TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/15 W207 2229639-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.06.2020
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Entscheidungsdatum

15.06.2020

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W207 2229639-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Michael SCHWARZGRUBER als Vorsitzender und die Richterin Mag. Natascha GRUBER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch ihren Vater XXXX als gesetzlicher Vertreter, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 19.02.2020, OB: XXXX , betreffend Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 42 Abs. 1 und § 45 Abs. 1 und 2 Bundesbehindertengesetz (BBG) und § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und Parkausweisen idgF abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

Die minderjährige Beschwerdeführerin, eine syrische Staatsangehörige, stellte am 17.07.2019, vertreten durch ihren Vater, beim Sozialministeriumservice (im Folgenden auch als belangte Behörde bezeichnet) einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses.

Am 11.12.2019 wurde der gegenständliche Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29 b StVO (Parkausweis für Menschen mit Behinderung) gestellt, der entsprechend dem vom Vater der Beschwerdeführerin unterfertigten Antragsformular für den - auf die Beschwerdeführerin zutreffenden - Fall, dass sie nicht über einen Behindertenpass mit der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in diesem Behindertenpass verfügt, auch als Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses bzw. auf Vornahme der genannten Zusatzeintragung in den Behindertenpass gilt. Diesem Antrag wurden ein so genanntes FLAG-Gutachten vom 04.11.2019, ein Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.09.2017, mit dem der Beschwerdeführerin der Status der Asylberechtigten zuerkannt worden war, und ein Befund eines näher genannten Krankenhauses vom 19.01.2018 beigelegt.

Die belangte Behörde holte im Rahmen des Behindertenpassverfahrens ein medizinisches Sachverständigengutachten eines Facharztes für Neurologie auf Grundlage der Bestimmungen der Anlage der Einschätzungsverordnung vom 21.01.2020 ein, welches auch dem gegenständlichen Verfahren auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass zugrunde gelegt wurde. Nach persönlicher Untersuchung der minderjährigen Beschwerdeführerin am 11.10.2019 wurde in diesem Sachverständigengutachten – hier in den wesentlichen Teilen und in anonymisierter Form wiedergegeben - Folgendes ausgeführt:

„…

Anamnese:

im Beisein des Vaters unter Zuhilfenahme einer Dolmetscherin geführt:

es besteht ein Entwicklungsrückstand, die Antragswerberin ist bei Frau Dr. F. in Betreuung, Sonderschule ist geplant. Weiters hat sie vor allem abendliche epileptische Anfälle, ca. 2x pro Woche, ist derzeit erstmals konstant auf ein Antiepileptikum eingestellt. Ihr Großvater hätte auch epileptische Anfälle.

Derzeitige Beschwerden:

Sie ist ein liebes Mädchen, hat jedoch einen Entwicklungsrückstand, die beschriebenen epileptischen Anfälle die bis vor Kurzen nicht fachgerecht medikamentös behandelt waren.

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:

Pentinimid Saft 7-0-8ml

Sozialanamnese:

Wohnt zu Hause bei den Eltern, seit 2,5 Jahren in Österreich, kommt aus Syrien, hat zwei Brüder und drei Schwestern

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

e-Journal Klinik- und Kinderheilkunde XXX 18.12.2018, Zuweisung vom Hausarzt:

Entwicklungszustand (sollte wohl Rückstand heißen), epileptische Enzephalopathie, V.a. ESES (Electrical Status Epilepticus during Slow Sleep)

Betreuung über Dr. F.: Start einer antikonvulsiven Therapie mit Pentinimid jedoch nur eine Packung eingenommen, aktuell keine Therapie, keine Anfälle

19.1.2018 Zuweisung Dr. F. zum cMRT bei ESES und Entwicklungsverzögerung

Mitgebrachte Befunde:

Arztbrief Dr. J., Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde 30.9.2019: leidet an Entwicklungsrückstand, epileptische Enzephalopathie und braucht mehr Aufmerksamkeit

Brief Dr. F. 3.9.2019: MRT im XXX o.B., Mediation selbst abgesetzt vor Monaten, Entwicklungsrückstand, epileptische Enzephalopathie, neuerliche Einstellung Pentinimid Saft, EEG Kontrolle in einem Monat

