TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/7 W204 2196137-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.04.2020
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Entscheidungsdatum

07.04.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
COVID-19-VwBG §5
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W204 2196137-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. am XXXX .1990, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch den Verein Zeige, Zentrum für Europäische Integration und Globalen Erfahrungsaustausch, und dessen Organe und bestellte Vereinsvertreter Novin Mojarrad, Dr. G. Klodner, Martina Ehrlich, Ottakringer Straße 54/ 4. Stock, TOP 2, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.04.2018, Zl. 1094151907/151734919, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt VI. zu lauten hat:

"Gemäß § 55 Abs. 1 und 2 FPG beträgt die Frist für Ihre freiwillige Ausreise 14 Tage ab dem 01.05.2020 beziehungsweise ab dem vom Bundeskanzler gemäß § 5 Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 im Verwaltungsverfahren, im Verfahren der Verwaltungsgerichte sowie im Verfahren des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes, BGBl I. Nr. 16/2020, im Verordnungsweg festgelegten abweichenden Datum."

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger Afghanistans, reiste in das Bundesgebiet ein und stellte am 14.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

I.2. Am 10.11.2015 wurde der BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Wien niederschriftlich erstbefragt. Befragt nach seinen Fluchtgründen führte der BF aus, er habe vor einem Jahr den Entschluss gefasst, sein Heimatland zu verlassen, da er nebenberuflich Alkohol verkauft habe und einige Leute sowie die Taliban auf ihn aufmerksam geworden seien.

I.3. Am 17.04.2018 wurde der BF von dem zur Entscheidung berufenen Organwalter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Der BF wurde dabei u.a. zu seinem Gesundheitszustand, seiner Identität, seinen Lebensumständen in Afghanistan, seinen Familienangehörigen und seinen Lebensumständen in Österreich befragt. Nach den Gründen befragt, die den BF bewogen, seine Heimat zu verlassen, gab er an, er habe in Afghanistan Alkohol verkauft, was dort illegal sei. Im Jahr 2015 habe er wiederum Alkohol transportiert, als das vor ihm fahrende Auto, das ebenfalls Alkohol transportiert habe, an einem Checkpoint erwischt worden sei. Er sei daraufhin in das Dorf abgebogen, habe das Auto dort abgestellt und sei geflüchtet. Danach habe er seinen Chef angerufen und ihm davon berichtet. Dieser habe ihm jedoch nicht geglaubt, sondern ihn vielmehr beschuldigt, dass der BF und sein Kollege die Autos freiwillig der Regierung übergeben hätten. Da sein Chef ein großer Mafioso sei, habe der BF Angst vor ihm und sei daher nach Nimroz gereist, wo er sich zwei Monate versteckt habe. Danach sei er ausgereist.

Als Beilagen zur Niederschrift wurden sein afghanischer Personalausweis, Führerschein und Integrationsunterlagen genommen.

I.4. Mit Bescheid vom 19.04.2018, dem BF am 23.04.2018 durch Hinterlegung zugestellt, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte die Behörde aus, der BF habe sein Vorbringen nicht glaubhaft gemacht, weswegen keine asylrelevante Verfolgung festgestellt werden könne. Zu Spruchpunkt II. führte die Behörde aus, dass dem BF als gesundem, erwerbsfähigem Mann, der mit den kulturellen Gepflogenheiten vertraut sei, eine Rückkehr sowohl in seine Heimatprovinz als auch nach Kabul möglich und zumutbar sei, weil er in Afghanistan über familiären Anschluss verfüge. Nach Durchführung einer Interessensabwägung kam das BFA zum Schluss, dass die öffentlichen die privaten Interessen überwiegen und erließ daher eine Rückkehrentscheidung.

I.5. Mit Verfahrensanordnung vom 19.04.2018 wurde dem BF amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

I.6. Am 15.05.2018 erhob der BF durch seine Rechtsvertretung Beschwerde in vollen Umfang wegen Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften. Es wurde beantragt, dem BF den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen; in eventu ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu gewähren; in eventu die Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig zu erklären und einen Aufenthaltstitel zu erteilen; in eventu den Bescheid zu beheben und zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückzuverweisen sowie eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.

Begründend wird in der Beschwerde ausgeführt, das BFA habe dem BF zu Unrecht die Glaubhaftigkeit abgesprochen. Das BFA hätte daher feststellen müssen, dass dem BF aufgrund seiner Tätigkeit als Alkohollieferant asylrelevante Verfolgung drohe. Aufgrund der Sicherheits- und Versorgungslage sei ihm jedoch jedenfalls subsidiärer Schutz zuzuerkennen. Ebenfalls wurden fehlerhafte Länderfeststellungen bemängelt.

I.7. Am 16.05.2018 langte ein Amtsvermerk der LPD Wien ein, wonach der BF des Diebstahls verdächtig sei.

I.8. Die Beschwerde und der Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 23.05.2018 vorgelegt.

I.9. Am 04.06.2018 langte der Abschlussbericht hinsichtlich des Diebstahlvorwurfs ein. Am 05.07.2018 legte das BFA eine Meldung der LPD Wien vor, wonach der BF wegen des Vergehens der Urkundenfälschung angezeigt worden sei.

I.10. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 08.08.2018 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der der BF und seine Rechtsvertretung teilnahmen. Das BFA verzichtete in der Beschwerdevorlage auf die Teilnahme an der Verhandlung. Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurde der BF im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari u.a. zu seiner Identität und Herkunft, zu den persönlichen Lebensumständen, seinen Familienangehörigen, seinen Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen sowie zu seinem Privat- und Familienleben in Österreich ausführlich befragt.

