TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/14 W117 2223285-1

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Veröffentlicht am 14.05.2020
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Entscheidungsdatum

14.05.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs1
B-VG Art133 Abs4
FPG §76 Abs2 Z1
FPG §76 Abs3
VwGVG §35 Abs1
VwGVG §35 Abs4

Spruch

W117 2223285-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. DRUCKENTHANER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , polnischer Staatsangehöriger, vertreten durch DIAKONIE Flüchtlingsdienst gem. GmbH - ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.08.2019, Zl. 1230141309 - 190819150, zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 1 FPG idgF und § 76 Abs. 3 erster Satz FPG idgF stattgegeben und der Schubhaftbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom (09.08.2019), Zl. 1230141309 - 190819150 aufgehoben sowie die Anhaltung in Schubhaft vom 09.08.2019 bis zum 12.08.2019 für rechtswidrig erklärt.

II. Gemäß § 35 Abs. 1 und Abs. 4 VwGVG iVm § 1 Z 1 VwG-AufwErsV idgF hat der Bund dem Beschwerdeführer zu Handen seines ausgewiesenen Vertreters Aufwendungen in Höhe von ?767,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

III. Der Antrag der Verwaltungsbehörde auf Kostenersatz wird gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1.1. Der Beschwerdeführer ist polnischer Staatsangehöriger; seine Identität steht aufgrund der im Verfahren präsentierten unbedenklichen Personaldokumente zweifelsfrei fest.

1.2. Wann der Genannte ursprünglich ins Bundesgebiet eingereist ist, lässt sich nicht mehr hinreichender Sicherheit rekonstruieren.

Behördlich in Erscheinung getreten ist der Rechtsmittelwerber offiziell erstmals im Mai 2019 im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen im Zusammenhang mit diversen Suchtgiftdelikten sowie einem Verstoß gegen das Waffengesetz, welche letztendlich in der Verhängung der Untersuchungshaft mündeten; der Beschwerdeführer befand sich vom 15.05.2019 bis zum 09.08.2019 in Untersuchungshaft.

1.3. Basierend auf diesem Sachverhalt wurde dem Beschwerdeführer seitens dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Schriftsatz datiert vom 14.06.2019 das Ergebnis der Beweisaufnahme mitgeteilt; unter einem wurde er im selben Schreiben dazu aufgefordert, binnen zehn Tagen ab erfolgreicher Zustellung inhaltlich Stellung zu nehmen sowie mehrere Fragen hinsichtlich seiner Person in Bezug auf Wohn-, Familien- und Einkommensverhältnisse zu beantworten. Für den Fall, dass der Genannte keine inhaltliche Reaktion auf das Behördenschreiben zeigen sollte, wurde er darauf hingewiesen, wonach dann in weiterer Folge seine Angelegenheit ohne nochmaliger Anhörung aktenmäßig finalisiert werden würde.

1.4. Am 09.08.2019 wurde der Rechtsmittelwerber vom Landesgericht für Strafsachen WIEN, Zl. 063 Hv 115/19 w, zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von insgesamt zehn Monaten gemäß §§ 27 Abs. 1 zweiter Fall und 28 a Abs. 1 zweiter, dritter und fünfter Fall SMG sowie § 50 Abs. 1 Z 2 WaffG rechtskräftig verurteilt.

1.5. Basierend auf der strafrechtlichen Verurteilung erlies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl noch an selben Tag, am 09.08.2019, einen Mandatsbescheid, Zl. 1230141309 - 190819150, gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm 57 Abs. 1 AVG, in welchem die Schubhaft des Beschwerdeführers sowohl zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme als auch der Abschiebung angeordnet wurde.

Diese Entscheidung wurde dem Genannten sodann persönlich zugestellt.

1.6. In weiterer Folge am 12.08.2019 von der Erstinstanz niederschriftlich in Hinblick auf die Prüfung des Aufenthaltstatus, die beabsichtigte Erlassung eines Aufenthaltsverbotes sowie zur Sicherung der Abschiebung unter gleichzeitiger Anwesenheit einer Polnisch-Dolmetscherin einvernommen, konfrontierte die belangte Behörde den Genannten nach Vorhalt seiner Meldeadresse und rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung zum Zwecke des Parteiengehörs mit der beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbots.

