TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/11 I413 2174022-4

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Veröffentlicht am 11.05.2020
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Entscheidungsdatum

11.05.2020

Norm

BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §53
FPG §55
VwGVG §14 Abs1
VwGVG §15 Abs1
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

I413 2174022-4/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Martin ATTLMAYR, LL.M. als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. NIGERIA, vertreten durch: RA Edward W. DAIGNEAULT gegen den Bescheid des BFA, Erstaufnahmestelle West (EASt-West) vom 09.08.2019, Zl. XXXX, nach Beschwerdevorentscheidung, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und Spruchpunkte IV., V., VI. und VII. der angefochtenen Beschwerdevorentscheidung gemäß § 28 Abs 5 VwGVG behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte nach seiner illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet erstmals am 04.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, welchen er mit familiären Problemen begründete. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde) vom 07.09.2017 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten als unbegründet abgewiesen. Zugleich wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie festgestellt, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist. Die Frist für eine freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16.01.2018, Zl. I419 2174022/2E, als unbegründet abgewiesen.

2. Am 04.04.2018 stellte die nigerianische Botschaft ein Heimreisezertifikat für den Beschwerdeführer aus. Einem bereits für den 18.04.2018 festgelegten Abschiebetermin entzog sich dieser durch Untertauchen.

3. Am 06.06.2018 stellte der Beschwerdeführer gegenständlich weiteren Antrag auf internationalen Schutz, wobei er sich einerseits auf seinen ursprünglichen Fluchtgrund bezog und andererseits seine Mitgliedschaft zur Freiheitsbewegung für Biafra vorbrachte.

4. Am 07.09.2018 stellte der Beschwerdeführer bei der belangten Behörde einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK und legte eine Heiratsurkunde vor, wonach er am 25. August 2018 eine österreichische Staatsbürgerin in Tulln geheiratet habe.

5. Mit mündlich verkündetem Bescheid vom 24.09.2018 hob die belangte Behörde den faktischen Abschiebeschutz gemäß "§ 12a Absatz 2 AsylG" auf. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 10.11.2018, Zl. I409 214022-2/4E, wurde festgehalten, dass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes nicht rechtswidrig erfolgte.

6. Mit Schriftsatz vom 12.12.2018 stellte der Beschwerdeführer einen "Antrag auf Zuerkennung des faktischen Abschiebeschutzes", welcher mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.12.2018, Zl. I415 2174022-3/3E, wegen Unzuständigkeit zurückgewiesen wurde. Begründend wurde ausgeführt, dass das Bundesverwaltungsgericht im amtswegig eingeleiteten Verfahren über die durch den mündlich zu verkündenden Bescheid der belangten Behörde "lediglich" zu prüfen habe, ob die erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes gem. § 12a Abs 2 AsylG 2005 iVm § 22 Abs 10 AsylG 2005 sowie § 22 BFA-VG rechtmäßig ist.

7. Mit gegenständlichem Bescheid vom 09.08.2019, Zl. XXXX, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria (Spruchpunkt II.) wegen entschiedener Sache gem. § 68 Abs 1 AVG zurück. Zugleich erteilte sie dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt V.). Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht (Spruchpunkt VI.). Ferner wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

8. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde vom 26.08.2019, mit welcher Rechtswidrigkeit moniert wurde. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass es für die von der belangten Behörde angenommenen bewusst falschen Angaben zu den Fluchtgründen keinerlei Indizien gebe; weiters halte die Behörde in ihrem Bescheid fest, dass die Gesundheitsversorgung in Nigeria "zu den schlechtesten in Afrika südlich der Sahara und der Welt" gehöre, weshalb sie rechtsrichtig ein Abschiebehindernis gem. Art 2, 3 EMRK hätte erkennen müssen; auch sei angesichts seines Gesundheitszustandes die Trennung des Beschwerdeführer von seiner Ehefrau gesundheitsschädlich und erscheine der Weiterverbleib des Beschwerdeführer in Österreich im Hinblick auf seine Rechte nach Art 8 EMRK unbedingt erforderlich.

9. Diese Entscheidung der belangten Behörde vom 26.08.2019 wiederholt sich in ihrer Beschwerdevorentscheidung vom 02.09.2019.