Als Beilagen zum Protokoll wurden mehrere Integrationsunterlagen genommen.

I.11. Am 02.12.2019 nahm der BF zu den zuvor übermittelten aktuellen Länderinformationen dahingehend Stellung, dass er diese zur Kenntnis nehme, und legte weitere Integrationsunterlagen zur Änderung seiner persönlichen Verhältnisse seit der Beschwerdeverhandlung vor.

I.12. Am 24.01.2020 zeigte der Verein ZEIGE mit dessen Organen die Bevollmächtigung an, erstattete eine weitere Stellungnahme zu aktuellen Länderinformationen und legte mehrere Unterlagen, insbesondere eine Unterstützungserklärung, Sprachkurs-Zertifikate und medizinische Befunde aus dem Jahr 2018, vor.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

- Einsicht in den den BF betreffenden und dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, insbesondere in die Befragungsprotokolle;

- Befragung des BF im Rahmen einer öffentlich mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht;

- Einsicht in die in das Verfahren eingeführte Länderberichte zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat und in die vom BF vorgelegten Unterlagen;

- Einsicht in das Zentrale Melderegister, das Strafregister und das Grundversorgungssystem.

II.1. Sachverhaltsfeststellungen:

II.1.1. Zum BF und seinen Fluchtgründen:

Die Identität des BF kann nicht festgestellt werden, die im Spruch genannte ist lediglich seine Verfahrensidentität. Er ist Staatsangehöriger Afghanistans und gehört der Volksgruppe der Usbeken und der sunnitischen Glaubensrichtung an. Der BF beherrscht Dari und Usbekisch in Wort und Schrift. Zudem spricht der BF Paschtu, Türkisch und etwas Russisch. In Paschtu kann der BF auch lesen.

Der BF stammt aus der Stadt XXXX im Distrikt XXXX in der Provinz Takhar. Dort besuchte er acht Jahre lang die Schule und arbeitete nach seiner Schulzeit ca. vier Jahre lang in einem Betrieb als Automechaniker, bevor er seine eigene Werkstätte eröffnete und diese ca. 3 Jahre lang bis zu seiner Ausreise betrieb. In diesem Zusammenhang pendelte der BF wiederholt nach Kabul.

Die Familie des BF - bestehend aus seinem Vater, dessen zwei Frauen und seinen Geschwistern - lebt nach wie vor im Heimatdorf, wo sie über Grundstücke und Häuser verfügt. Die Landwirtschaft der Familie wird von einem vom Vater des BF angestellten Bauern bewirtschaftet. Der Vater des BF bezieht eine Beamtenpension. Der jüngste Bruder des BF wohnt und studiert in Kabul und wird von der Familie finanziell unterstützt.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF in Afghanistan illegal Alkohol transportiert oder verkauft hat und deswegen bei einer Rückkehr, sei es von privater oder staatlicher Seite, verfolgt werden würde. Dem BF droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan keine Verfolgung.

Der BF könnte sich bei einer Rückkehr nach Afghanistan in seinem Heimatort ansiedeln. Dort steht dem BF eine sofortige Unterkunft bei seiner Familie zur Verfügung. Durch die Pension seines Vaters und die familieneigene Landwirtschaft ist auch die grundlegende Versorgung des BF (Trinkwasser, sanitäre Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung) gesichert. Ebenso kann der BF auf der familieneigenen Landwirtschaft zumindest mitarbeiten und sich dadurch seine Existenz sichern. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF in seinem Heimatort einer realen Gefahr des Todes oder der Folter beziehungsweise der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe ausgesetzt wäre oder die bloße Anwesenheit in seinem Heimatort ihn wegen der dortigen Lage einer integritäts- oder lebensbedrohlichen Situation aussetzen würde. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass der BF im Falle einer Rückkehr in seinen Heimatort nicht im Stände wäre, für ein ausreichendes Auskommen zur Sicherung seiner Grundbedürfnisse zu sorgen. Er läuft nicht Gefahr, bei einer Rückkehr in eine ausweglose beziehungsweise existenzbedrohende Situation zu geraten.

Der BF könnte sich bei einer Rückkehr auch in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif ansiedeln. In Kabul könnte der BF zumindest anfangs bei seinem Bruder wohnen und so wie dieser finanziell von seiner Familie unterstützt werden. Auch in Herat oder Mazar-e Sharif kann der BF durch seine Familie finanziell unterstützt werden. Dadurch sind auch seine grundlegende Versorgung (Trinkwasser, sanitäre Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung) und seine Lebensgrundlagen gesichert. Aufgrund der Schulbildung und Berufserfahrung ist es dem BF auch möglich, sich am dortigen Arbeitsmarkt einzugliedern und seinen Lebensunterhalt dadurch zu bestreiten. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif einer realen Gefahr des Todes oder der Folter beziehungsweise der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe ausgesetzt wäre oder die bloße Anwesenheit in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif ihn wegen der dortigen Lage einer integritäts- oder lebensbedrohlichen Situation aussetzen würde. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass der BF im Falle einer Rückkehr nach Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif nicht im Stande wäre, für ein ausreichendes Auskommen zur Sicherung seiner Grundbedürfnisse zu sorgen. Er lauft nicht Gefahr, in eine ausweglose beziehungsweise existenzbedrohende Situation zu geraten.

