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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991 §6;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Julcher, über die Beschwerde des ZN (geboren am 25. März 1971), vertreten durch
Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in Wien VII, Neubaugasse 12-14/20, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 30. Mai 1995, Zl. 668.393/4-III/16/95, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Devolutionsweg ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 30. Mai 1995 wurde der Beschwerdeführer, ein Staatsbürger von Afghanistan, gemäß § 17 Abs. 2 Z. 4 und 6 des Fremdengesetzes (FrG) ausgewiesen. Diese Entscheidung wurde im wesentlichen damit begründet, daß der Beschwerdeführer am 7. Mai 1994 über Wien-Schwechat ohne im Besitz eines gültigen Reisepasses sowie ohne den erforderlichen Sichtvermerk in das Bundesgebiet eingereist sei und innerhalb eines Monats betreten worden sei. Am 13. Mai 1994 sei der Beschwerdeführer als Asylwerber in die Bundesbetreuung aufgenommen und am 26. August 1994 aus dieser entlassen worden. Ein Nachweis der für seinen Unterhalt erforderlichen Mittel im Sinne des § 17 Abs. 2 Z. 4 FrG sei vom Beschwerdeführer "weder vorgelegt noch bewiesen" worden. Mit der von der Caritas Wien vom 30. August 1994 erfolgten Mitteilung, daß er in einem Übergangswohnheim wohne und mit dem Lebensnotwendigsten versorgt werde sowie mit seinen Ausführungen im gegenständlichen Verfahren, daß er sich in Bundesbetreuung befände, sei dem Beschwerdeführer der Nachweis der erforderlichen Mittel im Sinne der zitierten Gesetzesbestimmungen nicht gelungen.
Die vorläufige Aufenthaltsberechtigung gemäß § 7 Abs. 1 des Asylgesetzes 1991 komme nur jenen Asylwerbern zu, die gemäß § 6 dieses Gesetzes eingereist sind. Eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung gemäß § 7 i.V.m. § 6 Asylgesetz 1991 sei dem Beschwerdeführer nicht zugekommen, da keine direkte Einreise in das Bundesgebiet aus dem Staat erfolgt sei, in dem er behaupte, Verfolgung befürchten zu müssen. Dies ergebe sich aufgrund seiner persönlichen Angaben im Asylverfahren über seinen Fluchtweg sowie aus dem Bescheid des Bundesasylamtes, Außenstelle Traiskirchen, vom 16. Mai 1994. Daß der Verwaltungsgerichtshof der gegen jenen Bescheid des Bundesministers für Inneres erhobenen Beschwerde, mit welchem der Asylantrag des Beschwerdeführers abgewiesen wurde, die aufschiebende Wirkung zuerkannt habe, ändere nichts an dieser Tatsache, da dem Beschwerdeführer im Sinne dieser Verfügung nur die Rechtsstellung zukomme, welche er als Asylwerber vor Erlassung des angefochtenen Bescheides gehabt habe.
Ob der Beschwerdeführer in den von ihm durchreisten Drittländern der Gefahr der Rückschiebung in den Verfolgerstaat ausgesetzt war, sei für die Rechtmäßigkeit des Ausweisungsbescheides ebenso unerheblich wie die Frage, in welchen Staaten er im Sinne des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG bedroht sei, da für diese Frage ein Verfahren gemäß § 54 FrG vorgesehen sei.
Zwar habe bei der niederschriftlichen Einvernahme des Beschwerdeführers bei der Bezirkshauptmannschaft Baden am 11. Mai 1994 ein Dolmetsch für die Sprache Fasi nur telefonisch mitgewirkt. Dieser vom Beschwerdeführer behauptete Verfahrensmangel könne jedoch nur dann als verfahrenswesentlich angesehen werden, wenn die Behörde bei Vermeidung dieses Mangels zu einem anderen Ergebnis kommen hätte können. Dies sei jedoch nicht der Fall gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit welcher die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beantragt wird.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Bescheid deswegen für rechtswidrig, weil er bereits im Verwaltungsverfahren behauptet habe, aus einem verfolgungsunsicheren Gebiet direkt nach Österreich eingereist zu sein und auch genügend objektive Umstände vorgebracht habe, um seine Einreise als direkte Einreise aus jenem Staat, wo ihm Verfolgung drohe, anzusehen. Der Beschwerdeführer sei als Sicherheitsbeamter des afghanischen Staatssicherheitsdienstes unter dem Regime Nadjibullah tätig gewesen und befürchte, von dem herrschenden Regime in Afghanistan im Falle seiner Rückkehr dorthin gefoltert und sodann getötet zu werden. Er sei von Afghanistan über Usbekistan und Georgien, wo er sich jeweils nur einen Tag aufgehalten habe, nach Österreich eingereist. Sowohl Georgien als auch Usbekistan, beides keine Mitgliedstaaten der Genfer Flüchtlingskonvention, seien für ihn unsichere Gebiete im Sinne des Art. 31 der Genfer Flüchtlingskonvention und somit auch im Sinne des § 6 Abs. 1 des Asylgesetzes 1991 gewesen. Der Beschwerdeführer sei daher direkt im Sinne des § 6 Abs. 1 Asylgesetz 1991 nach Österreich eingereist und gemäß § 7 Abs. 1 des Asylgesetzes 1991 zum vorläufigen Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt gewesen, weshalb er gemäß § 9 des Asylgesetzes 1991 vor Abschluß des Asylverfahrens nicht hätte ausgewiesen werden dürfen. Der Beschwerdeführer verweist auch darauf, daß er in die Bundesbetreuung aufgenommen worden sei.
