerde gem. § 18 Abs 5 BFA-VG mit Entscheidung vom 27.11.2017 die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Am 13.06.2019 hat das BVwG eine Beschwerdeverhandlung durchgeführt.

Nicht unwesentlich für die Dauer dieses Beschwerdeverfahrens war insbesondere der Umstand, dass die beschwerdeführende Partei im Asylverfahren in Täuschungsabsicht falsche Tatsachen vorbrachte und damit ihre Mitwirkungsverplichtung erheblich verletzte (vgl. § 15 Abs 1 AsylG: Ein Asylwerber hat am Verfahren nach diesem Bundesgesetz mitzuwirken; insbesondere hat er 1. ohne unnötigen Aufschub seinen Antrag zu begründen und alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.[..]).

Es kann vertretbar davon ausgegangen werden, dass das Verfahren, wenn die beschwerdeführende Partei schon anfänglich wahrheitsgemäß ihrer tatsächlichen Gründe für die Antragstellung - das BVwG geht davon aus, dass sie über diesen Weg unter Umgehung der sonstigen Zuwanderungsvorschriften einen Aufenthaltstitel erlangen wollte - dargelegt hätte, das Verfahren in kürzerer Zeit abgeschlossen hätte werden können.

1.7. Zu den behaupteten ausreisekausalen Geschehnissen / Erlebnissen im Zusammenhang mit staatlichen bzw. nichtstaatlichen Akteuren und der zu erwartenden Rückkehrsituation:

Die bP vermochte die behaupteten Rückkehrbefürchtungen aus den in der Beweiswürdigung angeführten Gründen nicht glaubhaft machen bzw. ergibt sich daraus keine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende asylrelevante Verfolgungsgefahr oder reale Gefahr der Verletzung hier maßgeblicher Rechtsgüter der bP.

Es wurde somit nicht glaubhaft gemacht, dass die bP im Falle der Rückkehr Racheaktionen der Familie des von ihr getöteten Mannes zu erwarten hätte.

Es kann nicht festgestellt werden, dass in der Türkei gegen derartige Bedrohungslagen keine bzw. keine hinreichend effektiven Schutzmechanismen vorhanden wären.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die bP wegen ihrer behaupteten Zugehörigkeit zu den Aleviten und den Kurden deshalb in der Türkei asylrelevanter Verfolgung oder sonstigen entscheidungsrelevanten Repressalien ausgesetzt wäre.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die von der bP im Jahr 2017 2-3 Tage dauernde Veröffentlichung von Fotos auf ihrem Facebook-Profil, die sie mit einem Bild des PKK-Führers Öcalan und PKK Symbolen zeigen, den türkischen Strafverfolgungsbehörden bekannt wurden.

Aus den Angaben der bP ergibt sich im Herkunftsstaat, insbesondere in der Herkunftsregion der bP, unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Verhältnisse, keine Situation, wonach im Falle der Rückkehr eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts bestünde. Dies ergibt sich auch nicht aus der amtswegigen Einschätzung der Lage im Herkunftsstaat

Es kam nicht hervor, dass sie im Falle der Rückkehr nicht mehr ihre Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz decken könnte.

1.8. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat:

Quellen:

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation v. 18.10.2018, Stand 14.03.2019 (einschließlich der darin genannten Quellen)

Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 06.05.2019 zur Frage der Strafbarkeit von Selfies mit Öcalan-Bild und PKK-Symbolen

Stellungnahme der bP vom 27.06.2019

Zusammenfassend ergibt sich daraus Folgendes:

In der Türkei fand in der Nacht vom 15. auf den 16.07.2016 ein Putschversuch statt. Eine Reihe von Putschisten aus dem Militär hatte v. a. in Ankara und Istanbul mit Hilfe von Kampfflugzeugen, Helikoptern und Panzern versucht, die staatliche Kontrolle zu übernehmen sowie StP Erdogan zu stürzen. Der Putschversuch konnte rasch niedergeschlagen werden und war am 16.07.2016 beendet. Die AKP-Regierung hatte viele Bürger der Türkei in der Putschnacht mit Hilfe von Aufrufen der Imame über die Lautsprecher der Moscheen mobilisieren können, sich den Putschisten auf den Straßen entgegen zu stellen. Während des Putschversuchs kamen nach offiziellen Angaben 282 Personen ums Leben.

