Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Priv.-Doz. Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. M***** U*****, vertreten durch die Knirsch, Gschaider & Cerha Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei Ing. M***** S*****, vertreten durch Mag. Agnes Lepschy, Rechtsanwältin in Altlengbach, wegen Feststellung, Beseitigung, Freihaltung eines Servitutswegs, Unterlassung und Duldung, über die ordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 9. Oktober 2019, GZ 4 R 118/19h-35, womit das Urteil des Landesgerichts Leoben vom 18. Jänner 2019, GZ 8 Cg 21/18a-23, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 10. Juni 2019, GZ 8 Cg 21/18a-31, in der Hauptsache bestätigt wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.543,58 EUR (darin 423,93 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin ist Alleineigentümerin einer Liegenschaft, deren Nachbarliegenschaft bei Zustellung der Klage im vorliegenden Verfahren dem Beklagten gehörte und erst danach an einen Dritten veräußert wurde. Zugunsten der Liegenschaft der Klägerin und zu Lasten der Liegenschaft des Beklagten ist unter anderem eine Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens auch für Kraftfahrzeuge von der öffentlichen Hauptstraße über die Liegenschaft des Beklagten in einer Breite von vier Metern gemäß einem Kaufvertrag aus 1949 einverleibt. Der Servitutsweg ist rund 40 m lang und verläuft (an die Hauptstraße anschließend) von der nördlichen bis zur südlichen Grundstücksgrenze der dienenden Liegenschaft des Beklagten.
Die Parteien schlossen 2008 vor dem Bezirksgericht ***** zu AZ ***** einen – unstrittig unverändert rechtswirksamen – Vergleich über den Inhalt dieser Servitut; Punkt 1. des Vergleichs wurde als Konkretisierung der bestehenden Dienstbarkeit ebenfalls verbüchert; er lautet auszugsweise:
„1. Es wird festgestellt,
a) und b) [… Wegverlauf …]
c) dass die beklagte Partei als Eigentümerin des dienenden Grundstücks […] und ihre Rechtsnachfolger im Eigentum der Liegenschaft verpflichtet sind zu dulden, dass die klagende Partei als Eigentümerin der herrschenden Liegenschaft […] und ihre Rechtsnachfolger im Eigentum dieser Liegenschaft den zugunsten der herrschenden Liegenschaft bestehenden […] als Dienstbarkeit sichergestellten Geh- und Fahrweg in einer Breite von 3 m in einem befestigten Zustand erhalten. Darin ist jedoch kein Verzicht der klagenden Partei auf eventuell bestehende weitergehende Rechte in dieser Hinsicht zu verstehen.“
In Punkt 2.a dieses Vergleichs verpflichtete sich der Beklagte, die in Punkt 1. beschriebene Dienstbarkeit zu dulden.
In Punkt 2.c dieses Vergleichs verpflichtete sich der Beklagte bei sonstiger Exekution, jede Störung der Dienstbarkeit des Geh- und Fahrrechts in einer Breite von vier Metern gemäß dem Kaufvertrag aus 1948 „durch Abstellen von Fahrzeugen oder Errichtung von Bauwerken auf dem Servitutsweg oder in diesen hineinragend oder jede ähnliche Störung zu unterlassen, insbesondere alles zu unterlassen, was die jederzeitige Zu- und Abfahrt zum bzw vom herrschenden Grundstück erschweren oder behindern könnte“. Der Beklagte verpflichtete sich weiters, „derartige Störungen durch Dritte, durch Aufstellen einer Hinweistafel, sowie schriftliche Anweisung an ihre [richtig: seine] auf der Liegenschaft tätigen oder aufhältigen Vertragspartner hintanzuhalten“.
Weil der Beklagte gegen diesen Vergleich verstoßen und die Servitut gestört habe, indem er einen durch eine Steinschlichtung begrenzten Parkplatz und einen Balkon errichtet hätte, führte die Klägerin als (dort) Betreibende zu AZ ***** beim Bezirksgericht ***** ein Exekutionsverfahren gegen den Beklagten als dort Verpflichteten, über den zum Teil Strafen verhängt wurden; zum Teil wurden Strafanträge der (hier) Klägerin abgewiesen.
