Entscheidungsdatum
02.06.2020Norm
AsylG 2005 §2 Abs1 Z22Spruch
W254 2230391-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr.in Tatjana CARDONA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Syrien, vertreten durch die XXXX , gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.02.2020, Zl. XXXX , zu Recht:
A) Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
1. Verfahrensgang
1.1. Die Beschwerdeführerin (im Folgenden kurz "BF" genannt) stellte erstmalig am XXXX 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.
1.2. Ohne in die Sache einzutreten wies die belangte Behörde mit Bescheid vom 06.03.2017 den Antrag als unzulässig zurück und sprach aus, dass Italien zur Prüfung des Antrages zuständig sei.
1.3. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.04.2017, GZ XXXX , als unbegründet abgewiesen.
1.4. Am XXXX heiratete die BF in Dänemark den in Österreich seit dem Jahr 2014 asylberechtigten XXXX .
1.5. Mit Bescheid vom 22.10.2018 wurde der Antrag der BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck Rot-Weiß-Rot-Karte plus vom Amt der XXXX Landesregierung abgewiesen.
1.6. Am XXXX brachte die BF ihren Sohn, XXXX , in Österreich zur Welt. Der Vater ist der Ehemann der BF.
1.7. Die BF stellte am XXXX 2019 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
1.8. Am XXXX 2019 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung der BF statt, bei der sie angab, am XXXX in XXXX , Syrien geboren zu sein, verheiratet, der Volksgruppe der Kurden anzugehören und sunnitische Muslimin zu sein. Als Muttersprache führte sie Kurmanji an, welche sie in Wort und Schrift beherrsche. Sie habe für zehn Jahre eine Grundschule in XXXX besucht und in Dänemark eine Ausbildung zur Kindergartenpädagogin begonnen. Ihr Ehemann, ihr Sohn und zwei Brüder seien in Österreich aufenthaltsberechtigt. Ihre Mutter, ihre Schwester und ein weiterer Bruder seien in Dänemark aufhältig. Zu ihrem Fluchtgrund befragt, gab die BF an, dass in ihrem Land bis heute Krieg herrsche. Der IS habe Leute entführt und getötet. Da ihr Bruder in den Krieg hätte ziehen müssen, hätten sie alle Syrien verlassen, um nach Dänemark zu gehen. Jetzt sei sie in Österreich eingereist, da hier ihr Mann und ihr Sohn leben würden.
1.9. Am 15.01.2020 wurde die BF vor der belangten Behörde im Asylverfahren niederschriftlich in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Arabisch einvernommen. Darin gab sie ua. an, dass sie sowohl Arabisch als auch Kurdisch in Wort und Schrift beherrsche. Als Geburtsort gab sie nunmehr XXXX an. Unter einem legte sie ua. ihre Heiratsurkunde, ihr syrisches Familienblatt und das syrische Personalblatt vor. Nach der ablehnenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes sei sie gemeinsam mit ihrem Bruder, ihrer Mutter und ihrem mittlerweile verstorbenen Vater über die Familienzusammenführung nach Dänemark ausgereist, wo sie eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten habe. Sie sei im XXXX 2018 nach Österreich gekommen, um mit ihrem Mann und ihren Sohn zu leben. In Syrien würden keine nahen Angehörigen, sondern nur mehr entfernte Verwandte leben.
Zu ihrem Fluchtgrund befragt, führte die BF erneut aus, dass sie mit ihrem Mann und ihrem Sohn zusammenleben möchte. In Österreich würden die Rechte der Menschen gewahrt werden. Sie selbst sei nie verfolgt worden und habe auch nie Probleme mit syrischen Behörden gehabt. Ihre Brüder hätten Probleme wegen des Wehrdienstes bekommen. In ihrem Wohngebiet seien die Kurden unterdrückt worden.
1.10. Mit dem im Kopf angeführten Bescheid wurde der Antrag der BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.) und ihr der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) sowie eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum XXXX 2021 erteilt (Spruchpunkt III.).
Begründend wurde dabei im Wesentlichen ausgeführt, dass die BF keine asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen konnte.
1.11. Gegen Spruchpunkt I. des oben genannten Bescheides richtet sich die im Wege ihrer Rechtsvertretung erhobene Beschwerde, welche fristgerecht bei der belangten Behörde am 18.03.2020 einlangte. Darin wird im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die belangte Behörde nicht mit einer möglichen geschlechtsspezifischen Verfolgung der BF auseinandergesetzt habe. Da die BF keine näheren Verwandte in Syrien mehr habe, hätte sich die belangte Behörde mit der Rückkehrsituation von alleinstehenden Frauen auseinandersetzen müssen. Auch die aktuelle ACCORD-Anfragebeantwortung vom 12.02.2020 zur Lage von alleinstehenden Frauen in Damaskus zeige ein katastrophales Bild. Die BF sei im Falle ihrer Rückkehr nach Syrien als alleinstehende Frau mangels familiären Schutzes einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt. Auch könne sie keinen ausreichenden Schutz vom syrischen Staat erwarten. Hinzu komme, dass die BF aufgrund ihrer Eigenschaft als Angehörige von mehreren Wehrdienstverweigern zu einer besonders gefährdeten Personengruppe zähle, wie aus einem Bericht von UNHCR hervorgehe.
Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
2. Feststellungen (Sachverhalt):
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens folgende Beweismittel der Beurteilung zugrunde gelegt:
- Der Akt der Behörde, insbesondere darin die Erstbefragung vor der Polizei, die niederschriftliche Einvernahme vor der belangten Behörde, der Bescheid und die dagegen erhobene Beschwerde,
- Sämtliche vorgelegte Beweismittel,
- Einsicht in die Datenbanken (Zentrales Melderegister, Grundversorgungs-Informationssystem, Strafregisterauskunft etc.).
2.1. Zur Person der BF und ihren Fluchtgründen:
Die BF führt den Namen XXXX und ist am XXXX in XXXX , Syrien geboren. Sie ist eine weibliche, volljährige, verheiratete, syrische Staatsbürgerin, sunnitische Muslimin und gehört der Volksgruppe der Kurden an. Sie hat für zehn Jahre eine Grundschule in Syrien besucht. Sie spricht Kurdisch und Arabisch. Ihre Identität steht fest.
Die BF stammt aus XXXX in der Provinz Al Hasaka. Das Herkunftsgebiet der BF steht derzeit unter Kontrolle der Kurden.
Die BF ist gemeinsam mit ihrer Familie aufgrund des Krieges im Jahr 2016 aus Syrien ausgereist und hat am XXXX 2016 erstmalig einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich gestellt. Mit Bescheid vom 06.03.2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag als unzulässig zurück und sprach aus, dass Italien zur Prüfung des Antrages zuständig ist. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.04.2017, GZ XXXX , als unbegründet abgewiesen. Danach ist sie nach Dänemark ausgereist.
Sie ist seit dem XXXX mit dem in Österreich seit dem Jahr 2014 asylberechtigen XXXX verheiratet. Sie hat mit ihm einen minderjährigen Sohn, XXXX , welcher am XXXX in Österreich geboren ist und abgeleitet von seinem Vater ebenfalls den Status eines Asylberechtigten innehat. Die BF und XXXX sind die Eltern des XXXX .
Die BF stellte am XXXX 2019 erneut in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Sie ist gesund und lebt als subsidiär Schutzberechtigte mit ihrem Mann und Sohn in Österreich.
Ihre Kernfamilie besteht aus ihrem Mann und ihrem Sohn. Daneben verfügt sich noch über zwei in Österreich asylberechtigte Brüder. Ihre Mutter, ihre Schwester und ein weiterer Bruder leben in Dänemark. Ihr Vater ist bereits verstorben. Ansonsten verfügt sie über lediglich entfernte Verwandte in Syrien.
Der BF droht in Syrien keine Verfolgung aufgrund ihrer ethnischen, religiösen, staatsbürgerlichen Zugehörigkeit oder der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe bzw. wegen ihrer politischen Gesinnung durch das syrische Regime bzw. den syrischen Staat bzw. durch den (jeweiligen) Machthaber im Herkunftsgebiet.
Zur maßgeblichen Situation in Syrien (nachfolgend Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Syrien, welche bereits im angefochtenen Bescheid festgestellt wurden):
Sicherheitslage
Die militärische Intervention Russlands und die damit einhergehende Luftunterstützung für Assads Streitkräfte sowie die erheblich ausgeweitete indirekte Bodenintervention des Iran in Form eines Einsatzes ausländischer Milizen konnten 2015 den Zusammenbruch des syrischen Regimes abwenden (KAS 4.12.2018a). Mitte des Jahres 2016 kontrollierte die syrische Regierung ca. ein Drittel des syrischen Staatsgebietes, inklusive der "wichtigsten" Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer lebt (Reuters 13.4.2016).