Die türkische Regierung hat die Gülen-Bewegung als terroristische Organisation eingestuft, die sie "FETÖ" oder auch "FETÖ/PDY" nennt ("Fethullahistische Terrororganisation / Parallele Staatliche Struktur").

Türkische Staatsbürger nichttürkischer Volkszugehörigkeit sind aufgrund ihrer Abstammung grds. keinen staatlichen Repressionen unterworfen. Die Ausweispapiere enthalten keine Aussage zur ethnischen Zugehörigkeit.

Die Kurden (ca. 20% der Bevölkerung) leben v.a. im Südosten des Landes sowie, bedingt durch Binnenmigration und Mischehen, in den südlich und westlich gelegenen Großstädten

(Istanbul, Izmir, Antalya, Adana, Mersin, Gaziantep). Mehr als 15 Millionen türkische Bürger haben einen kurdischen Hintergrund und sprechen einen der kurdischen Dialekte.

Neben den offiziell anerkannten religiösen Minderheiten gibt es u.a. folgende ethnische Gruppen, wobei die Angaben zu Zahlenstärken recht unzuverlässig sind: Kurden (13 bis 15 Mio.), Roma (zwischen 2 und 5 Mio.), Tscherkessen (geschätzt rd. 2 Mio.), Bosniaken (bis zu

2 Mio.), Krimtataren (geschätzt rd. 1 Mio.), Araber (vor dem Syrienkrieg 800 000 bis 1 Mio.),

Lasen (zw. 50 000 und 500 000), Georgier (rd. 100 000), Uighuren (rd. 50 000), Armenier (mind. 40 000), Syriaken (zw. 20 000 und 30 000) und andere Gruppen in kleiner und schwer zu bestimmender Anzahl (div. zentralasiatische und kaukasische Volksgruppen, Turkomanen, Pomaken, Albaner und andere).

Der private Gebrauch der kurdischen Sprache ist in Wort und Schrift seit Anfang der 2000er Jahre keinen Restriktionen ausgesetzt, der amtliche Gebrauch ist allerdings eingeschränkt.

Unterricht in kurdischer Sprache ist an öffentlichen Schulen seit 2012 und an privaten seit 2014 möglich (Wahlpflichtfach "Lebendige Sprachen und Mundarten"). Außerdem wurde die Möglichkeit geschaffen, dass Dörfer im Südosten ihre kurdischen Namen zurückerhalten.

Die verfassungsrechtliche Festschreibung von Türkisch als einziger Nationalsprache bleibt jedoch erhalten. Seit einigen Jahren existiert im Südosten eine lebendige kurdischsprachige

Medienlandschaft (TV, Funk, Print, Online). Viele - regierungskritische - Medien wurden jedoch seit 2015 von der Regierung verboten.

Für eine Rückkehr zum politischen Verhandlungsprozess zwischen der Regierung und der

PKK gibt es aktuell keine Anzeichen.

Die Türkei erkennt Minderheiten als Gruppen mit rechtlichem Sonderstatus grundsätzlich

unter den Voraussetzungen des Lausanner Vertrags von 1923 an, der "türkischen Staatsangehörigen, die nichtmuslimischen Minderheiten angehören, (...) die gleichen gesellschaftlichen und politischen Rechte wie Muslimen" (Art. 39) garantiert. Weiterhin sichert er den nichtmuslimischen Minderheiten das Recht zur "Gründung, Verwaltung und Kontrolle (...) karitativer, religiöser und sozialer Institutionen und Schulen sowie anderer Einrichtungen zur Unterweisung und Erziehung" zu (Art. 40). Nach offizieller türkischer Lesart beschränkt sich der Schutz allerdings auf drei Religionsgemeinschaften: die griechisch-orthodoxe (ca. 2.000), die armenisch-apostolische Kirche (ca. 60.000) und die jüdische Gemeinschaft (ca. 20.000 Mitglieder). Nicht umfasst sind Gläubige diverser Ostkirchen, Katholiken, Protestanten und weitere nicht-sunnitische Religionsgruppen - einschließlich Aleviten (bis zu 25% der Bevölkerung) und Schiiten.

