TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/4 W159 2172305-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.06.2020
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Entscheidungsdatum

04.06.2020

Norm

AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §58
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W159 2172305-1/31E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom vom 14.09.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 25.09.2018 und vom 30.04.2020, zu Recht erkannt:

A)

1. Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte III. und IV. stattgegeben und diese ersatzlos behoben.

2. Gemäß § 9 BFA-VG wird festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung von XXXX , geb. am XXXX , StA Afghanistan, auf Dauer unzulässig ist und XXXX eine "Aufenthaltserechtigung plus" gemäß §§ 54, 55 und 58 AsylG 2005 idgF erteilt wird.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsbürger von Afghanistan, gelangte am 12.05.2015 nach Österreich und stellte noch am gleichen Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 13.05.2015 wurde er vom XXXX einer Erstbefragung nach dem Asylgesetz unterzogen. Zu seinen Fluchtgründen führte er aus, dass er mit seiner Familie vor ca. acht Jahren von Afghanistan nach Pakistan ausgewandert sei. Das Leben in Pakistan sei aber sehr schwierig gewesen, er habe keine Arbeit gehabt. Sonst habe er aber keine Fluchtgründe.

Am 16.08.2017 erfolgte die Einvernahme des Antragstellers durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich. Der Antragsteller gab gleich zu Beginn der Einvernahme an, dass er bereits Deutsch spreche und legte eine Tazkira von ihm und seinen Familienangehörigen vor. Er sei Afghane, Moslem und Schiit und in der Provinz Ghazni, XXXX geboren und aufgewachsen. Als er acht Jahre alt gewesen sei, sei er mit seinen Eltern nach Pakistan gezogen und habe dort in der Stadt XXXX gelebt. Er habe schon in Afghanistan begonnen seinem Vater in einer Bäckerei zu helfen. Es sei ihnen finanziell nicht gut gegangen. In Afghanistan hätte er noch zwei Onkel väterlicherseits, einen Onkel mütterlicherseits und eine Tante mütterlicherseits. Er habe jedoch zu niemandem mehr Kontakt. Er habe in Ghazni nur sechs Monate die Schule besucht, könne aber schon teilweise lesen und schreiben. Auch in Pakistan habe er in einer Bäckerei gearbeitet. Sie seien illegal in Pakistan gewesen. Auch die Sicherheitslage sei schlecht gewesen. Sie hätten auch Probleme mit der Polizei gehabt.

Er sei weder verheiratet noch habe er Kinder. Über Identitätsdokumente verfüge er auch nicht. In XXXX sei es im Jahre 2015 zu mehreren Explosionen gekommen. Es seien dabei viele Leute ums Leben gekommen. Er habe selbst Leichen von der Straße gesammelt und der Rettung geholfen. Er sei nur 100 Meter von einer Explosion entfernt gewesen. Wenn er näher gewesen wäre, wäre er auch ums Leben gekommen. Diese Explosion sei von paschtunischen Afghanen herbeigeführt worden. Daraufhin habe er das Land verlassen. Sein Vater habe entschieden wegen der schlechten Sicherheitslage Pakistan zu verlassen. Aus finanziellen Gründen habe nicht die gesamte Familie ausreisen können.

In Pakistan habe er auch aus finanziellen Gründen nicht die Schule besuchen können und habe arbeiten müssen. Wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder seines Religionsbekenntnisses habe er Probleme gehabt (ohne dies in der Folge jedoch näher auszuführen). Nach den konkreten Fluchtgründen gefragt, gab er nochmals an, dass sein Vater entschieden habe, dass er ausreisen solle. Gefragt, aus welchen Gründen sein Vater Afghanistan verlassen habe, gab er an, dass sein Vater Polizist gewesen sei und gegen die Taliban gekämpft hätte. Er habe zu wenig Unterstützung von der Regierung erhalten und sei dann nach Pakistan. Es sei allgemein bekannt, dass die Taliban und IS die Schiiten und Hazara töten würden. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan fürchte er, dass er wegen der Tätigkeit seines Vaters auch Probleme bekommen könnte.

In Österreich arbeite er in einer Bäckerei namens XXXX und legte den diesbezüglichen Lehrvertrag vor. Er könne sich selbst erhalten und bekomme nichts mehr aus der Grundversorgung. Er habe auch schon österreichische Freunde, aber keine Lebensgefährtin oder Verlobte. Mit Freunden zusammen spiele er Fußball und manchmal Volleyball. Er habe ein Zimmer von der XXXX erhalten und sei schon ehrenamtlich für die Gemeinde tätig gewesen. Er habe Verwandte in Schweden. Gefragt nach den Problemen in Afghanistan auf Grund der Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, gab er allgemein an, dass sie die Schiiten töten würden. Ein weiteres Vorbringen hatte er nicht.

Der Beschwerdeführer legte Teilnahmebestätigungen an Deutschkursen auf Niveau B1 vor, sowie eine Teilnahmebestätigung an einem Integrations- und Basisbildungskurs und weiters ein Unterstützungsschreiben. Weiters legte er eine Teilnahmebestätigung an einem Werte- und Orientierungskurs und einen Kompetenznachweis für Basisbildung vor.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, vom 14.09.2017 wurde unter Spruchteil I der Antrag auf internationalen Schutz vom 12.05.2015 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, unter Spruchteil II dieser Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen, unter Spruchteil III ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, sowie unter Spruchpunkt IV eine Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen festgelegt.

In der Begründung des Bescheides wurden die oben bereits im wesentlichen Inhalt wiedergegebenen Einvernahmen dargestellt und Feststellungen zu Afghanistan getroffen. In der Beweiswürdigung wurde insbesondere darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer keine eigenen Fluchtgründe angegeben habe, sondern lediglich ausgeführt habe, dass sein Vater entschieden habe, dass er ausreisen solle. Die Rückkehrbefürchtungen würden lediglich aus Erzählungen Dritter stammen und nicht Selbsterlebtes wiedergeben. Eine individuelle Verfolgung könne daher ausgeschlossen werden.