Der BF wurde mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom 09.11.2018 zu XXXX , rechtskräftig seit 13.11.2018, aufgrund der Verwendung eines gefälschten afghanischen Führerscheins wegen des Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs 2 StGB zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je EUR 4,00 im Nichteinbringungsfall zu 40 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe, verurteilt.

Der BF bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung.

Der BF leidet aufgrund einer früheren Kopfverletzung aus dem Jahr 2012 an Kopfschmerzen. Er hat Abnutzungserscheinungen der Wirbelsäule (inkomplett sakralisierter L5 mit linksseitiger Pseudarthrosenbildung, geringe rechtskonvexe Fehlhaltung und Streckhaltung, mäßig dorsalbetonte Chondrose L4/5 und geringer L1-L4). Ein MRT seines Gehirnschädels am 09.02.2018 zeigte bei sonst unauffälligen Befund gering- bis mäßiggradige Schleimhautschwellungen der Nasennebenhöhlen. Ein im Jänner 2018 durchgeführtes EEG zeigte ein mäßig abnormes EEG mit gestörtem Grundrhythmus. Im Februar 2018 war der BF wegen Warzen am linken Fuß in Behandlung. Ansonsten ist der BF gesund, steht nicht in ständiger ärztlicher Behandlung und nimmt keine Medikamente. Er ist arbeitsfähig.

Im Bundesgebiet befinden sich keine Familienangehörigen des BF. Er ist im Bundesgebiet aktuell nicht selbsterhaltungsfähig.

Der BF ist kein Mitglied in einem Verein. Er betätigte sich kurzfristig bei der Islamischen Föderation Wien im Bereich der Transit-Flüchtlinge ehrenamtlich. Er besuchte zwei Deutschkurse auf dem Niveau A1. Der Objektbetreuer seiner Wohnung gab in einer Stellungnahme an, dem BF eine Arbeit vermitteln zu wollen, so dieser eine Arbeitsgenehmigung erhält.

II.1.2. Zur Situation im Herkunftsland:

Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (Länderinformationsblatt für Afghanistan vom 13.11.2019 - LIB 13.11.2019, S. 12).

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (LIB 13.11.2019, S. 18). Diese ist jedoch regional und sogar innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich (LIB 13.11.2019, S. 18ff).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung. Die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, sodass Engpässe entstehen. Dadurch können manchmal auch Kräfte fehlen um Territorium zu halten. Die Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau (LIB 13.11.2019, S. 19).

Für das gesamte Jahr 2018 gab es gegenüber 2017 einen Anstieg in der Gesamtzahl ziviler Opfer und ziviler Todesfälle. Für das erste Halbjahr 2019 wurde eine niedrigere Anzahl ziviler Opfer registrierten, im Juli, August und September lag ein hohes Gewaltniveau vor. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren 2018 am stärksten vom Konflikt betroffen (LIB 13.11.2019, S. 24).

Sowohl im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion, weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele (High Profile Angriffe - HPA) aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Diese Angriffe sind jedoch stetig zurückgegangen. Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt, zwischen 1.12.2018 und 15.5.2019 waren es 6 HPAs (LIB 13.11.2019, S. 25).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB 13.11.2019, S. 26).

Taliban: Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel - die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte (LIB 13.11.2019, S. 26; S. 29).

Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB 13.11.2019, S. 27).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB 13.11.2019, S. 27).

Haqani-Netzwerk: Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida. Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt und ist für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich (LIB 13.11.2019, S. 27).

Islamischer Staat (IS/DaesH) - Islamischer Staat Khorasan Provinz: Die Stärke des ISKP variiert zwischen 1.500 und 3.000, bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern bzw. ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Der IS ist seit Sommer 2014 in Afghanistan aktiv. Durch Partnerschaften mit militanten Gruppen konnte der IS seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan stärken. Er ist vor allem im Osten des Landes in der Provinz Nangarhar präsent (LIB 13.11.2019, S. 27f).

Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit. Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt, nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab. Die Taliban und der IS sind verfeindet. Während die Taliban ihre Angriffe überwiegend auf Regierungszeile bzw. Sicherheitskräfte beschränken, zielt der IS darauf ab konfessionelle Gewalt zu fördern und Schiiten anzugreifen (LIB 13.11.2019, S. 29).

Al-Qaida: Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen (LIB 13.11.2019, S. 29).

Sicherheitsbehörden:

Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF - Afghan National Defense and Security Forces) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police) (LIB 13.11.2019, S. 249).

Die Afghanische Nationalarmee (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Das Verteidigungsministerium hat die Stärke der ANA mit 227.374 autorisiert (LIB 13.11.2019, S. 250). Die Afghan National Police (ANP) gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA (LIB 13.11.2019, S. 250). Die Afghan Local Police (ALP) wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB 13.11.2019, S. 251).

Takhar:

Die Provinz Takhar liegt im Nordosten Afghanistans und grenzt im Norden an Tadschikistan. Die Nachbarprovinzen sind im Osten Badakhshan, im Süden und Südwesten Panjshir und Baghlan und im Westen Kunduz. Die Provinz ist in folgende Distrikte unterteilt: Baharak, Bangi, Chahab, Chal, Darqad, Dasht-e-Qala, Eshkamesh, Farkhar, Hazar Sumuch, Kalafgan, Khwaja Bahawuddin, Khwaja Ghar, Namak Ab, Rustaq, der Provinzhauptstadt Taluqan (Taloqan), Warsaj und Yangi Qala (LIB 13.11.2019, S. 207).