Dr. F. 22.3.2019: Familie hat einfach mit Medikation aufgehört, keine Anfälle, keine Nebenwirkungen, vorerst keine Therapie

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand:

Ernährungszustand:

Größe: cm Gewicht: kg Blutdruck:

Klinischer Status - Fachstatus:
HN: Visus mit Brille korrigiert,
OE: MER stgl. mittellebhaft, VdA unauff., FNV unauff., Feinmotorik erhalten, grobe Kraft, Trophik, Tonus stgl.,
Frontal- und PyZ neg.
UE: MER stgl mittellebhaft, VdB unauff., KHV unauff., grobe Kraft, Trophik, Tonus stgl., Bab. neg.,
Sensibilitäts: stgl. Angaben auf spitz-stumpf

Gesamtmobilität - Gangbild:

Stand, Gang: unauffällig

Status Psychicus:

Aufgrund der ausgeprägten Sprachbarriere schwer führbar, es besteht ein nachvollziehbarer Entwicklungsrückstand, insgesamt im Vergleich einem 4-5 jährigen Kind entsprechend, wirkt freundlich, zutraulich, lässt sich gerne untersuchen, arbeitet gut mit und versteht etwas Deutsch.

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Begründung der Rahmensätze:

Pos. Nr.

GdB %

1

Entwicklungsrückstand

Unterer Rahmensatz, da klinisch relevante Symptomatik, jedoch ohne Verhaltensstörung oder motorisches Defizit

03.02.02

50

2

Epilepsie

Eine Stufe über dem unteren Rahmensatz da abendliche Anfälle berichtet, jedoch derzeit in Einstellungsphase mit Antikonvulsivum

04.10.01

30

                                                      Gesamtgrad der Behinderung  50 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Leiden 1 wird durch Leiden 2 im GdB nicht angehoben, da teilweise Leidensüberschneidung

[X] Nachuntersuchung 11/2022 - Besserung möglich

1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?

Keine; bei unauffälliger Gehfähigkeit und, unter Berücksichtigung der Sprachbarriere, mäßig bis mittelgradig, jedoch nicht hochgradig herabgesetzter Verstandesleistung, ist das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, sowie der Transport mit öffentlichen Verkehrsmitteln, nicht erheblich erschwert. Eine maßgebliche Behinderung der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist nicht ausreichend begründbar.

2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?

--

…“

Am 19.02.2020 wurde der Beschwerdeführerin ein bis 28.02.2023 befristeter Behindertenpass mit einem eingetragenen Grad der Behinderung von 50 v.H. übermittelt. Diesem Behindertenpass kommt gemäß der Bestimmung des § 45 Abs. 2 BBG Bescheidcharakter zu.

Hingegen wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom selben Tag der Antrag der minderjährigen Beschwerdeführerin „vom 17.07.2019“ (richtig: vom 11.12.2019) auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass im Ermittlungsverfahren ein Gutachten eingeholt worden sei. Nach diesem Gutachten würden die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht vorliegen. Die wesentlichen Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien der Beilage, die einen Bestandteil der Begründung bilde, zu entnehmen. Die Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien als schlüssig erkannt und in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zugrunde gelegt worden. Das eingeholte Gutachten vom 21.01.2020 wurde der Beschwerdeführerin als Beilage zu diesem Bescheid übermittelt.

Ein bescheidmäßiger Abspruch über den Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO (Parkausweis) erfolgte durch das Sozialministeriumservice nicht.

Am 11.03.2020 langte bei der belangten Behörde fristgerecht eine handschriftliche Beschwerde des Vaters der Beschwerdeführerin, offenkundig gerichtet gegen den Bescheid vom 19.02.2020, mit dem der Antrag der minderjährigen Beschwerdeführerin auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass abgewiesen worden war, ein. Die eingebrachte Beschwerde, welche in Kopie im Akt der belangten Behörde aufliegt, ist kaum leserlich. Der Beschwerde ist, soweit erkennbar, zu entnehmen, dass sich der Vater der minderjährigen Beschwerdeführerin beschwert, dass diese den Parkausweis nicht bekommen habe, obwohl sich der Zustand seiner Tochter verschlechtert habe.

