TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/5 W207 2228590-1

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Veröffentlicht am 05.06.2020
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Entscheidungsdatum

05.06.2020

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W207 2228590-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Michael SCHWARZGRUBER als Vorsitzender und die Richterin Mag. Natascha GRUBER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den gemäß § 45 Abs. 2 BBG in Form der Ausstellung eines Behindertenpasses ergangenen Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, OB: XXXX , vom 14.01.2020, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 40 Abs. 1, § 41 Abs. 1, § 42 Abs. 1, § 45 Abs. 1 und 2 Bundesbehindertengesetz (BBG) als unbegründet abgewiesen.

Der Grad der Behinderung beträgt 60 von Hundert (v.H.).

Die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses liegen vor.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin stellte am 12.11.2019 beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien (im Folgenden auch als belangte Behörde bezeichnet), einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses. Diesem Antrag legte sie ein Konvolut an medizinischen Unterlagen, einen AMS Bescheid betreffend den Bezug von Notstandhilfe vom 30.10.2019 und einen ZMR-Auszug bei.

Die belangte Behörde holte in der Folge auf Grundlage der von der Beschwerdeführerin vorgelegten medizinischen Unterlagen ein Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Psychiatrie auf Grundlage der Bestimmungen der Anlage der Einschätzungsverordnung vom 03.12.2019 ein. In diesem Aktengutachten wird - hier in den wesentlichen Teilen und in anonymisierter Form wiedergegeben - Folgendes ausgeführt:

"...

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

KH XXX Nephrologie 03.11-13-11-2018:

Diagnosen bei Entlassung:

Ketoazidose bei bekanntem Diabetes mellitus

- am ehesten pankreopriver Genese; ED 2016)

- HbA1c 10,1%

V.a. nutritiv-toxische exokrine und endokrine Pankreasinsuffizienz

größenregrediente Pankreaskopf-Pseudozyste nach nekrotisierender Pankreatitis

Knoten im re. SD-Lappen (Feinnadelpunktion geplant)

Emphysemzeichen mit V.a. COPD

St.p. Cholezystektomie mit postoperativen Gallenleak 2014

St.p. Kürettage bei

St.p. Magen-Bypass 2009

St.p. Bauchdeckenstraffung 2010

Psychiatrie XXX 09.05.2019:

F43.0 Akute Belstungsreaktion

Dr. F. Neurologin 27.06.2019:

Diagnose:

DM, insulinpfl nach Pankreatitis, Dyssomnie, Dorsalgie, FE- Mangelanämie,

Anpassungsstörung, längere depressive Reaktion, Undiff. Somatisierungsstörung,

Nikotinabusus, Rezidivierende depressive Störung, St. p. Magenbypass-OP 09/09

akute Belastungsstörung, nimmt dreimal täglich für ca. ein Monat

Bewusstseinsklar, orientiert, kooperativ, Auffassung und Gedächtnis altersentsprechend, Affekte angepasst, Stimmung ausgeglichen, Antrieb intakt, keine produktive Symptomatik, keine suicidale Einengung.

Gastroskopie 24.04.2017:

Beurteilung: Zn Mageebypass-OP, Pouchitis, Klammerrest im Bereich der

gastrojejunalen Anastomose, Cardiainsuffizienz, Ösophagusmetaplasie

Empfehlung: Abwarten der Histologie

II. Geringe Entzündung im kardioösophagealen Übergangsbereich mit Refluxzeichen am Plattenepithel. Keine Malignität.

Behandlung/en / Medikamente / Hilfsmittel:

Sertralin Krka Ftbl 100mg 30ST 1,5-0-0 Ulcusan Ftbl 40mg 30ST 0-0-1-0 Novorapid Toujeo 300IE

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos. Nr.

GdB %

1

Insulinpflichtiger Diabetes mellitus bei instabiler Stoffwechsellage Unterer Rahmensatz berücksichtigt eine Ketoazidose mit Intensivaufenthalt 11/2018 mit einem HbA1c von 10,1%, aktueller Wert nicht vorhanden.

09.02.04

50

2

Rezidivierende depressive Störung Oberer Rahmensatz berücksichtigt eine psychiatrische Betreuung, antidepressive Medikation und Instabilität unter Belastung.

03.06.01

40

3

Zustand nach Magenbypass Unterer Rahmensatz berücksichtigt einen Magen-Bypass 2009

07.04.02

10

Gesamtgrad der Behinderung 60 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Leiden 1 wird durch Leiden 2 um 1 Stufe erhöht da eine maßgebliche wechselseitige Leidensbeeinflussung besteht. Leiden 3 erhöht nicht.

