Entscheidungsdatum
20.04.2020Norm
AsylG 2005 §10Spruch
W195 2204632-1/23E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Vizepräsidenten Dr. Michael SACHS als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX geb. XXXX , StA. Bangladesch, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.07.2018, XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 04.07.2019 zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 55 AsylG stattgegeben. Der Aufenthalt von XXXX im Bundesgebiet ist geduldet.
In Erledigung der Beschwerde werden die übrigen Spruchteile des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
I.1. Die Beschwerdeführerin (BF) ist Staatsangehörige der Volksrepublik Bangladesch und geboren am XXXX .
I.2. Die BF ist seit September 2006 im Bundesgebiet aufhältig und war bis 22.02.2017 als Hausangestellte mehrerer in Österreich tätiger Diplomaten tätig. Sie war in diesem Zeitraum im Besitz einer Legitimationskarte gemäß § 95 Fremdenpolizeigesetz.
I.3: Am 29.08.2013 stellte die BF beim Magistrat der Stadt Wien (MA 35) einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz für den Zweck "Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit". Dieser wurde mit Bescheid vom 24.09.2013 zurückgewiesen, da die nunmehrige BF gemäß § 1 Abs 2 Z 1 NAG vom Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes ausgenommen sei.
I.4. Die Gültigkeitsdauer der zuletzt ausgestellten Legitimationskarte endete am 22.02.2017.
I.5. Am 20.2.2017 stellte die BF einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt - EU" beim Magistrat der Stadt Wien - MA 35. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 5.7.2017 wurde der BF mitgeteilt, sie habe bis zum damaligen Zeitpunkt keinen Nachweis der Erfüllung des Moduls 2 der Integrationsvereinbarung (Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1) gebracht, weswegen die Abweisung des Antrages sei. Am 27.07.2017 wurde der MA 35 seitens der damaligen Rechtsvertreterin der BF mitgeteilt, die BF habe die B1-Prüfung bestanden und werde das Zeugnis nachreichen. Nach dieser Mitteilung wartete die Behörde noch weitere 18 Tage zu, in denen kein Zeugnis einlangte. Mit Bescheid vom 21.08.2017 wies sie den Antrag der BF ab.
I.6. Am 05.01.2018 stelle die BF schließlich einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens gemäß § 55 Abs 1 AsylG. In ihrem Antrag gab die BF an, von September 2006 bis Februar 2017 beschäftigt gewesen zu sein, sich seit September 2006 in Österreich aufzuhalten. Sie legte eine Beschäftigungszusage vom 07.12.2017 (AS 21) vor und gab an, das Modul 2 der Integrationsvereinbarung mit 22.9.2017 erfüllt zu haben (Zertifikat des ÖSD vom 22.09.2017, AS 19). Ihr Mann und ihre Tochter lebten in Bangladesch, sie unterstütze sie finanziell. Sie legte auch eine Bestätigung der Wiener Gebietskrankenkasse über ihre Selbstversicherung sowie Kontoauszüge vor.
I.7. Am 28.02.2018 wurde die BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) niederschriftlich einvernommen. Sie bestätigte die in ihrem Antrag gemachten Angaben und ergänzte, mit einer Freundin zusammenzuwohnen, ? 175 Miete zu bezahlen und regelmäßige Ausgaben von ca ? 400/Monat zu haben, die sie aus ihren Ersparnissen bestreite. Zur Frage, weshalb sie in Österreich geblieben sei, obwohl ihr Mann und ihre Tochter nach Bangladesch zurückgekehrt seien, gab die BF an, als Hindu in Bangladesch Probleme zu haben, die die Muslime Hindus entführen würden und sehr schlecht behandeln würden. Ihr Mann und ihre Tochter seien aus XXXX vertrieben worden und würden sich in einem Dorf verstecken.
Österreich gefalle ihr gut, sie habe Freunde hier, mache Ausflüge oder manchmal Partys mit ihnen. Sie habe die österreichische Kultur als ihre eigene angenommen. In Bangladesch erwarte sie Probleme mit der muslimischen Bevölkerung, und sie müsste ihre Existenz zurücklassen. Ihr Mann arbeite nicht, würde sie im Falle ihrer Rückkehr schlecht behandeln und sie schlagen, wenn sie ihm kein Geld gebe.
I.8. Das BFA wies den Antrag der BF mit Bescheid vom 24.07.2018, zugestellt am 30.7.2018, ab. Gleichzeitig erließ es eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 3 FPG, stellte fest, dass die Abschiebung nach Bangladesch zulässig sei, und bestimmte eine Frist von vierzehn Tagen für ihre freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Entscheidung.