Laut eigenem Vorbringen lebe der Rechtsmittelwerber seit seiner erstmaligen Einreise ins Bundesgebiet im März 2016 stets unter derselben Anschrift, welche ident mit der im Melderegister angeführten sei. Obwohl es sich hiebei um eine Dienstwohnung handle, würden dort inoffiziell auch seine Ehefrau und das gemeinsame dreijährige Kind leben. Darüber hinaus könne er in Österreich auch noch auf seine Mutter und seinen Stiefvater als familiäre Anknüpfungspunkte zurückgreifen. Zum leiblichen Vater bestehe keinerlei Kontakt; sein Bruder habe in Holland seinen dauerhaften Lebensmittelpunkt gefunden, während demgegenüber seine Großeltern nach wie vor in Polen aufhältig wären.

Beruflich verfüge der Beschwerdeführer über eine sechsjährige Grundschul-, eine dreijährige Gymnasial-, sowie eine zweijährige Berufsschulbildung als Tischler, wobei er aber letztere nicht positiv abgeschlossen hätte.

In Polen sei der Genannte laut eigener Aussage noch nie erwerbstätig gewesen, stattdessen habe er sechs Monate lang in Holland und danach in Österreich gearbeitet. Bei seinem bisherigen inländischen Arbeitgeber hätte der Rechtsmittelwerber regelmäßig auf legalem Wege zwischen ? 1.300,00.- und ? 1.400,00.- netto im Monat verdient. Seine strafrechtliche Verurteilung nach dem Suchtmittelgesetz resultiere demgegenüber aus einer "Dummheit". Wenngleich sich sein aktuelles Barvermögen lediglich auf insgesamt ? 160,00.- belaufe, so könne er aber jederzeit bei seinem früheren Arbeitgeber wieder seine frühere Erwerbstätigkeit aufnehmen und durch das dadurch erzielte Einkommen seinen Lebensstandard sichern.

Generell gesund und in seiner Heimat weder politisch oder strafrechtlich verfolgt, befände sich seine Familie aber mittlerweile im Bundesgebiet - "in Polen habe ich niemanden."

Auf Vorhalt der beabsichtigten Erlassung eines durch einen Durchsetzungsaufschub abgemilderten Aufenthaltsverbots gab der Genannte keine inhaltliche Erklärung ab, sondern nahm diese stattdessen ohne ersichtlicher Gemütsregung vollinhaltlich zur Kenntnis.

1.7. Noch am selben Tag erlies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einen Bescheid, Zl. 12301413090 - 190498005 / BMI-BFA_WIEN_RD, in welchem über den Rechtsmittelwerber gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein auf eine Gesamtzeit von vier Jahren befristetes Aufenthaltsverbot unter gleichzeitiger Setzung eines Durchsetzungsaufschubes im Ausmaß eines Monats gemäß § 70 Abs. 3 FPG idgF verhängt wurde.

1.8. Ebenfalls noch am 12.08.2019. also drei Tage nach der Inschubhaftnahme, wurde der Beschwerdeführer "aufgrund des Wegfalls des Schubhaftgrundes" aus dem Gewahrsam entlassen.

1.9. Gegen die bescheidmäßige Erlassung des vierjährigen Aufenthaltsverbots erhob der rechtsfreundlich vertretene Genannte mit Schriftsatz vom 09.09.2019 fristgerecht Beschwerde.

1.10. Ebenso erhob der Rechtsmittelwerber über seinen gewillkürten Vertreter gegen den verfahrensgegenständlichen Mandatsbescheid, die Anordnung der Schubhaft sowie die darauf basierende Anhaltung am 10.09.2019 fristgerecht Beschwerde.