Der (hier beklagte) Verpflichtete wiederum führte zu AZ ***** des Bezirksgerichts ***** jeweils als (dort) Kläger gegen die (hier klagende) Betreibende (dort als Beklagte) drei Impugnationsverfahren mit der Behauptung, dass er die ihm durch den Vergleich auferlegten Pflichten einhalte. Diesen Klagen wurde teils stattgegeben und die Exekutionen als unzulässig erkannt, weil der (hier) Beklagte nicht dem Exekutionstitel zuwider gehandelt habe, teils wurde sein Impugnationsbegehren abgewiesen.
Mit ihrer Klage vom 29. 3. 2018 begehrt die Klägerin nunmehr zusammengefasst (Gliederungs-bezeichnungen laut Ersturteil):
II.1. die Feststellung, dass der genannte Vergleich „unverändert in vollem Umfang weiter aufrecht bleibt“;
II.2. a. Reste von Sandaufschüttung und Steinschlichtung b. die nördlichen Torflügel samt Verbotstafel c. den westlichen Torsteher sowie d. die südlichen Torflügel vom Servitutsweg zu beseitigen und e. Zufahrt und Zugang offen zu halten, in eventu ein positives Feststellungsurteil in diesen Punkten zu erlassen;
II.3. die Anbringung von Verbots- und Hinweistafeln oder Ähnlichem zu unterlassen, in eventu ein positives Feststellungsurteil in diesem Punkt zu erlassen;
II.4. die Schneeräumung auf dem Servitutsweg und das Schieben des Schnees auf das dienende Grundstück neben dem Weg zu dulden;
II.5. festzustellen, dass der Beklagte den Weg in einer durchgehenden lichten Zufahrtshöhe von mindestens 4,4 m offen zu halten habe;
II.6. es zu dulden, dass die Klägerin auf ihre Kosten den Servitutsweg in 2,5 m Breite befestige; hilfsweise festzustellen, dass der Beklagte schuldig sei, dies zu dulden.
Die Klägerin stellte weiters den Zwischenantrag auf Feststellung, über das Feststellungsbegehren laut Punkt 1. möge vorweg mit Zwischenurteil entschieden werden (I.), sowie den Antrag, über den Beklagten eine angemessene Mutwillensstrafe gemäß § 408 ZPO in Höhe von 6.576 EUR zu verhängen, weil er bewusst falsches Vorbringen in Bereicherungs- bzw Schädigungsabsicht erstattet habe (III.).
Die Klägerin stütze ihre Ansprüche auf die wie folgt gereihten Anspruchsgrundlagen: Primär die 1949 verbücherte Servitut und deren verbücherte Konkretisierung; subsidiär auf spätestens 1981 vollendete 30-jährige Ersitzung seit 1949; sodann auf das Gesetz, insbesondere die Verletzung von Schutzgesetzen, und zuletzt in eventu auf lückenlose obligatorische Vertragsübernahme durch den Beklagten. Die Klägerin habe zufolge der Abweisung ihrer Anträge im Exekutionsverfahren ein rechtliches Interesse daran, zwecks Erlangung eines durchsetzbaren Exekutionstitels die Leistungsbegehren und die Feststellungsbegehren klageweise geltend zu machen. Nach Meinung des Rekursgerichts im Exekutionsverfahren sei der Vergleich kein zur Exequierung tauglicher Titel. Die Wirkungen der Impugnationsklage beschränkten sich auf den Vollstreckungsanspruch, hätten aber keine Wirkungen auf den vollstreckbaren materiellen Anspruch. Da der Vergleich aus 2008 zwar materiell und prozessual gültig, nach der Rechtsprechung des Exekutionsgerichts aber in seiner Funktion als Exekutionstitel unwirksam sei und der Beklagte die Servitutsrechte der Klägerin bestreite, habe diese einen Anspruch auf Schaffung von Exekutionstiteln. Der Beklagte habe auf dem Servitutsweg einen mit Steinschlichtung begrenzten und mit Sand aufgeschütteten Parkplatz errichtet und dadurch die Wegbreite so eingeschränkt, dass ein Befahren mit LKW nicht möglich sei. Der Holzsteher des südlichen Tores rage in den Servitutsweg hinein und dieses Tor sowie ein identes Holztor am nördlichen Ende des Servitutswegs, auf dem sich zudem eine Verbotstafel befinde, würden dauernd geschlossen gehalten. Der Beklagte habe ein Seil für ein Sonnensegel quer über den Servitutsweg gespannt und halte dadurch die insbesondere für die Feuerwehrzufahrt gebotene lichte Durchfahrtshöhe von 4,4 m nicht ein. Er weigere sich, die Schneeräumung des Servitutswegs zu dulden. Hilfsweise werde vorgebracht, dass sich die Verhältnisse seit dem Vergleich so geändert hätten, dass eine Interessensabwägung zugunsten der Klägerin spreche. Sie habe keine andere Zufahrtsmöglichkeit zu ihrem Grundstück. Der Beklagte und seine Familie bewohnten die Liegenschaft nicht.