10. Mit Schriftsatz vom 18.09.2019 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Vorlage der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

11. Mit Schriftsatz vom 18.09.2019, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 23.09.2019, legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.

12. Mit Erkenntnis vom 03.10.2019 (OZ 3E) wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde als unbegründet ab.

13. Gegen dieses Erkenntnis erhob der Beschwerdeführer eine ao Revison mit dem Ergebnis, dass der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis VwGH 26.02.2020, Ra 2019/20/0523, das angefochtene Erkenntnis, "soweit das Verwaltungsgericht die Beschwerde hinsichtlich der Abschiebung, der Entscheidung über die Frist zur freiwilligen Ausreise und des Einreiseverbotes abgewiesen hat, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben" hat.

14. Das Bundesverwaltungsgericht forderte den Beschwerdeführer nach Erhalt des rückübermittelten Aktes vom Verwaltungsgerichtshofes auf, Nachweise zur Inanspruchnahme der Freizügigkeit durch die Ehefrau des Beschwerdeführers vorzulegen.

15. Mit Eingabe vom 06.05.2020 (Datum des Einlangens) übermittelte der Beschwerdeführer entsprechende Nachweise.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der in Punkt I. dargestellte Verfahrensgang wird festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen vorgenommen:

1. Feststellungen:

Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Nigeria und bekennt sich zum christlichen Glauben. Er gehört der Volksgruppe der I(g)bo an. Seine Identität steht nicht fest.

Der Beschwerdeführer ist mit einer österreichischen Staatsangehörigen verheiratet; er hat keine Kinder.

Der Beschwerdeführer leidet an Anpassungsstörungen mit einer leicht- bis mittelgradigen depressiven Reaktion; von einer dauerhaften Behandlungsbedürftigkeit des Krankheitsbildes ist nicht auszugehen. Aktuell ist davon auszugehen, dass eine medikamentöse antidepressive Therapie noch erforderlich ist; zur Behandlung des Krankheitsbildes kommen alle gängigen Antidepressiva infrage. Bei diesen depressiven Verstimmungen Beschwerdeführer handelt es sich um keine lebensbedrohliche Krankheit und ist der Beschwerdeführer darüber hinaus gesund und arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer reiste illegal nach Österreich. Er hält sich seit (mindestens) 04.07.2015 in Österreich auf.

Der Beschwerdeführer besuchte zwölf Jahre lang die Schule. Er verdiente sich seinen Lebensunterhalt in Nigeria als Verkäufer und anschließend durch den Betrieb eines eigenen Geschäfts in Lagos. Aufgrund seiner Arbeitserfahrung in Nigeria hat er eine Chance auch hinkünftig am nigerianischen Arbeitsmarkt unterzukommen.

In Nigeria leben zumindest noch der Onkel sowie ein Cousin des Beschwerdeführers. In Österreich verfügt der Beschwerdeführer über keine Verwandten und außer seiner Frau auch über keine maßgeblichen privaten und familiären Beziehungen.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich nicht vorbestraft.

Er geht in Österreich keiner Beschäftigung nach und bezieht keine Leistungen von der staatlichen Grundversorgung. Er ist nicht selbsterhaltungsfähig, sondern wird von seiner Ehefrau finanziell unterstützt.

Der Beschwerdeführer weist in Österreich keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher und kultureller Hinsicht auf.