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:

Erstantrag

Begründung für die Änderung des Gesamtgrades der Behinderung:

Erstantrag

[X] Nachuntersuchung 11/2022 - Stabilisierung und Verbesserung Leiden 1 und 2 möglich

Frau R. kann trotz ihrer Funktionsbeeinträchtigung mit Wahrscheinlichkeit auf einem geschützten Arbeitsplatz oder in einem Integrativen Betrieb (allenfalls unter Zuhilfenahme von Unterstützungsstrukturen) einer Erwerbstätigkeit nachgehen:

[X]JA

1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?

nein

2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?

nein

Folgende Gesundheitsschädigungen im Sinne von Mehraufwendungen wegen Kranken-diätverpflegung liegen vor, wegen:

[X] JA Tuberkulose, Zuckerkrankheit, Zöliakie, Aids, Phenylketonurie oder eine vergleichbare schwere Stoffwechselerkrankung nach Pos. 09.03.

GdB: 50 v.H.

[X] JA Erkrankung des Verdauungssystems

GdB: 10 v.H.

Begründung:

Diabetes mellitus, Zustand nach Magenbypass

..."

Am 23.12.2019 wurden der belangten Behörde von der Beschwerdeführerin Passfotos übermittelt.

Mit Schreiben der belangten Behörde vom 13.01.2020 wurde der Beschwerdeführerin aufgrund ihres Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses vom 12.11.2019 mitgeteilt, dass laut Ergebnis des medizinischen Ermittlungsverfahrens ein Grad der Behinderung von 60 v.H. festgestellt worden sei. Die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Gesundheitsschädigung gem. § 2 Abs. 1 erster Teilstrich VO 303/1996 liegt vor" würden vorliegen. Der Behindertenpass im Scheckkartenformat werde in den nächsten Tagen übermittelt werden. Der Behindertenpass werde mit 28.02.2023 befrist, weil nach diesem Zeitpunkt eine Überprüfung des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin erforderlich sei. Das Aktengutachten vom 03.12.2019 wurde der Beschwerdeführerin gemeinsam mit diesem Schreiben übermittelt.

Mit Begleitschreiben vom 14.01.2020 wurde der Beschwerdeführerin der Behindertenpass mit einem eingetragenen Grad der Behinderung von 60 v.H. übermittelt. Diesem Behindertenpass kommt gemäß der Bestimmung des § 45 Abs. 2 BBG Bescheidcharakter zu.

Gegen diesen in Form eines Behindertenpasses ergangenen Bescheid vom 14.01.2020 erhob die Beschwerdeführerin mit E-Mail vom 04.02.2020 fristgerecht eine Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Ohne Vorlage neuer Befunde führt sie darin aus, dass sie Beschwerde erheben wolle, da bei ihr neue Diagnosen vorliegen würden und sie neue Befunde nachreichen wolle.

Die belangte Behörde legte die Beschwerde mit dem Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht am 14.02.2020 zur Entscheidung vor. Das Verfahren wurde der hg. Gerichtsabteilung W264 zugewiesen.

Am 20.03.2020 und am 24.03.2020 wurden dem Bundesverwaltungsgericht von der belangten Behörde neue Befunde der Beschwerdeführerin vorgelegt, welche sie dort - nach erfolgter Vorlage des Verwaltungsaktes durch die belangte Behörde an das Bundesverwaltungsgericht - nachgereicht hatte.

Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.04.2020 wurde das gegenständliche Beschwerdeverfahren mit Wirksamkeit vom 21.04.2020 der Gerichtsabteilung W264 (wegen einer beruflichen Veränderung) abgenommen und der Gerichtsabteilung W207 neu zugewiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin brachte am 12.11.2019 den gegenständlichen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses beim Sozialministeriumservice ein.

Die Beschwerdeführerin hat ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.

Die Beschwerdeführerin leidet unter folgenden objektivierten Funktionseinschränkungen:

1. Insulinpflichtiger Diabetes mellitus bei instabiler Stoffwechsellage, berücksichtigt eine Ketoazidose mit Intensivaufenthalt im November 2018 mit einem HbA1c von 10,1%;

2. Rezidivierende depressive Störung, berücksichtigt eine psychiatrische Betreuung, antidepressive Medikation und Instabilität unter Belastung;

3. Zustand nach Magenbypass, berücksichtigt einen Magen-Bypass 2009.

Der Gesamtgrad der Behinderung der Beschwerdeführerin beträgt 60 v. H.

Hinsichtlich der bei der Beschwerdeführerin bestehenden einzelnen Funktionseinschränkungen und deren Ausmaß sowie der Frage der wechselseitigen Leidensbeeinflussung werden die diesbezüglichen Beurteilungen im oben wiedergegebenen medizinischen Sachverständigengutachten vom 03.12.2019 der nunmehrigen Entscheidung zu Grunde gelegt.