Der Beklagte brachte vor, der Klägerin fehle das Rechtsschutzinteresse, weil über ihre Ansprüche bereits im Vergleich aus 2008 abgesprochen worden sei. Dessen Bestehen und Wirksamkeit würden nicht bestritten. Hinsichtlich der Sandaufschüttung, des westlichen Torstehers, des Geschlossenhaltens sämtlicher Tore und des Sonnensegels sei bereits im Impugnationsverfahren ausgesprochen worden, dass keine Einschränkung der Servitut vorliege. Zur Schneeräumung sei die Klägerin berechtigt, was der Beklagte nie bestritten habe. Die Tore müssten zum Schutz der (Klein-)Kinder des Beklagten geschlossen bleiben, was keine wesentliche Erschwernis für die Klägerin sei; sie habe ohnehin eine andere Zufahrtsmöglichkeit zu ihrem Grundstück. Eine Asphaltierung sei weder notwendig noch tunlich.
Das Erstgericht wies den Zwischenfeststellungsantrag (I.), das gesamte sonstige Klagebegehren (II.) und den Antrag auf Verhängung einer Mutwillensstrafe (III.) ab. Der Vergleich aus 2008 sei vollinhaltlich rechtswirksam; auch der Beklagte sowie das Exekutionsgericht und das Rekursgericht im Exekutionsverfahren hätten ihn als tauglichen Exekutionstitel erachtet. Die Entscheidungen im Exekutions- und im Impugnationsverfahren stützten sich darauf, dass der Beklagte schlicht keine Störungshandlungen gesetzt habe. Der Klägerin fehle aufgrund des vollstreckbaren Titels das rechtliche Interesse. Zur Ersitzung sei auszuführen, dass die Servitut verbüchert sei und ein gerichtlicher Vergleich vorliege. Gegen behauptete Verletzungen des Vergleichs und betreffend die Asphaltierung des Wegs habe sie Abhilfe im Exekutionsweg zu suchen. Eine Mutwillensstrafe nach § 408 ZPO komme zufolge Unterliegens der Klägerin nicht in Betracht.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der Bestand der Servitut dem Grunde nach sowie der aufrechte Bestand des Exekutionstitels seien unstrittig; durch die begehrte Feststellung und den Zwischenantrag könnten allfällige objektive Ungewissheiten über den Umfang des Wegerechts nicht beseitigt werden. Der Vergleich aus 2008 sei ein tauglicher Exekutionstitel für eine Duldungs- oder Unterlassungsexekution nach § 355 EO, die der Klägerin auch bewilligt worden und weiterhin aufrecht sei. Die Klägerin strebe im Grunde eine Auslegung des Vergleichs aus 2008 an, die letztlich zu zusätzlichen Exekutionstiteln führen solle, mit deren Hilfe sie im weiteren Exekutionsweg jene Zustände erreichen wolle, die ihr im bisherigen Exekutionsverfahren verwehrt geblieben seien. Es gehe um die Frage, ob eine allfällige Einschränkung der Dienstbarkeit im Exekutionsverfahren über die Auslegung des Exekutionstitels oder im Prozess zu klären sei. Da hier ein Duldungs- und Unterlassungstitel bestehe, auf dessen Grundlage bereits die Exekution bewilligt worden und das (einfachere) Vorgehen nach § 356 EO möglich sei, erscheine die Schaffung gesonderter Beseitigungstitel mit anschließender gesonderter exekutiver Durchsetzung nicht zulässig, weil dies nur den Zweck hätte, die Auslegung des