Mit schätzungsweise 15 - 20 Millionen bilden die türkischen, zum Teil auch kurdischen Aleviten nach den Sunniten die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft der Türkei. Seit dem Beschluss der CHP im Februar 2015, alevitische Gebetsstätten "Cem-Haus" (Cem Evi) mit

Glaubensstätten anderer Religionen beispielsweise der Moscheen gleichzustellen, wurde der Beschluss in den CHP-Stadtverwaltungen umgesetzt. 2015 entschied der Kassationsgerichtshof (Az: 2015/9711 K.), dass Cem-Häuser wie Gebetshäuser zu behandeln sind. Der 13. Senat des Verwaltungsgerichtshofes bestätigte 2017 ein Urteil, dass die Stromkosten einer alevitischen Stiftung in Istanbul von der staatlichen (sunnitischen) Religionsbehörde Diyanet getragen werden müssen. Die anderen Hauptforderungen der Aleviten wurden bislang jedoch nicht erfüllt. Diese Forderungen sind v. a.: Gleichstellung von Cem-Häusern mit Moscheen, inkl. staatliche Unterstützung analog zu Sunniten, Freiwilligkeit der Teilnahme am staatlichen "Religions- und Gewissenskunde"-Unterricht im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Die Möglichkeit der Abwahl des Religionsunterrichts wurde ausgeweitet. Das Erziehungsministerium hat mit Ratsbeschluss die Freistellung von christlichen und jüdischen Schülern offiziell eingeräumt, wenn die Religionszugehörigkeit nachgewiesen wird. Darüber hinaus soll diese Option in der Praxis grundsätzlich auch für alevitische Schüler gelten.

Dem Auswärtigen Amt und türkischen Menschenrechtsorganisationen ist in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden, in dem ein aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten - dies gilt auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen - gefoltert oder misshandelt worden ist. Zu demselben Ergebnis kommen andere EU-Staaten und die USA.

Wenngleich es Mängel im Sicherheits-und Rechtschutzsystem gibt, kann nicht davon gesprochen werden, dass für die Bevölkerung generell keine wirksamen Schutzmechanismen vorhanden wären oder, dass dazu kein Zugang möglich wäre.

Das Recht auf sofortigen Zugang zu einem Rechtsanwalt innerhalb von 24 Stunden ist

grundsätzlich gewährleistet. Das Recht auf kostenlose Rechtsberatung gilt bei nachgewiesener Mittellosigkeit und ist an die Antragstellung gebunden. Ausgenommen von der Antragstellung sind Minderjährige, Taubstumme und Behinderte.

Dem Auswärtigen Amt sind in den letzten Jahren keine Gerichtsurteile auf Grundlage von -

durch die Strafprozessordnung verbotenen - erpressten Geständnissen bekannt geworden.

Anwälte berichten, dass Festgenommene in einigen Fällen durch psychischen Druck verleitet

werden, Aussagen zu machen. Bekannt ist auch, dass Erkenntnisse aus unzulässigen Telefonüberwachungen in Strafverfahren Eingang finden. Human Rights Watch weist in diesem Zusammenhang auf den nachlässigen Umgang mit Beweismitteln hin.

Das türkische Recht sichert die grundsätzlichen Verfahrensgarantien im Strafverfahren.

Mängel gibt es beim Umgang mit vertraulich zu behandelnden Informationen, insbesondere

persönlichen Daten, beim Zugang zu den erhobenen Beweisen für Beschuldigte und Rechtsanwälte und - jedenfalls in Terrorprozessen - bei den Verteidigungsmöglichkeiten.

Fälle mit Bezug zur angeblichen Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung, der PKK oder deren

zivilem Arm KCK werden häufig als geheim eingestuft mit der Folge, dass Rechtsanwälte bis

zur Anklageerhebung keine Akteneinsicht nehmen können. Geheime Zeugen können im Prozess nicht direkt befragt werden. Gerichtsprotokolle werden mit wochenlanger Verzögerung erstellt. Anwälte werden vereinzelt daran gehindert, bei Befragungen ihrer Mandanten anwesend zu sein. Dies gilt insbesondere in Fällen mit dem Verdacht auf terroristische Aktivitäten. Beweisanträge der Verteidigung und die Befragung von Belastungszeugen durch die Verteidiger werden im Rahmen der Verhandlungsführung des Gerichts eingeschränkt. Der subjektive Tatbestand wird nicht erörtert, sondern als gegeben unterstellt. Beweisanträge dazu werden zurückgewiesen. Insgesamt kann - jedenfalls in den Gülenisten -Prozessen - nicht von einem unvoreingenommenen Gericht und einem fairen Prozess ausgegangen werden.