Rechtlich wurde zu Spruchteil I. insbesondere ausgeführt, dass nach den Länderinformationen keine generelle Verfolgung von Hazara und Schiiten in Afghanistan erfolge und ein allgemeine schlechte Verhältnisse noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der GFK indizieren würden. Unter Berücksichtigung sämtlicher Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens und der Situation in Afghanistan würden keine Hinweise auf das Vorliegen eines Sachverhaltes, der nach der GFK zur Gewährung von Asyl führen würde, vorliegen.

Zu Spruchteil II. wurde zunächst festgehalten, dass das Bestehen einer Gefährdungssituation im Sinne des § 50 Abs. 2 FPG bereits unter Spruchpunkt I geprüft und verneint worden sei. Es würde wohl in der Heimatprovinz das Risiko eines innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes vorliegen, es bestehe jedoch eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative, da es sich bei dem Beschwerdeführer um einen erwachsenen jungen Mann im erwerbsfähigen Alter mit Berufserfahrung, der gesund sei und über Familienangehörige in Afghanistan verfüge, handle. Er könne sich daher mit Gelegenheitsarbeiten in Kabul selbst versorgen. Auch aus den sonstigen Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens hätten sich bei Berücksichtigung sämtlicher Tatsachen keine Hinweise auf das Vorliegen eines Sachverhaltes, welcher zur Gewährung von subsidiärem Schutz führen würde, ergeben und würden auch keine Rückkehrhindernisse bestehen. Insbesondere würden auch keine exzeptionellen Umstände, die von der Judikatur des EGMR für eine Verletzung des Artikel 3 EMRK bei einer Außerlandesschaffung gefordert würden, vorliegen.

Zu Spruchteil III. wurde insbesondere ausgeführt, dass der Antragsteller alleine in Österreich sei und hier kein Familienleben führe. Er sei im Mai 2015 unter Umgehung der Grenzkontrolle eingereist und habe nie ein über das Asylverfahren hinausgehendes Aufenthaltsrecht besessen. Er nehme wohl an Deutschkursen teil und habe bisher auch Grundversorgung bezogen. Sein soziales Umfeld beschränke sich auf lose Freundschaften. Die deutsche Sprache würde er nur zum Teil beherrschen. Er habe vielmehr stärkere Bindungen zum Herkunftsstaat, da er die Landessprache spreche. Es sei daher das öffentlichen Interesse an der Außerlandesbringung größer als das private Interesse des Beschwerdeführers an einem weiteren Verbleib in Österreich. Daher sei eine Rückkehrentscheidung zu erlassen gewesen. Da keine Gefährdung im Sinne des § 50 FPG vorliege, sei auch eine Abschiebung für zulässig zu erklären, zumal auch einer Abschiebung keine Empfehlung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entgegenstehe. Gründe, die für eine Verlängerung der Frist für eine freiwillige Ausreise sprechen würden, seien auch nicht vorgebracht worden (Spruchteil IV.).

Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller, vertreten durch den XXXX , fristgerecht gegen alle Spruchpunkte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, wobei ausdrücklich auch die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt wurde. Nach Wiederholung der bisherigen Ausreisegründe wurde insbesondere ausgeführt, dass die Rückkehr nach zehn Jahren Abwesenheit nach Afghanistan, in ein Land, an das er nur ein paar Kindheitserinnerungen und keine familiären Bindungen habe, befürchten lassen würde, dass er als schiitischer Hazara und Sohn eines ehemaligen Polizisten Probleme mit den Taliban bekommen könnte. Sollte seinem Vorbringen keine Asylrelevanz beigemessen werden, beantrage er die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, zumal ihm auf Grund der volatilen Sicherheitslage eine Rückkehr in die Heimatprovinz Ghazni nicht zumutbar sei. Eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul stehe ihm in dieser Stadt, in der er nie gelebt habe und lediglich Verwandte habe, mit denen er keinen Kontakt habe, nicht offen. Außerdem sei die Sicherheitslage keinesfalls so günstig wie sie die Behörde dargestellt habe, wozu aus weiteren Länderberichten zitiert wurde. Bei einer Rückkehr wäre er ohne finanzielle, familiäre und staatliche Unterstützung völlig auf sich allein gestellt.

Er sei nunmehr zweieinhalb Jahre in Österreich aufhältig und lebe völlig unabhängig von der staatlichen Grundversorgung. Er habe die deutsche Sprache und Schrift gelernt und eine Lehrstelle als Bäcker bei der XXXX gefunden. Er habe somit die Zeit in Österreich dazu genutzt, um sich außerordentlich gut zu integrieren. Auf Grund seiner Arbeitszeiten sei es ihm nicht möglich in Vereinen tätig zu sein oder ehrenamtlich aktiv zu werden. Sein Arbeitgeber sei hoch zufrieden mit ihm und entgegen den Ausführungen der Erstbehörde sei er mit seinem Herkunftsland Afghanistan überhaupt nicht verbunden, da er dieses vor mehr als zehn Jahren verlassen habe. Er sei insgesamt auf Grund der bisher geleisteten Integrationsschritte guter Hoffnung, in Zukunft selbst einen positiven Beitrag für die österreichische Gesellschaft zu leisten und ersuche daher eine Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären. Beigelegt wurde eine Unterstützungserklärung der XXXX sowie ein Bescheid des AMS über eine Beschäftigungsbewilligung als Bäckerlehrling und weitere Unterstützungsschreiben. Es wurde eine Bescheinigung über einen Erste-Hilfe-Kurs nachgereicht.

