TE Vfgh Beschluss 1996/2/27 B1709/95, B1717/95, B2334/95

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Veröffentlicht am 27.02.1996
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Index

83 Natur- und Umweltschutz
83/01 Natur- und Umweltschutz

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
AbfallwirtschaftsG §29
GewO 1973 §354

Leitsatz

Zurückweisung von Beschwerden gegen die Genehmigung des Versuchsbetriebs einer thermischen Reststoffverwertung mangels Parteistellung der Nachbarn

Spruch

Die Beschwerden werden zurückgewiesen.

Der Antrag auf Abtretung der zu B1709/95 protokollierten Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wird abgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1. Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 19. April 1995 wurde der mitbeteiligten Partei gemäß §29 Abs1 Z3 und §29 Abs8 Abfallwirtschaftsgesetz, BGBl. 325/1990 idF BGBl. 155/1994, (AWG) iVm. §354 Gewerbeordnung 1994, BGBl. 194/1994, (GewO 1994), die Genehmigung zur Durchführung eines Versuchsbetriebes des Projektes "Thermische Reststoffverwertung Lenzing - März 1994" befristet auf drei Jahre ab tatsächlicher Aufnahme des Versuchsbetriebes unter Auflagen auf näher bezeichneten Grundstücken erteilt.

2. In den auf Art144 B-VG gestützten Beschwerden verschiedener Nachbarn und Gemeinden rügen die beschwerdeführenden Parteien die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung rechtswidriger genereller Normen.

Zur Begründung ihrer Beschwerdelegitimation führen die Beschwerdeführer der zu B1709/95 protokollierten Beschwerde aus, daß durch diesen Bescheid "die materielle Rechtslage insofern verändert wird, als damit die Errichtung und der Betrieb der Anlage eben in den vom Bescheid erfaßten Umfang zulässig ist". Damit seien aber jedenfalls auch die in den §§74 ff GewO 1994 umschriebenen Nachbarrechte berührt. Da der Nachbar keine Belästigung oder Gefährdung dulden müsse, die mit dem Betriebsanlagenrecht unvereinbar ist, könne die Bestimmung des §354 letzter Satz GewO 1994 nur dahingehend verstanden werden, daß die Genehmigung eines Versuchsbetriebes zwar nicht im administrativen Instanzenzug, wohl aber vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts angefochten werden kann.

In den zu B1717/95 und B2334/95 protokollierten Beschwerden wird insbesondere versucht, aus der Andersartigkeit und Selbständigkeit des Bewilligungsverfahrens gemäß §29 AWG ein Argument für die Parteistellung der Nachbarn abzuleiten.

3. Die belangte Behörde hat jeweils eine Gegenschrift erstattet, in denen sie die Zurückweisung der Beschwerden, in eventu deren Abweisung beantragt.

4. Auch die mitbeteiligte Partei begehrt in ihren Äußerungen die Zurückweisung der Beschwerden und in eventu die Abweisung.

II. Die Beschwerden sind unzulässig.

1. Nach §29 Abs1 Z3 AWG bedarf die Errichtung von "Anlagen zur thermischen Verwertung oder sonstigen Behandlung von nicht gefährlichen Abfällen oder Altölen, ausgenommen zur stofflichen Verwertung, mit einer Jahreskapazität von mindestens 10.000 Tonnen," einer Genehmigung des Landeshauptmannes. §29 Abs5 Z6 AWG räumt die "Parteistellung in diesem Verfahren" auch "Nachbarn (§75 Abs2 und 3 Gewerbeordnung 1973) (ein), die Einwendungen gemäß Abs4 innerhalb der sechswöchigen Frist erhoben haben".

§29 Abs8 AWG sieht einerseits für das abfallwirtschaftsrechtliche Genehmigungsverfahren das Institut des "Probebetriebes" vor und verweist hinsichtlich der "Festlegung und Durchführung des Probebetriebes" auf §78 Abs2 GewO 1973 idF BGBl. 399/1988. Hinsichtlich der Befristung des Probebetriebes sowie der Parteistellung in diesem Verfahren trifft §29 Abs8 AWG eine eigene, von der GewO 1973 abweichende Regelung. Andererseits erklärt §29 Abs8 AWG "die Durchführung eines Versuchsbetriebes ... unter den Voraussetzungen des §354 Gewerbeordnung 1973 in der jeweils geltenden Fassung (für) zulässig". Hinsichtlich der Parteistellung im Versuchsbetriebsgenehmigungsverfahrens enthält §29 Abs8 AWG - anders als hinsichtlich der Durchführung eines Probebetriebes - keine Anordnungen. Der Verfassungsgerichtshof geht sohin entgegen der von den Beschwerdeführern vertretenen Auffassung davon aus, daß §29 Abs8 AWG hinsichtlich der Versuchsbetriebsgenehmigung ausschließlich die in §354 GewO 1973 enthaltenen Anordnungen - auch in bezug auf die bei der Versuchsbetriebsgenehmigung fehlende Parteistellung der Nachbarn - übernommen hat.

