TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/28 W154 2200345-1

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Veröffentlicht am 28.04.2020
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Entscheidungsdatum

28.04.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs1
B-VG Art133 Abs4
FPG §76 Abs2
VwGVG §35

Spruch

W154 2200345-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. KRACHER als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX geb. XXXX , StA. Nigeria, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.6.2018, Zahl: 1195284306/180561805/BMI-BFA WIEN AST, und die Anhaltung in Schubhaft vom 16.6.2018 bis 6.7.2018 zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 FPG stattgegeben und der angefochtene Mandatsbescheid aufgehoben.

Gleichzeitig wird die Anhaltung der Beschwerdeführerin in Schubhaft für rechtswidrig erklärt.

II. Der Bund, vertreten durch den Bundesminister für Inneres, hat gemäß § 35 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 3 VwGVG in Verbindung mit § 1 Z 3 und 4 VwG-Aufwandersatzverordnung der beschwerdeführenden Partei, zu Handen ihres ausgewiesenen Vertreters, Aufwendungen in Höhe ? 737,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Der Antrag der belangten Behörde auf Kostenersatz wird abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin, eine nigerianische Staatsangehörige, reiste im Jänner des Jahres 2018 in das Bundesgebiet ein.

2. In Folge einer Anzeige wurde die Beschwerdeführerin am 15.6.2018 durch Beamte der LPD Wien zur Einvernahme in die zuständige Polizeiinspektion gebracht. Dabei legitimierte sie sich mit einem gültigen Reisepass der Republik Nigeria, ausgestellt im April 2018 in Wien, sowie einem bis August 2019 gültigen italienischen Aufenthaltstitel und wurde ihr nicht rechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet festgestellt, die Beschwerdeführerin in weiterer Folge festgenommen und in das Polizeianhaltezentrum eingeliefert.

3. Am 16.6.2018 wurde die Beschwerdeführerin niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) einvernommen. Dabei brachte sie im Wesentlichen vor, ohne gültigen Reisepass Ende Jänner 2018 mit dem Zug aus Bologna Italien kommend in das Bundesgebiet eingereist zu sein und bei einem Freund in Steyr Unterkunft bezogen zu haben, wo sich auch ihre Effekten befänden. Sie habe sich deshalb nicht behördlich gemeldet, weil ihr Freund dies versprochen, jedoch verabsäumt habe.

Vor ihrer Einreise habe sie in Bologna, Italien gelebt und keine Familienangehörigen oder Verwandten in Österreich. Mutter und Geschwister (vier Brüder und zwei Schwestern lebten in Benin City. Gearbeitet habe sie im Bundesgebiet nicht, auch nicht als Prostituierte. Ihr Freund hätte alles bezahlt und nur wegen ihm sei sie nach Österreich gekommen. Über Geld verfüge sie nicht.

4. Mit dem gegenständlichen, im Spruch genannten, Mandatsbescheid des Bundesamtes wurde über die Beschwerdeführerin gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung und der Sicherung der Abschiebung angeordnet.

Dies begründete die belangte Behörde im Wesentlichen damit, dass die Beschwerdeführerin illegal ohne Reisepass nach Österreich eingereist sei und sich daher rechtswidrig und zudem ohne behördliche Meldung im Bundesgebiet aufgehalten habe. Sie verfüge über keinen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet und könne somit auch keiner legalen Beschäftigung nachgehen, um sich ihren Aufenthalt aus eigenem finanzieren zu können. Zum Aufenthalt (Permesso di Soggiorno) sei sie lediglich in Italien bis zum August 2019 berechtigt. Weiters verfüge sie hier Bundesgebiet weder über familiäre Bindungen, noch über soziale Kontakte, sei nicht in der Lage gewesen, den genauen Ort ihrer Unterkunft zu nennen und besitze nicht genügend Barmittel.

5. Am 16.6.2018 um 14:30 wurde der gegenständliche Mandatsbescheid von der Beschwerdeführerin persönlich übernommen und diese in Schubhaft genommen.