ursprünglichen Exekutionstitels durch die Exekutionsgerichte zu korrigieren. Die Geltendmachung desselben Anspruchs wie jenes, der zum Vergleich geführt hätte (oder eines Teils hiervon), ziehe nach der Rechtsprechung die inhaltliche Abweisung des Klagebegehrens nach sich. Die einzelnen Begehren zielten nur auf eine Konkretisierung der titelmäßigen Verpflichtungen ab. Das Begehren auf Duldung der Schneeräumung auf Kosten der Klägerin sei ebenfalls vom bestehenden Exekutionstitel umfasst. Das weitere Begehren, den Schnee auf den nicht von der Dienstbarkeit umfassten Teil seiner (ehemaligen) Liegenschaft zu schieben, sei aus dem bestehenden Exekutionstitel nicht abzuleiten; auf den Rechtsgrund, ein solches Recht ersessen zu haben, stütze sich die Klägerin im Berufungsverfahren nicht mehr. Die begehrte Duldung der Asphaltierung des Servitutswegs in einer Breite von 2,5 m wiederum sei durch die Auslegung des Vergleichs aus dem Jahr 2008 im Rahmen der Exekution nach § 355 EO zu beurteilen. Vermöchten schon die jeweiligen Beseitigungs-, Duldungs- und Unterlassungsbegehren kein Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin zu begründen, so treffe dies umso mehr auf die jeweils korrespondierenden Feststellungsbegehren zu, die sie ebenso aus dem gerichtlichen Vergleich von 2008 ableiten wolle. Die Abweisung des Antrags nach § 408 ZPO sei nicht zu beanstanden.
Das Berufungsgericht bewertete den Entscheidungsgegenstand in den einzelnen Spruchpunkten teils mit 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigend, teils auch mit 30.000 EUR übersteigend und ließ insgesamt die ordentliche Revision zur Frage zu, ob die allfällige Einschränkung einer Dienstbarkeit nur im Exekutionsverfahren durch Titelauslegung oder nachträglich im Prozess zu klären sei.
Mit ihrer ordentlichen Revision beantragt die Klägerin die Klagsstattgebung, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.
Als Nichtigkeit rügt die Klägerin das Unterbleiben ihrer eidlichen Parteienvernehmung in erster Instanz. Dass sie auf Ersitzung als Anspruchsgrund nicht mehr zurückgekommen sei, wäre aktenwidrig. Das Berufungsverfahren sei mangelhaft geblieben. Nach richtiger Rechtsansicht sei die Klägerin nicht bloß auf Abhilfe im Exekutionsverfahren zu verweisen, sondern könne die behauptete Inhaltsänderung der Servitut, derer sich der Beklagte berühme, mit Klage bekämpfen.
Dazu wurde erwogen:
A. Zur Nichtigkeit:
Das Berufungsgericht hat sich mit dem bereits in der Berufung als Nichtigkeit geltend gemachten Einwand auseinandergesetzt und ihn als unberechtigt erkannt. Nichtigkeiten, die im erstinstanzlichen Verfahren unterlaufen sind, können im Revisionsverfahren nicht mehr geltend gemacht werden (RS0042925; RS0042981; RS0043405), auch nicht unter
Berufung auf einen anderen Rechtsmittelgrund (1 Ob 44/20g mwN).
B. Zur Aktenwidrigkeit:
Im Umstand, dass das Berufungsgericht die Auffassung vertrat, die Klägerin sei auf Ersitzung als Anspruchsgrund nicht mehr zurückgekommen, liegt keine Aktenwidrigkeit.
