TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/8 I421 2226978-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.04.2020
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Entscheidungsdatum

08.04.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I421 2226980-1/3E

I421 2226978-1/3E

I421 2226976-1/4E

I421 2226977-1/4E

I421 2226979-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Martin Steinlechner als Einzelrichter über die Beschwerden von (1.) XXXX, geb. XXXX, (2.) XXXX, geb. XXXX, (3.) XXXX, geb. XXXX, (4.) XXXX, geb. XXXX, (5.) XXXX, geb. XXXX, alle irakische Staatsangehörige, mj. Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer gesetzlich vertreten durch den Erstbeschwerdeführer, alle vertreten durch XXXX, gegen die Bescheide des BFA, Regionaldirektion Niederösterreich, vom 07.11.2019, Zl. (1.) XXXX, (2.) XXXX, (3.) XXXX, (4.) XXXX, (5.) XXXX, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerden werden jeweils hinsichtlich Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist (jeweils) gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Bei den Beschwerdeführern handelt es sich um eine fünfköpfige Familie, bestehend aus den Eltern und den drei minderjährigen Kindern, welche am 07.07.2015 in Schweden Asyl beantragt haben. Mit Beschluss vom 24.02.2016 lehnte das Migrationsverk, eine schwedische Behörde für Asylverfahren, den Antrag der Beschwerdeführer ab. Die von den Beschwerdeführern gegen diesen Beschluss erhobene Beschwerde wurde mit Urteil vom 30.06.2016 des Verwaltungsgerichts Göteborg zurückgewiesen, da das Migrationsgericht befand, dass die Beschwerdeführer nicht glaubwürdig seien.

2. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin stellten am 31.07.2016 in Österreich für sich selbst und als gesetzliche Vertreter für ihre drei minderjährigen Kinder (Dritt-, Viert- und Fünftbeschwerdeführer) die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

3. Der Erstbeschwerdeführer gab im Rahmen der Erstbefragung vom 01.08.2016, in welcher er zu seinem Fluchtgrund befragt wurde, an, dass sein Bruder vom IS getötet und er vom IS bedroht worden sei. Im Anschluss sei er nach Bagdad gegangen und sei von schiitischen Milizen bedroht worden. Er sei Sunnit und seine Ehefrau Schiitin. Sie könne in sunnitischen Gebieten nicht leben, da sie dort bedroht werde. Er könne nicht in schiitischen Gebieten leben, da er sonst bedroht werde. Seine Frau und seine Kinder seien von ihrer Verwandtschaft misshandelt worden, weil er Sunnit sei.

4. Am 12.11.2018 wurde der Erstbeschwerdeführer von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. Dabei sprach er zunächst an, dass in der Erstbefragung nicht alles protokolliert worden sei. Er sei befragt worden, wann er den Irak verlassen habe und er habe gesagt, im Jahr 2014 den Irak verlassen zu haben und die Türkei im Jahr 2015. Es sei jedoch so protokolliert worden, dass er den Irak im Mai 2015 verlassen habe. Er habe damals erklärt, von Stämmen verfolgt zu werden, aber dort stehe drinnen, er sei vom IS verfolgt worden. Das seien die Differenzen der Angaben.

In Bezug auf seine Fluchtgründe brachte er im Wesentlichen vor, dass er erstens vom Stamm XXXX bedroht worden sei, weil während seines Dienstes bei ihm eine Dame im Spital verstorben sei. Dieser Vorfall habe stattgefunden, bevor er damals den Irak im 6ten Monat des Jahres 2014 verlassen habe. Zweitens sei er nach seiner Rückkehr nach Bagdad von den XXXX Milizen bedroht worden.

Auf Nachfrage der belangten Behörde hin, führte der Erstbeschwerdeführer das Fluchtvorbringen näher aus:

