TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/12 I412 2222942-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.05.2020
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Entscheidungsdatum

12.05.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I412 2222942-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Gabriele ACHLEITNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Elfenbeinküste, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich und LEFÖ-IBF, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, RD Wien, Außenstelle Wien, vom 19.07.2019, Zl. 1192652507-180494636, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin stellte am 27.05.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.07.2019, zugestellt am 29.07.2019, wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Ziffer 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde der Beschwerdeführerin der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.). Es wurde ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 19.07.2020 erteilt (Spruchpunkt III.).

Am 23.08.2019 wurde Beschwerde gegen Spruchpunkt I. erhoben und beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Verhandlung durchführen und der Beschwerdeführerin den Status der Asylberechtigten zuerkennen.

Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt und wurde die Rechtssache nach Unzuständigkeitseinrede aufgrund Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung der Gerichtsabteilung I412 neu zugeteilt.

Am 14.01.2020 langte eine ergänzende Stellungnahme der Beschwerdeführerin ein, wobei sie ihr bereits getätigtes Vorbringen wiederholte und weiterführende Berichte und eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur Situation rund um Menschen- und Frauenhandel in ihrem Herkunftsstaat übermittelte.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person und zum Vorbringen der Beschwerdeführerin:

Die volljährige Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Elfenbeinküste, und bekennt sich zum moslemischen Glauben. Sie gehört der Volksgruppe der Yacouba an. Ihre Identität steht fest. Sie lebte in der Elfenbeinküste getrennt von ihrem Exmann, hat mit diesem zwei Kinder und ein weiteres aus einer früheren Beziehung.

Die Beschwerdeführerin spricht Französisch und Deutsch auf Niveau A1. Sie ist strafrechtlich unbescholten.

Die Beschwerdeführerin gelangte mit Hilfe eines Franzosen, den sie in ihrem Herkunftsstaat kennenlernte nach Europa. Sie ging in der Elfenbeinküste mit dem Mann eine Beziehung ein und folgte sie ihm über Portugal und Frankreich nach Wien in dem Glauben, diesen in Europa zu heiraten. Tatsächlich wurde sie in Wien an einen Mann namens XXXX übergeben, der die Reise bezahlt hatte und den Franzosen beauftragt hatte, eine französisch sprechende Frau für ihn zu besorgen. Nachdem die Beschwerdeführerin über einen Zeitraum von über einem Monat in dessen Haus festgehalten, mit Drohungen, ihren Kindern könnte etwas zustoßen, gefügig gemacht und mehrfach vergewaltigt wurde, gelang ihr die Flucht und stellte sie den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Der Vater der Beschwerdeführerin ist verstorben, ihre Mutter, ihre zwei Brüder und zwei Schwestern, die drei Kinder und der Exmann leben im Herkunftsstaat. Nach der Trennung vom Exmann übernahm ihre Mutter die Obsorge der beiden Töchter, der Sohn lebt bei einem Bruder. Die Beschwerdeführerin selbst lebte bis zur Ausreise bei einer ihrer Schwestern und arbeitete als Friseurin.

Die Beschwerdeführerin ist als Opfer von Menschenhandel anzusehen. Sie wurde zum Zweck der (sexuellen) Ausbeutung in der Elfenbeinküste angeworben und unter Vorspiegelung falscher Tatsachen nach Europa bzw. konkret nach Österreich gelockt, wo sie an ihren "Käufer" übergeben wurde. Es ist für den Fall einer Rückkehr in die Elfenbeinküste nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit auszuschließen, dass die Beschwerdeführerin einer menschenunwürdigen Behandlung ausgesetzt wäre, konkret, dass sie von jener Person, die sie an ihrem Wohnort angeworben hat und ihre Reise nach Europa organisiert und finanziert hat, ausfindig gemacht wird und besteht die reale Gefahr, dass sie erneut Opfer von Menschenhandel wird. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführerin mit staatlicher Hilfe rechnen kann. Eine Unterstützung durch die Familie kann ebenso nicht als gegeben angenommen werden.

Aufgrund der erlebten Misshandlungen als Opfer von Menschenhandel leidet die Beschwerdeführerin unter einer posttraumatischen Belastungsstörung nach ICD 10 F 43.1, die sich in Schlafstörungen, Albträumen, Konzentrationsschwierigkeiten, Schmerzen, psychosomatischen Symptomen und Ängsten äußert. Sie befand sich seit Anfang September 2018 in Psychotherapie. Festgestellt wird zudem, dass bei der Beschwerdeführerin eine Kyphose und Skoliose, zwei Analfissuren, Antrumgastritis und Myome im Uterus diagnostiziert wurden.

Zu den Feststellungen zur Lage in der Elfenbeinküste:

Im angefochtenen Bescheid wurde das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 30.03.2018, aktualisiert am 24.10.2018, zitiert. Die entscheidungswesentlichen Feststellungen daraus sind:

Sicherheitsbehörden:

Die Polizei (unter dem Ministerium für Inneres und Sicherheit) und die Gendarmerie (unter dem Verteidigungsministerium) sind für die Strafverfolgung zuständig. Die Coordination Center for Operational Decisions (CCDO), eine Einheit aus Polizei, Gendarmerie und der Forces armées de Côte d'Ivoire (FACI), unterstützt die Polizei bei der Gewährleistung der Sicherheit in den Großstädten. Die FACI (unter dem Verteidigungsministerium) ist für die Landesverteidigung zuständig. Die Direction de la surveillance du territoire (DST) (unter dem Ministerium für Inneres und Sicherheit) ist für die Abwehr externer Bedrohungen zuständig (USDOS 3.3.2017). Die Armee besteht aus Bodentruppen, Marine und Luftwaffe. Sie wird ergänzt durch paramilitärische Einheiten der nationalen Gendarmerie sowie aus der Elitetruppe Garde Républicaine (GIZ 3.2018a). Die FACI, die besser ausgebildet und ausgerüstet ist als Polizei oder Gendarmerie, übt weiterhin deren Funktionen aus. Die nationale Gendarmerie übernimmt von der FACI die Kontrolle über alle Sicherheitsfunktionen auf den Straßen, wie z.B. das Betreiben von Checkpoints. Dennoch betreibt die FACI nach wie vor unautorisierte Sicherheitskontrollen, vor allem in Grenznähe, wo sie auch Erpressung betrieben (USDOS 3.3.2017). Während das Personal der FACI besser ausgebildet und ausgerüstet bleibt als Polizei oder Gendarmerie, bleiben sie weiterhin nicht ausreichend ausgebildet oder ausgerüstet und verfügen auch nicht über eine angemessene Führungs- und Kontrollstruktur. Korruption und Straflosigkeit bleiben innerhalb der FACI und anderen Sicherheitskräften, einschließlich Polizei, Gendarmerie, CCDO und DST, endemisch (HRW 18.1.2018; vgl. USDOS 3.3.2017). Willkürliche Verhaftungen, Misshandlungen von Häftlingen und unrechtmäßige Tötungen durch die Sicherheitskräfte nahmen 2017 ab, aber Ermittlungen und Strafverfolgungen von Personen, die Missbräuche begehen, bleibt selten (HRW 18.1.2018). Besonders im Westen des Landes verlassen sich Gemeinschaften weiterhin auf Dozos (traditionelle Jäger), um ihren Sicherheitsbedarf zu decken (USDOS 3.3.2017). Der Aufbau einer regulären, nationalen Armee für die Côte d¿Ivoire ist momentan ein wichtiges politisches Ziel. Dabei gehört es zu den bedeutendsten Herausforderungen, Milizen und Kindersoldaten in die Gesellschaft zu re-integrieren, strukturelle Verbesserungen wie z.B. die pünktliche Bezahlung von Soldaten und den Abbau von Kleinwaffen in der Bevölkerung voranzutreiben. Bisher fehlt es dem Sicherheitssektor an Legitimität und Funktionalität (GIZ 3.2018a). Im Jahr 2017 kam es außerdem zu mehreren Fällen von Meuterei bei der Armee, etwa in XXXX und XXXX. Die Großstadt XXXX wurde dabei von Meuterern vorübergehend unter Kontrolle gebracht. Dabei kamen mindestens 15 Menschen ums Leben (HRW 18.1.2018).