Zusammenfassend muss festgehalten werden, dass - anders als bei Fällen von allgemeiner

Kriminalität -bei Verfahren mit politischen Tatvorwürfen, insbesondere wenn diese wegen

der Mitgliedschaft in PKK, DHKP-C oder der Gülen-Bewegung bzw. Propaganda für diese

geführt werden, politische Einflussnahme auf die Verfahren nicht ausgeschlossen ist.

Für andere Straftaten gilt:

Nach spätestens 24 Stunden zuzüglich 12 Stunden Transportzeit muss der Betroffene dem

zuständigen Haftrichter vorgeführt werden (Art. 91 Abs. 1 tStPO). Beim Ergreifen auf "frischer Tat" beispielsweise während einer gewalttätigen Demonstration kann die Frist auf bis zu 48 Stunden ausgeweitet werden (Art. 91 Abs. 4 tStPO).

In Fällen von Kollektivvergehen, Schwierigkeiten der Beweissicherung oder einer großen

Anzahl von Beschuldigten kann der polizeiliche Gewahrsam bis zu drei Tage (jeweils um

einen Tag) verlängert werden (Art. 91 Abs. 3 tStPO). In der Vergangenheit gab es Anzeichen

dafür, dass diese Fristen in der Praxis in Einzelfällen überschritten wurden.

Seit 2008 hat sich die vormals zögerliche Haltung bezüglich der strafrechtlichen Verfolgung

von Soldaten, Gendarmen und Polizeibeamten nachweisbar verbessert.

In der Türkei kommt es immer noch zu so genannten "Ehrenmorden", d. h. insbesondere zu

der Ermordung von Frauen oder Mädchen, die eines sog. "schamlosen Verhaltens" aufgrund

einer (sexuellen) Beziehung vor der Eheschließung bzw. eines "Verbrechens in der Ehe" verdächtigt werden. Dies schließt auch vergewaltigte Frauen ein. Auch Männer werden - vor

allem im Rahmen von Familienfehden (Blutrache) - Opfer von sog. "Ehrenmorden", z. T.

weil sie "schamlose Beziehungen" zu Frauen eingehen bzw. sich weigern, die Ehre der Familie wiederherzustellen. In Einzelfällen kommt es auch zu "Ehrenmorden" im Zusammenhang mit Homosexualität. Seit 2008, als das Amt für Menschenrechte für das Jahr 2007 183 "Ehrenmorde" an Frauen registrierte, wird die Statistik nicht weitergeführt; staatliche Stellen begründen dies mit der Unvollständigkeit des Zahlenmaterials. Die generell bei Gewalt gegen Frauen steigenden Zahlen der letzten Jahre können ein Hinweis sein, dass mehr Straftaten bekannt und verfolgt werden bzw. Frauen eher bereit sind, Hilfe von außen in Anspruch zu nehmen.

Regierung und Nichtregierungsorganisationen bestätigen, dass sich die Polizeiarbeit beim

Umgang mit Gewaltopfern verbessert hat.

Der Wehrpflicht unterliegt jeder männliche türkische Staatsangehörige zwischen dem 19.

und dem 41. Lebensjahr (). Diejenigen, die innerhalb dieser Zeit den Wehrdienst nicht abgeleistet haben, werden von der Wehrpflicht nicht befreit. Auslandstürken können sich gegen Entgelt von der Wehrpflicht freikaufen. Mit Änderung im Wehrgesetz vom 26.07.2018 (Art. 1 ÄG Nr. 7146) wurde das Entgelt von 1.000 Euro auf 2.000 Euro erhöht. 2018 wurde erstmals eine zeitlich befristete Freikaufoption für im Inland lebende Wehrpflichtige geschaffen, die vor dem 01.01.1994 geboren wurden. Die Befreiung erfolgte durch die Bezahlung eines Pauschalbetrags i.H.v. 15.000 TL (umgerechnet derzeit etwa 2.680 EUR) und Ableistung des Grundwehrdienstes von 21 Tagen.

