TE OGH 2020/7/7 5Ob27/20m

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Veröffentlicht am 07.07.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei L***** GmbH, *****, vertreten durch die Berger Daichendt Grobovschek Rechtsanwälte OG in Salzburg, gegen die beklagte Partei B***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Dr. Michael Konzett, Rechtsanwalt in Bludenz, wegen Wiederaufnahme (Streitwert 263.599,24 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 9. Jänner 2020, GZ 2 R 170/19w-7, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Die Zurückweisung der auf eine der Klägerin erst nach Schluss der Verhandlung im Vorprozess zur Kenntnis gelangte Tatsache (§ 530 Abs 1 Z 7 ZPO) gestützten Wiederaufnahmsklage im Vorprüfungsstadium wirft keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO auf.

1.1. Gemäß § 530 Abs 2 ZPO ist die Wiederaufnahme aus dem hier geltend gemachten Wiederaufnahmsgrund nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO nur dann zulässig, wenn die Partei ohne ihr Verschulden außer Stande war, die neuen Tatsachen oder Beweismittel vor Schluss der mündlichen Verhandlung, auf welche die Entscheidung erster Instanz erging, geltend zu machen. Die Behauptungs- und Beweislast für den Mangel des Verschuldens trägt der Wiederaufnahmskläger (RIS-Justiz RS0044633; RS0044558 [T11, T12]). Wenn sich das Verschulden des Wiederaufnahmsklägers bereits aus den – als richtig angenommenen – Tatsachenbehauptungen der Klage ergibt, ist die Wiederaufnahmsklage schon im Vorprüfungsverfahren zurückzuweisen (RS0044558 [T1]; RS0044639 [T2]).

1.2. Ein Verschulden des Wiederaufnahmsklägers kann nur dann verneint werden, wenn er von der neuen Tatsache trotz sorgsamer Prozessvorbereitung und Beweismaterialbeschaffung erst nach Schluss der Verhandlung des Vorprozesses Kenntnis erlangt (RS0044533). Ob der Wiederaufnahmskläger die ihm zumutbare Sorgfalt angewendet hat und ob die Klageangaben geeignet sind, ein mangelndes Verschulden iSd § 530 Abs 2 ZPO darzulegen, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, sodass sich im Regelfall erhebliche Rechtsfragen von der Qualität des § 528 Abs 1 ZPO nicht stellen (RS0111578; RS0044633 [T7]; vgl RS0044619 [T5]; RS0109743 [T2]).

1.3. Dem Rekursgericht ist auch keine aus Gründen der Rechtssicherheit ausnahmsweise aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen. Sinn und Zweck der Wiederaufnahmsklage nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO ist es, eine unrichtige Tatsachengrundlage des mit der Wiederaufnahmsklage angefochtenen Urteils zu beseitigen, nicht aber, Fehler der Partei bei Führung des Vorprozesses zu korrigieren (RS0039991). Die Voraussetzung, dass der zu beseitigende Nachteil ohne Verschulden der Partei entstanden sein muss, ist daher streng zu nehmen (RS0044623). Gerade an die von einem Rechtsanwalt vertretene Partei ist ein restriktiver Maßstab anzulegen. Die Grenze bildet aber freilich auch in diesem Fall die Anwendung der nach den Umständen des Einzelfalls zumutbaren Sorgfalt (RS0106894 [T3]). Das Rekursgericht bejahte das Verschulden der Klägerin, weil sie sich bei sorgsamer Prozessvorbereitung von der neuen“ Tatsache der mangelnden Vertretungsbefugnis jener Person, die für die von den Parteien beauftragte Schiedsgutachterin den Schiedsgutachtervertrag unterfertigte, durch Einsichtnahme in das schweizerische Handelsregister Kenntnis verschaffen hätte müssen. Entscheidend für das Rekursgericht war dabei der Umstand, dass die Klägerin im Vorprozess die Rechtsunwirksamkeit des für sie ungünstigen Vertrags geltend machen wollte; in diesem Fall gehöre es zur allgemeinen Diligenzpflicht einer Partei durch einen einfachen Blick in das öffentliche Register zu ermitteln, ob der Vertrag überhaupt von einer vertretungsbefugten Person abgeschlossen worden sei. Die Klägerin hat im Vorverfahren die Rechtsunwirksamkeit des Schiedsgutachtervertrags und damit des Schiedsgutachtens auch tatsächlich eingewendet, das allerdings mit der fehlenden Sachkunde des beauftragten Schiedsgutachters begründet. Vor diesem Hintergrund ist die Beurteilung des Rekursgerichts, die Klägerin habe iSd § 530 Abs 2 ZPO gegen ihre prozessuale Diligenzpflicht verstoßen, nicht korrekturbedürftig.