Die afghanische zentrale Statistikorganisation (CSO) schätzte die Bevölkerung von Takhar für den Zeitraum 2019-20 auf 1.073.319 Personen. Sie besteht hauptsächlich aus Usbeken, Tadschiken, Paschtunen, Hazara, Gujari, Pashai und Arabern (LIB 13.11.2019, S. 207).

Die ansonsten relativ friedliche nördliche Region hatte in den letzten Jahren mit Gewalt zu kämpfen, nachdem die afghanischen Sicherheitskräfte Aufständische aus den südlichen und östlichen Regionen verdrängten. So zählt auch Takhar zu den volatilen Provinzen in Nordafghanistan - Aufständische der Taliban und anderer Gruppierungen sind in einer Anzahl von Distrikten aktiv. Es sind auch kleine Ansammlungen des ISKP und weitere islamistische Gruppierungen in der Provinz aktiv (LIB 13.11.2019, S. 208).

Im Heimatdistrikt des BF wurden für das Jahr 2018 von GIM ein, von ACLED 11 sicherheitsrelevante Vorfälle mit insgesamt 97 Toten gezählt. Für das Jahr 2019 (bis zum 30.09.) zählte GIM 10, ACLED 26 Vorfälle mit insgesamt 154 Toten (LIB 13.11.2019, S. 208f).

Für das Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 113 zivile Opfer (26 Tote und 87 Verletzte) in der Provinz Takhar. Dies entspricht einer Steigerung von 15% gegenüber 2017. Die Hauptursachen für Vorfälle waren Bodenkämpfe gefolgt von IEDs und Drohungen, Einschüchterungen und Drangsalen (LIB 13.11.2019, S. 209).

Immer wieder kommt es zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Aufständischen und afghanischen Sicherheitskräften, bei denen es zu Todesopfern auf beiden Seiten kommt. Bei manchen sicherheitsrelevanten Vorfällen kamen Zivilisten zu Schaden (LIB 13.11.2019, S. 209f).

In der Provinz leben mehrere hunderttausende Binnenvertriebene, die größtenteils aus der Provinz Takhar selbst stammen (LIB 13.11.2019, S. 210).

In der Provinz Takhar kommt es zu willkürlicher Gewalt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance Note: Afghanistan, III.3).

Kabul:

Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans. Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Die Stadt Kabul ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, mit einer geschätzten Einwohnerzahl von 5.029.850 (LIB 13.11.2109, S. 36). Kabul ist Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt (LIB 13.11.2109, S. 38). Die Stadt Kabul ist über Hauptstraßen mit den anderen Provinzen des Landes verbunden und verfügt über einen internationalen Flughafen (LIB 13.11.2109, S. 37; S. 237).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele durch, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Die Hauptursache für zivile Opfer in der Provinz Kabul (596 Tote und 1.270 Verletzte im Jahr 2018) waren Selbstmord- und komplexe Angriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs) und gezielten Tötungen (LIB 13.11.2019, S. 38ff).

In Kabul leben 70.000 bis 80.000 Binnenvertriebene (LIB 13.11.219, S. 41).

Kabul ist das wichtigste Handels- und Beschäftigungszentrum Afghanistans und hat ein größeres Einzugsgebiet in den Provinzen Parwan, Logar und Wardak. Es gibt eine dynamischere Wirtschaft mit einem geringeren Anteil an Arbeitssuchenden, Selbständigen und Familienarbeitern. Menschen aus kleinen Dörfern pendeln täglich oder wöchentlich nach Kabul, um landwirtschaftliche Produkte zu handeln oder als Wachen, Hausangestellte oder Lohnarbeiter zu arbeiten. Die besten (Arbeits-)Möglichkeiten für Junge existieren in Kabul. Trotz der niedrigeren Erwerbsquoten ist der Frauenanteil in hoch qualifizierten Berufen in Kabul (49,6 %) am größten (LIB 13.11.2109, S. 335f).

Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war in den letzten Jahren das Zentrum dieses Wachstums. Schätzungsweise 70% der Bevölkerung Kabuls leben in informellen Siedlungen (Slums), welche den meisten Einwohnern der Stadt preiswerte Wohnmöglichkeiten bieten. (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, V).

Die Gehälter in Kabul sind in der Regel höher als in anderen Provinzen (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, V).

Das Hunger-Frühwarnsystem (FEWS) stufte Kabul im Dezember 2018 als "gestresst" ein, was bedeutet, dass Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch aufweisen und nicht in der Lage sind sich wesentliche, nicht nahrungsbezogenen Güter zu leisten, ohne irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, V).

Schätzungen zufolge haben 32% der Bevölkerung Kabuls Zugang zu fließendem Wasser und nur 10% der Einwohner erhalten Trinkwasser. Diejenigen, die es sich leisten können, bohren ihre eigenen Brunnen. Viele arme Einwohner von Kabul sind auf öffentliche Zapfstellen angewiesen, die oft weit von ihren Häusern entfernt sind. Der Großteil der gemeinsamen Wasserstellen und Brunnen in der Hauptstadt ist durch häusliches und industrielles Abwasser verseucht, das in den Kabul-Fluss eingeleitet wird, was ernste gesundheitliche Bedenken aufwirft. Fast die Hälfte der Bevölkerung in Kabul verfügt über sanitäre Grundversorgung (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, V).