Das Verteidigungsministerium plant laut Ankündigung des Staatspräsidenten vom März 2019 neben der Verkürzung des Wehrdienstes auf sechs Monate die Einführung einer (auf 145 000 pro Jahr kontingentierten) Freikaufoption für alle im Inland lebenden Wehrpflichtigen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) spielt im Land eine besonders

wichtige Rolle. Mit der Einführung der Individualbeschwerde seit September 2012 beruft sich das Verfassungsgericht noch häufiger auf die EMRK. Im Zuge des massenhaften strafrechtlichen Vorgehens gegen mutmaßliche Anhänger der Gülen-Bewegung kam es zu einer deutlichen Zunahme der Individualbeschwerden beim EGMR, die jedoch idR am Erfordernis der innerstaatlichen Rechtswegerschöpfung scheitern.

Des Weiteren ist die Türkei den wichtigsten Übereinkommen der Vereinten Nationen beigetreten.

Es ergibt sich auf Grund der Berichtslage und dem aktuellen Amtswissen (www.ecoi.net) nicht, dass in der Türkei aktuell eine Lage herrschen würde, die für eine Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit (infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes) mit sich bringen würde.

Es kann nicht festgestellt werden, dass aktuell in der Türkei eine derart schlechte Versorgungslage herrschen würde, dass nicht das zur Existenz unbedingt Notwendige erlangbar wäre. Die Gesundheitsversorgung ist grds. gewährleistet und zugänglich.

Dem Auswärtigen Amt und türkischen Menschenrechtsorganisationen ist in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden, in dem ein aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten - dies gilt auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen - gefoltert oder misshandelt worden ist. Zu demselben Ergebnis kommen andere EU-Staaten und die USA.

Aus einer fallbezogenen Anfragebeantwortung der Staatendokumentationvom 06.05.2019 zur Frage der Rechtslage und Vollzugspraxis, wenn dem türkischen Staat bekannt würde, dass ein Türke auf seinem Facebook-Profil Fotos mit sich und Öcalan sowie PKK Symbolen zeigt, ergibt sich, dass üblicherweise Ermittlungen nach den Terrorbestimmungen eingeleitet werden. Es besteht grundsätzlich eine Strafdrohung von 1-3 Jahren. Rechtsmittel können wie in anderen Verfahren auch eingelegt werden. Üblicherweise werden Häftlinge, die wegen gleicher oder ähnlicher solcher Delikte verurteilt wurden, gemeinsam inhaftiert. Übergriffe in Haft gegen Personen die wegen derartiger Sympathiekundgebungen verurteilt wurden, sind nicht bekannt. Sollte es doch zu Übergriffen kommen, besteht die Möglichkeit der Anzeige.

2. Beweiswürdigung

Einleitend ist anzuführen, dass die im Verfahren aufgenommenen Niederschriften mit den Aussagen der bP vollen Beweis iSd § 15 AVG über den Verlauf und Gegenstand der Amtshandlung bilden und mit diesem Inhalt als zentrales Beweismittel der Beweiswürdigung unterzogen werden können.

Die bP trat den Gegenbeweis der Unrichtigkeit des darin bezeugten Vorganges nicht an.

Ad 1.1.1 Identität und Herkunftsstaat:

Die Feststellungen ergeben sich aus den in diesem Punkt gleichbleibenden persönlichen Angaben im Zuge der Einvernahmen, ihren im Verfahren dargelegten Sprach- und Ortskenntnissen und den seitens der bP vorgelegten Bescheinigungsmittel, wie den Reisepass. Die Aliasidentität ergibt sich aus dem Akteninhalt des Bundesamtes aus dem 1. Asylverfahren. Zur Nichtfeststellung der Glaubensrichtung ist anzuführen, dass die bP im Zuge ihrer bisherigen Angaben in verschiedenen Einvernahmen dazu unterschiedliche Aussagen machte (AS 529). Vom kath. Glauben über den Islam bis letztlich konkret zum alevitischen Glauben war sie sehr flexibel in den Angaben, ohne dass hervorgekommen wäre, dass sie konvertiert ist. Vielmehr gab sie beim Bundesamt auf Fragen zum Alevitentum lediglich an, dass sie "mit der Religion nichts am Hut" habe, ohne inhaltlich auf die gestellte Frage einzugehen.