Die Ehefrau des Beschwerdeführers ist im Betrieb Haslinger Hof, Ed 1, 94148 Kirchham, BRD, als Mitarbeiterin im Lebensmittelbereich seit 28.10.2018 befristet bis zum 27.10.2020 für 20 Stunden wöchentlich beschäftigt und bringt ? 810,00 monatlich ins Verdienen. Sie ist bei der AOK Bayern als Dienstnehmerin krankenversichert. Zudem ist sie bei der HOFER KG in Österreich seit 15.07.2002 mit derzeit 27 Wochenstunden als Verkaufsmitarbeiterin beschäftigt und bringt aufgrund dieser Beschäftigung ? 1548,89 pro Monat ins Verdienen.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zu seinen Lebensumständen, seiner Arbeitsfähigkeit, seiner Herkunft, seiner Glaubens- und Volkszugehörigkeit sowie seiner Staatsangehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglichen glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde (Protokoll vom 06.06.2018 und vom 18.07.2018). Die belangte Behörde hat diese Feststellungen korrekt und nachvollziehbar gewürdigt. Aus dem Beschwerdevorbringen sind keine Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers aufgekommen. Dass der Beschwerdeführer in Österreich mit einer österreichischen Staatsangehörigen verheiratet ist, darüber hinaus aber über keine maßgeblichen persönlichen und familiären Beziehungen verfügt, ergibt sich aus dem Akteninhalt und den Angaben des Beschwerdeführers anlässlich seiner Einvernahme durch die belangte Behörde (Protokoll vom 18.07.2018).

Die Feststellung zu seinem Gesundheitszustand ergibt sich aus dem widerspruchsfreien und nachvollziehbaren neurologisch-psychiatrischem Gutachten vom 22.01.2019 von Prim. Dr. Christoph Röper, LL.M., Allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger.

Da der Beschwerdeführer den österreichischen Behörden keine identitätsbezeugenden Dokumente vorlegen konnte, steht seine Identität nicht zweifelsfrei fest.

Die Feststellung über die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich vom 02.10.2019.

Die Feststellungen zu seinem Bezug der Grundversorgung ergeben sich aus dem dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden, am 23.09.2019 abgefragten Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem. Hieraus ergibt sich auch die mangelnde Selbsterhaltungsfähigkeit des Beschwerdeführers.

Die Feststellungen zu den Beschäftigungsverhältnissen und zur Einkommenssituation seiner Ehefrau ergeben sich zweifelsfrei aus den unbedenklichen, am 06.05.2020 vorgelegten Urkunden.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) (teilweise) Stattgabe der Beschwerde

3.1 Der Verwaltungsgerichtshof hob mit Erkenntnis VwGH 29.02.2020, Ra 2019/20/0523, das Erkenntnis vom 03.10.2019 (OZ 3E) nur so weit auf, als es über die Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung, die Frist zur freiwilligen Ausreise und des Einreiseverbots abgesprochen hatte.

Dagegen ist es, soweit es die in Beschwerde gezogene Frage der Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz vom 06.06.2018 wegen entschiedenen Sache sowie die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen (gemeint wohl eines Aufenthaltstitels "Besonderer Schutz") betrifft, formell und materiell rechtskräftig, sodass "Sache" des infolge der teilweisen Aufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof fortgesetzten Verfahrens nur mehr die in Beschwerde gezogenen Spruchpunkte IV. (Rückkehrentscheidung), V. (Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung), VI. (Frist für die freiwillige Ausreise) und VII. (befristetes Einreiseverbot) des angefochtenen Bescheides sind.

3.2. Gemäß § 2 Abs 4 Z 11 Nach § 2 Abs. 4 Z 11 FPG ist begünstigter Drittstaatsangehöriger ua der Ehegatte eines Österreichers, der sein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen hat.

Sowohl bei Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz als auch im - hier vorliegenden - Fall der Zurückweisung eines Antrags auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache nach § 68 AVG (vgl. VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0082 bis 0087) hat die belangte Behörde gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 52 Abs 2 Z 2 FPG gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen. Dies gilt nach § 52 Abs 2 letzter Satz FPG jedoch nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs 2 FPG kommt gegen begünstigte Drittstaatsangehörige von vornherein nicht in Betracht kommt (vgl VwGH 14.11.2017, Ra 2017/20/0274; 26.02.2020, Ra 2019/20/0523). Auch ein Einreiseverbot nach dem 1. Abschnitt des 8. Hauptstücks des FPG darf über begünstigte Drittstaatsangehörige nicht verhängt werden, weil auf sie die aufenthaltsbeendende Maßnahmen (unter anderem) gegen begünstigte Drittstaatsangehörige regelnden Bestimmungen des 4. Abschnitts des genannten Hauptstücks anzuwenden sind (vgl VwGH 23.03.2017, Ra 2016/21/0349; 26.02.2020, Ra 2019/20/0523). Die generelle Unzulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen begünstigte Drittstaatsangehörige ergibt sich schon daraus, dass die mit § 52 FPG umgesetzte Rückführungsrichtlinie (2008/115/EG) auf begünstigte Drittstaatsangehörige nach ihrem Art 2 Abs 3 nicht anzuwenden ist (vgl VwGH 15.03.2018, Ra 2018/21/0014, mwN; 26.02.2020, Ra 2019/20/0523).