Die Militärpolizei und das Militärtribunal sind verantwortlich für die Untersuchung und Verfolgung angeblicher interner Missbräuche, die von den Sicherheitsdiensten begangen werden (USDOS 3.3.2017). Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen finden aber nur selten statt (USDOS 3.3.2017; vgl. HRW 18.1.2018). Die Häufigkeit von willkürlichen Verhaftungen, Misshandlungen von Häftlingen und unrechtmäßigen Tötungen durch die Sicherheitskräfte nahm 2017 wieder ab, aber Ermittlungen und Strafverfolgungen von Personen, die Missbräuche begehen, bleiben selten (HRW 18.1.2018; vgl. BTI 2018). Viele Mitglieder der Sicherheitskräfte, darunter auch hochrangige Offiziere der Armee, setzten ihre kriminellen Geschäfte und Erpressungen fort. Mehrere Kommandanten der Armee, die angeblich für Gräueltaten während des bewaffneten Konflikts 2002/2003 und der Krise 2010/11 verantwortlich waren, wurden im Januar 2017 befördert (HRW 18.1.2018). Sicherheitskräfte scheitern zeitweise daran, gesellschaftliche Gewalt zu verhindern oder darauf zu reagieren, insbesondere während interkommunaler Auseinandersetzungen über Grundbesitz. Innerhalb jedes Sicherheitsapparates werden Anstrengungen unternommen, die Verantwortlichkeit für Menschenrechtsverletzungen innerhalb der einzelnen Befehlsketten zu stärken (USDOS 3.3.2017).

Quellen:

- BTI - Bertelsmann Stiftung (2018): Country Report - Côte d'Ivoire, http://www.btiproject.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Cote_d_Ivoire.pdf, Zugriff 27.3.2018

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2018a), Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/cote-divoire/geschichte-staat/, Zugriff 27.3.2018

- HRW - Human Rights Watch: World Report 2018 (18.1.2018): Côte d'Ivoire, https://www.ecoi.net/en/document/1422431.html, Zugriff 20.3.2018

- USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Cote d'Ivoire, https://www.ecoi.net/en/document/1395073.html, Zugriff 20.3.2018

Frauen:

Das Gesetz verbietet Diskriminierung aufgrund von Rasse, ethnischer Herkunft, nationaler Herkunft, Geschlecht, Religion, Behinderung oder HIV-Status, aber die Regierung setzt dieses Gesetz nicht wirksam durch. Das Gesetz erklärt häusliche Gewalt nicht speziell für illegal und häusliche Gewalt bleibt weiterhin ein ernstes und weit verbreitetes Problem im Land. Das Gesetz verbietet Vergewaltigung und sieht Haftstrafen zwischen fünf und zwanzig Jahren vor, doch die Regierung setzt dieses Gesetz in der Praxis nur unzureichend durch. Das Gesetz verbietet Vergewaltigung in der Ehe nicht speziell. Frauen, die der Polizei über Vergewaltigung oder häusliche Gewalt berichten, werden oft ignoriert. Viele weibliche Opfer werden von ihren Verwandten und der Polizei überzeugt, eine einvernehmliche Lösung mit dem Vergewaltiger zu suchen, anstatt einen Rechtsfall zu veranlassen. Psychosoziale Dienste für Vergewaltigungsopfer stehen in einigen Bereichen mit Unterstützung von NGOs zur Verfügung, sind aber nicht universell zugänglich (USDOS 3.3.2017). Frauen erfahren weiterhin ökonomische Diskriminierung im Zugang zu Beschäftigung, Krediten und bezüglich des Besitzes oder der Führung von Geschäften (USDOS 3.3.2017). Frauen sind also wirtschaftlich auf den Partner oder andere männliche Angehörige angewiesen, um wirtschaften zu können. Außerdem haben Frauen kein Erbrecht. So ist die rechtliche Gleichstellung von Frauen zwar formal im Gesetz anerkannt, doch sieht die Realität anders aus, wie auch das Ranking der Côte d¿Ivoire im Global Gender Gap Index (Rang 136 von 144 Ländern 2016) zeigt (GIZ 3.2018c). Auch in der Bildung bestehen erhebliche geschlechtsspezifische Ungleichheiten, was sich in einer deutlich geringeren Alphabetisierungsrate der Frauen und einer geringeren Einschulungsrate in allen Sektoren widerspiegelt (BTI 2018). FGM stellt ein ernstes Problem dar. Das Gesetz verbietet FGM ausdrücklich und sieht Strafen von bis zu fünf Jahren Haft und umgerechnet 610 - 3.400 US-Dollar vor. Ärzte erhalten die doppelte Strafe. FGM wurde am häufigsten unter der ländlichen Bevölkerung im Norden und Westen und seltener im Zentrum und im Süden durchgeführt. NGOs versuchen mit Programmen weiterhin auf die Gefahren von FGM hinzuweisen und die Einstellung gegenüber dieser Praxis zu ändern. Die Regierung hat einige FGM-Fälle bereits erfolgreich strafrechtlich verfolgt (USDOS 3.3.2017; vgl. BTI 2018). In der Côte d¿Ivoire ist das Ministère de la Solidarité, de la Famille, de la Femme et de l¿Enfant (MSFFE) für die Belange der Familien auf Regierungsebene zuständig. Dazu zählen auch Abteilungen zur Bildung und Förderung von Frauen, zum Schutz von Kindern und zur besseren Einbindung von Frauen in die Wirtschaft (GIZ 3.2018c). Im ländlichen Bereich leben 75 Prozent der Frauen unter der Armutsgrenze; nur 15 Prozent der industriellen bzw. Handelsunternehmen sind in der Hand von Frauen. Obwohl Frauen über 50 Prozent der Wählerschaft darstellen, sind von 29 Ministern zurzeit nur 5 Frauen und in der Nationalversammlung gibt es einen Frauenanteil von nur 10 Prozent. 75 Prozent aller Frauen sind Analphabeten, die meisten davon leben im ländlichen Norden der Côte d¿Ivoire (GIZ 3.2018c).