Ad 1.1.2. Regionale Herkunft und persönliche Lebensverhältnissen vor der Ausreise:

Die Feststellungen ergeben sich im Wesentlichen widerspruchsfrei und stimmig aus den persönlichen Angaben der bP.

Ad 1.1.3. Familiäres/verwandtschaftliches bzw. soziales Netzwerk im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen ergeben sich aus den in diesem Punkt gleichbleibenden, lebensnahen persönlichen Angaben der bP.

Ad 1.1.4. Ausreisemodalitäten:

Diese Feststellungen ergeben sich im Wesentlichen aus der Aktenlage des Bundesamtes.

Ad 1.1.5. Gesundheitszustand:

Diese Feststellung ergibt sich unstreitig aus ihren persönlichen Angaben in der Verhandlung.

Ad 1.1.6. Privatleben / Familienleben in Österreich

Diese Feststellungen ergeben sich aus ihren persönlichen Angaben, den von ihr vorgelegten Bescheinigungsmitteln, Stellungnahmen einschließlich dem Ergebnis des ergänzenden Ermittlungsverfahrens durch das BVwG.

Ad 1.1.7. Behauptete ausreisekausale Geschehnisse / Erlebnisse im Zusammenhang mit staatlichen bzw. nichtstaatlichen Akteuren bzw. der zu erwartenden Rückkehrsituation:

Gerade beim Antrag auf internationalen Schutz kommt der persönlichen Aussage zur eigenen Gefährdungssituation im Herkunftsstaat als Beweismittel und zentralem Punkt in diesem Verfahren besondere Bedeutung zu, handelt es sich doch behauptetermaßen idR um persönliche Erlebnisse bzw. eigene sinnliche Wahrnehmungen des Antragstellers / der Antragstellerin über die berichtet wird. Diese entziehen sich zumeist - insbesondere auf Grund der faktischen und rechtlichen Ermittlungsschranken der Asylinstanzen - weitgehend einer Überprüfbarkeit und liegen diese idR alleine in der persönlichen Sphäre der bP. Im konkreten Fall war die bP auch lange in der Türkei aufhältig und wurde dort sozialisiert, weiters verfügt sie dort auch noch über ein familiäres Netzwerk samt Kontakte, weshalb vertretbar davon ausgegangen werden kann, dass sie persönlich die dortige Lage einschätzen kann.

Im Allgemeinen erfolgt eine (vorsätzliche) Falschaussage nicht ohne Motiv (vgl. Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 4. Auflage, Rz 246ff). Im Verfahren über einen Antrag auf internationalen Schutz kann eine derartige Motivationslage, die den Wahrheitswillen eines Antragstellers/einer Antragstellerin zu beeinflussen geeignet ist, darin liegen, dass sie ihrer Überzeugung nach - uU auch durch Suggestion Dritter beeinflusst - dadurch gesteigerte Erfolgsaussichten erwarten, um den beantragten Status als Asylberechtigter oder als subsidiär Schutzberechtigter und damit einen Aufenthaltstitel samt Zugang zum Arbeitsmarkt und/oder staatlicher Versorgung zu erlangen (sog. "Folgenberücksichtigung", siehe oben zitierte Quelle).

Als Beurteilungskritierien für die Glaubhaftmachung nennt der Verwaltungsgerichtshof beispielsweise:

Bloßes Leugnen oder eine allgemeine Behauptung reicht für eine Glaubhaftmachung nicht aus (VwGH 24.2.1993, 92/03/0011; 1.10.1997, 96/09/0007). Aus dem Wesen der Glaubhaftmachung ergibt sich auch, dass die Ermittlungspflicht der Behörde durch die vorgebrachten Tatsachen und angebotenen Beweise eingeschränkt ist (VwGH 29.3.1990, 89/17/0136; 25.4.1990, 90/08/0067). Ohne entsprechendes Vorbringen des Asylwerbers oder ohne sich aus den Angaben konkret ergebende Anhaltspunkte ist die Behörde / das Bundesverwaltungsgericht nicht verpflichtet jegliche nur denkbaren Lebenssachverhalte ergründen zu müssen (vgl. VwGH 10.8.2018, Ra 2018/20/0314, mwN).