Zu der vom 25.09.2018 anberaumten Beschwerdeverhandlung ließ sich die belangte Behörde entschuldigen. Der Beschwerdeführer erschien in Begleitung einer Mitarbeiterin des XXXX, sowie einer Vertrauensperson. Er legte ein Empfehlungsschreiben seines Arbeitsgebers, der XXXX , ein Empfehlungsschreiben einer Arbeitskollegin sowie ein Jahreszeugnis der ersten Klasse der Berufsschule samt Schulbesuchsbestätigung vor. Der Beschwerdeführer hielt sein bisheriges Vorbringen aufrecht und wollte weder etwas korrigieren noch ergänzen. Er sei afghanischer Staatsbürger, Hazara, Moslem und Schiit. Sein Vater gehöre aber einer anderen Volksgruppe als seine Mutter an. Er wisse aber nicht genau welcher. Er sei in Afghanistan in der Provinz Ghazni, im XXXX geboren. Sein Geburtsdatum wisse er nicht. Er sei von Pakistan nach Österreich gekommen. Als er hier angekommen sei, habe er angegeben, dass er 16 Jahre alt sei. Zuerst habe er bis zu seinem achten Lebensjahr in der Stadt Ghazni in Afghanistan gelebt, 2007 sei er dann mit seiner Familie nach XXXX , Stadtteil XXXX , nach Pakistan übersiedelt und habe dort siebeneinhalb bis acht Jahre gelebt. Sie wären illegal in Pakistan gewesen und habe er nur sechs Monate die Schule besucht. Sein Vater habe in Pakistan als Gelegenheitsarbeiter gearbeitet. Wirtschaftliche Probleme hätten sie nicht gehabt, aber die Sicherheitssituation in XXXX sehr schlecht gewesen. Sie hätten sich beispielsweise nicht getraut zum Bazar zu gehen, weil es zu viele Anschläge gegeben habe und hätten daher die Lebensmittel überteuert in unmittelbarer Umgebung ihres Hauses einkaufen müssen.

Er selbst habe schon mit acht Jahren in Pakistan zu arbeiten angefangen. Meist habe er als Tagelöhner auf Baustellen gearbeitet und habe er jede Arbeit gemacht. Auf Vorhalt, dass er beim BFA angegeben habe, dass sowohl sein Vater als auch er in einer Bäckerei gearbeitet hätten, bestätigte er dies, fügte jedoch hinzu, dass sie nur Gelegenheitsarbeiter gewesen wären. Seine Eltern würden nach wie vor in Pakistan leben. Er habe eine jüngere Schwester, die jetzt ungefähr neun Jahre alt sei. Gefragt nach den Gründen der Übersiedlung nach Pakistan gab der Beschwerdeführer an, dass sein Vater für die Polizei gearbeitet habe und er seine Arbeit hätte aufgeben müssen, weil ihn die Taliban bedroht hätten, wenn er nicht mit ihnen zusammenarbeite. Er habe aber nicht mit ihnen zusammenarbeiten wollen. Er wäre nach dem Jahre 2007 niemals mehr in Afghanistan gewesen, auch nicht bei der Ausreise.

In Afghanistan habe er selbst weder mit staatlichen Behörden noch mit Privatpersonen oder bewaffneten Organisationen, wie den Taliban, Probleme gehabt, da er noch ein Kind gewesen sei. Pakistan habe er im Jahre 2015 wegen der dortigen schlechten Sicherheitslage verlassen. Über Vorhalt, dass er beim BFA berichtet habe, dass er Zeuge eines Terroranschlages in XXXX geworden sei (AS 159), bestätigte er dies. Er wisse nicht mehr genau, wann er ausgereist sei. Er habe bis vor einem Jahr einen Onkel mütterlicherseits und einen Onkel väterlicherseits in Afghanistan gehabt, aber beide wären in den Iran übersiedelt. Alle fünf bis sechs Monate habe er Kontakt zu seinem Vater. Seinen Familienangehörigen gehe es gut.

Er habe keine gesundheitlichen Beschwerden, sei aber 2016 in eine Auseinandersetzung zwischen zwei jungen Afghanen hineingeraten, wobei er mit einem Messer attackiert worden sei. Seither habe er Schmerzen beim Heben schwerer Lasten. In der Folge führte der Beschwerdeführer auf Deutsch aus, dass er eine Lehrstelle gefunden habe und seit Oktober 2016 in einer Bäckerei arbeite. In dieser Firma würden ca. 20 bis 25 Leute arbeiten. Er stehe um 03.00 Uhr Früh auf und beginne um 04.00 Uhr zu arbeiten. Es sei eine Bäckerei und Konditorei, er lerne aber ausschließlich Bäcker. In der Berufsschule gehe es ihm ganz gut. Er pendle jeden Tag nach XXXX in die Berufsschule und wohne in XXXX XXXX . Er wohne mit einem Kollegen gemeinsam in einer Mietwohnung und würden sie sich die Miete teilen, er bekomme keine staatliche Unterstützung mehr und könne sich selbst erhalten. Er habe mehrere Deutschkurse besucht, aber keine Prüfung gemacht, weil er bald eine Lehrstelle gefunden habe. Weitere Ausbildungen habe er auch noch nicht gemacht. In seiner Freizeit spiele er mit Freunden Fußball und gehe spazieren. Er habe auch in ein Fitnessstudio gehen wollen, aber man habe ihn dort nicht genommen. Bei Vereinen sei er nicht tätig, er habe aber schon österreichische Freunde, jedoch keine österreichische Freundin. Wenn er nach Afghanistan zurückkehre würde, befürchte er, dass den Behörden seine Tazkira in die Hände fallen würde und sie wissen würden, wessen Sohn er sei und sich an ihm rächen würden. Über Vorhalt, dass er bisher lediglich vorgebracht habe, dass sein Vater mit den Taliban und nicht mit den Behörden Probleme gehabt habe, wiederholte er dies, gab aber an, dass er die Arbeit habe aufgeben müssen. Er könne sich auch nicht in Kabul, Herat oder Mazar-e-Sharif niederlassen, er sei eine auffällige Person. Ein weiteres Vorbringen habe er nicht.

Den Verfahrensparteien wurde das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in aktueller Fassung, soweit verfahrensrechtlich relevant, zur Kenntnis gebracht und eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme von vier Wochen eingeräumt, wobei aufgetragen wurde, binnen gleicher Frist, eine Bestätigung der Berufsschule sowie allenfalls weitere Integrationsunterlagen vorzulegen.