Quellen:

- BTI - Bertelsmann Stiftung (2018): Country Report - Côte d'Ivoire, http://www.btiproject.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Cote_d_Ivoire.pdf, Zugriff 27.3.2018

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2018c), Gesellschaft, https://www.liportal.de/cote-divoire/gesellschaft, Zugriff 20.3.2018

- USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Cote d'Ivoire, https://www.ecoi.net/en/document/1395073.html, Zugriff 20.3.2018

Außer dem zitierten LIB wurden auch nachstehende Quellen zur Ermittlung der Lage im Herkunftsstaat, insbesondere zur Frage des Menschenhandels, herangezogen:

Côte d'Ivoire ist ein Herkunfts-, Transit- und Zielland für Menschenhandel von Frauen und Kinder in Zwangs- und Sexarbeit, sowie Herkunftsland für Zwangsarbeit von Männern. Die meisten Fälle betreffen Minderjährige, wobei die Jungen vor allem in der Landwirtschaft (Kakao, Kaffee, Ananas) und Mädchen in der Gastronomie oder Prostitution ausgebeutet werden. Menschenhandel zum Zweck der sexuellen oder körperlichen Ausbeutung wird durch ein neues Gesetz vom Dezember 2016 mit 5-10 Jahren bei Erwachsenen und 20-30 Jahren bei Kindern bestraft. Trotz der Einrichtung eines Ausschusses zur Bekämpfung von Menschenhandel und zahlreichen Bemühungen der Regierung, werden nach einer Einschätzung des Trafficking in Persons Report der US Regierung Mindeststandards zur Beseitigung des Menschenhandels von Côte d'Ivoire nicht eingehalten. Bei Strafverfolgung und Verurteilung von Menschenhandel fehlt es oft an finanzieller, personeller und materieller Ressourcen.

Côte d'Ivoire befindet sich seit Ende der letzten Krise 2010/2011 in einer Phase der stetigen Stabilisierung und ist nach wie vor ein beliebtes Einwanderungsland in der Region. Côte d'Ivoire hat sich selbst einen Grundrechtekatalog in der Verfassung gegeben, welcher auch die Menschenrechte schützen soll. In den meisten Fällen ist dieser Schutz gewährleistet. Defizite gibt es allerdings noch im Hinblick auf die Behandlung von Kindern, Frauen und LGBTTI. Hier kommt es sowohl punktuell zu Gewalthandlungen, vor allem gegen Kinder und Frauen als auch zu Diskriminierung, insbesondere von Prostituierten sowie LGBTTI, im Gesundheitssektor und Justizwesen.

Côte d'Ivoire hat in den letzten Monaten sichtbare Bestrebungen unternommen, sich an internationale rechtliche Standards anzupassen und in diesem Zuge umfangreiche Reformen des eigenen Zivil- und Strafrechts angestoßen. Im Bereich des Zivilrechts wurden u. a. das Ehe- und Kindschaftsrecht durch eine umfangreiche Überarbeitung der einschlägigen Gesetzestexte reformiert. Im Strafrecht wurde im Juni 2019 ein Gesetzesentwurf zur Überarbeitung des ivorischen Code Penal eingebracht, welcher einerseits Handlungen gegen Frauen, Minderjährige und vulnerable Gruppen sowie Folter stärker ahnden soll, andererseits eine Diskriminierung von Homosexualität im bisherigen Strafrecht bereinigt.

Geschlechterspezifische Verfolgung:

Frauen sind rechtlich gleichgestellt. Es werden sowohl von staatlicher als auch von Nicht-Regierungsseite Anstrengungen unternommen, Institutionen zum Schutz von Frauen zu schaffen. Das traditionelle Bild der Frau als Mutter und Hausfrau ist in der Gesellschaft noch fest verankert. [...]

Gewalt aller Art gegen Frauen stellt nach wie vor ein Problem dar. Häusliche Gewalt und Vergewaltigung in der Ehe stellen nach aktueller Gesetzeslage keinen Straftatbestand dar. Stellte die Mission der VN in Côte d'Ivoire noch im Dezember 2014 180 Fälle von sexuellen Übergriffen auf Frauen und Mädchen fest, so belief sich die Fallzahl laut VN 2016 auf 34. Die Dunkelziffer dürfte jedoch deutlich höher sein. Gemäß des State of World Population der UNFPA 2019 treffen nur 25% der Frauen in Côte d'Ivoire ihre eigenen Entscheidungen bezüglich sexueller Interaktion mit dem Partner, Nutzung von Verhütungsmitteln und Gesundheit. Der im Juni 2019 ins Parlament eingebrachte Gesetzesentwurf sieht jedoch in seinen Art. 403 ff eine Freiheitsstrafe von fünf bis zwanzig Jahren, in bestimmten Fällen auch lebenslängliche Freiheitsstrafe für Vergewaltigungen, unabhängig von einer bestehenden Ehe, vor.

Die im Staatenüberprüfungsverfahren des Menschenrechtsrats 2009 gegebene Empfehlung, sichere Zufluchtsstätten für misshandelte Frauen zu schaffen, ist bisher nur ansatzweise umgesetzt worden. Bislang gibt es landesweit nur ein Frauenhaus. [...]