2. Beweiswürdigung:

Das Datum der Einbringung des gegenständlichen Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses basiert auf dem Akteninhalt.

Die Feststellung zum Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt der Beschwerdeführerin im österreichischen Bundesgebiet ergibt sich aus einer vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Behördenanfrage aus dem Zentralen Melderegister und ist im Übrigen unbestritten.

Die festgestellten Funktionseinschränkungen und der Gesamtgrad der Behinderung gründen sich auf das durch die belangte Behörde eingeholte Aktengutachten einer Fachärztin für Psychiatrie vom 03.12.2019 unter Beachtung der von der Beschwerdeführerin im Rahmen der Antragstellung vorgelegten medizinischen Unterlagen. Darin wird auf die Art der Leiden der Beschwerdeführerin und deren Ausmaß schlüssig und widerspruchsfrei eingegangen. Das von der belangten Behörde eingeholte medizinische Sachverständigengutachten schlüsselt konkret und umfassend auf, welche Funktionseinschränkungen bei der Beschwerdeführerin vorliegen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden.

Mit dem Beschwerdevorbringen wird keine Rechtswidrigkeit der von der medizinischen Sachverständigen vorgenommenen einzelnen Einstufungen der festgestellten Leiden konkret behauptet und ist eine solche auch von Amts wegen nicht ersichtlich. Die Beschwerdeführerin bringt in ihrer Beschwerde vielmehr zum Ausdruck, dass sie eine "neue Diagnose" - die in der Beschwerde allerdings nicht näher bekannt gegeben bzw. nicht näher erläutert wird - habe und dass sie Befunde nachreichen wolle; der Beschwerde selbst sind keine medizinischen Unterlagen beigelegt.

Was nun die am 20.03.2020 und am 24.03.2020 von der Beschwerdeführerin - unter Hinweis auf eine laufende Verschlechterung des Gesundheitszustandes - im Wege der belangten Behörde nachgereichten, mit einer Ausnahme nach dem Zeitpunkt der Vorlage der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht datierten medizinischen Unterlagen betrifft, so unterliegen diese der Neuerungsbeschränkung des § 46 BBG, wonach im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden dürfen, und sind diese nachgereichten Unterlagen daher im gegenständlichen Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht zu berücksichtigen.

Aber selbst bei hypothetischer Berücksichtigung dieser medizinischen Unterlagen vermögen diese - dies sei lediglich der Vollständigkeit halber erwähnt - nicht zu einem von den Ergebnissen der beigezogenen medizinischen Sachverständigen abweichenden Beurteilung zu führen, da den nachgereichten Befunden keine neuen Erkenntnisse, die den bisherigen Beurteilungen der beigezogenen medizinischen Sachverständigen entgegenstehen könnten, entnommen werden können.

Im Befund eines näher genannten Krankenhauses vom 05.12.2019 wird aufgrund einer Erstanalyse lediglich der Verdacht auf das Vorliegen einer Fingerpolyarthrose bzw. einer Osteoarthrose geäußert. Befunde, welche diesen Verdacht bestätigt hätten, wurden von der Beschwerdeführerin nicht vorgelegt. Auch den nachgereichten und wenig aussagekräftigen ophthalmologischen Befunden vom 28.02.2020 und vom 05.03.2020 sind keine einschätzungsrelevanten Leiden zu entnehmen. Aus dem vorgelegten Patientenbrief eines näher genannten Krankenhauses vom 21.02.2020 und dem damit verbundenen Entlassungsbrief vom 21.02.2020 ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin am 16.02.2020 mit Schwindel, Bauchschmerzen und Polyurie mit der Rettung eingeliefert wurde, nachdem sie die Tage zuvor die Insulintherapie selbst reduziert hatte. Im Aufnahmelabor zeigte sich unter anderem ein HbA1c von 11%. Daraufhin wurde eine Therapie mit Insulin als Bypass, sowie Flüssigkeitssubstitution etabliert, welche am 18.02.2020 mit fehlenden Ketonen im Blut sowie mit normalen Blutgasanalysebefund abgesetzt werden konnte. Die bereits vorbestehende Bolus-Basis Therapie mit Toujeo und Novorapid wurde wieder aufgenommen. Die danach erhobenen Blutzuckerprofile zeigten akzeptable Werte und in die Beschwerdeführerin konnte am 21.02.2020 in einem gebesserten Allgemeinzustand entlassen werden. Eine dauerhafte, bisher nicht eingeschätzte Funktionseinschränkung maßgeblicher Intensität bzw. eine dauerhafte Verschlechterung eines bereits eingeschätzten Leidens kann diesem Patientenbrief vom 21.02.2020 nicht entnommen werden. Auch dem nachgereichten Kurzbefund des psychosozialen Dienstes vom 11.03.2020 sind keine Leiden, welche noch nicht unter dem Leidenszustand 2 "Rezidivierende depressive Störung" eingeschätzt worden wären, zu entnehmen. Diese Befunde sind daher selbst unter hypothetischer Berücksichtigung nicht geeignet, die bisherigen Beweisergebnisse zu entkräften, da sie diesen nicht entgegenstehen.