Am Beginn des Jahres 2019 sind noch drei größere Gebiete außerhalb der Kontrolle der syrischen Regierung: die Provinz Idlib und angrenzende Gebiete im Westen der Provinz Aleppo und Norden der Provinz Hama; die Gebiete im Norden und Osten Syriens, die unter Kontrolle der kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF) stehen; außerdem die Konfliktschutzzone (de-confliction zone) bei Tanf in Homs bzw. in der Nähe des Rukban Flüchtlingslagers (UNHRC 31.1.2019).
Trotz weitreichender militärischer Erfolge des syrischen Regimes und seiner Unterstützer sind Teile Syriens noch immer von Kampfhandlungen betroffen, allen voran die Provinzen Idlib, Teile Aleppos, Raqqas und Deir ez-Zours (AA 13.11.2018).
Laut UNMAS (United Nations Mine Action Service) sind 43% der besiedelten Gebiete Syriens mit Mienen und Fundmunition kontaminiert (AA 13.11.2018). Es kommt immer wieder zu Zwischenfällen mit derartigen Hinterlassenschaften des bewaffneten Konfliktes zum Beispiel im Osten der Stadt Aleppo, Ost-Ghouta und im Osten Hamas (DIS/DRC 2.2019).
Der sogenannte Islamische Staat (IS) kontrollierte im Sommer 2014 große Teile Syriens und des Irak (FAZ 10.3.2019). Ende März 2019 wurde mit Baghuz die letzte Bastion des IS von den oppositionellen "Syrian Democratic Forces" erobert. Der IS ist zwar zerschlagen, verfügt aber noch immer über militärische Einheiten, die sich in den Wüstengebieten Syriens und des Irak versteckt halten (DZO 24.3.2019). Schläferzellen des IS sind sowohl im Irak als auch in Syrien weiterhin aktiv (FAZ 10.3.2019). Gegenwärtig sollen im Untergrund mehr als 20.000 ISKämpfer auf eine Gelegenheit zur Rückkehr warten (FAZ 22.3.2019).
US-Präsident Donald Trump kündigte im Dezember 2018 an, alle 2.000 US-Soldaten aus Syrien abziehen zu wollen (Qantara 28.2.2019). Nachdem Trump Anfang Oktober 2019 erneut ankündigte, die US-amerikanischen Truppen aus der syrisch-türkischen Grenzregion abzuziehen, startete die Türkei am 9. Oktober 2019 eine Luft- und Bodenoffensive im Nordosten Syriens (CNN 11.10.2019). Durch den Abzug der US-Streitkräfte aus Nordsyrien und die türkische Offensive und damit einhergehende Schwächung der kurdischen Sicherheitskräfte wird ein Wiedererstarken des IS befürchtet (DS 13.10.2019, DS 17.10.2019).
Versöhnungsabkommen
Die sogenannten Versöhnungsabkommen sind Vereinbarungen, die ein Gebiet, das zuvor unter der Kontrolle einer oppositionellen Gruppierung stand, offiziell wieder unter die Kontrolle des Regimes bringen (BFA 8.2017). Der Abschluss der sogenannten "Reconciliation Agreements" folgt in der Regel einem Muster, das mit realer Versöhnung wenig gemeinsam hat (ÖB 7.2019). Die Regierung bietet, meist nach schwerem Beschuss oder Belagerung, ein Versöhnungsabkommen an, das an verschiedene Bedingungen geknüpft ist. Diese Bedingungen unterscheiden sich von Abkommen zu Abkommen (BFA 8.2017). Zivilisten bzw. Kämpfer können in den Gebieten bleiben oder jene, die sich nicht den Bedingungen der Vereinbarung unterwerfen wollen, können mit ihren Familien nach Idlib oder in andere von der Opposition kontrollierte Gebiete evakuiert werden (FIS 14.12.2018). Die übrigen Personen können 6 Monate lang eine Amnestie nutzen und können sich in dieser Zeit stellen, um den Militärdienst abzuleisten (AA 13.11.2018, FIS 14.12.2018). Die Wehrpflicht war bisher meist ein zentraler Bestandteil der Versöhnungsabkommen (AA 13.11.2018). Manche Vereinbarungen besagen, dass Männer nicht an die Front geschickt werden, sondern stattdessen bei der örtlichen Polizei eingesetzt werden, oder dass sich Personen verpflichten müssen, der Regierung z.B. für Spionage zur Verfügung zu stehen (BFA 8.2017).
Im Rahmen von Versöhnungsvereinbarungen gemachte Garantien der Regierung, gegenüber Individuen oder Gemeinschaften, werden jedoch nicht eingehalten (EIP 6.2019; vgl. AA 13.11.2018, FIS 14.12.2018). Glaubhafte Berichte von Organisationen aus zuletzt zurückeroberten Gebieten wie Dara'a im südlichen Syrien und Ost-Ghouta nahe Damaskus sprechen von Verhaftungen sowie Zwangsrekrutierungen ehemaliger Oppositionskämpfer binnen kurzer Zeit (AA 13.11.2018; vgl. ÖB 7.2019). Berichten zufolge sind Personen in Gebieten, die erst vor kurzer Zeit durch die Regierung wiedererobert wurden, aus Angst vor Repressalien oft zurückhaltend über die Situation in diesen Gebieten zu berichten (USDOS 13.3.2019).
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Nordwestsyrien
Die Provinz Idlib im Nordwesten Syriens ist seit den Anfängen des Konfliktes eine Oppositionshochburg. Im März 2015 übernahmen oppositionelle Gruppierungen die Kontrolle über die Provinz.
Anfang Januar 2019 drängte die Jihadistenallianz Hay'at Tahrir al-Sham (HTS) die protürkische National Liberation Front (NLF) zurück (DZO 8.3.2019) und übernahm die Kontrolle über die Provinz Idlib und die Randgebiete angrenzender Provinzen (DP 10.1.2019).
Im Mai 2017 wurde durch eine Vereinbarung zwischen Russland und Iran (als Verbündete des syrischen Regimes) einerseits, und der Türkei (als Unterstützer der Rebellen) andererseits, eine Deeskalationszone eingerichtet, die ganz Idlib sowie auch Teile der Provinzen Lattakia, Aleppo und Hama umfasste. Einheiten der syrischen Regierung führen jedoch trotz dieser Vereinbarung militärische Operationen in diesem Gebiet durch, und eroberten bis Mitte 2018 etwa die Hälfte dieser Deeskalationszone zurück (CRS 2.1.2019). Anfang September 2018 erfolgte eine neue Welle von Luftangriffen auf die Provinz Idlib. Russland und Iran bekräftigten ihre Absicht, gemeinsam mit der syrischen Regierung in Idlib anzugreifen. Die Türkei stellte sich dagegen (Presse 9.9.2018). Mitte September einigten sich die Türkei und Russland auf die Schaffung einer entmilitarisierten Zone in Idlib (Reuters 26.10.2018; vgl. UNHRC 31.1.2019). Es wurde verhandelt, dass diese 15 bis 20 Kilometer breit sein soll, schwere Waffen abgezogen werden und Kämpfer der radikal-islamistischen HTS die Zone verlassen sollen. Die Schaffung der Zone sollte bis Mitte Oktober abgeschlossen sein (ORF 18.9.2018). Die Türkei war mit der Sicherstellung des Abzugs der Rebellen und schwerer Waffen betraut (DW 9.10.2018; vgl. HRW 9.10.2018). So konnte die Vereinbarung zwischen Russland und der Türkei die befürchtete Regimeoffensive auf Idlib vorerst abwenden (IFK 10.2018; vgl. UNHRC 31.1.2019). Trotz anfänglicher Zurückhaltung konnte die Türkei bis Oktober 2018 den schrittweisen Abzug schwerer Waffen in die Wege leiten und erklärte die entmilitarisierte Zone für errichtet. Im November flammten jedoch die Konflikte zwischen regierungstreuen Einheiten und HTS wieder auf (UNHRC 31.1.2019).
Im Februar 2019 kam es zu erneuten Luftangriffen der syrischen Regierung im Großraum Idlib (ISW 7.3.2019) und im März 2019 erstmals seit September 2018 wieder zu russischen Luftangriffen auf die Provinz Idlib (DS 14.3.2019). Im Mai 2019 weiteten die russische Luftwaffe und syrische Regierungstruppen ihre Boden- und Luftangriffe auf Idlib und Nord-Hama massiv aus (DS 8.5.2019). Seit Beginn der Kämpfe bis Juni 2019 wurden laut Vereinten Nationen geschätzte 330.000 Personen vertrieben und etwa 2.000 Personen, darunter 532 Zivilisten, wurden auf beiden Seiten des Konfliktes getötet. Mehrere Gesundheitseinrichtungen wurden zum Ziel von Angriffen (TNYT 28.6.2019).