Das BFA stellte fest, dass die BF über keine familiären Bindungen verfüge. Ihr Gatte, ihr Kind und ihre restliche Familie würden in Bangladesch leben. Die BF habe angegeben, seit September 2006 im Bundesgebiet aufhältig zu sein, sei jedoch erst seit Mai 2007 aufrecht im Bundesgebiet gemeldet. Ihr Ehegatte sei nach seiner Berufstätigkeit nach Bangladesch zurückgekehrt, sie selbst gehe derzeit keiner Beschäftigung nach und finanziere sich ihr Leben durch Ersparnisse. Sie würde gerne in Österreich bleiben, da ihr Kultur und Essen gut gefalle, sie fände es sehr schön in Österreich, besonders im Sommer.
Zur Lage im Herkunftstaat stützte sich das BFA auf umfassende allgemeine Länderfeststellungen, die im angefochtenen Bescheid vollständig enthalten sind.
Das BFA stützte seine Feststellungen beweiswürdigend auf die Angaben der BF, den dargestellten Akteninhalt sowie die in den Länderfeststellungen zitierten verlässlichen Quellen.
In seiner rechtlichen Beurteilung würdigte das BFA die Situation der BF im Lichte des Art 8 EMRK. Zu Gunsten der BF führte das BFA ins Treffen, dass sie sich bereits seit ca. 2007 im Bundesgebiet aufhalte. Die BF befinde sich allerdings seit 21.08.2017 nicht rechtmäßig im Bundesgebiet, ihr Gatte und ihre Tochter befänden sich wieder in Bangladesch. Eine durch Art 8 EMRK geschützte Aufenthaltsverfestigung könne nicht angenommen werden, ihre Aufenthalte bezögen sich lediglich auf ihr bereits abgeschlossenes negatives Asylverfahren und den darauf folgenden unrechtmäßigen Aufenthalt. Auf Grund ihres unsicheren Status habe sie nie davon ausgehen können, ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht erwerben zu können, weswegen das öffentliche Interesse an der Beendigung ihres Aufenthalts überwiege.
Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gründete das BFA unmittelbar auf Art 52 Abs. 3 FPG.
Zur Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung der BF führte das BFA aus, dass sich weder aus den Feststellungen des BFA zum Herkunftstaat der BF noch aus ihrem Vorbringen eine Gefährdung der BF im Sinne des § 50 FPG ergeben würde.
I.9. Gegen diesen Bescheid erhob die BF am 27.08.2018 fristgerecht Beschwerde. Ausgeführt wurde in der Beschwerde zunächst nur, dass ihr Antrag entsprechend der Judikatur positiv entschieden hätte werden müssen. In einer (nicht lesbar datierten) Ergänzung zur Beschwerde führte die BF aus, die BF besitze ein B1-Deutschzertifikat, habe einen Arbeitsvertrag vorgelegt, verfüge über eine aufrechte Versicherung und ein ortsübliches Quartier. Es seien keine Gründe ersichtlich, warum eine Ausweisung bzw. Rückkehrentscheidung auszusprechen wäre. Die BF habe einzig das "Pech" gehabt, den Antrag auf "Daueraufenthalt EU" nicht rechtzeitig habe einbringen können. Die BF sei seit 12 Jahren in Österreich und immer rechtmäßig aufhältig gewesen. Bei einem über 10 Jahre dauernden Aufenthalt sei von einem überwiegen der persönlichen Interessen auszugehen, außer wenn der Fremde die in Österreich verbleibende Zeit überhaupt nicht genutzt habe, um sich sozial und beruflich zu integrieren.
I.10. Das BFA legte die Beschwerde am 28.08.2019 samt den Verwaltungsakten vor und verzichtete auf die Teilnahme an der Beschwerdeverhandlung.
I.11. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 4.7.2019 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung unter Beiziehung eines Dolmetschers durch.
Im Rahmen dieser Verhandlung wurde die BF im Wesentlichen eingehend zu ihrer Familiensituation befragt. Sie sei seit vielen Jahren in Österreich und habe in Österreich für mehrere Diplomaten gearbeitet (Kinderbetreuung). Derzeit sei sie jedoch arbeitslos, weil sie nur bis 2017 mit Arbeitsbewilligung gearbeitet habe. Sie lebe von ihren Ersparnissen. Ihr derzeitiger Vermögensstand betrage ? XXXX ). Von diesem Spargeld würde sie leben - und von einem Cousin, welcher in London arbeite.
