TE Bvwg Erkenntnis 2019/7/12 L521 1307540-5

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.07.2019
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Entscheidungsdatum

12.07.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §18 Abs1 Z6
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2
FPG §55 Abs1a

Spruch

L521 1307540-5/17E

Schriftliche Ausfertigung des am 26.06.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter MMag. Mathias Kopf, LL.M. über die Beschwerde des XXXX , Staatsangehörigkeit Türkei, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH als Mitglieder der ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, 1170 Wien, Wattgasse 48, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.04.2019, Zl. 820269707-180707508, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 26.06.2019 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte im Gefolge seiner unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet im Luftweg erstmals am 07.10.2005 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der niederschriftlichen Erstbefragung gab der Beschwerdeführer an, Staatsangehöriger der Türkei kurdischer Abstammung zu sein und den Namen XXXX zu führen. Zu den Gründen der Ausreise befragt, führte der Beschwerdeführer aus, dass sich zwei Kämpfer der Partiya Karkerên Kurdistanê (PKK) in seinem Haus aufgehalten hätten. Einer von ihnen sei von türkischen Sicherheitskräften verhaftet worden. Dem Beschwerdeführer, welcher sich zu dieser Zeit im zweiten Haus der Familie in XXXX aufgehalten habe, sei dies von einem Freund mitgeteilt worden, und habe ihm dieser überdies gesagt, dass er nunmehr von den Behörden gesucht werde und flüchten solle.

2. Bereits im Jahr 1997 hatte der Beschwerdeführer in der Bundesrepublik Deutschland internationalen Schutz begehrt, dies mit der Begründung, dass er während seiner Militärdienstzeit verfolgte Kurden von der Türkei nach Syrien gebracht habe. Das Asylverfahren in Deutschland wurde im Jahr 2000 negativ entschieden und wurde der Beschwerdeführer daraufhin in die Türkei abgeschoben.

3. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 07.11.2006, Zl. 05 16.490-BAE, wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 07.10.2005 auf Gewährung auf internationalen Schutzes gemäß § 7 AsylG 2005 abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei für zulässig erklärt. Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei ausgewiesen.

Die dagegen erhobene Beschwerde wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 21.03.2011, Zl. XXXX , als unbegründet ab. Eine dagegen erhobene Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof blieb erfolglos.

4. Da der Beschwerdeführer der Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nicht Folge leistete und sich einer für den 28.11.2011 terminierten Abschiebung durch Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland entzog, wurde am nach Wiedereinreise am 13.02.2012 in Schubhaft genommen. Am 06.03.2012 stellte der Beschwerdeführer in Schubhaft einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz und begründete diesen im Wesentlichen damit, nicht abgeschoben werden zu wollen. Seine Schwester in der Türkei habe ihm telefonisch mitgeteilt, dass die Polizei nach ihm suchen würde.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 06.03.2012, Zl. 12.02.697-EAST-WEST, wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des faktischen Abschiebeschutzes nicht vorliegen würden und der Beschwerdeführer in weiterer Folge am 07.03.2012 nach Istanbul abgeschoben.

5. Der Beschwerdeführer stellte im Gefolge seiner neuerlichen unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet im Luftweg am 12.09.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen dritten Antrag auf internationalen Schutz.

Befragt nach dem Grund der neuerlichen Ausreise gab der Beschwerdeführer dabei zusammengefasst an, er werde seit dem Jahr 2005 in der Türkei unterdrückt und ein Großcousin sei als Kämpfer der PKK inhaftiert gewesen. Aufgrund des identen Familiennamens würden sämtliche Familienmitglieder vom türkischen Staat unterdrückt. Polizisten hätten ihn im Jahr 2012 nach einem Besuch bei seinen Eltern erstmals zu seinem Großcousin einvernommen und in der Folge sei er bis zu fünf Mal angehalten und gefoltert worden. Er sei kürzlich der Halklarin Demokratik Partisi (HDP) beigetreten.

Ferner sei er im Jahr 2011 in Linz zum Christentum konvertiert und sei deshalb nach seiner Rückkehr von Familienmitgliedern ausgegrenzt und der türkischen Gesellschaft nicht aufgenommen wurden.

Im Fall einer Rückkehr in die Türkei fürchte er Festnahme und Inhaftierung, da sein Großcousin Kämpfer der PKK sei und ihm deshalb unterstellt werde, für die PKK zu arbeiten.

6. Nach Zulassung des Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 06.09.2016 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, niederschriftlich einvernommen.

Neuerlich zu den Ausreisegründen befragt gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, sein Großcousin XXXX gehöre seit mehr als 20 Jahre der PKK an und habe nach seiner Verurteilung im Gefängnis von Diyarbakir seine Haftstrafe verbüßt. Dabei sei er so stark gefoltert worden, dass er nunmehr "auf dem Stand eines 4,5-Jährigen" sei. Sämtliche Verwandte des Genannten würden regelmäßig festgenommen. Er selbst habe mit der PKK nichts zu tun und sei Sozialdemokrat, Kurde und würde seine Rechte verteidigen. Dennoch sei auch er festgenommen worden.

Darüber hinaus sei er im Jahr 2011 zum Christentum konvertiert und deshalb im Ramadan angesprochen wurden, weshalb er nicht fasten würde. Nachdem er sich erklärt habe, hätte er seinen Arbeitsplatz verloren. Dies hätte sich mehrere Male wiederholt.

7. Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 14.10.2016, Zl. 820269707-151327051, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 12.09.2015 gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei ebenso abgewiesen (Spruchpunkt II). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde wider den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV).

Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl insbesondere aus, der Beschwerdeführer habe keine Verfolgung durch den türkischen Staat zu befürchten und es bestehe außerdem eine taugliche innerstaatliche Fluchtalternative. Dem Vorbringen zu den Ausreisegründen komme keine Glaubwürdigkeit zu.

8. Gegen den dem Beschwerdeführer am 18.10.2016 durch Hinterlegung zugestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde im Wege der beigegebenen Rechtsberatung fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben.

9. Das Bundesverwaltungsgericht wies die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 14.10.2016, Zl. 820269707-151327051, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 09.05.2017, L521 1307540-2/13E, als unbegründet ab.

Der Beschwerdeführer erhob dagegen weder Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, noch Revision an den Verwaltungsgerichtshof. Seine Anträge auf Gewährung der Verfahrenshilfe blieben jeweils erfolglos.

10. Da der Beschwerdeführer der Ausreiseverpflichtung keine Folge leistete, wurde er über Anordnung des Bundeamtes für Fremdenwesen und Asyl am 11.09.2017 festgenommen und am 14.09.2017 dem türkischen Konsulat in Wien zum Zweck der Erlangung eines Heimreisezertifikates vorgeführt. Im Anschluss an die Vorführung wurde die Festnahme aufgehoben.

Das türkische Konsulat stellte am 21.09.2018 ein Heimreisezertifikat für den Beschwerdeführer aus.

11. Der Beschwerdeführer setzte sich in der Folge zunächst nach Italien und dann in die Bundesrepublik Deutschland ab, wo er am 12.10.2017 in Heidelberg erkennungsdienstlich behandelt wurde. Am 23.07.2018 wurde er von deutschen Behörden gemäß der Verordnung (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 nach Österreich rücküberstellt und im Anschluss an die Rücküberstellung in Salzburg festgenommen.