In der Stadt Kabul besteht Zugang zu öffentlichen und privaten Gesundheitsdiensten. Nach verschiedenen Quellen gibt es in Kabul ein oder zwei öffentliche psychiatrische Kliniken (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, V).

Kabul zählt zu jenen Provinzen, in denen es zu willkürlicher Gewalt kommt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

Mazar-e Sharif:

Die Provinzhauptstadt von Balkh ist Mazar-e Sharif. Die Provinz Balkh liegt im Norden Afghanistan und ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Es leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in Mazar-e Sharif (LIB 13.11.2019, S. 61).

Balkh zählt zu den relativ stabilen und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten. In den letzten Monaten versuchten Aufständische der Taliban die Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren (LIB 13.11.2019, S. 62). Im Jahr 2018 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh dokumentiert. Dies entspricht einer Steigerung von 76% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDS; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen (LIB 13.11.2019, S. 63). Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Provinz Balkh sowie in der Stadt Mazar-e Sharif so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO - Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 89; S. 92f).

Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz, ein regionales Handelszentrum sowie ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen. Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) zu erreichen (LIB 13.11.2019, S. 61; S. 336).

In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es 10 - 15 - teils öffentliche, teils private - Krankenhäuser. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer, jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken die zu 80% öffentlich finanziert sind (LIB 13.11.2019, S. 347).

Mazar-e Sharif gilt im Vergleich zu Herat oder Kabul als wirtschaftlich relativ stabiler. Die größte Gruppe von Arbeitern in der Stadt Mazar-e Sharif sind im Dienstleistungsbereich und als Verkäufer tätig (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, V).

Die Unterkunftssituation stellt sich in Mazar-e Sharif, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population leben in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Mazar-e Sharif besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten. (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, V).

Die meisten Menschen in Mazar-e Sharif haben Zugang zu erschlossener Wasserversorgung (76%), welche in der Regel in Rohrleitungen oder aus Brunnen erfolgt. 92% der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, V).

Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Mazar-e Sharif so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht, von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, III).

Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) legal zu erreichen (LIB, Kapitel 21). Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Herat:

Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und ist eine der größten Provinzen Afghanistans. Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt (LIB 13.11.2019, S. 105). Die Provinz verfügt über 2.095.117 Einwohner, 556.205 davon in der Provinzhauptstadt. Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen. Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert, der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 durch Iran-Rückkehrer und Binnenvertriebene besonders gestiegen (LIB 13.11.2019, S. 106).

Herat ist durch die Ring-Road sowie durch einen Flughafen mit nationalen und internationalen Anbindungen erreichbar (LIB 13.11.2019, S. 106).

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als "sehr sicher" gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban. In der Stadt Herat steigt die Kriminalität und Gesetzlosigkeit (LIB 13.11.2019, S. 106). Im Jahr 2018 gab es mit 259 zivile Opfer (95 Tote und 164 Verletzte) in Herat einen Rückgang von 48% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierten Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen. Der volatilste Distrikt von Herat ist Shindand. Dort kommt es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen rivalisierenden Taliban-Fraktionen, wie auch zwischen den Taliban und regierungsfreundlichen Kräften. Außerdem kommt es in unterschiedlichen Distrikten immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften (LIB 13.11.2019, S. 108f). Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Herat so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO - Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 89, S. 99f).

Im Vergleich mit anderen Teilen des Landes weist Herat wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf. Es gibt Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran, wie auch im Bergbau und Produktion. Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt und beschäftigt Tagelöhner sowie kleine Unternehmer (LIB 13.11.2019, S. 336).

Herat ist im Zeitraum Oktober 2019 bis Januar 2020 als IPC Stufe 2 klassifiziert (IPC - Integrated Phase Classification). In Phase 2, auch "stressed" genannt, weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentlich, nicht nahrungsbezogenen Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ACCORD, Sicherheitslage und sozio-ökonomische Lage in Herat und Mazar-e Sharif vom 02.10.2019, 3.1.).

Die Unterkunftssituation stellt sich in Herat, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population leben in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Herat besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, V).

Die meisten Menschen in Herat haben Zugang zu Elektrizität (80 %), zu erschlossener Wasserversorgung (70%) und zu Abwasseranlagen (30%). 92,1 % der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen und 81,22 % zu besseren Wasserversorgungsanlagen (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, V).

In der Provinz Herat - mit Ausnahme in der Stadt Herat - kommt es zu willkürlicher Gewalt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich ist, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance Note: Afghanistan, III.3).

Die Hauptstadt der Provinz ist Herat-Stadt. In dieser Stadt findet willkürliche Gewalt auf einem niedrigen Niveau statt. Im Allgemeinen besteht kein reales Risiko, dass ein Zivilist aufgrund willkürlicher Gewalt im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen wird. Es müssen jedoch immer individuelle Risikoelemente berücksichtigt werden (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

Bewegungsfreiheit

Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Die Regierung schränkt die Bewegung der Bürger gelegentlich aus Sicherheitsgründen ein. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen (LIB 13.11.2019, S. 327).

Meldewesen

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, keine Datenbanken mit Adress- oder Telefonnummerneinträgen und auch keine Melde- oder Registrierungspflicht. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB 13.11.2019, S. 328).

Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB 13.11.2019, S. 264).