C. Zur Mangelhaftigkeit:
1. Das Vorliegen der von der Klägerin geltend gemachten angeblichen Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens hat bereits das Berufungsgericht verneint, weshalb sie in der Revision nicht mehr mit Erfolg neuerlich geltend gemacht werden können (RS0042963).
2. Ein Mangel des Berufungsverfahrens liegt nicht vor: Die Frage, ob dem Vergleich 2008 im Hinblick auf frühere Anspruchsgrundlagen novierende Wirkung zugedacht wurde, hat für die Frage seines Bestehens an sich oder für das Feststellungsinteresse ebenso wenig Relevanz wie etwa das Unterbleiben der Parteienvernehmung der Klägerin, eines Lokalaugenscheins, der Vorlage von Krankengeschichten oder der Beischaffung der Exekutionsakten.
D. Zur Feststellung der Geltung des Vergleichs (Punkte I. und II.1. des Ersturteils):
1. Das Vorliegen des Feststellungsinteresses ist Voraussetzung für die Begründetheit des Feststellungsanspruchs (RS0039177) und vom Kläger nachzuweisen (RS0039239); eine Feststellungsklage ist bei mangelndem rechtlichen Interesse an der alsbaldigen Feststellung durch Urteil abzuweisen (RS0039201). Ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung besteht dann, wenn ein aktueller Anlass zur präventiven Klärung des strittigen Rechtsverhältnisses besteht, was insbesondere dann der Fall ist, wenn das Rechtsverhältnis durch eine ernsthafte Unsicherheit gefährdet erscheint, etwa, wenn der Beklagte ein Recht des Klägers hartnäckig bestreitet (RS0039202 [T7]; RS0038968). Ein rechtliches Interesse liegt dann vor, wenn das begehrte Urteil zwischen den Streitparteien über einen allfälligen Leistungsanspruch hinaus geeignet ist, Grundlage für die weiteren Rechtsbeziehungen der Parteien untereinander zu sein, also durch den möglichen Leistungsanspruch der Feststellungsanspruch nicht voll ausgeschöpft wird. Dabei ist es gleichgültig, ob die mögliche Leistungsklage eine Klage auf Leistung oder Unterlassung ist (RS0039202 [T8]).
2. Hier bestreitet der Beklagte nicht das Bestehen des vollstreckbaren Vergleichs; Streit herrscht nur darüber, wie der Vergleich auszulegen ist und ob er die behaupteten Handlungen des Beklagten verbietet. Dass die enge Auslegung des Vergleichs durch das Exekutionsgericht nichts mit der Frage zu tun hat, ob der Vergleich an sich besteht, haben die Vorinstanzen ebenfalls bereits erkannt.
3. Für die Frage der Feststellung des Bestehens des Vergleichs haben die Vorinstanzen zutreffend das Fehlen rechtlichen Interesses der Klägerin angenommen. Die Abweisung des Zwischenantrags auf Feststellung und des Feststellungsbegehrens ist daher zu Recht erfolgt.
E. Zu den Leistungs- und Unterlassungsbegehren in den Punkten II.2. bis II.6. des Ersturteils:
1.1. Der gerichtliche Vergleich ist eine doppelfunktionale Prozesshandlung: Er hat zugleich den Charakter eines zivilrechtlichen Vertrags und einer Prozesshandlung (RS0032587).