Inhaltlich wurde darauf verwiesen, wonach der Genannte nicht von der Erstinstanz persönlich einvernommen worden wäre, um basierend auf dessen Aussagen objektiv die Notwendigkeit sowie Verhältnismäßigkeit einer Schubhaftnahme beurteilen zu können. Gerade vor dem Hintergrund der bestehenden familiären, sozialen und beruflichen Bindungen des Beschwerdeführers sei eine derartige Vorgangsweise jedoch absolut unerlässlich. Generell sei bei derartig massiven Grundrechtseingriffen wie dem in Rede stehenden, eine Organisation des zugrundeliegenden behördlichen Entscheidungsprozesses dergestalt unabdingbar, als dass "die Betroffenen in einem Ausmaß einbezogen werden, welches ihnen den erforderlichen Schutz ihrer Interessen zuteilwerden lässt." Daraus resultierend habe die belangte Behörde das Parteiengehör in casu nicht ausreichend gewahrt.

Die erstinstanzlich gewährte Möglichkeit der Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme, könne die Abhaltung einer mündlichen Befragung keinesfalls ersetzen; im vorliegenden Fall umso weniger, zumal die lediglich rudimentär vorhandenen Deutschkenntnisse der beschwerdeführenden Partei ohne aktiver Dolmetsch- respektive rechtsfreundlicher Unterstützung keineswegs ausreichend zur sachgerechten argumentativen Darlegung ihres Standpunktes hinreichen würden.

Des Weiteren hätte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl keinerlei konkreten Hinweise dahingehend zutage gefördert, aus denen sich der Schluss ableiten ließe, demzufolge der Rechtsmittelwerber tatsächlich beabsichtigt habe, sich dem Verfahren zu entziehen oder nicht aktiv mitzuwirken - ein Umstand, der angesichts der zuvor ins Treffen geführten familiären Bindungen im Bundesgebiet und mehr als dreijährigen Anstellung in einer namentlich angeführten inländischen Tischlerei besonders schwer wiege.

Der Beschwerdeführer beantragte Aufwandersatzgemäß § 35 VwGVG und den Ersatz sämtlicher Barauslagen sowie den Ersatz des Schriftsatzaufwandes in der Höhe von ? 737,60.-gemäß § 1 Z 1 VwG-Aufwandersatzverordnung.

1.11. Noch am selben Tag, somit dem 10.09.2019, legte die belangte Behörde den erstinstanzlichen Verwaltungsakt vor und erstattete unter einem eine schriftliche Stellungnahme zum Beschwerdevorbringen, indem zusammengefasst auf den Umstand der "spontanen" Entlassung aus der Haft hingewiesen wurde. Die Verwaltungsbehörde beantragte Kostenzuspruch für Vorlage- und Schriftsatzaufwand.

Im Rahmen der Beschwerdevorlage, das Beschwerdeverfahren in Bezug auf das gegenüber dem Beschwerdeführer erlassene Aufenthaltsverbot betreffend, führte die Behörde wiederum an, dass der Rechtsmittelwerber noch anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme dezidiert bestätigt hätte, wonach er nicht mit Frau und Kind in einem gemeinsamen Haushalt leben würde. Auch aus dem Zentralmelderegister sei zweifelsfrei ersichtlich, demzufolge der Genannte erst seit dem 02.09.2019 an derselben Adresse gemeldet wäre, woraus sich für die Erstinstanz zwingend der Schluss ergeben würde, dass zum Erlassungszeitpunkt des angefochtenen Mandatsbescheides der Beschwerdeführer eben nicht mit seiner Familie zusammengelebt habe.

Sämtliche über diesen Themenkreis hinausgehenden Ausführungen beziehen sich demgegenüber ausschließlich auf das zeitgleich parallellaufende Rechtsmittelverfahren zum Materienkomplex Aufenthaltsverbot.

1.12. Aufgrund des vorliegenden Verfahrensaktes in Kombination mit Verfahrensgang und Beschwerde konnte von der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden, zumal der zugrundeliegende Sachverhalt als geklärt anzusehen ist.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Die als Feststellungen formulierten Punkte im Verfahrensgang werden der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt.