Die Regierung hat am 05.09.2014 eine Strategie zur Bekämpfung sexuell motivierter Straftaten verabschiedet, mit der die Verfolgung und Aburteilung dieser Taten verbessert werden soll. Seit Mai 2013 gibt es in sechs größeren Städten von der Gebergemeinschaft finanzierte Anlaufstellen ("Cliniques Juridiques"), in denen Opfer sexueller Gewalt kostenlos Rechtsberatung erhalten können. Die Armee der Côte d'Ivoire wurde im Mai 2017 von der Liste der UN-Sonderbeauftragten für sexuelle Gewalt in Konflikten ("Liste de la honte") gestrichen, auf der sie seit 2012 stand. Das Schwurgericht hat seit 2017 zwar einige Verurteilungen wegen Vergewaltigungen ermöglicht, jedoch werden die meisten sexuellen Übergriffe als Bagatelldelikte angesehen und außergerichtlich geklärt. Der neue Gesetzesentwurf des Code Penal führt für Vergewaltigungen nunmehr eine Legaldefinition ein, es bleibt abzuwarten, ob die Umsetzung in der Praxis zu einer strengeren gerichtlichen Handhabung führt. Frauen, die als Prostituierte arbeiten, sind besonders gefährdet, Opfer von Gewalt zu werden. Häufig werden sie von ihren Freiern misshandelt. Es kann aber auch zu Misshandlungen durch die Polizei oder aber die eigene Familie kommen. Zu Fällen von Zwangsprostitution kommt es eher selten. Die Frauen, die dieser Art der Tätigkeit nachgehen, tun dies meist aus einer finanziellen Notlage heraus aus eigenem Entschluss, da sie für sich keinen anderen Ausweg sehen. Es gibt einige nationale und internationale NROs die sich um die Belange von Frauen, die als Prostituierte arbeiten, kümmern. Durch sie wurde auch ein Netzwerk von Ansprechpartnern in diversen Polizeidienststellen geschaffen, an welche sich betroffene Frauen bei Problemen wenden können. [...]

Quelle:

- AA - Auswärtiges Amt (Deutschland): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Côte d'Ivoire (Stand: Juni 2019), 29. Juli 2019

https://www.ecoi.net/en/file/local/2014282/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_C%C3%B4te_d_Ivoire_%28Stand_Juni_2019%29%2C_29.07.2019.pdf

(Zugriff am 16. April 2020)

Herangezogen werden auch die von der Beschwerdeführerin zur Verfügung gestellten Berichte und die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, die in Übereinstimmung mit den oben zitierten Quellen von Verschleppung von ivorischen Frauen zum Zwecke der Prostitution und Heirat in Europa und unzureichender Umsetzung von Opferschutz bei Rückkehr für Opfer von Menschenhandel berichten.

Quellen:

- ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zur Elfenbeinküste: Frauenhandel (Zwangsheirat, Schutz, Re-Trafficking); Schutz vor Bestrafung durch Familie nach aktiver Trennung vom Ehemann, Lage von Frauen in Trennung [a-11104], 18. Oktober 2019

- CEDAW - UN Committee on the Elimination of Discrimination Against Women: Concluding observations on the fourth periodic report of Cote d'Ivoire [CEDAW/C/CIV/CO/4], 30. Juli 2019

https://www.ecoi.net/en/file/local/2014962/N1923704.pdf (Zugriff am 16. April 2020)

2. Beweiswürdigung:

Die erkennende Einzelrichterin des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Asyl und Fremdenwesen (BFA) und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) und der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt.

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität und Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin getroffen wurden, beruhen diese auf der Vorlage eines ivorischen Reisepasses, gültig bis 19.04.2022 und den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen auch in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde. Die Feststellung bezüglich der strafgerichtlichen Unbescholtenheit entspricht dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes durch Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich.

Die Feststellungen zum Fluchtvorbringen ergeben sich aus den Angaben in den Einvernahmen durch die belangte Behörde am 16.07.2018, 28.01.2019, 06.03.2019 und am 06.05.2019 sowie der Zeugenvernehmungen vom 24.09.2018 und 30.10.2018 im Verfahren wegen Verdachts des Menschenhandels zum Nachteil der Beschwerdeführerin.

Die belangte Behörde schenkte dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, dass diese Opfer von Menschenhandel wurde, Glauben und stellte im angefochtenen Bescheid auf Seiten 54 bzw. 56 (im Rahmen der Beweiswürdigung) fest: "An dieser Stelle wird ausgeführt, dass das Bundesamt vor dem Hintergrund der niederschriftlichen Zeugenvernehmung vor der Landespolizeidirektion Wien und der Stellungnahme der Landespolizeidirektion Wien vom 20.12.2018 davon ausgeht, dass Sie Opfer von Frauenhandelt geworden sind." und "Sie konnten schlüssig und nachvollziehbar darlegen, dass Sie Opfer von Frauenhandel wurden und leiden aufgrund körperlicher und sexueller Gewalterfahrungen unter depressiver Verstimmung, großen Ängsten und massiven Schlafstörungen, weshalb Sie sowohl fachärztlich psychiatrisch und psychotherapeutische, als auch medikamentöse Behandlung benötigen." Es ist daher im gegenständlichen Verfahren unbestritten, dass die Beschwerdeführerin Opfer von Menschenhandel wurde und ergeben sich die gesundheitlichen Leiden als Folge daraus und den zahlreichen, im Verwaltungsakt einliegenden, ärztlichen und psychotherapeutischen Befunden.

Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr in die Elfenbeinküste in Gefahr wäre, wieder Opfer von Menschenhandel zu werden bzw. dem Mann wieder zu begegnen, der sie unter Vorspiegelung falscher Tatsachen nach Europa lockte, ergibt sich aus den schlüssigen Darstellungen der Beschwerdeführerin in Zusammenschau mit den festgestellten Lageberichten im Herkunftsstaat.

Die belangte Behörde verneint eine Existenzgrundlage im Herkunftsstaat aufgrund allgemeiner Diskriminierung von Frauen im Zugang zu Beschäftigung, Krediten und bezüglich des Besitzes und Führen von Geschäften. Aufgrund der Trennung vom Exmann und der damit verbundenen Ächtung durch die Mutter und besonders eines Bruders stellte die belangte Behörde auch das Fehlen eines sozialen Netzwerkes fest. In Zusammenschau mit den psychischen Problemen und dem Behandlungsbedarf geht die belangte Behörde davon aus, dass der Beschwerdeführerin das Sichern einer Existenz nicht möglich ist.

Als mögliche asylrelevante Bedrohung prüft die belangte Behörde lediglich das Vorbringen hinsichtlich einer Verfolgung durch einen Bruder, der die Obsorge über ihren Sohn hat und sie mehrmals auch körperlich angegriffen hat. Die belangte Behörde geht diesbezüglich zutreffend von einer Privatverfolgung aus und nimmt in dieser Angelegenheit die Schutzwilligkeit und -fähigkeit der ivorischen Polizeibehörden gegen Übergriffe Dritter an.

Die erkennende Richterin kommt aufgrund der übereinstimmenden Berichte im Länderinformationsblatt, dem Deutschen Auswärtigen Amt und den von der Beschwerdeführerin vorgelegten Situationsberichten zur Ansicht, dass die Beschwerdeführerin glaubhaft eine Wahrscheinlichkeit des Re-Traffickings vorgebracht hat. Zum einen ist nachvollziehbar, dass sie der Franzose in ihrem Herkunftsstaat leicht ausfindig machen kann, zumal er sie in ihrem Heimatort in einer Apotheke kennengelernt hat und mit ihr eine "Scheinbeziehung" geführt hat. Die Beschwerdeführerin konnte auch glaubhaft darlegen, dass der "Käufer" in Österreich Bilder von ihren Kindern im Herkunftsstaat von diesem Mann bekommen hat und sie durch Drohungen, dass der Franzose den Kindern etwas antun wird, gefügig machte. Schon aus diesen Gründen ist es als wahrscheinlich anzunehmen, dass sie in der Elfenbeinküste wieder unter Verwendung des Druckmittels der Kinder zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung in die Hände des Menschenhändlers fallen könnte, der über ihr Privat- und Familienleben im Herkunftsstaat weitgehend informiert ist.