Der Beschwerdeführer ist mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet. Sie ist - wenn auch nur für 20 Stunden pro Woche, in der BRD erwerbstätig und hat damit von ihrem unionsrechtlichen Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht. Der Beschwerdeführer ist daher begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs 4 Z 11 FPG ist (vgl. zu den Voraussetzungen VwSlg 18.229 A/2011, mwN). Der Verfassungsgerichtshof (VfSlg 18.968/2009) vertrag im Zusammenhang mit § 57 NAG die Auffassung, dass sich ein Dittstaatsangehöriger bei Begründung eines Angehörigenverhältnisses zu einem EWR-Bürger auf die Richtlinie berufen könne, gleichgültig, wie der Drittstaatsangehörige in das Bundesgebiet gelangte und wann das Angehörigenverhältnis begründet wurde.

Wird - wie im vorliegenden Fall durch Heirat mit seiner österreichischen Ehefrau zwischen ihm als Drittstaatsangehörigen und ihr als Österreicherin ein Angehörigenverhältnis begründet, ist für das Aufenthaltsrecht des Beschwerdeführers ausschlaggebend, ob seine Ehefrau von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, indem sie eines ihrer Rechte gemäß Art 18 und 39 ff EG im EWR-Raum außerhalb Österreichs ausübt oder ausgeübt hat (vgl EuGH 01.04.2008, Rs C-212/06, Gouvernement de la Communaute francaise, Gouvernement wallon/Gouvernement flamand, Rz 37). Dies ist aufgrund der Tätigkeit der Ehefrau in der BRD (Bayern) gegeben. Damit genießt auch der Beschwerdeführer ein Aufenthaltsrecht in Österreich, wobei es keine Rolle spielt, wie der Beschwerdeführer in das Bundesgebiet gelangt ist oder wann das Angehörigenverhältnis begründet wurde (VfSlg 18.968/2009).

Hierbei genügt es nach dieser Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg 18.968/2009) bereits, dass die österreichische Ankerperson in der Vergangenheit einen Sachverhalt erfüllt hat, der als Inanspruchnahme der (nunmehr) unionsrechtlichen Freizügigkeit gemäß Art 18 und 39 ff EG (nunmehr Art 21 und 45 ff AEUV) anzusehen ist. Im konkreten Fall übte die Ehefrau die Freizügigkeit seit 28.10.2018 und noch immer - jedenfalls bis zum 27.10.2020 aus.

Es kommt aber nicht nur auf die Niederlassung in Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit an, sondern sind auch die Freizügigkeit in Ausübung der Dienstleistungsfreiheit (vgl dazu auch das Urteil des EuGH vom 02.02.1989, 186/87, Cowan, Rz 17) und - allgemeiner - auch die ohne wirtschaftliche Zweckbindung erfolgende Ausübung der Freizügigkeit nach Art 18 EG (nunmehr Art 21 AEUV; zu einem derartigen Fall in der Rechtsprechung des EuGH vgl EuGH 11.07.2002, C-224/98, Marie-Nathalie D 'Hoop, insbesondere dessen Rz 29 f.) von § 57 NAG erfasst. Das Recht auf Freizügigkeit im Sinn des Art 18 EG (nunmehr Art 21 AEUV) umfasst ua das Recht, in einen anderen Mitgliedstaat einzureisen (vgl auch die Richtlinie 2004/38 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, die schon in ihrem Titel neben das Aufenthaltsrecht das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen, stellt; vgl insbesondere auch Art 5 dieser Richtlinie). Dass die Ehefrau des Beschwerdeführers in der BRD keinen Wohnsitz begründet hatte, steht daher der Annahme, sie habe ihr Recht auf Freizügigkeit im Sinn des § 57 NAG in Anspruch genommen, nicht entgegen (vgl allgemein in Bezug auf Grenzgänger das Urteil EuGH 18.07.2007, C-212/05, Hartmann, Rz 18).