Korruption:

Die Korruption ist in Afghanistan sehr hoch. Es bestehen zwar strafrechtliche Sanktionen gegen Korruption, diese werden jedoch nicht effektiv umgesetzt. Korruption findet in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens statt, unter anderem in der Justiz, bei der Beschaffung von Gütern, bei Staatseinnahmen und bei der Bereitstellung von Leistungen des Staates (LIB 13.11.2019, S. 254f).

Medizinische Versorgung:

Der afghanischen Verfassung zufolge hat der Staat kostenlos medizinische Vorsorge, ärztliche Behandlung und medizinische Einrichtungen für alle Bürger zur Verfügung zu stellen. Außerdem fördert der Staat die Errichtung und Ausweitung medizinischer Leistungen und Gesundheitszentren. Eine begrenzte Anzahl staatlicher Krankenhäuser in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung an. Alle Staatsbürger haben dort Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten. Die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten, Ärztinnen und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt (LIB 13.11.2019, S. 344).

Die Kosten für Medikamente in staatlichen Krankenhäusern weichen vom lokalen Marktpreis ab. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. 90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden (LIB 13.11.2019, S. 345).

Wirtschaft

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig (LIB 13.11.2019, S. 333).

Am Arbeitsmarkt müssten jährlich 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen, wobei Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen können. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB 13.11.2019, S. 334f).

In Kabul und im Umland sowie in Städten stehen Häuser und Wohnungen zur Verfügung. Die Kosten in Kabul-City sind jedoch höher als in den Vororten oder in den anderen Provinzen. Die Lebenshaltungskosten sind für den zentral gelegenen Teil der Stadt Kabul höher als In ländlichen Gebieten (LIB 13.11.2019, S. 359).

In den Jahren 2016-2017 lebten 54,5% der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Immer mehr Menschen greifen auf negative Bewältigungsmechanismen wie Kleinkriminalität, Kinderehen, Kinderarbeit und Betteln zurück, von denen insbesondere Binnenvertriebene betroffen sind. Der Zugang zu einer produktiven oder entgeltlichen Beschäftigung ist begrenzt, 80% der Beschäftigung gelten als anfällig und unsicher in Form von Selbst- oder Eigenbeschäftigung, Tagarbeit oder unbezahlter Arbeit. Der saisonale Effekt ist erheblich. Die Arbeitslosenquote ist in den Frühlings- und Sommermonaten relativ niedrig (rund 20%), während sie im Winter 32,5% erreichen kann (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, V).

Im Zeitraum von 2016 bis 2017 waren 44,6% der afghanischen Bevölkerung sehr stark bis mäßig von Lebensmittelunsicherheit betroffen. In allen Wohnbevölkerungsgruppen war seit 2011 ein Anstieg festzustellen, wobei der höchste Anstieg in den ländlichen Gebieten zu verzeichnen war (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, V).

Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war das Zentrum des Wachstums, und der Rest der städtischen Bevölkerung konzentriert sich hauptsächlich auf vier andere Stadtregionen: Herat, Mazar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad. Die große Mehrheit (72%, basierend auf ALCS-Zahlen für 2016-2017) der afghanischen Stadtbevölkerung lebt in Slums oder in ungenügenden Wohnungen. 86% der städtischen Häuser in Afghanistan können (gemäß der Definition von UN-Habitat) als Slums eingestuft werden. Der Zugang zu angemessenem Wohnraum stellt für die Mehrheit der Afghanen in den Städten eine große Herausforderung dar (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, V).

In den Städten besteht grundsätzlich die Möglichkeit sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bieten die Städte die Möglichkeit von "Teehäusern", die mit 30 Afghani (das sind ca. ? 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. ? 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. "Teehäuser" werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, V).

Der Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie angemessenen sanitären Einrichtungen hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, war in den Städten im Allgemeinen besser als auf dem Land. Der Zugang zu Trinkwasser ist für viele Afghanen jedoch nach wie vor ein Problem, und die sanitären Einrichtungen sind weiterhin schlecht (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, V).

Rückkehrer:

In den ersten vier Monaten des Jahres 2019 sind insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurückgekehrt. Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück (LIB 13.11.2019, S. 353).

Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, können verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Wegen der hohen Fluktuation im Land und der notwendigen Zeit der Hilfsorganisationen, sich darauf einzustellen, ist Hilfe nicht immer sofort dort verfügbar, wo Rückkehrer sich niederlassen. Es befinden sich viele Rückkehrer in Gebieten, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (LIB 13.11.2019, S. 354).

Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken (Kolleg/innen, Mitstudierende etc.) sowie politische Netzwerke usw. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind manche Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB 13.11.2019, S. 354).

Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Zudem können fehlende Vertrautheit mit kulturellen Besonderheiten und sozialen Normen die Integration und Existenzgründung erschweren. Das Bestehen sozialer und familiärer Netzwerke am Ankunftsort nimmt auch hierbei eine zentrale Rolle ein. Über diese können die genannten Integrationshemmnisse abgefedert werden, indem die erforderlichen Fähigkeiten etwa im Umgang mit lokalen Behörden sowie sozial erwünschtes Verhalten vermittelt werden und für die Vertrauenswürdigkeit der Rückkehrer gebürgt wird. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (LIB 13.11.2019, S. 355).

Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Es sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB 13.11.2019, S. 355).

Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch (LIB 13.11.2019, S. 355).

Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (LIB 13.11.2019, S. 356).

Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Rückkehrer erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück (LIB 13.11.2019, S. 356).

Die "Reception Assistance" umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt (LIB 13.11.2019, S. 358).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB 13.11.2019, S. 362).

Ethnische Minderheiten:

In Afghanistan leben zwischen 32-35 Millionen Menschen. Es sind ca. 40-42% Pashtunen, rund 27-30% Tadschiken, ca. 9-10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen (LIB 13.11.2019, S. 287f).

Usbeken

Die usbekische Minderheit ist die viertgrößte Minderheit Afghanistans und umfasst etwa 9% der Gesamtbevölkerung. Usbeken sind Sunniten und leben vorwiegend im Norden des Landes, wo sie gemeinsam mit den Turkmenen den größten Teil des landwirtschaftlich genutzten Bodens kontrollieren. Sie siedeln sowohl im ländlichen Raum, wie auch in urbanen Zentren (Mazar-e Sharif, Kabul, Kandahar, Lashkargah u.a.), wo ihre Wirtschafts- und Lebensformen kaum Unterschiede zu Dari-sprachigen Gruppen aufweisen. In den Städten und in vielen ländlichen Gegenden beherrschen Usbeken neben dem Usbekischen in der Regel auch Dari auf nahezu muttersprachlichem Niveau. Heiratsbeziehungen zwischen Usbeken und Tadschiken sind keine Seltenheit. Abdul Rashid DOSTUM ist der Anführer der usbekischen Minderheit in Afghanistan. Der ehemalige Warlord und einer der Anführer der Nordallianz ist inzwischen Erster Vizepräsident Afghanistans und befand sich von Mai 2017 bis Juli 2018 im Exil in der Türkei. Die usbekische Minderheit ist im nationalen Durchschnitt mit etwa 8% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert. (LIB 13.11.2019, S. 293f)

Religionen:

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon 80-89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB 13.11.2019, S. 277).

Sunniten sind allein aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit in Afghanistan weder psychischen noch physischen Bedrohungen ausgesetzt.

I.2. Diese Feststellungen beruhen auf folgender Beweiswürdigung:

II.2.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und dem Verfahrensakt des Bundesverwaltungsgerichts.

II.2.2. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des BF sowie zu seinen Sprachkenntnissen legte bereits das BFA seiner Entscheidung zu Grunde. Diese wurden während des Beschwerdeverfahrens vom BF nicht bestritten, sondern vielmehr bestätigt (S. 4f VP) und konnten daher auch der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden. Die Identität kann mangels Vorlage unbedenklicher Dokumente nicht festgestellt werden. Auch die Feststellungen zu seinen Sprachkenntnissen beruhen auf den eigenen Angaben des BF (S. 5 VP).

II.2.3. Auch die Feststellungen zu seinem Heimatdorf, seiner Schulbildung und den Aufenthalten seiner Verwandten in Afghanistan beruhen auf seinen eigenen Aussagen, die während des gesamten Verfahrens stets gleichbleibend und glaubhaft waren (AS 7, 67, 69, S. 5, 9 VP).

II.2.4. Dem Fluchtvorbringen des BF, er habe Alkohol verkauft und ihm drohe deswegen durch seinen Chef, der der Mafia angehöre, wie auch durch die Polizei eine Verfolgung, kann jedoch nicht gefolgt werden. Die Angaben des BF dazu sind oberflächlich, unplausibel und widersprüchlich. In Verbindung mit dem gewonnenen persönlichen Eindruck des BF ist es ihm daher nicht gelungen, seine Angaben zum Fluchtgrund glaubhaft zu machen. Wie auch bereits das BFA in seiner Beweiswürdigung im Ergebnis zutreffend ausgeführt hat, konnte der BF während des gesamten Asylverfahrens nicht den Eindruck erwecken, dass seine Angaben den Tatsachen entsprechen, weshalb sie als unglaubhaft zu beurteilen sind. Im Einzelnen ist dazu Folgendes auszuführen:

Bereits die unterschiedlichen Angaben des BF zu seiner Tätigkeit als Automechaniker sind zu Lasten der Glaubhaftigkeit des BF zu werten. Zwar hat der BF gleichlautend angegeben, dass er als Automechaniker gearbeitet und auch eine eigene Werkstatt betrieben hat, weshalb dies dem Grunde nach auch festzustellen war. In Bezug auf die Feststellung, dass der BF seine Werkstatt in den letzten drei Jahren vor und bis zu seiner Ausreise betrieben hat, war seinem Vorbringen vor dem BFA zu folgen, weil der BF seine weiteren Aussagen vor dem Bundesverwaltungsgericht zunehmend an die jeweilige Fragestellung und sein unglaubwürdiges Fluchtvorbringen angepasst hat. So gab er vor dem BFA noch an, er habe vier Jahre lang den Beruf in einer Werkstatt erlernt und danach zweieinhalb bis drei Jahre sein eigenes Geschäft geführt (AS 67). Er habe seine Werkstatt bis zur Ausreise gehabt (AS 69). Ausgereist sei er am 09.09.2015 (AS 67). Vor dem Bundesverwaltungsgericht sagte der BF ebenfalls aus, er habe in einer Werkstätte gelernt und gearbeitet und dann eine eigene Werkstätte eröffnet. In weiterer Folge machte der BF jedoch miteinander unvereinbare Zeitangaben, was teils seiner Heranziehung des gregorianischen Kalenders geschuldet sein mag, im Wesentlichen jedoch auf eine Anpassung dieses Vorbringens an seine Fluchtgeschichte zurückgeführt werden muss. So habe der BF die Werkstatt mit 20 Jahren bzw. 2012 - und damit mit 22 Jahren - eröffnet und bis 2013 geführt (S. 6 VP) bzw. im Sommer des Jahres 2014 geschlossen (S. 7 VP). Wenig plausibel ist bei diesem Vorbringen auch, dass der BF dabei Monate lang gar nicht in der Werkstatt gewesen sein soll, obwohl er auch einen Lehrling gehabt haben will. So sagte er aus, dass er angefangen habe, Alkohol zu verkaufen, weshalb er nur wenig Zeit in der Werkstätte verbracht habe (S. 6 VP). In diesem Zusammenhang - wohl zur Erklärung, weshalb er seine Werkstätte dennoch noch hatte - gab er vor dem Bundesverwaltungsgericht gänzlich neu an, er habe seine Werkstatt gemeinsam mit einem Geschäftspartner eröffnet und geführt (S. 6 VP). Demgegenüber behauptete er später, sein Geschäftspartner habe ihn bereits kurze Zeit nach der Eröffnung wieder verlassen (S. 7 VP). Es ist damit nicht nachvollziehbar, wie der BF seine Werkstatt führen konnte, wenn er in der Heimatprovinz gar nicht anwesend gewesen sein soll, und weshalb er keine gleichbleibenden Aussagen zum Geschäftspartner und der Schließung des Betriebes machen konnte. Deshalb waren diese Aussagen vor dem Bundesverwaltungsgericht als nicht glaubhaft zu werten.

Ebenso machte der BF zu seinem Führerschein unterschiedliche Angaben. Dazu gab er zuerst an, er habe diesen im Jahr 2014 gemacht (S. 5 VP). Später gab der BF an, sein Führerschein sei von 2015 bis 2018 gültig gewesen (S. 9 VP). Auch war es ihm nicht möglich, gleichbleibende Angaben zu tätigen, wann er seine Eltern das letzte Mal gesehen habe. Zuerst gab er dazu an, er habe diese im Sommer 2014 das letzte Mal gesehen (S. 7 VP), während er später ausführte, er habe diese Ende 2014 das letzte Mal vor seiner Ausreise gesehen (S. 8 VP). Auch diese widersprüchlichen Aussagen müssen zu Lasten der Glaubhaftigkeit des BF gewertet werden. Aus diesen ist klar ersichtlich, dass der BF sein Vorbringen dem jeweiligen Vorhalt beziehungsweise der Nachfrage anpasst. Zudem ist der vom BF vorgelegte Führerschein, wie vom Strafgericht festgestellt, eine Fälschung und wurde der BF deswegen rechtskräftig verurteilt. Auch dieser Umstand zeigt, dass der BF willens ist, falsche Angaben zu tätigen beziehungsweise falsche Dokumente vorzulegen, um sich dadurch einen Vorteil zu verschaffen.

Während das Vorbringen zur Berufstätigkeit des BF jedoch einen wahren Kern aufweist und sich die Widersprüche mit der Verwendung des gregorianischen Kalenders bzw. dem Versuch, sich an die Fluchtgeschichte anzupassen, gerade noch erklären lassen, konnte der eigentlich fluchtauslösende Vorfall vom BF nicht annähernd so dargelegt werden, dass ihm auch nur Teile davon geglaubt werden könnten. Dieser erweist sich als grob widersprüchlich, wenig plausibel, oberflächlich und konstruiert vorgetragen sowie gesteigert. So gab der BF vor dem BFA noch explizit an, der Vorfall, bei dem er Alkohol transportiert habe und eines der beiden Autos beim Checkpoint erwischt worden sei, während er selbst noch ins Dorf habe abbiegen, dort das Auto zurücklassen und zu Fuß flüchten können, habe sich am Ende des fünften Monats im Jahr 2015 ereignet (AS 71). Vor dem Bundesverwaltungsgericht gab der BF demgegenüber an, der Vorfall habe sich 2014 ereignet. Selbst dabei machte er jedoch unterschiedliche Angaben, weil er einmal angab, der Vorfall habe sich im Sommer 2014 ereignet, während er ihn später auf das Ende des Jahres 2014 datierte (S. 7f VP). Der BF war somit bereits nicht annähernd in der Lage, gleichbleibende Angaben zum Zeitpunkt des angeblichen Vorfalls zu machen.

Zudem steigerte er sein Vorbringen anlässlich der Beschwerdeverhandlung im Vergleich zu seinen Aussagen vor dem BFA, wenn er in der Beschwerdeverhandlung neu erwähnte, dass die Sicherheitskräfte sogar gesehen hätten, dass er geflohen sei (S. 14 VP). Gleichfalls erwähnte der BF vor dem Bundesverwaltungsgericht erstmals, dass er nach dem Vorfall noch telefonisch bedroht worden sein soll (S. 10f VP). Es ist aber kein Grund ersichtlich, warum er Derartiges nicht bereits vor dem BFA erwähnt hätte, wenn es sich tatsächlich in dieser Weise zugetragen hätte. Vor dem BFA sprach der BF auch noch davon, dass er sich nach dem Vorfall zwei bzw. drei Monate in Nimroz verstecken musste (AS 67, 71). Vor dem Bundesverwaltungsgericht gab der BF hingegen an, dass er sich ein ganzes Jahr lang versteckt in Afghanistan aufhielt, wobei er in Kabul, Herat, Takhar und Nim

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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