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66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;Norm
ASVG §67 Abs4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der D, Zahntechnisches Labor, J GmbH in W, vertreten durch Dr. Rainer Kornfeld, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Maria Hilferstraße 1d, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 18. Oktober 1993, Zl. MA 15-II-A 6/93, betreffend Beitragshaftung gemäß § 67 Abs. 4 ASVG (mitbeteiligte Partei: Wiener Gebietskrankenkasse, Wienerbergstraße 15-19, 1101 Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Der Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat der beschwerdeführenden Gesellschaft Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid vom 22. April 1993 sprach die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse aus, daß die beschwerdeführende Gesellschaft gemäß § 67 Abs. 4 ASVG verpflichtet sei, die auf dem Beitragskonto des Betriebsvorgängers Peter Michael F. Legerer GmbH (in der Folge: L. GmbH) rückständigen Sozialversicherungsbeiträge samt Nebengebühren in der Höhe von S 156.744,70 zuzüglich Verzugszinsen seit 26. März 1993 in der sich nach § 59 Abs. 1 ASVG jeweils ergebenden Höhe, berechnet von S 145.169,48, binnen 14 Tagen nach Zustellung dieses Bescheides bei sonstigen Zwangsfolgen zu bezahlen. Nach der Begründung habe der Betriebsvorgänger in 1200 Wien, G. Gasse 10, ein zahntechnisches Labor geführt. Am 1. Oktober 1992 habe die beschwerdeführende Gesellschaft aufgrund eines mit dem Betriebsvorgänger abgeschlossenen Veräußerungsgeschäftes diesen Betrieb übernommen. Auf dem Beitragskonto des Betriebsvorgängers seien die im Spruch angeführten Sozialversicherungsbeiträge samt Nebengebühren unbeglichen.
Die beschwerdeführende Gesellschaft erhob gegen diesen Bescheid Einspruch. Dabei vertrat sie im wesentlichen die Auffassung, den wichtigsten Teil eines zahntechnischen Labors stellten die Kunden dar. Im Beschwerdefall sei allerdings kein einziger Kunde des Betriebsvorgängers übernommen worden. Die vom Betriebsvorgänger gekauften Laboreinrichtungsgegenstände stellten nicht die wesentliche Grundlage des Betriebes des Betriebsvorgängers dar.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Einspruch der beschwerdeführenden Gesellschaft insofern teilweise stattgegeben, als die Verpflichtung zur Bezahlung rückständiger Sozialversicherungsbeiträge samt Nebengebühren auf einen Betrag von S 109.383,32 reduziert wurde.
In der Begründung wurde nach Wiedergabe des bisherigen Verfahrensgeschehens und der anzuwendenden Rechtslage darauf verwiesen, daß die beschwerdeführende Gesellschaft nach einer Rechnung vom 24. September 1992 von der L. GmbH Laboreinrichtungsgegenstände sowie Geräte um einen Kaufpreis von S 1,000.080,-- erworben habe. Ein Angestellter des Betriebsvorgängers, Dr. Johann L., habe bei seiner niederschriftlichen Vernehmung angegeben, daß der Geschäftsgang der L.GmbH etwa bis Juni 1992 stattgefunden habe. Seiner Erinnerung nach seien ca. ab März 1992 sukzessive Geräte verkauft worden. Nachdem der Keramikofen verkauft worden sei, hätten zum Schluß nur mehr Kunststoffkronen angefertigt werden können. Im Mai bzw. Juni 1992 habe die L. GmbH nur noch einen Kunden gehabt, der an die Firma nur mehr Prothesen und Kunststoffkronen zur Bearbeitung gesandt habe. Für einfache Zahntechnikerarbeiten sei allerdings keine aufwendige Betriebsausstattung erforderlich. Für eine effektive Unternehmensführung seien allerdings kostspieligere Apparate erforderlich.
Rene M., ein Lehrling bei der L. GmbH, habe niederschriftlich angegeben, daß das Unternehmen seines Wissens nach bis Ende Juni/Anfang Juli 1992 Tätigkeiten durchgeführt habe. Das Unternehmen sei schon seit dem Frühjahr 1992 im Niedergang gewesen und habe am Ende nur mehr kleine Reparaturarbeiten für einen einzigen Kunden durchgeführt. Zu Anfang der Betriebstätigkeit der beschwerdeführenden Gesellschaft seien zu den vorhandenen Möbeln und Geräten, die zum Teil veraltet und defekt gewesen seien, neue gekauft worden.