Auf Grund der erwähnten militärischen Auseinandersetzungen in und um Idlib ist die Sicherheitssituation im Nordwesten laut Auskunft der ÖB Damaskus sehr schwierig. In der Stadt Aleppo selbst hat sich die Sicherheitslage auf Grund des Spillover des Konfliktes in Idlib wieder verschlechtert; es kommt vermehrt zu Artilleriebeschuss, der den westlichen Teil der Stadt tangiert. Neben politisch motivierten Verhaftungen durch die HTS kommt es in den Regionen Idlib und Aleppo auch zu Entführungen mit Lösegeldforderungen durch bewaffnete Gruppen. Auch in der türkisch kontrollierten Grenzregion kommt es zu Anschlägen der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) auf türkische Streitkräfte bzw. mit ihnen alliierte Milizen (ÖB 7.2019).
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Türkische Militäroperationen in Nordsyrien
Seit August 2016 ist die Türkei im Rahmen der Operation "Euphrates Shield" in Syrien aktiv. Die Operation zielte auf zum damaligen Zeitpunkt vom Islamischen Staat (IS) gehaltene Gebiete, sollte jedoch auch dazu dienen, die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) davon abzuhalten ein autonomes Gebiet entlang der syrisch-türkischen Grenze zu errichten. Die Türkei sieht die kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD) und die YPG als Bedrohung der türkischen Sicherheit (CRS 2.1.2019).
Am 20.1.2018 begann eine Offensive der Türkei gegen die kurdisch kontrollierte Stadt Afrin (DS 20.1.2018; vgl. DZO 23.1.2018, HRW 17.1.2019). Die Operation "Olivenzweig" begann mit Artillerie- und Luftangriffen auf Stellungen der YPG in der Region Afrin, denen eine Bodenoffensive folgte (Presse 24.1.2018). Im März 2018 nahmen Einheiten der türkischen Armee und der mit ihnen verbündeten Freien Syrischen Armee (FSA) Afrin ein (Bellingcat 1.3.2019). Bis März 2018 hatte die türkische Offensive Berichten zufolge den Tod Dutzender Zivilisten und laut den Vereinten Nationen die Vertreibung Zehntausender zur Folge. Von der Türkei unterstützte bewaffnete Gruppierungen, die mit der FSA in Zusammenhang stehen, beschlagnahmten, zerstörten und plünderten das Eigentum kurdischer Zivilisten in Afrin (HRW 17.1.2019). Seit der Offensive regiert in Afrin ein Mosaik von türkisch-unterstützten zivilen Institutionen und unterschiedlichsten Rebelleneinheiten, die anfällig für innere Machtkämpfe sind (Bellingcat 1.3.2019). Von der Unabhängigen Untersuchungskommission für Syrien des UN-Menschenrechtsrates wird die Sicherheitslage in der Gegend von Afrin als prekär bezeichnet (UNHRC 31.1.2019).
Nachdem US-Präsident Donald Trump Anfang Oktober 2019 ankündigte, die US-amerikanischen Truppen aus der syrisch-türkischen Grenzregion abzuziehen, startete die Türkei am 9. Oktober eine Luft- und Bodenoffensive im Nordosten Syriens. Im Zuge dessen riefen die kurdischen Behörden eine Generalmobilisierung aus. Einerseits will die Türkei mit Hilfe der Offensive die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) und die von der YPG geführten Syrian Democratic Forces (SDF) aus der Grenzregion zur Türkei vertreiben, andererseits ist das Ziel der Offensive einen Gebietsstreifen entlang der Grenze auf syrischer Seite zu kontrollieren, in dem rund 2 der ungefähr 3,6 Millionen syrischen Flüchtlinge, die in der Türkei leben, angesiedelt werden sollen (CNN 11.10.2019). Nach etwa einer Woche waren die US-Streitkräfte aus Nordsyrien abgezogen (DS 17.10.2019). Den Vereinten Nationen zufolge wurden ebenfalls innerhalb einer Woche bis zu 160.000 Menschen durch die Offensive vertrieben und es kam zu vielen Todesfällen (UN News 14.10.2019). Aufgrund der Offensive gibt es Befürchtungen, dass es aufgrund der Offensive zu einem Wiedererstarken des sogenannten Islamischen Staates (IS) kommt (TWP 15.10.2019). Medienberichten zufolge seien in dem Gefangenenlager Ain Issa 785 ausländische IS-Sympathisanten auf das Wachpersonal losgegangen und geflohen (DS 13.10.2019). Nach dem Beginn der Operation kam es außerdem zu einem Angriff durch IS-Schläferzellen auf die Stadt Raqqa. Die geplante Eroberung des Hauptquartiers der syrisch-kurdischen Sicherheitskräfte gelang den Islamisten jedoch nicht (DZO 10.10.2019).
Die syrische Armee von Präsident Bashar al-Assad ist nach einer Einigung mit den SDF am 14. Oktober in mehrere Grenzstädte eingerückt, um sich der "türkischen Aggression" entgegenzustellen, wie Staatsmedien berichten (DS 15.10.2019). Laut der Vereinbarung übernehmen die Einheiten der syrischen Regierung in einigen Grenzstädten die Sicherheitsfunktionen, die Administration soll aber weiterhin in kurdischer Hand sein (TWP 15.10.2019).
Quellen: [...]
Gebiete unter Regierungskontrolle inkl. Damaskus und Umland, Westsyrien
Seit Mai 2018 hat sich die allgemeine Sicherheitslage in den von der Regierung kontrollierten Gebieten Syriens, darunter finden sich auch die wichtigsten Städte wie Lattakia, Homs, Hama, Tartous und Damaskus, deutlich verbessert. Im Allgemeinen kam es im Vergleich mit den Zahlen vor Juli 2018 zu einem signifikanten Rückgang der militärischen Auseinandersetzungen und der sicherheitsrelevanten Vorfälle in von der Regierung kontrollierten Gebieten. Die Situation bleibt in einigen Gegenden jedoch angespannt, wie im Osten der Provinz Lattakia, im Westen der Provinz Aleppo und im Norden der Provinz Hama. In Bezug auf die Art der sicherheitsrelevanten Vorfälle gibt es Berichte von Beschuss, bewaffneten Zusammenstößen, Entführungen sowie Explosionen von Kampfmittelresten (DIS/DRC 2.2019).
Die Küstenregion wurde im Großen und Ganzen vom militärischen Konflikt verschont. Der Norden sieht sich gleichwohl mit einem gelegentlichen "Spillover" von Idlib aus konfrontiert. So gibt es aktuell im ländlichen Lattakia Auseinandersetzungen zwischen syrischer Armee und Rebellen. In den größeren Städten und deren Einzugsgebieten wie Damaskus und Homs stellt sich die Sicherheitslage als relativ stabil dar, auch wenn es immer wieder zu gezielten Anschlägen zumeist auf regierungsnahe Personen kommt (ÖB 7.2019).
Die Regierung besitzt nicht die nötigen Kapazitäten, um alle von ihr gehaltenen Gebiete auch tatsächlich zu kontrollieren. Daher greift die Regierung auf unterschiedliche Milizen zurück, um manche Gegenden und Checkpoints in Aleppo, Lattakia, Tartous, Hama, Homs und Deir ez-Zour zu kontrollieren. Es gibt auch Berichte, wonach es in einigen Gebieten zu Zusammenstößen sowohl zwischen den unterschiedlichen Pro-Regierungs-Milizen als auch zwischen diesen und Regierungstruppen gekommen ist (DIS/DRC 2.2019).