6. Mit Bescheid vom selben Tag, Zl 1195284306 - 180561970, - zugestellt am 17.6.2018 - erteilte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt I), erließ gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt II.) und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach ,Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt III.). Zugleich erkannte die belangte Behörde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt IV.). Eine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe nicht (Spruchpunkt V.). Ferner wurde gegen die Beschwerdeführerin ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.).

7. Gegen diesen Bescheid, Zl 1195284306 - 180561970, wurde am 19.6.2018 fristgerecht Beschwerde zu den Spruchpunkten II., III., IV., V. und VI. Erhoben. Spruchpunkt I. blieb unbekämpft.

8. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28.6.2018, GZ I417 2198974-1/5E - beim Bundesamt eingelangt am 6.7.2018 - wurde dieser Beschwerde stattgegeben und der angefochtene Bescheid in seinen Spruchpunkten II., III., IV., V., und VI. ersatzlos aufgehoben.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin über einen italienischen Aufenthaltstitel verfüge und sich gemäß § 52 Abs 6 FPG unverzüglich in das italienische Hoheitsgebiet zu begeben und dies den österreichischen Behörden nachzuweisen habe. Bisher sei sie von den österreichischen Behörden nicht aufgefordert worden, dies zu tun. Ebenso wenig habe die belangte Behörde nachvollziehbar und schlüssig dargelegt, dass eine sofortige Ausreise der Beschwerdeführerin aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich sei. Zwar sei die belangte Behörde bei der Begründung der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde davon ausgegangen, dass die sofortige Umsetzung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme im Interesse eines geordneten Fremdenwesens geboten wäre, habe dies aber in Bezug auf den von ihr festgestellten Herkunftsstaat Nigeria getan und nicht auf den Staat, über dessen Aufenthaltstitel die Beschwerdeführerin verfüge, nämlich Italien (VwGH vom 21.12.2017, Zl. Ra 2017/21/0234). Die Rückkehrentscheidung sei daher ersatzlos zu beheben.

9. Am 6.7.2018 wurde die Beschwerdeführerin erneut vor dem Bundesamt niederschriftlich einvernommen und ihr mitgeteilt, dass sie aus der Schubhaft entlassen werde und die Möglichkeit habe, Rückkehrhilfe bezüglich Italien zu erhalten.

10. Am selben Tag wurde sie wegen Wegfalls des Schubhaftgrundes aus der Schubhaft entlassen.

11. Gegen den gegenständlichen Mandatsbescheid des Bundesamtes sowie gegen die Anordnung der Schubhaft und die Anhaltung der Beschwerdeführerin in Schubhaft wurde am 8.7.2018 rechtzeitig Beschwerde erhoben.

Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin Opfer internationalen Frauen- und Menschenhandels und unter falschen Tatsachen zur Auswanderung nach Europa überredet worden sei. Italien habe ihr einen bis August 2019 gültigen Aufenthaltstitel erteilt und es sei ein Akt der Willkür, sie zwecks Abschiebung nach Nigeria festzuhalten.

Die Beschwerdeführerin sei nach Österreich gereist, weil sie hier über Facebook einen Mann kennengelernt habe, der sich jedoch als "Loverboy" herausgestellt hätte.

Beantragt wurde,

1. die Schubhaftnahme und die Anhaltung für rechtswidrig zu erklären,

2. den bekämpften Bescheid zu beheben,

3. gegebenenfalls eine mündliche Verhandlung anzuberaumen,

4. die ordentliche Revision zuzulassen,

5. der belangten Behörde aufzutragen, die Verfahrenskosten zu ersetzen

12. Am 9.7.2018 beantragte die Beschwerdeführerin die freiwillige Rückkehr nach Italien und legte dem Bundesamt ein Zugticket von Wien nach Italien für den gleichen Tag vor.

