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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1968 §1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Bachler, Dr. Rigler und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Neumeister, über die Beschwerde des Ajet Murseli in Waldhausen, geboren am 12. Dezember 1970, vertreten durch Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in Linz, Mozartstraße 11, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 29. Mai 1995, Zl. 4.340.350/6-III/13/95, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der "Jugosl. Föderation", der am 3. Mai 1992 in das Bundesgebiet eingereist ist, hat den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 10. September 1992, mit dem sein Asylantrag abgewiesen worden war, mit Berufung bekämpft.
Nach der mit hg. Erkenntnis vom 30. Juni 1994, Zl. 94/01/0249, wegen der rechtsirrigen Anwendung des Asylgesetzes 1991 ausgesprochenen Aufhebung ihres über diese Berufung ergangenen Bescheides vom 17. Februar 1994 wies die belangte Behörde mit Bescheid vom 29. Mai 1995 die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG neuerlich ab.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Der Beschwerdeführer hat bei seiner Ersteinvernahme durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 9. September 1992 angegeben, er sei Angehöriger der albanischen Minderheit und gehöre keiner politischen Organisation an. Vor Ausbruch des Krieges habe er keinerlei "Schwierigkeiten" gehabt und sei weder politischer noch religiöser oder rassistischer Verfolgung ausgesetzt gewesen. Am 25. April 1992 sei er von serbischen Milizbeamten zu Hause gesucht worden, weil er zum Militär hätte eingezogen werden sollen. Er sei aber nicht zu Hause gewesen und sei sofort, nachdem ihn seine Eltern informiert hätten, zu seiner Tante gereist, um sich der Einberufung zu entziehen. Er wolle nicht gemeinsam mit den Serben gegen die Bosnier kämpfen. Da er im Fall seiner Festnahme mit einem sofortigen Fronteinsatz oder mit einer Freiheitsstrafe in ihm unbekannter Länge rechnen müsse, habe er sich entschlossen, seine Heimat zu verlassen.
In seiner Berufung machte der Beschwerdeführer über sein erstinstanzliches Vorbringen hinaus geltend, er sei "bedingt durch die Teilnahme an einer Demonstration gegen das serbische Regime" von der Polizei verhaftet worden. Es sei ihm nicht möglich, für das serbische Regime zu kämpfen und auf seine Landsleute zu schießen, weil Jugoslawien von niemandem angegriffen worden sei. Er halte es für ein grundlegendes Menschenrecht, nicht in einen Krieg ziehen zu müssen, in welchem es keine Feinde gebe. Es würden nur Reservisten der Volksgruppenminderheiten, nicht aber Serben eingezogen. Im Fall seiner Rückkehr müsse er, da auf Fahnenflucht die Todesstrafe stehe, wegen seiner Desertion um sein Leben fürchten; er berufe sich daher auf Art. 33 der Genfer Flüchtlingskonvention.
Der belangten Behörde ist zunächst beizupflichten, wenn sie die vom Beschwerdeführer in seiner Berufung erstmals geltend gemachte Festnahme im Zusammenhang mit der Teilnahme an einer Demonstration als nicht geeignet angesehen hat, begründete Furcht vor Verfolgung zu erwecken. Wie der Verwaltungsgerichtshof schon zu wiederholten Malen ausgeführt hat, kann aus der Teilnahme an einer verbotenen Demonstration und einer im Anschluß daran erfolgenden Festnahme und Anhaltung für sich allein Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention nicht abgeleitet werden (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 17. Juni 1993, Zlen. 93/01/0348, 0349).
Die belangte Behörde vertrat in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Auffassung, daß die Einberufung zum Militärdienst bzw. die Verweigerung, diesen abzuleisten, aber auch die Furcht vor einer aus diesen Gründen drohenden Strafe nicht als asylbegründende Tatsachen angesehen werden könnten. Im Zusammenhang damit stellte die belangte Behörde die Praxis der jugoslawischen Militärbehörden bei der Einberufung dar und verwies darauf, daß weder bei der Einberufung noch bei der Strafverfolgung an ethnische Kriterien anknüpfende Unterscheidungen getroffen würden. Auch hätten sich die Truppen der "ehemaligen SFRJ" beginnend mit Ende April 1992 aus Bosnien-Herzegowina zurückgezogen, sodaß die Befürchtung des Beschwerdeführers, im Fall seines Aufgreifens an der Front eingesetzt zu werden, nicht mehr mit den tatsächlichen Gegebenheiten übereinstimme.