In den ersten Monaten des Jahres 2018 erlebte Ost-Ghouta, nahe der Hauptstadt Damaskus, die heftigste Angriffswelle der Regierung seit Beginn des Bürgerkrieges (Presse 1.4.2018). Mitte April 2018 wurde die Militäroffensive der syrischen Armee auf die Rebellenenklave von Seiten der russischen Behörden und der syrischen Streitkräfte für beendet erklärt (DS 15.4.2018; vgl. SD 12.4.2018). Ende Mai 2018 zogen sich die letzten Rebellen aus dem Großraum Damaskus zurück, wodurch die Hauptstadt und ihre Umgebung erstmals wieder in ihrer Gesamtheit unter der Kontrolle der Regierung standen (DSO 21.5.2018; vgl. ISW 1.6.2018). Seitdem hat sich die Sicherheitslage in Damaskus und Damaskus-Umland (Rif Dimashq) deutlich verbessert (DIS/DRC 2.2019). Im Januar kam es zu zwei Bombenanschlägen in Damaskus Stadt. Einem in der Nähe eines Büros des Militärischen Nachrichtendienstes im Süden mit mehreren Todesopfern, und einem mittels einer Autobombe in der Nähe der russischen Botschaft mit Verletzten (DIS/DRC 2.2019; vgl. TN 20.1.2019). Einer internationalen humanitären Organisation zufolge ist es weniger wahrscheinlich, dass Angriffe dieser Art in Damaskus (im Gegensatz zu anderen großen Städten) passieren, weil die Hauptstadt durch Sicherheitskräfte schwer bewacht ist (DIS/DRC 2.2019).
Seit 2012 führte Israel dutzende Luftschläge auf syrischem Staatsgebiet durch, hauptsächlich auf Orte oder Konvois in der Nähe der libanesischen Grenze, die mit Waffenlieferungen an die Hizbollah in Verbindung stehen (CRS 2.1.2019), bzw. generell auf iranische Ziele und Ziele mit dem Iran verbündeter Milizen (AJ 5.2.2019). Es soll etwa ein bis zweimal im Monat zu Angriffen der israelischen Luftwaffe auf Ziele in der Provinz Damaskus kommen (Jane's 14.1.2019). Bis Ende Januar 2019 äußerte sich die israelische Armee nicht oder nur selten und erst nach einiger Zeit über Spekulationen zu Luftangriffen auf syrischem Staatsgebiet, für die die israelische Armee verantwortlich sein soll. Ende Januar berichteten die israelischen Streitkräfte beinahe zeitgleich über einen Angriff auf iranische Ziele in Syrien (DS 21.1.2019). Laut dem pensionierten Generalstabsschef der israelischen Streitkräfte Gadi Eisenkot hätte Israel sogar tausende Luftangriffe durchgeführt. Seit 2017 soll es nahezu täglich zu israelischen Angriffen kommen. Im Jahr 2018 wurden demnach 2.000 Bomben abgeworfen (TNYT 11.1.2019). Syrischen Staatsmedien zufolge wurden Anfang Juli 2019, bei israelischen Luftangriffen nahe der Hauptstadt Damaskus und in der Provinz Homs, vier Zivilisten getötet und 21 Personen verletzt (DS 1.7.2019).
Quellen: [...]
Südsyrien
Mit 19. Juni 2018 startete die syrische Regierung eine Offensive zur Rückeroberung der Provinzen Quneitra und Dara'a im Süden Syriens. In der Provinzhauptstadt Dara'a waren 2011 die ersten Proteste gegen das Assad-Regime ausgebrochen. Im Juli 2017 wurde dort eine sogenannte Deeskalationszone eingerichtet (DS 5.7.2018). Die beiden Provinzen wurden durch die Regierung zurückerobert und Ende Juli 2018 wurden auch die letzten Dörfer, die sich noch unter Kontrolle einer mit dem sogenannten Islamischen Staat (IS) in Verbindung stehenden Gruppierung befanden, erobert. Die meisten dieser Städte und Dörfer kapitulierten unter sogenannten Versöhnungsabkommen, wobei Kämpfern und Zivilisten die Möglichkeit gegeben wurde, in von oppositionellen Gruppen kontrollierte Gebiete im Norden Syriens zu ziehen (TG 31.7.2018). In al-Suweida im Süden Syriens wurde im Juli 2018 ein Terroranschlag durch den IS verübt, bei dem fast 250 Menschen getötet wurden, die meisten von ihnen Drusen (ORF 31.7.2018). Daraufhin starteten regierungstreue Milizen eine erneute Offensive, um den IS aus der Gegend zu vertreiben. Durch Siege und Evakuierungen konnten die regierungstreuen Einheiten ihre Kontrolle festigen (UNHRC 31.1.2019). Insbesondere in der Region Dara'a kommt es immer wieder zu lokal begrenzten Auseinandersetzungen zwischen der syrischen Armee und Angehörigen von Rebellengruppen, mit denen "Versöhnungsabkommen" geschlossen wurden. Auch der IS ist in der Region aktiv; Ende Juli kam es zu einem Selbstmordanschlag auf eine Einheit der syrischen Armee, der mehrere Tote forderte (ÖB 7.2019).
In Dara'a kam es außerdem einer internationalen Sicherheitsorganisation zufolge zu zahlreichen zivilen Opfern durch Blindgänger, daher führen dort Einheiten der syrischen Regierung Entminungen durch (DIS/DRC 2.2019).
Mit der Rückeroberung der Gebiete in Südsyrien erlangte die syrische Regierung außerdem die Kontrolle über die syrisch-jordanische Grenze zurück (ISW 15.7.2018).
Quellen: [...]
Provinz Deir ez-Zour / Syrisch-Irakisches Grenzgebiet
Zuletzt hielt der sogenannte Islamische Staat (IS) eine letzte Enklave entlang des Euphrat nahe der syrisch-irakischen Grenze (ISW 12.10.2018). Die Kämpfer haben sich in die Wüstengebiete im südlichen (Provinz Suweida) und östlichen Syrien zurückgezogen (RFE/RL 28.10.2018). Es operieren weiterhin Schläferzellen auf syrischem Staatsgebiet (VOA 25.10.2018). Ende September wurde z.B. in Raqqa eine dieser Zellen entdeckt, die eine Reihe von größeren Anschlägen in der Stadt plante (Reuters 30.9.2018).
Im September starteten die Syrian Democratic Forces (SDF) in der nahe an der syrisch-irakischen Grenze gelegenen Ortschaft Hajin eine Offensive gegen den IS (DS 31.10.2018, vgl. IFK 10.2018). Mitte Oktober 2018 nutzte der IS schlechte Witterungsverhältnisse für einen Gegenangriff (France24 10.10.2018). Er konnte dabei größere Gebiete im Osten Syriens zwischenzeitlich wieder zurückerobern. Dies galt als schwerster Angriff der Islamisten seit Monaten (DS 28.10.2018). Auch Ende November 2018 führte der IS im Osten Syriens größere Angriffe durch (TDSL 26.11.2018). Einheiten der SDF unter kurdischer Führung begannen Anfang März des Jahres 2019 erneut den Angriff auf den Ort Baghuz, die letzte Bastion des IS. Sie hatten zuletzt die Angriffe auf den Ort eingestellt, damit Zivilisten diesen verlassen konnten (FAZ 10.3.2019).
Nach wochenlangen Kämpfen erklärten die SDF die Stadt Baghuz als vom IS befreit. Mit Baghuz ist die letzte Bastion der Terrormiliz gefallen (DZO 24.3.2019). In den Wochen davor hatten bereits Tausende IS-Kämpfer aufgegeben und sich den SDF-Truppen gestellt. Gleichzeitig sind mehr als 70.000 Flüchtlinge aus dem IS-Gebiet in dem von Kurden kontrollierten Lager Al-Hol untergekommen, wo Hilfsorganisationen von einer dramatischen humanitären Lage berichten (DZO 24.3.2019).
Der IS ist zwar zerschlagen, verfügt aber noch immer über militärische Einheiten, die sich in den Wüstengebieten Syriens und des Irak versteckt halten (DZO 24.3.2019) und von denen nach wie vor eine Gefahr ausgeht (FAZ 22.3.2019).
Quellen: [...]
Gebiete außerhalb der Kontrolle des Regimes
In Gebieten außerhalb der Kontrolle des syrischen Regimes ist die Lage von Justiz und Verwaltung von Region zu Region und je nach den örtlichen Herrschaftsverhältnissen verschieden (AA 13.11.2018). In von oppositionellen Gruppen kontrollierten Gebieten wurden unterschiedlich konstituierte Gerichte und Haftanstalten aufgebaut, welche sich stark darin unterscheiden, wie sie organisiert sind und inwieweit sie sich an juristische Normen halten. Manche Gruppen folgen dem (syrischen) Strafgesetzbuch, andere folgen einem Entwurf eines Strafgesetzbuches auf Grundlage der Scharia, das von der Arabischen Liga aus dem Jahr 1996 stammt, während wiederum andere eine Mischung aus Gewohnheitsrecht und Scharia anwenden (USDOS 13.3.2019; vgl. AA 13.11.2018). Erfahrung, Expertise und Qualifikation der Richter in diesen Gebieten sind oft sehr unterschiedlich und häufig sind diese den Anordnungen der dominanten bewaffneten Gruppierungen unterworfen. Urteile von Scharia- Räten der Opposition resultieren manchmal in öffentlichen Hinrichtungen, ohne dass Angeklagte Berufung einlegen oder Besuch von ihren Familien erhalten könnten (USDOS 13.3.2019).