Zunächst legte der Beschwerdeführer niederschriftlich am 23.07.2018 gegenüber Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes dar, in Österreich keinen neuen Asylantrag stellen zu wollen. Er strebe eine Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland an, wo er sich zuletzt mehrere Monate bei Verwandten aufgehalten und einen Asylantrag gestellt habe.

12. Mit Bescheid des Bundeamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.07.2018, Zl. 820269797-180694147, wurde über den Beschwerdeführer die Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung verhängt.

13. Am 26.07.2018 stellte der Beschwerdeführer den verfahrensgegenständlichen vierten Antrag auf internationalen Schutz. Zu diesem wurde er am Tag der Antragstellung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Polizeianhaltezentrum Salzburg erstbefragt.

Zu den Gründen seiner neuerlichen Antragstellung befragt führte der Beschwerdeführer aus, er habe in der Türkei der HDP angehört und in der Wohnung seiner Eltern diverse Bücher und Informationen über Abdullah ÖCALAN versteckt. Diese Wohnung sei im Jahr 2017 durchsucht worden, dabei hätten die Polizisten seine Eltern nach seinem Verbleib befragt. Im Anschluss an die Durchsuchung habe die Polizei die Eltern festgenommen. Seine Mutter habe die Polizei nach kurzer Zeit wieder freigelassen, sein Vater sei von den Polizisten geschlagen und gefoltert worden, damit er den Aufenthaltsort des Beschwerdeführers preisgebe. Im Jahr 2018 sei die Wohnung seiner Eltern nochmals durchsucht und sein Vater abermals auf der Polizeiwache geschlagen worden. Dort habe er preisgegeben, dass sich der Beschwerdeführer in Europa aufhalten würde. Er selbst habe außerdem von Bekannten erfahren, dass er gesucht werde.

Das Verfahren des Beschwerdeführers wurde in weiterer Folge nicht zugelassen und die verhängte Schubhaft fortgesetzt.

14. Am 09.08.2018 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Erstaufnahmestelle West, im Beisein einer geeigneten Dolmetscherin in türkischer Sprache niederschriftlich vor der zur Entscheidung berufenen Organwalterin zu seinem neuerlichen Asylantrag einvernommen.

Seitens des Beschwerdeführers wurde im Wesentlichen vorgebracht, sich nach der Vorführung zum türkischen Konsulat zunächst nach Italien begeben zu haben. Da er dort unter freiem Himmel habe übernachten müssen, sei er nach Deutschland gereist. Dort habe er sich acht oder neun Monate als Asylwerber aufgehalten, ehe er nach Österreich rücküberstellt worden sei. Den gegenständlichen vierten Antrag auf internationalen Schutz begründe er damit, dass ein Freund von ihm nach Neujahr 2018 eine versperrte Tasche bei seinen Eltern in der Türkei deponiert habe. Dieser Freund sei anschließend festgenommen worden, woraufhin Polizisten die Wohnung seiner Eltern durchsucht und in der Tasche Unterlagen der HDP aufgefunden hätten. Seine Eltern wären sodann zur Dienststelle verbracht und dort beschimpft, geschlagen und nach seinem Verbleib befragt worden.

15. Am 13.08.2018 wurde der Beschwerdeführer neuerlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Erstaufnahmestelle West, im Beisein einer geeigneten Dolmetscherin in türkischer Sprache niederschriftlich vor der zur Entscheidung berufenen Organwalterin zu seinem neuerlichen Asylantrag einvernommen.

Dabei legte der Beschwerdeführer ergänzend dar, dass er nach seiner letzten Abschiebung in die Türkei am Flughafen in Gewahrsam genommen und anschließend geschlagen worden sei.

16. Am 24.08.2018 übermittelte der Beschwerdeführer dem Bundesamt ein schriftliches Vorbringen in türkisches Sprache. Die rechtsfreundliche Vertretung des Beschwerdeführers übermittelte dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 05.09.2018 Ablichtungen von Lichtbildern und Dokumenten in türkischer Sprache zum Beweis des Vorbringens des Beschwerdeführers.

17. Am 06.09.2018 wurde der Beschwerdeführer erneut vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Erstaufnahmestelle West, im Beisein einer geeigneten Dolmetscherin in türkischer Sprache niederschriftlich vor der zur Entscheidung berufenen Organwalterin einvernommen. Dabei legte der Beschwerdeführer zu den vorgelegten Beweismitteln dar, sein Neffe sei seit neun Monaten inhaftiert, da er für einen nunmehr verbotenen Fernsehsender gearbeitet habe. Da er mit seinem Neffen Kontakt gepflegt habe, befürchte er nunmehr, ebenfalls inhaftiert zu werden.

Im Anschluss an die Einvernahme wurde ein Bescheid über die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG mündlich verkündet und die Verkündung niederschriftlich beurkundet.

18. Im amtswegig eingeleiteten Überprüfungsverfahren beurteilte das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 11.09.2018, L504 1307540-3/3E, die erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes als nicht rechtmäßig und führte begründend insbesondere aus, dass sich der angefochtene Bescheid auf veraltete Länderberichte stützen würde und ausgehend davon eine Rückkehrprognose zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich sei.

19. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.11.2018, Zl. 820269707-180707508, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 26.07.2018 in weiterer Folge gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkte I. und II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß §§ 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde wider den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG bestehe keine Frist für eine freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.). Schließlich wurde wider den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 und 2 FPG ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreisverbot erlassen (Spruchpunkt VII).

Das BFA stellte fest, dass der Beschwerdeführer im vorangehenden Asylverfahren vorgebracht habe, die Türkei aufgrund von Schwierigkeiten nach seiner Konversion zum Christentum verlassen zu haben. Im gegenständlichen Verfahren habe sich der Beschwerdeführer "auf die von Ihnen bereits im Vorverfahren vorgebrachten Gründe" bezogen und angegeben, dass seine Eltern neuerlich von der Polizei festgenommen und zur Dienststalle verbracht worden wären. Der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt habe sich daher nicht geändert. Die allgemeine Lage im Herkunftsland habe sich seit rechtskräftigem Abschluss des vorangegangenen Asylverfahrensebenfalls nicht geändert.

In der Beweiswürdigung wird dazu wörtlich ausgeführt:

"Sie geben im gegenständlichen Verfahren dieselben Antragsgründe an, die Sie bereits im Vorverfahren angegeben haben bzw. bezogen sich auf diese. Damit deckt sich Ihr Parteibegehren im gegenständlichen Antrag mit dem in vorherigen Anträgen.

Ein entscheidungsrelevanter neuer Sachverhalt liegt nicht vor und es wird voraussichtlich eine Zurückweisung des Folgeantrags erfolgen.

Auch vermochten Sie es nicht im Zuge Ihrer weiteren drei Einvernahmen vor dem Bundesamt, neue Asylrelevante Gründe vorzubringe und geben wiederum an mit der Polizei und den Behörden in der Türkei aufgrund Ihrer Vergangenheit mit der HDP Partei und der Verbindung zu Ihrem, Ihren Angaben zu Folge verhafteten Cousin, Probleme zu haben. Beweismittel hinsichtlich dieser Schilderungen vermochten Sie nicht vorzulegen. So ergibt sich keine Abänderungen seit Rechtskraft des Vorverfahrens vom 15.05.2017."