Dass die staatlichen Behörden ihr davor nicht den erforderlichen Schutz bieten können oder wollen, ergibt sich aus den oben zitierten Berichten. Es wird einheitlich festgehalten und kritisiert, dass die Elfenbeinküste ein Herkunfts-, Transit- und Zielland für Menschenhandel von Frauen und Kinder in Zwangs- und Sexarbeit ist und trotz der Einrichtung eines Ausschusses zur Bekämpfung von Menschenhandel und zahlreichen Bemühungen der Regierung, die Mindeststandards zur Beseitigung des Menschenhandels von Côte d'Ivoire nicht eingehalten werden. Eine Hilfestellung durch Polizeibehörden kann nicht als erfolgsversprechend angenommen werden, da es bei Strafverfolgung und Verurteilung von Menschenhandel oft an finanzieller, personeller und materieller Ressourcen fehlt.

Es wird nicht verkannt, dass es Anlaufstellen ("Cliniques Juridiques") gibt, in denen Opfer sexueller Gewalt kostenlos Rechtsberatung erhalten können. Angesichts der Tatsache, dass es im ganzen Land aber nur ein Frauenhaus gibt, sexuell motivierte Übergriffe oft nur als Bagatelldelikte eingestuft werden und eine Strafverfolgung nicht gesichert ist, kann nicht von Schutzfähigkeit des Staates ausgegangen werden.

Zu den Länderfeststellungen:

Zu den zur Feststellung der asylrelevanten Lage im Herkunftsstaat ausgewählten Quellen im angefochtenen Bescheid wird angeführt, dass es sich hierbei um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen, sowohl staatlichen als auch nicht-staatlichen Ursprungs handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten, von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen, diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um kritische Sachverhalte geht, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteinahme unterstellt werden kann. Zudem werden auch Quellen verschiedener Menschenrechtsorganisationen herangezogen, welche oftmals das gegenteilige Verhalten aufweisen und so gemeinsam mit den staatlich-diplomatischen Quellen ein abgerundetes Bild ergeben. Bei Berücksichtigung dieser Überlegungen hinsichtlich des Inhaltes der Quellen, ihrer Natur und der Intention der Verfasser handelt es sich nach Ansicht der erkennenden Richterin bei den Feststellungen im angefochtenen Bescheid um ausreichend ausgewogenes und aktuelles Material (vgl. VwGH 07.06.2000, Zl. 99/01/0210).

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Trotz der verstrichenen Zeit zwischen der Erlassung des bekämpften Bescheides und der vorliegenden Entscheidung ergeben sich keine entscheidungswesentlichen Änderungen zu den im bekämpften Bescheid getroffenen Länderfeststellungen. Die von der Beschwerdeführerin außerdem ins Verfahren eingebrachten Berichte stehen nicht im Widerspruch zum zitierten Länderinformationsblatt und gehen im Speziellen auf die Problematik des Menschen- bzw. Frauenhandels im Herkunftsstaat ein.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

Zur Nichtgewährung des Status der Asylberechtigten:

Unter "Menschenhandel" ist im Sinne des Art. 2 Abs. 1 S. 2 der Richtlinie 2011/36/EU "die Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder Aufnahme von Personen, einschließlich der Übergabe oder Übernahme der Kontrolle über diese Personen, durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt oder anderer Formen der Nötigung, durch Entführung, Betrug, Täuschung, Missbrauch von Macht oder Ausnutzung besonderer Schutzbedürftigkeit oder durch Gewährung oder Entgegennahme von Zahlungen oder Vorteilen zur Erlangung des Einverständnisses einer Person, die die Kontrolle über die andere Person hat, zum Zwecke der Ausbeutung" zu verstehen.

Ausbeutung im Sinne der genannten Richtlinie umfasst mindestens die Ausnutzung der Prostitution anderer oder andere Formen sexueller Ausbeutung sowie Zwangsarbeit oder erzwungene Dienstleistungen (einschließlich Betteltätigkeiten, Sklaverei oder sklavereiähnliche Praktiken, Leibeigenschaft oder die Ausnutzung strafbarer Handlungen oder die Organentnahme). Ausbeutung liegt vor, sobald eine Person genötigt wird (unter Androhung oder Anwendung von Gewalt, Entführung, Betrug, Täuschung usw.), wobei es keine Rolle spielt, dass das Opfer seine Zustimmung gegeben hat.

Die Beschwerdeführerin hat glaubhaft dargelegt, dass es sich bei ihr um ein Opfer von Frauenhandel handelt und wurde dies auch nicht von der belangten Behörde angezweifelt, sondern wurde ihr vielmehr deswegen subsidiärer Schutz zuerkannt. Die Beschwerdeführerin wurde das Opfer organisierten Menschenhandels zum Zwecke sexueller Ausbeutung.

In der rechtlichen Würdigung des angefochtenen Bescheides wurde eine Asylrelevanz des Vorbringens verneint, da kein Konnex zu einem Fluchtgrund der Genfer Flüchtlingskonvention bestehe. Geprüft wurde stattdessen eine mögliche Bedrohung durch einen Bruder der Beschwerdeführerin.

Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich der rechtlichen Beurteilung im Ergebnis an.

Diesbezüglich werden nachstehende Erwägungen getroffen:

Es kann auch für die Elfenbeinküste - die den Länderberichten zu Folge ein Herkunftsland für Menschenhandels zu Zwecken der sexuellen Ausbeutung ist - nicht festgestellt werden, dass Frauen und Mädchen generell dem Risiko unterliegen, Opfer von Frauenhandel zu werden. Es kann ebenfalls nicht generell davon ausgegangen werden, dass ein Opfer von Frauenhandel, das in die Elfenbeinküste zurückkehrt, automatisch einer Verfolgung der Menschenhändler unterliegt, welche sie ursprünglich nach Europa verbracht hatten. Im Falle der Beschwerdeführerin kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie mit einer Vergeltung zu rechnen hätte, da der Menschenhändler über ihren Wohnort und die familiäre Situation Bescheid weiß.

Unabhängig davon stellt sich aber die rechtliche Frage, ob die Beschwerdeführerin überhaupt als Mitglied einer bestimmten sozialen Gruppe ("in die Elfenbeinküste zurückkehrende Frauen, die Opfer von Menschenhandel geworden sind und die sich hiervon befreit haben") angesehen werden kann.