Die belangte Behörde legte am 17.03.2020 dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde und den Bezug habenden Verwaltungsakt zur Entscheidung vor. Das Verfahren wurde der hg. Gerichtsabteilung W264 zugewiesen.

Mit Mängelbehebungsauftrag des Bundesverwaltungsgerichtes vom 07.04.2020, dem Vater der Beschwerdeführerin entsprechend dem im Akt aufliegenden Rückschein am 09.04.2020 zugestellt, wurde der Beschwerdeführerin bzw. ihrem gesetzlichen Vertreter mitgeteilt, dass die eingebrachte Beschwerde offenkundige Inhaltsmängel aufweist und eine Verbesserungsfrist von vier Wochen eingeräumt. Es seien dem Bundesverwaltungsgericht die Gründe, auf welche sich die behauptete Rechtswidrigkeit stütze und das Begehren zur Kenntnis zu bringen. Es wurde der Beschwerdeführerin im Wege ihres gesetzlichen Vertreters weiters mitgeteilt, dass das Bundesverwaltungsgericht in Aussicht nehme, über die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung aufgrund der Aktenlage zu entscheiden, so nicht eine mündliche Verhandlung ausdrücklich beantragt werde. Es wurde auch auf die Neuerungsbeschränkung hingewiesen, wonach gemäß § 46 Bundesbehindertengesetz (BBG) ab dem Zeitpunkt des Einlangens der Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (17.3.2020) keine neuen Tatsachen und neue Tatsachen betreffende Beweismittel vorgebracht werden dürften. Nach diesem Zeitpunkt vorgelegte Befunde bzw. sonstige Unterlagen, würden bei der Beurteilung nicht berücksichtigt werden können. Ebenso sei es nicht zulässig, neue – bis dato unerwähnt gebliebene – Leidenszustände anzuführen.

Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.04.2020 wurde das gegenständliche Beschwerdeverfahren mit Wirksamkeit vom 21.04.2020 der Gerichtsabteilung W264 (wegen einer beruflichen Veränderung) abgenommen und der Gerichtsabteilung W207 neu zugewiesen.

Am 11.05.2020 langten beim Bundesverwaltungsgericht ein Arztbrief eines näher genannten Facharztes für Kinder- und Jugendheilkunde vom 05.05.2020 und ein Arztbrief einer näher genannten Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie vom 08.05.2020 ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die minderjährige Beschwerdeführerin ist Inhaberin eines bis 28.02.2023 befristet ausgestellten Behindertenpasses mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 50 v.H.

Die Beschwerdeführerin stellte am 11.12.2019, vertreten durch ihren Vater, beim Sozialministeriumservice den gegenständlichen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass.

Die Beschwerdeführerin leidet unter folgenden im Zusammenhang mit der Frage der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel relevanten Funktionseinschränkungen:

?        Entwicklungsrückstand, klinisch relevante Symptomatik, jedoch ohne Verhaltensstörung oder motorisches Defizit;

?        Epilepsie, abendliche Anfälle berichtet, jedoch derzeit in Einstellungsphase mit Antikonvulsivum.

Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist der Beschwerdeführerin zumutbar.

Hinsichtlich der bei der Beschwerdeführerin bestehenden Funktionseinschränkung und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel werden die diesbezüglichen Befundungen und Beurteilungen im oben wiedergegebenen medizinischen Sachverständigengutachten eines Facharztes für Neurologie vom 21.01.2020 der nunmehrigen Entscheidung zu Grunde gelegt.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zum Vorliegen eines befristeten Behindertenpasses mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 50 v.H. sowie zur gegenständlichen Antragstellung ergeben sich aus dem Akteninhalt.

Die Feststellungen zu den vorliegenden Funktionseinschränkungen und die Feststellung der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel, die zur Abweisung der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ führt, gründen sich auf das seitens der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten eines Facharztes für Neurologie vom 21.01.2020, beruhend auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 11.10.2019. Unter Berücksichtigung der ins Verfahren eingebrachten medizinischen Unterlagen und nach persönlicher Untersuchung der Beschwerdeführerin wurde vom medizinischen Sachverständigen auf Grundlage der zu berücksichtigenden und unbestritten vorliegenden Funktionseinschränkungen festgestellt, dass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel für die Beschwerdeführerin zumutbar ist.