1.2. Der Beschwerdeführer hat sich bislang einer behördlichen Aufforderung aktenkundig nie entzogen oder aktiv widersetzt.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Verfahrensgang und Feststellungen sind unstrittig und ergeben sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt, dem Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichts und der erhobenen Beschwerde - lediglich strittig ist die rechtliche Bewertung der eindeutigen Sachverhaltsparameter im Hinblick auf das Vorliegen von Fluchtgefahr - dazu siehe rechtliche Beurteilung im Anschluss.

Da der Sachverhalt aufgrund der erstinstanzlichen Aktenlage im Zusammenhalt mit der Beschwerde und der Stellungnahme der Verwaltungsbehörde als geklärt anzusehen ist, war von der Durchführung einer Verhandlung abzusehen.

3. Rechtliche Beurteilung:

1. Gemäß § 76 Abs. 3 FPG ist die Schubhaft mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befindet sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

Das Bundesamt erließ den angefochtenen Bescheid daher zutreffend als Mandatsbescheid; er wurde mit Bescheidzustellung vollstreckt.

2. Gemäß § 57 Abs. 1 AVG ist die Behörde berechtigt, wenn es sich bei Gefahr im Verzug um unaufschiebbare Maßnahmen handelt, einen Bescheid auch ohne vorausgegangenes Ermittlungsverfahren zu erlassen. Gegen einen nach Abs. 1 erlassenen Bescheid kann gemäß § 57 Abs. 2 AVG bei der Behörde, die den Bescheid erlassen hat, binnen zwei Wochen Vorstellung erhoben werden. Die Vorstellung hat nur dann aufschiebende Wirkung, wenn sie gegen die Vorschreibung einer Geldleistung gerichtet ist.

Gemäß § 22a Abs. 5 BFA-VG ist gegen die Anordnung der Schubhaft eine Vorstellung nicht zulässig.

Daher ist die Beschwerde gegen den Bescheid vom 19.01.2019 an das Bundesverwaltungsgericht zulässig.

3. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg. cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung, des Agrarverfahrensgesetzes und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Maßgeblich sind sie Rechtsvorschriften, die bei der Vornahme des betreffenden Verfahrensschrittes in Geltung stehen (VwGH 23.05.1995, 94/04/0161; 06.11.1995, 94/04/0103; 30.04.2003, 2002/16/0076). Der Verfassungsgerichtshof hob mit Erkenntnis VfSlg. 10.404/2015, kundgemacht im Bundesgesetzblatt am 15.04.2015, § 22a Abs. 1 und 2 BFA-VG a.F. auf. § 22a Abs. 1 ff. BFA-VG n.F. traten mit 19.06.2015 in Kraft, sie sind im vorliegenden Fall anzuwenden. Das Beschwerdevorbringen kann, soweit es sich gegen die vor 19.06.2015 geltende Rechtslage richtet, außer Betracht bleiben.

Gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG (in der seit 19.06.2015 in Kraft stehenden Fassung) hat der Fremde das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist (Z 1), er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde (Z 2), oder gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde (Z 3). Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten gemäß Abs. 1a die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat gemäß Abs. 2 binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt. Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht gemäß Abs. 3 jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

Die Beschwerde ist daher gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG zulässig.

4. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Zu A.I.) Schubhaftbescheid sowie Anhaltung vom 09.08.2019 bis 12.08.2019:

1. Gemäß $ 76 Abs. 4 FPG ist die Schubhaft mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

2. Gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG hat der Fremde das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.

3. Gemäß § 76 Abs. 1 FPG können Fremde festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

Gemäß Abs. 2 darf die Schubhaft nur angeordnet werden, wenn

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1.-dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,

2.-dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

3.-die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

4. Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder im Sinne des Art. 2 lit. n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird.

5. Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann. Die Verhängung der Schubhaft darf stets nur ultima ratio sein.

6. Wie sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt zweifelsfrei ergibt und im Übrigen auch nicht vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bestritten worden ist, wurde der Genannte

bereits am 09.08.2019 in Schubhaft genommen - basierend auf dem am selben Tag erlassenen verfahrensgegenständlichen Mandatsbescheid.