Wie schon der Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluß vom 20. Juli 1995, Z95/07/0090, ausgeführt hat, ergibt sich

"aus der Struktur des §29 Abs8 AWG ... zum einen, daß der Gesetzgeber die in dieser Bestimmung geregelten Verfahren als eigene Verfahren ansieht, wäre doch sonst die für die Festlegung und Durchführung eines Probebetriebes getroffene Anordnung, daß dabei die in Abs5 Genannten Parteistellung haben, überflüssig. Zum anderen ergibt sich daraus, daß der Gesetzgeber die Zuerkennung der Parteistellung für die im Abs5 Genannten ausdrücklich auf das Verfahren zur Vorschreibung einer Betriebsbewilligung beschränkt hat, daß in dem im unmittelbaren Anschluß an diese Anordnung geregelten Verfahren zur Erteilung einer Versuchbetriebs-Genehmigung diesen Personen keine Parteistellung zukommen soll."

§29 Abs8 letzter Satz AWG verweist vielmehr hinsichtlich der formellen und materiellen Voraussetzungen zur "Durchführung" eines Versuchsbetriebes auf §354 GewO 1973 in der jeweils geltenden Fassung. Im Verfahren zur Genehmigung eines Versuchsbetriebes nach der GewO 1973 kommt aber nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts (VfSlg. 13013/1992, VwGH 23.4.1991, 90/04/0321; 12.7.1994, 92/04/0191; 29.5.1990, 89/04/0153; 27.6.1995, 95/04/0114) nur dem Antragsteller Parteistellung zu.

Bezüglich der Parteistellung ist auch durch die am 1. Juli 1993 in Kraft getretene Gewerberechtsnovelle 1992, BGBl. 29/1993, wonach im ersten Satz des §354 GewO 1973 die Regelung eingefügt wurde, daß die Behörde die beantragten Vorarbeiten (erst) "nach Durchführung einer Augenscheinsverhandlung (§356 Abs1)" genehmigen kann, keine Änderung eingetreten. Daraus ergibt sich nämlich nur, daß im Rahmen eines Verfahrens betreffend Genehmigung einer Betriebsanlage die nach §356 Abs1 GewO 1973 verpflichtend vorgesehene Augenscheinsverhandlung vor einer Versuchsbetriebsgenehmigung durchgeführt worden sein muß. Die Erhebung rechtswirksamer Einwendungen durch Nachbarn bewirkt demnach bloß das Erlangen der Parteistellung im Genehmigungsverfahren und nicht auch im Verfahren zur Erteilung der Versuchsbetriebsgenehmigung (vgl. auch VwGH 27.6.1995, Z95/04/0114; Stolzlechner - Wendl - Zitta, Die gewerbliche Betriebsanlage, Ergänzungsband 1994 (1994), RZ 222; aA Aichlreiter, Die Nachbarn im Verfahren zur Erteilung einer Versuchsbetriebsgenehmigung nach der GewO-Nov. 1992, WBl. 1994, 330 ff., dessen Deutung des §354 GewO 1973 den vom parlamentarischen Ausschuß - vgl. Bericht des Handelsausschusses, 876 BlgNR 18. GP, die mit der Novelle verfolgte Absicht außer Acht läßt - vgl. insbesondere die abweichende persönliche Stellungnahme der Abgeordneten Dr. Petrovic, S 89).

Da somit den beschwerdeführenden Parteien im Verfahren zur Erlassung des angefochtenen Bescheides keine Parteistellung zukam, konnten sie durch den angefochtenen Bescheid schon aus diesem Grund - ohne daß das Vorliegen der übrigen Prozeßvoraussetzungen zu prüfen war - nicht in ihren Rechten verletzt sein.

3. Der zu B1709/95 gestellte Antrag, die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten, war abzuweisen, weil eine solche Abtretung nur im - hier nicht gegebenen - Fall einer abweisenden Sachentscheidung oder Ablehnung der Behandlung einer Beschwerde durch den Verfassungsgerichtshof in Betracht kommt.

4. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG ohne Durchführung einer öffentlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Abfallwirtschaft, VfGH / Legitimation, Verwaltungsverfahren, Parteistellung Abfallwirtschaft, Parteistellung Gewerberecht, Nachbarrechte, Betriebsanlage, Versuchsbetrieb

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:B1709.1995

Dokumentnummer

JFT_10039773_95B01709_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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