20. Gegen den dem Beschwerdeführer am 15.11.2017 durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes eigenhändig zugestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.11.2018, Zl. 820269707-180707508, erhob der Beschwerdeführer abermals im Wege seiner rechtsfreundlichen Vertretung Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

21. Der Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.11.2018, Zl. 820269707-180707508, gab das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 28.11.2018, L521 1307540-4/3E, gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG statt und hob den angefochtenen Bescheid auf (womit das Verfahren zugelassen war).

Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe entgegen den insoweit aktenwidrigen Feststellungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl sehr wohl neue Tatsachen vorgebracht, die sich angeblich nach dem Abschluss des vorangegangenen Asylverfahrens in der Türkei ereignet haben sollen. Dass dieses neue Vorbringen in einem inhaltlichen Zusammenhang mit einem Vorbringen steht, welches bereits von der Rechtskraftwirkung des abgeschlossenen Erstverfahrens umfasst ist, ändere nichts an dem Umstand, dass dieses neue Vorbringen daraufhin zu überprüfen ist, ob es einen glaubhaften Kern im Sinn der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aufweise oder nicht.

22. Mit dem hier angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.04.2019, Zl. 820269707-180707508, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 26.07.2018 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde wider den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak gemäß § 46 FPG 2005 zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung wurde gemäß § 18 Abs. 1 Z. 6 BFA-VG aberkannt (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG 2005 wurde wiederum ausgesprochen, dass keine Frist für eine freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VII.) und wider den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 und 2 FPG 2005 ein Einreiseverbot für die Dauer von zwei Jahren erlassen (Spruchpunkt VIII.).

Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen aus, das Vorbringen des Beschwerdeführers habe sich als nicht glaubwürdig erwiesen und es fehle ihm an Plausibilität und Aktualität. Soweit sich der Beschwerdeführer zuletzt auf Misshandlungen nach seiner Abschiebung im Jahr 2012 beziehe, sei dieses Vorbringen von der rechtskräftigen Entscheidung im vorangehenden Asylverfahren bereits mitumfasst.

Der Beschwerdeführer verfüge nach wie vor über seine Familie in der Türkei und sei arbeitsfähig. Eine Rückkehr in die Türkei sei ihm möglich und zumutbar. Hinsichtlich der Erlassung einer Rückkehrentscheidung für das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im angefochtenen Bescheide aus, das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung wiege fallbezogen schwerer als die Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet. Der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung abzuerkennen, da gegen den Beschwerdeführer eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung Vorstellung das Antrags auf internationalen Schutz erlassen worden sei.

Zur Erlassung eines Einreiseverbots führt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl schließlich aus, der Beschwerdeführer sei der Ausreiseverpflichtung infolge der am 15.5.2017 rechtskräftig gewordene Rückkehrentscheidung nicht nachgekommen, sodass nunmehr ein Einreiseverbot zu erlassen sei.

23. Mit Verfahrensanordnung vom 11.04.2019 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben und der Beschwerdeführer ferner gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG darüber informiert, dass er verpflichtet sei, ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen.

24. Gegen den dem Beschwerdeführer am 18.04.2019 durch Hinterlegung zugestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet sich die im Wege der dem Beschwerdeführer beigegebenen und von ihm bevollmächtigte Rechtsberatungsorganisation eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

In dieser wird inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften moniert und beantragt, den angefochtenen Bescheid abzuändern und dem Antrag auf internationalen Schutz Folge zu geben und dem Beschwerdeführer der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen oder hilfsweise des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen oder hilfsweise dem Beschwerdeführer ei einen Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005 zu erteilen und die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt und jedenfalls die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht begehrt. Schließlich begehrt der Beschwerdeführer die Aufhebung und in eventu die Herabsetzung des verhängten Einreiseverbotes.

In der Sache bringt der Beschwerdeführer nach neuerlicher Darlegung des aus seiner Sicht maßgeblichen Sachverhaltes vor, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl stütze den angefochtenen Bescheid auf unvollständige, teilweise veraltete Länderberichte zur "Situation in Afghanistan" bzw. werte die Berichte nur unvollständig aus. Gerade bei instabilen und sich rasch geänderten Verhältnissen im Herkunftsstaat könnte nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes Ost auch zeitlich nicht lange zurückliegende Berichte ihre Aktualität bereits verloren haben. In der Folge werden über mehrere Seiten Länderberichte zur Lage der Kulturen in der Türkei auszugsweise zitiert und deren unterbliebene Berücksichtigung im Verfahren gerügt.

In der Folge tritt die Beschwerde der Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides im Detail entgegen und wird insbesondere ausgeführt, der Beschwerdeführer habe vorgebracht, dass sich in der bei seinen Eltern aufgefundenen Tasche Unterlagen betreffend die HTP befunden hätten und seine Eltern von türkischen Behörden zusätzlich mit Fotos konfrontiert worden wären, auf denen der Beschwerdeführer mit Sympathisanten der HTP zu sehen sei. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl stütze die Beweiswürdigung demgegenüber auf Sachverhaltsannahmen, die der Beschwerdeführer in dieser Form nicht vorgetragen habe.

25. Die Beschwerdevorlage langte am 20.05.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die Rechtssache wurde in weiterer Folge der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts zugewiesen.

26. Zur Vorbereitung der für den 26.06.2019 anberaumten mündlichen Verhandlung wurden der rechtsfreundlichen Vertretung des Beschwerdeführers mit Note des Bundesverwaltungsgerichtes vom 24.05.2019 aktuelle Länderdokumentationsunterlagen zur allgemeinen Lage in der Türkei, zur Lage kurdischer politischer Parteien und zur Lage von Kurden in der Türkei zur Wahrung des Parteiengehörs übermittelt und die Möglichkeit eingeräumt, dazu innerhalb einer Frist schriftlich Stellung zu nehmen. Ferner wurde dem Beschwerdeführer aufgetragen, bis zur mündlichen Verhandlung die Bestätigung über die bei ihren Eltern durchgeführten Hausdurchsuchung und einen aktuellen türkischen Strafregisterauszug vorzulegen.

Eine diesbezügliche Stellungnahme des Beschwerdeführers langte am 21.05.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein, die Vorlage von Beweismitteln unterblieb allerdings.

27. Darüber hinaus wurde der Beschwerdeführer mit seiner rechtsfreundlichen Vertretung übermittelten Note vom 29.05.2019 um Erteilung der Zustimmung zur Beischaffung der Akten seines in der Bundesrepublik Deutschland geführten Asylverfahrens ersucht. Die Zustimmung wurde seitens des Beschwerdeführers in der Folge nicht erteilt.

28. Am 26.06.2019 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seiner rechtsfreundlichen Vertretung und eines gerichtlich beeideten Dolmetschers für die türkische Sprache durchgeführt. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer einerseits Gelegenheit gegeben, die der neuerlichen Antragstellung zugrundeliegenden Umstände umfassend darzulegen sowie die aktuelle Lageentwicklung in der Türkei anhand der dem Beschwerdeführer im Vorfeld übermittelnden Länderdokumentationsunterlagen erörtert. Der Beschwerdeführer brachte im Gefolge der Einvernahme medizinische Unterlagen und eine Einstellungszusage in Vorlage.

