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95 TechnikNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerordnungLeitsatz
Keine Bedenken gegen eine Bestimmung des Statuts der Wohlfahrtseinrichtungen bei der Bundes-Ingenieurkammer betreffend Berufsunfähigkeitszuwendungen im Hinblick auf das Gleichheitsrecht; Verletzung im Gleichheitsrecht durch Versagung einer Berufsunfähigkeitspension für einen Ziviltechniker infolge Unterlassung jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt in Verbindung mit einem Ignorieren des ParteivorbringensSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Die Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten ist schuldig, dem Beschwerdeführer die mit S 18.000,-- bestimmten Kosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der nunmehrige Beschwerdeführer hatte mit Schreiben vom 16.12.1992 der Ingenieurkammer für Steiermark und Kärnten das Ruhen seiner Ziviltechnikerbefugnis ab 1.1.1993 bekanntgegeben und mitgeteilt, daß seine Teilnahme an den Wohlfahrtseinrichtungen (Versorgungsfonds und Sterbekassenfonds bei der Bundes-Ingenieurkammer) weiter aufrecht bleibt.
Mit Schreiben vom 28.7.1994 an die genannten Wohlfahrtseinrichtungen beantragte der nunmehrige Beschwerdeführer die Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension mit der Begründung, daß sich sein Gesundheitszustand seit seiner Erkrankung im Jänner 1993 verschlechtert habe.
Mit Bescheid des Kuratoriums dieser Wohlfahrtseinrichtungen vom 14.9.1994 wurde dem erwähnten Antrag nicht stattgegeben. Dies im wesentlichen mit der Begründung, daß die vollständige Berufsunfähigkeit während aktiver Tätigkeit als Ziviltechniker eingetreten sein müsse, der Antragsteller habe aber zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits über 18 Monate keine Ziviltechnikertätigkeit mehr ausgeführt.
In der dagegen erhobenen Berufung an den Vorstand der Bundes-Ingenieurkammer führt der nunmehrige Beschwerdeführer unter anderem aus, daß er bereits vor seiner Mitteilung an die Ingenieurkammer für Steiermark und Kärnten vom 16.12.1992, wonach seine Ziviltechnikerbefugnis ab 1.1.1993 als ruhend zu betrachten sei, krank und berufsunfähig gewesen sei. Dies ergebe sich aus beiliegend vorgelegten ärztlichen Bestätigungen sowie aus der Pflegegebührenrechnung eines Sanatoriums. Der Grund dafür, daß er am 1.1.1993 noch nicht um Leistungen aus der Wohlfahrtseinrichtung wegen Berufsunfähigkeit angesucht habe, sondern lediglich die Ziviltechnikerbefugnis als ruhend meldete, sei darin gelegen, daß er zum Ende des Jahres 1992 noch gehofft hatte, sein Gesundheitszustand würde sich nach entsprechender Behandlung wieder soweit bessern, daß er seine Arbeit als Ziviltechniker wieder aufnehmen könne.
2. Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom 10. April 1995 hat die belangte Behörde diese Berufung abgewiesen. Begründend wird dazu vor allem ausgeführt: §12 des Statuts der Wohlfahrtseinrichtungen normiere, daß die vollständige Berufsunfähigkeit während aktiver Tätigkeit als Ziviltechniker eingetreten sein müsse. Die Berufsunfähigkeitszuwendung solle den Ersatz für das verlorengegangene Ziviltechnikereinkommen darstellen. Der Antragsteller sei aber zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits über 18 Monate nicht mehr als Ziviltechniker tätig gewesen und habe auch nicht behauptet, daß der Eintritt der Berufsunfähigkeit während tatsächlich ausgeübter Ziviltechnikertätigkeit erfolgt wäre. Die Entscheidung des Kuratoriums sei daher nicht zuletzt auch im Licht des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 19.3.1991, Z90/04/0328, richtig.
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung, nämlich des §12 Abs1 des Statuts der Wohlfahrtseinrichtungen, behauptet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen.
5. Die im Beschwerdefall maßgebende Bestimmung des Statuts der Wohlfahrtseinrichtungen bei der Bundes-Ingenieurkammer lautet:
"§12. Zuwendungen aus dem Grunde der dauernden Berufsunfähigkeit
(1) Zuwendungen aus dem Grunde der dauernden Berufsunfähigkeit werden einem Ziviltechniker gewährt, wenn er während tatsächlich ausgeübter Befugnis dauernd berufsunfähig wird, seine Befugnis ruht oder zurückgelegt wurde, keinerlei Erwerbstätigkeit ausgeübt wird und die Wartefrist abgelaufen ist. Dauernde Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn der Ziviltechniker infolge eines Leidens oder einer Krankheit außerstande ist, seinen Beruf als Ziviltechniker weiter auszuüben und mit der Wiedererlangung der Berufsfähigkeit nicht zu rechnen ist. Für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit ist das Berufsbild maßgebend. Die Wartefrist beträgt, wenn die Berufsunfähigkeit vor dem vollendeten 50. Lebensjahr eintritt, 5 Jahre, nach dem 50. Lebensjahr 8 Jahre. Ist die Berufsunfähigkeit die Folge eines Unfalles, ist keine Wartefrist erforderlich."