2.1. Nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO berechtigen nur solche neuen Tatsachen und Beweismittel zur Wiederaufnahmsklage, deren Vorbringen und Benützung im früheren Verfahren eine der Partei günstigere Entscheidung in der Hauptsache herbeigeführt haben würde (RS0044676). Im Vorprüfungsverfahren ist die Frage, ob die als Wiederaufnahmsgrund geltend gemachten Umstände ersichtlich von vornherein keinen Einfluss auf die Entscheidung in der Hauptsache haben können, zwar nur abstrakt zu prüfen (RS0044510 [T8]; RS0036544 [T2]). Die Zurückweisung der Klage im Vorprüfungsverfahren ist aber dann gerechtfertigt, wenn der geltend gemachte Wiederaufnahmsgrund in keinem rechtlich beachtlichen Zusammenhang mit der angefochtenen Entscheidung steht, der Wiederaufnahmswerber also auch bei Zutreffen der behaupteten Wiederaufnahmsgründe eine Aufhebung oder Abänderung der Entscheidung nicht erreichen könnte (RS0044510 [T10, T17]; RS0044631 [T8]; RS0044411 [T15, T22]; vgl RS0117780).

2.2. Die von der Klägerin als Wiederaufnahmsgrund geltend gemachte mangelnde Vertretungsmacht des im Namen der Schiedsgutachterin auftretenden Mitarbeiters kann auch unter Zugrundelegung der Richtigkeit dieser Behauptung von vornherein zu keinem für die Klägerin günstigeren Verfahrensausgang im Vorprozess führen. Schiedsgutachterverträge sind Vereinbarungen, mit denen Parteien einen oder mehrere sachkundige Dritte mit der Feststellung einzelner Tatsachen oder Tatbestandselemente und allenfalls darüber hinaus den Parteiwillen durch einen entsprechenden Ausspruch zu ergänzen oder zu ersetzen, beauftragen (RS0045365; vgl RS0106358). Dabei sind die Schiedsgutachtensabrede, das ist die Einigung der Parteien auf die Rechte (Aufgaben) des Dritten, und der Schiedsgutachtervertrag, mit dem die Parteien den Schiedsgutachter beauftragen, zu unterscheiden (RS0106356). Die Rechtsunwirksamkeit des Schiedsgutachtervertrags im engeren Sinn bedeutet daher nicht ohne Weiteres die Rechtsunwirksamkeit auch der Schiedsgutachtensabrede und den Verlust der daraus abzuleitenden Verbindlichkeit des Schiedsgutachtens. Demgemäß vertrat das Erstgericht die Rechtsansicht, dass die allfällige Rechtsunwirksamkeit des Schiedsgutachtervertrags nicht die Unwirksamkeit des zwischen den Streitteilen ohne Beteiligung der Schiedsgutachterin abgeschlossenen Schiedsgutachtensvertrags bewirkt. Diese Beurteilung dieser selbständigen Rechtsfrage hat die Klägerin weder im Rekurs noch im Revisionsrekurs als unrichtig gerügt. In zweiter Instanz fallengelassene Einwände können in dritter Instanz auch nicht mehr geltend gemacht werden und eine Zulässigkeit des drittinstanzlichen Rechtsmittels nicht begründen (4 Ob 73/17w; RS0043352 [T26, T27, T33]; RS0043338 [T10, T11, T13, T27, T32]).

3. Zusammengefasst ist daher die Beurteilung des Vorliegens eines Verstoßes gegen die prozessuale Diligenzpflicht iSd § 530 Abs 2 ZPO eine Frage des Einzelfalls. Der Entscheidung darüber kommt grundsätzlich keine über diesen Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu. Abgesehen davon könnte die hier als Wiederaufnahmsgrund nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO geltend gemachte neue Tatsache unter Zugrundelegung der Klagebehauptungen von vornherein zu keinem für die Klägerin günstigeren Verfahrensausgang im Vorprozess führen.

Textnummer

E129004

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0050OB00027.20M.0707.000

Im RIS seit

07.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

09.12.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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