Der medizinische Sachverständige gelangte unter den von ihm geprüften Gesichtspunkten in seinem Sachverständigengutachten vom 21.01.2020 zu dem Schluss, dass für die Beschwerdeführerin bei unauffälliger Gehfähigkeit und, unter Berücksichtigung der Sprachbarriere, mäßig bis mittelgradiger, jedoch nicht hochgradiger herabgesetzter Verstandesleistung, das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, sowie der Transport mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht erheblich erschwert ist. Eine maßgebliche Behinderung der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist daher aktuell nicht ausreichend begründbar.

Die Schlussfolgerungen des medizinischen Sachverständigen finden insbesondere Bestätigung in seinen Aufzeichnungen zur persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 11.10.2019 im Rahmen der (oben wiedergegebenen) Statuserhebung („Klinischer Status - Fachstatus: HN: Visus mit Brille korrigiert, OE: MER stgl. mittellebhaft, VdA unauff., FNV unauff., Feinmotorik erhalten, grobe Kraft, Trophik, Tonus stgl., Frontal- und PyZ neg. UE: MER stgl mittellebhaft, VdB unauff., KHV unauff., grobe Kraft, Trophik, Tonus stgl., Bab. neg., Sensibilitäts: stgl. Angaben auf spitz-stumpf; Gesamtmobilität - Gangbild: Stand, Gang: unauffällig; Status Psychicus: Aufgrund der ausgeprägten Sprachbarriere schwer führbar, es besteht ein nachvollziehbarer Entwicklungsrückstand, insgesamt im Vergleich einem 4-5 jährigen Kind entsprechend, wirkt freundlich, zutraulich, lässt sich gerne untersuchen, arbeitet gut mit und versteht etwas Deutsch.“). Unter Berücksichtigung der ins Verfahren eingebrachten medizinischen Unterlagen und nach persönlicher Untersuchung der Beschwerdeführerin wurde vom medizinischen Sachverständigen auf Grundlage der zu berücksichtigenden und unbestritten vorliegenden Funktionseinschränkungen somit zutreffend festgestellt, dass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel für die Beschwerdeführerin nach dem Maßstab des § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen zumutbar ist.

Was nun die am 11.05.2020 im Rahmen der Erfüllung des Mängelbehebungsauftrages vorgelegten medizinischen Unterlagen - aus denen sich die Gründe für die behauptete Rechtswidrigkeit und ein Begehren zumindest ableiten lassen - vom 05.05.2020 und 08.05.2020 betrifft, so unterliegen diese allerdings der Neuerungsbeschränkung des § 46 BBG, wonach im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden dürfen, und sind diese nachgereichten Unterlagen daher im gegenständlichen Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht zu berücksichtigen. Auf die Neuerungsbeschränkung gemäß § 46 BBG wurde im Rahmen des Mängelbehebungsauftrages vom 07.04.2020 hingewiesen.

Aber selbst bei hypothetischer Berücksichtigung dieser medizinischen Unterlagen vermögen diese – dies sei lediglich der Vollständigkeit halber erwähnt - nicht zu einem von den Ergebnissen des beigezogenen medizinischen Sachverständigen abweichenden Beurteilung zu führen, da den nachgereichten Befunden keine neuen Erkenntnisse, die den bisherigen Beurteilungen des beigezogenen medizinischen Sachverständigen entgegenstehen könnten, entnommen werden können. Vielmehr wird die vom Sachverständigen getroffene Beurteilung durch die nachgereichten Befunde, die eher auf eine Stabilisierung der Funktionseinschränkungen hindeuten, wird doch von keinem aktuellen Anfallsgeschehen seit der letzten Kontrolle und von einem gebesserten EEG berichtet, bestätigt.