"Wie ich bereits erwähnt habe, war ich im Allgemeinen Krankenhaus in XXXX tätig. Mein Beruf war ein nächtlicher Beruf. Ich war mit dem diensthabenden Arzt auf der Station. Der Name des Arztes war XXXX. Wir haben eine Patientin von der Notaufnahme auf die Intensivstation bekommen. Sie hat einen akuten Herzinfarkt erlitten. Es handelte sich bei dieser Patientin um eine alte Dame. Wir haben die Notwendigen Schritte in so einem Fall unternommen, aber die Dame ist trotzdem verstorben. Das war in jedem Spital eine normale Sache. Der Sohn und die Verwandten der verstorben sind auf uns beide losgegangen. Sie haben uns für den Tod der Dame verantwortlich gemacht. Ich und XXXX sind dann in einem Raum gegangen und haben die Tür zugemacht, damit wir diesen Menschen entkommen konnten. Bei diesem Raum handelte es sich um einen Raum für Pfleger und Ärzte. Wir haben das Sicherheitspersonal angerufen. Die Security sind gekommen und haben diese Menschen außerhalb des Spitals gebracht. Wir haben die Ruhe bewahrt und haben gedacht, dass diese unter Schock stehen würde, da die Dame kürzlich erst verstorben ist. Uns war bekannt, dass unserer Stämme konservativ und rückständig waren. Sogar beim normalen Tod wurden alle hysterisch. Insbesondere der Stamm der XXXX war sehr konservativ und rückständig. Es handelte sich bei diesem Stamm um einen strengen und einflussreichen Stamm. Bei diesem Stamm handelte es sich bei einem großen Stamm und sie waren auch so einflussreich, dass sie größer war als aller anderen Stämme in diesem Gebiet. Auch der Polizeikommandant in XXXX gehörte zu diesem Stamm. Auch andere Polizeifunktionäre gehörten zu diesem Stamm. Der Doktor XXXX und ich kehrten wieder zu unserem Dienst, weil uns bekannt und klar war, dass so ein Fall öfter vorkam. Beim Dienstschluss wurden wir überrascht und die Polizeidirektion XXXX wollten uns im Spital festnehmen. Sie haben uns tatsächlich festgenommen und zur Polizeistation gebracht. Wir haben dort gefragt, was der Grund für unsere Festnahme war. Es wurde uns gesagt, dass es unsere Vernachlässigung der Grund war, warum die Patientin verstorben war. Wir haben gesagt, dass wir Angestellte im Spital waren und wir auch eine Anzeige gegen die, die auf uns losgegangen sind, erstatten wollten. Der Offizier hat gesagt, dass wir die Angeklagten sind und wir keine Rechte auf einen Anzeige hätten. Der Offizier war vom XXXX Stamm. Am selben Tag hat der Spitaldirektor ein Untersuchungskommite gegründet und uns aufgefordert bei dieser Untersuchungsgruppe auszusagen. Bei dieser Untersuchungsgruppe wurden ich und XXXX einvernommen. Wir haben unsere Angaben gemacht. Die Untersuchungsgruppe hat Einsicht in die Kartei der Patientin genommen und wir wurden wieder in der Polizeidirektion zurückgeführt. Wir wurden festgenommen. Die Patientin ist am 29.03.2014 verstorben. Am 30.03.2014 wurden wir zur Polizeidirektion geführt. Wir waren 2 Tage in Untersuchungshaft. Nach 2 Tagen wurden wir freigelassen, bis der Untersuchungsrichter den Fall zusammengefasst hat. Vom 02.04.2014 war ich bis 11.05.2014 im Gefängnis. In dieser Haftzeit wurden wir von den Polizisten in dieser Polizeistation massiv geschlagen. Sie wollten uns dazu zwingen, dass wir zugeben oder uns als schuldig bekennen. Wir wurden so geschlagen, wie man auf ein Tier losgeht. Wir wurden auch mit einem Kabel geschlagen. Nachdem der Richter unsere Unschuld bewiesen hat, wurden wir freigelassen, aber selbst wenn der Richter einen freilässt, hören die Stämme nicht auf. Nach meinem Freispruch habe ich einen Bandscheibenvorfall gehabt und hatte einen Arterienverschluss auf dem rechten Oberschenkel. Mir ist es nach der Haft sehr schlecht gegangen. Die Ärzte sind zu mir nach Hause gekommen und haben mich behandelt. Als ich einen MR Termin hatte konnte ich nicht alleine fahren, sondern musste transportiert werden. Das ärztliche Gutachten im Spital hat ergeben, dass ich den Arterienverschluss operieren muss, da ich sonst mein Bein verlieren könnte. Ich hatte so einen schweren Bandscheibenvorfall gehabt, dass mein rechtes Bein gefühllos war. Sie haben mir erklärt, dass es zu einer Lähmung kommen kann. Ich meinte damit nicht, dass ich mein Bein verlieren würde, sondern, dass es zu einer Lähmung kommen könnte. Während dieser Zeit gab es Gespräche zwischen meinem Stamm und den Stamm der XXXX um eine friedliche Lösung zu erreichen. Ich bin dann in die Türkei über den Landweg gereist und dort habe ich die Operation gemacht. Ich wollte per Flug in die Türkei reisen, aber die Behörden in Erbil haben mir nicht erlaubt länger als eine Woche dortzubleiben. Auf dem Landweg war es nicht möglich nach Erbil zu reisen. Wenn ich als Araber per Flug nach Erbil reise, konnte ich nur eine Woche bleiben. Auf den Landweg war es nicht möglich. Ich bin dann über Kirkuk über den Landweg in die Türkei gereist. Dort habe ich dann die Operation erfolgreich durchführen lassen. Ich bin dann von Istanbul per Flug nach Erbil gereist. Ich konnte aber nicht mehr als 1 Woche in Erbil bleiben. Wenn ich dort ein Bleiberecht bekomme, hätte ich meine Familie nach Erbil nachgeholt. Während ich noch in Istanbul war, habe ich einen Anruf bekommen, dass mein Bruder XXXX vom IS getötet. Als der IS einen Angriff auf XXXX gemacht hat, war mein Bruder bei der Security. Bei den Kampfhandlungen ist mein Bruder ums Leben gekommen. Ein Kollege hat mich angerufen und erzählte mir, dass XXXX vom Stamm XXXX getötet wurde. Er hat mir gleichzeitig erklärt, dass die Angehörigen der XXXX in mein Haus gekommen ist und alle Gegenstände im Haus mitgenommen und das Haus mit einem Sprengstoff zerstört. Mein Stamm ist ein friedlicher Stamm. Sie wollten mit dem Stamm XXXX in keinen Konflikt kommen. Sie haben sich von mir distanziert und mich vom Stamm ausgeschlossen. Somit habe ich keine Rückendeckung gehabt. Die Stammes Mitglieder der XXXX können mich überall töten, wenn sie mich erwischen. Als ich diese Informationen bekommen habe, haben meine Frau und ich überlegt in Erbil weiterzuleben. Als wir in Erbil waren haben wir nicht mehr als einen Woche eine Aufenthaltsberechtigung bekommen. In Erbil hätten ich und meine Familie uns wohlgefühlt, aber leider haben wir keine Aufenthaltsberechtigung erhalten. Wir kehrten dann nach Bagdad und blieben dort bei meinen Schwiegereltern. Meine Frau hat Ihren Beruf gehabt und ich war auch Angestellter. Wir wollten dort ein normales Leben verbringen. Eine Woche nach unserer Rückkehr zu den Schwiegereltern, war meine Schwägerin zu Besuch bei ihren Eltern. Meine Schwägerin ist zu ihrem Elternhaus gekommen und hat mit meiner Frau gesprochen. Ich habe Information von meiner Frau bekommen, dass ihre Schwester ihr erzählt hat, warum sie mich nicht stehen gelassen hat, da ich ein Sunnit bin und sie eine Schiitin. Sie hat weiters gesagt, warum meine Gattin sich nicht scheiden lassen würden, weil meine Gattin ihre Eltern nicht besuchen hätten können und es höchste Zeit wäre, dass meine Gattin sich von mir hätte scheiden lassen sollen. Mein Schwiegervater hat, als er diese Diskussion mitgehört hat, ist auf meine Schwägerin losgegangen und hat ihr gesagt, dass es sie nichts angehen würde und warum sie sich in die Angelegenheiten meiner Familie einmischen würde. Meine Schwägerin hat sich von diesen Worten meines Schwiegervaters beleidigt gefühlt und ist wieder nach Hause gegangen. Zwei Tage nach diesem Besuch meiner Schwägerin, ist mein Schwiegervater Brot abholen gegangen und hat diesen Drohbrief gesehen, welcher unter der Tür ins Haus geschoben wurde. Als er den Drohbrief sah, kehrte er wieder ins Haus zurück und sagte zu mir, er müsste mich sofort von hier wegbringen. Meine Frau hat gesagt, wenn dies so ist, dann müssten wir alle von dort weggehen. Mein Schwiegervater hat gesagt, dass er zuerst mich wegbringen müsste, da es nicht so einfach war alle wegzubringen, aber er hat mir versprochen, dass er meine Frau und meine Kinder so schnell wie möglich zu mir bringen würde. Tatsächlich hat er seine Freunde, welchen er vertraute angerufen. Dieser Freund ist am Abend zu meinen Schwiegereltern gekommen. Er ist mit seinem Fahrzeug in die Garage gefahren und war einen Stunde dort. Er hat sich so verhalten, als ob er auf Besuch ist. Danach hat er mich in einem Kofferraum versteckt und brachte mich in sein Haus. Am nächsten Tag in den frühen Morgenstunden hat mich meine Frau angerufen und erzählte mir, dass ihr Bruder mit seinem Cousin und ein paar Milizen in schwarz bekleidet und bewaffnet zu ihrem Elternhaus gekommen sind. Sie haben mich überall im Haus gesucht. Nachdem diese Gruppe das Haus verlassen hat, ist der Bruder meiner Frau und ihr Cousin, sind auf meine Frau losgegangen und haben sie und meine Kinder geschlagen. Sie war damals im dritten Schwangerschaftsmonat. Es ist dadurch zu einer Fehlgeburt gekommen. Sie haben auch meinem Sohn mit einer heißen Messerspitze den Arm verbrannt. Sie wollten meine Schwiegereltern und meine Frau zwingen den Milizen meinen versteckungs Ort bekannt zu geben. Mein Schwiegervater wollte den Tätern verbieten auf meine Frau loszugehen, aber er ist ein alter Mann und hat nicht so viel Kraft. Meine Schwiegereltern sind auf den Sohn und auf ihren Neffen losgegangen und haben diese beschimpft, damit sie nicht auf meine Frau und die Kinder losgehen sollen. Diese Angaben die ich gemacht habe sind die Informationen die ich von meiner Frau gehört habe. Im Detail kann dies meine Frau noch weiter angeben. 10 Tage nach diesem Besuch der Milizen und meines Schwagers, konnte mein Schwiegervater meine Familie zu mir bringen. Sie kamen auf dieselbe Weise wie ich zum Freund meines Schwiegervaters. Wir sind dann bei deinem Freund meines Schwiegervaters geblieben, bis dieser uns die Reise ermöglicht hat. So wie ich es am Anfang erzählt habe, konnte dieser uns zum Flughafen bringen und so konnten wir mit dem Flugzeug in die Türkei fliegen. Das sind meine Fluchtgründe, weitere habe ich nicht."

5. Die Zweitbeschwerdeführerin wurde am 01.08.2016 zu ihrem Antrag auf internationalen Schutz erstbefragt und gab als Fluchtgrund an, ihre Kinder und sie selbst seien von ihrem Bruder misshandelt worden. Sie seien von einer unbekannten Gruppe bedroht worden. Ihr Mann sei entführt und gefoltert worden.