Sie leide weder an einer länger dauernden Krankheit noch nehme sie Medikamente.
Sie sei verheiratet und habe eine Tochter. Sowohl ihr Ehemann als auch ihre Tochter leben in Bangladesch, sie habe sie aber seit Jahren nicht mehr gesehen und sehr wenig Kontakt. Ihre Tochter sei am Lernen, aber sie habe der Mutter nichts gesagt und sie habe auch nicht nachgefragt. Die BF habe mit niemandem in Bangladesch Kontakt.
Ihren Ehemann habe sie auch schon lange Zeit nicht gesehen und keinen Kontakt zu ihm. Befragt, ob sie sich scheiden lassen wollte, antwortete die BF, dass "die Scheidung ... passieren" müsse. Ihr Ehemann habe vor langer Zeit gesagt, dass er die Scheidung einreichen würde. Danach habe sie darauf nichts mehr gesagt.
In Österreich habe sie keine Liebesbeziehung, sondern nur einzelne Freundschaften, großteils zu österreichischen oder bengalischen Personen.
Sie sei seit 2006 in Österreich und sei dazwischen nie im Ausland gewesen. Erst über Nachfrage des Richters gab die BF zu, dass sie 2016 oder 2017 in Indien gewesen sei. Über weiteres Nachfragen des Richters gab die BF zu, dass sie 2015 in ihrem Heimatland gewesen sei ("Zuletzt war ich 2015 im Heimatland und dann war ich 2016 in Indien"). In ihrem Heimatland habe sie während ihres drei oder vierwöchigen Urlaubes - sie wisse es nicht mehr so genau - ihre Tante besucht und sie habe auch ihre Tochter getroffen.
Sie habe "mit niemandem in Bangladesch Kontakt". Erst nach intensiver Befragung stellt sich heraus, dass sie manchmal ihre Tochter anrufe. Hinsichtlich ihrer beiden Brüder, die in Bangladesch leben, habe sie ebenfalls keinen Kontakt.
Der Vertreter der BF fasste im Rahmen der Verhandlung vor dem BVwG die Situation treffend wie folgt zusammen:
"Der BF wurde offenbar vor vielen Jahren aufgrund ihres besonderen Fleißes die Möglichkeit geboten, im Ausland in einem Diplomatenhaushalt zu arbeiten. Das war für sie wohl mit sehr positiven Zukunftsprognosen verbunden, und sie dachte, dass sie in dieser Situation auch gut für die Tochter sorgen könnte, in finanzieller Hinsicht. Die Tochter war bei der Oma auch gut aufgehoben. Natürlich bringt es die lange Abwesenheit leider mit sich, dass auch familiäre Bindungen schwächer werden bzw. im konkreten Fall eine so innige Mutter-Tochter-Bindung gar nicht aufgebaut werden konnte. Die BF war durch die Arbeiten bei den Botschaftern im Hinblick auf Zeit und ihre Kräfte sehr gefordert und sie wurde leider nicht bezüglich des Erwerbs der deutschen Sprache gefördert. Das war eigentlich der Knackpunkt, denn, hätte sie nach Abschluss der "Diplomatischen Tätigkeit" bereits das entsprechende Deutschzertifikat besessen, dann hätte sie innerhalb meines Wissens von sechs Monaten nach Ende der Tätigkeit umsteigen können auf den Aufenthalt "EU-Daueraufenthalt". Das ging sich leider nicht mehr aus, und so wurde ihr bei der MA 35 nachdrücklich empfohlen, sie möge beim BFA den entsprechenden Antrag gemäß § 55 AsylG stellen. Dass sie über viele Jahre lang legal in Österreich aufhältig war und diesem Aufenthalt im Sinne der Judikatur der Höchstgerichte ein hoher Stellenwert zukommt, wurde bereits in der Beschwerde dargelegt. In Bezug auf die BF ist es sicher nachvollziehbar, dass sich sämtliche Bindungen zur ursprünglichen Heimat Bangladesch fast aufgelöst haben. Offensichtlich gibt es ihrerseits noch aus Gründen der Höflichkeit und des Anstandes die Bemühungen, ab und zu nach dem Wohlbefinden der Tochter zu fragen. Es ist auch nachvollziehbar, dass ihr Ehemann schon vor geraumer Zeit begonnen hat, das Leben ohne die BF weiter zu planen. Zu den Sprachkenntnissen würde ich noch zugunsten der BF anführen wollen, dass sie etwa in der heutigen Befragung den Eindruck erweckte, dass sie die Fragen auf Deutsch in vielen Fällen sehr wohl verstand, sie hat einige Male auch versucht, spontan in deutschen Worten zu antworten. Personen mit Englischkenntnissen haben in Österreich leider den Nachteil, dass mit ihnen Englisch gesprochen wird und so der Erwerb der deutschen Sprache verzögert wird. Im Hinblick auf die Tätigkeiten beim Kulturverein und ihren bisherigen Fleiß würde ich mir getrauen, eine äußerst günstige Prognose hinsichtlich der zukünftigen Selbsterhaltungsfähigkeit zu stellen."
