TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/12 W131 2111713-2

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Veröffentlicht am 12.02.2020
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Entscheidungsdatum

12.02.2020

Norm

AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55 Abs2
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W131 2111713-2/20E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag Reinhard GRASBÖCK über die Beschwerde des XXXX , geb am XXXX , StA Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie Flüchtlingsdienst gem GmbH, gegen die Spruchpunkte I. - IV. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.06.2018, Zl XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und die Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 9 BFA-VG betreffend XXXX auf Dauer für unzulässig erklärt.

II. Gemäß §§ 54 und 55 Abs 2 Asylgesetz 2005 wird XXXX der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

III. Die Spruchpunkte II. - IV. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (= Bf) reiste im Jahr 2014 schlepperunterstützt und unter Umgehung der Einreisebestimmungen in das Bundesgebiet ein und stellte hier am 20.10.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 06.07.2015 zur Gänze abgewiesen; ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Bf nicht erteilt, gegen ihn wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, wobei eine Frist für seine freiwillige Ausreise festgesetzt wurde. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit rechtskräftigem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (= BVwG) vom 02.02.2017, GZ W163 2111713-1/18E, als unbegründet abgewiesen.

2. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 01.12.2017 wurde über den Bf die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung verhängt. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 13.12.2017, GZ W171 2179086-1, abgewiesen.

3. Am 05.04.2018 stellte der Bf gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 aus Gründen des Art 8 EMRK.

4. Am 08.06.2018 wurde der Bf zu seinem Antrag vom 05.04.2018 niederschriftlich einvernommen. Der Bf gab zu seinem Leben in Österreich an, dass er seit einem Jahr gemeinsam mit seiner - bereits im Jahr 2014 traditionell in Pakistan und im Jahr 2015 standesamtlich in Österreich geehelichten - Gattin und deren Familie zusammenwohne. Davor habe er nicht von seinem Flüchtlingscamp in XXXX nach XXXX übersiedeln dürfen, weshalb kein gemeinsamer Haushalt bestanden habe. Er besuche dreimal wöchentlich einen A2-Deutschkurs und arbeite einmal in der Woche freiwillig bei der Caritas. Der Bf legte zugleich diverse Integrationsunterlagen, darunter seine Heiratsurkunde, Deutschkursbestätigungen und eine Einstellungszusage, vor.

5. Mit Mandatsbescheid der belangten Behörde vom 08.06.2018 wurde dem Bf die Unterkunftnahme bis zu seiner Ausreise in einem Quartier in XXXX angeordnet.

6. Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid der belangten Behörde vom 29.06.2018 wurde der Antrag des Bf auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK abgewiesen, gegen den Bf eine (neuerliche) Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung des Bf nach Afghanistan zulässig sei. Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nicht gewährt. Einer Beschwerde wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt.

Die belangte Behörde traf im angefochtenen Bescheid Feststellungen zur Person des Bf und zur Lage in seinem Herkunftsstaat und führte in der rechtlichen Beurteilung nach Durchführung einer Interessenabwägung aus, dass weder die familiären Bindungen des Bf noch die von ihm in Österreich gesetzten Integrationsschritte dergestalt seien, dass diese einen Verbleib im Bundesgebiet rechtfertigen würden, zumal die familiären Bindungen zu seiner Ehefrau insofern relativiert seien, als er mit seiner Gattin nie ein gemeinsames Familienleben im Heimatland geführt habe und auch in Österreich zunächst nicht mit seiner Gattin in einem gemeinsamen Haushalt gelebt habe. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG komme daher nicht in Betracht.

Für ein allfälliges Beschwerdeverfahren wurde dem Bf amtswegig eine Rechtsberatungsorganisation zur Seite gestellt.

7. Gegen diesen Bescheid richtet sich die - vom ausgewiesenen Rechtsvertreter des Bf - rechtzeitig erhobene Beschwerde. Mit der Beschwerde wird der gegenständlich angefochtene Bescheid zur Gänze bekämpft, dies wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung, mangelhafter Beweiswürdigung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften.

8. Die belangte Behörde legte die Beschwerde samt den dazugehörigen Verwaltungsakten dem BVwG zur Entscheidung vor.

9. Mit Teilerkenntnis des BVwG vom 13.08.2018, GZ W131 2111713-2/4E, wurde der Beschwerde gegen den Bescheid vom 29.06.2018 die aufschiebende Wirkung zuerkannt und Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides (Aberkennung der aufschiebenden Wirkung) ersatzlos behoben.