Bei dem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Asylgrund der "Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe" handelt es sich um einen Auffangtatbestand, der sich in weiten Bereichen mit den Gründen "Rasse, Religion und Nationalität" überschneidet, jedoch weiter gefasst ist als diese. Unter Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe wird eine - nicht sachlich gerechtfertigte - Repression verstanden, die nur Personen trifft, die sich durch ein gemeinsames soziales Merkmal auszeichnen, die also nicht verfolgt würden, wenn sie dieses Merkmal nicht hätten (vgl. VwGH 20.10.1999, 99/01/0197; 26.6.2007, 2007/01/0479).

Damit das Vorliegen einer "sozialen Gruppe" im Sinne dieser Bestimmung festgestellt werden kann, müssen nach der Rechtsprechung des EuGH zwei kumulative Voraussetzungen erfüllt sein. Zum einen müssen die Mitglieder der Gruppe "angeborene Merkmale" oder einen "Hintergrund, der nicht verändert werden kann", gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, "die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten". Zum anderen muss diese Gruppe in dem betreffenden Drittland eine deutlich abgegrenzte Identität haben, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird (EuGH 7.11.2013, X u. a., C-199/12 bis C-201/12, Rn. 45; 25.1.2018, F., C-473/16, Rn. 30; 4.10.2018, Ahmedbekova, C-652/16, Rn. 89; vgl. auch VwGH 22.3.2017, Ra 2016/19/0350). Die Beurteilung des Vorliegens einer Verfolgung aus dem Konventionsgrund der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe erfordert daher sowohl Feststellungen zu den Merkmalen und zur abgegrenzten Identität dieser Gruppe als auch zum kausalen Zusammenhang mit der Verfolgung (vgl. VwGH 22.3.2017, Ra 2016/19/0350, Rn. 17).

Selbst wenn man davon ausgeht, dass ivorische Opfer von Frauenhandel durch ihre sexuelle Ausbeutung einen gemeinsamen "Hintergrund, der nicht verändert werden kann" haben, stellt sich die Frage, ob auch das zweite Kriterium der sozialen Gruppe, die "deutlich abgegrenzte Identität, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird", erfüllt ist.

Der Umstand, dass (ehemaligen) Opfern von Kriminalität wie Menschenhandel die Gefahr droht, dass sie von den (nichtstaatlichen) Tätern weiterhin oder neuerlich zum Opfer gemacht werden, reicht nicht aus, um ihnen im Herkunftsland eine deutlich abgegrenzte Identität zu verschaffen, aufgrund derer sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet werden (VwGH, 11.12.2019, Ra 2019/20/0295). Nach herrschender Auffassung kann eine soziale Gruppe nämlich nicht ausschließlich dadurch definiert werden, dass sie Zielscheibe von Verfolgung ist (vgl. VwGH 26.6.2007, 2007/01/0479, mit Hinweisen u. a. auf die UNHCR-Richtlinie zum Internationalen Schutz: "Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe" vom 7. Mai 2002; 29.6.2015, Ra 2015/01/0067).

Aufgrund der wiedergegebenen Berichte zur Lage in der Elfenbeinküste steht fest, dass ivorische Frauen, generell Diskriminierung in den unterschiedlichsten Lebenslagen erfahren und die dazu geschaffenen Gesetze nicht wirksam umgesetzt werden. Im Speziellen ist sexuelle Gewalt ein landesweites Problem, Vergewaltigung steht zwar unter Strafe, doch werden Opfer von ihren Verwandten und der Polizei häufig ignoriert. Fest steht auch, dass die Elfenbeinküste ein Herkunfts-, Transit- und Zielland für Menschenhandel von Frauen und Kinder in Zwangs- und Sexarbeit ist. Mindeststandards zur Beseitigung des Menschenhandels von Côte d'Ivoire werden nicht eingehalten. Bei Strafverfolgung und Verurteilung von Menschenhandel fehlt es oft an finanzieller, personeller und materieller Ressourcen, sie ist aber nicht unmöglich. Die Elfenbeinküste bemüht sich, im Bereich des Strafrechts Verbesserungen bei der Verfolgung von Handlungen gegen Frauen, Minderjährige und vulnerable Gruppen sowie von Folter zu erreichen und wurde im Juni 2019 ein Gesetzesentwurf eingebracht. Es ergeben sich aus den Lageberichten keine Hinweise darauf, dass eine aus Europa zurückkehrende Frau, die Opfer von Menschenhandel wurde, allein aufgrund dieser Tatsache anders behandelt wird, als eine ivorische Frau, die das Land beispielsweise nicht verlassen hat oder Opfer sexueller Gewalt in der Elfenbeinküste wurde.

Eine deutlich abgegrenzte Identität (im Sinne davon, dass sie von der Gesellschaft als andersartig betrachtet werden) aller in die Elfenbeinküste zurückkehrenden Frauen, die Opfer von Menschenhandel waren und sich davon befreit haben, kann daher nicht angenommen werden.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (vgl. VwGH, 28.01.2015, Ra 2014/18/0112, mwN).

Da aufgrund der obigen Ausführungen kein Konventionsgrund nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegt, erübrigt sich die weitere Prüfung der möglichen Verfolgung druch den Menschenhändler als Privatperson und der Schutzfähigkeit im konkreten Fall.

Aus diesen Gründen ist festzustellen, dass der Beschwerdeführerin im Herkunftsstaat Elfenbeinküste keine Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe) droht und die Beschwerde, die sich ausschließlich gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides richtet, abzuweisen ist.

Da sich die Beschwerde lediglich gegen Spruchpunkt I des bekämpften Bescheides richtet und Spruchpunkt II. und III., mit denen der Beschwerdeführerin der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 19.07.2020 erteilt wurde, ausdrücklich unbekämpft belassen wurden, war die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

4. Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung

Gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.

Eine mündliche Verhandlung kann unterbleiben, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungsrelevante Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Ferner muss die Verwaltungsbehörde die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht diese tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung in seiner Entscheidung teilen. Auch darf im Rahmen der Beschwerde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht zu bleiben hat, wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (VwGH 28.05.2014, 2014/20/0017). Eine mündliche Verhandlung ist bei konkretem sachverhaltsbezogenem Vorbringen des Revisionswerbers vor dem VwG durchzuführen (VwGH 30.06.2015, Ra 2015/06/0050, mwN). Eine mündliche Verhandlung ist ebenfalls durchzuführen zur mündlichen Erörterung von nach der Aktenlage strittigen Rechtsfragen zwischen den Parteien und dem Gericht (VwGH 30.09.2015, Ra 2015/06/0007, mwN) sowie auch vor einer ergänzenden Beweiswürdigung durch das VwG (VwGH 16.02.2017, Ra 2016/05/0038). § 21 Abs 7 BFA-VG 2014 erlaubt andererseits das Unterbleiben einer Verhandlung, wenn - wie im vorliegenden Fall - deren Durchführung in der Beschwerde ausdrücklich beantragt wurde, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint (VwGH 23.11.2016, Ra 2016/04/0085; 22.01.2015, Ra 2014/21/0052 ua). Diese Regelung steht im Einklang mit Art 47 Abs 2 GRC (VwGH 25.02.2016, Ra 2016/21/0022).