Die BF gab weiters an, dass sie "in Bangladesch keine politischen Probleme habe".
Nach einer negativen Entscheidung des BVwG am 08.07.2019 behob der VwGH mit Erkenntnis vom 04.03.2020, Zl Ra 2019/21/0380-9, diese Entscheidung des Verwaltungsgerichtes I. Instanz. Unter Hinweis auf die mittlerweile über 13 jährige Anwesenheit der BF im Bundesgebiet sei die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG rechtens.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Feststellungen:
II.1.1. Zur Person der BF, ihren Familienverhältnissen und Lebensumständen in Österreich:
Die Beschwerdeführerin (BF) ist Staatsangehörige der Volksrepublik Bangladesch und geboren am XXXX . Ihre Identität steht fest (BVwG-VS)
Festgestellt wird, dass die BF seit September 2006 im Bundesgebiet aufhältig ist. Sie war von 13.09.2006 bis 22.2.2017 als Hausangestellte mehrerer in Österreich tätiger Diplomaten tätig und war in diesem Zeitraum im Besitz einer Legitimationskarte gemäß § 95 Fremdenpolizeigesetz. (AS 20) Seit 22.02.2017 ist sie ohne Beschäftigung und ohne legalen Aufenthalt im Bundesgebiet. Sie verfügt über eine Einstellungszusage als Küchenhilfe vom 07.12.2017. (AS 21, BVwG-VS).
Festgestellt wird, dass die BF keine Angehörigen in Österreich hat, ihr Mann und ihre volljährige Tochter leben in Bangladesch.
Festgestellt wird weiters, dass die BF unterschiedliche Angaben zur Kontaktnahme mit ihrer Tochter vorbringt. Die Palette reicht von "Ich habe keinen Kontakt" bis zu (inhaltlich zusammengefasst:) "bei meinem letzten Aufenthalt in Bangladesch 2015 habe ich meine Tochter getroffen" - "ich telefoniere regelmäßig mit meiner Tochter".
Sie ist strafrechtlich unbescholten. Die BF wohnt mit einer Freundin zusammen und hat Kontakt zu Freundinnen, mit denen sie auch einen Teil ihrer Freizeit verbringt.
Eine Liebesbeziehung hat die BF nicht, ihr Gesundheitszustand ist gut (BVwG -VS).
Festgestellt wird weiters, dass die BF mehrmals versucht hat, ein Aufenthaltsrecht auf Grundlage des NAG zu erlangen. Im Jahr 2013 wurde ein solcher Antrag zurückgewiesen, da sie als Inhaberin einer Legitimationskarte nicht dem Geltungsbereich des NAG unterlag. 2017 wurde ein weiterer Antrag abgewiesen, da sie das Modul 2 der Integrationsvereinbarung nicht erfüllte. Diesen Bescheid bekämpfte die BF nicht. (AS 28)
Festgestellt wird, dass die BF derzeit keine regelmäßigen Einkünfte hat. Sie verfügt noch über Ersparnisse in Höhe von ca. ? 1.800, mit denen sie ihre Ausgaben bestreitet. Sie wird gelegentlich von einem Cousin aus London unterstützt (BVwG-VS).
Festgestellt, dass die BF auf Grund einer Selbstversicherung bei der WGKK krankenversichert ist. (AS 22)
Festgestellt wird, dass die BF Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1 nachweisen konnte (AS 19), ihre tatsächlichen Deutschkenntnisse sind jedoch spärlich, insbesondere, wenn man ihren Aufenthalt in Österreich seit 2006 in Betracht zieht.
Festgestellt wird, dass die BF nach ihrer eigenen Aussage im Herkunftsland nicht politisch verfolgt wird (BVwG-VS)
Festgestellt wird, dass die BF über 13 Jahre im Bundesgebiet aufhältig ist.