13. Im Rahmen ihrer Beschwerdevorlage vom 10.7.2018 nahm die belangte Behörde zum Beschwerdevorbringen im Wesentlichen dahingehend Stellung, dass die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Schubhaftverhängung weder aufrecht gemeldet noch an einer Adresse wohnhaft gewesen sei und keinen Nachweis über den Zeitpunkt ihrer Einreise erbracht habe. Man hätte nur feststellen können, dass am 11.4.2018 ein Reisepass bei der nigerianischen Botschaft in Wien ausgestellt worden sei. Weiters müsse der Beschwerde entgegengehalten werden, dass die Beschwerdeführerin der belangten Behörde gegenüber bis zur Schubhaftentlassung keine Angaben darüber gemacht habe, Opfer von Menschenhandel zu sein.

Nach Einlangen der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts über die Behebung der Rückkehrentscheidung und des Einreiseverbotes sei sie sofort aus der Schubhaft entlassen worden.

Beantragt wurde, das Bundesverwaltungsgericht möge

1. die Beschwerde als unbegründet abweisen / unzulässig zurückweisen,

2. die Beschwerdeführerin zum Ersatz des Vorlage- und Schriftsatzaufwandes der belangten Behörde verpflichten.

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige Nigerias, besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft und ist somit Fremde im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 1 FPG.

Sie reiste im Jänner des Jahres 2018 von Bologna kommend zunächst illegal in das Bundesgebiet ein und verfügt über einen gültigen Reisepass der Republik Nigeria, ausgestellt am 11.4.2018 von der nigerianischen Botschaft in Wien.

Die Beschwerdeführerin hatte zum Zeitpunkt der Schubhaftverhängung einen "permesso di soggiorno - motivi umanitari", gültig bis zum 23.8.2019, ausgestellt von der Republik Italien. Diesen wies sie sowohl bei ihrer Einvernahme vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 15.6.2018 als auch bei der Einvernahme vor dem Bundesamt anlässlich der Schubhaftverhängung am 16.6.2018 vor.

Die Beschwerdeführerin verfügt weder über Familienangehörige noch Verwandte im Bundesgebiet, war hier nicht aufrecht gemeldet und nicht legal erwerbstätig. Sie hatte keine ausreichenden Barmittel.

Mit Bescheid vom 16.6.2018, Zl 1195284306 - 180561970, erteilte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt I), erließ gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt II.) und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt III.). Zugleich erkannte die belangte Behörde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt IV.). Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht (Spruchpunkt V.). Ferner wurde gegen die Beschwerdeführerin ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.). In Erledigung der gegen die Spruchpunkte II. bis VI. erhobenen Beschwerde behob das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 28.6.2018, GZ I417 2198974-1/5E, diesen Bescheid in seinen Spruchpunkten II., III., IV., V., und VI. ersatzlos.

Nach Einlangen des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes wurde die Beschwerdeführerin am 6.7.2018 aus der Schubhaft entlassen. Am 9.7.2018 beantragte die Beschwerdeführerin die freiwillige Rückkehr nach Italien und legte dem Bundesamt ein Zugticket von Wien nach Italien für den gleichen Tag vor.

2. Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes, der vorliegenden Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes, der Einsichtnahme in die Anhaltedatei- Vollzugsverwaltung und das Zentrale Fremdenregister.

Weitere Beweise waren wegen Entscheidungsreife nicht mehr aufzunehmen. Von der Durchführung einer Verhandlung konnte daher abgesehen werden.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit

Gemäß Artikel 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) idgF erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden

1. gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit;

2. gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wegen Rechtswidrigkeit;

3. wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch eine Verwaltungsbehörde;

4. gegen Weisungen gemäß Art. 81a Abs. 4.

Gemäß § 9 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

§ 7 Abs. 1 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr 87/2012 idgF, lautet:

(1) Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet über

1. Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes,

2. Beschwerden gegen Bescheide der Vertretungsbehörden gemäß dem 11. Hauptstück des FPG,

3. Beschwerden gegen Maßnahmen unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt gemäß dem 1. Hauptstück des 2. Teiles des BFA-VG und gemäß dem 7. und 8. Hauptstück des FPG,

4. Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesamtes und

5. Beschwerden gegen Bescheide des Bundesministers für Inneres in Verfahren gemäß §§ 3 Abs. 2 Z 1 bis 6 und 4 Abs. 1 Z 1 und 2

Gemäß § 7 Abs. 2 BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der Verwaltungsgerichtshof einer Revision oder der Verfassungsgerichtshof einer Beschwerde gegen ein Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes gemäß Abs. 1 stattgegeben hat.