Aus dem Umstand, dass der Rechtsmittelwerber erst drei Tage später, konkret am 12.08.2019, niederschriftlich zum geplanten Aufenthaltsverbot einvernommen und anschließend aus der Schubhaft entlassen worden ist, zeigt augenscheinlich, dass die Verwaltungsbehörde nach den persönlichen Angaben des Beschwerdeführers selbst keine Fluchtgefahr mehr annahm.

Hätte die Verwaltungsbehörde den Beschwerdeführer also bereits vor der Inschubhaftnahme im Rahmen einer Anhaltung aufgrund der erfolgten Festnahme bereits einvernommen, um sich solcherart ein objektives Gesamtbild in Bezug auf dessen familiäre, wirtschaftliche und soziale Situation zu machen und darauf basierend eine argumentativ belastbare Einschätzung hinsichtlich der Zulässigkeit einer Inschubhaftnahme beziehungsweise deren allfällige Zumutbarkeit zu treffen, hätte sie - dem ultima-ratio-Prinzip verpflichtet -, wonach die Schubhaftanhaltung möglichst kurz zu währen hat, zu diesem ihrem eigenen Ergebnis (des Nichtvorliegens von Fluchtgefahr) bereits am 09.08.2019 kommen können.

In Bezug auf die anlässlich der Vorlage des Schubhaftaktes erstattete Stellungnahme und dem dem darin einzig und allein vertretenen Argument der "spontanen" Entlassung aus der Schubhaft bleibt die Verwaltungsbehörde aber schuldig auszuführen, was sie an einer früheren Durchführung einer Einvernahme gehindert hatte.

Auch wenn nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes die Anforderungen an die Zumutbarkeit der organisatorischen Einrichtungen an die Behörde nicht überspannt werden (vgl die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes B 491/86 vom 17.06.1987 sowie B 1321/87 vom 27.09.1988) dürfen, haben die Verwaltungsbehörden offensichtlich entsprechende organisatorische Maßnahmen zu treffen bzw. sich um solche zu bemühen, um dem Erfordernis einer möglichst kurzen Haftdauer zu entsprechen.

Warum also die Verwaltungsbehörde gehindert gewesen ist, derartige "organisatorische Maßnahmen" zu treffen, wird weder in der Stellungnahme den Schubhaftakt noch in jener das Aufenthaltsverbotsverfahren betreffend, auch nur ansatzweise ausgeführt.

Soweit die belangte Behörde im Rahmen ihrer schriftlichen Stellungnahme im Aufenthaltsverbots(beschwerde)verfahren darauf verweist, wonach der Rechtsmittelwerber anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme am 12.08.2019 selbst eingeräumt habe, nicht zusammen mit Frau und Kind in einem gemeinsamen Haushalt zu leben, ist anzumerken, dass dieses Argument schon unter dem Aspekt der persönlichen, familiären und wirtschaftlichen Gesamtsituation des Beschwerdeführers wesentlich zu kurz greift:

In diesem Zusammenhang ist dabei hervorzuheben, dass es sich bei der beschwerdeführenden Partei um einen EU-Bürger handelt, welcher bereits mehrere Jahre hindurch offiziell und legal im Bundesgebiet gearbeitet hat und darüber hinaus weitreichende familiäre Anknüpfungspunkte aufweist, die von der Erstinstanz anlässlich der Erlassung des angefochtenen Mandatsbescheides in keiner Wiese objektiv geprüft und ihrer Entscheidung zugrunde gelegt worden sind.

Auch ist anzumerken, dass sich der Beschwerdeführer dem Behördenzugriff nie entzogen hatte.

Es liegen daher gerade im gegenständlichen Fall nicht jene in §76 Abs. 3 erster Satz FPG normierten "bestimmten Tatsachen" vor, aus denen Fluchtgefahr abgeleitet werden kann.

Selbst wenn man einen gewissen Sicherungsbedarf annehmen würde, ist aus der Aktenlage nicht erkennbar, warum die Behörde nicht mit der Verhängung eines gelinderen Mittels, etwa in der Form einer periodischen Meldeverpflichtung, das Auslangen hätte finden können.