10. Am 06.12.2019 fand vor dem BVwG unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Dari eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt, an der der Bf und sein ausgewiesener Rechtsvertreter sowie die Ehefrau und die Schwägerin des Bf als Zeuginnen teilnahmen. Vertreter der belangten Behörde sind nicht erschienen.

11. Mit Eingabe vom 09.12.2019 langte eine Stellungnahme des Bf zur mündlichen Verhandlung ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Über den Verfahrensgang hinaus wird Folgendes festgestellt:

Der Bf ist volljähriger Staatsangehöriger von Afghanistan, der Volksgruppe der Tadschiken zugehörig und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Seine Muttersprache ist Dari. Der Bf ist verheiratet und kinderlos.

Der Bf reiste im Jahr 2014 von Afghanistan nach Pakistan, um dort seine aus Afghanistan stammende (nunmehrige) Ehegattin XXXX nach traditionellem Ritus zu ehelichen, welcher zu diesem Zeitpunkt bereits der (abgeleitete) Status einer Asylberechtigten in Österreich gemäß § 3 iVm § 34 AsylG zukam. Bei der Ehe zwischen dem Bf und seiner Ehegattin handelt es sich nicht um eine arrangierte Ehe, sondern um eine Liebesheirat. Der Bf lernte seine Ehefrau im Jahr 2010 während eines Aufenthalts in Pakistan kennen und stand seither bis zur Heirat in regelmäßigem Kontakt mit ihr. Nach seiner Verehelichung kehrte der Bf zurück nach Afghanistan, seine asylberechtigte Ehefrau reiste zurück ins österreichische Bundesgebiet zu ihrer hier aufhältigen Familie.

Im Herbst 2014 reiste der Bf ebenfalls im Bundesgebiet ein und stellte hier am 20.10.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 06.07.2015 zur Gänze abgewiesen und eine Rückkehrentscheidung erlassen. Hiergegen erhob der Bf Beschwerde.

Am 04.09.2015 wurde die Ehe zwischen dem Bf und seiner Gattin vor einem Standesamt in XXXX geschlossen.

Die gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 06.07.2015 erhobene Beschwerde wurde mit rechtskräftigem Erkenntnis des BVwG vom 02.02.2017 ebenfalls als unbegründet abgewiesen. Zu diesem Zeitpunkt bestand kein gemeinsamer Haushalt des Bf und seiner Ehefrau, weil sein Grundversorgungsplatz in einem anderen Bundesland zugewiesen wurde.

Der Bf und seine Ehegattin waren in Österreich von 10.02.2017 bis 04.07.2018 an gemeinsamer Adresse hauptwohnsitzgemeldet und sind seit 07.12.2018 wieder an gemeinsamer Adresse hauptwohnsitzgemeldet: Beginnend mit 10.02.2017 wurde in Österreich ( XXXX ) ein gemeinsamer Haushalt des Bf und seiner Gattin begründet. Das Zusammenleben der Eheleute wurde unterbrochen, weil über den Bf mit Bescheid der belangten Behörde vom 01.12.2017 die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung verhängt wurde. Am 05.04.2018 stellte der Bf den gegenständlichen Antrag gemäß § 55 AsylG 2005. Mit Mandatsbescheid der belangten Behörde vom 08.06.2018 wurde dem Bf zudem die Unterkunftnahme bis zu seiner Ausreise in einem Quartier in XXXX angeordnet, worauf hin er wiederum von seiner Ehefrau getrennt wurde.

Seit 07.12.2018 leben der Bf und seine Ehefrau wieder im gemeinsamen Haushalt, dies in einer gemeinsamen Wohnung mit den Schwiegereltern und den Schwägerinnen sowie Schwagern des Bf. Die Gattin des Bf ist aktuell auf der Suche nach einer eigenen Wohnung für sich und den Bf. Die Gattin des Bf ist (außerordentliche) Studentin eines Lehramtsstudiums und geht nebenbei einer geringfügigen Beschäftigung in einem Marktforschungsinstitut nach. Sie führt mit dem Bf eine gleichberechtigte Beziehung auf Augenhöhe. Der Schwiegervater des Bf erzielt mit seiner Erwerbstätigkeit in einem Gemeinschaftsverpflegungsbetrieb das Familieneinkommen, die Schwiegermutter des Bf ist Hausfrau. Die Schwägerinnen des Bf sind ebenfalls Studentinnen (der Chemie und der Medizin). Der Bf hat ein sehr gutes und enges Verhältnis zu seiner Schwiegerfamilie.