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Gebiete unter kurdischer Kontrolle
Die kurdischen Behörden setzen in den von ihnen kontrollierten Gebieten einen Rechtskodex, basierend auf einer "Sozialcharta", durch. In Berichten wird diese "Sozialcharta" beschrieben als eine Mischung aus syrischem Straf- und Zivilrecht mit Gesetzen, die sich in Bezug auf Scheidung, Eheschließung, Waffenbesitz und Steuerhinterziehung an europäischem Recht orientieren. Allerdings fehlen gewisse europäische Standards für faire Verfahren, wie das Verbot willkürlicher Festnahmen, das Recht auf gerichtliche Überprüfung und das Recht auf einen Anwalt. Das Justizsystem in den kurdisch kontrollierten Gebieten besteht aus Gerichten, Rechtskomitees und Ermittlungsbehörden (USDOS 13.3.2019). Es wurde eine von der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) geführte Verwaltung geschaffen, die neben diesen Rechtsinstitutionen auch eine eigene Polizei, Gefängnisse und Ministerien umfasst (AI 12.7.2017). Der Rechtskodex, "Verfassung von Rojava" genannt, betont zwar seine demokratische Struktur, in der Praxis zeigt die Vorherrschaft der PYD und deren Missachtung und Unterdrückung anderer kurdischer Akteure jedoch ein anderes Bild (BS 2018).
Die kurdischen Behörden haben den sogenannten "Defense of the People Court" eingerichtet, der über ehemalige IS-Mitlgieder in kurdischer Gefangenschaft urteilen soll. Das Gericht wird jedoch weder von den syrischen Behörden noch von der internationalen Gemeinschaft anerkannt. Die Höchststrafe, die dieses Gericht verhängt, ist eine "lebenslange Freiheitsstrafe", wobei es sich um eine zwanzigjährige Haftstrafe handelt. Gerichtsurteile werden bei guter Führung oder, wenn sich der Angeklagte selbst den kurdischen Behörden gestellt hat, gemildert. Diese "mildere Vorgehensweise" hat zum einen den Zweck der arabischen Mehrheitsbevölkerung Ost-Syriens, die den kurdischen Machthabern misstraut, guten Willen zu zeigen, zum anderen soll dadurch die Regierungskompetenz hervorgehoben und internationale Legitimation gewonnen werden. Das System weist jedoch auch gravierende Mängel auf, so haben die Angeklagten keinen Zugang zu einem Verteidiger und es gibt keine Möglichkeit Berufung einzulegen. Die kurdischen Behörden gaben an, die Einrichtung einer Berufungsmöglichkeit zu planen (Haaretz 8.5.2018).
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Die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG/YPJ)
Die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG) sind die bewaffneten Einheiten der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) (DZO 13.1.2019). Bis 2014 war der Militärdienst bei der YPG freiwillig (AA 13.11.2018). Seit 2014 gibt es jedoch in den Gebieten unter Kontrolle der PYD eine gesetzliche Verordnung zum verpflichtenden Wehrdienst für Männer von 18 bis 30 Jahren. Der Wehrdienst sollte sechs Monate dauern, dauerte in den letzten Monaten jedoch 12 Monate. Jene, die den Wehrdienst verweigern, müssen zur Strafe 15 Monate Wehrdienst leisten (MOFANL 7.2019).
Mehrfach ist es zu Fällen gekommen, in denen Männer von der YPG rekrutiert werden, die älter als 30 Jahre waren. Dabei handelte es sich um Personen, die PYD-kritisch politisch aktiv waren, und die mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die Rekrutierung abgestraft werden sollten (Savelsberg 3.11.2017).
Frauen können freiwilligen Militärdienst in den kurdischen Einheiten leisten, wobei es gleichzeitig Berichte von Zwangsrekrutierungen von Frauen gibt (AA 13.11.2018). Quellen zufolge gibt es keine Beweise für Zwangsrekrutierungen von Frauen durch die kurdischen Frauenverteidigungseinheiten (YPJ), jedoch kann es einzelne Fälle der Zwangsrekrutierung von Frauen in kleineren lokalen kurdischen Milizen geben, die gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) kämpfen (BFA 8.2017). Dem widersprechen andere Quellen, denen zufolge es in mehreren Fällen zur Rekrutierung bzw. Zwangsrekrutierung minderjähriger Mädchen gekommen ist. Darüber hinaus sind Fälle bekannt, in denen kurdische Frauen, die der YPG zunächst freiwillig beitraten, daran gehindert wurden, diese wieder zu verlassen (Savelsberg 3.11.2017).
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Allgemeine Menschenrechtslage
Schätzungen besagen, dass etwa eine halbe Million Menschen im syrischen Bürgerkrieg getötet wurden (BS 2018).
Die syrische Verfassung sieht die Baath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat. Ein Dekret von 2011 erlaubt die Bildung anderer politischer Parteien, jedoch nicht auf Basis von Religion, Stammeszugehörigkeit oder regionalen Interessen. Die Regierung erlaubt nur regierungsnahen Gruppen offizielle Parteien zu gründen und zeigt wenig Toleranz gegenüber anderen politischen Parteien, auch jenen, die mit ihr verbündet sind. Parteien wie das Communist Union Movement, die Communist Action Party und die Arab Social Union werden schikaniert. Gesetze, welche die Mitgliedschaft in illegalen Organisationen verbieten, wurden auch verwendet um Hunderte Mitglieder von Menschenrechts- und Studentenorganisationen zu verhaften. Es gibt auch zahlreiche Berichte zu anderen Formen der Belästigung von Menschenrechtsaktivisten, Oppositionellen oder Personen, die als oppositionell wahrgenommen werden, von Reiseverboten, Enteignung und Überwachung bis hin zu willkürlichen Festnahmen, "Verschwindenlassen" und Folter (USDOS 13.3.2019).
Es sind zahllose Fälle bekannt, bei denen Personen für als regierungsfeindlich angesehene Tätigkeiten ihrer Verwandten inhaftiert und gefoltert werden, darunter sollen auch Fälle sein, bei denen die gesuchten Personen ins Ausland geflüchtet sind (AA 13.11.2018). Frauen mit familiären Verbindungen zu Oppositionskämpfern werden z.B. als Vergeltung oder zur Informationsgewinnung festgenommen. Außerdem werden Personen festgenommen, die Kontakte zu Verwandten oder Freunden unterhalten, die in oppositionell kontrollierten Gebieten leben (UNHRC 31.1.2019).
Die Methoden der Folter, des Verschwindenlassens und der schlechten Bedingungen in den Haftanstalten sind keine Neuerung der letzten Jahre seit Ausbruch des Konfliktes, sondern waren bereits zuvor gängige Praxis der unterschiedlichen Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden in Syrien (SHRC 24.1.2019).
Russland, der Iran und die Türkei haben im Zusammenhang mit den Astana-Verhandlungen wiederholt zugesagt, sich um die Missstände bezüglich willkürlicher Verhaftungen und Verschwindenlassen zu kümmern. Im Dezember 2017 gründeten sie eine Arbeitsgruppe zu Inhaftierungen und Entführungen im syrischen Konflikt, es waren bisher jedoch nur geringe Fortschritte zu verzeichnen (HRW 17.1.2019).
Weitere schwere Menschenrechtsverletzungen, derer das Regime und seine Verbündeten beschuldigt werden, sind willkürliche und absichtliche Angriffe auf Zivilisten, darunter auch der Einsatz von chemischen Waffen; Massaker und Vergewaltigungen als Kriegstaktik; Einsatz von Kindersoldaten sowie übermäßige Einschränkungen der Bewegungs-, Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit, inklusive Zensur. Die Regierung überwacht die Kommunikation im Internet, inklusive E-Mails, greift in Internet- und Telefondienste ein und blockiert diese. Die Regierung setzt ausgereifte Technologien und Hunderte von Computerspezialisten für Überwachungszwecke ein (USDOS 13.3.2019).
Orte, die im Laufe der vergangenen Jahre wieder unter die Kontrolle der Regierung gelangt sind, erlebten organisierte und systematische Plünderungen durch die bewaffneten Einheiten der Regierung (SHRC 24.1.2019). Berichten zufolge sind Personen in Gebieten, die erst vor kurzer Zeit durch die Regierung wiedererobert wurden, aus Angst vor Repressalien oft zurückhaltend über die Situation in diesen Gebieten zu berichten (USDOS 13.3.2019).