Die vom Verwaltungsgerichtshof entwickelten Kriterien sind im vorliegenden Fall erfüllt: Die belangte Behörde hat im vorliegenden Verfahren den Sachverhalt in einem ordnungsgemäßen Verfahren erhoben. Dass die Beschwerdeführerin Opfer von Menschenhandel und für den Fall ihrer Rückkehr in die Elfenbeinküste einer Bedrohung ausgesetzt ist, wurde auch von der belangten Behörde festgestellt. Zu prüfen war nur mehr die Asylrelevanz dieses festgestellten Sachverhaltes, wobei es sich dabei um eine Rechtsfrage handelt und sich das Bundesverwaltungsgericht auf die höchstgerichtliche Rechtsprechung stützen konnte.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte sohin gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben.

Zu B) Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig, weil die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, nämlich ob in die Elfenbeinküste zurückkehrende Frauen, die Opfer von Menschenhandel geworden sind und die sich hiervon befreit haben, als bestimmte soziale Gruppe im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen sind.

Die erkennende Richterin war bislang aufgrund der folgenden Erwägungen davon ausgegangen, dass dies der Fall ist:

1) UNHCR vertritt die Auffassung, dass eine bestimmte soziale Gruppe eine Gruppe von Personen ist, "die neben ihrem Verfolgungsrisiko ein weiteres gemeinsames Merkmal aufweist oder von der Gesellschaft als eine Gruppe wahrgenommen werden. Das Merkmal wird oft angeboren, unabänderlich oder in anderer Hinsicht prägend für die Identität, das Bewusstsein oder die Ausübung der Menschenrechte sein" (UNHCR, Richtlinien zum Internationalen Schutz Nr. 2, 07.05.2002, UN Doc HCR/GIP/02/02 Rn. 11).

In den UNHCR-Richtlinien zum Internationalen Schutz Nr. 7 vom 07.04.2006: "Anwendung des Artikels 1 A (2) des Abkommens von 1951 bzw. des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge auf die Opfer von Menschenhandel und entsprechend gefährdete Personen wird zur Frage der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ausgeführt: "Frühere Opfer von Menschenhandel können auch als eine bestimmte soziale Gruppe angesehen werden, basierend auf dem unabänderlichen, gemeinsamen und in der Vergangenheit begründeten Merkmal, Opfer von Menschenhandel geworden zu sein. Abhängig vom Kontext kann eine Gesellschaft auch Opfer von Menschenhandel als eine abgegrenzte Gruppe innerhalb der Gesellschaft ansehen. Bestimmte soziale Gruppen können jedoch nicht ausschließlich über die von den Mitgliedern dieser Gruppen erlittene Verfolgung oder die gemeinsame Angst vor Verfolgung definiert werden. Es sollte daher angemerkt werden, dass in solchen Fällen die vergangene Erfahrung des Menschenhandels eines der die Gruppe definierenden Elemente ist, nicht die zukünftige Verfolgung, die nun in Form von Ächtung, Bestrafung, Vergeltungsmaßnahmen und des erneuten Menschenhandels befürchtet wird." (Rn. 39).

2) Allerdings ist zu betonen, dass nach der StatusRL bzw. deren Auslegung durch den EuGH beide Kriterien vorliegen müssen:

Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe d der Richtlinie 2011/95/EU (StatusRL) lautet:

Eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn

- die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und

- die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird.

(...)

Nach der Definition der StatusRL gilt eine Gruppe daher insbesondere als eine "bestimmte soziale Gruppe", wenn (im Gegensatz zur UNHCR-Definition) zwei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind. Zum einen müssen die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten. Zum anderen muss diese Gruppe in dem betreffenden Drittland eine deutlich abgegrenzte Identität haben, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird (siehe dazu Gachowetz/Schmidt/Simma/Urban, Asyl- und Fremdenrecht im Rahmen der Zuständigkeit des BFA (2017) 157; EuGH, 07.11.2013, verbundene Rechtssachen C-199/12 bis C-201/12, X, Y und Z; darauf aufbauend VwGH, 22.03.2017, Ra 2016/19/0350).

3) In anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union wurde Opfern von Menschenhandel dennoch wiederholt der Flüchtlingsstatus zuerkannt und dies mit ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe begründet:

- Mit Urteil des Französischen Asylgerichtshofes vom 24.03.2015, Mlle EF, Nr. 10012810 wurde auf Basis einer Entscheidung des Staatsrates (Conseil d'Etat, Section, 25.07.2013, OFPRA, Nr. 350661) in Bezug auf eine nigerianische Asylwerberin festgestellt, dass Opfer von Menschenhandel zu Zwecken der sexuellen Ausbeutung in Nigeria nicht nur von dem Zuhälterring, von dem sie bedroht werden, sondern auch von der sie umgebenden Gesellschaft oder von Institutionen als Personen mit einer bestimmten Identität wahrgenommen werden.

- Das United Kingdom - Upper Tribunal stellte in einem Urteil vom 08.04.2010, (AZ (Trafficked Women) Thailand CG (2010) UKUT 118 (IAC), Rn. 140 unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des House of Lords vom 10.03.2005, In re B Regina/Special Adjudicator, ex parte Hoxha (2005) UKHL 19, Rn. 37 per Baroness Hale of Richmond) fest: "Wir sind jedoch der Meinung, dass die Rechtsmittelführerin zu einer enger gefassten sozialen Gruppe gehört, namentlich der "jungen Frauen, die Opfer von Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung geworden sind". Wir beabsichtigen nicht, eine bestimmte Altersgruppe zu definieren, aber als eine Frau, die zu dem Zeitpunkt, zu dem sie Opfer von Menschenhandel wurde, Anfang zwanzig war, kann die Rechtsmittelführerin eindeutig als jung beschrieben werden. Wir (...) sind der Auffassung, dass Frauen, die in der Vergangenheit Opfer sexueller Gewalt geworden sind, durch ein unveränderliches Merkmal verbunden sind, das unabhängig von ihrer gegenwärtigen Misshandlung und zugleich deren Ursache ist, (...) und zweifelsohne eine bestimmte soziale Gruppe im Sinne der Konvention darstellen können." (zitiert nach EASO, Voraussetzungen für die Zuerkennung internationalen Schutzes (2018) 60)

- Zuletzt kam das United Kingdom - Upper Tribunal in einem Urteil vom 06.09.2018 (abrufbar unter EDAL: https://www.asylumlawdatabase.eu/en/content/united-kingdom---upper-tribunal-delivers-ruling-international-protection-status) in Bezug auf ein albanisches Opfer von Menschenhandel ebenfalls zum Ergebnis, dass eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe vorliege.

