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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §71 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Fuchs und Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Loibl, über die Beschwerde der Rosina W in Graz, vertreten durch Dr. Klaus Hirtler, Rechtsanwalt in Leoben, Hauptplatz 10/II, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 22. März 1995, Zl. UVS 30.7-44/95-2, betreffend Ablehnung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in einer Verwaltungsstrafsache nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Straferkenntnis der Verwaltungsstrafbehörde erster Instanz vom 5. Jänner 1994 wurde die Beschwerdeführerin wegen dreier Übertretungen gegen das Ausländerbeschäftigungsgesetz zu drei Geldstrafen von je S 120.000,-- verurteilt. Die Zustellung dieses Straferkenntnisses erfolgte am 12. Jänner 1994 an die Beschwerdeführerin zu Handen des Herrn E. (für den sich in den vorgelegten Verwaltungsakten eine "Vollmacht" vom 19. November 1992 befindet).
Mit Schriftsatz vom 22. März 1994 gab die Beschwerdeführerin die nunmehr erfolgte Bevollmächtigung eines Rechtsanwaltes bekannt und führte weiters aus, sie habe erst aus Anlaß der am 17. März 1994 zugestellten Verfügung zur Bezahlung der Geldstrafe von der Zustellung des Straferkenntnisses vom 5. Jänner 1994 erfahren. Sie habe davon keine Kenntnis gehabt, weil Herr E. nach Übernahme am 12. Jänner 1994 den Bescheid irrtümlich abgelegt habe. Die Beschwerdeführerin habe E. allerdings keine Vertretungsvollmacht erteilt gehabt, sodaß die erfolgte Zustellung zu Handen von E. unzulässig gewesen sei. Mangels wirksamer Zustellung sei die Vollstreckung des Straferkenntnisses ausgeschlossen und es werde der Antrag gestellt, den Bescheid vom 5. Jänner 1994 an die Beschwerdeführerin zu Handen ihres nunmehrigen Rechtsvertreters zuzustellen.
In einem weiteren Schriftsatz vom 31. März 1994 stellte die Beschwerdeführerin bei der Behörde erster Instanz den Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Berufung gegen das erstinstanzliche Straferkenntnis vom 5. Jänner 1994. Dazu wird ausgeführt, die Beschwerdeführerin befürchte, daß eine Zustellung aufgrund des Zustellantrages vom 22. März 1994 innerhalb der Frist zur Wiedereinsetzung nicht erfolge, sodaß vorsichtsweise der Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt werde. Die Beschwerdeführerin habe aus Anlaß der Zustellung der Verfügung vom 14. März 1994 mit der Aufforderung zur Zahlung des Strafbetrages, die an E. durch Hinterlegung am 17. März 1994 erfolgt sei, vom Straferkenntnis erfahren. Die Beschwerdeführerin treffe kein Verschulden an der Fristversäumung, "allerhöchstens" ein minderer Grad des Versehens, weil ihr der seinerzeitige Bescheid von E. nicht ausgehändigt, sondern irrtümlich abgelegt worden sei. Die Beschwerdeführerin habe sich bisher bei der Erledigung der "büroorganisatorischen Aufgaben" auf E. verlassen können. E. habe das Straferkenntnis nur deshalb irrtümlich abgelegt, "da er der Ansicht war, es handle sich um das Straferkenntnis des Magistrates, das im Berufungsverfahren beim UVS bereits Gegenstand von Verhandlung und Entscheidung war und demgemäß dem Rechtsvertreter bekannt ist". Im folgenden wird im Wiedereinsetzungsantrag die versäumte Prozeßhandlung (die Berufung gegen das erstinstanzliche Straferkenntnis) nachgeholt.
