TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/29 I419 2131293-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.05.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

29.05.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I419 2131293-1/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. IRAK, vertreten durch VEREIN MENSCHENERECHTE ÖSTERREICH, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 14.07.2016, Zl. 1091942407-151599981, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer reiste 2015 illegal ein und beantragte am 03.10.2015 internationalen Schutz. Er habe für Saraya as-Salam Videoaufnahmen von deren Kampfhandlungen angefertigt, sich aber später gegenüber Asa'ib Ahl al-Haqq geweigert, als diese verlangt hätten, dass er das auch für sie tue. Ferner habe er diesen auch nicht verraten können, wer von Saraya as-Salam an der Befreiung von Amerli teilgenommen hatte, weil er deren Klarnamen nicht kenne. Als er darauf mit einer Pistole bedroht worden sei, sei er geflüchtet.

2. Mit dem bekämpften Bescheid wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers betreffend den Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I) und zuerkannte ihm jenen des subsidiär Schutzberechtigten.

3. Die Beschwerde richtet sich nur gegen die Nichtzuerkennung des Asylstatus und bringt vor, der Beschwerdeführer sei bedroht und zur Spionage aufgefordert worden, was er abgelehnt habe. Wer sich der Miliz nicht anschließe, werde getötet, was auch ihm angedroht worden sei, falls er die Information nicht bringe. Da sie dabei in einem Auto mit einer Waffe auf seinen Kopf gezielt hätten, sei er hinausgesprungen, als eine Polizeistreife vorbeigekommen sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter Punkt I beschriebene Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer spricht Arabisch, ist Ende 20, ledig, Schiit und Araber. Er lebte mit seiner Familie im Bezirk Al-Khidir (al-Khidhir, -Khudur, -Khodar) in der Provinz Al-Muthanna, deren Hauptstadt Samawa ist. Er hat dort 12 bis 15 Jahre die Schule besucht und ist zur Reifeprüfung angetreten, die er in zwei Gegenständen nicht bestand.

Im Herkunftsbezirk leben seine Mutter, die etwa 70 ist, zwei von vier Schwestern (eine wohnt in Samawa, eine in Kerbala), Ende 20 bis Ende 40, und zwei Brüder, Mitte bis Ende 30, des Beschwerdeführers, ein weiterer volljähriger Bruder lebt in Schweden und ist schwedischer Staatsangehöriger, sein ältester Bruder lebt in Griechenland. Alle Geschwister haben einen eigenen Haushalt. Von den Brüdern und der Mutter hatte er das Geld für seine Reise. Ferner leben im Herkunftsstaat Tanten und Onkel des Beschwerdeführers jeweils mit deren Familien.

Der Beschwerdeführer hat einen Cousin und eine Cousine in Dänemark. Entfernte Verwandte wohnen in Großbritannien. Dorthin versuchte der Beschwerdeführer zunächst von Österreich aus zu gelangen, bevor er hier seinen Asylantrag stellte.

Zu seiner Familie im Herkunftsstaat hat der Beschwerdeführer telefonischen Kontakt. Die beiden Brüder dort sind Polizisten und waren das bereits im Sommer 2015. Im Herkunftsstaat hat der Beschwerdeführer neben dem Schulbesuch mit Arbeit in einer Autowäscherei Geld verdient, die der Familie gehört, die aber für seinen Lebensunterhalt aufkam.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig. Er hat eine Betreuungszusage eines Personalvermittlungs- und Beschäftigungsprojekts, betätigt sich künstlerisch als Fotograf und in einer Theatergruppe und hat hier eine Freundin syrischer Staatsangehörigkeit.

Zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt nach dem 31.08.2014 verließ er den Herkunftsstaat, verbrachte anschließend Zeit in der Türkei und reiste 2015 über Griechenland, (damals) Mazedonien, Serbien, Kroatien und Ungarn nach Österreich, wo er spätestens in der 39. Kalenderwoche (21.-27.09.2015) eintraf. Nach mehreren Nächtigungen in Wien reiste er über Mailand nach Frankreich, von wo er in die Schweiz und nach Italien zurückgeschickt wurde, und gelangte spätestens am 03.10.2015 wieder nach Wien.

1.2 Zur Situation im Herkunftsstaat:

Im angefochtenen Bescheid wurde das "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation" zum Irak auf Stand 08.04.2016 zitiert. Aktuell steht ein am 17.03.2020 erschienenes zur Verfügung. Im gegebenen Zusammenhang sind davon die folgenden Informationen von Relevanz und werden festgestellt:

1.2.1 Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF)

Letzte Änderung: 17.3.2020

Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF, Iraqi Security Forces) bestehen aus Einheiten, die vom Innen- und Verteidigungsministerium, den Volksmobilisierungseinheiten (PMF), und dem CounterTerrorism Service (CTS) verwaltet werden. Das Innenministerium ist für die innerstaatliche Strafverfolgung und die Aufrechterhaltung der Ordnung zuständig. Es beaufsichtigt die Bundespolizei, die Provinzpolizei, den Dienst für den Objektschutz, den Zivilschutz und das Ministerium für den Grenzschutz. Die Energiepolizei, die dem Ölministerium unterstellt ist, ist für den Schutz von kritischer Erdöl-Infrastruktur verantwortlich. Konventionelle Streitkräfte, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die Verteidigung des Landes zuständig, führen aber in Zusammenarbeit mit Einheiten des Innenministeriums auch Einsätze zur Terrorismusbekämpfung sowie interne Sicherheitseinsätze durch. Der CTS ist direkt dem Premierminister unterstellt und überwacht das Counter-Terrorism Command (CTC), eine Organisation, zu der drei Brigaden von Spezialeinsatzkräften gehören (USDOS 11.3.2020).