Dem nachgereichten Arztbrief eines Facharztes für Kinder- und Jugendheilkunde vom 05.05.2020 und dem nachgereichten Arztbrief einer näher genannten Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie vom 08.05.2020 sind keine Leiden, welche noch nicht unter den Leidenszuständen 1 „Entwicklungsrückstand“ oder 2 „Epilepsie“ berücksichtigt worden wären, zu entnehmen. Aus den der Beschwerde nachgereichten Befunden ergibt sich nicht, dass bei der Beschwerdeführerin – entgegen den Feststellungen des beigezogenen Sachverständigen – eine Funktionseinschränkung in einem derartigen Ausmaß, dass dessen Auswirkungen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar machen würden, bzw. eine derart hochgradig herabgesetzte Verstandesleistung, welche ihr das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke sowie den Transport mit öffentlichen Verkehrsmitteln erheblich und unzumutbar erschweren würde, vorliegt.

Hinsichtlich der bestehenden Funktionseinschränkungen und deren Auswirkung auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel tätigte die Beschwerdeführerin daher im Beschwerdeverfahren kein Vorbringen, das die Beurteilungen des medizinischen Sachverständigen vom 21.01.2020 entkräften hätte können; im Rahmen des Mängelbehebungsauftrages wurden zwar zwei neue Befunde nachgereicht, welche jedoch der Neuerungsbeschränkungen unterliegen und selbst bei hypothetischer Zugrundelegung nichts am Verfahrensergebnis ändern würden, vielmehr wird durch diese Befunde die Richtigkeit der getroffenen Annahmen und Schlussfolgerungen bestätigt. Es wurden somit im Verfahren keine Befunde vorgelegt, die geeignet wären, die durch den medizinischen Sachverständigen getroffenen Beurteilungen zu widerlegen oder zusätzliche Dauerleiden zu belegen bzw. eine wesentliche Verschlimmerung bestehender Leiden zu dokumentieren.

Insoweit der beigezogene medizinische Sachverständige in seinem Sachverständigengutachten vom 21.01.2020 u.a. auch ausführt, es bestehe aktuell ein nachvollziehbarer Entwicklungsrückstand, insgesamt im Vergleich einem 4-5 jährigen Kind entsprechend, so vermag dies – auch einem fünfjährigen Kind ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht per se unzumutbar - in rechtlicher Hinsicht nicht zur Beurteilung zu führen, dass der Beschwerdeführerin die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar ist und zur Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass führen könnte. In diesem Zusammenhang käme allenfalls die Prüfung der Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung der „Feststellung, dass die Inhaberin des Passes einer Begleitperson bedarf“, im Sinne des § 1 Abs. 4 Z 2 lit. a der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen in Betracht; die Vornahme einer solche Zusatzeintragung wurde aber nicht beantragt, daher wurde schon aus diesem Grund von der belangten Behörde nicht darüber abgesprochen und ist eine solche daher nicht Gegenstand des nunmehrigen Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Die Beschwerdeführerin ist dem von der belangten Behörde eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten in der Beschwerde daher im Ergebnis nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, steht es dem Antragsteller, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27.06.2000, Zl. 2000/11/0093).

Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen daher keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit des auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin beruhenden medizinischen Sachverständigengutachtens eines Facharztes für Neurologie vom 21.01.2020 und wird dieses daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten auszugsweise:

„§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

...

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

§ 46. Die Beschwerdefrist beträgt abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beträgt zwölf Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.

§ 47. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpaß und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen.“

§ 1 Abs. 4 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013 in der Fassung des BGBl. II Nr. 263/2016, lautet – soweit im gegenständlichen Fall relevant - auszugsweise:

„§ 1 …

(4) Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:

1. die Art der Behinderung, etwa dass der Inhaber/die Inhaberin des Passes

a)…

b)…

2. …

3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

-        erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

-        erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

-        erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

-        eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

-        eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach Abs. 4 Z 1 lit. b oder d vorliegen.

(5) Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

(6)..."

In den Erläuterungen zur Stammfassung der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, StF: BGBl. II Nr. 495/2013, wird betreffend § 1 Abs. 2 Z 3 (in der Stammfassung) unter anderem – soweit im gegenständlichen Fall in Betracht kommend – Folgendes ausgeführt:
„§ 1 Abs. 2 Z 3:

Durch die Verwendung des Begriffes „dauerhafte Mobilitätseinschränkung“ hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.

Unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen.

Komorbiditäten der oberen Extremitäten und eingeschränkte Kompensationsmöglichkeiten sind zu berücksichtigen. Eine erhebliche Funktionseinschränkung wird in der Regel ab einer Beinverkürzung von 8 cm vorliegen.

Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:

-        arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option

-        Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen

-        hochgradige Rechtsherzinsuffizienz

-        Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie

-        COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie

-        Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie

-        mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss nachweislich benützt werden

Erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen umfassen im Hinblick auf eine Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel folgende Krankheitsbilder:

-        Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10 und nach Ausschöpfung des therapeutischen Angebotes und einer nachgewiesenen Behandlung von mindestens 1 Jahr,

-        hochgradige Entwicklungsstörungen mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten,

-        schwere kognitive Einschränkungen, die mit einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes einhergehen,

-        nachweislich therapierefraktäres, schweres, cerebrales Anfallsleiden – Begleitperson ist erforderlich.

Eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems, die eine Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel wegen signifikanter Infektanfälligkeit einschränkt, liegt vor bei:

-        anlagebedingten, schweren Erkrankungen des Immunsystems (SCID – sever combined immundeficiency),

-        schweren, hämatologischen Erkrankungen mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit (z.B.: akute Leukämie bei Kindern im 2. Halbjahr der Behandlungsphase, Nachuntersuchung nach Ende der Therapie),

-        fortgeschrittenen Infektionskrankheiten mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit,

-        selten auftretenden chronischen Abstoßungsreaktion nach Nierentransplantationen, die zu zusätzlichem Immunglobulinverlust führen.

Bei Chemo- und/oder Strahlentherapien im Rahmen der Behandlung onkologischer Erkrankungen, kommt es im Zuge des zyklenhaften Therapieverlaufes zu tageweisem Absinken der Abwehrkraft. Eine anhaltende Funktionseinschränkung resultiert daraus nicht.

Anzumerken ist noch, dass in dieser kurzen Phase die Patienten in einem stark reduzierten Allgemeinzustand sind und im Bedarfsfall ein Krankentransport indiziert ist.

Bei allen frisch transplantierten Patienten kommt es nach einer anfänglichen Akutphase mit hochdosierter Immunsuppression, nach etwa 3 Monaten zu einer Reduktion auf eine Dauermedikation, die keinen wesentlichen Einfluss auf die Abwehrkräfte bei üblicher Exposition im öffentlichen Raum hat.

Keine Einschränkung im Hinblick auf die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel haben:

-        vorübergehende Funktionseinschränkungen des Immunsystem als Nebenwirkung im Rahmen von Chemo-und /oder Strahlentherapien,

-        laufende Erhaltungstherapien mit dem therapeutischen Ziel, Abstoßreaktionen von Transplantaten zu verhindern oder die Aktivität von Autoimmunerkrankungen einzuschränken,

-        Kleinwuchs,

-        gut versorgte Ileostoma, Colostoma und Ähnliches mit dichtem Verschluss. Es kommt weder zu Austritt von Stuhl oder Stuhlwasser noch zu Geruchsbelästigungen. Lediglich bei ungünstiger Lokalisation und deswegen permanent undichter Versorgung ist in Ausnahmefällen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar,

-        bei Inkontinenz, da die am Markt üblichen Inkontinenzprodukte ausreichend sicher sind und Verunreinigungen der Person durch Stuhl oder Harn vorbeugen. Lediglich bei anhaltend schweren Erkrankungen des Verdauungstraktes ist in Ausnahmefällen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar.“

Der Vollständigkeit halber ist zunächst darauf hinzuweisen, dass im gegenständlichen Verfahren der Antrag der minderjährigen Beschwerdeführerin auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ gemäß §§ 42 und 45 BBG abgewiesen wurde. Verfahrensgegenstand im gegenständlichen Beschwerdeverfahren ist somit auch nicht die Feststellung des Gesamtgrades der Behinderung, sondern ausschließlich die Prüfung der Voraussetzungen für die Vornahme der beantragten Zusatzeintragung.

Gemäß § 1 Abs. 5 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen bildet die Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in § 1 Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigten.

Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH 23.02.2011, 2007/11/0142, und die dort zitierten Erkenntnisse vom 18.12.2006, 2006/11/0211, und vom 17.11.2009, 2006/11/0178, jeweils mwN.).