Ein weiterer Lehrling der L. GmbH, Artur B., habe ebenfalls niederschriftlich angegeben, daß die L. GmbH bis ca. Juni 1992 Aufträge bearbeitet habe. Es seien nur mehr Reparaturen, z.B. an Gebissen, durchgeführt und auch Prothesen hergestellt bzw. repariert worden. Der Geschäftsumfang sei dann nicht mehr so groß gewesen. Seiner Erinnerung nach seien jene Inventargegenstände und Geräte, die etwa im Mai bzw. Juni 1992 vorhanden gewesen seien, im wesentlichen auch im Oktober 1992 vorhanden gewesen.
Aufgrund dieser Angaben stehe für die belangte Behörde fest, daß die L. GmbH, die bis Juni 1992 ihre Geschäftstätigkeit faktisch ausgeübt habe, im wesentlichen die zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Möbel und Geräte an die beschwerdeführende Gesellschaft verkauft habe. Nach Auffassung der belangten Behörde seien im Beschwerdefall jene Betriebsmittel erworben worden, die nach Betriebsart und Betriebsgegenstand die wesentliche Grundlage des Betriebes des Betriebsvorgängers gebildet hätten. Für die Haftung gemäß § 67 Abs. 4 ASVG sei nicht erforderlich, daß sämtliche zum Betrieb gehörigen Betriebsmittel erworben würden. Mit den vorhandenen Betriebsmitteln habe die L. GmbH bis Ende Juni 1992 eine vielleicht umfangmäßig bescheidene, aber dennoch wirtschaftlich werthafte Tätigkeit entfaltet. Im Hinblick darauf, daß im wesentlichen die im Juni 1992 im Labor vorhandenen Einrichtungsgegenstände und Geräte an die beschwerdeführende Gesellschaft veräußert worden seien, müsse davon ausgegangen werden, daß jene Betriebsmittel, die die wesentliche Grundlage des Betriebes des Betriebsvorgängers gebildet hätten, erworben worden seien. Dem Umstand, daß bestimmte (nicht mehr vorhandene) Betriebsmittel, wie z.B. Auslieferfahrzeuge, eine Computeranlage, ein Fräsgerät, ein Gipsmodell-Bandschleifer, ein Tresor sowie eine Videokamera und ein Videorekorder, nicht übernommen worden seien, komme daher keine Bedeutung zu. Aufgrund des ausreichend geklärten Sachverhaltes sei auch die Zuziehung eine Sachverständigen nicht erforderlich gewesen. Aufgrund der Zahlung von Beiträgen durch den Insolvenzausfallgeld-Fonds habe sich der Haftungsbetrag dementsprechend verringert.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse hat ebenfalls eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
In der Beschwerde wird die Auffassung vertreten, daß die für den Betrieb eines zahntechnischen Labors wesentlichen Betriebsmittel von der beschwerdeführenden Gesellschaft nicht übernommen worden seien. Voraussetzung für eine Haftung nach § 67 Abs. 4 ASVG sei nicht der Erwerb bloß irgendwelcher - je nach Betriebsart und Betriebsgegenstand verschiedener - Betriebsmittel, die zu einem Betrieb gehörten, sondern daß diese auch die wesentliche Grundlage des Betriebes gebildet hätten und der Erwerber daher ohne weiteres in die Lage versetzt werde, den Betrieb (unmittelbar) fortzuführen. Zur Klärung dieser Frage hätte die beschwerdeführende Gesellschaft im Verwaltungsverfahren die Einholung eines entsprechenden Sachverständigengutachtens beantragt. Ferner stehe im Beschwerdefall fest, daß die L. GmbH bereits im Juni 1992 ihre Tätigkeit eingestellt habe, was ganz offensichtlich darauf zurückzuführen gewesen sei, daß nach Abverkauf aller wesentlichen für den Betrieb erforderlichen Geräte nichts mehr zur Verfügung gestanden sei, womit ein Betrieb überhaupt hätte geführt werden können.
Gemäß § 67 Abs. 4 ASVG idF der 41. Novelle, BGBl. Nr. 111/1986, haftet dann, wenn ein Betrieb übereignet wird, der Erwerber für Beiträge, die sein Vorgänger zu zahlen gehabt hätte, unbeschadet der fortdauernden Haftung des Vorgängers sowie der Haftung des Betriebsnachfolgers nach § 1409 ABGB unter Bedachtnahme auf § 1409a ABGB und der Haftung des Erwerbers nach § 25 des Handelsgesetzbuches, für die Zeit von höchstens 12 Monaten vom Tage des Erwerbes zurückgerechnet. Im Falle einer Anfrage beim Versicherungsträger haftet er jedoch nur mit dem Betrag, der ihm als Rückstand ausgewiesen worden ist.