6. Am 19.11.2018 wurde die Zweitbeschwerdeführerin von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. Dabei teilte sie in Hinblick auf die Frage, ob ihre Angaben bei den vorangegangenen Befragungen richtig protokolliert worden sind, mit, dass sie die Wahrheit gesagt habe, die Einvernahme rückübersetzt, aber nicht richtig protokolliert worden sei. Sie habe angegeben, dass sie im Oktober 2014 den Irak verlassen hätten, aber im Protokoll stehe, dass sie den Irak im Mai 2015 verlassen hätten. Sie habe damals die Stelle oder Organisation, welche sie bedroht habe, genannt, aber bei der Erstbefragung sei protokolliert worden, dass sie die bedrohende Stelle nicht nennen könne. Es stehe, dass sie vom Bruder und vom Cousin misshandelt und geschlagen worden sei, obwohl sie damals erklärt habe, dass ihre Brüder bei dieser Organisation auf der Suche nach ihren Mann gewesen seien. Damals habe sie bekannt gegeben, dass ihr Mann entführt und festgenommen worden sei. Dies sei aber nicht protokolliert worden. Stattdessen sei protokolliert worden, dass ihr Mann geschlagen oder gefoltert worden sei. Sie habe nicht alle ihre Fluchtgründe vorbringen können.

Hinsichtlich ihrer Fluchtgründe gab sie an, ihr Mann habe ein Stammesproblem gehabt und sie habe ein Problem mit ihrem Bruder gehabt. Nachdem ihr Mann eine Operation in der Türkei bekommen habe, seien sie wieder in den Irak zurückgekehrt. Ihr Haus sei dem Erdboden gleichgemacht worden. Es sei nicht möglich gewesen, weiter im Irak zu bleiben.

Auf Nachfrage der belangten Behörde hin, ob sie ihr Fluchtvorbringen detaillierter schildern könne, führte die Zweitbeschwerdeführerin das Fluchtvorbringen näher aus:

"Als wir in den Irak zurückkehrten sind wir zum Haus meiner Eltern gegangen. Wir waren auf der Suche nach einer Unterkunft für uns. Nach einer Woche als wir bei meinen Eltern waren, kam meine Schwester zu Besuch zu meinen Eltern. Als sie kam und mich bei meinen Eltern gesehen hat, hat sie gesagt, dass ich schon lange nicht mehr bei meinen Eltern gewesen bin und sie das überraschen würde. Mein Vater hat meiner Schwester erzählt, dass ich mit einem Problem konfrontiert bin. Sie hat mir dann gesagt, warum ich mich in diese schwierige Situation bringen würde und dass mein Mann gesucht werden würde und mein Mann vom Stamm abgewandt wurde. Sie sagte weiter, dass ich ihn verlassen hätte sollen, da sich viele für mich interessieren würden. Mein Vater hat ihr gesagt, dass sie sehen würde, dass ich in einer schwierigen Situation bin und stattdessen sie eine Lösung für mich suchen würde, würde meine Schwester von mir verlangen, dass ich mich von meinem Mann trennen sollte. Mein Vater sagte weiter, dass es keinen Unterschied zwischen Sunniten und Schiiten geben würde und dass wir alle Moslem wären. Sie ist dann beleidigt nach Hause gegangen. Nach 2 Tagen wollte mein Vater Brot besorgen. Von der Tür ist er wieder zurückgekehrt und er hat gesagt, dass wir einen Drohbrief von XXXX, der mich und meinem Mann betrifft. Mein Mann und ich haben uns entschlossen das Haus sofort zu verlassen. Mein Vater hat gesagt, dass er uns nicht gemeinsam wegbringen kann. Er hat vorgeschlagen zuerst meinen Mann wegzubringen und er hat mir versprochen, dass er mich und meine Kinder blad zu meinem Mann nachbringen würde. Mein Vater hat einen Freund angerufen und dieser ist am Abend zum Haus meiner Eltern gekommen. Er blieb eine Stunde, weil er so tun wollte, als wäre er auf Besuch. Er ist mit dem Auto in die Garage gefahren und hat meinen Mann in den Kofferraum gesteckt und ist davon gefahren. Am nächsten tag in den frühen Morgenstunden, ist eine bewaffnete Gruppe schwarz bekleidet ins Haus eingedrungen. Sie waren auch maskiert und mein Bruder und ein Cousin waren auch dabei. Sie haben überall im Haus nachgeschaut und waren auf der Suche nach meinem Mann. Meine Kinder haben Angst bekommen und haben geschrien. Mein Bruder hat nach meinem Mann gefragt, und ich habe gesagt, dass ich nicht wissen würde wo er war. Dann haben diese Personen das Haus verlassen. Mein Bruder XXXX und mein Cousin XXXX sind geblieben. Beide sind auf mich losgegangen und haben mich beschimpft. Sie haben meine Haare geschnitten. Sie haben meine Kinder geschlagen. Ich war damals schwanger und ich habe damals mein Baby verloren, da es zu einer Fehlgeburt kam. Ich fragte, meinen Bruder warum dieser mich schlagen würde, anstatt dieser zu mir stehen würde. Er hat gesagt, dass sein Glaubensbekenntnis, wichtiger als ich und mein Mann wäre. Mein Bruder hat ein Messer genommen und hat auf die Hand meines Kindes gelegt und wollte ihn dazu zwingen, dass dieser bekannt gab, wo sein Vater war. Meine Eltern waren alte Leute und konnten nichts machen. Er hatte keinen Respekt für seine Eltern gezeigt. Ich habe nur gehört, dass er irgendwem angerufen hat und hat Bescheid gesagt, dass sie meinen Mann nicht finden konnte. Mein Bruder hat gesagt, dass er ihn finden würde und er ihn zwingen würde sich von mir scheiden zu lassen. Er hat das Haus dann mit meinem Cousin verlassen. Meine Kinder haben große Angst bekommen. Mein Vater hat mir gesagt, dass ich keine Angst haben brauche und er mich in Sicherheit bringen würde. Er hat wieder seinen Freund angerufen und dieser ist wieder gekommen. Ich habe auch mit meinem Mann gesprochen und habe diesem von diesem Vorfall erzählt und gesagt, dass wir so schnell wie möglich zu ihm kommen werden. Die Nachbarn meiner Eltern sind dann zu uns gekommen und haben meinen Vater gefragt, warum es so laut war und was diese Leute von uns wollten. Mein Vater hat dann mit den Nachbar über die Probleme gesprochen und diese haben gesagt, dass es gut war, dass mein Vater meinen Mann und mich in Sicherheit bringen würde. Nach 10 Tage hat der Freund dann für uns die Reise organisiert. Er ist dann mit seiner Frau zu meinen Eltern gekommen und diese haben dort Abendgegessen. Der Freund meines Vaters ist mit einem Auto der Marke Kia zu uns gekommen und er hat mich und meine Kinder versteckt und er brachte uns dann zu meinem Mann. Nachdem dieser Freund praktisch die Reisepässe kontrolliert und besorgt hat und den Flug organisiert hat und die Sicherheitsmaßnahmen für die Reise zum Flughafen getroffen hat. Mit Unterstützung eines Schleppers sind wir in die Türkei gereist. Dass und die Gründe, welche mein Mann bei dessen Einvernahme angegeben hat, waren die Gründe, warum wir den Irak verlassen haben. Befragt, das sind meine Fluchtgründe weitere habe ich nicht."

Des Weiteren teilte die Beschwerdeführerin mit, dass für ihre Kinder und ihren Gatten die gleichen Fluchtgründe wie für sie selbst gelten.

7. Mit den im Spruch angeführten Bescheiden vom 07.11.2019 wies die belangte Behörde jeweils die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) ab. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG wurde den Beschwerdeführern jeweils der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs 4 AsylG bis zum 07.11.2020 erteilt (Spruchpunkt III.). Zu Spruchpunkt I. wurde begründend ausgeführt, dass das Vorbringen der Beschwerdeführer nicht glaubhaft sei. Eine Verfolgung der Beschwerdeführer durch staatliche Organe oder Dritte habe nicht festgestellt werden können und es sei bereits von den schwedischen Behörden sowie von einem schwedischen Gericht festgestellt worden, dass die Beschwerdeführer nicht aufgrund asylrelevanter Verfolgung oder Bedrohung aus dem Irak ausgereist seien und eine Rückkehr in den Irak zumutbar wäre.