Der Bf hält sich seit seiner Einreise im Bundesgebiet im Herbst 2014 durchgehend in Österreich auf und verfügt hier über einen Freundeskreis. Er bestand die Deutschprüfung auf dem Niveau A1 mit "sehr gut" und nahm anschließend an A2-Deutschkursen teil, die abgelegte A2-Prüfung bestand er nicht. Der Bf unterhält sich mit seiner Familie überwiegend auf Deutsch und spricht bereits einigermaßen gut Deutsch, wovon sich der Richter im Rahmen der mündlichen Verhandlung überzeugen konnte. Der Bf besucht auch aktuell einen A2-Sprachkurs und möchte bei nächster Gelegenheit zur Prüfung antreten. Der Bf hat als außerordentlicher Studierender vier Monate lang einen Zeichenworkshop an der "Akademie XXXX " besucht, war während seiner Zuweisung in XXXX Mitglied in einem Boxclub und absolvierte einen Integrationskurs, dessen Prüfung er mit der vollen Punktezahl bestand. Der Bf engagiert sich freiwillig bei karitativen Organisationen (derzeit bei der Caritas) und verfügt seit November 2019 über einen Dienstvertrag als Arbeitnehmer in einem Geschäft für Mineralien und Edelsteine, welcher mit der Erteilung einer Aufenthalts- und Arbeitsberechtigung aufschiebend bedingt ist. Der Dienstvertrag sieht eine Wochenarbeitszeit des Bf im Ausmaß von 38,5 Stunden und eine Entlohnung gemäß Kollektivvertrag für Arbeiter im Handel vor. Zudem legte der Bf eine (ebenfalls aufschiebend bedingte) Einstellungszusage aus April 2018 für die Tätigkeit als Hilfsarbeiter in einer Pizzeria vor. Der Bf brachte im Rahmen der mündlichen Verhandlung zum Ausdruck, dass er die demokratisch liberalen Werte der österreichischen Gesellschaft achtet und schätzt.

Der Bf ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

In Afghanistan halten sich die Eltern und die Schwester des Bf auf, zu denen telefonischer Kontakt besteht.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Identität des Bf ergeben sich aus seinen Angaben im Vorverfahren sowie im gegenständlichen Verfahren vor dem Bundesamt, in der Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG.

Dass der Bf in Österreich mit XXXX (standesamtlich) verheiratet ist, ist der vorgelegten Heiratsurkunde, ausgestellt vom Standesamt XXXX , zu entnehmen. Dass die Ehe auch bereits im Jahr 2014 nach traditionellem Ritus in Pakistan geschlossen wurde, entspringt den Angaben des Bf und seiner Ehegattin, und wurde bereits dem Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz zu Grunde gelegt (vgl insb das hg Erkenntnis vom 02.02.2017, GZ W163 2111713-1/18E). Die Feststellungen rund um die Eheschließung in Pakistan gründen ebenfalls auf diesem, in Rechtskraft erwachsenen, Erkenntnis vom 02.02.2017.

Die Feststellungen zu den Lebensumständen des Bf, insbesondere zum bestehenden Privat- und Familienleben des Bf in Österreich mit seiner Ehefrau und seiner Schwiegerfamilie, ergeben sich - in Übereinstimmung mit den vorgelegten Urkunden - aus den plausiblen und glaubhaften Angaben des Bf im Verfahren und der in der mündlichen Verhandlung einvernommenen Zeuginnen, an deren Glaubwürdigkeit keine Zweifel aufgekommen sind. Die als Zeugin einvernommene Schwägerin des Bf bestätigte ein tatsächliches Eheleben zwischen dem Bf und seiner Gattin; die Werteverbundenheit des Bf erschließt sich ebenfalls aus den Aussagen des Bf und den beiden Zeuginnen in der mündlichen Verhandlung.