Es ist Aufgabe des Asylwerbers, durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauert, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen. (VwGH 30. 11. 2000, 2000/01/0356).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Behörde einen Sachverhalt grundsätzlich nur dann als glaubhaft anerkennen, wenn der Asylwerber während des Verfahrens im Wesentlichen gleichbleibende Angaben macht, wenn diese Angaben wahrscheinlich und damit einleuchtend erscheinen und wenn erst sehr spät gemachte Angaben nicht den Schluss aufdrängten, dass sie nur der Asylerlangung um jeden Preis dienen sollten, der Wirklichkeit aber nicht entsprechen. Als glaubhaft könnten Fluchtgründe im Allgemeinen nicht angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (vgl. zB. VwGH 6.3.1996, 95/20/0650).

Auch auf die Mitwirkung des Asylwerbers im Verfahren ist bei der Beurteilung der Glaubhaftmachung Bedacht zu nehmen. Wenn es sich um einen der persönlichen Sphäre der Partei zugehörigen Umstand handelt (zB ihre familiäre [VwGH 14.2.2002, 99/18/0199 ua], gesundheitliche [VwSlg 9721 A/1978; VwGH 17.10.2002, 2001/20/0601; 14.6.2005, 2005/02/0043], oder finanzielle [vgl VwGH 15.11.1994, 94/07/0099] Situation), von dem sich die Behörde nicht amtswegig Kenntnis verschaffen kann (vgl auch VwGH 24.10.1980, 1230/78), besteht eine erhöhte Mitwirkungspflicht und Darlegungslast des Asylwerbers (VwGH 18.12.2002, 2002/18/0279).

Wenn Sachverhaltselemente im Ausland ihre Wurzeln haben, ist die Mitwirkungspflicht und Offenlegungspflicht der Partei in dem Maße höher, als die Pflicht der Behörde zur amtswegigen Erforschung des Sachverhaltes wegen des Fehlens der ihr sonst zu Gebote stehenden Ermittlungsmöglichkeiten geringer wird. Tritt in solchen Fällen die Mitwirkungspflicht der Partei in den Vordergrund, so liegt es vornehmlich an ihr, Beweise für die Aufhellung auslandsbezogener Sachverhalte beizuschaffen (VwGH 12.07.1990, Zahl 89/16/0069).

Fallbezogen ergibt sich daraus Folgendes:

Das BVwG geht auf Grund des Ermittlungsverfahrens davon aus, dass die bP in zentralen Bereichen, wo es um die Rückkehrbefürchtungen geht, im Zuge des Verfahrens keine bzw. geringe Bereitschaft zeigte wahrheitsgemäße Angaben zu machen. Offensichtlich hielt sie es selbst für einen positiven Ausgang des beantragten internationalen Schutzes für abträglich hier durchgehend den Tatsachen entsprechende Angaben zu machen. Das BVwG gewinnt aus dem Ermittlungsverfahren deutlich den Eindruck, dass die bP aus asyltaktischen Gründen die von ihr erwartete Rückkehrsituation schlechter darstellt, als sie tatsächlich von ihr eingeschätzt wird.

Der Prüfungsrahmen bzw. die Ermittlungspflicht beim internationalen Schutz ergibt sich im Wesentlichen aus dem Vorbringen der Partei zu ihrer persönlichen Gefährdung. Die amtswegige Ermittlungspflicht bedeutet nicht, dass das Bundesamt bzw. das BVwG ohne entsprechendes Vorbringen des Asylwerbers oder ohne sich aus den Angaben konkret ergebende Anhaltspunkte jegliche nur denkbaren Lebenssachverhalte ergründen zu müssen (vgl. VwGH 10.8.2018, Ra 2018/20/0314, mwN).

In Anbetracht der seit der Antragstellung im Jahr 2014 vergangenen Zeit wurde die bP in der Beschwerdeverhandlung gefragt bzw. aufgefordert, "alle Probleme konkret und vollständig" aufzuzählen, die sie persönlich aus aktueller Sicht im Falle der Rückkehr erwarten würde.

Auszug aus der Verhandlungsschrift:

"[...]

Würden sie aus heutiger Sicht bei einer Rückkehr in die Türkei noch Probleme erwarten? Wenn ja, geben sie bitte konkret und vollständig alle Probleme an, die sie persönlich für sich bei der Rückkehr erwarten würden.