1.2. So wie ein Vertrag ist auch ein Vergleich grundsätzlich nach den §§ 914 f ABGB im Sinne der Vertrauenstheorie zu verstehen und so auszulegen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht (vgl RS0017943, RS0014696). Demnach ist bei der Auslegung von Vereinbarungen nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften, sondern ausgehend vom Wortlaut die Absicht der Parteien zu erforschen (vgl RS0017797). Darunter ist allerdings nicht irgendein unkontrollierbarer Parteiwille, sondern nichts anderes als der Geschäftszweck zu verstehen (RS0017756). Ist ein (übereinstimmender) konkreter Parteiwille nicht zu ermitteln, kommt der objektiven Vertragsauslegung unter Berücksichtigung des üblichen Verständnisses bestimmter Formulierungen und der redlichen Verkehrsübung entscheidende Bedeutung zu (vgl 1 Ob 221/10x). Der Vertrag ist daher unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs (RS0017817 [T3], RS0017902) aufgrund der Erklärungen in dem Sinn, den sie nach der Sachlage notwendigerweise für den Partner haben mussten (RS0017781), und damit so auszulegen, wie er bei objektiver Beurteilung der Sachlage für einen redlichen und verständigen Empfänger zu verstehen war (RS0113932; 4 Ob 173/18x). Ferner ist auch das dem Abschluss vorangehende oder nachfolgende Verhalten der Vertragspartner zur Beurteilung der Parteiabsicht heranzuziehen (RS0017815).
Auch ein Vergleich kann – muss jedoch nicht (RS0032600) – novierende Wirkung haben (RS0108086), für deren Bejahung es darauf ankommt, ob aufgrund der festgestellten Umstände davon auszugehen ist, dass bei objektiver Betrachtung nach dem übereinstimmenden Parteiwillen bei Abschluss des Vergleichs aufgrund strittiger Rechtspositionen von der Schaffung eines neuen Rechtsgrundes auszugehen ist (vgl RS0108086 [T2]).
1.3. Im Exekutionsverfahren hat keine Auslegung nach § 914 ABGB stattzufinden (RS0000207 [T6]), sondern das Exekutionsgericht hat sich streng an den Wortlaut des Titels zu halten (RS0000595 [T3, T5]; RS0000205). Es kann nur aus diesem selbst schließen, was die Parteien oder das Gericht in Wirklichkeit gemeint haben; wenn der Titel aus Parteienerklärungen besteht, wie zB aus einem Vergleich, kommt es auf den objektiven Sinn an, der sich aus der Verpflichtungserklärung im Zusammenhang mit dem sonstigen Inhalt des Titels ergibt, nicht aber darauf, was die Partei im Einzelfall gewollt hat (RS0000207 [insb T1]); die materielle Rechtslage ist dagegen nicht maßgeblich (vgl
Nur ein Verhalten des Verpflichteten, welches eindeutig gegen das im Exekutionstitel ausgesprochene Unterlassungsgebot verstößt, rechtfertigt Exekutionsschritte gemäß § 355 EO (RS0000595). Unklarheiten darüber, welches Verhalten durch das aus dem Exekutionstitel hervorgehende Gebot oder Verbot noch gedeckt ist, gehen im Exekutionsverfahren stets zu Lasten der betreibenden Partei (RS0000595 [T2]).
2.1. Besitzt der Kläger schon einen Exekutionstitel, mit dem er auch seinen Anspruch auf Unterlassung auf dem Wege des § 355 EO exekutiv durchsetzen kann, steht dem Erfolg eines neuerlichen Unterlassungsbegehrens das Fehlen des erforderlichen (materiellen) Rechtsschutzbedürfnisses entgegen (vgl RS0002451). Das Fehlen des materiellen Rechtsschutzbedürfnisses führt zur Abweisung einer Klage als unbegründet (vgl RS0037297; RS0038062 [T1]; RS0079417 [insb T4]; RS0038062 [T1]).
2.2. Wenn ein bereits bestehender Exekutionstitel auch das gesamte in einem späteren Verfahren behauptete Verhalten erfasst, fehlt insofern das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers (vgl 4 Ob 113/03a mwN; RS0079417 [T3, T6]). Zu fragen ist immer, ob das im ersten Verfahren bereits erwirkte Gebot einen tauglichen Exekutionstitel zur Abstellung auch des gesamten im zweiten Verfahren behaupteten Verhaltens bildet (vgl RS0079417 [T5]).