Dass der Bf und seine Ehefrau von 10.02.2017 bis 04.07.2018 sowie (wiederum) seit 07.12.2018 an gemeinsamer Adresse gemeldet sind, ist zudem der eingeholten ZMR-Auskunft zu entnehmen. Die mit Mandatsbescheid vom 08.06.2018 angeordnete Unterkunftnahme ergibt sich aus dem Akteninhalt.

Die strafrechtliche Unbescholtenheit des Bf ergibt sich aus der eingeholten Strafregisterauskunft.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zur Zulässigkeit der Beschwerde und zum Entscheidungsgegenstand:

Beschwerdegegenstand ist der Bescheid der belangten Behörde vom 29.06.2018, Zl XXXX

Wie sich aus der Darstellung des Verfahrensgangs ergibt, wurde der Beschwerde gegen Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides (Aberkennung der aufschiebenden Wirkung) mit Teilerkenntnis des BVwG vom 13.08.2018, GZ W131 2111713-2/4E, Folge gegeben und dieser Spruchpunkt mangels Vorliegens der objektiven Aberkennungsvoraussetzungen des § 18 Abs 2 BFA-VG ersatzlos behoben.

Das BVwG ist aufgrund dieses Teilerkenntnisses ausschließlich zur Überprüfung der Spruchpunkte I. bis IV. des angefochtenen Bescheides berufen. Die dagegen erhobene Beschwerde ist rechtzeitig und zulässig. Sie ist auch begründet:

3.2. Zu Spruchpunkt A)

3.2.1. Zu Spruchpunkt A) I. - Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung

Gemäß § 55 Abs 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl I Nr 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl I Nr 189/1955) erreicht wird.

Nach § 55 Abs 2 AsylG 2005, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs 1 Z 1 vorliegt.

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

Gemäß § 9 Abs 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

Gemäß Art 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Das Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Der Begriff des "Familienlebens" in Art 8 EMRK umfasst dabei insbesondere die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten.

Gemäß Art 8 Abs 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig und in diesem Sinne auch verhältnismäßig ist.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Die Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung - nunmehr Rückkehrentscheidung - ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

Bei dieser Interessenabwägung sind - wie in § 9 Abs 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird - insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren sowie die Frage zu berücksichtigen, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (vgl VfSlg 18.224/2007, 18.135/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).

Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl EGMR 16.06.2005, Sisojeva ua gg Lettland, Nr. 60654/00, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Vor dem Hintergrund der in § 9 Abs 1 bis 3 BFA-VG normierten Integrationstatbestände, die zur Beurteilung eines schützenswerten Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK zu berücksichtigen sind, ist in der gegenständlichen Rechtssache der Eingriff in das Privat- und Familienleben des Bf nicht durch die in Art 8 Abs 2 EMRK angeführten öffentlichen Interessen gerechtfertigt.

Im vorliegenden Fall hält sich die Ehefrau des Bf im Bundegebiet auf, die Ehe wurde zunächst im Jahr 2014 nach traditionellem Ritus in Pakistan und sodann am 04.09.2015 vor einem Standesamt im österreichischen Bundesgebiet geschlossen. Der Ehefrau, welche in zeitlicher Hinsicht vor dem Bf ins Bundesgebiet eingereist ist, wurde in Österreich rechtskräftig der (abgeleitete) Status der Asylberechtigten gemäß § 3 iVm § 34 AsylG zuerkannt, bevor sie die Ehe mit dem Bf einging.

Zwischen dem Bf und seiner Ehefrau besteht - wie das Ermittlungsverfahren ergeben hat - ohne Zweifel ein aufrechtes Familienleben im Sinne des Art 8 EMRK. Insbesondere zwischen Ehegatten (und ihren minderjährigen Kindern) ist ein Familienleben im Sinne des Art 8 EMRK nämlich ipso iure zu bejahende (vgl VwGH 26.01.2006, Zl. 2002/20/0423). Eine Rückkehrentscheidung greift daher in das in Österreich bestehende Familienleben des Bf mit seiner Ehefrau (aber auch mit seiner Schwiegerfamilie) ein.