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (z.B. VfSlg. 10413/1985, 11682/1988) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt ua. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB. VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung; VfSlg. 10338/1985, 11213/1987)."
2. Der Verfassungsgerichtshof teilt die vom Beschwerdeführer geäußerten Bedenken, §12 Abs1 des Statuts der Wohlfahrtseinrichtungen bei der Bundes-Ingenieurkammer verletze das verfassungsgesetzlich gewährleiste Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, nicht. Er hält es vielmehr für zulässig, wenn die fragliche Bestimmung für Zuwendungen aus dem Grunde der dauernden Berufsunfähigkeit u.a. darauf abstellt, daß die dauernde Berufsunfähigkeit während tatsächlich ausgeübter Befugnis eintritt. Eine solche Regelung ist im Hinblick auf deren offenkundigen Zweck, wonach die Berufsunfähigkeitszuwendung den Ersatz für das verlorengegangene Ziviltechnikereinkommen darstellen soll, durchaus gerechtfertigt.
Es ist auch nicht ersichtlich, was für den Standpunkt des Beschwerdeführers aus dem Erkenntnis VfSlg. 11013/1986 gewonnen werden könnte: Auch der Umstand, daß der Beschwerdeführer - unbeschadet des Ruhens seiner Zivilingenieurbefugnis - weiterhin an den Wohlfahrtseinrichtungen der Bundes-Ingenieurkammer teilgenommen und Beiträge entrichtet hat, ändert nichts daran, daß die Berufsunfähigkeitszuwendung - wie erwähnt: in verfassungsrechtlich zulässiger Weise - nur unter der Voraussetzung gebührt, daß die Berufsunfähigkeit "während tatsächlich ausgeübter Befugnis" eintritt.
Die Beschwerde ist aber zufolge Willkür der belangten Behörde begründet.
Der Beschwerdeführer führte in seiner an die belangte Behörde gerichteten Berufung u.a. wörtlich aus:
"Der Argumentation der Behörde 1. Instanz ist
entgegenzuhalten, daß ich bereits vor meiner Mitteilung an die
Ingenieurkammer für Steiermark und Kärnten vom 16.12.1992, wonach
meine Zivilingenieurbefugnis ab 1.1.1993 als ruhend zu betrachten
sei, krank und berufsunfähig gewesen bin. Dies ergibt sich aus
den beiliegend vorgelegten ärztlichen Bestätigungen ... vom
26.9.1994, ... vom 28.9.1994 sowie aus der Pflegegebührenrechnung
... vom 8.2.1991. Ich habe zum Ende des Jahres 1992 gehofft, daß
sich mein Krankheitszustand nach entsprechender Behandlung wieder soweit bessern werde, daß ich meine Arbeit als Ziviltechniker wieder aufnehmen könne. Dies war der Grund dafür, weshalb ich zum 1.1.1993 noch nicht um Leistungen aus der Wohlfahrtseinrichtung wegen Berufsunfähigkeit ansuchte, sondern lediglich meine Zivilingenieurbefugnis als ruhend meldete. ..."
Angesichts dessen ist es unverständlich, wenn die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid u.a. zur Auffassung gelangt:
"(Der Beschwerdeführer) hat auch nicht behauptet, daß der Eintritt der Berufsunfähigkeit während tatsächlich ausgeübter Ziviltechnikertätigkeit erfolgt wäre."
Damit hat die Behörde in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit - in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens - unterlassen.
Der belangten Behörde ist somit eine in die Verfassungssphäre reichende Fehlerhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens anzulasten.
4. Der Bescheid war daher aufzuheben.
Diese Entscheidung konnte der Verfassungsgerichtshof gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung treffen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG; in den zuerkannten Kosten ist Umsatzsteuer im Betrag von S 3.000,-- enthalten.
Schlagworte
Ziviltechniker, Wohlfahrtseinrichtungen Ziviltechniker, Ingenieurkammer, PensionsrechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1996:B1651.1995Dokumentnummer
JFT_10039773_95B01651_00