3.1. Nach dem Exekutionstitel hat der Beklagte jede Störung der Dienstbarkeit des Geh- und Fahrrechts in einer Breite von vier Metern gemäß dem Kaufvertrag aus 1948 „durch Abstellen von Fahrzeugen oder Errichtung von Bauwerken auf dem Servitutsweg oder in diesen hineinragend oder jede ähnliche Störung zu unterlassen, insbesondere alles zu unterlassen, was die jederzeitige Zu- und Abfahrt zum bzw vom herrschenden Grundstück erschweren oder behindern könnte“. Er hat weiters zu dulden, dass die Klägerin den Geh- und Fahrweg in einer Breite von drei Metern in einem befestigten Zustand erhält.
Dieser Vergleich bietet keinen Raum für Einschränkungen irgendwelcher Art und deckt nach seinem klaren und eindeutigen Wortlaut jedwede Störung, die die jederzeitige Zu- und Abfahrt auch nur behindern könnte, ebenso ab wie die Befestigung des Wegs, und damit sämtliche Handlungen, die von der Klägerin nunmehr zum Gegenstand ihrer Begehren gemacht wurden. Der Vergleich ist als Exekutionstitel nach § 355 EO auch nicht zu unbestimmt.
Bei richtigem Verständnis des Vergleichs sind daher die von der Klägerin gestellten Beseitigungs-, Duldungs- und Unterlassungsbegehren durch Anträge auf Exekution des vollstreckbaren Titels durchzusetzen.
3.2. Ergänzend ist festzuhalten, dass der Servitutsberechtigte die Schneeräumung auf die der fortgeschrittenen technischen Entwicklung entsprechende Art vornehmen lassen darf. Auch dadurch, dass bei mechanischer Schneeräumung ein Teil der auf dem Servitutsweg liegenden Schneemassen vom Räumgerät auf den anschließenden, vom Fahrtrecht nicht erfassten Teil des Grundes des Beklagten geschoben wird, kann sich der Eigentümer des dienenden Guts nicht beschwert erachten, weil er die Schneeräumung des Servitutswegs zu dulden hat (RS0011781).
3.3. Der auch in der Revision noch hervorgehobene Umstand, dass die Klägerin im bisherigen Exekutionsverfahren nicht (gänzlich) durchgedrungen ist, ist angesichts des klaren Titelwortlauts für das vorliegende Verfahren unbeachtlich. Auf künftige Exekutionsverfahren haben die bisherigen Entscheidungen des Exekutionsgerichts keinen Einfluss. Auch auf die Frage, ob der Vergleich novierende Wirkung hatte oder die Klägerin die nunmehr geltend gemachten Rechte ersessen habe, kommt es nicht an.
Dementsprechend fehlt es auch an der Grundlage für die jeweils hilfsweise erhobenen korrespondierenden Feststellungsbegehren der Klägerin.
4. Die Vorinstanzen haben daher das Fehlen von Rechtsschutzinteresse in Bezug auf die Begehren in den Punkten II.2. bis II.6. des Ersturteils – teils im Ergebnis – zutreffend erkannt. Auf die Zulassungsfrage kommt es angesichts des eindeutigen vollstreckbaren Vergleichs (vgl dagegen zu undeutlichen Titeln:
RS0000255) nicht an.
F. Zu § 408 ZPO (Punkt III. des Ersturteils):
1. Der Entschädigungsanspruch nach § 408 ZPO ist keine Mutwillensstrafe oder Buße, sondern ein materiell-rechtlicher Schadenersatzanspruch, der – als selbständiger Anspruch mit selbständigem Rechtsgrund (RS0041183;
RS0041194) – dem Grunde und der Höhe nach bewiesen werden muss (RS0041173).
2. Hier haben die Vorinstanzen zutreffend erkannt, dass zufolge der Abweisung der Punkte des Klagebegehrens, dessen Bestreitung den Anlass des Antrags nach § 408 ZPO bildete, der Beklagte keinen Schaden der Klägerin verursacht hat.
3. Auch insofern konnte daher der Revision kein Erfolg beschieden sein.
G. Ergebnis:
1. Insgesamt waren die Entscheidungen der Vorinstanzen zu bestätigen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO.
Textnummer
E128998European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0040OB00005.20V.0702.000Im RIS seit
04.09.2020Zuletzt aktualisiert am
04.09.2020