Die Ehefrau des Bf hält sich seit ihrer Einreise im Bundesgebiet auf hat hier ihren Lebensmittelpunkt begründet. Die Ehefrau des Bf ist afghanische Staatsangehörige und in Bezug auf diesen Staat asylberechtigt. Eine Rückkehr in ihren Herkunftsstaat ist der Ehefrau des Bf somit nicht möglich bzw zumutbar, zumal ihre gesamte Kernfamilie (Eltern und Geschwister) ebenfalls im Bundesgebiet lebt. Eine Fortsetzung des Familienlebens im Herkunftsstaat des Bf erscheint daher ausgeschlossen, woraus sich ein besonders intensiver Eingriff in das Recht auf Familienleben ergibt (vgl VfGH 25.02.2013, U 2241-12 und VfSlg. 19.220/2010). Der Bf lebt nunmehr auch im gemeinsamen Haushalt mit seiner Ehefrau; insofern hat sich das Familienleben des Bf mit seiner Ehegattin seit der erlassenen Rückkehrentscheidung im Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz intensiviert und verfestigt. Der Lebensmittelpunkt des Bf und seiner Ehefrau, welche im Bundesgebiet in engem Kontakt mit ihren Eltern und Schwestern steht und derzeit zusammen mit dem Bf und ihrer übrigen Familie in einer gemeinsamen Wohnung lebt, hat sich mittlerweile unzweifelhaft nach Österreich verlagert.

Eine Trennung der Familienmitglieder wäre nur dann gerechtfertigt, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme der aufenthaltsbeendenden Maßnahme ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie etwa bei Straffälligkeit (vgl etwa VwGH 11.11.2013, 2013/22/0224; 07.05.2014, 2012/22/0084), oder bei einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regelungen über eine geordnete Zuwanderung und den "Familiennachzug" (VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0026). Der Bf ist aber weder straffällig geworden, noch ergaben sich begründete Anhaltspunkte dafür, dass eine von Anfang an beabsichtigte Umgehung der Regelungen über eine geordnete Zuwanderung und den "Familiennachzug" vorliegt, da der Bf seine Ehefrau bereits vor seiner Einreise ins Bundesgebiet in Pakistan ehelichte.

Auch wenn das (erst durch einen gemeinsamen Haushalt in Österreich intensivierte) Familienleben während eines Zeitraumes entstanden ist, in dem der fremdenrechtliche Aufenthaltsstatus des Bf in Österreich unsicher gewesen ist und sich der Bf darüber bereits zu Beginn der Beziehung im Klaren sein musste, greift eine Rückkehrentscheidung in einer Gesamtbetrachtung dennoch in unzulässiger Weise in das in Österreich bestehende Familienleben des Bf mit seiner Ehegattin ein, zumal nicht übersehen werden darf, dass die Ehe eben nicht erst in Österreich, sondern bereits vor der Einreise des Bf in Pakistan - wenn auch nur nach traditionellem Ritus - geschlossen und das Familienleben somit bereits in diesem Zeitpunkt begründet wurde.

Hinzu kommt, dass sich der Bf seit seiner Asylantragstellung im Oktober 2014 nun mittlerweile seit mehr als fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält und insgesamt glaubhaft um eine Integration in die österreichische Gesellschaft bemüht ist. Auch die mit der Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet korrelierende Abnahme der Bindung des Bf zu seinem Herkunftsstaat hat in die Interessenabwägung miteinzufließen und ist hierzu festzuhalten, dass die Bindungen des Bf an den Herkunftsstaat nicht mehr als intensiv anzusehen sind, ist der Bf seit seiner Ausreise im Jahr 2014 doch nicht mehr nach Afghanistan zurückgekehrt und steht er bloß in telefonischem Kontakt mit seinen in Afghanistan lebenden Familienangehörigen (Eltern und Schwester).

Aufgrund der Einstellungszusage bzw des (aufschiebend bedingten) Dienstvertrages des Bf ist überdies davon auszugehen, dass er in der Lage ist, für sich und seine Ehefrau - welche in Österreich ebenfalls eine weiterführende Ausbildung in Form eines (außerordentlichen) Studiums verfolgt und zusätzlich einer geringfügigen Beschäftigung nachgeht - ohne (öffentliche) Unterstützung ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Weiters ist der Bf strafrechtlich unbescholten. Wenn auch die strafgerichtliche Unbescholtenheit allein die persönlichen Interessen eines Fremden am Verbleib in Österreich gemäß der verwaltungsgerichtlichen Judikatur nicht entscheidend zu verstärken vermag (vgl VwGH 25.2.2010, 2010/18/0029), so liegen nach Ansicht des BVwG im gegenständlichen Fall besondere Umstände vor, die bereits oben dargelegt wurden.

Dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen kommt im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung (Art 8 Abs 2 EMRK) zwar grundsätzlich ein hoher Stellenwert zu (vgl VwGH 12.12.2012, 2012/18/0178; 22.01.2013, 2011/18/0012; 28.02.2019, Ro 2019/01/0003), im gegenständlichen Fall überwiegen aber aufgrund der dargestellten Umstände in einer Gesamtabwägung dennoch die Interessen des Bf an einem Verbleib in Österreich das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung, für die sich in der vorliegenden Konstellation keine begründeten Rechtfertigungen erkennen lassen (vgl VwGH 22. 2. 2005, 2003/21/0096; vgl ferner VwGH 26. 3. 2007, 2006/01/0595, sowie VfSlg 17.457/2005).

Die angefochtene Rückkehrentscheidung war daher in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan für auf Dauer unzulässig zu erklären.

3.2.2. Zu Spruchpunkt A) II - Erteilung eines Aufenthaltstitels

Da die Ausweisung des Bf gemäß § 9 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist, ist ihm gemäß § 58 Abs 3 AsylG ein Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG zu erteilen. Da dem Bf ein Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG zu erteilen ist, liegen die Voraussetzungen für die Anordnung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 10 AsylG, § 52 FPG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan nicht mehr vor.

Wie bereits unter Punkt 3.2.1. dargelegt, ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen gemäß § 55 Abs 1 AsylG 2005 von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist (Z 1) und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl I Nr 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs 2 ASVG, BGBl I Nr 189/1955) erreicht wird (Z 2). Liegt nur die Voraussetzung des Abs 1 Z 1 vor, ist gemäß § 55 Abs 2 leg cit eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen.

Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ist gemäß § 9 Abs 4 IntG, idF BGBl I Nr 68/2017, erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 vorlegt (Z1), einen gleichwertigen Nachweis gemäß § 11 Abs 4 über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung vorlegt (Z2), über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs 1 Universitätsgesetz 2002, BGBl I Nr 120/2002, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht (Z3), einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte" gemäß § 41 Abs 1 oder 2 NAG besitzt (Z4) oder als Inhaber eines Aufenthaltstitels "Niederlassungsbewilligung - Künstler" gemäß § 43a NAG eine künstlerische Tätigkeit in einer der unter § 2 Abs 1 Z 1 bis 3 Kunstförderungsgesetz, BGBl I 146/1988, genannten Kunstsparte ausübt (Z 5).

Die Integrationsprüfung zur Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung umfasst gemäß § 11 Abs 2 IntG Sprach- und Werteinhalte. Mit der Prüfung ist festzustellen, ob der Drittstaatsangehörige über vertiefte elementare Kenntnisse der deutschen Sprache zur Kommunikation und zum Lesen und Schreiben von Texten des Alltags auf dem Sprachniveau A2 gemäß dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen und über Kenntnisse der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung der Republik Österreich verfügt.

Der Bf absolvierte bislang keine Integrationsprüfung und legte im Verfahren auch kein Sprachzertifikat auf dem Niveau A2 (oder auf einem darüber hinausgehenden Sprachlevel) vor. Die Voraussetzungen des § 9 Abs 4 Z 1 oder 2 IntG, idF BGBl I Nr 68/2017, sind somit nicht erfüllt. Im Verfahren ist auch weder hervorgekommen, dass der Bf über einen Schulabschluss gemäß § 9 Abs 4 Z 3 leg cit verfügt, noch, dass er einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte" gemäß § 9 Abs 4 Z 4 leg cit besitzt oder eine künstlerische Tätigkeit iSd § 9 Abs 4 Z 5 leg cit ausübt. Im Fall des Bf ist im Entscheidungszeitpunkt daher keine der Voraussetzungen des § 9 Abs 4 IntG, idF BGBl I Nr 68/2017, erfüllt.

Gemäß der Übergangsbestimmung des Art 81 Abs 36 NAG gilt das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG auch dann als erfüllt, wenn Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl I 68/2017 vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes BGBl I 68/2017 erfüllt haben oder von der Erfüllung ausgenommen waren.

Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG ist gemäß § 14a Abs 4 leg cit (idF vor Inkrafttreten des BGBl I 68/2017) erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige

1. einen Deutsch-Integrationskurs besucht und einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über den erfolgreichen Abschluss des Deutsch-Integrationskurses vorlegt,

2. einen allgemein anerkannten Nachweis über ausreichende Deutschkenntnisse gemäß § 14 Abs 2 Z 1 vorlegt,

3. über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs 1 des Universitätsgesetzes 2002, BGBl I Nr 120, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht oder

4. einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte" gemäß § 41 Abs 1 oder 2 besitzt.

Gemäß § 14 Abs 2 Z 1 NAG (aufgehoben durch BGBl I 68/2017) dient das Modul 1 der Integrationsvereinbarung dem Erwerb von Kenntnissen der deutschen Sprache zur vertieften elementaren Sprachverwendung. Die näheren Bestimmungen zum Inhalt des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung werden durch Verordnung festgelegt (vgl § 14 Abs 3 NAG). Gemäß § 7 Integrationsvereinbarungs-Verordnung ist Ziel des Deutsch-Integrationskurses (Modul 1 der Integrationsvereinbarung) die Erreichung des A2-Niveaus des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen.

Wie bereits ausgeführt, legte der Bf im Verfahren kein Sprachzertifikat auf dem Niveau A2 (oder auf einem darüber hinausgehenden Sprachlevel) vor. Im Fall des Bf ist im Entscheidungszeitpunkt daher auch keine der Voraussetzungen des § 14a NAG in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl I 68/2017 erfüllt.

Da im Entscheidungszeitpunkt somit nur die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 vorliegen, ist dem Bf gemäß § 55 Abs 2 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen.

Gemäß § 54 Abs 2 AsylG 2005 ist diese für die Dauer von zwölf Monaten beginnend mit dem Ausstellungsdatum auszustellen.

Der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" berechtigt gemäß § 54 Abs 1 Z 2 AsylG 2005 zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist.

Der Rechtsansicht des VwGH folgend, wonach das BVwG im Spruch seines Erkenntnisses zum Ausdruck bringen muss, dass es den Aufenthaltstitel selbst in konstitutiver Weise erteilt (vgl VwGH 23.03.2017, Ra 2017/21/0029-5), war dem Bf in Spruchteil A) der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" gemäß § 55 Abs 2 AsylG zu erteilen.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat dem Bf den Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" auszufolgen (§ 58 Abs 7 AsylG 2005).

Verweist die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid auf § 60 Abs 1 Z 1 AsylG, wonach Aufenthaltstitel einem Drittstaatsangehörigen nicht erteilt werden dürfen, wenn gegen ihn eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 iVm 53 Abs. 2 oder 3 FPG besteht, ist dazu der Vollständigkeit halber festzuhalten, dass dieses Erteilungshindern bereits dem Gesetzeswortlaut nach einzig dann Anwendung findet, wenn gegen den Fremden eine aufrechte Rückkehrentscheidung besteht, die in Verbindung mit einem Einreiseverbot erlassen wurde. Dies ist gegenständlich jedoch nicht der Fall; die im Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz erlassene und vom BVwG bestätigte - sohin aufrechte - Rückkehrentscheidung erging nicht in Verbindung mit einem Einreiseverbot, dieses wurde vielmehr erst im gegenständlich angefochtenen Bescheid verhängt. Der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 steht somit auch kein Versagungshindernis entgegen.

3.2.3. Zu Spruchpunkt A) III. - Behebung der Spruchpunkte II. - IV. des angefochtenen Bescheides

Im gegenständlichen Fall ist die Rückkehrentscheidung betreffend den Bf auf Dauer unzulässig. Da die gesetzlichen Voraussetzungen für den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung, der (Nicht-)Gewährung einer Frist für die freiwillige Ausreise und der Erlassung eines Einreiseverbotes somit nicht mehr vorliegen, waren die Spruchpunkte II. bis IV. des angefochtenen Bescheides ersatzlos zu beheben (vgl dazu auch VfGH vom 13.09.2013, U 370/2012; VwGH 04.08.2016, Ra 2016/21/0162).

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

3.3. Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen (siehe dazu insbesondere die unter Spruchpunkt A zitierte Judikatur). Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung bestehendes Familienleben Deutschkenntnisse Ehe ersatzlose Teilbehebung Integration Interessenabwägung Privat- und Familienleben Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W131.2111713.2.00

Im RIS seit

07.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

07.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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