Im Anschluss an die mündliche Verhandlung wurde das gegenständliche Erkenntnis samt den wesentlichen Entscheidungsgründen mündlich verkündet und seitens des Beschwerdeführers mit Eingabe vom 27.06.2019 Tag die Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung des Erkenntnisses beantragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer führt den im Spruch angegebenen Namen und ist Staatsangehöriger der Türkei. Er wurde am XXXX in der Türkei im Landkreis XXXX der Provinz XXXX geboren, gehört der Volksgruppe der Kurden an und bekennt sich zur evangelischen Kirche augsburgischen Bekenntnisses in Österreich. Der Beschwerdeführer ist ledig, lebt nicht in einer Lebensgemeinschaft und hat keine Kinder.

Im Alter von einem Jahr zog der Beschwerdeführer mit seinen Eltern nach XXXX , wo er auch aufwuchs und fünf Jahre die Volksschule und drei Jahre die Hauptschule besuchte. Er brach die Hauptschule 1985 ab, um eine Schneiderlehre in XXXX zu absolvieren. In Gaziantep arbeitete der Beschwerdeführer für etwa viereinhalb Jahre als Schneider, bis er im Alter von 20 Jahren zum Wehrdienst eingezogen wurde. Der Beschwerdeführer leistete seinen 19 Monate dauernden Wehrdienst in XXXX ab und arbeitete anschließend wieder als Schneider in Gaziantep und in einem Kino als Hausmeister.

1.2. Im Jahr 1997 stellte der Beschwerdeführer in der Bundesrepublik Deutschland einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Jahr 2000 wurde er aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen und kehrte in die Türkei zurück. Bis zu seiner neuerlichen Ausreise arbeitete der Beschwerdeführer auf selbstständiger Basis gemeinsam mit seinem Vater im Transportwesen und beförderten Güter als Subunternehmer einer Spedition.

Am 03.10.2005 reiste der Beschwerdeführer unter Verwendung eines gefälschten Reisepasses mit dem Flugzeug von Istanbul nach Österreich und stellte dort am 07.10.2005 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes unter Vorgabe des Namens XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 07.11.2006, Zl XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 07.10.2005 auf Gewährung auf internationalen Schutzes abgewiesen und seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Türkei für zulässig erklärt. Außerdem wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei ausgewiesen.

Die dagegen erhobene Berufung wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 21.03.2011, Zl. XXXX , als unbegründet ab. Die Behandlung einer gegen dieses Erkenntnis erhobenen Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof wurde mit Beschluss vom 10.06.2011 abgelehnt.

Da der Beschwerdeführer der Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nicht Folge leistete und sich einer für den 28.11.2011 terminierten Abschiebung durch Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland entzog, wurde am nach Wiedereinreise am 13.02.2012 in Schubhaft genommen. Am 06.03.2012 stellte der Beschwerdeführer in Schubhaft einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 06.03.2012, Zl. XXXX , wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des faktischen Abschiebeschutzes nicht vorliegen würden und der Beschwerdeführer in weiterer Folge am 07.03.2012 im Luftweg nach Istanbul abgeschoben.

Während der Aufenthaltes in der Türkei bis zur neuerlichen Ausreise zu Beginn des Monats September 2015 arbeitete der Beschwerdeführer aufgrund seiner Kenntnisse der deutschen und der englischen Sprache als Kellner und dann als Oberkellner in Hotels in XXXX .

Am 12.09.2015 stellte der Beschwerdeführer nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 14.10.2016, Zl. 820269707-151327051, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.

Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 09.05.2017, L521 1307540-2/13E, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde seitens des Beschwerdeführers dagegen nicht erhoben.

Da der Beschwerdeführer der Ausreiseverpflichtung keine Folge leistete, wurde er über Anordnung des Bundeamtes für Fremdenwesen und Asyl am 11.09.2017 festgenommen und am 14.09.2017 dem türkischen Konsulat in Wien zum Zweck der Erlangung eines Heimreisezertifikates vorgeführt. Im Anschluss an die Vorführung wurde die Festnahme aufgehoben. Das türkische Konsulat stellte am 21.09.2018 ein Heimreisezertifikat für den Beschwerdeführer aus.

Der Beschwerdeführer setzte sich in der Folge zunächst nach Italien und dann in die Bundesrepublik Deutschland ab, wo er am 12.10.2017 in Heidelberg erkennungsdienstlich behandelt wurde und einen Asylantrag stellte. Am 23.07.2018 wurde er von deutschen Behörden gemäß der Verordnung (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 nach Österreich rücküberstellt und im Anschluss an die Rücküberstellung in Salzburg festgenommen. Zunächst legte der Beschwerdeführer niederschriftlich am 23.07.2018 gegenüber Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes dar, in Österreich keinen neuen Asylantrag stellen zu wollen. Er strebe eine Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland an, wo er sich zuletzt mehrere Monate bei Verwandten aufgehalten und einen Asylantrag gestellt habe.

Mit Bescheid des Bundeamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.07.2018, Zl. 820269797-180694147, wurde über den Beschwerdeführer die Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung verhängt. Am 26.07.2018 stellte der Beschwerdeführer in Schubhaft den verfahrensgegenständlichen vierten Antrag auf internationalen Schutz.

Der weitere Verfahrensgang gestaltete sich wie unter Punkt I. dieser Erledigung dargestellt.

1.3. Bis zu seiner Ausreise im Jahr 2015 lebte der Beschwerdeführer abwechselnd in XXXX in einer Wohnung und in XXXX an seinem Arbeitsplatz. Vor der Ausreise hielt sich der Beschwerdeführer etwa vier Wochen in Istanbul auf.

Die Eltern des Beschwerdeführers sind nach wie in XXXX aufhältig, sie leben abwechseln in der Stadt und auf dem Land sowie fallweise auch bei den in der Türkei aufhältigen Geschwistern des Beschwerdeführers. Der Vater des Beschwerdeführers ist mittlerweile im Ruhestand und bezieht eine Pension, seine Mutter führt den Haushalt. In der Türkei leben außerdem zwei Schwestern und der Bruder des Beschwerdeführers. Eine Schwester des Beschwerdeführers lebt in der Stadt Eskisehir in Anatolien und ist Hausfrau, eine weitere Schwester des Beschwerdeführers lebt in Ankara und ist als Beamtin erwerbstätig. Der Bruder des Beschwerdeführers lebt in der Stadt Antakya und ist als Beamter erwerbstätig. Der Beschwerdeführer verfügt ferner über eine Schwester in Düsseldorf, die dort mit ihrer Familie lebt und den Haushalt führt. Der Beschwerdeführer steht in Kontakt mit seinen Familienangehörigen.

1.4. Der Beschwerdeführer gehört der Halklarin Demokratik Partisi (HDP) seit August 2015 als (einfaches) Mitglied an. Bereits zuvor nahm er während seines Aufenthaltes in der Türkei an Aktivitäten und Aufmärschen der HDP teil.

Er hat sich während seines Aufenthaltes in Österreich im Jahr 2011 dem Christentum zugewandt, ohne vor der Abschiebung das Sakrament der Taufe zu empfangen. In der Türkei ließ der Beschwerdeführer sein vormaliges islamisches (eigentlich alevitisches) Glaubensbekenntnis am 12.09.2014 aus seinem Nüfus entfernen. Da er an islamischen religiösen Gebräuchen wie etwa dem Ramadan nicht teilnahm, wurde er darauf gelegentlich an seiner Arbeitsstelle angesprochen und beschimpft.

Das Bundesverwaltungsgericht erkannte in seiner rechtskräftigen und unangefochten gebliebenen Entscheidung vom 09.05.2017, L521 1307540-2/13E, dass nicht festgestellt werden könne, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise von Sicherheitskräften angehalten, verhört und gefoltert wurde. Eine anderweitige individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers in der Türkei vor der Ausreise oder ihm wiederfahrende psychische und/oder physische Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte konnte ebensowenig festgestellt werden, wie dass er im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre. Schließlich wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer im Fall einer einer Rückkehr in die Türkei nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer Strafverfolgung im Zusammenhang mit einem behaupteten ihm unterstellten Naheverhältnis zur Partiya Karkerên Kurdistanê (PKK) unterliegt und er nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer staatlichen Verfolgung im Hinblick auf seine Zugehörigkeit zu einer kurdisch-stämmigen Familie oder seiner Mitgliedschaft in der HDP ausgesetzt sein wird. Die Beschwerde wurde daher abgewiesen.

1.5. Es kann nicht festgestellt werden, dass im Jahr 2017 oder 2018 die Wohnung der Eltern des Beschwerdeführers in der Türkei von Sicherheitskräften durchsucht und dabei ein Koffer mit belastendem Material sichergestellt und die Eltern des Beschwerdeführers befragt und misshandelt wurden. Ferner kann nicht festgestellt werden, dass die Eltern des Beschwerdeführers im Jahr 2017 oder 2018 von Sicherheitskräften nach dem Verbleib des Beschwerdeführers befragt und dabei misshandelt wurden.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in die Türkei einer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretenden individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt wäre.

Der Beschwerdeführer stellte den gegenständlichen vierten Antrag auf internationalen Schutz zur Vereitelung seiner Abschiebung in die Türkei und um seinen faktischen Aufenthalt im Bundesgebiet zu perpetuieren.

1.6. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die Todesstrafe droht. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge in der Türkei.

Der Beschwerdeführer unterliegt bei einer Rückkehr in die Türkei nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer Strafverfolgung im Zusammenhang mit einem behaupteten ihm unterstellten Naheverhältnis zur Partiya Karkerên Kurdistanê (PKK). Er unterliegt bei einer Rückkehr in die Türkei mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auch nicht der Gefahr einer staatlichen Verfolgung im Hinblick auf seine Zugehörigkeit zu einer kurdisch-stämmigen Familie oder seiner Mitgliedschaft in der Halklarin Demokratik Partisi (HDP).

Der Beschwerdeführer gehört der Gülen-Bewegung nicht an und war nicht in den versuchten Staatsstreich durch Teile der türkischen Armee in der Nacht vom 15.07.2016 auf den 16.07.2016 verwickelt.

1.7. Der Beschwerdeführer ist ein arbeitsfähiger Mensch mit bestehenden Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat und einer - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherten Existenzgrundlage. Er verfügt über ausreichend Berufserfahrung als Schneider, als Hausmeister, im Güterbeförderungsgewerbe und im Tourismus. Dem Beschwerdeführer ist die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Sicherstellung seines Auskommens möglich und zumutbar.

Der Beschwerdeführer leidet weder an einer schweren körperlichen noch an einer schweren psychischen Erkrankung. Im September 2013 wurde der Beschwerdeführer in der Türkei am Knie operativ behandelt. Während seiner Anhaltung in Schubhaft litt der Beschwerdeführer an Schlafstörungen und Alpträumen und wurde mit dem Medikament Quetiapin behandelt. Seit der Entlassung aus der Schubhaft nimmt der Beschwerdeführer keine Medikamente mehr ein. Aktuelle Befunde über körperliche oder psychische Leiden brachte er nicht in Vorlage.

Der Beschwerdeführer verfügt über ein türkisches Identitätsdokument (Nüfus, ausgestellt am 12.09.2014) im Original und eine Wohnmöglichkeit bei seiner Familie in Gaziantep.

1.8. Der Beschwerdeführer hielt sich nach seiner Einreise am 12.09.2015 zunächst im Bundesgebiet auf. Er reiste rechtswidrig in Österreich ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz, der im Instanzenzug mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 09.05.2017, L521 1307540-2/13E, rechtskräftig abgewiesen wurde. Der Beschwerdeführer kam seiner Ausreiseverpflichtung daraufhin nicht nach, erlangte jedoch auch kein auf ein anderes Bundesgesetzt gestütztes Aufenthaltsrecht. Zur Erlangung eines Heimreisezertifikates musste er am 11.09.2017 festgenommen und am 14.09.2017 dem türkischen Konsulat in Wien zwangsweise vorgeführt werden. Nach seiner Enthaftung setzte sich der Beschwerdeführer an einem nicht feststellbaren Tag zunächst nach Italien und dann in die Bundesrepublik Deutschland ab.

Am 23.07.2018 wurde er von deutschen Behörden gemäß der Verordnung (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 nach Österreich rücküberstellt. Nach anfänglicher Weigerung stellte der Beschwerdeführer am 26.07.2018 in Schubhaft den verfahrensgegenständlichen vierten Antrag auf internationalen Schutz. Er ist seither wiederum als Asylwerber im Bundesgebiet aufhältig und und verfügt über keinen anderen Aufenthaltstitel.

Der Beschwerdeführer bezog zunächst Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber und lebte zunächst bis zum 04.12.2018 in Unterkünften für Asylwerber in XXXX und anschließend bis zum 14.12.2018 in einer Unterkunft für Asylwerber in XXXX . Von dieser Unterkunft entfernte sich der Beschwerdeführer eigenmächtig, da er die Unterbringung als inadäquat erachtete, sodass die Leistungen der Grundversorgung eingestellt wurden.

Der Beschwerdeführer ist derzeit nicht legal erwerbstätig und für niemanden sorgepflichtig. Er verfügt über keine Krankenversicherung. Der Beschwerdeführer verfügt derzeit über kein Einkommen und kein Vermögen. Er wird bei Bedarf von seinen Geschwistern unterstützt.

Vom 14.12.2018 bis zum 30.01.2019 verfügte der Beschwerdeführer über keinen meldebehördlich erfassten Wohnsitz im Bundesgebiet. Seit dem 31.01.2019 verfügt er über einen meldebehördlich erfassten Wohnsitz in der Bundeshauptstadt Wien, der Beschwerdeführer hält sich dort eigenen Angaben jedoch nicht mehr auf und lebt nunmehr an verschiedenen Orten in Österreich abwechselnd bei Freunden. Eine Abmeldung seines Wohnsitzes in der Bundeshauptstadt Wien veranlasste er nicht, da er den Unterkunftgeber diesbezüglich in der Pflicht sieht.

Der Beschwerdeführer verfügt über eine Einstellungszusage der XXXX als Arbeiter, wobei ein erster Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung wegen Erschöpfung des Kontingentes abgewiesen wurde.

Im Bundesgebiet halten sich keine nahen Verwandten des Beschwerdeführers auf. Ein entfernter Cousin des Beschwerdeführers, XXXX , lebt in Tirol. Der Beschwerdeführer steht mit diesem gelegentlich in telefonischem Kontakt.

Der Beschwerdeführer pflegt im Übrigen normale soziale Kontakte. Ein Engagement in der evangelischen Pfarrgemeinde A.B. Wien-Liesing, wo er am 21.02.2016 das Sakrament der Taufe empfangen hat, war im gegenständlichen Verfahren nicht mehr feststellbar, zumal der Beschwerdeführer einen unsteten Lebenswandel führt und sich an verschiedenen Orten in Österreich abwechselnd aufhält.

Im Jahr 2011 legte der Beschwerdeführer eine Deutschprüfung über das Niveau A1 ab. Er hat die deutsche Sprache im Selbststudium erlernt und beherrscht diese in einem für die alltägliche Verständigung ausreichenden Umfang.

1.9. Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten. Sein Aufenthalt im Bundesgebiet war nie nach § 46a Abs. 1 Z. 1 oder Abs. 1a FPG geduldet. Sein Aufenthalt ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Der Beschwerdeführer wurde nicht Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO.

1.10. Zur aktuellen Lage in der Türkei werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der abgekürzt zitierten und gegenüber dem Beschwerdeführer offengelegten Quellen getroffen:

1. Politische Lage

Die Türkei ist eine Präsidialrepublik und laut Art. 2 ihrer Verfassung ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat auf der Grundlage öffentlichen Friedens, nationaler Solidarität, Gerechtigkeit und der Menschenrechte sowie den Grundsätzen ihres Gründers Atatürk besonders verpflichtet. Staats- und Regierungschef ist seit Einführung des präsidialen Regierungssystems per 9.7.2018 der Staatspräsident, der die politischen Geschäfte führt (AA 3.8.2018).

Der Präsident wird für eine Amtszeit von fünf Jahren direkt gewählt und kann bis zu zwei Amtszeiten innehaben, mit der Möglichkeit einer dritten Amtszeit, wenn während der zweiten Amtszeit vorgezogene Präsidentschaftswahlen ausgerufen werden. Erhält kein Kandidat in der ersten Runde die absolute Mehrheit der gültigen Stimmen, findet zwei Wochen später eine Stichwahl zwischen den beiden stimmenstärksten Kandidaten statt. Die 600 Mitglieder der Großen Türkischen Nationalversammlung, ein Einkammerparlament, werden durch ein proportionales System mit geschlossenen Parteienlisten bzw. unabhängigen Kandidaten in 87 Wahlkreisen für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Wahlkoalitionen sind erlaubt. Es gilt eine 10%-Hürde für Parteien bzw. Wahlkoalitionen, die höchste unter den Staaten der OSZE und des Europarates. Die Verfassung garantiert die Rechte und Freiheiten, die den demokratischen Wahlen zugrunde liegen, nicht ausreichend, da sie sich auf Verbote zum Schutze des Staates beschränkt und der Gesetzgebung diesbezügliche unangemessene Einschränkungen erlaubt. Im Rahmen der Verfassungsänderungen 2017 wurde die Zahl der Sitze von 550 auf 600 erhöht und die Amtszeit des Parlaments von vier auf fünf Jahre verlängert (OSCE/ODIHR 25.6.2018).

In der Verfassung wird die Einheit des Staates festgeschrieben, wodurch die türkische Verwaltung zentralistisch aufgebaut ist. Es gibt mit den Provinzen, den Landkreisen und den Gemeinden (belediye/mahalle) drei Verwaltungsebenen. Die Gouverneure der 81 Provinzen werden vom Innenminister ernannt und vom Staatspräsidenten bestätigt. Den Landkreisen steht ein vom Innenminister ernannter Regierungsvertreter vor. Die Bürgermeister und Dorfvorsteher werden vom Volk direkt gewählt, doch ist die politische Autonomie auf der kommunalen Ebene stark eingeschränkt (bpb 11.8.2014).

Am 16.4.2017 stimmten bei einer Beteiligung von 85,43% der türkischen Wählerschaft 51,41% für die von der regierenden AKP initiierte und von der rechts-nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) unterstützte Verfassungsänderung, welche ein exekutives Präsidialsystem vorsah (OSCE 22.6.2017, vgl. HDN 16.4.2017). Die gemeinsame Beobachtungsmisson der OSZE und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) kritisierte die ungleichen Wettbewerbsbedingungen beim Referendum. Der Staat hat nicht garantiert, dass die WählerInnen unparteiisch und ausgewogen informiert wurden. Zivilgesellschaftliche Organisationen konnten an der Beobachtung des Referendums nicht teilhaben. Einschränkungen von grundlegenden Freiheiten aufgrund des bestehenden Ausnahmezustands hatten negative Auswirkungen. Im Vorfeld des Referendums wurden Journalisten und Gegner der Verfassungsänderung behindert, verhaftet und fallweise physisch attackiert. Mehrere hochrangige Politiker und Beamte, darunter der Staatspräsident und der Regierungschef setzten die Unterstützer der Nein-Kampagne mit Terrorsympathisanten oder Unterstützern des Putschversuchs vom Juli 2016 gleich (OSCE/PACE 17.4.2017).

Die oppositionelle Republikanische Volkspartei (CHP) und die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) legten bei der Obersten Wahlkommission Beschwerde ein, dass 2,5 Millionen Wahlzettel ohne amtliches Siegel verwendet worden seien. Die Kommission wies die Beschwerde zurück (AM 17.4.2017). Gegner der Verfassungsänderung demonstrierten in den größeren Städten des Landes gegen die vermeintlichen Manipulationen (AM 18.7.2017). Die OSZE kritisiert eine fehlende Bereitschaft der türkischen Regierung zur Klärung von Manipulationsvorwürfen (FAZ 19.4.2017).

Bei den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen am 24.6.2018 errang Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan 52,6% der Stimmen, sodass ein möglicher zweiter Wahlgang obsolet wurde. Der Kandidat der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP), Muharrem Ince, erhielt 30.6%. Der seit November 2016 inhaftierte ehemalige Ko-Vorsitzende der Demokratischen Partei der Völker (HDP), Selahattin Demirtas, erhielt 8,4% und die Vorsitzende der neu gegründeten Iyi-Partei, Meral Aksener, erreichte 7,3%. Die übrigen Mitbewerber lagen unter einem Prozent. Bei den gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahlen erhielt die regierende AK-Partei 42,6% der Stimmen und 295 der 600 Sitze im Parlament. Zwar verlor die AKP die absolute Mehrheit, doch durch ein Wahlbündnis mit der rechts-nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) unter dem Namen "Volksbündnis", verfügt sie über eine Mehrheit im Parlament. Die kemalistisch-sekuläre CHP gewann 22,6% bzw. 146 Sitze und ihr Wahlbündnispartner, die national-konservative iyi-Partei, eine Abspaltung der MHP, 10% bzw. 43 Mandate. Drittstärkste Partei wurde die pro-kurdische HDP mit 11,7% und 67 Mandaten (HDN 26.6.2018). Zwar hatten die Wähler und Wählerinnen eine echte Auswahl, doch bestand keine Chancengleichheit zwischen den Kandidaten und Parteien. Der amtierende Präsident und seine Partei genossen einen beachtlichen Vorteil, der sich auch in einer übermäßigen Berichterstattung der staatlichen und privaten Medien zu ihren Gunsten widerspiegelte. Zudem missbrauchte die regierende AKP staatliche Verwaltungsressourcen für den Wahlkampf. Der restriktive Rechtsrahmen und die unter dem geltenden Ausnahmezustand gewährten Machtbefugnisse schränkten die Versammlungs- und Meinungsfreiheit auch in den Medien ein. Internationale Wahlbeobachter der ODIHR-Beobachtermission konstatieren in ihrem vorläufigen Bericht vielfältige Verstöße gegen den Fairnessgrundsatz (u.a. ungleicher Medienzugang, Wahl unter Ausnahmezustand) die aber die Legitimität des Gesamtergebnisses insgesamt nicht in Frage stellen. Der Wahlkampf fand freilich in einem stark polarisierten politischen Umfeld statt (OSCE/ODIHR 25.6.2018).

Der Präsident hat die Befugnis hochrangige Regierungsbeamte zu ernennen und zu entlassen, die nationale Sicherheitspolitik festzulegen und die erforderlichen Durchführungsmaßnahmen zu ergreifen; den Ausnahmezustand auszurufen; Präsidialerlässe zu Exekutivangelegenheiten außerhalb des Gesetzes zu erlassen; das Parlament indirekt aufzulösen, indem er Parlaments- und Präsidentschaftswahlen ausruft; das Regierungsbudget aufzustellen; Vetogesetze zu erlassen; und vier von 13 Mitgliedern des Rates der Richter und Staatsanwälte und zwölf von 15 Richtern des Verfassungsgerichtshofes zu ernennen. Die traditionellen Instrumente des Parlaments zur Kontrolle der Exekutive, wie z. B. ein Vertrauensvotum und die Möglichkeit mündlicher Anfragen an die Regierung, sind nicht mehr möglich. Nur schriftliche Anfragen können an Vizepräsidenten und Minister gerichtet werden. Wenn drei Fünftel des Parlamentes zustimmen, kann dieses eine parlamentarische Untersuchung mutmaßlicher strafrechtlicher Handlungen des Präsidenten, der Vizepräsidenten und der Minister im Zusammenhang mit ihren Aufgaben einleiten. Der Grundsatz des Vorrangs von Gesetzen vor Präsidialerlässen ist im neuen System verankert. Präsident darf keine Dekrete in Bereichen erlassen, die durch die Verfassung der Legislative vorbehalten sind. Der Präsident hat das Recht, gegen jedes Gesetz ein Veto einzulegen, obgleich das Parlament mit absoluter Mehrheit ein solches Veto außer Kraft setzen kann, während das Parlament nur beim Verfassungsgericht die Nichtigkeitserklärung von Präsidialerlässen beantragen kann (EC 17.4.2018).

Unter dem Ausnahmezustand wurde die Schlüsselfunktion des Parlaments als Gesetzgeber eingeschränkt, da die Regierung auf Verordnungen mit "Rechtskraft" zurückgriff, um Fragen zu regeln, die nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren hätten behandelt werden müssen. Das Parlament erörterte nur eine Handvoll wichtiger Rechtsakte, insbesondere das Gesetz zur Änderung der Verfassung und umstrittene Änderungen seiner Geschäftsordnung. Nach den sich verschärfenden politischen Spannungen im Land wurde der Raum für den Dialog zwischen den politischen Parteien im Parlament weiter eingeschränkt. Die oppositionelle Demokratische Partei der Völker (HDP) wurde besonders an den Rand gedrängt, da viele HDP-ParlamentarierInnen wegen angeblicher Unterstützung terroristischer Aktivitäten verhaftet und zehn von ihnen ihres Mandates enthoben wurden (EC 17.4.2018).

Nach dem Ende des Ausnahmezustandes am 18.7.2018 verabschiedete das türkische Parlament ein Gesetzespaket mit Anti-Terrormaßnahmen, das vorerst auf drei Jahre befristet ist (NZZ 18.7.2018; vgl. ZO 25.7.2018). In 27 Paragrafen wird geregelt, wie der Staat den Kampf gegen den Terror auch im Normalzustand weiterführen will. So behalten die Gouverneure einen Teil ihrer Befugnisse aus dem Ausnahmezustand. Sie dürfen weiterhin Menschen, bei denen der Verdacht besteht, dass sie "die öffentliche Ordnung oder Sicherheit stören", bis zu 15 Tage lang den Zugang zu bestimmten Orten und Regionen verwehren und die Versammlungsfreiheit einschränken. Grundsätzlich darf es wie im Ausnahmezustand nach Einbruch der Dunkelheit keine Demonstrationen im Freien mehr geben. Zusätzlich können sie Versammlungen mit dem Argument verhindern, dass diese "den Alltag der Bürger nicht auf extreme und unerträgliche Weise erschweren dürfen". Der neue Gesetzestext regelt im Detail, wie Richter, Sicherheitskräfte oder Ministeriumsmitarbeiter entlassen werden können. Außerdem will die Regierung wie während des Ausnahmezustandes die Pässe derer, die wegen Terrorverdachts aus dem Staatsdienst entlassen oder suspendiert werden, ungültig machen. Auch die Pässe ihrer Ehepartner können weiterhin annulliert werden (ZO 25.7.2018). Auf der Plus-Seite der gesetzlichen Regelungen steht die weitere Verkürzung der Zeit in Polizeigewahrsam ohne richterliche Anordnung von zuletzt sieben auf nun maximal vier Tage. Innerhalb von 48 Stunden nach der Festnahme sind Verdächtige an den Ort des nächstgelegenen Gerichts zu bringen. In den ersten Monaten nach dem Putsch konnten Bürger offiziell bis zu 30 Tage in Zellen verschwinden, ohne einen Richter zu sehen (NZZ 18.7.2018).

In der Nacht vom 15.7. auf den 16.7.2016 kam es zu einem versuchten Staatsstreich durch Teile der türkischen Armee. Insbesondere Istanbul und Ankara waren von bewaffneten Auseinandersetzungen betroffen. In Ankara kam es u.a. zu Angriffen auf die Geheimdienstzentrale und das Parlamentsgebäude. In Istanbul wurde der internationale Flughafen vorrübergehend besetzt. Der Putsch scheiterte jedoch. Kurz vor Mittag des 16.7.16 erklärte der türkische Ministerpräsident Yildirim, die Lage sei vollständig unter Kontrolle (NZZ 17.7.2016). Mehr als 300 Menschen kamen ums Leben (Standard 18.7.2016). Sowohl die regierende islamisch-konservative Partei AKP als auch die drei im Parlament vertretenen Oppositionsparteien - CHP, MHP und die pro-kurdische HDP - hatten sich gegen den Putschversuch gestellt (SD 16.7.2016). Unmittelbar nach dem gescheiterten Putsch wurden 3.000 Militärangehörige festgenommen. Gegen 103 Generäle wurden Haftbefehle ausgestellt (WZ 19.7.2016a). Das Innenministerium suspendierte rund 8.800 Beamte, darunter 7.900 Polizisten, über 600 Gendarmen sowie 30 Provinz- und 47 Distriktgouverneure (HDN 18.7.2016). Über 150 Höchstrichter und zwei Verfassungsrichter wurden festgenommen (WZ 19.7.2016a; vgl. HDN 18.7.2016). Die Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter zeigte sich tief betroffenen über die aktuellen Entwicklungen in der Türkei. Laut Richtervereinigung dürfen in einem demokratischen Rechtsstaat Richterinnen und Richter nur in den in der Verfassung festgelegten Fällen und nach einem rechtsstaatlichen und fairen Verfahren versetzt oder abgesetzt werden (RIV 18.7.2016).