Der Beschwerde selbst wurden, wie bereits erwähnt, keine weiteren medizinischen Unterlagen beigelegt bzw. nachgereicht, die die vorgenommenen Einstufungen widerlegen oder diesen entgegenstehen würden. Die Beschwerdeführerin ist daher dem von der belangten Behörde eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten in der Beschwerde nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, steht es dem Antragsteller, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, die im Auftrag der Behörde erstellten Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27.06.2000, Zl. 2000/11/0093).

Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit des vorliegenden Aktengutachtens einer Fachärztin für Psychiatrie vom 03.12.2019. Dieses wird daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

1. Zur Entscheidung in der Sache

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten:

"§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

...

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.

§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3) oder ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.

...

§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

...

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

...

§ 46. Die Beschwerdefrist beträgt abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beträgt zwölf Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.

..."

Die Beschwerde richtet sich gegen den in Form der Ausstellung eines Behindertenpasses ergangenen Bescheid der belangten Behörde, konkret erachte die Beschwerdeführerin eine höhere Einstufung als 60 v.H. für gerechtfertigt. Dies ist aber nicht der Fall. Wie oben unter Punkt II.2. im Rahmen der beweiswürdigenden Ausführungen, auf die verwiesen wird, ausgeführt wurde, wird der gegenständlichen Entscheidung das seitens der belangten Behörde eingeholte medizinische Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Psychiatrie vom 03.12.2019 zu Grunde gelegt, wonach der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin aktuell 60 v.H. beträgt. Die getroffenen Einschätzungen auf Grundlage der Anlage der Einschätzungsverordnung, basierend auf den im Rahmen der Antragstellung vorgelegten medizinischen Unterlagen, entsprechen den festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen.

Die Beschwerdeführerin ist den Ausführungen der beigezogenen medizinischen Sachverständigen, denen das Bundesverwaltungsgericht folgt, nicht substantiiert entgegengetreten, sie hat im Rahmen der Beschwerde kein Sachverständigengutachten bzw. keine sachverständige Aussage vorgelegt, in welcher die Auffassung vertreten worden wäre, dass die Annahmen und Schlussfolgerungen der beigezogenen medizinischen Sachverständigen unzutreffend oder unschlüssig seien und sie hat auch sonst im Rahmen des Verfahrens keinerlei Unterlagen vorgelegt, die ein zusätzliches Dauerleiden belegen würden oder aber Hinweise auf eine wesentliche Änderung gegenüber den bereits im Verfahren vor der belangten Behörde berücksichtigten Leidenszuständen ergeben würden.

Die der Beschwerde nachgereichten Befunde unterliegen, wie bereits oben ausgeführt, der Neuerungsbeschränkung des § 46 BBG, wonach in Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden dürfen, und sind diese daher im gegenständlichen Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht zu berücksichtigen. Aber selbst bei hypothetischer Berücksichtigung vermögen diese nicht zu einem anderen Ermittlungsergebnis zu führen; diesbezüglich wird auf obigen, bereits im Rahmen der Beweiswürdigung getätigten Ausführungen verwiesen.

Mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 60 v.H. sind die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs. 1 BBG, wonach behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbstätigkeit von mindestens 50 v.H. ein Behindertenpass auszustellen ist, erfüllt.

Die Beschwerde war daher spruchgemäß als unbegründet abzuweisen.

2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Die Frage der Feststellung des Gesamtgrades der Behinderung wurde unter Mitwirkung einer ärztlichen Sachverständigen geprüft. Die strittigen Tatsachenfragen (Art und Ausmaß der Funktionseinschränkungen) gehören dem Bereich zu, der von Sachverständigen zu beleuchten ist. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist vor dem Hintergrund des vorliegenden, nicht substantiiert bestrittenen schlüssigen Sachverständigengutachtens geklärt, sodass im Sinne der Judikatur des EGMR und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 16.12.2013, 2011/11/0180) eine mündliche Verhandlung nicht geboten war. Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG nicht entgegen. Im vorliegenden Fall wurde darüber hinaus seitens beider Parteien eine mündliche Verhandlung nicht beantragt (vgl. VwGH 16.12.2013, 2011/11/0180 mit weiterem Verweis auf die Entscheidung des EGMR vom 21.03.2002, Nr. 32.636/96). All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Behindertenpass Grad der Behinderung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W207.2228590.1.00

Im RIS seit

07.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

07.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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