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41/02 Staatsbürgerschaft;Norm
StbG 1985 §10 Abs1 Z6;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Bachler, Dr. Rigler und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Neumeister, über die Beschwerde des R in Korneuburg, vertreten durch Dr. Horst Ebhardt u.a., Rechtsanwälte in Wien I, Ebendorferstraße 3, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 27. August 1996, Zl. I/3-S-11754-95, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 27. August 1996 wies die Niederösterreichische Landesregierung den Antrag des Beschwerdeführers - eines türkischen Staatsangehörigen - auf Verleihung der Staatsbürgerschaft vom 31. März 1995 gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 und § 39 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 311 (StbG), ab.
Zur Begründung führte sie aus, der am 15. Mai 1971 in Wien geborene Beschwerdeführer habe seit 3. Dezember 1971 ununterbrochen seinen Hauptwohnsitz im Gebiet der Republik Österreich. Er sei mit rechtskräftiger Strafverfügung des Bezirksgerichtes Korneuburg vom 24. April 1995 wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je S 500,-- verurteilt worden, weil er am 3. März 1995 eine andere Person durch einen Faustschlag in das Gesicht vorsätzlich am Körper verletzt habe. Weiters seien über den Beschwerdeführer mit rechtskräftigen Strafverfügungen der Bezirkshauptmannschaft Korneuburg vom 28. Oktober 1993 wegen Überschreitung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h auf der A 22 am 8. September 1993 um 41 km/h gemäß § 99 Abs. 3 lit. a iVm § 20 Abs. 2 StVO eine Strafe von S 1.300,-- und vom 2. Dezember 1993 wegen Abstellens eines PKW ohne Kennzeichentafel am 5. November 1993 gemäß § 99 Abs. 3 lit. d iVm § 82 Abs. 2 StVO eine Strafe von S 400,-- verhängt worden.
Durch die vorsätzliche Körperverletzung habe der Beschwerdeführer das Gastrecht des ihn beherbergenden Landes gröblich verletzt. Weiters habe er demonstriert, daß er auch als Lenker eines Kraftfahrzeuges im öffentlichen Verkehr zumindest derzeit eine Gefahr für die Ordnung und die Sicherheit der übrigen Verkehrsteilnehmer darstelle, weil gerade Überschreitungen der vorgeschriebenen Höchstgeschwindigkeit immer wieder zu schweren Verkehrsunfällen führen würden. Aufgrund der wiederholten Übertretungen der Straßenverkehrsordnung könne nicht ausgeschlossen werden, daß der Beschwerdeführer auch in Hinkunft Normen, die dem Schutz der körperlichen Integrität Dritter sowie der Ordnung und Sicherheit des Straßenverkehrs dienten, leichtfertig mißachten werde.
Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Die belangte Behörde hat aufgrund der von ihr beigeschafften, in Kopie beim Verwaltungsakt erliegenden Strafverfügung des Bezirksgerichtes Korneuburg vom 24. April 1995, welche mit dem Vermerk: "Diese Strafverfügung ist rechtskräftig mit 16.5.1995" versehen ist, festgestellt, daß die damit ausgesprochene Verurteilung rechtskräftig ist. Sie hat dem Beschwerdeführer dazu mit Schreiben vom 8. November 1995 das Parteiengehör eingeräumt. Dieses Schreiben wurde am 9. November 1995 vom Vater des Beschwerdeführers und bei der neuerlichen Zustellung am 17. Jänner 1996 von der Schwester des Beschwerdeführers als Ersatzempfänger übernommen. Diese Zustellungen wären selbst dann wirksam, wenn der Beschwerdeführer tatsächlich, wie er in der Beschwerde vorbringt, im November 1995 und im Jänner 1996 vorübergehend von der Abgabestelle abwesend gewesen wäre, weil eine während der Ortsabwesenheit des Empfängers vorgenommene Ersatzzustellung gemäß § 16 Abs. 5 Zustellgesetz mit dem auf die Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam wird. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers hätte die belangte Behörde auch durch Einholung einer Strafregisterauskunft nicht feststellen können, ob die Strafverfügung tatsächlich rechtskräftig ist, weil die mit der Strafverfügung verhängte Geldstrafe gemäß § 6 Abs. 2 des Tilgungsgesetzes von der Beschränkung der Auskunft umfaßt ist. In einer von der Staatsbürgerschaftsbehörde eingeholten Strafregisterauskunft würde diese Verurteilung daher gemäß § 6 Abs. 4 iVm Abs. 1 Tilgungsgesetz keinesfalls aufscheinen.