Von der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme machte der Beschwerdeführer durch den XXXX Gebrauch. Darin wurde auf die allgemeine schlechte Sicherheitslage in Afghanistan, die besonders für die Hauptstadt Kabul gelte, hingewiesen und aus diversen Länderdokumenten zitiert und wurde gefolgert, dass neben der prekären Sicherheitslage die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Wohnraum, insbesondere für alleinstehende Rückkehrer ohne familiären Rückhalt und finanzielle Unterstützung, unzureichend sei. In Mazar-e-Sharif komme es zu einer unzureichenden Wasserversorgung. In Herat haben überhaupt ca. 45 Prozent der Bevölkerung keinen gesicherten Zugang zu Lebensmitteln. Außerdem gebe es in Afghanistan keine Unterstützung bei Arbeitslosigkeit und würden bei der Arbeitssuche vor allem persönliche Kontakte eine wichtige Rolle spielen, über die der Beschwerdeführer nicht verfüge. Es wurde daher der Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz gestellt. Beigefügt wurde ein Empfehlungsschreiben der früheren Sozialbetreuerin, sowie eine Schulbesuchsbestätigung der Berufsschule.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19.11.2018, Zahl: XXXX , wurde die Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. (Asyl und subsidiärer Schutz) als unbegründet abgewiesen, der Beschwerde jedoch hinsichtlich der Spruchpunkte III. und IV. stattgegeben und diese ersatzlos behoben, sowie unter Spruchpunkt III. festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei und eine "Aufenthaltsberechtigung plus" erteilt. In der Begründung wurde insbesondere darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan, wo er nur als kleines Kind gelebt habe, weder von staatlichen Behördenorganen, noch von bewaffneten Gruppierungen wie den Taliban, noch von Privatpersonen verfolgt worden sei und eine persönliche Verfolgung in Pakistan aus rechtlichen Gründen nicht relevant sei. Dem Beschwerdeführer sei wohl eine Rückkehr in die ursprüngliche Heimatprovinz Ghazni, welche eine sehr volatile Provinz darstellen würde, im Hinblick auf die dortige Sicherheitssituation nicht zumutbar, doch stünde ihm als jungen, gesunden und arbeitsfähigen Mann mit Berufserfahrung im Entscheidungszeitpunkt eine taugliche inländische Fluchtalternative in Kabul offen, sodass kein subsidiärer Schutz zu gewähren gewesen sei.

Wenn auch kein Familienleben in Österreich vorliege, so sei der Beschwerdeführer in Österreich bestens integriert und absolviere eine Lehre in einem Mangelberuf und sei vollständig selbsterhaltungsfähig, wenn er auch erst etwas mehr als dreieinhalb Jahre in Österreich aufhältig sei. Außerdem diene seine Tätigkeit dem wirtschaftlichen Wohle Österreichs.

Am 19.12.2018 erhob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ordentliche Revision gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.11.2018 betreffend die Spruchpunkte A.2. und A.3. (dauerhaft unzulässige Rückkehrentscheidung und amtswegige Aufenthaltstitelerteilung in einem Asylverfahren).

Mit Erkenntnis vom 28.02.2019 wurde das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts im angefochtenen Umfang, sohin hinsichtlich der Spruchpunkte A.2. und A.3. betreffend die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung und die Erteilung eines Aufenthalttitels, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben, wobei insbesondere mit dem unsicheren Aufenthaltsstatus und dem Aufenthalt von weniger als 5 Jahren argumentiert wurde.

Am 30.04.2020 fand beim Bundesverwaltung eine ergänzende mündliche Verhandlung statt, an welcher der Beschwerdeführer, seine Rechtsvertreterin und eine Dolmetscherin teilnahmen. Der Beschwerdeführer erklärte, dass er in der Lage sei die Verhandlung ohne Dolmetscher durchzuführen, zumal es letztlich auch nur mehr um die Frage der Integration und eines Privatlebens in Österreich gehe. Zu seiner Gesundheit befragt gab er an, es gehe ihm gut und er könne der Verhandlung ohne Probleme folgen.

Es wurden seitens des Beschwerdeführers durch seine Rechtsvertretung Fotos seiner Berufsschulklasse, ein Schreiben der Firma XXXX ., eine Beschäftigungsbewilligung des XXXX sowie Lohn und Gehaltsabrechnungen von Dezember 2019 bis Februar 2020 in Vorlage gebracht.

Der Beschwerdeführer hielt seine Beschwerde und sein bisheriges Vorbringen aufrecht. Er gab an, er halte sich seit 12.05.2015 in Österreich auf und sei zwischenzeitlich nicht im Ausland aufhältig gewesen. Er glaube, dass sich seine Familienangehörigen, Eltern und Geschwister, in Pakistan aufhalten würden. Er habe manchmal über das Telefon Kontakt zu ihnen. Sie würden angeben, dass es ihnen gut gehe.

Nachgefragt gab der Beschwerdeführer an, er habe Afghanistan im Jahre 2007, im Alter von acht Jahren verlassen. Er habe mit niemandem mehr in Afghanistan Kontakt.

Er habe keine Verwandten oder Freunde in Afghanistan. Er habe Verwandte in Pakistan und einen Onkel in Schweden. Er würde in Österreich in keiner Ehe oder Lebensgemeinschaft leben. Er habe keine gesundheitlichen oder psychischen Probleme.

Auf die Frage des Richters: "Was machen Sie derzeit in Österreich?" antwortete der Beschwerdeführer: "Österreich ist das beste Land der ganzen Welt. Ich arbeite bei der Firma XXXX 40 Stunden in der Woche." Sein Chef habe ihm mitgeteilt, dass er auf die endgültige Lehrabschlussprüfung noch warten müsse. Er habe bis jetzt eine Teillehre gemacht und diese auch schon abgeschlossen. Zurzeit sei er Bäckereiarbeiter, wie ein Facharbeiter. Er habe keine weiteren Qualifikationen, den Führerschein habe er auch nicht gemacht.