Mit diesem Vorbringen zeigt der Beschwerdeführer eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Die belangte Behörde durfte sich nämlich über das bereits in der Berufung erstattete Vorbringen des Beschwerdeführers, daß er in den Durchreisestaaten Usbekistan und Georgien, welche beide die Genfer Flüchtlingskonvention nicht unterzeichnet hätten, von einer Rückschiebung in jenen Staat bedroht gewesen sei, in dem verfolgt zu werden er behauptet, und daß er aus diesem Grunde gemäß § 7 Abs. 1 des Asylgesetzes 1991 zum vorläufigen Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt sei, nicht ohne jede Auseinandersetzung mit der konkreten und aktuellen Praxis der Durchreisestaaten hinsichtlich der Einhaltung des Refoulement-Verbotes in bezug auf die in § 37 Abs. 1 und 2 FrG genannten Gefahren hinwegsetzen. Bezüglich der Frage, ob ein Asylwerber zum vorläufigen Aufenthalt gemäß § 7 Abs. 1 Asylgesetz 1991 berechtigt - und daher eine Ausweisung gemäß § 9 Abs. 1 Asylgesetz 1991 unzulässig - ist, ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nämlich auch maßgeblich, ob der Betroffene in den Durchreisestaaten verfolgt oder von einer Rückschiebung bedroht war oder ob er wegen des Vorliegens der in § 37 Abs. 1 oder 2 FrG genannten Gründe bei seiner Einreise nicht zurückgewiesen hätte werden dürfen und ihm die Einreise gemäß § 6 Abs. 2 Asylgesetz 1991 zu gestatten gewesen wäre (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 5. November 1997, Zl. 95/21/0984 und Zl. 96/21/0520, jeweils mit weiteren Nachweisen). Bei Zutreffen der Voraussetzungen dieser Gesetzesstelle ist solchen Fremden in Beachtung des Refoulement-Verbotes die Einreise zu gestatten, und stellt das Gesetz hinsichtlich der Erlangung der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nicht darauf ab, ob die Einreise gestattet wurde. Daher kommt auch solchen Asylwerbern, die triftige Gründe für ihre illegale Einreise vorbringen können, die vorläufige Aufenthaltsberechtigung gemäß § 7 Abs. 1 des Asylgesetzes 1991 zu, wenn sie unverzüglich nach Wegfall entgegenstehender Hindernisse innerhalb der Frist des § 7 Abs. 1 Asylgesetz 1991 den Wunsch oder die Absicht erkennen lassen, einen Asylantrag zu stellen. Beruft sich ein Fremder auf eine ihm in einem Drittstaat drohende Gefahr einer Weiterschiebung in einen Staat, in welchem ihm eine Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 FrG drohe, so ist die Behörde auch in einem solchen Fall gehalten, sich mit der konkreten und aktuellen Praxis des betreffenden Staates hinsichtlich der Einhaltung des Refoulement-Verbotes in bezug auf die in § 37 Abs. 1 und 2 FrG genannten Gefahren auseinanderzusetzen (vgl. auch dazu die genannten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 5. November 1997).
Die belangte Behörde unterliegt daher einem Rechtsirrtum, wenn sie sowohl im angefochtenen Bescheid als auch in der Gegenschrift ausführt, daß die Frage, ob der Beschwerdeführer in den von ihm durchreisten Drittstaaten der Gefahr der Rückschiebung in den Verfolgerstaat ausgesetzt war, im Anwendungsbereich der §§ 6 und 7 des Asylgesetzes 1991 für die Rechtmäßigkeit des Ausweisungsbescheides ebenso unerheblich sei wie die Frage, in welchen Staaten er im Sinne des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG bedroht sei. Soweit sich die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift insoferne auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Dezember 1994, Zl. 94/18/0743, beruft, in welchem Beschwerdefall die Verneinung eines vorläufigen Aufenthaltsrechtes eines aus dem Irak stammenden Asylwerbers nicht für rechtswidrig befunden wurde, ist ihr zu entgegnen, daß sich der vorliegende Fall hinsichtlich der Sachverhaltsfeststellungen der belangten Behörde sowie des Vorbringens des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren gegenüber jenen, wie sie im genannten Erkenntnis wiedergegeben sind, unterscheidet.
Die belangte Behörde durfte somit vor Abschluß des Asylverfahrens die Ausweisung des Beschwerdeführers ohne Auseinandersetzung mit der Frage, ob er in den Durchreisestaaten im Hinblick auf die in § 37 Abs. 1 und 2 FrG genannten Gefahren der Gefahr einer Rückschiebung in den von ihm behaupteten Verfolgerstaat ausgesetzt war, nicht verfügen. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, ohne daß desweiteren zu prüfen gewesen ist, ob die belangte Behörde das Vorliegen der Tatbestände des § 17 Abs. 2 Z. 4 und 6 FrG zu Recht bejaht hat.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1995210867.X00Im RIS seit
20.11.2000