Für das gegenständliche Verfahren ist sohin das Bundesverwaltungsgericht zuständig.

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

3.2. Zu Spruchpunkt I. (Schubhaftbescheid):

3.2.1. §22a des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG) lautet auszugsweise wie folgt:

"§ 22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.

(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

[...]"

§22a BFA-VG bildet sohin im gegenständlichen Fall die formelle Grundlage.

3.2.2. Materielle Rechtsgrundlage:

§ 76 FPG (aF) lautet:

"§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur dann angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder der Abschiebung notwendig ist und sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

2. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß."

Hinsichtlich der Anwendung eines gelinderen Mittels ist § 77 FPG maßgeblich:

§ 77. (1) Das Bundesamt hat bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. [...]

(2) Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

(3) Gelindere Mittel sind insbesondere die Anordnung,

1. in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,

2. sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder

3. eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen.

§ 80. (1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.

3.2.3. Zur Judikatur:

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der - aktuelle - Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

Schubhaft darf stets nur "ultima ratio" sein (vgl. VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0054; VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, VwGH 24.02.2011, Zl. 2010/21/0502; VwGH 17.03.2009, Zl. 2007/21/0542; VwGH 30.08.2007, 2007/21/0043). Daraus leitete der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 19.05.2011, Zl. 2008/21/0527, unter Hervorhebung der in § 80 Abs. 1 FPG 2005 ausdrücklich festgehaltenen behördliche Verpflichtung, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert, insbesondere auch ab, "dass die Behörde schon von vornherein angehalten ist, im Fall der beabsichtigten Abschiebung eines Fremden ihre Vorgangsweise nach Möglichkeit so einzurichten, dass Schubhaft überhaupt unterbleiben kann. Unterlässt sie das, so erweist sich die Schubhaft als unverhältnismäßig" (VwGH vom 19.05.2011, Zl. 2008/21/0527). Bereits im Erkenntnis des VwGH vom 27.01.2011, Zl. 2008/21/0595, wurde dazu klargestellt, dass der Schubhaft nicht der Charakter einer Straf- oder Beugehaft zu kommt, "weshalb ohne besondere Anhaltspunkte für eine absehbare Änderung der Einstellung des Fremden die Haft nicht allein im Hinblick darauf aufrechterhalten werden darf, diese 'Einstellungsänderung' durch Haftdauer zu erwirken. (Hier: Der Fremde hatte, nachdem er nach zwei Monaten nicht aus der Schubhaft entlassen worden war, seine vorgetäuschte Mitwirkungsbereitschaft aufgegeben und zu erkennen gegeben, dass er nicht in den Kamerun zurückkehren wolle und auch nicht an einer Identitätsfestellung mitwirken werde. Die mangelnde Kooperation des Fremden gipfelte schließlich in der Verweigerung jeglicher Angaben. Die belangte Behörde hat in Folge bis zu einem neuerlichen Einvernahmeversuch zugewartet ohne zwischenzeitig auf Basis der vorhandenen Daten zwecks Erstellung eines Heimreisezertifikates an die Botschaft von Kamerun heranzutreten oder sonst erkennbare Schritte in Richtung Bewerkstelligung einer Abschiebung zu setzen. In diesem Verhalten der belangten Behörde ist eine unangemessne Verzögerung zu erblicken)." (VwGH vom 27.01.2011, Zl. 2008/21/0595; vgl. dazu etwa auch VwGH 19.04.2012, 2009/21/0047).

"Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs 1 FrPolG 2005 ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Fehlt ein Sicherungsbedarf, dann darf weder Schubhaft noch ein gelinderes Mittel verhängt werden. Insoweit besteht kein Ermessensspielraum. Der Behörde kommt aber auch dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043). Mit anderen Worten: Kann das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden, dann wäre es rechtswidrig, Schubhaft zu verhängen; in diesem Fall hat die Behörde lediglich die Anordnung des gelinderen Mittels vorzunehmen (Hinweis E 28.05.2008, 2007/21/0246). Der Ermessenspielraum besteht also für die Behörde nur insoweit, als trotz eines die Schubhaft rechtfertigenden Sicherungsbedarfs davon Abstand genommen und bloß ein gelinderes Mittel angeordnet werden kann. Diesbezüglich liegt eine Rechtswidrigkeit nur dann vor, wenn die eingeräumten Grenzen des Ermessens überschritten wurden, also nicht vom Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde" (VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, vgl. auch VwGH vom 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

"Je mehr das Erfordernis, die Effektivität der Abschiebung zu sichern, auf der Hand liegt, umso weniger bedarf es einer Begründung für die Nichtanwendung gelinderer Mittel. Das diesbezügliche Begründungserfordernis wird dagegen größer sein, wenn die Anordnung gelinderer Mittel naheliegt. Das wurde in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere beim Vorliegen von gegen ein Untertauchen sprechenden Umständen, wie familiäre Bindungen oder Krankheit, angenommen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22.05.2007, Zl. 006/21/0052, und daran anknüpfend das Erkenntnis vom 29.04.2008, Zl. 2008/21/0085; siehe auch die Erkenntnisse vom 28.02.2008, Zl. 2007/21/0512, und Zl. 2007/21/0391) und wird weiters auch regelmäßig bei Bestehen eines festen Wohnsitzes oder ausreichender beruflicher Bindungen zu unterstellen sein. Mit bestimmten gelinderen Mitteln wird man sich insbesondere dann auseinander zu setzen haben, wenn deren Anordnung vom Fremden konkret ins Treffen geführt wird" (VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

Dem Gesichtspunkt einer "sozialen Verankerung in Österreich" kommt im Zusammenhang mit der Verhängung der Schubhaft wesentliche Bedeutung zu. Dabei kommt es u.a. entscheidend auf das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit oder auf die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes an (VwGH vom 30. August 2011, 2008/21/0107). Je länger somit der Fremde bereits in Österreich ist und je stärker er hier sozial verwurzelt ist, desto stärker müssen auch die Hinweise und Indizien für eine vorliegende Fluchtgefahr sein. Dabei ist zu beachten, dass Mittellosigkeit und fehlende soziale Integration in Bezug auf (noch nicht lange aufhältige) Asylwerber, die Anspruch auf Grundversorgung haben, allein noch keine tragfähigen Argumente für das Bestehen eines Sicherungsbedarfs sind (VwGH vom 28. Mai 2008, 2007/21/0233).

3.2.4. Die Beschwerdeführerin hatte zum Zeitpunkt der Schubhaftverhängung einen "permesso di soggiorno - motivi umanitari", gültig bis zum 23.8.2019, ausgestellt von der Republik Italien. Diesen wies sie sowohl bei ihrer Einvernahme vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 15.6.2018 als auch bei der Einvernahme vor dem Bundesamt anlässlich der Schubhaftverhängung am 16.6.2018 vor, womit die belangte Behörde darüber in Kenntnis war.

Gemäß § 52 Abs 1 Z 1 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.

§ 52 Abs 6 FPG enthält eine Sonderbestimmung für Drittstaatsangehörige, die im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates sind. § 52 Abs 6 FPG lautet: "§52 (6) Ist ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates, hat er sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen."

Dementsprechend hätte sich die Beschwerdeführerin, die über einen italienischen Aufenthaltstitel verfügte, unverzüglich in das italienische Hoheitsgebiet zu begeben und dies den österreichischen Behörden nachzuweisen gehabt. Vor und während der Schubhaft wurde sie jedoch von den österreichischen Behörden nicht aufgefordert, dies zu tun.

Zudem wurde über die Beschwerdeführerin die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung nach Nigeria und zur Sicherung der Abschiebung dorthin - und nicht nach Italien - verhängt.