8. Gegen die Bescheide vom 07.11.2019, zugestellt am 13.11.2019 erhoben die Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 11.12.2019 (beim BVwG eingelangt am 13.12.2019) fristgerecht Beschwerde, mit welcher jeweils Spruchpunkt I. angefochten wird. Im Rechtsmittel wird im Wesentlichen vorgebracht, dass die belangte Behörde es unterlassen habe, die von den Beschwerdeführern eingebrachten Beweismittel zu überprüfen, die Einvernahmeprotokolle aus dem schwedischen Asylverfahren anzufordern und das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführer vor dem Hintergrund der in das Verfahren eingebrachten Länderberichte zu beurteilen. Aus der Gegenüberstellung der Einvernahmen in Österreich mit den Zusammenfassungen des Verfahrens in Schweden lasse sich der Sachverhalt nicht abschließend regeln. In Österreich, wo die Angaben der Beschwerdeführer protokolliert worden seien, lasse sich ein schlüssiges und detailliertes Fluchtvorbringen erschließen. Die von der belangten Behörde durchgeführte Beweiswürdigung sei daher unschlüssig und nicht nachvollziehbar. Entgegen der Ansicht des BFA würden die Beschwerdeführer die Voraussetzungen für eine Asylgewährung wegen Verfolgung durch schiitische Milizen erfüllen. Die Verfolgung durch die Milizen habe staatlichen Charakter, da die schiitischen Milizen einen Teil des Systems darstellen würden. Es bestehe keine innerstaatliche Ausweichmöglichkeit für die Beschwerdeführer. Die staatlichen Einrichtungen des Iraks seien weder schutzfähig noch schutzwillig.

9. Mit Schreiben vom 20.12.2019 (beim BVwG eingelangt am 27.12.2019) legte die belangte Behörde die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht vor.

Im Rahmen des Verfahrens wurden von den Beschwerdeführern folgende Bescheinigungsmittel vorgelegt:

-Reisepässe

-Staatsbürgerschaftsnachweise

-Teilnahmebestätigung an einem Werte und Orientierungskurs

-Bestätigung über ehrenamtliche Tätigkeiten

-Unterstützungsschreiben

-ÖSD A1 Zertifikat

-Deutschkursbestätigungen

-Kopie einer Anzeigebestätigung aus dem Irak

-Kopie eines Urteils des Innenministeriums aus dem Irak

-Kopie der Übermittlung eines Untersuchungsprotokolls aus dem Irak

-Kopie eines Stammesprotokolls über die Distanzierung des Stammes

-Kopie über die Registrierung der Angestellten im Krankenhaus

-Kopien von Fotos aus dem Irak

-Kopie eines Drohschreibens der Asaib Al Ah Haaq

-Heiratsurkunde

-diverse Befunde

-Kurzbriefe von XXXX

-Medikamentenverschreibung von XXXX

-Überweisungsbestätigung von XXXX

-Stellungnahme vom 11.04.2019

-Einstellungsnachweis als Lehrerin im Irak

-Kollegeabschluss aus dem Irak

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der unter Punkt I. geschilderte Verfahrensgang, ausgenommen die wiedergegeben Vorbringen, wird als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

1. Feststellungen:

1.1 zu den Beschwerdeführern:

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind die verheirateten Eltern der minderjährigen Dritt- (BF3), Viert- (BF4) und Fünftbeschwerdeführer (BF5). Sie sind irakische Staatsangehörige, bekennen sich zum moslemischen Glauben, stammen aus Bagdad und gehören der Volksgruppe der Araber an. Ihre Identitäten stehen fest.

Der Erstbeschwerdeführer gehört der Volksgruppe der sunnitischen Muslime an. Bei der Zweitbeschwerdeführerin handelt es sich um eine Schiitin.

Die Beschwerdeführer haben Verwandte im Irak. Die Schwester des Erstbeschwerdeführers sowie die Eltern, die Schwester und der Bruder der Zweitbeschwerdeführerin leben nach wie vor im Irak.

1.2 Zu den Fluchtmotiven der Beschwerdeführer:

Es ist den Beschwerdeführern nicht gelungen, eine asylrelevante Verfolgung aufgrund ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung glaubhaft zu machen.

Die Beschwerdeführer werden in ihrem Herkunftsland Irak weder aufgrund ihrer Rasse, Religion, sexuellen Orientierung, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe noch aufgrund ihrer politischen Gesinnung verfolgt und sind in ihrem Herkunftsstaat mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht ernsthaft gefährdet, aus solchen Gründen verfolgt zu werden.

1.3 Zur maßgeblichen Situation im Irak:

Zu den jüngsten Entwicklungen:

Seit der Verkündigung des territorialen Sieges des Irak über den Islamischen Staat (IS) im Dezember 2017 (Reuters 9.12.2017) hat sich der IS in eine Aufstandsbewegung gewandelt (Military Times 7.7.2019). Zahlreiche Berichte erwähnen Umstrukturierungsbestrebungen des IS sowie eine Mobilisierung von Schläferzellen (The Portal 9.10.2019).

Im Jahr 2019 war der IS insbesondere in abgelegenem, schwer zugänglichem Gelände aktiv, hauptsächlich in den Wüsten der Gouvernements Anbar und Ninewa sowie in den Hamrin-Bergen, die sich über die Gouvernements Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala erstrecken (ACLED 7.8.2019).

Er ist nach wie vor dabei sich zu reorganisieren und versucht seine Kader und Führung zu erhalten (Joel Wing 16.10.2019). Der IS setzt nach wie vor auf Gewaltakte gegen Stammesführer, Politiker, Dorfvorsteher und Regierungsmitarbeiter sowie beispielsweise auf Brandstiftung, um Spannungen zwischen arabischen und kurdischen Gemeinschaften zu entfachen, die Wiederaufbaubemühungen der Regierung zu untergraben und soziale Spannungen zu verschärfen (ACLED 7.8.2019).

Insbesondere in den beiden Gouvernements Diyala und Kirkuk scheint der IS im Vergleich zum Rest des Landes mit relativ hohem Tempo sein Fundament wieder aufzubauen, wobei er die lokale Verwaltung und die Sicherheitskräfte durch eine hohe Abfolge von Angriffen herausfordert (Joel Wing 16.10.2019).

Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den Vereinigten Staaten von Amerika

(USA) stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 7.8.2019). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungseinheiten (PMF/PMU/Hashd al Shabi) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019; vgl. Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).

Am 7.7.2019 begann die "Operation Will of Victory", an der irakische Streitkräfte (ISF), Popular Mobilization Forces (PMF), Tribal Mobilization Forces (TMF) und Kampfflugzeuge der USgeführten Koalition teilnahmen (ACLED 7.8.2019; vgl. Military Times 7.7.2019). Die mehrphasige Operation hat die Beseitigung von IS-Zellen zum Ziel (Diyaruna 7.10.2019; vgl. The Portal 9.10.2019). Die am 7. Juli begonnene erste Phase umfasste Anbar, Salah ad-Din und Ninewa (Military Times 7.7.2019). Phase zwei begann am 20. Juli und betraf die nördlichen Gebiete von Bagdad sowie die benachbarten Gebiete der Gouvernements Diyala, Salah ad-Din und Anbar (Rudaw 20.7.2019). Phase drei begann am 5. August und konzentrierte sich auf Gebiete in Diyala und Ninewa (Rudaw 11.8.2019). Phase vier begann am 24. August und betraf die Wüstenregionen von Anbar (Rudaw 24.8.2019). Phase fünf begann am 21.9.2019 und konzentrierte sich auf abgelegene Wüstenregionen zwischen den Gouvernements Kerbala, Najaf und Anbar, bis hin zur Grenze zu Saudi-Arabien (PressTV 21.9.2019). Eine sechste Phase wurde am 6. Oktober ausgerufen und umfasste Gebiete zwischen dem südwestlichen Salah ad-Din bis zum nördlichen Anbar und Ninewa (Diyaruna 7.10.2019).