II.2. Beweiswürdigung
Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem bisherigen Verfahren, dem Akteninhalt und dem hinsichtlich ihrer bisherigen Situation in Österreich dokumentierten Vorbringen der BF. Hinsichtlich einer vor dem BFA durch die BF kursorisch behaupteten Bedrohung in Bangladesch geht das BVwG davon aus, dass dieses Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht, da es sehr knapp und ohne konkrete Anhaltspunkte dargelegt und in der Beschwerde auch nicht wiederholt oder substantiiert wurde. Darüber hinaus hat die BF in der Verhandlung vor dem BVwG selbst angegeben, keiner politischen Verfolgung ausgesetzt zu sein.
Hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der BF muss aber festgehalten werden, dass diese generell nicht sehr hoch ist und getragen von dem offensichtlichen Ansinnen, in Österreich leben und arbeiten zu wollen. Hinsichtlich ihrer Beziehung zu ihrer Tochter wurden sehr unterschiedliche Aussagen vor dem BVwG getätigt. Zum einen behauptete sie generell keinen Kontakt zu Bangladesch zu haben, zum anderen offenbarte sie nach intensiver Befragung vor dem Richter, dass sie sehr wohl zuletzt 2015 in Bangladesch gewesen sei, ihre Tochter getroffen habe und sich mehrere Wochen bei ihrer Tante aufgehalten zu haben. Diese zögerlichen Antworten auf klare Fragen haben die Glaubwürdigkeit der BF sehr erschüttert und ihre verschiedenen inhaltlichen Antworten verstärkten diesen Eindruck.
II.3. Rechtliche Beurteilung
II.3.1. Zum Bestehen eines schutzwürdigen Privat- und Familienlebens (Spruchpunkt I)
Gemäß § 55 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf Antrag eine Aufenthaltsberechtigung plus zu erteilen, wenn dies
1. Gemäß § 9 Abs.2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK geboten ist und
2. Der Drittstaatsangehörige der Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt hat und eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze gemäß § 5 Abs. 2 ASVG erreicht wird.
Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff in die Ausübung des Rechts auf Privat- und Familienleben nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.
Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.
Bei dieser Interessenabwägung sind - wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird - insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren sowie die Frage zu berücksichtigen, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (VfSlg. 18.224/2007, 18.135/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).
Vom Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, Appl. 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (EKMR 06.10.1981, Appl. 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).
Die volljährige BF hat im Bundesgebiet keine Familienangehörigen.
Die aufenthaltsbeendende Maßnahme könnte daher allenfalls lediglich in das Privatleben der BF eingreifen. Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva u.a. gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.
Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 852 ff.). Die zeitliche Komponente spielt jedoch insofern eine zentrale Rolle, da - abseits familiärer Umstände - eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Der Verwaltungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/10/0479, davon aus, dass "der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [...] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte".
Außerdem ist nach der bisherigen Rechtsprechung auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung (in diesem Fall) von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 mwN).
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner langjährigen Rechtsprechung zu Ausweisungen Fremder wiederholt ausgesprochen, dass die EMRK Fremden nicht das Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Land garantiert und die Konventionsstaaten im Allgemeinen nicht verpflichtet sind, die Wahl des Aufenthaltslandes durch Einwanderer zu respektieren und auf ihrem Territorium die Familienzusammenführung zu gestatten. Dennoch könne in einem Fall, der sowohl die Achtung des Familienlebens, als auch Fragen der Einwanderung betrifft, der Umfang der staatlichen Verpflichtung, Familienangehörigen von im Staat ansässigen Personen Aufenthalt zu gewähren, - je nach der Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse - variieren (vgl. z.B. EGMR 05.09.2000, 44328/98, Solomon v. Niederlande; 09.10.2003, 48321/99, Slivenko v. Lettland; 22.04.2004, 42703/98, Radovanovic v. Österreich; 31.01.2006, 50435/99, da Silva und Hoogkamer v. Niederlande; 31.07.2008, 265/07, Darren Omoregie ua v. Norwegen).
Der Verwaltungsgerichtshof hat, bezogen auf die mittlerweile mehr als 13 jährige Aufenthaltsdauer der BF im Bundesgebiet dargelegt, dass ein Aufenthaltstitel für die BF gerechtfertigt ist (VwGH vom 04.03.2020, Ra 2019/21/0380-9).
Demnach waren die sonstigen angefochtenen Spruchpunkte zu beheben.
II.3.3. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides ausführlich wiedergegeben.
Schlagworte
Aufenthaltsdauer Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK Duldung ersatzlose Teilbehebung Interessenabwägung Privatleben Rückkehrentscheidung behobenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W195.2204632.1.00Im RIS seit
07.09.2020Zuletzt aktualisiert am
07.09.2020