In der Bäckerei mache er entweder Schwarzbrot, Salzstangerl und manchmal auch Knoblauchweckerl. Konditoreiwaren mache er keine. Er würde etwa 1.600 ? netto verdienen. Sein Arbeitgeber sei mit ihm sehr zufrieden und er werde weiter im Betrieb angestellt bleiben. Er beziehe keine staatlichen Leistungen und sei selbsterhaltungsfähig. Die Coronakrise habe sein Leben, da er in der Lebensmittelbranche arbeiten würde, nicht verändert.

Er würde alleine in einer Mietwohnung, 1 Zimmer, bei XXXX wohnen. Die Miete würde etwa 450 ? monatlich betragen. Bedingt durch seine Arbeitszeiten sei er kein Mitglied bei etwaiigen Vereinen oder Institutionen. Er habe österreichische Freunde, jedoch leider noch keine Freundin.

Zukünftig wolle der Beschwerdeführer weiter als Bäcker arbeiten und später die Meisterprüfung machen. Vielleicht könne er sich auch selbstständig machen.

Verlesen wurde der aktuelle Strafregisterauszug des Beschwerdeführers, in dem keine Verurteilung aufscheint.

Die Rechtsvertretung gab folgende Stellungnahme ab: "Der Beschwerdeführer konnte noch bei der letzten Verhandlung das Gericht davon überzeugen, dass es ihm gelungen ist, sich in Österreich gut zu integrieren. Seitdem hat der Beschwerdeführer seine Deutschkenntnisse weiterhin verbessert, die A2 Integrationsprüfung abgeschlossen und sogar eine Teillehreabschlussprüfung positiv absolviert. Er ist selbsterhaltungsfähig und hat konkrete Zukunftsziele. Aus diesem Grund und einer Gesamtbetrachtung besteht aus Sicht des Beschwerdeführers tatsächlich eine außergewöhnliche Integration, die zur Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung plus führen sollte."

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat wie folgt festgestellt und erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers und zum Leben in Österreich:

Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger von Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Hazara an, ist Moslem und Schiit. Sein genaues Geburtsdatum weiß er nicht. Er wurde in Afghanistan in der Provinz Ghazni, geboren. Er ist 2007 mit seiner Familie nach Pakistan nach XXXX , übersiedelt. Er besuchte sechs Monate die Schule und hat dann, ebenso wie sein Vater, als Gelegenheitsarbeiter bzw. Bäcker gearbeitet. Sein Vater ist 2007 nach Pakistan übersiedelt, weil er als Polizist Probleme mit den Taliban hatte. Der Beschwerdeführer war seit 2007 nicht mehr in Afghanistan. Er selbst hatte weder mit staatlichen Behördenorganen noch mit bewaffneten Organisation wie den Taliban noch mit Privatpersonen in Afghanistan Probleme. Er hat Pakistan wegen der schlechten Sicherheitslage und weil er Zeuge eines Terroranschlages geworden ist, auf Geheiß seines Vaters zu einem unbestimmten Zeitpunkt verlassen. Seinen eigenen Angaben zufolge hat er keinerlei Verwandte oder Freunde in Afghanistan, er hat jedoch Kontakt zu seiner Familie in Pakistan, der es grundsätzlich gut geht.

Der Beschwerdeführer leidet unter keinen (schwerwiegenden) gesundheitlichen Problemen, er wurde allerdings im Jahre 2016 beim Hineingeraten in eine Auseinandersetzung zwischen zwei Afghanen mit einem Messer verletzt und hatte Schmerzen beim Tragen schwerer Lasten. Der Beschwerdeführer hat in Österreich mehrere Deutschkurse bis zum Niveau B1, einschließlich eines Werte- und Orientierungskurses (erfolgreich) besucht. Er hat ein Deutschdiplom A2 erworben. Er absolvierte aber seit Oktober 2016 bei der Firma XXXX eine Bäckerlehre, wobei sein Lehrherr und seine Kollegen mit ihm sehr zufrieden sind. Er hat eine Teillehrabschlussprüfung abgelegt und arbeitet als Facharbeiter. Er besuchte die Berufsschule und ist vollständig selbsterhaltungsfähig und bezieht keine Grundversorgung oder sonstige Sozialleistungen. Er wohnt gemeinsam mit einem Kollegen in einer Mietwohnung und teilt sich mit diesem die Miete. Der Beschwerdeführer führt kein Familienleben in Österreich und hat auch keine österreichische Freundin, aber zahlreiche österreichische Freunde, mit denen er z.B. Fußball spielt. Der Beschwerdeführer ist unbescholten und konnte sämtliche Fragen zur Integration in gutem Deutsch beantworten.

Auf Grund der Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung plus" war es nicht erforderlich, länderspezifische Feststellungen zu treffen.

Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

- Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden unstrittigen Verwaltungsakt des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl betreffend den Beschwerdeführer

- Erstbefragung durch das XXXX am 13.05.2015, Einvernahme durch das Bundesasylamt, Regionaldirektion Oberösterreich, am 16.08.2017 und Befragung im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlungen 25.09.2018 und 30.04.2020

- Einsicht in das Strafregister.

Der Beschwerdeführer legte einen Lehrvertrag im Lehrberuf Bäcker, mehrere Bestätigungsschreiben seines Arbeitgebers XXXX , eine Beschäftigungsbewilligung des AMS, sowie mehrere Unterstützungsschreiben, Jahreszeugnisse der Berufsschule für Bäcker samt Schulbesuchsbestätigungen, Zeugnis zur Integrationsprüfung A2, Lohn- und Gehaltsabrechnungen vom Dezember 2019 bis Februar 2020, sowie diverse Fotos vor.

2. Beweiswürdigung:

Infolge Rechtskraft der (negativen) Entscheidung zu Asyl und subsidiären Schutz erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit den Fluchtgründen des Beschwerdeführers.