Der belangten Behörde ist auch insoweit zu folgen, als die Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes - sei es durch Nichtbefolgung eines Einberufungsbefehls, sei es durch Desertion - nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für sich allein nicht die Anerkennung eines Asylwerbers als Flüchtling rechtfertigt. Der Verwaltungsgerichtshof geht allerdings von einer asylrechtlich relevanten Furcht vor Verfolgung in solchen Fällen aus, in denen die Einberufung aus einem der in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Gründe erfolgt, in denen damit gerechnet werden müßte, daß ein Asylwerber hinsichtlich seiner Behandlung oder seines Einsatzes während des Militärdienstes aus diesen Gründen im Vergleich zu Angehörigen anderer Gruppierungen in erheblicher, die Intensität einer Verfolgung erreichender Weise benachteiligt würde, oder in denen davon auszugehen ist, daß dem Asylwerber aus diesen Gründen eine - im Vergleich zu anderen Staatsangehörigen - härtere Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung droht (vgl. insbesondere das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377, Slg. Nr. 14.089/A).
Der Beschwerdeführer hat in seiner Berufung ausdrücklich geltend gemacht, daß nur Reservisten von Volksgruppenminderheiten, nicht aber Serben zum Militär eingezogen würden, und damit inhaltlich vorgebracht, seine Einberufung sei auf seine Zugehörigkeit zur albanischen Minderheit zurückzuführen, wobei er befürchtete, im Krieg eingesetzt zu werden. Den Ausführungen der belangten Behörde über den Abzug der Jugoslawischen Bundesarmee hat der Beschwerdeführer in der Beschwerde entgegengesetzt, daß im Zeitpunkt seiner Ausreise der Rückzug dieser Armee aus Bosnien-Herzegowina noch nicht abgeschlossen gewesen sei und er, weil seitens der serbischen Armee am 25. April 1992 nach ihm gesucht worden sei, nicht habe wissen können, daß ihm ein Einsatz in Bosnien nicht drohe. Damit vermag er zwar die Feststellung der belangten Behörde über die im maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht gegebene Beteiligung der Armee, zu der er hätte eingezogen werden sollen, an Kriegshandlungen in Bosnien-Herzegowina nicht zu entkräften. Der Beschwerdeführer macht aber in der Beschwerde auch geltend, daß bei der Einberufung nach wie vor ethnische Differenzierungen vorgenommen würden, daß Albaner beim jugoslawischen Militär viel schlechter behandelt würden als etwa Serben und daß gefährliche Einsätze im wesentlichen Kosovoalbaner träfen. Dieses im wesentlichen erstmals in der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde erstattete Vorbringen verstößt angesichts des Umstandes, daß dem Beschwerdeführer zu den seinen Ausführungen entgegenstehenden behördlichen Feststellungen über das Nichtbestehen ethnischer Differenzierungen im Verwaltungsverfahren nicht Parteiengehör eingeräumt wurde, nicht gegen das gemäß § 41 VwGG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot. Diesen Ausführungen kann im Lichte der angeführten Rechtsprechung hinsichtlich der Einberufung zum Militärdienst und dessen Ableistung nicht von vornherein die Relevanz abgesprochen werden. Auch hat die belangte Behörde weder angegeben noch kann den Verwaltungsakten entnommen werden, auf welche Ermittlungen sich ihre in Widerspruch zu den Ausführungen des Beschwerdeführers stehenden Feststellungen stützen. Die Beschwerde macht in diesem Zusammenhang zu Recht als Verfahrensmangel geltend, daß die belangte Behörde keine geeigneten Ermittlungen unter Wahrung des Parteiengehörs durchgeführt hat. Infolge des Fehlens solcher Ermittlungsergebnisse ist aber eine schlüssige Beurteilung der Frage, ob dem Beschwerdeführer Flüchtlingseigenschaft zukommt, nicht gewährleistet (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 31. Jänner 1996, Zl. 95/01/0081).
Der sohin mit wesentlichen Verfahrensmängeln belastete angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1995010227.X00Im RIS seit
20.11.2000