Mit Bescheid vom 19. Mai 1994 wies die belangte Behörde den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 31. März 1994 als unbegründet ab. Der mit Schreiben vom 19. November 1992 von der Beschwerdeführerin bevollmächtigte E. habe das Straferkenntis eigenhändig am 12. Jänner 1994 in Empfang genommen. Hänge der Fristlauf von der Zustellung eines behördlichen Schriftstückes ab, so beginne die Frist dann nicht zu laufen (und könne deshalb auch nicht versäumt werden), wenn die Zustellung wegen bestehender Mängel unwirksam sei. In dem Antrag auf Wiedereinsetzung sei eine mangelhafte Zustellung nicht geltend gemacht worden, sodaß die Frist von dem Zeitpunkt der rechtsgültigen Zustellung an den (damaligen) Vertreter der Beschwerdeführerin (12. Jänner 1994) zu berechnen sei. Es sei Sache des Antragstellers, das Vorliegen eines Wiedereinsetzungsgrundes nach § 71 Abs. 1 lit. a AVG nicht nur zu behaupten, sondern auch glaubhaft zu machen. Die Beschwerdeführerin habe jedenfalls Kenntnis von dem gegenständlichen Strafverfahren gehabt und in weiterer Folge E. mit der Vertretung im Sinne des § 10 AVG in diesem Strafverfahren betraut. E. sei persönlich zum anberaumten Ladungstermin erschienen und auch alle weiteren Akte der Behörde, wie z.B. die Aufforderung zur abschließenden Rechtfertigung am 28. Oktober 1993, seien an den gewillkürten Vertreter der Beschwerdeführerin ergangen. Sollte es eine "Eigenart" des gewillkürten Vertreters E. sein, Straferkenntnisse des Bürgermeisters der Stadt G. zu übernehmen und "sie dann zu vergessen", so liege es in der Sphäre der Beschwerdeführerin, den Vertreter durch geeignete Maßnahmen zu kontrollieren und auch zu überwachen. Gerade bei der rechtzeitigen Postaufgabe "einer zu erhebenden Berufung wäre ein strenger Sorgfaltsmaßstab an den Tag zu legen". Es hätte E. auch bekannt sein müssen, daß gegen die Beschwerdeführerin mehrere Verfahren wegen Übertretungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes anhängig seien, zumal E. in insgesamt drei Vorverfahren beim UVS schon als Zeuge befragt worden sei. Somit sei E. ein nicht minderer Grad des Versehens unterlaufen. Das "Maß an Sorglosigkeit, welche an den Tag getreten ist, ist auch daran zu messen, daß der Vertreter der Berufungswerberin nicht einmal von der Existenz eines ergangenen Straferkenntnisses des Bürgermeisters der Stadt G. Mitteilung machte, sodaß diese in absoluter Unkenntnis war, bis die Mahnung der Behörde erster Instanz ergangen ist". Dies obwohl "zum Zeitpunkt der Vernehmung des Vertreters" kein weiteres Verfahren vor dem Bürgermeister der Stadt G. anhängig gewesen sei.
Mit Erkenntnis vom 17. November 1994, 94/09/0220, hob der Verwaltungsgerichtshof den Bescheid der belangten Behörde vom 19. Mai 1994 im Abspruch über die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde auf. Zuständig für die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag wäre nämlich die Behörde erster Instanz gewesen, bei der die Beschwerdeführerin die Berufung (somit die versäumte Prozeßhandlung nach § 71 Abs. 4 AVG) eingebracht habe.
Gegen den in der Folge von der Verwaltungsstrafbehörde erster Instanz erlassenen Bescheid vom 1. Februar 1995 über die Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (der zur Begründung im wesentlichen auf die Ausführungen im Bescheid der belangten Behörde vom 19. Mai 1994 verwies) brachte die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 17. Februar 1995 Berufung ein. Darin rügte die Beschwerdeführerin, die Behörde habe sich mit den im Schriftsatz vom 22. März 1994 enthaltenen Argumenten, wonach eine Vertretungsvollmacht für E. nicht erteilt worden sei, nicht auseinandergesetzt. Dies wäre aber notwendig gewesen, weil sich die angebliche Vertretungsvollmacht, die sich im Akt befinde, nach Ansicht der Beschwerdeführerin nicht auf dieses Verfahren beziehe. Diese Vollmacht sei von E. in einem anderen Verfahren vorgelegt und offenkundig von der Behörde auch für die streitgegenständliche Angelegenheit verwendet worden. "Diese Argumentation kann durchaus glaubhaft sein, da gegen die Beschuldigte mehrere Verfahren anhängig sind". Aber selbst dann, wenn eine Vertretung durch E. der Beschwerdeführerin zuzurechnen wäre, liege ein Verschulden oder ein "höherer Grad des Versehens, welche die Wiedereinsetzung ausschließen würde, nicht vor". Gerade daß E. persönlich zu behördlichen Terminen erschienen sei, zeige, daß E. grundsätzlich für "Verrichtungen dieser Art geeignet ist und man sich diesbezüglich auf ihn verlassen kann". Es handle sich daher um eine einmalige Fehlleistung, die nicht vorhersehbar gewesen sei und "im übrigen auch in ordnungsgemäß geführten Kanzleiorganisationen mit entsprechender stichprobenartiger Überprüfung des Organisationsablaufes geschehen kann".