Der Beschwerdeführer hat hinreichend glaubhaft angegeben, über keine Verwandten oder Freunde in Afghanistan zu verfügen, da er zunächst ausgeführt hat, dass er vor einem Jahr noch einen Onkel väterlicherseits und einen Onkel mütterlicherseits in Afghanistan gehabt hat (was er nicht hätte angeben müssen und daher für die Glaubhaftigkeit seiner Aussage spricht), beide seien jedoch in den Iran übersiedelt, sodass davon ausgegangen werden kann, dass der Beschwerdeführer tatsächlich über kein "familiäres Netz" in Afghanistan verfügt.

Der Beschwerdeführer hat eindeutig angegeben keine gesundheitlichen Beschwerden zu haben, andererseits jedoch, dass er wegen eines Vorfalls, bei dem er in Österreich mit einem Messer verletzt wurde, Schmerzen beim Tragen schwerer Lasten hat. Diese Behauptung hat er aber in keiner Weise durch entsprechende ärztliche Befunde untermauert, sodass jedenfalls von grundsätzlicher Gesundheit und insbesondere Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers ausgegangen werden kann. Zuletzt gab der Beschwerdeführer an, vollständig gesund zu sein.

Den Umstand, dass der Beschwerdeführer in Österreich eine Lehre absolviert hat, hat er durch einen Lehrvertrag und weitere Unterstützungsschreiben untermauert. Auch den Schulbesuch der Berufsschule konnte er nachweisen und auch die Absolvierung von Deutschkursen bis zum Niveau B1. Er hat den Integrationskurs auf Level A2 absolviert und eine Lehrabschlussteilprüfung absolviert. Er hat auch seine Selbsterhaltungsfähigkeit durch Gehaltsabrechnungen dokumentiert. Diese Urkunden stimmen auch völlig mit den Aussagen des Beschwerdeführers in den Beschwerdeverhandlungen überein. In dieser konnte sich auch der zur Entscheidung berufene Einzelrichter von den guten Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers überzeugen, insbesondere in der letzten Beschwerdeverhandlung, die gänzlich ohne Dometscher durchgeführt werden konnte.

Die Unbescholtenheit ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.

Auch als Person machte der Beschwerdeführer einen sehr bemühten und engagierten Eindruck.

3. Rechtliche Beurteilung:

A) Zur Zulässigkeit der Beschwerde und zum Entscheidungsumfang:

Die gegenständliche Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz wurden mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.11.2018 im ersten Rechtsgang hinsichtlich der Spruchpunkt I. und II. als unbegründet abgewiesen und hinsichtlich der Spruchpunkte III. und IV. stattgegeben. Gemäß § 9 BFA-VG wurde festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist und dem Beschwerdeführer eine Aufenthaltsberechtigung plus erteilt.

Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 28.02.2019 wurde das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.11.2018 hinsichtlich der Spruchpunkte A.2. und A.3. betreffend die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung und die Erteilung eines Aufenthaltstitels, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Ausgehend von dem aufgehobenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes hat sich das Bundesverwaltungsgericht im zweiten Rechtsgang ausschließlich mit der Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides zu befassen. Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides sind nicht mehr verfahrensgegenständlich.

Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung und Erteilung eines Aufenthaltstitels

Soweit sich die Beschwerde gegen die erlassenen Rückkehrentscheidung, gegen den Ausspruch über die Zulässigkeit der Abschiebungen des Beschwerdeführers und gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 wenden, sind sie hingegen begründet:

§ 55 AsylG 2005 lautet:

"§ 55 (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ?Aufenthaltsberechtigung plus' zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen."

§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."

Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist, dass dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG im Sinne des Artikel 8 EMRK geboten ist.

Gemäß Artikel 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Artikel 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig und in diesem Sinne auch verhältnismäßig ist.

Bei der Beurteilung der Rechtskonformität von behördlichen Eingriffen ist nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und Verfassungsgerichtshofs auf die besonderen Umstände des Einzelfalls einzugehen. Die Verhältnismäßigkeit einer solchen Maßnahme ist (nur) dann gegeben, wenn ein gerechter Ausgleich zwischen den Interessen des Betroffenen auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens im Inland einerseits und dem staatlichen Interesse an der Wahrung der öffentlichen Ordnung andererseits gefunden wird. Der Ermessensspielraum der zuständigen Behörde und die damit verbundene Verpflichtung, allenfalls von einer Aufenthaltsbeendigung Abstand zu nehmen, variiert nach den Umständen des Einzelfalls. Dabei sind Beginn, Dauer und Rechtsmäßigkeit des Aufenthalts, wobei bezüglich der Dauer vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte keine fixen zeitlichen Vorgaben gemacht werden, zu berücksichtigen. Bei der Interessenabwägung sind insbesondere die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der tatsächlichen beruflichen Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit bzw. bei strafrechtlichen Verurteilungen auch die Schwere der Delikte und die Perspektive einer Besserung/Resozialisierung des Betroffenen bzw. die durch die Aufenthaltsbeendigung erzielbare Abwehr neuerlicher Tatbegehungen, Verstöße gegen das Einwanderungsrecht, Erfordernisse der öffentlichen Ordnung sowie die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, zu berücksichtigen (vgl. VfGH 29.09.2007, B 1150/07; 12.06.2007, B 2126/06; VwGH 26.06.2007, 2007/01/479; 26.01.2006, 2002/20/0423; 17.12.2007, 2006/01/0216; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention2, 194; Frank/Anerinhof/Filzwieser, Asylgesetz 2005, S. 282ff).

Zur Frage des tatsächlichen Bestehens eines Familienlebens:

Das Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne des Artikels 8 EMRK schützt hingegen das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundenen Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben, das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt.

Der Beschwerdeführer ist ohne seine Familie in Österreich aufhältig. Er lebt alleine in einer Ein-Zimmer Wohnung und kommt auch allein für die Miete durch Arbeit auf. Eine Rückkehrentscheidung greift daher nicht in ein in Österreich bestehendes Familienleben des Beschwerdeführers gemäß Art. 8 EMRK ein.

Zur Frage der Schutzwürdigkeit des Privatlebens und zur Frage des Grads der Integration sowie zur Abwägung der beteiligten Interessen:

Unter "Privatleben" im Sinne von Art. 8 EMRK sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen.