Bewaffnete terroristische Gruppierungen, wie die mit al-Qaida in Verbindung stehende Gruppe Hay'at Tahrir al-Sham (HTS), sind für weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen wie Massaker, Beschuss, Entführung, unrechtmäßige Inhaftierung, Folter, Tötung und Zwangsvertreibung auf Basis der Konfession Betroffener, verantwortlich. Der sogenannte Islamische Staat (IS) agiert(e) mit Brutalität gegenüber Bewohnern des von ihm kontrollierten Territoriums. Ihm werden u.a. vorgeworfen: außergerichtliche Hinrichtungen und Verhaftungen, Haft unter unmenschlichen Bedingungen, Folter, Verschwindenlassen und Anwendung von Körperstrafen. Frauen erleb(t)en in vom IS gehaltenen Gebieten willkürliche und schwere Bestrafungen, inklusive Hinrichtung durch Steinigung (USDOS 13.3.2019). Sexuelle Versklavung und Zwangsverheiratung sind zentrale Elemente der Ideologie des IS. Mädchen und Frauen wurden zur Heirat mit Kämpfern gezwungen. Frauen und Mädchen, die Minderheiten angehören, wurden sexuell versklavt, zwangsverheiratet und anderen Formen sexueller Gewalt ausgesetzt (USDOS 20.6.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Im Bezug auf Kampfhandlungen wird dem IS der Einsatz von Kindersoldaten sowie von Zivilisten als menschliche Schutzschilde vorgeworfen. Außerhalb der (ehemals) kontrollierten Gebiete verübte der IS Entführungen und Anschläge (USDOS 13.3.2019).
Auch die oppositionellen bewaffneten Gruppen der Syrian Democratic Forces (SDF) werden für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht, darunter die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG). Es gibt Berichte über Verschwindenlassen von Gegnern der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) und deren Familien, unrechtmäßige Verhaftungen, Folter von politischen Gegnern, sowie vereinzelte Berichte über Festnahmen von Journalisten, Mitgliedern von Menschenrechtsorganisationen und Oppositionsparteien und Personen, die sich weigerten mit den kurdischen Gruppen zu kooperieren (USDOS 13.3.2019; vgl. HRW 10.9.2018). Familienmitglieder von gesuchten Aktivisten, darunter auch Verwandte von Mitgliedern des IS, sollen von den SDF in den von ihnen kontrollierten Gebieten gefangen genommen worden sein, um Informationen zu erhalten oder um Druck auszuüben. Weiters gibt es Berichte über vermehrte Verhaftungen von Männern für versuchte Wehrdienstverweigerung und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit in den befreiten Gebieten (USDOS 13.3.2019).
Berichten zufolge kam es 2017 auch zur Vertreibung von arabischen Bewohnern aus Gegenden, die durch kurdische Einheiten vom IS befreit worden waren (USDOS 20.4.2018; vgl. AA 13.11.2018).
Die YPG gehört seit 2014 zu den vom VN-Generalsekretär gelisteten Konfliktparteien, die Kindersoldaten einsetzen und Kinderrechte verletzen (AA 13.11.2018). Nach Berichten zu Rekrutierungen von Kindern, auch unter Zwang, durch die SDF, verabschiedeten diese ein Verbot der Rekrutierung und Verwendung von Personen unter 18 Jahren zum Kampf. Verboten sind, unter Androhung von Strafen für die Befehlshaber, auch Hilfsdienste wie Ausspähen, Wach- und Versorgungsdienste. Die kurdischen Gruppen erklärten ihre volle Unterstützung der Anordnung. Im Dezember 2018 wurden 56 Unter-18-Jährige ihren Eltern übergeben (USDOS 13.3.2019).
Die menschenrechtliche Situation in den kurdisch kontrollierten Gebieten stellt sich insgesamt deutlich weniger gravierend dar, als in den Gebieten, die sich unter Kontrolle des syrischen Regimes oder islamistischer bis jihadistischer Gruppen befinden (AA 13.11.2018).
Ein Charakteristikum des Bürgerkriegs in Syrien ist, dass in ganz Syrien bestimmte Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen bzw. zugeschriebenen politischen Meinung oder Zugehörigkeit direkt angegriffen werden oder ihnen auf andere Weise Schaden zugefügt wird. Diese Zuschreibung basiert oft nur auf den familiären Verbindungen der Person, ihrem religiösen oder ethnischen Hintergrund oder einfach auf ihrer Präsenz in oder Herkunft aus einem bestimmten Gebiet, das als "regierungsfreundlich" oder "regierungsfeindlich" gilt (UNHCR 11.2015).
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Religionsfreiheit
In Syrien gibt es keine offizielle Staatsreligion, wobei die Verfassung jedoch vorsieht, dass der syrische Präsident Muslim sein muss, und dass die islamische Rechtsprechung eine Hauptquelle des Gesetzes darstellt. In Angelegenheiten des Personenstandsrechtes fallen alle Bürger unter die Gesetzgebung ihrer jeweiligen religiösen Gruppe (Christentum, Islam oder Judentum). Zur Klärung von Fragen des Familienstandes verlangt die Regierung daher von ihren Bürgern, ihre Glaubenszugehörigkeit zu einer dieser drei Religionen registrieren zu lassen. Die Religionszugehörigkeit, abgesehen von der jüdischen Religionszugehörigkeit, wird nicht im Pass und auf der Identitätskarte vermerkt, sondern auf der Geburtsurkunde und auf Dokumenten, die zur Eheschließung und für Pilgerreisen notwendig sind (USDOS 21.6.2019). Es ist nicht möglich, "keine Religion" zu registrieren (Eijk 2013). Das Gesetz schränkt Missionierung und Konversionen ein. Es verbietet die Konversion vom Islam zu anderen Religionen, erkennt die Konversion zum Islam jedoch an. Das Strafgesetz verbietet "das Verursachen von Spannungen zwischen religiösen Gemeinschaften" (USDOS 21.6.2019).
Ein neues Gesetz vom Oktober 2018 verleiht dem syrischen Ministerium für Religiöse Stiftungen ("Mi-nistry of Awqaf") zusätzliche Befugnisse. So beinhaltet das Gesetz die Einrichtung eines "Rechtswissen-schaftlichen und Gelehrten Rates" mit der Entscheidungshoheit über die Definition, welche Inhalte im religiösen Diskurs angemessen sind. Der Minister wird mit der Kompetenz ausgestattet religiöse Persönlichkeiten zu bestrafen, wenn diese "extremistische" oder auch "abweichende" religiöse Lehre verbreiten, indem ihnen ihre Lizenz entzogen oder gegen sie ein Gerichtsverfahren eingeleitet wird (CEIP 14.11.2018).
Der Rat soll außerdem jede Fatwa, die in Syrien veröffentlicht wird, überwachen, um die Verbreitung wahhabitischen oder mit der Muslimbruderschaft in Verbindung stehenden Gedankenguts zu verhindern. Das Gesetz beinhaltet außerdem die Einrichtung eines Zentralrats mit der Befugnis in allen Gemeinde- und Verwaltungszentren des Landes Außenstellen zu eröffnen, um religiöse Rituale und Feiern zu beaufsichtigen und die Umsetzung der Pläne des Ministeriums zu beurteilen (CEIP 14.11.2018). Einem syrischen Anwalt zufolge kann der Minister durch diese Gesetzesänderung auch in Bereichen, die nicht direkt mit der Verwaltung dieses Ministeriums in Zusammenhang stehen, Einfluss ausüben, so z.B. auf religiöse Literatur (France24 14.10.2018).
Das syrische Eherecht kennt das Ehehindernis der Religionsverschiedenheit. So ist die Ehe einer muslimischen Frau mit einem nichtmuslimischen Mann nichtig (MPG 2018). Sie wäre laut Gesetz nicht-existent, selbst wenn sie bereits vollzogen wurde (Eijk 2013). Nach dem Konsens der islamischen Juristen ist eine Ehe zwischen einem Muslim und einer nichtmuslimischen Frau wirksam, sofern diese einer der zwei anderen Buchreligionen - also Christentum und Judentum - angehört (MPG o.D.a; vgl. MPG 2018). Eine christliche Ehefrau eines muslimischen Mannes kann jedoch nichts von ihrem Mann erben außer sie konvertiert zum Islam (USDOS 21.6.2019). Ihre Kinder werden automatisch Muslime (Eijk 2013). Gemischt-religiöse Ehen sind in Syrien selten, existieren aber. Sie werden aber häufig geheim geschlossen oder nicht offiziell registriert, weil sie von der Gesellschaft verurteilt werden (Eijk 2013; vgl. USDOS 15.8.2017).