Vom Irak-Experten Joel Wing wurden für den Gesamtirak im Lauf des Monats Juli 2019 82 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 83 Tote und 119 Verletzten verzeichnet. 18 Tote gingen auf

Leichenfunde von Opfern des IS im Distrikt Sinjar im Gouvernement Ninewa zurück, wodurch die Zahl der tatsächlichen gewaltsamen Todesfälle im Juli auf 65 reduziert werden kann. Es war der zweite Monat in Folge, in dem die Vorfallzahlen wieder zurückgingen. Dieser Rückgang wird einerseits auf eine großangelegte Militäraktion der Regierung in vier Gouvernements zurückgeführt [Anm.: "Operation Will of Victory"; Anbar, Salah ad Din, Ninewa und Diyala, siehe oben], wobei die Vorfallzahlen auch in Gouvernements zurückgingen, die nicht von der Offensive betroffen waren. Der Rückgang an sicherheitsrelevanten Vorfällen wird auch mit einem neuerlichen verstärkten Fokus des IS auf Syrien erklärt (Joel Wing 5.8.2019).

Im August 2019 verzeichnete Joel Wing 104 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 103 Toten und 141 Verletzten. Zehn Tote gingen auf Leichenfunde von Jesiden im Distrikt Sinjar im Gouvernement Ninewa zurück, wodurch die Zahl der Todesfälle im August auf 93 angepasst werden kann. Bei einem der Vorfälle handelte es sich um einen Angriff einer pro-iranischen PMF auf eine Sicherheitseinheit von British Petroleum (BP) im Rumaila Ölfeld bei Basra (Joel Wing 9.9.2019).

Im September 2019 wurden von Joel Wing für den Gesamtirak 123 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 122 Toten und 131 Verletzten registriert (Joel Wing 16.10.2019).

Seit 1. Oktober kam es in mehreren Gouvernements (Bagdad, Basra, Maysan, Qadisiya, Dhi Qar, Wasit, Muthanna, Babil, Kerbala, Najaf, Diyala, Kirkuk und Salah ad-Din) zu teils gewalttätigen Demonstrationen (ISW 22.10.2019, vgl. Joel Wing 3.10.2019). Die Proteste richten sich gegen Korruption, die hohe Arbeitslosigkeit und die schlechte Strom- und Wasserversorgung (Al Mada 2.10.2019; vgl. BBC 4.10.2019; Standard 4.10.2019), aber auch gegen den iranischen Einfluss auf den Irak (ISW 22.10.2019). Im Zuge dieser Demonstrationen wurden mehrere Regierungsgebäude sowie Sitze von Milizen und Parteien in Brand gesetzt (Al Mada 2.10.2019). Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) gingen unter anderem mit scharfer Munition gegen Demonstranten vor. Außerdem gibt es Berichte über nicht identifizierte Scharfschützen, die sowohl Demonstranten als auch Sicherheitskräfte ins Visier genommen haben sollen (ISW 22.10.2019). Premierminister Mahdi kündigte eine Aufklärung der gezielten Tötungen an (Rudaw 13.10.2019). Zeitweilig, vom 2. bis zum 5. Oktober, wurde eine Ausgangssperre ausgerufen (Al Jazeera 5.10.2019; vgl. ISW 22.10.2019; Rudaw 13.10.2019) und eine Internetblockade vom 4. bis 7. Oktober implementiert (Net Blocks 3.10.2019; FAZ 3.10.2019; vgl. Rudaw 13.10.2019).

Nach einer kurzen Ruhephase gingen die gewaltsamen Proteste am 25. Oktober weiter und forderten bis zum 30. Oktober weitere 74 Menschenleben und 3.500 Verletzte (BBC News 30.10.2019). Insbesondere betroffen waren bzw. sind die Städte Bagdad, Nasiriyah, Hillah, Basra und Kerbala (BBC News 30.10.2019; vgl. Guardian 27.10.2019; Guardian 29.10.2019). Am 28. Oktober wurde eine neue Ausgangssperre über Bagdad verhängt, der sich jedoch tausende Demonstranten widersetzen (BBC 30.10.2019; vgl. Guardian 29.10.2019). Über 250 Personen wurden seit Ausbruch der Proteste am 1. Oktober bis zum 29. Oktober getötet (Guardian 29.10.2019) und mehr als 8.000 Personen verletzt (France24 28.10.2019).

Der IS versucht weiterhin seine Aktivitäten in Bagdad zu erhöhen (Joel Wing 5.8.2019). Fast alle Aktivitäten des IS im Gouvernement Bagdad betreffen die Peripherie der Hauptstadt, den äußeren Norden, Süden und Westen (Joel Wing 5.8.2019; vgl. Joel Wing 16.10.2019). Im Juli gelang es dem IS zwei Selbstmordattentate im Gouvernement auszuführen, weswegen Bagdad die Opferstatistik des Irak in diesem Monat anführte (Joel Wing 5.8.2019). Sowohl am 7. als auch am 16. September wurden jeweils fünf Vorfälle mit "Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen" (IEDs) in der Stadt Bagdad selbst verzeichnet (Joel Wing 16.10.2019). Während der Proteste im Südirak im Oktober 2019, von denen auch Bagdad betroffen war, stoppte der IS seine Angriffe im Gouvernement (Joel Wing 16.10.2019).

Im Juli 2019 wurden vom Irak-Experten Joel Wing im Gouvernement Bagdad 15 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 15 Toten und 27 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 5.8.2019). Im August 2019 wurden 14 Vorfälle erfasst, mit neun Toten und elf Verwundeten (Joel Wing 9.9.2019) und im September waren es 25 Vorfälle mit zehn Toten und 35 Verwundeten (Joel Wing 16.10.2019).

Im Juli 2019 führte der IS seine seit langem erste Attacke auf kurdischem Boden durch. Im Gouvernement Sulaimaniya attackierte er einen Checkpoint an der Grenze zu Diyala, der von

Asayish [Anm.: Inlandsgeheimdienst der Autonomen Region Kurdistan] bemannt war. Der Angriff erfolgte in drei Phasen: Auf einen Schussangriff folgte ein IED-Angriff gegen eintreffende Verstärkung, gefolgt von Mörserbeschuss. Bei diesem Angriff wurden fünf Tote und elf Verletzte registriert (Joel Wing 5.8.2019). Im August wurde in Sulaimaniya ein Vorfall mit einer IED verzeichnet, wobei es keine Opfer gab (Joel Wing 9.9.2019).

Die am 27. Mai initiierte türkische "Operation Claw" gegen Stellungen der Kurdischen

Arbeiterpartei (PKK) im Nordirak hält an. Die erste Phase richtete sich gegen Stellungen in der

Hakurk/Khakurk-Region im Gouvernement Erbil (Anadolu Agency 13.7.2019; vgl. Rudaw

13.7.2019). Die zweite Phase begann am 12. Juli und zielt auf die Zerstörung von Höhlen und

Zufluchtsorten der PKK (Anadolu Agency 13.7.2019). Die türkischen Luftangriffe konzentrierten sich auf die Region Amadiya im Gouvernement Dohuk, von wo aus die PKK häufig operiert (ACLED 17.7.2019). Aktuell befindet sich die Operation in der dritten Phase (ACLED 4.9.2019)

Im Kreuzfeuer wurden in den vergangenen Wochen mehrere kurdische Dörfer evakuiert, da

manchmal auch Zivilisten und deren Eigentum bei türkischen Luftangriffen getroffen wurden

(ACLED 4.9.2019; vgl. ACLED 7.8.2019).

Am 10. und 11. Juli bombardierte iranische Artillerie mutmaßliche PKK-Ziele im Subdistrikt Sidakan/Bradost im Gouvernement Sulaimaniya, wobei ein Kind getötet wurde (Al Monitor 12.7.2019). In dem Gebiet gibt es häufige Zusammenstöße zwischen iranischen Sicherheitskräften und iranisch-kurdischen Aufständischen, die ihren Sitz im Irak haben, wie die "Partei für ein Freies Leben in Kurdistan'' (PJAK), die von Teheran beschuldigt wird, mit der PKK in Verbindungen zu stehen (Reuters 12.7.2019).

In den sogenannten "umstrittenen Gebieten", die sowohl von Bagdad als auch von der kurdischen Autonomieregion beansprucht werden, und wo es zu erhebliche Sicherheitslücken zwischen den zentralstaatlichen und kurdischen Einheiten kommt, verfügt der IS nach wie vor über operative Kapazitäten, um Angriffe, Bombenanschläge, Morde und Entführungen, durchzuführen (Kurdistan24 7.8.2019). Trotz der Zunahme der Sicherheitsvorfälle im gesamten Irak waren die Zahlen im Laufe des Monats August 2019 für den Zentral-Irak jedoch rückläufig (Joel Wing 9.9.2019).