Der Beschwerdeführer lebt seit 12. Mai 2015 - sohin seit mehr als fünf Jahren - durchgehend im österreichischen Bundesgebiet und hat sich in diesem Zeitraum von Beginn an um eine umfassende Integration bemüht. In dieser Zeit entwickelte der Beschwerdeführer in Österreich ein schützenswertes Privatleben, wovon sich das erkennende Gericht auf Basis der vorgelegten Integrationsunterlagen und im Rahmen der durchgeführten mündlichen Verhandlungen zu überzeugen vermochte.

Wie sich aus den Feststellungen und der korrespondierenden Beweiswürdigung ergibt, hat der Beschwerdeführer seine Zeit in Österreich äußerst erfolgreich genutzt, um sich in vielerlei Hinsicht über das übliche Maß hinausgehend in die österreichische Gesellschaft zu integrieren. Im Fall des Beschwerdeführers liegt eine besonders nachhaltige Integration im Bundesgebiet vor, wobei sich zwischen den beiden Verhandlungen am 25.09.2018 und am 30.04.2020 eine Vertiefung dieser Integration feststellen ließ. Der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks - durch Einvernahme des Fremden im Zuge der vom BVwG durchgeführten mündlichen Verhandlung - bei der Bewertung der integrationsbegründenden Umstände im Rahmen der Interessenabwägung sowie bei der vom VwG vorgenommenen Zukunftsprognose kommt eine besondere Bedeutung zu (VwGH 16.10.2014, Ra 2014/21/0039).

Der Beschwerdeführer hat seit seiner Einreise in Österreich engagiert und zielstrebig gezeigt, dass er konsequent an seiner - sozialen und wirtschaftlichen - Integration in Österreich arbeitet. Er verfolgte kontinuierlich den Erwerb der deutschen Sprache und verfügt mittlerweile über weit fortgeschrittene Deutschkenntnisse, wovon sich der erkennende Richter im Rahmen der mündlichen Verhandlung im April 2020 überzeugen konnte.

Der Beschwerdeführer hat sich in Österreich um eine Berufsausbildung - Bäcker bemüht und er geht einer regelmäßigen Vollzeitbeschäftigung nach und ist selbsterhaltungsfähig. Der Beschwerdeführer übt seine berufliche Tätigkeit zur vollsten Zufriedenheit seines Arbeitgebers im Ausbildungsbetrieb aus. Der Beschwerdeführer bezieht ein regelmäßiges Einkommen aus seiner erlaubten beruflichen Tätigkeit, das weit über der Geringfügigkeitsgrenze liegt und befindet sich nicht mehr in der Grundversorgung. Er lebt in einer Garconniere, deren Kosten er trägt.

Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über soziale Kontakte, auch zu österreichischen StaatsbürgerInnen und wird von seinen Mitmenschen sehr geschätzt. Das Empfehlungsschreiben des Arbeitgebers deckt sich auch mit dem persönlichen Eindruck, welchen der erkennende Richter im Rahmen der mündlichen Verhandlungen gewonnen hat.

Dem Umstand, dass der Aufenthaltsstatus des Beschwerdeführers stets ein unsicherer war, kommt zwar Bedeutung zu, er hat aber nicht zur Konsequenz, dass der während des unsicheren Aufenthaltes erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen ist (vgl. VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005 mwN, jüngst VwGH von 06.04.2020, Ra 2020/20/0055). Vielmehr ist dem Beschwerdeführer zu Gute zu halten, dass er sich trotz seines unsicheren Aufenthaltsstaus von Beginn an um eine soziale und wirtschaftliche Integration bemüht hat.

In die Interessenabwägung ist weiteres die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat mit einzubeziehen, wobei die bisherige Rechtsprechung grundsätzlich keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt. Zwar hat der Verwaltungsgerichtshof zum Ausdruck gebracht, dass einem inländischen Aufenthalt von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet in Anbetracht des unsicheren Aufenthaltsstatus noch keine maßgebliche Bedeutung hinsichtlich der durchzuführenden Interessenabwägung zukommt (vgl. dazu VwGH 30.07.2015, Zl. 2014/22/0055; VwGH 23.06.2015, Zl. 2015/22/0026; z.B. jüngst VwGH von 23.10.2019, Ra 2019/19/0413). Da es sich bei der Aufenthaltsdauer um einen von mehreren im Zuge der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Umständen handelt, ist die Annahme eines "Automatismus", wonach ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels bei Vorliegen einer Aufenthaltsdauer von nur drei Jahren jedenfalls abzuweisen wäre, jedoch verfehlt (vgl. VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055, VwGH 28.01.2016, Ra 2015/21/0191-6). Vor dem Hintergrund des bereits fünfjährigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet (seit 12.05.2015) kann somit nicht per se gesagt werden, dass eine in diesem Zeitraum in diesem Ausmaß erlangte Integration, wie sie im Fall der Beschwerdeführer zweifelsohne vorliegt, keine außergewöhnliche, ist die die Erteilung eines Aufenthaltstitels rechtfertigende Konstellation begründen kann.

Im gegenständlichen Fall ist evident, dass der Beschwerdeführer die in Österreich verbrachte Zeit genützt hat, um sich sozial und beruflich zu etablieren. Er hat sich - wie bereits ausgeführt - seit seiner Einreise sehr erfolgreich bemüht, sich umfassend in die österreichische Gesellschaft zu integrieren. Der Beschwerdeführer hat einen entsprechend hohen Grad der Integration in sprachlicher, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht erreicht, der sich nicht zuletzt im nachhaltigen Erwerb von Deutschkenntnissen, im gelungenen Miteinander in seinem sozialen Umfeld, im erfolgreichen Ausüben einer Berufstätigkeit und in der dadurch erlangten Selbsterhaltungsfähigkeit in Österreich manifestiert.

