Entscheidungsdatum
12.03.2020Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
W279 2229360-1/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. KOREN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX 1997, StA. AFGHANISTAN, vertreten durch: RAe Mag. Josef Phillip BISCHOF, Mag. Andreas LEPSCHI gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, XXXX vom XXXX 01.2020, Zl. XXXX , zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 iVm §77 Abs. 1 und Abs. 3 FPG stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
I.1. Der BF reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am XXXX 08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
I.2. Am XXXX 08.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des BF statt. Dabei gab er an, am XXXX 1997 geboren zu sein. An seinem Wohnort habe es keine Arbeit gegeben, daher sei er nach Urdu gegangen und habe dort in einer großen Werkstatt gearbeitet. Nach eineinhalb Jahren sei er zurück nach Hause nach Kunduz gegangen und die Taliban hätten ihn mit dem Tod bedroht. Sie hätten ihn "festgenommen, einen schwarzen Sack über den Kopf gestülpt und ihn in ein Haus mitgenommen. Es seien sechs Taliban gewesen. Als er eine Gelegenheit gesehen habe, sei der geflüchtet, nicht mehr nach Hause, sondern habe Afghanistan sofort verlassen.
I.3. Am XXXX 05.2015 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Pashtu einvernommen. Er gab an, 12 Jahre die Schule besucht zu haben und diese mit Matura abgeschlossen zu haben. Er spreche Pashtu, Dari, Türkisch Englisch, Urdu und ein wenig Deutsch. Geboren sei er in der Provinz Kunduz, Distrikt Daashte Archi, Dorf Shinwar. Er sei Paschtune und sunnitischer Moslem. Er sei ledig und habe keine Kinder. Seine Familie lebe noch im Heimatdorf. Er sei in Afghanistan bei der Nationalarmee gewesen und habe dort in einer KF-Werkstatt gearbeitet. Befragt nach seinem Fluchtgrund erklärte der BF, dass sein Leben aufgrund seiner Tätigkeit für die ANA in Gefahr gewesen sei. Mehrmals hätten ihn die Taliban mitgenommen, er sie aber jedes Mal über Intervention der "Weißbärtigen" wieder freigekommen. Die Armee habe er im April 2014 verlassen, danach habe er sich bis zur Ausreise im Juli 2015 in Kunduz und Kabul aufgehalten. Probleme in Kabul habe es nicht gegeben. Nachgefragt, warum er Afghanistan verlassen habe, gab der BF an, wegen der Armut. Er habe keine richtige Arbeit finden können und er sei in der Hoffnung hierhergekommen, Asyl zu erhalten, eine Arbeit zu finden und seine Familie zu unterstützen. Nach dem Vorfall mit den Taliban, sei er nicht mehr im Dienst der Armee gestanden, sondern habe in Kabul gearbeitet. Er sei einmal von den Taliban mitgenommen worden, ansonsten hätten sie nur Drohbriefe geschickt. In ihrem Gewahrsam sei er 13 Tage gewesen.
In Afghanistan sei er nie Mitglied einer politischen Organisation oder eines politischen Vereins gewesen, habe nie Probleme mit öffentlichen Behörde gehabt.
I.4. Am XXXX 10.2017 wurde der BF neuerlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Pashtu einvernommen. Befragt gab der BF an, bei seinen Fluchtgründen zu bleiben und keine Ergänzungen oder Korrekturen zu habe.
I.5. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag des BFs auf internationalen Schutz mit Bescheid vom XXXX 09.2017 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Weiters wurde dem BF kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt, ihm gegenüber gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Schließlich sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).
Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten begründete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen damit, dass der BF keine Bedrohung oder Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft gemacht habe. Zu Spruchpunkt II. führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass sich aus den individuellen Verhältnissen des BFs keine Gefährdung iSd § 8 AsylG 2005 ableiten habe lassen. Eine Ansiedlung in der Herkunftsprovinz sei dem BF nicht zumutbar, es wäre aber die Ansiedelung in Kabul zumutbar. Es seien keine Anhaltspunkte zu Tage getreten, die darauf hindeuten würden, dass der BF bei seiner Rückkehr in eine ausweglose und existenzbedrohende Lage geraten würde. Schließlich wird im angefochtenen Bescheid ausgeführt, dass die öffentlichen Interessen an der Außerlandesbringung des BFs gegenüber seinen privaten Interessen am Verbleib in Österreich überwiegen würden und ein Eingriff in seine durch Art. 8 EMRK geschützten Rechte daher als gerechtfertigt anzusehen sei.