In dem (zu § 67 Abs. 4 ASVG idF vor der 41. Novelle ergangenen) Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 30. November 1983, VwSlg. Nr. 11.241/A, hat der Verwaltungsgerichtshof ausführlich dargelegt, daß - abweichend von der bisherigen Rechtsprechung - als "Betriebsnachfolger" gemäß § 67 Abs. 4 ASVG jene Person zu verstehen ist, die den Betrieb oder einen organisatorisch selbständigen Teilbetrieb des Betriebsvorgängers (Beitragsschuldners) aufgrund eines Veräußerungsgeschäftes (von Veräußerungsgeschäften) mit diesem erworben hat. Der Erwerbsvorgang muß sich auf einen lebenden bzw. lebensfähigen (aktivierbaren oder reaktivierbaren) Betrieb (Unternehmen), d.h. auf eine organisierte Erwerbsgelegenheit als Objekt im Rechtsverkehr, in der die durch die Betriebsart und den Betriebsgegenstand bestimmten personellen, sachlichen und ideellen Werte (Betriebsmittel) zusammengefaßt sind, beziehen. Der Erwerb bloßer (nicht zur Organisationseinheit Betrieb aktivierbarer oder reaktivierbarer) Betriebsmittel genügt nicht. Es ist aber nicht erforderlich, daß alle Betriebsmittel erworben werden; vielmehr reicht der Erwerb jener Betriebsmittel, die nach der Betriebsart und dem Betriebsgegenstand die wesentliche Grundlage des Betriebes des Betriebsvorgängers gebildet haben und den Erwerber mit ihrem Erwerb in die Lage versetzen, den Betrieb fortzuführen, aus. Daß nicht an allen Betriebsmitteln Eigentum erworben werden kann und erworben wird, schadet nicht. Der Erwerb einzelner, nicht die wesentliche Grundlage des Betriebes darstellenden Betriebsmittel von einem Dritten schließt die Betriebsnachfolge nicht aus. Es ist auch nicht entscheidend, ob der Betrieb tatsächlich fortgeführt wird und ob im Falle der Fortführung der Betriebsgegenstand und die Betriebsart gleichbleiben (vgl. z. B. das Erkenntnis vom 14. November 1995, Zl. 94/08/0187).
Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage kann die Frage, ob die beschwerdeführende Gesellschaft Betriebsnachfolger der L. GmbH ist, allerdings nicht eindeutig beantworet werden. Zwar stellte die belangte Behörde fest, daß die L. GmbH bis Ende Juni 1992 mit den vorhandenen Betriebsmitteln eine "umfangmäßig bescheidene, so doch noch wirtschaftlich werthafte Tätigkeit entfaltet" hat. Allerdings hat diesbezüglich der im Verwaltungsverfahren vernommene Zeuge Dr. Johann L. angegeben, daß es im Juni 1992 zu einer "faktischen Beendigung der Geschäftstätigkeit" der L. GmbH. gekommen ist. Mit den erworbenen Geräten hätte seiner Ansicht nach eine Zahntechniker-Firma nur dann geführt werden können, wenn sie nicht defekt gewesen wären. Zum Schluß sei ein großer Teil der Geräte defekt gewesen. Ende Juni 1992 sei auch der letzte Kunde "abgesprungen".
Aufgrund dieser Angaben hätte sich daher die belangte Behörde zunächst - allenfalls unter Zuziehung eines geeigneten Sachverstädigen - mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob im Beschwerdefall ein lebender bzw. lebensfähiger (aktivierbarer oder reaktivierbarer) Betrieb (Unternehmen) übernommen worden ist. Ungeklärt blieb ferner die Frage, ob jene Betriebsmittel, die nach der Betriebsart und dem Betriebsgegenstand die wesentliche Grundlage des Betriebes des Betriebsvorgängers gebildet haben, übernommen wurden und den Erwerber mit ihrem Erwerb in die Lage versetzten, den Betrieb fortzuführen (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom 20. November 1990, Zl. 90/14/0122).
Da die belangte Behörde diese Fragen nicht geklärt hat, erweist sich der angefochtene Bescheid als mit Verfahrensfehlern behaftet, bei deren Vermeidung nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid gekommen wäre.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben.
Von der beantragten mündlichen Verhandlung war gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abzusehen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Stempelgebührenersatz war wegen der sachlichen Abgabenfreiheit (§ 110 ASVG) nicht zuzuerkennen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1993080284.X00Im RIS seit
20.11.2000