P: Das einzige Problem ist, dass es eine Blutfehde geben wird. Meine Geschwister samt meiner Ehefrau möchten nicht, dass ich in die Türkei zurückkehre. (Anm: Ende der freien Rede)

[...]"

Daraus ist ersichtlich, dass sie zum Zeitpunkt der Verhandlung persönlich in Bezug auf ihre Rückkehrbefürchtung als "einziges Problem" nur mehr die behauptete Bedrohung durch die Familie des von ihr ermorderten Opfers stützte.

Ihre früher vor dem Bundesamt gemachten Befürchtungen in Bezug auf die Situation der Kurden und Aleviten sowie behauptete denkmögliche Strafverfolgung wegen ihrer auf Facebook veröffentlichten politisch motivierten Fotos, brachte sie persönlich dabei ausdrücklich nicht mehr als Rückkehrproblematik vor, was darauf hinweist, dass sie - aus welchen Gründen auch immer - persönlich diesbezüglich keine relevante Problemlage im Falle der Rückkehr (mehr) erwartete.

Wie bereits angeführt, misst das Verwaltungsgericht hier im Einklang mit der Judikatur der Höchstgerichte der höchstpersönlichen Aussage der bP zu Umständen, die aus ihrer persönlichen Sphäre stammen bzw. diese betreffen, zum aktuellen Zeitpunkt in der Beschwerdeverhandlung, die sie ausdrücklich beantragt hatte, besondere Bedeutung zu.

Zusammengefasst brachte die bP zu diesem Beweisthema - Verfolgung durch die Familie des von ihr durch Schüsse getöteten Opfers - während des Verfahrens vor dem Bundesamt 3 Briefe von ihr bekannten Personen in Vorlage. Diesen ist gemeinsam, dass die Verfasser der Briefe "gehört hätten", dass die Familie des Opfers sie bei einer Rückkehr möglicherweise umbringen würden.

Die bP behautpete dazu weiters, diesbezügliche Äußerungen bzw. konkrete Drohungen habe es bereits bei der Hauptverhandlung beim Landesgericht gegeben, dies habe der Richter auch selbst wahrgenommen und Familienangehörige des Opfers aus dem Saal verwiesen.

Vom zuständigen Landesgericht wurde dem BVwG auf Anfrage schriftlich mitgeteilt, dass diese Behauptung der bP hinsichtlich des vorgebrachten Vorfalles anlässlich einer Verhandlung nicht bestätigt werden kann. Die bP konnte im Verfahren im Hinblick auf diese Behauptung selbst auch nach der Verhandlung keine Nachweise aufbieten und trat damit der Auskunft des Gerichtes nicht konkret entgegen.

Weiters wurde vom Gericht auf Anfrage des BVwG mitgeteilt, dass die bP in Österreich auch nicht als Anzeiger oder Opfer/Zeuge einer Straftat - also auch nicht wegen der behaupteten Bedrohung - aufscheint. Aus dieser unbestritten gebliebenen Tatsache ergibt sich ein weiteres, gewichtiges Indiz, dass es diesen Vorfall bei Gericht nicht gab, zumal es sich bei einer gefährlichen Drohung um ein Offizialdelikt handeln würde und das Gericht somit amtswegig hätte einschreiten müssen (vgl. § 78 StPO). Zumindest wäre zu erwarten gewesen, dass die dazumal im Strafverfahren auch anwaltlich vertretene bP in Österreich schon Anzeige gegen diese Droher erstattet hätte, wenn dieser Sachverhalt den Tatsachen entsprechen würde, zumal Familienangehörige des Opfers in Österreich leben.

Das BVwG geht somit davon aus, dass es diese behauptete Bedrohung nicht gab.

Im Hinblick auf die 3 Briefe aus den Jahren 2005, 2013 und 2014 ist anzuführen, dass es das Verwaltungsgericht - wie auch schon das Bundesamt - als bemerkenswert erachtet, dass die bP von dem im Jahr 2005 erhaltenen Hinweis, dass sie möglicherweise in der Türkei durch die Familie des Opfers aus Rache ermordet werde, trotz Möglichkeit im laufenden ersten Asylverfahren nicht erwähnte, woraus man auch schließen kann, dass sie selbst an der Ernsth

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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