I.6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am XXXX 09.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch und wies mit Erkenntnis W156 2173427-1/10E vom 14.11.2018 die Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom XXXX 09.2017 ab. Außerordentliche Rechtsmittel an die österreichischen Höchstgerichte wurden ergriffen und waren nicht erfolgreich.
I.7. Am XXXX 12.2019 wurde der BF festgenommen, wobei ein Rückflug für den 10.12.2019 avisiert war. Im Zuge der Festnahme kletterte der BF auf ein Flachdach.
I.8. Am 09.12.2019 wurde für eine weiter Prüfung der Rechte des BF nach Art. 2 und 3 EMRK von der Abschiebung Abstand genommen und ein Mandatsbescheid erlassen, mit welchem dem BF eine Meldeverpflichtung für jeden zweiten Tag als gelinderes Mittel auferlegt wurde.
I.9. Am 11.12.2019 wurde der Mandatsbescheid vom 09.12.2019 aufgehoben und ein neuer Mandatsbescheid, GZ: XXXX , mit einer Meldeverpflichtung für jeden dritten Tag erlassen. Gegen diesen erhob der BF das Rechtsmittel der Vorstellung.
I.10 Am 13.122019 stellte der BF einen Folgeantrag auf internationalen Schutz, der am 28.01.2020 zugelassen wurde.
I.11 Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt gab der BF am 30.01.2020 an, dass er niemals freiwillig nach Afghanistan zurückkehren wolle und sich einer weiteren Abschiebung widersetzen werde. Auf die Frage, warum er nicht ausgereist sei und warum er am 09.12.2019 versucht habe, sich der Abschiebung zu entziehen, antwortete der BF, dass er Angst hatte und nicht nach Afghanistan wollte.
I.12 Mit gegenständlichem Bescheid vom XXXX 01.2020, Zl: XXXX , wurde dem BF eine Meldeverpflichtung gemäß §77 Abs. 1 und 3 iVm §76 Abs. 2 Z 1 FPG für jeden dritten Tag aufgetragen und eine aufschiebende Wirkung der Beschwerde ausgeschlossen.
I.13 Gegen diesen Bescheid richtet sich gegenständliche Beschwerde vom XXXX 03.2020, die beim BVwG am 09.03.2020 eingelangt ist.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Verfahrensgang wird festgestellt.
Zur Person des BFs:
Der BF führt in Österreich den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX 1997.
Er ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Paschtunen an, ist sunnitischen Glaubens und spricht muttersprachlich Paschtu. Weiters spricht er Dari, Urdu, Englisch und ein wenig Deutsch.
Er ist ledig und hat keine Kinder.
Er ist bis zu seiner Ausreise in Afghanistan aufhältig gewesen. Seine Familie, bestehend aus zwei Schwestern und drei Brüdern, stammt aus der Provinz Kunduz, Distrikt XXXX , Dorf XXXX , Afghanistan und ist weiterhin dort aufhältig.
Der Vater und die Mutter des BF sind verstorben.
Er hat 12 Jahre lang eine Schule in Afghanistan besucht, hat als Elektriker in einer KFZ-Werkstätte gearbeitet und war 14 Monate bei der Afghanischen Nationalarmee tätig.
Der BF war in Provinzen Kabul, Herat und Ghor beim Militär eingesetzt und hat sechs Monate in Kabul gelebt.
Der BF ist gesund und arbeitsfähig.
Der BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
Der BF ist gesund und finanziert sich seinen Unterhalt in Österreich aus Leistungen der Grundversorgung. Der BF hat am linken Oberschenkel eine (Schuss-)Verletzung.
Zum (Privat)Leben des BFs in Österreich:
Der BF ist seit seiner Antragstellung am XXXX 08.2015 durchgehend im Bundesgebiet aufhältig und wird im Rahmen der Grundversorgung versorgt. Der BF verfügt in Österreich über keine Verwandten. Der BF besucht eine Fachschule für soziale Berufe in der zweiten Klasse und spielt Volleyball in einem Verein.
Zur Schubhaft bzw. gegenständlichem gelinderen Mittel:
Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf sind gegeben.
Eine Gefährdung im Sinne des §67 FPG ist nicht gegeben.
Der faktische Abschiebeschutz wurde dem BF nicht aberkannt.
2. Beweiswürdigung:
Der Sachverhalt ist weitestgehend unstrittig. Strittig ist die rechtliche Einschätzung der Gefährlichkeit des BF, die Fluchtgefahr des BF, nicht aber, dass er am XXXX 12.2019 auf ein Flachdach geklettert ist.