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge. Die Zustellung des Straferkenntnisses sowie der Ablauf der Rechtsmittelfrist zur Erhebung der Berufung sei im Antrag auf Wiedereinsetzung nicht bestritten worden. Es sei glaubhaft, daß die Beschwerdeführerin erst aufgrund der Zahlungsaufforderung vom 14. März 1994 erstmals vom Straferkenntnis Kenntnis erlangt habe. Auf die Glaubhaftmachung eines Versehens der Beschwerdeführerin komme es im gegenständlichen Fall nicht an, weil die Beschwerdeführerin durch einen von ihr selbst "ausgesuchten Eigenberechtigten" vertreten gewesen sei. Ein "Vergessen oder ein Irrtum" könne nur dann als ein unvorhergesehenes Ereignis im Sinne des § 71 Abs. 1 lit. a AVG gelten, wenn es die Partei tatsächlich nicht miteinberechnet habe und dessen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf die zumutbare Aufmerksamkeit und Vorsicht nicht habe erwartet werden können. Wenn, wie im Antrag auf Wiedereinsetzung ausgeführt, der Vertreter das Straferkenntnis nur deshalb irrtümlich abgelegt habe, weil er der Ansicht gewesen sei, es handle sich um jenes Straferkenntnis "des Magistrates, welches im Berufungsverfahren beim Unabhängigen Verwaltungssenat zur Entscheidung anhängig sei, hat er diesem Bescheid zuwenig Aufmerksamkeit gewidmet". Bei einer für einen Vertreter zu fordernden Sorgfalt und notwendigen Aufmerksamkeit wäre es ihm nicht entgangen, daß ein vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat anhängiges Berufungsverfahren einen anderen Gegenstand "zum Inhalt haben müßte, als jenes Straferkenntnis, welches der Vertreter der Berufungswerberin einfach abgelegt hat". Darin, daß der Vertreter nicht einmal von der Existenz eines ergangenen Straferkenntnisses des Bürgermeisters der Stadt G. der Beschwerdeführerin Mitteilung gemacht habe, sei ebenfalls ein besonderes Maß an Sorglosigkeit zu erblicken. Eine stichprobenartige Überprüfung des damaligen Vertreters sei im Antrag auf Wiedereinsetzung vom 22. April 1994 nicht einmal behauptet worden. Außerdem würde eine solche Vorgangsweise den "Sorglosigkeits- und Aufmerksamkeitsfehler" des Vertreters der Beschwerdeführerin nicht entschuldigen. Mit ihrem Antrag habe die Beschwerdeführerin einen minderen Grad des Versehens am Versäumen der Berufungsfrist insgesamt nicht glaubhaft machen können.
In der Beschwerde werden Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht. Die Beschwerdeführerin erachtet sich "in ihrem Recht auf ein mängelfreies Verfahren nach dem AVG, dem ZustellG sowie nach dem VStG, insbesondere durch unrichtige Anwendung der Bestimmungen §§ 71 ff AVG iVm § 24 VStG verletzt".
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in der Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes trifft das Verschulden des Parteienvertreters (bei dem es sich nicht um einen Rechtsanwalt handeln muß) bei der Wiedereinsetzung die Partei (siehe dazu beispielsweise die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 31. Jänner 1990, 89/03/0254, vom 9. Oktober 1990, 90/11/0177, 0180, und vom 29. August 1996, 96/09/0247). Das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen ist dabei nur in jenem Rahmen zu untersuchen, der durch die Behauptungen im Wiedereinsetzungsantrag abgesteckt ist (vgl. Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht6, Rz 623).
Die in der Beschwerde neuerlich aufgeworfene Frage, ob der Bescheid vom 5. Jänner 1994 wegen "fehlerhafter Bezeichnung des Adressaten" (die im Akt befindliche Vertretungsvollmacht für E. habe sich nicht auf dieses Verfahren bezogen) überhaupt nicht der Beschwerdeführerin "zugerechnet werden" könne, kann in bezug auf die im Beschwerdefall in Betracht kommende Rechtsverletzung dahingestellt bleiben. Ein Zustellmangel bildet keinen Wiedereinsetzungsgrund, weil bei mangelhafter Zustellung die (versäumte) Frist nicht zu laufen beginnt (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Februar 1996, 94/13/0082).
Wegen der erwähnten Behauptungspflicht des Antragstellers im Wiedereinsetzungsverfahren ist schon die in der Beschwerde enthaltene Verfahrensrüge nicht tragfähig, die belangte Behörde habe ihre Entscheidung gefällt, "ohne detaillierte Sachverhaltserhebungen durchgeführt zu haben".
Warum in der im Wiedereinsetzungsantrag vom 31. März 1994 geschilderten irrtümlichen Ablage des Straferkenntnisses ein tauglicher Wiedereinsetzungsgrund gelegen sein sollte, machen die Ausführungen im Wiedereinsetzungsantrag (ebenso wie die numehrigen Beschwerdeausführungen) keineswegs deutlich. So werden beispielsweise nicht die näheren Umstände des "Irrtums" des E. dargelegt (etwa durch besondere Umstände gegebene leichte Verwechslungsmöglichkeit mit dem - auch nicht näher bezeichneten - "Straferkenntnis des Magistrates"). Es bestand damit kein Anhaltspunkt, das Nichterkennen des wahren Bescheidinhaltes als nur minderen Grad des Versehens zu werten, zumal grundsätzlich jemand, der sich den Inhalt eines ihn (respektive als Vertreter) betreffenden Bescheides nicht entsprechend vor Augen führt, auffallend sorglos handelt; dies auch dann, wenn es sich dabei nach den Beschwerdeausführungen um einen "Normalbürger" und nicht um einen berufsmäßigen Parteienvertreter handelt. Ob es sich laut Beschwerde um eine "einmalige Fehlleistung" gehandelt habe, die auch in "ordnungsgemäß geführten Kanzleiorganisationen mit entsprechender stichprobenartiger Überprüfung des Organisationsablaufes" geschehen könne, ist schließlich bedeutungslos, weil die Beschwerdeführerin im Wiedereinsetzungsverfahren in keiner Weise die Behauptung aufgestellt hat, bei E. habe es sich um eine Person gehandelt, gegenüber der sie Überwachungs- und Kontrollpflichten getroffen hätte.
Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet, sie war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1995090175.X00Im RIS seit
20.11.2000