Somit waren die Verhängung der Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung und zur Sicherung der Abschiebung (nach Nigeria) sowie die darauf basierende Anhaltung in Schubhaft rechtswidrig.

3.3. Zu Spruchpunkt II. (Kostenbegehren):

Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei.

Gemäß Abs. 4 leg. cit. gelten als Aufwendungen gemäß Abs. 1:

1. die Kommissionsgebühren sowie die Barauslagen, für die der Beschwerdeführer aufzukommen hat,

2. die Fahrtkosten, die mit der Wahrnehmung seiner Parteirechte in Verhandlungen vor dem Verwaltungsgericht verbunden waren, sowie

3. die durch Verordnung des Bundeskanzlers festzusetzenden Pauschalbeträge für den Schriftsatz-, den Verhandlungs- und den Vorlageaufwand.

Die Höhe des Schriftsatz- und des Verhandlungsaufwands hat gemäß Abs. 5 leg. cit. den durchschnittlichen Kosten der Vertretung bzw. der Einbringung des Schriftsatzes durch einen Rechtsanwalt zu entsprechen. Für den Ersatz der den Behörden erwachsenden Kosten ist ein Pauschalbetrag festzusetzen, der dem durchschnittlichen Vorlage-, Schriftsatz- und Verhandlungsaufwand der Behörden entspricht.

Die §§ 52 bis 54 VwGG sind gemäß Abs. 6 auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.

Gemäß Abs. 7 leg. cit. ist Aufwandersatz auf Antrag der Partei zu leisten. Der Antrag kann bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt werden.

Die Höhe der im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 des Bundes-Verfassungsgesetzes - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, und Beschwerden wegen Rechtswidrigkeit eines Verhaltens einer Behörde in Vollziehung der Gesetze gemäß Art. 130 Abs. 2 Z 1 B-VG als Aufwandersatz zu leistenden Pauschalbeträge ist in § 1 der VwG-Aufwandersatzverordnung (VwG-AufwErsV), BGBl. II Nr. 517/2013, wie folgt festgesetzt:

1. Ersatz des Schriftsatzaufwands des Beschwerdeführers als obsiegende Partei 737,60 Euro

2. Ersatz des Verhandlungsaufwands des Beschwerdeführers als obsiegende Partei 922,00 Euro

3. Ersatz des Vorlageaufwands der belangten Behörde als obsiegende Partei 57,40 Euro

4. Ersatz des Schriftsatzaufwands der belangten Behörde als obsiegende Partei 368,80 Euro

5. Ersatz des Verhandlungsaufwands der belangten Behörde als obsiegende Partei 461,00 Euro

6. Ersatz des Aufwands, der für den Beschwerdeführer mit dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens verbunden war (Schriftsatzaufwand) 553,20 Euro

7. Ersatz des Aufwands, der für die belangte Behörde mit dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens verbunden war (Schriftsatzaufwand) 276,60 Euro.

Sowohl der Beschwerdeführer als auch die belangte Behörde hatten einen Antrag auf Ersatz der Aufwendungen gemäß § 35 VwGVG gestellt. Als obsiegender Partei steht dem Beschwerdeführer der beantragte Aufwandsersatz zu, der Antrag des Bundesamtes war dementsprechend abzuweisen.

3.4. Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn (Z 1) der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder (Z 2) die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist. Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben, da der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage und des Inhaltes der Beschwerde geklärt war und Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die für die gegenständliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltselemente nicht vorlagen.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Wie der oben dargelegten rechtlichen Beurteilung zu Spruchteil A zu entnehmen ist, warf die Tatsachenlastigkeit des gegenständlichen Falles keine Auslegungsprobleme der anzuwendenden Normen auf, schon gar nicht waren - vor dem Hintergrund der bereits bestehenden Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes - Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen. Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

Aufenthaltstitel Kostenersatz Mitgliedstaat Rechtswidrigkeit Schubhaft

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W154.2200345.1.00

Im RIS seit

04.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

04.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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