Die Behörde stützt die Annahme des Gefährlichkeit nach §67 FPG, des Sicherungsbedarfes und der Fluchtgefahr auf das unkooperative Verhalten am XXXX 12.2019 (Klettern auf ein Flachdach) sowie seine Angaben im Rahmen der Einvernahme am 30.01.2020. Dass ein Sicherungsbedarf und eine derartige Fluchtgefahr besteht, die eine Meldeverpflichtung für jeden dritten Tag rechtfertigt, wurde von der Behörde auch schlüssig dargelegt. Daran ändern auch die in der Beschwerde vorgebrachten Argumente, dass der BF durchgängig eine Schule besucht, gemeldet ist und in seiner Unterkunft gut integriert und eingebunden ist, nichts.
Das BFA geht weiters von einer Gefährdung im Sinne der §§ 67 FPG und 76 Abs. 2 Z 1FPG aus. Das unkooperative Verhalten des BF begründet zwar Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf, nicht jedoch eine Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. §67 Abs. 1 FPG spricht gar von strafrechtlichen Verurteilungen. Diese liegen in casu nicht vor.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu A)
3.1. Zur Fluchtgefahr und dem gelinderen Mittel:
Die für Schubhaften und gelindere Mittel wesentlichen nationalen Normen sind §76 und §77 FPG:
Der mit Schubhaft betitelte § 76 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) BGBl. I Nr. 100/2005, in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015 lautet:
"§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.
(2) Die Schubhaft darf nur dann angeordnet werden, wenn
1. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder der Abschiebung notwendig ist und sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
2. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.
(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen oder Meldeverpflichtungen gemäß §§ 56 oder 71 FPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder 15a AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.
(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.
(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.
(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß."
Der mit Gelinderes Mittel betitelte § 77 FPG BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015 lautet:
"§ 77. (1) Das Bundesamt hat bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1.
(2) Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.
(3) Gelindere Mittel sind insbesondere die Anordnung,
1. in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,
2. sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder
3. eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen.
(4) Kommt der Fremde seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird.
(5) Die Anwendung eines gelinderen Mittels steht der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.
(6) Zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 hat sich der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.
(7) Die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, kann der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.
(8) Das gelindere Mittel ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.
(9) Die Landespolizeidirektionen können betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.
Die Behörde sieht in gegenständlichem Fall zu Recht die Ziffern 1 und 5 des §76 Abs. 3 FPG als verwirklicht an. Die in Z9 leg.cit. für den BF sprechenden Fakten wie insbesondere der Schulbesuch des BF können jedoch die mit den Ziffern 1 und 5 indizierte und in casu auch tatsächlich existente Fluchtgefahr derart relativieren, dass eine Meldeverpflichtung für jeden dritten Tag grundsätzlich nicht durch die §§76 und 77 FPG gedeckt und als unverhältnismäßig anzusehen wäre.
Allerdings stellt sich der gegenständliche Bescheid als rechtswidrig heraus, da eine Gefährdung nach § 67 FPG nicht gegeben ist.
§67 FPG sieht dahingehend vor: "Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig."
Durch die Fluchtgefahr ist im gegenständlichen Fall eine Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem geregelten Fremdenwesen denkbar. Indizien, dass der BF eine erhebliche Gefahr für die Gesellschaft darstelle, ergeben sich aus den vorgelegten Akten allerdings nicht.
3.2. Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung
Gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.
Eine mündliche Verhandlung kann unterbleiben, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungsrelevante Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Ferner muss die Verwaltungsbehörde die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht diese tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung in seiner Entscheidung teilen. Auch darf im Rahmen der Beschwerde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht zu bleiben hat, wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (VwGH 28.05.2014, 2014/20/0017). Der Sachverhalt ist durch die belangte Behörde vollständig erhoben worden und weist die gebotene Aktualität auf. Der Beweiswürdigung durch die belangte Behörde hat sich das Bundesverwaltungsgericht zur Gänze angeschlossen. Im Gegenständlichen Fall zog die Behörde allerdings fälschlicherweise den rechtlichen Schluss, dass der Gefährdungstatbestand des §76 Abs. 2 Z 1 bzw. §67 FPG vorliege.
Daher konnte aufgrund der Aktenlage entschieden werden.
Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte sohin gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.
Schlagworte
Fluchtgefahr Gefährdung nach FPG Mandatsbescheid Meldeverpflichtung Rechtswidrigkeit Schulbesuch SicherungsbedarfEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W279.2229360.1.00Im RIS seit
07.09.2020Zuletzt aktualisiert am
07.09.2020