Nicht jede auch noch so geringfügige Ausübung des Freizügigkeitsrechts im Rahmen des § 57 NAG entfaltet aber Relevanz entfaltet (VwSlg 18.229 A/2011). Vielmehr wird es für die Anwendung der genannten Bestimmung erforderlich sein, dass die österreichische Ankerperson mit einer gewissen Nachhaltigkeit von ihrer Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat (in diesem Sinn, wenn auch vor rein unionsrechtlichem Hintergrund, von einem "Bagatellvorbehalt" sprechend das Urteil des Deutschen Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.01.2011, 1C 23.09, Rz 13; dies andeutend auch VwGH 24.09.2009, 2007/18/0347, in dem ein zweiwöchiger Sprachaufenthalt zu beurteilen war). Was die Festlegung der Nachhaltigkeitsgrenze - auch unter dem hier relevanten Blickwinkel des § 57 NAG - anlangt, so liegt es nahe, auf die Rechtsprechung des EuGH zum Arbeitnehmerbegriff abzustellen. Der EuGH verlangt für die Qualifikation als Arbeitnehmer im Sinn von Art 39 EG (nunmehr Art 45 AEUV) jenseits des Erfordernisses einer abhängigen Beschäftigung gegen Entgelt in einem anderen Mitgliedstaat einschränkend eine "tatsächliche und echte Tätigkeit", die keinen so geringen Umfang hat, dass es sich um eine "völlig untergeordnete und unwesentliche Tätigkeit" handelt. Dieser Maßstab lässt sich allgemein dergestalt auf alle Freizügigkeitsrechte übertragen, dass eine "tatsächliche und effektive" Ausübung derselben vorliegen muss.

In der erwähnten Rechtsprechung zum Arbeitnehmerbegriff hat der EuGH zum Ausdruck gebracht, dass die Höhe der Vergütung, die der Arbeitnehmer enthält, ebenso wenig von alleiniger Bedeutung ist wie das Ausmaß der Arbeitszeit und die Dauer des Dienstverhältnisses (vgl dazu die Darstellung von Windisch-Graetz in Mayer (Hrsg), EU-und EG-Vertrag, Art 39 EGV, Rz 9 ff). Fallbezogen kann es dann aber bei einer Gesamtschau keinem Zweifel unterliegen, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers im Hinblick auf ihre kontinuierlich seit 28.10.2018 hin ausgeübte Tätigkeit von 20 Stunden pro Wochen in der BRD die erwähnte Bagatellschranke überschritten hat (vgl dazu VwSlg 18.229 A/2011 zu einer nahezu fünf Monate hin ausgeübte tageweise, nicht angemeldeten Tätigkeit in Tschechien).

Daher war im konkreten Fall die Eigenschaft des Beschwerdeführers als begünstigter Drittstaatsangehöriger zu bejahen und erweist sich der angefochtene Bescheid, soweit die belangte Behörde eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer erließ, die Zulässigkeit der Abschiebung nach Nigeria feststellte und gegen ihn kein Einreiseverbot verhängt wurde., weshalb Spruchpunkte IV. bis einschließlich VII. der Beschwerdevorentscheidung gemäß § 28 Abs 5 VwGVG zu beheben waren.

3.3 Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte vorliegendenfalls entfallen, da der maßgebliche Sachverhalt hinreichend geklärt ist und eine mündliche Verhandlung keine weitere Klärung des Sachverhalts erwarten ließe.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die Revision ist im vorliegenden Fall nicht zulässig, da das gegenständliche, einen Einzelfall betreffende Erkenntnis sich auf die nicht divergente Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes stützt und der gegenständliche Einzelfall für sich nicht reversibel ist.

Schlagworte

Abschiebung begünstigte Drittstaatsangehörige Beschwerdevorentscheidung Einreiseverbot Einreiseverbot aufgehoben ersatzlose Teilbehebung freiwillige Ausreise Frist Kassation Rückkehrentscheidung Spruchpunktbehebung Vorlageantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I413.2174022.4.00

Im RIS seit

03.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

03.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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