- In Deutschland vertreten die meisten Verwaltungsgerichte die Rechtsmeinung, dass nach Nigeria zurückkehrende Frauen, die Opfer von Menschenhandel geworden sind und sich hiervon befreit haben, eine soziale Gruppe im Sinne des § 3b Abs. 1 Nr. 4 (deutsches) AsylG darstellen (vgl. VG Würzburg, Urteil vom 21.12.2018 - W 10 K 18.31682, sowie VG Regensburg, Urteil vom 19.10.2016 - RN 5 K 16.30603; VG Würzburg, Urteil vom 17.11.2015 - W 2 K 14.30213; VG Stuttgart, Urteil vom 16.05.2014 - A 7 K 1405/12 und VG Wiesbaden, Urteil vom 14.03.2011 - 3 K 1465/09.WI.A). Zur Prostitution gezwungene Frauen stellten aufgrund ihres gemeinsamen und nicht veränderbaren Hintergrunds, Opfer von Menschenhandel geworden zu sein, eine bestimmte soziale Gruppe dar. Es fehle auch nicht an einer Wahrnehmung der betroffenen Frauen als abgrenzbare Gruppe durch die sie umgebende Gesellschaft. Entscheidend sei hierbei die Betrachtung der Gruppe als gesellschaftlicher Fremdkörper. Dies sei im Falle der zur Zwangsprostitution und nach Nigeria zurückkehrenden Frauen anzunehmen, da rückgeführte Opfer Diskriminierungen durch die Familie und das soziale Umfeld sowie Vergeltungsmaßnahmen durch die Menschenhändlerorganisationen ausgesetzt seien (vgl. VG Wiesbaden, Urteil vom 14.3.2011 - 3 K 1465/09.WI.A).

- Ebenso wurde in der "Richterlichen Analyse" von EASO zu "Voraussetzungen für die Zuerkennung internationalen Schutzes (Richtlinie 2011/95/EU)" aus dem Jahr 2018 festgestellt: "Was die Opfer von Menschenhandel betrifft, so ist es möglich, dass ihre Merkmale, d.h. die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die Diskriminierung ausgesetzt war, die gemeinsame Erfahrung als Opfer von Menschenhandel ("ein gemeinsamer Hintergrund, der nicht verändert werden kann") und die anschließende Stigmatisierung und Ausgrenzung durch die Gesellschaft (d.h. die Betroffenen werden "als andersartig betrachtet") jede der beiden in Artikel 10 Abs. 1 Buchstabe d genannten Varianten entsprechen."

4) In seiner Entscheidung vom 31.01.2002, Zl. 99/20/0497 (die allerdings vor Erlassung der StatusRL erging) legte der Verwaltungsgerichtshof in Bezug auf eine nigerianische Asylwerberin, die in Italien zur Prostitution gezwungen worden war, dar, dass Fälle wie der vorliegende jedenfalls im Spannungsfeld zwischen Verfolgung wegen des Geschlechtes oder allenfalls der Zugehörigkeit zur Familie des Verfolgers jeweils unter dem Gesichtspunkt der "sozialen Gruppe" einerseits und rein kriminellen, keinem Konventionsgrund zuordenbaren Bedrohungen andererseits stehen würden und die damit verbundenen Fragen strittig (und der Antrag auf internationalen Schutz damit jedenfalls nicht "offensichtlich unbegründet") seien.

5) Die erkennende Richterin war aufgrund der soeben dargelegten Erwägungen bislang davon ausgegangen, dass in ihr Herkunftsland, im vorliegenden Fall die Elfenbeinküste, zurückkehrende Frauen, die Opfer von Menschenhandel geworden sind und die sich hiervon befreit haben, auch "eine deutlich abgegrenzte Identität haben, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet werden." So hatte etwa der EGMR von einer Stigmatisierung jener Frauen, die von Europa nach Nigeria abgeschoben werden, gesprochen (EGMR, V.F. gegen Frankreich (Nr. 7196/10) vom 19.11.2011); das Schweizer Bundesverwaltungsgericht hatte in einem Urteil vom 18.07.2016, D-6806/2013, betont, dass Zwangsprostituierte, die ohne Geld und/oder krank aus Europa nach Nigeria zurückkehren, von ihren Familien häufig abgelehnt und wieder in die Prostitution gezwungen werden; sie seien auch einem höheren Gewaltrisiko ausgesetzt.

Im gegenständlichen Fall ist eine Vergeltung durch die Menschenhändler nicht auszuschließen bzw. die Gefahr eines Re-Traffickings für die Beschwerdeführerin klar gegeben.

6) Allerdings gibt es auch Argumente, die gegen eine deutlich abgegrenzte Identität dieser Frauen sprechen, etwa der Umstand, dass sie unterschiedlich behandelt werden, je nachdem, ob sie vermögend/arm oder verheiratet/alleine oder in einen wohlwollenden Familienverband/in keinen bzw. keinen wohlwollenden Familienverband nach Nigeria zurückkehren.

Zudem wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 11.12.2019, Ra 2019/20/0295 in Bezug auf ein nach Ghana zurückkehrendes Opfer von Menschenhandel darauf verwiesen, dass das Bundesverwaltungsgericht nicht nachvollziehbar dargelegt habe, wodurch bzw. dass den Opfern von Menschenhandel in Ghana eine deutlich abgegrenzte Identität zukomme, aufgrund derer sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet werden.

Insbesondere aufgrund dieses Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 11.12.2019, Ra 2019/20/0295 sieht sich die erkennende Richterin dazu veranlasst, auch im vorliegendem Fall in der Beschwerdeführerin als einem Opfer von Menschenhandel keine deutlich abgegrenzte Identität und damit keine Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe zu sehen. Nachdem sich der damalige Anlassfall aber auf Ghana bezog und somit eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob auch in andere Länder zurückkehrende Frauen, die Opfer von Menschenhandel geworden sind und die sich hiervon befreit haben, als bestimmte soziale Gruppe im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen sind, fehlt, wurde im gegenständlichen Fall die ordentliche Revision zugelassen.

Schlagworte

Asylantragstellung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren begründete Furcht vor Verfolgung Diskriminierung Fluchtgründe Frauenhandel Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit Menschenhandel private Verfolgung soziale Gruppe Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete Furcht Zwangsarbeit Zwangsprostitution

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I412.2222942.1.00

Im RIS seit

08.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

08.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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