Ein solches Sachverständigengutachten muss sich mit der Frage befassen, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt (VwGH 20.03.2001, 2000/11/0321). Dabei ist auf die konkrete Fähigkeit des Beschwerdeführers zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel einzugehen, dies unter Berücksichtigung der hiebei zurückzulegenden größeren Entfernungen, der zu überwindenden Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, der Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt etc. (VwGH 22.10.2002, 2001/11/0242; VwGH 14.05.2009, 2007/11/0080).

Wie oben im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt – auf die diesbezüglichen Ausführungen wird verwiesen -, wurde im seitens der belangten Behörde eingeholten, auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin basierenden und einen ausführlichen Untersuchungsbefund beinhaltenden Sachverständigengutachten nachvollziehbar verneint, dass im Fall der Beschwerdeführerin – trotz der bei ihr unzweifelhaft vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen und unter Berücksichtigung dieser – die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass vorliegen.

Bei der Beschwerdeführerin sind ausgehend von diesen Gutachten aktuell keine erheblichen Einschränkungen der Funktionen der oberen und unteren Extremitäten, aber auch keine erheblichen Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit – diese betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen –, keine erheblichen Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen und auch nicht das Vorliegen einer schweren anhaltenden Erkrankung des Immunsystems im Sinne der Bestimmung des § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen objektiviert.

Auch unter Berücksichtigung der bei der Beschwerdeführerin bestehenden Funktionseinschränkungen und den damit verbundenen Erschwernissen vermag die Beschwerdeführerin noch nicht die Überschreitung der Schwelle der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel im Sinne der Bestimmung des § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen darzutun.

Die gesetzlich von ihrem Vater vertretene Beschwerdeführerin ist den Ausführungen des beigezogenen medizinischen Sachverständigen, denen das Bundesverwaltungsgericht folgt, in der gegenständlichen Beschwerde nicht ausreichend substantiiert und im Ergebnis nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, sie hat kein Sachverständigengutachten bzw. keine sachverständige Aussage vorgelegt, in welcher ausreichend substantiiert die Auffassung vertreten worden wäre, dass die Annahmen und Schlussfolgerungen des beigezogenen medizinischen Sachverständigen unzutreffend oder unschlüssig seien.

Es ist daher im Beschwerdefall zum aktuellen Entscheidungszeitpunkt davon auszugehen, dass die Voraussetzungen der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung“ in den Behindertenpass nicht vorliegen.

Im Übrigen ist aber auch darauf hinzuweisen, dass bei einer belegten Verschlechterung des Leidenszustandes die neuerliche Einschätzung des Grades der Behinderung im Rahmen einer neuerlichen Antragstellung beim Sozialministeriumservice – allerdings nach Maßgabe des § 41 Abs. 2 BBG - in Betracht kommt.

Was schließlich den Umstand betrifft, dass die belangte Behörde über den Antrag auf Ausstellung eines § 29b StVO-Parkausweises nicht bescheidmäßig abgesprochen hat, so ist der Vollständigkeit halber darauf hinzuweisen, dass diese Frage mangels Vorliegens eines bekämpfbaren Bescheides nicht verfahrensgegenständlich ist im gegenständlichen Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Die Fragen der Art und des Ausmaßes der Funktionseinschränkungen und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wurden unter Mitwirkung eines ärztlichen Sachverständigen geprüft. Die strittigen Tatsachenfragen gehören dem Bereich zu, der von Sachverständigen zu beleuchten ist. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist vor dem Hintergrund des vorliegenden, nicht substantiiert bestrittenen schlüssigen Sachverständigengutachtens geklärt, sodass im Sinne der Judikatur des EGMR und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 16.12.2013, 2011/11/0180) und des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfGH 09.06.2017, E 1162/2017) eine mündliche Verhandlung nicht geboten war. Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG nicht entgegen. Im vorliegenden Fall wurde darüber hinaus seitens beider Parteien eine mündliche Verhandlung nicht beantragt (vgl. VwGH 16.12.2013, 2011/11/0180 mit weiterem Verweis auf die Entscheidung des EGMR vom 21.03.2002, Nr. 32.636/96). All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Behindertenpass Sachverständigengutachten Zumutbarkeit Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W207.2229639.1.00

Im RIS seit

08.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

08.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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