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Frauen
Frauen in Syrien haben eine relativ lange Historie der Emanzipation. Vor dem Konflikt war Syrien eines der vergleichsweise fortschrittlicheren Länder der Arabischen Welt in Bezug auf Frauenrechte (BFA 8.2017). Dennoch werden Frauen - teilweise aufgrund der Interpretationen der religiösen Gesetze - von verschiedenen Teilen des Familien- und Strafrechts und der Gesetze zu Personenstand, Arbeit, Erbschaft, Pensionierung, sozialer Sicherheit und Staatsbürgerschaft, diskriminiert (USDOS 13.3.2019).
Die Situation von Frauen verschlechterte sich durch den andauernden Konflikt dramatisch. Da Frauen immer wieder Opfer unterschiedlicher Gewalthandlungen der verschiedenen Konfliktparteien werden, zögern Familien, Frauen und Mädchen das Verlassen des Hauses zu erlauben. Sie nehmen diese aus der Schule, was zur Minderung der Rolle von Frauen und zu ihrer Isolation in der Gesellschaft führt (BFA 8.2017). Vor dem Konflikt nahmen 13% der Frauen am Arbeitsmarkt teil, verglichen mit 73% der Männer. Die Teilhabe sowohl von Männern als auch Frauen am Arbeitsmarkt hat durch Gewalt und Unsicherheit abgenommen. Zuletzt ist in einigen Gebieten, wie in Damaskus, Raqqa und Dara'a, die Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt gezwungenermaßen wieder gestiegen, da viele Männer ihre Familien derzeit nicht unterstützen können (USDOS 13.3.2019).
Außerhalb der Gebiete, die unter der Kontrolle des Regimes stehen, unterscheiden sich die Bedingungen für Frauen sehr stark voneinander. Sie reichen von sexueller Versklavung und erdrückenden Kleidungsvorschriften in Gebieten unter Kontrolle von Extremisten einerseits, bis hin zu formaler Gleichberechtigung in den Gebieten unter Kontrolle der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD), wo Regierungssitze immer von einer Frau und einem Mann besetzt sind (FH 1.2018). In jenen oppositionellen Gebieten, welche von radikal-islamistischen Gruppen kontrolliert werden, sind Frauen besonders eingeschränkt. Es ist schwer für sie, für einfache Erledigungen das Haus zu verlassen. Die Situation hängt jedoch von der Region ab (BFA 8.2017).
Extremistische Gruppierungen wie der sogenannte Islamische Staat (IS) oder Hay'at Tahrir al- Sham (HTS) setzen Frauen in den von ihnen kontrollierten Gebieten diskriminierenden Beschränkungen aus. Solche Beschränkungen sind z.B. strikte Kleidervorschriften, Einschränkungen bei der Teilnahme am öffentlichen Leben, bei der Bewegungsfreiheit und beim Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt (USDOS 13.3.2019, MRG 5.2018). Generell wird die Lage junger unverheirateter Frauen in Syrien allgemein, im Speziellen jedoch in den von radikal- islamistischen Gruppierungen kontrollierten Gebieten, als prekär bezeichnet (BFA 8.2017).
Sexuelle Gewalt
Mit keiner oder nur schwacher Rechtsdurchsetzung und begrenztem effektiven Schutz in diesem Bereich haben alle Arten von Gewalt gegen Frauen an Verbreitung und Intensität zugenommen, darunter Versklavung, Zwangsheirat mit Vertretern bewaffneter Gruppen, häusliche Gewalt und Vergewaltigung (WB 6.2.2019). Vergewaltigungen sind weit verbreitet, auch die Regierung und deren Verbündete setzten Vergewaltigung gegen Frauen, aber auch gegen Männer und Kinder, welche als der Opposition zugehörig wahrgenommen werden, ein, um diese zu terrorisieren oder zu bestrafen. Das tatsächliche Ausmaß von sexueller Gewalt in Syrien lässt sich nur schwer einschätzen, weil viele Vergehen nicht angezeigt werden (USDOS13.3.2019). Vergewaltigungen und andere sexuelle Gewalt durch Wächter und Sicherheitskräfte sind Teil der Foltertechniken in Haftanstalten (USDOS 13.3.2019; vgl. SHRC 24.1.2019).
Vergewaltigung außerhalb der Ehe ist zwar laut Gesetz strafbar, die Regierung setzt diese Bestimmungen jedoch nicht effektiv um. Außerdem kann der Täter eine Strafminderung erlangen, wenn er das Opfer heiratet, um so das soziale Stigma einer Vergewaltigung zu vermeiden (USDOS 13.3.2019). Die gesellschaftliche Tabuisierung von sexueller Gewalt führt zu einer Stigmatisierung von Frauen, die in Haft waren, zur Erniedrigung von Opfern, Familien und Gemeinschaften und zu einer hohen Dunkelziffer bezüglich der Fälle von sexueller Gewalt. Eltern oder Ehemänner verstoßen oftmals Frauen, die während der Haft vergewaltigt wurden oder wenn eine Vergewaltigung auch nur vermutet wird (BFA 8.2017; vgl. US-DOS 3.3.2017, SHRC 24.1.2019). Es gibt Fälle von Frauen, die nach einer Vergewaltigung Opfer von Ehren-morden werden (USDOS 13.3.2019; vgl. SHRC 24.1.2019, MRG 5.2018). Berichten zufolge kam es seit dem Ausbruch des Konfliktes zu einem Anstieg an Ehrenmorden infolge weit verbreiteter Fälle von sexueller Gewalt und Gesetzlosigkeit (USDOS 13.3.2019). Bei sogenannten Ehrenverbrechen in der Familie, die in ländlichen Gebieten bei fast allen Glaubensgemeinschaften vorkommen, besteht kein effektiver staatlicher Schutz (AA 13.11.2018).
Frauen in kurdisch kontrollierten Gebieten
Die Situation von kurdischen Frauen in den kurdischen Gebieten im Nordosten Syriens ist in Bezug auf Unabhängigkeit, Bewegungsfreiheit und die Vormundschaftsgesetze der selbsternannten Autonomieregierung besser. Frauen und Männer sind in der Regierung zu gleichen Teilen repräsentiert (BFA 8.2017). Per Gesetz werden alle Regierungseinrichtugen von einem Mann und einer Frau gleichzeitig geleitet und die meisten staatlichen Behörden und Gremien müssen zwischen Männern und Frauen gleich besetzt sein, abgesehen von Einrichtungen, die nur für Frauen sind (TNYT 24.2.2018).
Frauen sind im politischen Leben der kurdischen Gebiete gut repräsentiert. Außerhalb der PYD geführten Strukturen haben sie allerdings nur eingeschränkte Autonomie (FH 1.2018).
Im November 2014 beschloss die Autonomieregierung ein Dekret, das die "Gleichheit zwischen Männern und Frauen in allen Sphären des öffentlichen und privaten Lebens" vorsieht. Demnach haben Frauen in den Augen des Gesetzes den gleichen Status wie Männer, auch zum Beispiel bezüglich Scheidung und Erbrecht. Polygamie, Ehrenmorde, Zwangsehen, Ehen von Minderjährigen und andere Formen von Gewalt gegen Frauen wurden verboten. Frauenkomitees, Frauenhäuser und Frauenzentren wurden eingerichtet, um Frauen zu schützen und zu vertreten, in den Themen Politik, Wirtschaft, Kultur und Recht weiterzubilden, und ihnen die Möglichkeit zu geben über familiäre und soziale Probleme zu sprechen und Lösungen zu finden. Auch arabische und christliche Frauen nutzen die Zentren (TF 27.8.2017; vgl. TNYT 24.2.2018).
Die Emanzipation der Frauen in Nordsyrien ist ein laufender Prozess. Patriarchale Traditionen sind dort tief eingebettet und mit Religion verbunden (TF 27.8.2017). In Gebieten mit arabischer Mehrheitsbevölkerung, die konservativer sind und in denen tribale Strukturen noch stark verwurzelt sind, ist es schwerer für die kurdischen Behörden Gleichberechtigungsmaßnahmen ohne Widerstand durchzusetzen. So wurde beispielsweise in Kobane Polygamie verboten, von der lokalen Bevölkerung in Manbij gab es jedoch Widerstand durch lokale Stammesführer, was zu einer Ausnahme für Manbij von dieser Regelung führte (TNYT 24.2.2018).