Im Gouvernement Ninewa wurden im Juli 2019 sechs Vorfälle mit 24 Toten verzeichnet, wobei hier der Fund von 18 Leichen älteren Datums eingerechnet ist (Joel Wing 5.8.2019). Im August 2019 wurden neun Vorfälle mit 24 Toten und drei Verwundeten registriert (Joel Wing 9.9.2019). Im September wurden 22 Vorfälle mit 35 Toten und 27 Verletzten registriert, wobei bei fast allen diesen Vorfällen IEDs involviert waren. Außerdem wurde ein Mukhtar ermordet und Mossul mit Mörsergranaten beschossen (Joel Wing 16.10.2019).

Das Gouvernement Diyala zählt regelmäßig zu den Regionen mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen und als die gewalttätigste Region des Irak (Joel Wing 5.8.2019; vgl. Joel Wing 9.9.2019). Der IS ist stark in der Region vertreten und konnte seine operativen Fähigkeiten erhalten (Joel Wing 5.8.2019). Trotz wiederholter Militäroperationen in Diyala kann sich der IS noch immer in den ausgedehnten Gebieten, die sich vom westlichen Teil Diyalas bis zu den Hamreen Bergen im Norden des Gouvernements erstrecken, sowie in den rauen Gebieten nahe der Grenze zum Iran halten (Xinhua 22.8.2019). Es kommt in Diyala regelmäßig zu Konfrontationen des IS mit Sicherheitskräften und zu Übergriffen auf Städte (Joel Wing 5.8.2019). Einerseits vertreibt der IS Zivilisten aus ländlichen Gebieten, um dort Basen zu errichten, anderseits greift er wiederholt die lokale Verwaltung und Sicherheitskräfte an (Joel Wing 9.9.2019). Ein Hauptproblem Diyalas ist die mangelhafte Kommunikation zwischen den vielen unterschiedlichen Sicherheitsakteuren in der Region (Joel Wing 9.9.2019), andererseits gibt es generell zu wenige Sicherheitskräfte in Diyala, was der IS auszunutzen versteht (Joel Wing 5.8.2019). Der IS hat Zugang zu allen ländlichen Gebieten in Diyala, konzentriert sich aber besonders auf die Bezirke Khanaqin und Jalawla im Nordosten, welche die Zentralregierung nach dem kurdischen Unabhängigkeitsreferendum von 2017 übernommen hat (Joel Wing 5.8.2019). Die übrigen Vorfälle betreffen hauptsächlich den Norden und das Zentrum von Diyala. Im Süden und Westen gibt es hingegen kaum sicherheitsrelevante Vorfälle (Joel Wing 9.9.2019).

Für Juli 2019 verzeichnete Joel Wing im Gouvernement Diyala 28 sicherheitsrelevante Vorfälle mit elf Toten und 30 Verletzten (Joel Wing 5.8.2019). Im August 2019 wurden 41 Vorfälle - die höchste Anzahl seit August 2018, mit 21 Toten und 46 Verwundeten registriert (Joel Wing 9.9.2019) und im September 37 Vorfälle mit 21 Toten und 30 Verletzten (Joel Wing 16.10.2019). Im September schlug der IS in fast allen Distrikten des Gouvernements zu (Joel Wing 16.10.2019).

Im Gouvernement Kirkuk gehen die Zahlen der sicherheitsrelevanten Vorfälle, bis auf wenige

Spitzen, kontinuierlich zurück. Im Juli gab es eine Reihe von Raketen- und Mörserangriffen auf

Städte und Sicherheitskräfte, ansonsten handelte es ich bei den Vorfällen meist um Schießereien und den Einsatz von IEDs (Joel Wing 5.8.2019). Wie im benachbarten Diyala handelte es sich bei Vorfällen in Kirkuk meist um Schießereien, Angriffe auf Kontrollpunkte, Überfälle auf Städte und Vertreibungen aus ländlichen Gebieten, wobei sich der IS auf den Süden des Gouvernements konzentrierte. Unter anderem wurden eine Polizeistation und ein Armeestützpunkt angegriffen, sowie ein Polizeihauptquartier mit Mörsern beschossen (Joel Wing 16.10.2019).

Im Gouvernement Kirkuk wurden im Juli 2019 15 sicherheitsrelevante Vorfälle mit sechs Toten und 13 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 5.8.2019), im August 2019 19 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 34 Toten und 19 Verwundeten (Joel Wing 9.9.2019) und im September 22 Vorfälle mit elf Toten und 19 Verletzten (Joel Wing 16.10.2019).

Im Gouvernement Salah ad-Din wurden im Juli 2019 acht Vorfälle mit zehn Toten und acht Verletzten registriert. Zu den Vorfällen zählten zwei Feuergefechte und ein Angriff auf einen Checkpoint (Joel Wing 5.8.2019). Im August 2019 wurden sieben Vorfälle mit vier Toten und fünf Verwundeten verzeichnet (Joel Wing 9.9.2019) und im September zehn Vorfälle mit 13 Toten und zehn Verletzten (Joel Wing 16.10.2019).

Das Gouvernement Anbar, früher ein IS-Zentrum, wird nun hauptsächlich für den Transit von IS Kämpfern zwischen dem Irak und Syrien genutzt (Joel Wing 16.10.2019). Die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Anbar hat in den vergangenen Monaten stark fluktuiert (Joel Wing 5.8.2019).

Im Gouvernement Anbar wurden im Juli 2019 fünf sicherheitsrelevante Vorfälle mit neun Toten und 14 Verletzten registriert (Joel Wing 5.8.2019), im August 2019 waren es vier Vorfälle mit sechs Toten und neun Verwundeten (Joel Wing 9.9.2019) und im September vier Vorfälle mit 19 Toten (Joel Wing 16.10.2019).

Das Gouvernement Babil ist ein einfaches Ziel für die Aufständischen des IS, in das sie von Anbar aus leichten Zugang haben. Insbesondere der Distrikt Jurf al-Sakhr, in dem es keine Zivilisten gibt und der als PMF-Basis dient, ist ein beliebtes Ziel des IS (Joel Wing 9.9.2019).

Im Gouvernement Babil wurden im Juli 2019 drei sicherheitsrelevante Vorfälle mit einem Toten und fünf Verletzten verzeichnet (Joel Wing 5.8.2019). Im August waren es acht Vorfälle mit fünf Toten und 48 Verletzten. Es handelt sich dabei um die höchste Zahl an Vorfällen seit Juni 2018. Darunter befand sich ein schwerer Angriff mit einer Motorradbombe (VBIED) auf einen Markt im Norden des Gouvernements (Joel Wing 9.9.2019). Im September waren es wieder drei Vorfälle mit einem Toten und fünf Verletzten (Joel Wing 16.10.2019).

Im Gouvernement Kerbala wurde im Juli ein Vorfall mit einem Toten und drei Verletzten verzeichnet. Es handelte sich dabei um den Einsatz einer Haftbombe an einem Auto (Joel Wing

5.8.2019). Im September wurde ein sicherheitsrelevanter Vorfall mit zwölf Toten und fünf Verletzten registriert (Joel Wing 16.10.2019). Hierbei wurde an einem Checkpoint im Norden von Kerbala Stadt eine Autobombe gezündet (Joel Wing 16.10.2019; vgl. VOA 21.9.2019). Von

Sicherheitskräften entdeckte Waffenlager des IS weisen darauf hin, dass dieser über eine große Menge an Sprengmitteln verfügt (Joel Wing 16.10.2019).

In Basra wurde im August ein Vorfall ohne Opfer registriert. Es handelte sich dabei um eine gegen British Petroleum (BP) im Rumaila Ölfeld gerichtete IED (Joel Wing 9.9.2019). Demonstrationen gegen Korruption, Arbeitslosigkeit und mangelnde Grundversorgung halten an, wobei iranisch unterstützte PMFs beschuldigt werden, sich an der Unterdrückung der Proteste zu beteiligen und Demonstranten und Menschenrechtsaktivisten anzugreifen (Diyaruna 7.8.2019; vgl. Al Jazeera 25.10.2019).

Politische Lage im Irak:

Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm

verändert (KAS 2.5.2018). Gemäß der Verfassung ist der Irak ein demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.2.2018), der aus 18 Provinzen (muhafazat) besteht (Fanack 27.9.2018). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Autonome Region Kurdistan ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaymaniya. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung, verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).

An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuwwab, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat), für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt. Zusammen bilden sie den Präsidialrat (Fanack 27.9.2018).

Teil der Exekutive ist auch der Ministerrat, der sich aus dem Premierminister und anderen

Ministern der jeweiligen Bundesregierung zusammensetzt (Fanack 27.9.2018; vgl. RoI

15.10.2005). Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (RoI 15.10.2005).

Am 2.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih zum Präsidenten des Irak (DW 2.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (BBC 3.10.2018). Abd al-Mahdi ist seit 2005 der erste Premier, der nicht die Linie der schiitischen Da'wa-Partei vertritt, die seit dem Ende des Krieges eine zentrale Rolle in der Geschichte Landes übernommen hat. Er unterhält gute Beziehungen zu den USA. Der Iran hat sich seiner Ernennung nicht entgegengestellt (Guardian 3.10.2018).

Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik (Fanack 27.9.2018). Im Gegensatz zum Präsidenten, dessen Rolle weitgehend zeremoniell ist, liegt beim Premierminister damit die eigentliche Exekutivgewalt (Guardian 3.10.2018). Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 27.9.2018). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 17.10.2018; vgl. IRIS 11.5.2018). Die konfessionell/ethnische Verteilung der politischen Spitzenposten ist nicht in der irakischen Verfassung festgeschrieben, aber seit 2005 üblich (Standard 3.10.2018).

So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnite, der Premierminister ist ein Schiite und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018).

In weiten In weiten Teilen der irakischen Bevölkerung herrscht erhebliche Desillusion gegenüber der politischen Führung (LSE 7.2018; vgl. IRIS 11.5.2018). Politikverdrossenheit ist weit verbreitet (Standard 13.5.2018). Dies hat sich auch in der niedrigen Wahlbeteiligung bei den Parlamentswahlen im Mai 2018 gezeigt (WZ 12.5.2018). Der Konfessionalismus und die sogennante "Muhassasa", das komplizierte Proporzsystem, nach dem bisher Macht und Geld

unter den Religionsgruppen, Ethnien und wichtigsten Stämmen im Irak verteilt wurden, gelten als Grund für Bereicherung, überbordende Korruption und einen Staat, der seinen Bürgern kaum Dienstleistungen wie Strom- und Wasserversorgung, ein Gesundheitswesen oder ein

Bildungssystem bereitstellt (TA 12.5.2018).

Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten und Schiiten sowie Kurden

festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines

politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 12.2.2018).

Die Zeit des Wahlkampfs im Frühjahr 2018 war nichtsdestotrotz von einem Moment des verhaltenen Optimismus gekennzeichnet, nach dem Sieg über den sogenannten Islamischen Staat (IS) im Dezember 2017 (ICG 9.5.2018). Am 9.12.2017 hatte Haider al-Abadi, der damalige

irakische Premierminister, das Ende des Krieges gegen den IS ausgerufen (BBC 9.12.2017). Irakische Sicherheitskräfte hatten zuvor die letzten IS-Hochburgen in den Provinzen Anbar, Salahal-Din und Ninewa unter ihre Kontrolle gebracht. (UNSC 17.1.2018).

Zur allgemeinen Sicherheitslage im Herkunftsstaat:

Die allgemeine Sicherheitslage im Irak war seit Oktober 2016 von bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, im Genaueren nichtstaatlichen bewaffneten Milizen, den Peshmerga der kurdischen Regionalregierung sowie ausländischen Militärkräften, auf der einen Seite und den bewaffneten Milizen der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) auf der anderen Seite um die Kontrolle der - im Zentrum des seit Sommer 2014 bestehenden Machtbereichs des IS gelegenen - Hauptstadt MOSSUL der Provinz NINAVA gekennzeichnet. Diesen Kämpfen ging die sukzessive Zurückdrängung des IS aus den zuvor ebenfalls von ihm kontrollierten Gebieten innerhalb der Provinzen ANBAR, DIYALA und SALAH AL-DIN im Zentral- und Südirak voraus. Die seit dem Jahr 2014 währenden kriegerischen Ereignisse im Irak brachten umfangreiche Flüchtlingsbewegungen aus den umkämpften Gebieten in andere Landesteile, sowie umgekehrt Rückkehrbewegungen in befreite Landesteile mit sich. Zahlreiche nationale und internationale Hilfsorganisationen unter der Ägide des UNHCR versorgen diese Binnenvertriebenen in Lagern und Durchgangszentren, mit Schwerpunkten in den drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion des Nordiraks, in sowie um Bagdad sowie im Umkreis von KIRKUK, im Hinblick auf ihre elementaren Lebensbedürfnisse sowie deren Dokumentation und Relokation, ein erheblicher Anteil der Vertriebenen sorgt für sich selbst in gemieteten Unterkünften und bei Verwandten und Bekannten. Seit dem Jahr 2014 wurden über drei Millionen Binnenvertriebene und über eine Million Binnenrückkehrer innerhalb des Irak registriert.

Nachdem es den irakischen Sicherheitskräften (ISF) gemeinsam mit schiitischen Milizen, den sogenannten Popular Mobilisation Forces (PMF), mit Unterstützung durch die alliierten ausländischen Militärkräfte im Laufe des Jahres 2016 gelungen war, die Einheiten der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) sowohl aus den von ihr besetzten Teilen der südwestlichen Provinz AL ANBAR bzw. deren Metropolen FALLOUJA und RAMADI als auch aus den nördlich an BAGDAD anschließenden Provinzen DIYALA und SALAH AL DIN zu verdrängen, beschränkte sich dessen Herrschaftsgebiet in der Folge auf den Sitz seiner irakischen Kommandozentrale bzw. seines "Kalifats" in der Stadt MOSSUL, Provinz NINAVA, sowie deren Umgebung bis hin zur irakisch-syrischen Grenze. Ab November 2016 wurden die Umgebung von MOSSUL sowie der Ostteil der Stadt bis zum Ufer des TIGRIS sukzessive wieder unter die Kontrolle staatlicher Sicherheitskräfte gebracht, im Westteil wurde der IS von den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, die aus dem Süden, Norden und Westen in das Zentrum der Stadt vordrangen, in der Altstadt von MOSSUL eingekesselt. Der sunnitische IS wiederum versuchte parallel zu diesen Geschehnissen durch vereinzelte Selbstmordanschläge in BAGDAD und anderen Städten im Süd- sowie Zentralirak seine, wenn auch mittlerweile stark eingeschränkte Fähigkeit, die allgemeine Sicherheitslage zu destabilisieren, zu demonstrieren. Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen Sieg über den IS. Die Sicherheitslage hat sich, seitdem die territoriale Kontrolle des IS gebrochen wurde, verbessert, wenn auch IS Kämpfer in manchen ländlichen Gebieten weiterhin aktiv sind (CRS 01.10.2018, MIGRI 06.02.2018).

Der Irak verzeichnet derzeit die niedrigste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 (Joel Wing 5.4.2018). Die Sicherheitslage ist in verschiedenen Teilen des Landes sehr unterschiedlich, insgesamt hat sich die Lage jedoch verbessert (MIGRI 06.02.2018). Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen im September 2018 waren Bagdad mit 65 Vorfällen, Diyala mit 36, Kirkuk mit 31, Salah al-Din mit 21, Ninewa mit 18 und Anbar mit 17 Vorfällen (Joel Wing 6.10.2018). Im zweiten Quartal 2018 sind aus der Provinz Al-Basrah keine Todesopfer gemeldet (ACCORD 05.09.2018).

Die Sicherheitslage innerhalb der drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion des Nordiraks, nämlich DOHUK, ERBIL und SULEIMANIYA, ist angesichts der Maßnahmen der regionalen Sicherheitskräfte wie Grenzkontrollen und innerregionale Aufenthaltsbestimmungen als stabil anzusehen. Seit Oktober 2017 befindet sich die kurdische Regionalregierung in Konflikt mit der irakischen Zentralregierung in der Frage der Kontrolle über die von kurdischen Sicherheitskräften bislang besetzt gehaltenen Grenzregionen südlich der Binnengrenze der Autonomieregion zum übrigen irakischen Staatsgebiet, insbesondere die Region um die Stadt KIRKUK betreffend. Zuletzt kam es zu einer Besetzung dieser Region sowie weiterer Landstriche entlang der Binnengrenze durch die irakische Armee und der Zentralregierung nahestehende Volksmobilisierungseinheiten, während sich die kurdischen Sicherheitskräfte aus diesen Bereichen zurückzogen. Eine Einreise in die drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion ist angesichts eines Luftraumembargos der Nachbarstaaten Türkei und Iran gegen die kurdische Regionalregierung auf direkte Weise aktuell nur auf dem Landweg möglich.

Die Sicherheitslage im südlichen Teil des Iraks ist als stabil anzusehen. Der gesamte südliche Teil des Irak, einschließlich der Provinz Babil, steht nominell unter der Kontrolle der irakischen Regierung. Vielerorts scheinen die Regierungsbehörden gegenüber lokalen Stämmen und Milizen noch immer in einer schwächeren Position zu sein. Die irakische Regierung war gezwungen, dem Kampf gegen den IS im Zentral- und Nordirak in den letzten Jahren Vorrang einzuräumen und bedeutende militärische und polizeiliche Ressourcen aus dem Süden abzuziehen und in diese Gegenden zu entsenden. Vor diesem Hintergrund sind Stammeskonflikte, eskalierende Gesetzlosigkeit und Kriminalität ein Problem der lokalen Sicherheitslage. Die Bemühungen der Regierung, die Kontrolle wieder zu übernehmen, scheinen noch nicht zum entscheidenden Erfolg geführt zu haben. Regierungsnahe Milizen sind in unterschiedlichem Maße präsent, aber der Großteil ihrer Kräfte wird im Norden eingesetzt. Terrorismus und Terrorismusbekämpfung spielen im Süden nach wie vor eine Rolle, insbesondere in Babil, aber im Allgemeinen in geringerem Maße als weiter im Norden. Noch immer gibt es vereinzelte Terroranschläge (Landinfo 31.5.2018). In der Provinz Basra kam es in den vergangenen Monaten immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen bewaffneter Gruppierungen. In Basra und den angrenzenden Provinzen besteht ebenfalls das Risiko von Entführungen (AA 1.11.2018). Seit 2015 finden in allen Städten des Südirak regelmäßig Demonstrationen statt, um gegen die Korruption der Regierung und die Arbeitslosigkeit zu protestieren und eine bessere Infrastruktur zu fordern. Gewöhnlich finden diese Demonstrationen in Ruhe statt, sie haben jedoch auch schon zu Zusammenstößen mit der Polizei geführt, zu Verletzten und Toten (CEDOCA 28.2.2018). Dies war auch im Juli und September 2018 der Fall, als Demonstranten bei Zusammenstößen mit der Polizei getötet wurden (Al Jazeera 16.7.2018; vgl. Joel Wing 5.9.2018, AI 7.9.2018).

Die Sicherheitslage im Großraum Bagdad war im Wesentlichen ebenfalls nicht unmittelbar beeinträchtigt durch die genannten Ereignisse. Es waren jedoch vereinzelte Anschläge bzw. Selbstmordattentate auf öffentliche Einrichtungen oder Plätze mit einer teils erheblichen Zahl an zivilen Opfern zu verzeichnen, die, ausgehend vom Bekenntnis des - als sunnitisch zu bezeichnenden - IS dazu, sich gegen staatliche Sicherheitsorgane oder gegen schiitische Wohnviertel und Städte richteten, um dort ein Klima der Angst sowie religiöse Ressentiments zu erzeugen und staatliche Sicherheitskräfte vor Ort zu binden. Die Zahl der Angriffe auf Personen ist seit 2016 jedoch kontinuierlich gesunken und hat 2018 einen historischen Tiefstand von durchschnittlich 1,1 Vorfällen pro Tag erreicht (vgl OFPRA 10.11.2017; vgl Joel Wing 08.07.2017, Joel Wing 04.10.2017, Joel Wing 03.07.2018). Aus den Länderberichten ergeben sich keine Hinweise auf eine etwaig religiös motivierte Bürgerkriegssituation und auch keine HInweise in Bezug auf die Säuberung von ethnischen oder religiösen Gruppierungen bewohnte Gebiete.

Zur Sicherheitslage im Irak:

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen Sieg über den Islamischen Staat (IS). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem die territoriale Kontrolle des IS gebrochen wurde, verbessert (CRS 4.10.2018; vgl. MIGRI 6.2.2018). IS-Kämpfer sind jedoch weiterhin in manchen Gebieten aktiv, die Sicherheitslage ist veränderlich (CRS 4.10.2018).

Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.2.2018).

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.2.2018). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (MIGRI 6.2.2018).

Zur Sicherheitslage in Bagdad:

Die Provinz Bagdad ist die kleinste und am dichtesten bevölkerte Provinz des Irak, mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit der Provinz wird sowohl vom "Baghdad Operations Command" kontrolliert, der seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst zieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden (OFPRA 10.11.2017).

Im Jahr 2016 verzeichnete die Provinz Bagdad noch immer die höchste Zahl an Opfern im gesamten Land. Die Sicherheitslage verbesserte sich jedoch in Bagdad als die Schlacht um Mosul begann. Während Joel Wing im Januar 2016 in Bagdad noch durchschnittlich 11,6 Angriffe pro Tag verzeichnete, sank diese Zahl zwischen April und September 2017 auf durchschnittlich 3 Angriffe pro Tag (OFPRA 10.11.2017; vgl. Joel Wing 8.7.2017, Joel Wing 4.10.2017). Seit 2016 ist das Ausmaß der Gewalt in Bagdad allmählich zurückgegangen. Es gab einen Rückgang an IS Aktivität, nach den Vorstößen der irakischen Truppen im Nordirak, obwohl der IS weiterhin regelmäßig Angriffe gegen militärische und zivile Ziele durchführt, insbesondere, aber nicht ausschließlich, in schiitischen Stadtvierteln. Darüber hinaus sind sunnitische Bewohner der Gefahr von Übergriffen durch schiitische Milizen ausgesetzt, einschließlich Entführungen und außergerichtlichen Hinrichtungen (OFPRA 10.11.2017).

Terroristische und politisch motivierte Gewalt setzte sich das ganze Jahr 2017 über fort. Bagdad war besonders betroffen. UNAMI berichtete, dass es von Januar bis Oktober 2017 in Bagdad fast täglich zu Angriffen mit improvisierten Sprengkörpern kam. Laut UNAMI zielten einige Angriffe auf Regierungsgebäude oder Checkpoints ab, die von Sicherheitskräften besetzt waren, während viele andere Angriffe auf Zivilisten gerichtet waren. Der IS führte Angriffe gegen die Zivilbevölkerung durch, einschließlich Autobomben- und Selbstmordattentate (USDOS 20.4.2018).

Laut Joel Wing kam es im Januar 2018 noch zu durchschnittlich 3,3 sicherheitsrelevanten Vorfällen in Bagdad pro Tag, eine Zahl die bis Juni 2018 auf durchschnittlich 1,1 Vorfälle pro Tag sank (Joel Wing 3.7.2018). Seit Juni 2018 ist die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Bagdad langsam wieder auf 1,5 Vorfälle pro Tag im Juli, 1,8 Vorfälle pro Tag im August und 2,1 Vorfälle pro Tag im September gestiegen. Diese Angriffe bleiben Routine, wie Schießereien und improvisierte Sprengkörper und konzentrieren sich hauptsächlich auf die äußeren südlichen und nördlichen Gebiete der Provinz (Joel Wing 6.10.2018).

Insgesamt kam es im September 2018 in der Provinz Bagdad zu 65 sicherheitsre

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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