TE Vfgh Erkenntnis 1996/2/27 B3038/95, B3039/95

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Veröffentlicht am 27.02.1996
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

EMRK Art8
AufenthaltsG §5

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Abweisung von Anträgen auf Verlängerung von Aufenthaltsbewilligungen mangels gesicherten Lebensunterhalts; Unterlassen der gebotenen Interessenabwägung

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide in dem durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern, zuhanden ihres Rechtsvertreters, die mit jeweils S 18.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Mit den angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheiden des Bundesministers für Inneres wurden die Anträge eines türkischen Staatsangehörigen (Beschwerdeführer zu B3039/95) und seines minderjährigen Kindes (Beschwerdeführer zu B3038/95) auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung unter Berufung auf §5 Abs1 des Aufenthaltsgesetzes - BGBl. 466/1992, idF vor dem Bundesgesetz BGBl. 351/1995, abgewiesen. Die belangte Behörde begründet die die Aufenthaltsbewilligungen versagenden Bescheide im wesentlichen damit, daß das monatliche Einkommen der Mutter/Gattin nicht ausreiche, den Unterhalt für die Geltungsdauer der Bewilligung zu gewährleisten. Ein vorgelegtes Sparbuch, auf dem keine Kontobewegungen nachgewiesen wurden, sei zum Nachweis der Sicherung des Lebensunterhaltes nicht geeignet. Der Bezug der Familienbeihilfe gelte nicht als Einkommen. Darüber hinaus wird in den angefochtenen Bescheiden - übereinstimmend - auch noch folgendes ausgeführt:

"Gerade die Notwendigkeit, in einem ohnehin sensiblen Bereich die weitere Zuwanderung sorgfältig zu steuern, macht es erforderlich, strenge Maßstäbe an die Beurteilung der gesicherten Unterhaltsmittel von Zuwanderern anzulegen. Ist der Unterhalt für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert, so darf gemäß §5 Abs1 des Aufenthaltsgesetzes eine Bewilligung nicht erteilt werden.

... Bei der Entscheidung wurde dem Art8 Abs2 EMRK vollinhaltlich Rechnung getragen."

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden, auf Art144 Abs1 B-VG gestützten Beschwerden, in denen die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide begehrt wird.

Der Bundesminister für Inneres als belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässigen -

Beschwerden erwogen:

1. a) Die angefochtenen, eine Aufenthaltsbewilligung nach dem AufG versagenden Bescheide greifen in das durch Art8 EMRK verfassungsgesetzliche gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens der Beschwerdeführer, die sich seit mehreren Jahren rechtmäßig in Österreich aufhalten, ein.

b) Ein Eingriff in dieses verfassungsgesetzlich gewährleistete - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht ist dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage erging, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise anwendete. Ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler beging, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellte (vgl. VfSlg. 11638/1988).

c) Wie der Verfassungsgerichtshof bereits im Erkenntnis vom 16.3.1995, B2259/94, mit näherer Begründung dargelegt hat, ist die Behörde auch bei Anwendung der in §5 Abs1 AufG besonders hervorgehobenen Versagungsbestände der für die Dauer der Bewilligung nicht gesicherten ortsüblichen Unterkunft oder des nicht gesicherten Lebensunterhaltes in Fällen, in denen durch die Versagung der Bewilligung in das durch Art8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens eingegriffen wird, verhalten, die Notwendigkeit der Versagung der Bewilligung aus den in Art8 Abs2 EMRK umschriebenen öffentlichen Interessen zu prüfen und dabei auch auf die familiären und sonstigen privaten Interessen des Bewilligungswerbers Bedacht zu nehmen.

d) Die belangte Behörde hat in den Beschwerdefällen, denen Anträge zur Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung von bereits seit mehreren Jahren aufhältigen Fremden zugrundelagen (der Zweitbeschwerdeführer ist sei 1981 in Österreich), das Vorliegen des Versagungstatbestandes des §5 Abs1 AufG mit der Notwendigkeit der sorgfältigen Steuerung der weiteren Zuwanderung von Fremden begründet und sich im übrigen auf einen bloßen Hinweis auf Art8 EMRK beschränkt. Sie hat damit die von Verfassungs wegen gebotene Interessenabwägung in Wahrheit nicht vorgenommen.

Die angefochtenen Bescheide waren daher aus diesem Grund aufzuheben.

2. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG In den zugesprochenen Kosten ist jeweils Umsatzsteuer von S 3.000,-- enthalten.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht, Privat- und Familienleben, Interessenabwägung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:B3038.1995

Dokumentnummer

JFT_10039773_95B03038_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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