Die belangte Behörde hat daher zu Recht berücksichtigt, daß der Beschwerdeführer rechtskräftig wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen verurteilt wurde.
Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 zweiter Fall StbG darf die Staatsbürgerschaft einem Fremden nur dann verliehen werden, wenn er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, daß er keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit bildet. Hiebei handelt es sich um eine zwingende Verleihungsvoraussetzung; bei der Beurteilung, ob sie vorliegt, ist der Behörde kein Ermessen eingeräumt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 19. Juni 1996, Zl. 95/01/0376).
Bei der Klärung der Frage, ob diese Voraussetzung gegeben ist, ist vom Gesamtverhalten des Einbürgerungswerbers, welches wesentlich durch das sich aus der Art, Schwere und Häufigkeit der von ihm begangenen Straftaten ergebende Charakterbild bestimmt ist, auszugehen. Hiebei stellt der Gesetzgeber - anders als bei der Verleihungsvoraussetzung gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 StbG, wonach es darauf ankommt, daß der Fremde nicht zu Strafen, die ein bestimmtes Maß übersteigen, verurteilt wurde - nicht auf formelle Gesichtspunkte ab, sondern ist es lediglich maßgebend, ob es sich um Rechtsbrüche handelt, die den Schluß rechtfertigen, daß der Betreffende auch in Zukunft wesentliche, zum Schutz vor Gefahren für das Leben, die Gesundheit, die Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung erlassene Vorschriften mißachten werde (vgl. auch dazu das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 19. Juni 1996).
Die belangte Behörde hat ihre negative Prognose über das künftige Verhalten des Beschwerdeführers ausschließlich auf dessen Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung und die Bestrafungen wegen Überschreitung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit und Abstellens eines Fahrzeuges ohne Kennzeichentafel ohne die hiefür erforderliche Bewilligung gestützt. Der Beschwerdeführer habe durch die Körperverletzung "das Gastrecht" gröblich verletzt und durch die "wiederholten Übertretungen nach der StVO" gezeigt, daß er auch in Hinkunft Normen, die dem Schutz der körperlichen Integrität Dritter sowie der Ordnung und Sicherheit des öffentlichen Verkehrs dienen, leichtfertig mißachten werde. Das Abstellen eines Fahrzeuges ohne Kennzeichen auf einer öffentlichen Straße stellt jedoch keine für die hier anzustellende Prognose wesentliche Rechtsgutbeeinträchtigung dar. Die Behörde ist eine Begründung schuldig geblieben, aufgrund welcher besonderen Umstände die Körperverletzung, derentwegen der Beschwerdeführer zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen verurteilt wurde, und das Überschreiten der auf der Autobahn zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h um 41 km/h für sich allein geeignet sei, unter Berücksichtigung der Tatsache, daß sich der in Wien geborene Beschwerdeführer seit dem Alter von sieben Monaten, sohin seit etwa 25 Jahren, ununterbrochen in Österreich aufhält, die Annahme zu tragen, der Beschwerdeführer biete trotz der langen Aufenthaltsdauer in Österreich nach seinem bisherigen Verhalten keine Gewähr dafür, keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit zu bilden.
Aufgrund des aufgezeigten Begründungsmangels war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1996011138.X00Im RIS seit
20.11.2000