Den bezugnehmenden Ausführungen im Beschwerdeschriftsatz ist daher inhaltlich beizupflichten, soweit darin auf die essentielle Bedeutung einer persönlichen Befragung gerade im gegenständlichen Fall hingewiesen wurde.

Sohin ist unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände nicht vom Vorliegen eines Sicherungsbedarfes in einem von der Verwaltungsbehörde ursprünglich angenommenen Ausmaß auszugehen gewesen, der die Inschubhaftnahme gerechtfertigt hätte.

Der angefochtene Bescheid war daher als rechtswidrig aufzuheben.

Rechtslogischerweise stellt sich daher auch die auf dem rechtswidrigen Schubhaftbescheid basierende Schubhaftanhaltung als rechtswidrig dar.

Zu Spruchpunkt A.II. und III. - Kostenersatz:

1. Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden nach dieser Bestimmung die für Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist (für die Zeit vor Inkrafttreten des § 22a Abs. 1a BFA-VG s. VwGH 23.04.2015, Ro 2014/21/0077).

Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei. Nach Abs. 4 gelten als Aufwendungen gemäß Abs. 1 die Kommissionsgebühren sowie die Barauslagen, für die der Beschwerdeführer aufzukommen hat (Z 1), die Fahrtkosten, die mit der Wahrnehmung seiner Parteirechte in Verhandlungen vor dem Verwaltungsgericht verbunden waren (Z 2), sowie die durch Verordnung des Bundeskanzlers festzusetzenden Pauschalbeträge für den Schriftsatz-, den Verhandlungs- und den Vorlageaufwand (Z 3). Die Höhe des Schriftsatz- und des Verhandlungsaufwands hat gemäß Abs. 5 den durchschnittlichen Kosten der Vertretung bzw. der Einbringung des Schriftsatzes durch einen Rechtsanwalt zu entsprechen. Für den Ersatz der den Behörden erwachsenden Kosten ist ein Pauschalbetrag festzusetzen, der dem durchschnittlichen Vorlage-, Schriftsatz- und Verhandlungsaufwand der Behörden entspricht.

§ 1 der VwG-Aufwandersatzverordnung (VwG-AufwErsV), BGBl. II Nr. 517/2013 lautet:

1. Ersatz des Schriftsatzaufwands des Beschwerdeführers als obsiegende Partei 737,60 Euro

2. Ersatz des Verhandlungsaufwands des Beschwerdeführers als obsiegende Partei 922,00 Euro

3. Ersatz des Vorlageaufwands der belangten Behörde als obsiegende Partei 57,40 Euro

4. Ersatz des Schriftsatzaufwands der belangten Behörde als obsiegende Partei 368,80 Euro

5. Ersatz des Verhandlungsaufwands der belangten Behörde als obsiegende Partei 461,00 Euro

6. Ersatz des Aufwands, der für den Beschwerdeführer mit dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens verbunden war (Schriftsatzaufwand) 553,20 Euro

7. Ersatz des Aufwands, der für die belangte Behörde mit dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens verbunden war (Schriftsatzaufwand) 276,60 Euro.

Die §§ 52 bis 54 VwGG sind gemäß Abs. 6 auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden. Aufwandersatz ist laut Abs. 7 auf Antrag der Partei zu leisten. Der Antrag kann bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt werden.

Da der Beschwerdeführer vollständig obsiegte, waren ihm die begehrten Kosten (Barauslagen und Schriftsatzaufwand) zuzusprechen (Spruchpunkt II.).

Rechtslogischerweise war das Kostenbegehren der Verwaltungsbehörde zu verwerfen (Spruchpunkt III.).

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Aufgrund der Tatsachenlastigkeit des gegenständlichen Falles war die ordentliche Revision nicht zuzulassen.

Schlagworte

Einvernahme EU-Bürger familiäre Situation gelinderes Mittel Rechtswidrigkeit Schubhaft

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W117.2223285.1.00

Im RIS seit

04.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

04.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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