Die zivile Verwaltung der kurdisch kontrollierten Provinzen im Norden des Landes, der sogenannten "Demokratischen Föderation Nordsyrien" (kurdisch Rojava) hat die Institution der Zivilehe eingeführt, die unabhängig von der religiösen Zugehörigkeit der Nupturienten vor den zuständigen Behörden geschlossen werden kann. Ob eine in den kurdischen Gebieten geschlossene zivile Ehe vom syrischen Staat anerkannt wird, ist jedoch schwer zu beurteilen. Das syrische Familienrecht erkennt eine solche Ehe insbesondere dann nicht an, wenn sie einen Verstoß gegen das Ehehindernis aufgrund von unterschiedlichen Religionszugehörigkeiten der Ehepartner darstellt (MPG 2018).
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Bewegungsfreiheit innerhalb Syriens
Die Regierung, der sogenannte Islamische Staat (IS) und andere bewaffnete Gruppen beschränken die Bewegungsfreiheit in Syrien und richteten Checkpoints zur Überwachung der Reisebewegungen in den von ihnen kontrollierten Gebieten ein (USDOS 13.3.2019).
Die Bewegungsfreiheit der syrischen Bevölkerung wird auch durch aktive Kampfhandlungen eingeschränkt (UNSC 23.10.2018). etwa durch Belagerungen. die auch zur Einschränkung der Versorgung der betroffenen Gebiete und damit zu Mangelernährung. Hunger und Todesfällen führten (USDOS 13.3.2019).
Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2018 befinden sich jedoch weit weniger Gebiete unter Belagerung, nachdem die Regierung und sie unterstützende ausländische Einheiten die meisten Gebiete im Süden und Zentrum des Landes wieder unter ihre Kontrolle gebracht haben (SHRC 24.1.2019). Laut USDOS sind mittlerweile sogar alle Belagerungen aufgehoben worden (USDOS 13.3.2019).
Durch die Wiedereroberung vormals von Rebellen gehaltener Gebiete durch die Regierung, konnten manche wichtige Verkehrswege wieder eröffnet werden. Dies verbessert den Personen- und Warenverkehr in von der Regierung gehaltenen Gebieten. Die Bedingungen sind immer noch schwierig, und an den Straßen befinden sich nach wie vor zahlreiche Checkpoints. an denen Soldaten regelmäßig Bestechungsgelder verlangen sollen. Die Situation ist aber nicht vergleichbar mit anderen Phasen des Krieges, in denen viele Gebiete unerreichbar waren. Es ist jedoch noch immer schwierig von Rebellen gehaltene Gebiete zum Beispiel in Idlib oder Nordaleppo zu erreichen (Reuters 27.9.2018).
Die Fortbewegung in der Stadt Damaskus hat sich Berichten zufolge seit Mai 2018 und der damaligen Wiedereroberung von oppositionellen Gebieten durch die Regierung verbessert, da z.B. seither weniger Checkpoints in der Stadt betrieben werden. Die Checkpoints werden von den unterschiedlichen Sicherheitsbehörden bemannt. Personen können beim Passieren von Checkpoints genaueren Kontrollen unterliegen, wenn sie aus oppositionell-kontrollierten Gebieten stammen oder dort wohnen, oder auch wenn sie Verbindungen zu oppositionellen Gruppierungen haben. Männer im wehrfähigen Alter werden auch hinsichtlich des Status ihres Wehrdienstes gesondert überprüft. Auch eine Namensgleichheit mit einer gesuchten Person kann zu Problemen an Checkpoints führen (DIS/DRC 2.2019). Die Behandlung von Personen an einem Checkpoint kann recht willkürlich sein. Die fehlende Rechtssicherheit und die in Syrien im Verlauf des Konfliktes generell gestiegene Willkür verursacht auch Probleme an Checkpoints (FIS 14.12.2018).
Laut Human Rights Watch wird Personen, die aus vom IS gehaltenen Gebieten flüchten, der Zutritt in kurdisch kontrollierte Gebiete verweigert, wenn diese keinen kurdischen Fürsprecher (Sponsor) vorweisen können (HRW 1.8.2018).
Die vorherrschende Gewalt und der starke kulturelle Druck schränken die Bewegungsfreiheit von Frauen in vielen Gebieten Syriens erheblich ein. In den vom IS kontrollierten Gebieten war es Frauen allgemein nicht erlaubt, ohne einen nahen männlichen Verwandten zu reisen (USDOS 13.3.2019).
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Ein- und Ausreise, Situation an Grenzübergängen
Die syrische Regierung kann die Ausstellung von Reisepässen oder anderen wichtigen Dokumenten aufgrund der politischen Einstellung einer Person, deren Verbindung zu oppositionellen Gruppen oder der Verbindung zu einem geographischen Gebiet, in dem die Opposition dominiert, verweigern. Das syrische Regime verlangt außerdem ein Ausreisevisum und schließt regelmäßig den Flughafen Damaskus und Grenzübergänge, angeblich aus Sicherheitsgründen. Die Regierung verbietet durchgängig die Ausreise von Mitgliedern der Opposition. Viele Personen erfahren erst von einem Ausreiseverbot, wenn ihnen die Ausreiseverweigert wird. Grund oder Gültigkeitsdauer werden häufig nicht genannt (USDOS 13.3.2019).
Minderjährige Kinder können nicht ohne schriftliche Genehmigung ihres Vaters ins Ausland reisen, selbst wenn sie sich in Begleitung ihrer Mutter befinden (BFA 8.2017). Außerdem gibt es ein Gesetz, das bestimmten männlichen Verwandten erlaubt, Frauen das Reisen zu verbieten (USDOS 13.3.2019).
Einige in Syrien aufhältige Palästinenser brauchen für eine legale Ausreise aus Syrien eine Genehmigung und müssen sich zusätzlich einer weiteren Sicherheitskontrolle unterziehen, dies hängt jedoch von ihrem rechtlichen Status in Syrien ab (BFA 8.2017).
Türkei: Eine Einreise über die Landgrenze aus der Türkei nach Syrien ist möglich (DIS/DRC 2.2019). Von insgesamt 20 sind drei Grenzübergänge geöffnet: Cilvegözü - Bab al-Hawa, Öncüpinar - Bab al-Salam und Karkamis - Jarabulus (VB 7.3.2019). Auf syrischer Seite befinden sich die drei Grenzübergänge mit Stand März 2019 unter der Kontrolle von Hay'at Tahrir al-Sham (Bab al-Hawa, Provinz Idlib) und von türkisch gestützten oppositionellen Gruppierungen bzw. der Freien Syrischen Armee (Bab al-Salam und Jarabulus, Provinz Aleppo) (Liveuamap 6.3.2019; vgl. ISW 8.2.2019). Berichten zufolge, ist die Grenze für syrische Flüchtlinge geschlossen. Beim Versuch die Grenze zu überqueren, wurden in der Vergangenheit auch schon syrische Flüchtige erschossen (HRW 9.10.2018; PAX 17.9.2018). Im April 2017 stellte die Türkei eine Grenzmauer zwischen Syrien und der Türkei fertig. Die Mauer erstreckt sich über mehr als die Hälfte der 911 Kilometer langen syrisch-türkischen Grenze (Spiegel 12.4.2017).
Irak: Der Zugang zur syrisch-irakischen Grenze war durch die Präsenz des IS seit 2014 eingeschränkt (Kozak 28.12.2017). Der Peshkhabour-Grenzübergang zwischen Irakisch- Kurdistan und kurdisch kontrollierten Gebieten in Nordsyrien war lange Zeit als einziger Grenzübergang zwischen Irak und Syrien de facto aktiv. Die Situation am Grenzübergangwurde in der Vergangenheit von politischen Auseinandersetzungen zwischen den syrischkurdischen Volksverteidigungskräften (YPG) und der Regionalregierung Kurdistan-Iraks (KRG) beeinflusst, was zu regelmäßigen Schließungen und Zugangsbeschränkungen für Syrer und Palästinenser aus Syrien führte (Kozak 28.12.2017).
Berichten zufolge wird die syrische Regierung über Ein- und Ausreise von syrischen Staatsangehörigen über die kurdisch kontrollierten Gebiete Syriens informiert (NRC 30.9.2018).
Seit dem 30. September 2019 ist der Grenzübergang zwischen Al Qa'im (Irak) und Al Bukamal (Syrien) für den Personen- und Warenverkehr wieder geöffnet (Reuters 30.9.2019; vgl. Haaretz 30.9.2019). Die Öffnung der Grenze soll auch positive Auswirkungen auf die Handelsbeziehungen zwischen beiden Ländern haben (Haaretz 30.9.2019).
Libanon: Die Einreise über die syrisch-libanesische Grenze nach Syrien ist aktuell möglich und wird häufiger als Einreisemöglichkeit genutzt als der Flughafen in Damaskus (DIS/DRC 2.2019).
Quellen: