TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/3 W110 2149448-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.02.2020
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Entscheidungsdatum

03.02.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W110 2149448-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Peter CHVOSTA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG und §§ 52, 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der im Antragszeitpunkt minderjährige Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am XXXX nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der am 18.9.2015 durchgeführten Erstbefragung gab der Beschwerdeführer als Fluchtgrund an, dass er im Heimatland eine Beziehung mit einer jungen Afghanin gehabt habe. Als ihre Familie von der Beziehung erfahren habe, habe der Beschwerdeführer mit seiner Freundin weglaufen wollen, es sei ihnen jedoch nicht gelungen. Die Familie der jungen Afghanin habe den Beschwerdeführer angezeigt, und er sei deswegen behördlich gesucht worden. Der Beschwerdeführer habe aus Angst um sein Leben sein Heimatland verlassen müssen. Im Falle einer Rückkehr in das Heimatland fürchte der Beschwerdeführer um sein Leben.

2. In seiner Einvernahme am 7.2.2017 gab der (inzwischen volljährig gewordene) Beschwerdeführer im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari eingangs an, dass er gesund sei und keine Medikamente nehme. Sein Geburtsdatum sei im Rahmen der Erstbefragung falsch protokolliert worden, und es laute richtig 2.9.1993. Der Beschwerdeführer führte weiters aus, dass er in Kabul geboren sei und im Heimatland weder strafrechtlich verurteilt worden sei, noch Probleme mit den Sicherheitsbehörden gehabt habe. Sein Vater sei eines natürlichen Todes gestorben. Die Mutter, vier Schwestern und zwei Brüder würden nach wie vor in Kabul leben. Ein Bruder des Beschwerdeführers sei in Deutschland aufhältig, ein weiterer Bruder, eine Schwester sowie ein Cousin würden in Österreich leben. Der Beschwerdeführer habe ein gutes Verhältnis zu seiner Familie und stehe mit ihnen regelmäßig in Kontakt. Er habe neun Jahre lang die Grundschule in Kabul besucht und drei Jahre lang als Kameramann gearbeitet.

Zu seinen Fluchtgründen führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer als Kameramann auf einer Hochzeit ein Mädchen kennengelernt habe. Seine Mutter und ein Bruder hätten bei dem Vater des Mädchens um ihre Hand angehalten, jedoch habe sich der Vater des Mädchens gegen eine Vermählung ausgesprochen, da das Mädchen Schiitin und der Beschwerdeführer Sunnit sei. Das Mädchen habe entschieden, dass sie mit dem Beschwerdeführer fliehen wolle, und sie hätten sich neun Tage lang bei seinem Onkel aufgehalten. Der Beschwerdeführer habe von seiner Mutter erfahren, dass der Vater des Mädchens sich unter gleichzeitiger Bedrohung der Mutter nach dem Aufenthalt des Beschwerdeführers erkundigt habe. Der Beschwerdeführer habe sich bei einem Freund zwei Tage lang versteckt und sei von dort aus dem Heimatland ausgereist. Der Beschwerdeführer erklärte, dass er niemals persönlich bedroht worden sei. Auf Nachfrage gab er an, dass er vom Vater des Mädchens telefonisch bedroht worden sei. Zu seiner Beziehung führte der Beschwerdeführer aus, dass er sich elf Monate lang mit dem Mädchen, welches älter als er, der Beschwerdeführer, gewesen sei, getroffen habe. Bei einem Treffen habe der Vater des Mädchens sie erwischt und geschlagen. Daraufhin hätten sie entschieden, das Heimatland zu verlassen. Auf Vorhalt des Einvernahmeleiters, dass der Beschwerdeführer bei der Erstbefragung angegeben habe, dass es sich bei seiner Freundin um eine junge Afghanin handle und er jetzt ausführe, dass sie 21 Jahre alt sei, rechtfertigte der Beschwerdeführer, dass er nicht wisse, wie alt seine Freundin gewesen sei. Auch wisse er nicht, wo sich seine Freundin aufhalte. Auf weitere Nachfrage, woher der Beschwerdeführer wisse, dass er durch die Behörden seines Herkunftslandes gesucht werde, führte er aus, dass seine Mutter ein Schreiben erhalten habe, welches er in Wien der Polizei vorgelegt habe. Weshalb dieses Schreiben weder protokolliert worden sei, noch der Beschwerdeführer eine Sicherstellungsbestätigung erhalten habe, könne er sich nicht erklären. Auf die Frage, weshalb die Mutter und Geschwister noch an derselben Wohnadresse wohnhaft seien, obwohl die Mutter bedroht worden sei, antwortete der Beschwerdeführer, dass seine Schwestern verheiratet seien und die Mutter zwei Mal bedroht worden sei. Im Falle der Rückkehr in sein Heimatland befürchte der Beschwerdeführer, vom Vater des Mädchens ermordet zu werden.

Anlässlich der Einvernahme legte der Beschwerdeführer Kursbestätigungen vor.

3. Mit Bescheid vom XXXX wies die belangte Behörde den Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100 idF BGBl. I 145/2017 (im Folgenden: AsylG 2005), als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ab (Spruchpunkte I. und II.). In Spruchpunkt III. wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 leg. cit. nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 erlassen und nach § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 - 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.). Nach Wiedergabe der Einvernahmeprotokolle traf die belangte Behörde in ihrer Bescheidbegründung Länderfeststellungen zur allgemeinen Situation in Afghanistan und stellte die Nationalität und Volksgruppenzugehörigkeit, nicht jedoch die Identität des Beschwerdeführers fest. Ferner stellte die belangte Behörde fest, dass der Beschwerdeführer in Kabul geboren und aufgewachsen sei, dort die Schule besucht habe und als Kameramann tätig gewesen sei. Eine persönliche asylrelevante Verfolgung oder Bedrohung des Beschwerdeführers habe nicht festgestellt werden können. Da sein großes erweitertes - vor allem auch männliches - Familiennetzwerk nach wie vor in Kabul lebe, verfüge der Beschwerdeführer über soziale Anknüpfungspunkte in Afghanistan. Aufgrund seiner Berufserfahrung als Kameramann würde er auch nicht in eine existenzielle Notlage geraten. In ihrer Beweiswürdigung stützte sich die belangte Behörde weitgehend auf die Angaben des Beschwerdeführers und die Einvernahme des Ehemannes seiner Schwester.

Mit Verfahrensanordnung vom 20.2.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater für eine allfällige Beschwerdeerhebung zur Seite gestellt.

4. Gegen diesen Bescheid richtete sich die vorliegende rechtzeitig und zulässig eingebrachte Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts, mangelhafter bzw. unrichtiger Bescheidbegründung sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge von Verletzung der Verfahrensvorschriften. Der Beschwerdeführer monierte im Wesentlichen, dass er eine wohlbegründete Gefahr vor Verfolgung nur glaubhaft machen müsse. Der Beschwerdeführer habe bei seiner Einvernahme ausführlich zu seinen Asylgründen (sowohl in der freien Erzählung als auch auf Nachfrage) Stellung genommen, weshalb die belangte Behörde bei richtiger rechtlicher Würdigung zu dem Schluss gelangen hätte müssen, dass dem Beschwerdeführer internationaler Schutz zu gewähren sei.

5. Am 2.3.2017 wurde dem Bundesverwaltungsgericht die vorliegende Beschwerde samt dem Bezug habenden Verwaltungsakt der belangten Behörde vorgelegt.

Mit Schriftsatz vom 23.3.2017 erstattete der Beschwerdeführer eine Beschwerdeergänzung und brachte im Wesentlichen vor, dass es der belangten Behörde möglich gewesen sei, durch konkretes Nachfragen die relevanten Sachverhaltsmerkmale zu ermitteln. Jedoch sei der Großteil der Einvernahme von Vorhalten und Wiedergaben seiner Ausführungen in der Erstbefragung geprägt gewesen. Auch habe die belangte Behörde nicht begründet, weshalb sie die unterschiedlichen Aussagen seines Schwagers zur Fluchtgeschichte bemerkenswert finde. In Anbetracht der sich ständig verschlechternden Sicherheitslage im Heimatland des Beschwerdeführers sei es nicht unwahrscheinlich, dass sowohl seiner Schwester samt Familie als auch dem Beschwerdeführer asylrelevante Verfolgung drohe. Der Beschwerdeführer ersuchte um Berücksichtigung der Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Inneren vom Dezember 2016. Im Weiteren führte der Beschwerdeführer aus, dass ihm im Heimatland Verfolgung sowohl aufgrund der geführten außerehelichen gemischt-ethnischen Beziehung und Verfolgung von Seiten der Familie des Mädchens drohe. Unter Einem schloss der Beschwerdeführer der Beschwerdeergänzung die Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesinnenministeriums, eine Bestätigung des Jugendcollege Wien vom 1.3.2017, eine Kursbesuchsbestätigung A1.2 des Jugendcollege Wien vom 1.3.2017 und ein Empfehlungsschreiben des Samariterbundes vom 22.3.2017 bei.

6. Am 18.9.2018 langten weitere Integrationsunterlagen des Beschwerdeführers beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Mit Schreiben vom 23.9.2019 ersuchte der Beschwerdeführer um positive Entscheidung bzw. um die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und legt seine Teilnahmebestätigungen an einem Werte- und Orientierungskurs des ÖIF vom 3.6.2019 und an einer Workshop-Reihe " XXXX " (3x 150 Minuten) vom 18.6.2019 bei.

7. Am XXXX fand im Beisein der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers, einer Dolmetscherin für die Sprache Dari sowie XXXX als länderkundigen Sachverständigen eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt. Die belangte Behörde nahm an der Verhandlung teil.

Eingangs der Verhandlung legte der Beschwerdeführer ein Empfehlungsschreiben des Samariterbundes sowie ein Zertifikat betreffend die Prüfungsvorbereitung für Deutsch B1 (Beilage Nr. 1) vor und bestätigte die Richtigkeit seiner Angaben im Verfahren vor der belangten Behörde, besserte jedoch sein Geburtsdatum auf den XXXX aus. Die Angabe zu seinem Geburtsdatum begründete der Beschwerdeführer damit, dass er sein richtiges Geburtsdatum nicht gekannt habe, bis sein Bruder es ihm mitgeteilt habe.

Zu seinen Verwandten im Herkunftsstaat befragt, gab der Beschwerdeführer an, dass derzeit drei Schwestern in Afghanistan wohnen würden. Seine Mutter sei gemeinsam mit einer Schwester und zwei Brüdern in den Iran gereist. Eine weitere Schwester und ein Bruder des Beschwerdeführers würden nunmehr in Österreich leben. Mit seinen in Kabul wohnhaften Schwestern stehe der Beschwerdeführer nicht in Kontakt. Zu seinem Leben in Österreich führte der Beschwerdeführer aus, dass er einen Sprachkurs besuche und freiwillige Arbeiten verrichte, nicht arbeiten dürfe und einen Wertekurs des ÖIF besucht habe. Den überwiegenden Teil seiner Freizeit verbringe der Beschwerdeführer mit seiner Freundin, mit der er seit über zwei Jahren liiert sei und eine gemeinsame Zukunft plane, mit seiner Nichte und dem Neffen sowie seinen Freunden. Der Beschwerdeführer wohne mit seinem Bruder, mit dem er jedoch nicht gemeinsam aus dem Heimatland ausgereist sei, in einem gemeinsamen Zimmer. Die Fluchtgründe seines Bruders würden in keinem Zusammenhang mit den Fluchtgründen des Beschwerdeführers stehen. Zu seiner Arbeit im Heimatland befragt, antwortete der Beschwerdeführer im Wesentlichen, dass er als noch als Minderjähriger drei Jahre als Lehrling beschäftigt gewesen sei. Im Rahmen seiner Tätigkeit habe er auch die junge Afghanin bei einer Hochzeit kennengelernt und habe sie einmal im Monat für einen Zeitraum von elf Monaten getroffen.

Der Beschwerdeführer führte nunmehr zu den Fluchtgründen befragt aus, dass es sich bei dem Vater des Mädchens um einen mächtigen Mann, der für die Regierung gearbeitet habe, handeln würde. Der Vater des Mädchens habe sich, nachdem seine Mutter für den Beschwerdeführer um die Hand des Mädchens angehalten habe, gegen die Hochzeit ausgesprochen, da der Beschwerdeführer Sunnit und das Mädchen Schiitin sei. Der Vater des Mädchens habe als Kommandant eines Sprengels gearbeitet; diese Stellung sei mit der eines Polizeichefs in Österreich vergleichbar. Auf Nachfrage führte der Beschwerdeführer aus, dass er mit dem Mädchen in keinem Kontakt stehe, er weder ihre Adresse im Heimatland noch ihre Schule namentlich kenne, und der Umstand, dass das Mädchen älter als der Beschwerdeführer gewesen sei, im Heimatland keinen Unterschied gemacht habe. Zur behördlichen Verfolgung und zur behördlichen Ladung angesprochen, gab der Beschwerdeführer an, dass er sich an den Inhalt nicht erinnern würde, aber seine Mutter und sein Bruder von Sicherheitsbehörden schikaniert worden seien. Aufgrund dieser Probleme sei die Familie einige Zeit später in den Iran geflohen.

In seinem Gutachten führte der länderkundige Sachverständige aus, dass es in den städtischen Regionen Afghanistans nicht üblich sei, dass ein 21-jähriges Mädchen mit einem 16-jährigen Jungen eine Beziehung beginne. Dies begründete der Sachverständige mit den Erfahrungen seiner eigenen Forschungsreisen und einem Telefonat, welches er in Bezug auf die Verhandlung mit einer Vertrauensperson aus Kabul geführt habe. Auch sei nicht realistisch, dass in Kabul ein 21-jähriges Mädchen einen minderjährigen Burschen zum Mann nehmen wolle. Dies könne jedoch aufgrund von Erbschaftsangelegenheiten und Ehrsachen von Witwen in paschtunischen Stammesgebieten vorkommen. Auch würde ein junger Mann, der eine außereheliche Beziehung mit einem Mädchen pflege, genau wissen, von welcher Familie das Mädchen stammen würde. Dies begründete der Sachverständige mit einer möglichen Übermacht der Familie des Mädchens. Betreffend die Abholung des Mädchens durch ihren Vater im Haus des Onkels des Beschwerdeführers führte der Sachverständige aus, dass die Angaben des Beschwerdeführers nicht der Realität in Afghanistan entsprechen würden. Wäre das Mädchen mit dem Beschwerdeführer in das Haus des Onkels geflüchtet, wäre der Beschwerdeführer als Hauptschuldiger vom Vater des Mädchens, welcher angeblich Polizeichef sei, schwer bestraft und in Polizeigewahrsam genommen worden.

Der Beschwerdeführer nahm zum Gutachten des länderkundigen Sachverständigen Stellung, und es wurde auch die Freundin des Beschwerdeführers als Zeugin zu ihrem gemeinsamen Leben und der geplanten gemeinsam Zukunft in Österreich befragt.

8. Nach Aktualisierung des Länderinformationsblattes vom 13.11.2019 wurde eine (um diese Publikation ergänzte) Länderberichtszusammenfassung dem Beschwerdevertreter übermittelt, der mit Schriftsatz vom 2.1.2020

9. Beweis wurde erhoben durch die Einvernahme des Beschwerdeführers, Einsichtnahme in den Inhalt des Verwaltungsaktes und das Sachverständigen-Gutachten, die vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen sowie in das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.6.2018, zuletzt aktualisiert am 13.11.2019 (kurz: LIB). Ferner wurde der Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes vom 2.9.2019 in das Verfahren einbezogen (Beil ./1).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Folgender Sachverhalt steht fest:

1.1. Zur Situation in Afghanistan

1.1.1. Allgemeines

Nach Jahrzehnten gewaltsamer Konflikte befindet sich Afghanistan in einer schwierigen Aufbauphase und einer weiterhin volatilen Sicherheitslage. Die staatlichen Strukturen sind noch nicht voll arbeitsfähig. Tradierte Werte stehen häufig einer umfassenden Modernisierung der afghanischen Gesellschaft entgegen (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes vom 2.9.2019, S. 5).

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv. Insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan sowie Islamic Movement of Uzbekistan, und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (LIB 13.11.2019, S. 26).

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, das Personenstands- und Urkundenwesen ist kaum entwickelt. Die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB 13.11.2019, S. 324).

Im Frühjahr 2019 hatten sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart. Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (LIB 13.11.2019, S. 18).

1.1.2. Sicherheitslage

Der afghanischen Regierung ist es weiterhin gelungen, die Kontrolle über die Hauptstadt Kabul, die größeren Bevölkerungszentren, die meisten wichtigen Straßen, über Provinzzentren und die Mehrheit der Distrikte aufrecht zu erhalten. Die afghanischen Sicherheitskräfte verfügen jedoch nicht über genügend Kräfte, um den Taliban-Offensiven, die in über der Hälfte der 34 Provinzen stattfinden, standzuhalten (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 12.9.2019).

Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten. Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren. Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt (LIB 13.11.2019, S. 19).

Weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente erzielten zuletzt signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet. In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten. So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban. Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan.

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (LIB 13.11.2019, S. 20). Für den Berichtszeitraum 10.5. - 8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert. Für den Berichtszeitraum 8.2. - 9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist. Für den Berichtszeitraum 10.5. - 8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018. Im Gegensatz dazu, registrierte die NGO International NGO Safety Organisation für das Jahr 2018 landesweit 29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (LIB 13.11.2019, S. 21).

Rund 39% der afghanischen Distrikte standen Anfang 2019 unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen, und 37% wurden von den Taliban kontrolliert. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat kontrollierte rund 4% der Distrikte. Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (LIB 13.11.2019, S. 23).

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (LIB 13.11.2019, S. 24).

1.1.2.1. Situation in Kabul (Stadt/Provinz)

Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Es ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans mit rund 5 Mio. Einwohnern (LIB 13.11.2019, S. 36). Kabul ist Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt, je nach der geografischen Lage ihrer Heimatprovinzen (LIB 13.11.2019, S. 38).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019 insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (LIB 13.11.2019, S. 38).

Im Jahr 2018 wurden 1.866 zivile Opfer (596 Tote und 1.270 Verletzte) in der Provinz Kabul dokumentiert. Dies entspricht einer Zunahme von 2% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Selbstmord- und komplexe Angriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern und gezielten Tötungen (LIB 13.11.2019, S. 40).

Beispielsweise fanden Ende Mai 2019 in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt. Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Mai-Wochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen. Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt. Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt (LIB 4.6.2019, S. 14f.).

Im Vergleich zu Herat und Mazar-e Sharif ist Kabul - hinsichtlich der Nahrungsmittelsicherheit - nicht am stärksten vom Lebensmittelnotstand betroffen, jedoch importiert die Stadt den Großteil des Bedarfes aus umliegenden Regionen und dem Ausland. Es gibt große Schwankungen bei der Lieferung, und es kommt zu Knappheiten bei bestimmten Lebensmitteln. Es gibt keine Speicherkapazität für größere Mengen Getreide, und es gibt keine Maßnahmen wie Preisregulierungen oder Coupons, um vulnerable Haushalte zu schützen. Die Lebensmittelversorgung in Kabul und Mazar-e Sharif ist Stand Dezember 2018 "angespannt", das bedeutet, dass trotz humanitärer Unterstützung mindestens ein Fünftel der Haushalte einen minimal ausreichenden Lebensmittelkonsum aufweist, aber nicht in der Lage ist, notwendige Ausgaben abseits von Lebensmitteln zu bestreiten (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 3.5.2019, S. 3).

1.1.2.2. Situation in Herat

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft, terroristische Aktivitäten durchzuführen. Je mehr man sich von Herat-Stadt, die als "sehr sicher" gilt, und von den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban.

Auch im Vergleich zu Kabul gilt Herat-Stadt einem Mitarbeiter von IOM-Kabul zufolge zwar als sicherere Stadt, doch gleichzeitig wird ein Anstieg der Gesetzlosigkeit und Kriminalität verzeichnet: Raubüberfälle nahmen zu und ein Mitarbeiter der Vereinten Nationen wurde beispielsweise überfallen und ausgeraubt. Entführungen finden gelegentlich statt, wenn auch in Herat nicht in solch einem Ausmaß wie in Kabul. Der Distrikt mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen ist der an Farah angrenzende Distrikt Shindand, wo die Taliban zahlreiche Gebiete kontrollieren. Wegen der großen US-Basis, die in Shindand noch immer operativ ist, kontrollieren die Taliban jedoch nicht den gesamten Distrikt (LIB 13.11.2019, S. 106).

Das Ausmaß der Gewalt ist im Vergleich zu einigen Gebieten des Ostens, Südostens, Südens und Nordens Afghanistans deutlich niedriger. Im Jahr 2018 wurden 259 zivile Opfer (95 Tote und 164 Verletzte) in Herat dokumentiert. Dies entspricht einem Rückgang von 48% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierten Sprengkörper, gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen. In der Provinz Herat kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen. Unter anderem kam es dabei auch zu Luftangriffen durch die afghanischen Sicherheitskräfte. In manchen Fällen wurden bei Drohnenangriffen Taliban(-anführer) getötet.

Der volatilste Distrikt von Herat ist Shindand, wo es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen rivalisierenden Taliban-Fraktionen kommt, wie auch zwischen den Taliban und regierungsfreundlichen Kräften. Regierungskräfte führten beispielsweise im Dezember 2018 (KP 17.12.2018) und Januar 2019 Operationen in Shindand durch. Obe ist neben Shindand ein weiterer unsicherer Distrikt in Herat: Im Dezember 2018 wurde berichtet, dass die Kontrolle über Obe derzeit nicht statisch sei, sondern sich täglich ändere und sich in einer Pattsituation befinde. Im Juni 2019 griffen die Aufständischen beispielsweise mehrere Posten der Polizei im Distrikt an, und die Sicherheitskräfte führten zum Beispiel Anfang Juli 2019 in Obe Operationen durch. Außerdem kommt es in unterschiedlichen Distrikten immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften, wie z.B in den Distrikten Adraskan, Fersi, Kushk-i-Kohna, Obe, Rabat Sangi, Shindand und Zawol. Auf der Autobahn zwischen Kabul und Herat sowie Herat und Farah werden Reisende immer wieder von Taliban angehalten; diese fordern von Händlern und anderen Reisenden Schutzgelder (LIB 13.11.2019, S. 108 f.).

Was die Nahrungsmittelversorgung anbelangt, ist zu bemerken, dass weit verbreitete Konflikte und die schwere Dürre über 150.000 Menschen gezwungen haben, aus ihren Dörfern im Nordwesten Afghanistans zu fliehen und in der Stadt Herat Schutz zu suchen. Ihr Zustand ist nach wie vor äußerst prekär, da sie mit Nahrungsmittelmangeln und begrenztem Zugang zur Gesundheitsversorgung konfrontiert sind. Die Lebensbedingungen dieser Menschen sind unzureichend und in Bezug auf Unterkünfte, Wasser und sanitäre Einrichtungen besonders schlecht (ACCORD Themendossier zur Sicherheits- und sozioökonomischen Lage in Herat und Masar-e Sharif vom 27.7.2019, S. 11). Das Famine Early Warning System Network (FEWS NET) bewertet die Versorgungslage in der Stadt Herat mit Phase 2 (Phase 1 "Minimal" - 5 "Hungersnot"), wonach die Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch aufweisen und nicht in der Lage sind, sich wesentliche, nicht-nahrungsbezogene Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältungsstrategien anzuwenden (ACCORD Themendossier zur Sicherheits- und sozioökonomischen Lage in Herat und Masar-e Sharif vom 26.11.2019, S. 7).

1.1.2.3. Situation in Mazar-e Sharif

Mazar-e Sharif ist ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. In den letzten Monaten versuchen Aufständische der Taliban die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Taliban überrannten keines dieser Gebiete. Es gibt eine Gruppe von rund 50 Kämpfern in der Provinz Balkh, welche mit dem Islamischen Staat sympathisiert. Bei einer Militäroperation im Februar 2019 wurden unter anderem in Balkh IS-Kämpfer getötet.

Im Jahr 2018 wurden 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh dokumentiert. Dies entspricht einer Steigerung von 76% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben und gezielten Tötungen. Für das Jahr 2018 waren insgesamt 99 zivile Opfer durch Bodenkämpfe in der Provinz verzeichnet worden. In den ersten 6 Monaten konnte ein allgemeiner Anstieg ziviler Opfer verzeichnet werden (LIB 13.11.2019, S. 61 ff.).

Was die Nahrungsmittelversorgung betrifft, bewertet das FEWS NET die Versorgungslage in Mazar-e Sharif mit Phase 2 (Phase 1 "Minimal" - 5 "Hungersnot"), wonach die Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch aufweisen und nicht in der Lage sind, sich wesentliche, nicht-nahrungsbezogene Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältungsstrategien anzuwenden (ACCORD Themendossier zur Sicherheits- und sozioökonomischen Lage in Herat und Masar-e Sharif vom 26.11.2019 S. 7).

1.1.3. Ethnische Minderheiten

Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (LIB 13.11.2019, S. 287.). Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert. Die tadschikische Volksgruppe macht etwa 25% der afghanischen Bevölkerung aus, in der die paschtunische Ethnie mit 40% die Mehrhheit darstellt (Bericht des deutschen Außenamtes vom 2.9.2019, S. 10).

1.1.4. Religionen

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert. Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (Bericht des deutschen Außenamtes vom 2.9.2019, S. 11).

1.1.5. Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen erhebliche Fortschritte gemacht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern nur schwer durchzusetzen (LIB 13.11.2019, S. 264).

Zu den bedeutendsten Menschenrechtsfragen zählen außergerichtliche Tötungen, Verschwindenlassen, willkürliche Verhaftungen, Festnahmen (u. a. von Frauen wegen "moralischer Straftaten") und sexueller Missbrauch von Kindern durch Mitglieder der Sicherheitskräfte. Weitere Probleme sind Gewalt gegenüber Journalisten, Verleumdungsklagen, durchdringende Korruption und fehlende Verantwortlichkeit und Untersuchung bei Fällen von Gewalt gegen Frauen. Diskriminierung von Behinderten, ethnischen Minderheiten sowie aufgrund von Rasse, Religion, Geschlecht und sexueller Orientierung, besteht weiterhin mit geringem Zuschreiben von Verantwortlichkeit. Die weit verbreitete Missachtung der Rechtsstaatlichkeit und die Straffreiheit derjenigen, die Menschenrechtsverletzungen begangen haben, sind ernsthafte Probleme. Missbrauchsfälle durch Beamte, einschließlich der Sicherheitskräfte, werden von der Regierung nicht konsequent bzw. wirksam verfolgt. Bewaffnete aufständische Gruppierungen greifen mitunter Zivilisten, Ausländer und Angestellte von medizinischen und nicht-staatlichen Organisationen an und begehen gezielte Tötungen regierungsnaher Personen. Regierungsfreundliche Kräfte verursachen eine geringere - dennoch erhebliche - Zahl an zivilen Opfern (LIB 13.11.2019, S. 265).

Ob eine Person bedroht ist, kann nur unter Berücksichtigung regionaler und lokaler Gegebenheiten und unter Einbeziehung sämtlicher individueller Aspekte des Einzelfalls, wie Ethnie, Konfession, Geschlecht, Familienstand und Herkunft, beurteilt werden (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes vom 2.9.2019, S. 7).

1.1.6. Rückkehr

1.1.6.1 Rückkehrmöglichkeiten

In Afghanistan gibt es insgesamt vier internationale Flughäfen (in Kabul, Herat, Mazar e-Sharif und Kandahar); alle vier werden für militärische und zivile Flugdienste genutzt. Trotz jahrelanger Konflikte verzeichnet die afghanische Luftfahrtindustrie einen Anstieg in der Zahl ihrer wettbewerbsfähigen Flugrouten. Daraus folgt ein erleichterter Zugang zu Flügen für die afghanische Bevölkerung (LIB 13.11.2019, S. 328 und 356.).

1.1.6.2 Rückkehrsituation

In den ersten vier Monaten des Jahres 2019 sind insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurückgekehrt (LIB vom 13.11.2019, S. 366).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, von den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und von Internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen. Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung, wo Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden können.

IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an (LIB 13.11.2019, S. 354 f.).

1.1.6.3 Soziale Verhältnisse für Rückkehrer

Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken (Kolleg/innen, Mitstudierende etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind manche Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden. Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Dem deutschen Auswärtigen Amt sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. UNHCR berichtet von Fällen zwangsrückgeführter Personen aus Europa, die von religiösen Extremisten bezichtigt werden, verwestlicht zu sein; viele werden der Spionage verdächtigt. Auch glaubt man, Rückkehrer aus Europa wären reich und sie würden die Gastgebergemeinschaft ausnutzen. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann.

Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Zudem können fehlende Vertrautheit mit kulturellen Besonderheiten und sozialen Normen die Integration und Existenzgründung erschweren. Das Bestehen sozialer und familiärer Netzwerke am Ankunftsort nimmt auch hierbei eine zentrale Rolle ein. Über diese können die genannten Integrationshemmnisse abgefedert werden, indem die erforderlichen Fähigkeiten etwa im Umgang mit lokalen Behörden sowie sozial erwünschtes Verhalten vermittelt werden und für die Vertrauenswürdigkeit der Rückkehrer gebürgt wird. UNHCR verzeichnete jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt.

Haben die Rückkehrer lange Zeit im Ausland gelebt oder haben sie zusammen mit der gesamten Familie Afghanistan verlassen, ist es wahrscheinlich, dass lokale Netzwerke nicht mehr existieren oder der Zugang zu diesen erheblich eingeschränkt ist. Dies kann die Reintegration stark erschweren. Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung, vulnerable Personen einschließlich Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran zu unterstützen, ist begrenzt (LIB vom 13.11.2019, S. 354ff.).

1.1.6.4 Gesundheitsversorgung

Theoretisch ist die medizinische Versorgung in staatlichen Krankenhäusern kostenlos (Bericht des deutschen Außenamtes vom 2.9.2019, S. 29). Eine begrenzte Anzahl staatlicher Krankenhäuser in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung an. Die Voraussetzung zur kostenfreien Behandlung ist der Nachweis der afghanischen Staatsbürgerschaft mittels Personalausweis bzw. Tazkira. Alle Staatsbürger/innen haben dort Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten. Die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten, Ärztinnen und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Dazu kommt das starke Misstrauen der Bevölkerung in die staatlich finanzierte medizinische Versorgung. Die Qualität der Kliniken variiert stark. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen. Die medizinische Versorgung in großen Städten und auf Provinzlevel ist sichergestellt, auf Ebene von Distrikten und in Dörfern sind Einrichtungen hingegen oft weniger gut ausgerüstet und es kann schwer sein, Spezialisten zu finden. Vielfach arbeiten dort KrankenpflegerInnen anstelle von ÄrztInnen, um grundlegende Versorgung sicherzustellen und in komplizierten Fällen an Provinzkrankenhäuser zu überweisen. Operationseingriffe können in der Regel nur auf Provinzlevel oder höher vorgenommen werden; auf Distriktebene sind nur erste Hilfe und kleinere Operationen möglich. Auch dies gilt allerdings nicht für das gesamte Land, da in Distrikten mit guter Sicherheitslage in der Regel mehr und bessere Leistungen angeboten werden können als in unsicheren Gegenden. Zahlreiche Afghanen begeben sich für medizinische Behandlungen - auch bei kleineren Eingriffen - ins Ausland. Dies ist beispielsweise in Pakistan vergleichsweise einfach und zumindest für die Mittelklasse erschwinglich. Die Kosten von Diagnose und Behandlung dort variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden. Daher ist die Qualität der Gesundheitsbehandlung stark einkommensabhängig. Berichten zufolge können Patient/innen in manchen öffentlichen Krankenhäusern aufgefordert werden, für Medikamente, ärztliche Leistungen, Laboruntersuchungen und stationäre Behandlungen zu bezahlen. 90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre, als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (LIB 13.11.2019, S. 344f.).

Landesweit bieten alle Provinzkrankenhäuser kostenfreie psychologische Beratungen an, die in manchen Fällen sogar online zur Verfügung stehen. Mental erkrankte Menschen können beim Roten Halbmond, in entsprechenden Krankenhäusern und unter anderem bei folgenden Organisationen behandelt werden: bei International Psychosocial Organisation (IPSO) Kabul, Medica Afghanistan und PARSA Afghanistan. In folgenden Krankenhäusern kann man außerdem Therapien bei Persönlichkeits- und Stressstörungen erhalten: Mazar-e -Sharif Regional Hospital: Darwazi Balkh; in Herat das Regional Hospital und in Kabul das Karte Sae mental hospital. Wie bereits erwähnt gibt es ein privates psychiatrisches Krankenhaus in Kabul, aber keine spezialisierten privaten Krankenhäusern in Herat oder Mazar-e Sharif. Dort gibt es lediglich Neuropsychiater in einigen privaten Krankenhäusern (wie dem Luqman Hakim private hospital) die sich um diese Art von Patienten tagsüber kümmern. In Mazare-e Sharif existiert z.B. ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus. Es gibt keine formelle Aus- oder Weiterbildung zur Behandlung psychischer Erkrankungen. Psychische Erkrankungen sind in Afghanistan weiterhin hoch stigmatisiert, obwohl Schätzungen zufolge 50% der Bevölkerung psychische Symptome wie Depression, Angststörungen oder posttraumatische Belastungsstörung zeigen. Neben Problemen beim Zugang zu Behandlungen bei psychischen Erkrankungen, bzw. dem Mangel an spezialisierter Gesundheitsversorgung, sind falsche Vorstellungen der Bevölkerung über psychische Erkrankungen ein wesentliches Problem. Psychisch Erkrankte sind oftmals einer gesellschaftlichen Stigmatisierung ausgesetzt (LIB 13.11.2019, S. 351 f.).

1.2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer trägt den Spruch genannten Namen, ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben.

Der Beschwerdeführer wurde in Kabul geboren, wo er aufwuchs, neun Jahre lang eine Schule besuchte und danach drei Jahre lang eine Lehre als Kameramann absolvierte. Der Beschwerdeführer ist gesund, spricht Dari, Pashtu und ein wenig Urdu.

Die Familie des Beschwerdeführers, bestehend aus seiner Mutter, zwei Brüdern und vier Schwestern, lebt in Kabul. Zu ihnen besteht Kontakt. Im Bundesgebiet leben die Schwester samt ihrem Ehemann und deren gemeinsamen Kindern sowie ein Bruder des Beschwerdeführers.

Der Beschwerdeführer hat sich Kenntnisse der deutschen Sprache angeeignet und hat an einem Werte- und Orientierungskurs des Österreichischen Integrationsfonds am 3.6.2019 sowie an der Workshop-Reihe " XXXX " (3x 150 Minuten) zwischen Januar und Mai 2019 teilgenommen.

Einer Erwerbstätigkeit ist der Beschwerdeführer in Österreich bislang nicht nachgegangen. Der Beschwerdeführer lebt von der Grundversorgung, er ist nicht selbsterhaltungsfähig.

Der Beschwerdeführer teilt sich ein Zimmer in der Flüchtlingsunterkunft mit seinem Bruder. Der Beschwerdeführer ist von seinem Bruder nicht finanziell abhängig.

Vor rund zwei Jahren hat der Beschwerdeführer eine österreichische Staatsbürgerin kennengelernt, er lebt jedoch nicht mit ihr zusammen, eine Verlobung oder Eheschließung steht konkret nicht bevor. Die Beziehung zu seiner nunmehrigen Freundin ging der Beschwerdeführer zu einem Zeitpunkt ein, in dem sich sowohl er als auch seine Freundin seines illegalen Aufenthaltes bewusst waren.

Ferner ist der Beschwerdeführer strafgerichtlich unbescholten.

1.2.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan eine außereheliche Beziehung mit einem älteren Mädchen und sich heimlich mit ihr in Restaurants getroffen hatte. Dass der Beschwerdeführer auch beschuldigt oder verdächtigt wurde, in Afghanistan eine außereheliche Beziehung geführt zu haben, ist nicht feststellbar.

Weder der Beschwerdeführer noch seine Familie waren in Afghanistan Bedrohungen oder psychischer bzw. physischer Gewalt ausgesetzt. Dem Beschwerdeführer droht in Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine gegen ihn gerichtete Verfolgung oder Bedrohung durch staatliche Organe oder durch Private, weder vor dem Hintergrund seiner ethnischen Zugehörigkeit, seiner Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, noch aus Gründen seiner politischen Gesinnung oder aus anderen Gründen. Der Beschwerdeführer hat Afghanistan weder aus Furcht vor Eingriffen in die körperliche Integrität, noch wegen Lebensgefahr verlassen.

1.2.3. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Für den Fall der Rückkehr des Beschwerdeführers nach Kabul (Stadt) oder nach Mazar-e Sharif oder Herat kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer dort Gefahr droht, im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Angriffe Aufständischer zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sich der Beschwerdeführer in den genannten Städten eine Lebensgrundlage wird aufbauen können. Die grundlegende Gesundheitsversorgung sowie die Versorgung mit Lebensmitteln ist in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat grundsätzlich gewährleistet.

2. Diese Feststellungen gründen auf folgender Beweiswürdigung:

2.1. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Länderberichte. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsnahen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Soweit der Beschwerdeführer im Schriftsatz vom 2.1.2020 einwendete, dass sich die Zahl der zivilen Opfer in der Provinz Balkh um 76% erhöht hat, genügt der Hinweis, dass diese Steigerung auch in den Länderfeststellungen enthalten ist (siehe oben 1.1.2.3.).

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Nationalität, Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers, zu seinen Aufenthaltsorten und jenen seiner Familienangehörigen sowie seiner Muttersprache Dari gründen auf den insoweit unbedenklichen Angaben des Beschwerdeführers. Dies gilt auch für die Feststellungen hinsichtlich seiner gesundheitlichen Verfassung, seiner Erwerbstätigkeit im Heimatland sowie seiner Lebenssituation derzeit in Österreich (siehe insbesondere S. 2 ff. der niederschriftlichen Einvernahme; S. 3 ff. der Verhandlungsniederschrift; zur Selbsterhaltungsfähigkeit vgl. Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem vom 28.10.2019).

Der Beschwerdeführer hat mit seiner Mutter und seinen Geschwistern in Kabul gelebt, ist dort aufgewachsen neun Jahre lang zur Schule gegangen. Es spricht nichts gegen die Annahme, dass er gemeinsam mit seiner Familie bis zur Ausreise in Kabul gelebt hat. Da die Angaben des Beschwerdeführers zum Fluchtvorbringen als gänzlich unglaubwürdig zu werten waren (siehe unten 2.3.) und eine Verfolgung des Beschwerdeführers bzw. seiner Familie nicht festgestellt werden konnte (siehe oben 1.2.2.), ist für das Gericht - ohne Kenntnis weiterer Umstände bzw. allfälliger Gründe für eine Übersiedlung - so ohne Weiteres nicht plausibel, dass die Familie des Beschwerdeführers die Stadt Kabul verlassen haben und kein Kontakt mehr bestehen soll. Dies gilt umso mehr, als vom Beschwerdeführer die Ausreise der Mutter und Brüder mit demselben Verfolgungsszenario begründet wurde, das als unglaubwürdig angesehen werden muss (siehe unten 2.3.). Im Übrigen erscheint auch der Umstand nicht vorderhand nachvollziehbar, dass die Mutter und Brüder des Beschwerdeführers offensichtlich erst einige Zeit nach der Flucht des Beschwerdeführers das Land verlassen haben sollen (siehe dazu näher unten 2.3.2.): Folglich kann die Behauptung des Beschwerdeführers über die Abwesenheit seiner Mutter und seiner Brüder nicht als glaubwürdig angesehen werden. Dass seine Schwestern noch in Kabul leben, ist jedenfalls unstrittig (S. 4 der Verhandlungsniederschrift). Daher war festzustellen, dass der Beschwerdeführer noch über seine Familie und Geschwister in der Stadt Kabul verfügt.

Die Feststellungen zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich (insbesondere zur Aufenthaltsdauer, seinen Deutschkenntnissen, seinen familiären oder engen sozialen Anknüpfungspunkten in Österreich und seiner Integration) stützen sich auf die Aktenlage (vgl. insbesondere den Auszug aus dem Grundversorgungs-Informationssystem) sowie auf die Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (zu den Deutschkenntnissen vgl. die ÖSD-Prüfungsbestätigung für das Zertifikat A2, Zertifikat über die Teilnahme des Kurses für Deutsch A2 und Zertifikat über die Teilnahme zur Prüfungsvorbereitung B1+).

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers in Österreich stützt sich auf die eingeholte Strafregisterauskunft.

2.3. Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers, wonach er in Kabul ein außereheliches Verhältnis mit einem Mädchen namens XXXX gehabt habe und ihm deshalb in Afghanistan Verfolgung durch den Vater des Mädchens und durch die Strafverfolgungsbehörden drohe, konnte aus folgenden Gründen nicht festgestellt werden:

2.3.1. Die Fluchtschilderungen des Beschwerdeführers erschienen in wesentlichen Aspekten vage, oberflächlich und widersprüchlich. So war es dem Beschwerdeführer nicht möglich, wichtige Details, wie den Namen der Schule, die seine afghanische Freundin besuchte, oder den Namen des Viertels, in dem das Mädchen gewohnt haben soll, zu benennen. Auch konnte der Beschwerdeführer keine konkreten Angaben zu dem Mädchen machen (S. 8 der Verhandlungsschrift: "ER: Was können Sie mir über das Mädchen erzählen? BF: Sie war Schiitin und ein gutes Mädchen und sie ging in die Schule."). Auch im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 7.2.2017 war der Beschwerdeführer trotz mehrfacher Aufforderung des Einvernahmeleiters und Wiederholung der Fragen nicht in der Lage gewesen, konkrete Angaben über das afghanische Mädchen zu machen (S. 8 der niederschriftlichen Einvernahme: "F: Machen Sie bitte Angaben zu dem ?Mädchen', von dem Sie reden! A: XXXX heißt sie, sie ist 21 Jahre und wohnt in XXXX , in Kabul. Ich kannte sie 11 Monate, wir gingen ab und zu gemeinsam hinaus. Öfters war es nicht möglich. Eines Tages erwischte uns der Vater. Wir würden beide geschlagen. Wir hatten beide vor aus Afghanistan zu fliehen. Wiederholung der Frage! A: Was wollen Sie von mir hören? ... A: Ja, ich konnte nicht zu ihr nach Hause gehen. Ich habe sie einmal im Monat gesehen, ich hatte ihr ein Handy geschenkt. Wiederholung der Aufforderung! Sie weichen meinen Fragen aus. Sie wollten aus eigener Überzeugung diese Frau heiraten. Sie meinten, Sie hätten Sie geliebt. Da müssten Sie mir über dieses Mädchen (Eigenschaften, Vorlieben, etc.) etwas erzählen können! A: Sie hat sich gut angezogen, hat gerne Burger gegessen und Cola getrunken. F: Machen Sie bitte Angaben zu XXXX ! A: Sie hat einen Bruder und eine Schwester."). In der Beschwerdeverhandlung konnte der Beschwerdeführer sich auch nicht mehr daran erinnern, wann er genau das Mädchen kennengelernt haben will (S. 6 der Verhandlungsniederschrift: "Ich weiß nicht mehr genau, wann ich das Mädchen kennengelernt habe. Es war vor langer Zeit..."). Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer bei ganz konkreten Fragen auch ausweichende Antworten gab und auf allgemeine Themen wechselte (S. 7 der Verhandlungsniederschrift: "Wie ging es dann weiter? - BF: Danach haben wir uns langsam näher kennengelernt ... Ihr Vater war ein mächtiger Mann, weil er für die Regierung arbeitete. Sie wissen, dass es in der afghanischen Regierung nur um Macht geht..."; S. 9 der Verhandlungsniederschrift: "Ist der Altersunterschied zu dem Mädchen nicht ein Problem gewesen? ... BF: ... Ich habe auf einer Hochzeit miterlebt, wie ein junges Mädchen einen viel älteren Mann geheiratet hat."). Die Schilderungen erschöpften sich in allgemeinen Ausführungen, die auffallend vage wurden, wenn es um konkretere Details der behaupteten Erlebnisse ging.

Den dadurch entstehenden Eindruck, dass es sich um ein mit einzelnen verfolgungsrelevanten Aspekten versehenes fiktives Fluchtszenario zum Zweck der Asylerlangung handelt, vermochte der Beschwerdeführer nicht auszuräumen. Dieser Eindruck musste sich noch verstärken, wenn der Beschwerdeführer etwa den Familiennamen des Vaters des Mädchens nicht nennen konnte, durchaus aber Kenntnis darüber haben wollte, dass er ein mächtiger Polizeichef sei (S. 7 der Verhandlungsniederschrift).

Im Verlauf des Verfahrens erfuhr das Fluchtvorbringen eine beträchtliche "Steigerung", wenn man bedenkt, dass der Beschwerdeführer noch in der Erstbefragung seine Flucht ausschließlich wegen der behördlichen Fahndung aufgrund seiner Beziehung mit einem Mädchen nach der Anzeige durch ihre Familie begründet und die später vorgebrachte Verfolgung durch den Vater des Mädchens mit keinem Wort erwähnt hatte (S. 8 der niederschriftlichen Einvernahme). In der Beschwerdeverhandlung brachte der Beschwerdeführer schließlich vor, dass es sich beim Vater des Mädchens um den Kommandanten eines polizeilichen Postens im Sprengel gehandelt habe, der ein mächtiger Mann sei (siehe S. 7 der Verhandlungsschrift: "ER: Können Sie mir über den Vater des Mädchens erzählen. BF: Er heißt XXXX . Den Nachnamen kenne ich nicht. Er war Kommandant eines Postens im Sprengel. Er war ein mächtiger Mann. ER: Können Sie das näher schildern? BF: Seine Position war mit der Position des Polizeichefs in Österreich vergleichbar. Ich weiß nicht, ob er diese Position im XXXX oder in einem anderen Sprengel innehatte.").

Auch wenn man berücksichtigt, dass den Angaben in der Erstbefragung, die sich gemäß § 19 AsylG 2005 nicht auf die "näheren Fluchtgründe" zu beziehen hat, nicht allzu viel Gewicht beizumessen sind, so ist nicht zu übersehen, dass der Beschwerdeführer auf die Frage nach seinen Fluchtgründen in der Erstbefragung nicht etwa unwichtige Details, sondern wesentliche Aspekte, die sowohl die Dringlichkeit der Flucht als auch die Nachhaltigkeit der befürchteten Verfolgung zu veranschaulichen geeignet gewesen wären, gänzlich verschwiegen hatte. Dass der Beschwerdeführer den Umstand, wonach der Vater des Mädchens ein mächtiger Angehöriger der Exekutive sein soll, erst im fortgeschrittenen Verfahrensverlauf erwähnt hat, ist schon allein für sich genommen geeignet, die Glaubwürdigkeit der Fluchtgründe insgesamt zu mindern. Der Beschwerdeführer hätte ein derart wichtiges Detail, das die behauptete Verfolgungsintensität massiv verstärkt, gewiss bereits bei der ersten Gelegenheit, nicht aber erst in der Beschwerdeverhandlung vorgebracht, wenn es den Tatsachen entsprechen würde.

Dessen ungeachtet verwickelte sich der Beschwerdeführer auch in Widersprüche, wenn er in der niederschriftlichen Einvernahme am 7.2.2017 die Frage, ob er im Herkunftsstaat mit den Sicherheitsbehörden oder anderen staatlichen Institutionen Probleme gehabt habe, verneinte (S. 3 der behördlichen Einvernahmeschrift: "F: Hatten Sie Probleme mit Sicherheitsbehörden ... ? - A: Nein, ich hatte keine Probleme."), um kurz darauf auf Nachfrage anzugeben, dass er im Heimatland behördlich gesucht werde (S. 8 der niederschriftlichen Einvernahme), wobei er in der Beschwerdeverhandlung schilderte, dass die Polizei im Herkunftsland nach ihm fahnden würde und er auch eine Ladung erhalten habe (S. 9 der Verhandlungsschrift). Diesbezüglich ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer weder in der Lage war, den näheren Inhalt der von ihm vorgebrachten Ladung wiederzugeben, noch einen Beweis dafür zu erbringen, dass er diese Ladung der Polizei in Österreich gegeben habe. Geht man davon aus, dass die an den Beschwerdeführer gerichtete Ladung (in Zusammenschau mit der Drohung durch den Vater des Mädchens) fluchtauslösend gewesen sein soll, so wäre anzunehmen gewesen, dass sich der Beschwerdeführer an zahlreiche konkrete Details des Schreibens erinnern kann (und sich nicht bloß auf allgemeine Ausführungen beschränkt; siehe S. 9 der Verhandlungsniederschrift).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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