Staatspräsident Erdogan und die Regierung sahen den im US-amerikanischen Exil lebenden Führer der Hizmet-Bewegung, Fethullah Gülen, als Drahtzieher der Verschwörung und forderten dessen Auslieferung (WZ 19.7.2016b). Präsident Erdogan und Regierungschef Yildirim sprachen sich für die Wiedereinführung der 2004 abgeschafften Todesstrafe aus, so das Parlament zustimmt (TS 19.7.2016; vgl. HDN 19.7.2016). Neben zahlreichen europäischen Politikern machte daraufhin auch die EU-Außenbeauftragte, Federica Mogherini, klar, dass eine EU-Mitgliedschaft der Türkei unvereinbar mit Einführung der Todesstrafe ist. Zudem sei die Türkei Mitglied des Europarates und somit an die europäische Menschrechtskonvention gebunden (Spiegel 19.7.2016).

Seit der Einführung des Ausnahmezustands wurden über 150.000 Personen in Gewahrsam genommen, 78.000 verhaftet und über 110.000 Beamte entlassen, während nach Angaben der Behörden etwa 40.000 wieder eingestellt wurden, etwa 3.600 von ihnen per Dekret (EC 17.4.2018). Justizminister Abdulhamit Gül verkündete am 10.2.2017, dass rund 38.500 Mitglieder der Gülen-Bewegung, 10.000 der Arbeiterpartei Kurdistan (PKK) und rund 1.350 Mitglieder des sogenannten Islamischen Staates in der Türkei in Untersuchungshaft genommen oder verurteilt wurden. 2017 wurden von Staatsanwälten mehr als vier Millionen Untersuchungen eingeleitet. Laut Gül verhandelten die Obersten Strafgerichte 2017 mehr als sechs Millionen neue Fälle (HDN 12.2.2017). Die türkische Regierung hat Ermittlungen gegen insgesamt 612.347 Personen in der gesamten Türkei eingeleitet, weil sie in den letzten zwei Jahren angeblich "bewaffneten terroristischen Organisationen" angehört haben. Das Justizministerium gibt an, dass allein 2017 Ermittlungen gegen 457.425 Personen eingeleitet wurden, die im Sinne von Artikel 314 des Türkischen Strafgesetzbuches (TCK) als Gründer, Führungskader oder Mitglieder bewaffneter Organisationen gelten (TP 10.9.2018, vgl. SCF 7.9.2018). Mit Stand 29.8.2018 waren rund 170.400 Personen entlassen und 81.400 Personen in Gefängnissen inhaftiert (TP 29.8.2018).

Sowohl die türkische Regierung, Staatspräsident Erdogan als auch die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) erklärten Ende Juli 2015 angesichts der bewaffneten Auseinandersetzungen den seit März 2013 bestehenden Waffenstillstand bzw. Friedensprozess für beendet (Spiegel 25.7.2015; vgl. DF 28.7.2015). Hinsichtlich des innerstaatlichen Konfliktes forderte das EU-Parlament einen sofortigen Waffenstillstand im Südosten der Türkei und die Wiederaufnahme des Friedensprozesses, damit eine umfassende und tragfähige Lösung zur Kurdenfrage gefunden werden kann. Die kurdische Arbeiterpartei (PKK) sollte die Waffen niederlegen, terroristische Vorgehensweisen unterlassen und friedliche und legale Mittel nutzen, um ihren Erwartungen Ausdruck zu verleihen (EP 14.4.2016; vgl. Standard 14.4.2016). Die Europäische Kommission bekräftigt das Recht der Türkei die Kurdische Arbeiterpartei (PKK), die weiterhin in der EU als Terrororganisation gilt, zu bekämpfen. Allerdings müssten die Anti-Terrormaßnahmen angemessen sein und die Menschenrechte geachtet werden. Die Lösung der Kurdenfrage durch einen politischen Prozess ist laut EK der einzige Weg, Versöhnung und Wiederaufbau müssten ebenfalls von der Regierung angegangen werden. (EC 9.11.2016).

2. Sicherheitslage

Die innenpolitischen Spannungen und die bewaffneten Konflikte in den Nachbarländern Syrien und Irak haben Auswirkungen auf die Sicherheitslage. In den größeren Städten und in den Grenzregionen zu Syrien kann es zu Demonstrationen und Ausschreitungen kommen. Im Südosten des Landes sind die Spannungen besonders groß, und es kommt immer wieder zu Ausschreitungen und bewaffneten Zusammenstößen. Der nach dem Putschversuch vom 15.7.2016 ausgerufene Notstand wurde am 18.7.2018 aufgehoben. Allerdings wurden Teile der Terrorismusabwehr, welche Einschränkungen gewisser Grundrechte vorsehen, ins ordentliche Gesetz überführt. Die Sicherheitskräfte verfügen weiterhin über die Möglichkeit, die Bewegungs- und Versammlungsfreiheit einzuschränken sowie kurzfristig lokale Ausgangssperren zu verhängen. Trotz erhöhter Sicherheitsmaßnahmen besteht das Risiko von Terroranschlägen jederzeit im ganzen Land. Im Südosten und Osten des Landes, aber auch in Ankara und Istanbul haben Attentate wiederholt zahlreiche Todesopfer und Verletzte gefordert, darunter Sicherheitskräfte, Bus-Passagiere, Demonstranten und Touristen (EDA 19.9.2018).

Im Juli 2015 flammte der Konflikt zwischen Sicherheitskräften und PKK wieder militärisch auf, der Lösungsprozess kam zum Erliegen. Die Intensität des Konflikts innerhalb des türkischen Staatsgebiets hat aber seit Spätsommer 2016 nachgelassen (AA 3.8.2018).

Mehr als 80% der Provinzen im Südosten des Landes waren zwischen 2015 und 2016 von Attentaten der PKK, der TAK und des sogenannten IS, sowie Vergeltungsoperationen der Regierung und bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den türkischen Sicherheitskräften betroffen (SFH 25.8.2016). Ein hohes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 3 des BMEIA) gilt in den Provinzen Agri, Batman, Bingöl, Bitlis, Diyarbakir, Gaziantep, Hakkari, Kilis, Mardin, Sanliurfa, Siirt, Sirnak, Tunceli und Van - ausgenommen in den Grenzregionen zu Syrien und dem Irak. Gebiete in den Provinzen Diyarbakir, Elazig, Hakkari, Siirt und Sirnak können von den türkischen Behörden und Sicherheitskräften befristet zu Sicherheitszonen erklärt werden. Ein erhöhtes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 2) gilt im Rest des Landes (BMEIA 9.10.2018).

1,6 Millionen Menschen in den städtischen Zentren waren während der Kämpfe 2015-2016 von Ausgangssperren betroffen. Die türkischen Sicherheitskräfte haben in manchen Fällen schwere Waffen eingesetzt. Mehre Städte in den südöstlichen Landesteilen wurden zum Teil schwer zerstört (CoE-CommDH 2.12.2016). Im Jänner 2018 veröffentlichte Schätzungen für die Zahl der seit Dezember 2015 aufgrund von Sicherheitsoperationen im überwiegend kurdischen Südosten der Türkei Vertriebenen, liegen zwischen 355.000 und 500.000 (MMP 1.2018).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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