Festzuhalten ist auch, dass der Beschwerdeführer über die gesamte Zeit hindurch in Österreich unbescholten geblieben ist, wobei die strafgerichtliche Unbescholtenheit allein die persönlichen Interessen eines Fremden am Verbleib in Österreich gemäß der verwaltungsgerichtlichen Judikatur nicht entscheidend zu verstärken vermag (vgl. VwGH 25.02.2010, 2010/0018/0029).

Der Beschwerdeführer wurde in Afghanistan geboren, verbrachte acht Jahre in seinem Geburtsort und floh mit seiner Familie nach Pakistan wo er ist im Familienkreis aufwuchs. Er verfügt über keine Familienangehörige mehr in Afghastian. Ein Onkel lebt in Schweden. (vgl. VwGH 23.06.2015, Ra 2015/22/0026: dort grundsätzlich zur Möglichkeit der Wiedereingliederung in die Gesellschaft des Herkunftsstaates bei grundlegender Sozialisation ebendort). Die mit der fortgeschrittenen Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers im Bundesgebiet korrelierende abnehmende Bindung zu seinem Herkunftsstaat begründet vor dem Hintergrund der nachhaltigen sozialen und wirtschaftlichen Integration des Beschwerdeführers in Österreich ein überwiegendes Interesse des Beschwerdeführers am Verbleib in Österreich. Es ist im vorliegenden Fall miteinzubeziehen, dass sich der Beschwerdeführer in einer sehr prägenden Phase des menschlichen Lebens, dem Zeitraum der Abnabelung vom Elternhaus, der Phase der Emanzipation von den eigenen Eltern, hier vor allem von der in Pakistan verbliebenen Familie, von diesen räumlich, und in weiterer Folge auch wirtschaftlich getrennt hat und es ihm gelungen ist, sich "auf eigene Füße zu stellen". Der Beschwerdeführer hat eine grundlegende Berufsausbildung in Österreich erhalten und hat sich in einem entscheidenden Zeitraum in seiner Entwicklung in Österreich aufgehalten und wurde in diesem Zeitraum von der hiesigen Kultur geprägt.

Es ist daher insgesamt von einer stärkeren Bindung des Beschwerdeführers zu Österreich als zu seinem Herkunftsstaat auszugehen.

Es wird nicht verkannt, dass den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. VwGH 16.01.2001, Zl. 2000/18/0251, u.v.a.), der nur in Ausnahmefällen durch das persönliche Interesse des Einzelnen am Verbleib in Österreich überwogen werden kann. Berücksichtigt man jedoch all oben angeführten Aspekte (vgl. Filzweiser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, Stand: 15.01.2016, § 9 BFA-VG, K16; vgl. auch Gachowetz/Schmidt/Simma/Urban, Asyl- und Fremdenrecht im Rahmen der Zuständigkeit des BFA, Verlag Österreich (2017) S. 294), so neben der Aufenthaltsdauer von mehr als 5 Jahren, die sehr guten Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers, die erfolgreiche Durchführung bzw. Absolvierung der Ausbildung zur vollsten Zufriedenheit des Lehr- und Arbeitsherrn und seine wirtschaftliche Selbsterhaltungsfähigkeit sowie die soziale Integration in seinem Lebensumfeld, so ist in den gegenständlichen Fällen aus den eben dargelegten Gründen in einer Gesamtschau und Abwägung aller Umstände das persönliche und private Interesse des Beschwerdeführers an der - nicht bloß vorübergehenden - Fortführung seines Privatlebens in Österreich dennoch höher zu bewerten, als das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung zugunsten eines geordneten Fremdenwesens, wobei sich die Privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Verbleib in Österreich seit dem aufgehobenen Erkenntnis noch erheblich verstärkt haben.

Vor diesem Hintergrund war nach erfolgter Interessenabwägung gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG festzustellen, dass im vorliegenden Fall eine Rückkehrentscheidung betreffend den Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Entscheidung durch das erkennende Gericht auf Dauer unzulässig ist.

Da die dargelegten, maßgeblichen Umstände in ihrem Wesen nicht bloß vorübergehend sind, war die Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan auf Dauer für unzulässig zu erklären.

Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird.

Infolge des Ausspruchs der dauerhaften Unzulässigkeit der die Beschwerdeführer betreffenden Rückkehrentscheidungen war daher die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 zu prüfen.

Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist gemäß Abs. 2 leg. cit. eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen.

Der Beschwerdeführer übt im Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit aus, mit einem Einkommen, dass weit über der monatlichen Geringfügigkeitsgrenze gemäß § 5 Abs. 2 ASVG liegt. Die Voraussetzung des § 55 Abs. 1 Z 2 zweiter Fall AsylG 2005 ist somit ebenfalls erfüllt.

Es war dem Beschwerdeführer somit gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 jeweils der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen.

Der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" berechtigt gemäß § 54 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 17 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG), BGBl. Nr. 218/1975. Gemäß § 54 Abs. 2 AsylG 2005 sind Aufenthaltstitel gemäß Abs. 1 leg.cit. für die Dauer von zwölf Monaten beginnend mit dem Ausstellungsdatum auszustellen.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat dem Beschwerdeführer die Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" auszufolgen (§ 58 Abs. 7 AsylG 2005).

Ersatzlose Behebung der Spruchpunkte II. und IV. der angefochtenen Bescheide:

Im gegenständlichen Fall ist die Rückkehrentscheidung betreffend den Beschwerdeführer auf Dauer unzulässig. Da die gesetzlichen Voraussetzungen für die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise somit nicht mehr vorliegen, waren Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheids ersatzlos zu beheben (vgl. dazu auch VfGH vom 13.09.2013, U 370/2012; VwGH 04.08.2016, Ra 2016/21/0162).

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe die oben zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, aber auch des Verfassungsgerichtshofes, des EuGH und des EGMR); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln war und die einzelfallbezogene Beurteilung der Zulässigkeit eines Eingriffs in die Rechte nach Art. 8 EMRK keine grundsätzliche Rechtsfrage darstellt.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung plus Deutschkenntnisse Integration Interessenabwägung Privatleben Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig Selbsterhaltungsfähigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W159.2172305.1.00

Im RIS seit

07.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

07.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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