Die irakischen Streit- und Sicherheitskräfte dürften mittlerweile wieder ca. 100.000 ArmeeAngehörige (ohne PMF und Peshmerga) und über 100.000 Polizisten umfassen. Die Anwendung bestehender Gesetze ist nicht gesichert. Personelle Unterbesetzung, mangelnde Ausbildung, mangelndes rechtsstaatliches Bewusstsein vor dem Hintergrund einer über Jahrzehnte gewachsenen Tradition von Unrecht und Korruption auf allen Ebenen sind hierfür die Hauptursachen. Ohnehin gibt es kein Polizeigesetz, die individuellen Befugnisse einzelner Polizisten sind sehr weitgehend. Ansätze zur Abhilfe und zur Professionalisierung entstehen durch internationale Unterstützung: Die Sicherheitssektorreform wird aktiv und umfassend von der internationalen Gemeinschaft unterstützt (AA 12.1.2019).

[...]

Volksmobilisierungskräfte (PMF) / al-Hashd ash-Sha'bi

Letzte Änderung: 17.3.2020

Der Name "Volksmobilisierungskräfte" (al-hashd al-sha'bi, engl.: popular mobilization forces bzw. popular mobilization front, PMF oder popular mobilization units, PMU), bezeichnet eine Dachorganisation für etwa 40 bis 70 Milizen und demzufolge ein loses Bündnis paramilitärischer Formationen (Süß 21.8.2017; vgl. FPRI 19.8.2019; Clingendael 6.2018; Wilson Center 27.4.2018). Die PMF wurden vom schiitischen Groß-Ayatollah Ali As-Sistani per Fatwa für den Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) ins Leben gerufen (GIZ 1.2020a; vgl. FPRI 19.8.2019; Wilson Center 27.4.2018) und werden vorwiegend vom Iran unterstützt (GS 18.7.2019). PMF spielten eine Schlüsselrolle bei der Niederschlagung des IS (Reuters 29.8.2019). Die Niederlage des IS trug zur Popularität der vom Iran unterstützten Milizen bei (Wilson Center 27.4.2018).

Die verschiedenen unter den PMF zusammengefassten Milizen sind sehr heterogen und haben unterschiedliche Organisationsformen, Einfluss und Haltungen zum irakischen Staat. Sie werden grob in drei Gruppen eingeteilt: Die pro-iranischen schiitischen Milizen, die nationalistisch-schiitischen Milizen, die den iranischen Einfluss ablehnen, und die nicht schiitischen Milizen, die üblicherweise nicht auf einem nationalen Level operieren, sondern lokal aktiv sind. Zu letzteren zählen beispielsweise die mehrheitlich sunnitischen Stammesmilizen und die kurdisch-jesidischen "Widerstandseinheiten Schingal". Letztere haben Verbindungen zur Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) in der Türkei und zu den Volksverteidigungseinheiten (YPG) in Syrien (Clingendael 6.2018). Die PMF werden vom Staat unterstützt und sind landesweit tätig. Die Mehrheit der PMF-Einheiten ist schiitisch, was die Demografie des Landes widerspiegelt. Sunnitische, jesidische, christliche und andere "Minderheiten-Einheiten" der PMF sind in ihren Heimatregionen tätig (USDOS 11.3.2020; vgl. Clingendael 6.2018). In einigen Städten, vor allem in Gebieten, die früher vom IS besetzt waren, dominieren PMF die lokale Sicherheit. In Ninewa stellen sie die Hauptmacht dar, während die reguläre Armee zu einer sekundären Kraft geworden ist (Reuters 29.8.2019).

Es gibt große, gut ausgerüstete Milizen, quasi militärische Verbände, wie die Badr-Organisation, mit eigenen Vertretern im Parlament, aber auch kleine improvisierte Einheiten mit wenigen Hundert Mitgliedern, wie die Miliz der Schabak. Viele Milizen werden von Nachbarstaaten, wie dem Iran oder Saudi-Arabien, unterstützt. Die Türkei unterhält in Baschika nördlich von Mossul ein eigenes Ausbildungslager für sunnitische Milizen. Die Milizen haben eine ambivalente Rolle. Einerseits wäre die irakische Armee ohne sie nicht in der Lage gewesen, den IS zu besiegen und Großveranstaltungen wie die Pilgerfahrten nach Kerbala mit jährlich bis zu 20 Millionen Pilgern zu schützen. Andererseits stellen die Milizen einen enormen Machtfaktor mit Eigeninteressen dar, was sich in der gesamten Gesellschaft, der Verwaltung und in der Politik widerspiegelt und zu einem allgemeinen Klima der Korruption und des Nepotismus beiträgt (AA 12.1.2019). Vertreter und Verbündete der PMF haben Parlamentssitze inne und üben Einfluss auf die Regierung aus (Reuters 29.8.2019).

Die PMF unterstehen seit 2017 formal dem Oberbefehl des irakischen Ministerpräsidenten, dessen tatsächliche Einflussmöglichkeiten aber weiterhin als begrenzt gelten (AA 12.1.2019; vgl. FPRI 19.8.2019). Leiter der PMF-Dachorganisation, der al-Hashd ash-Sha'bi-Kommission, ist Falah al-Fayyad, dessen Stellvertreter Abu Mahdi al-Mohandis eng mit dem Iran verbunden war (Al-Tamini 31.10.2017). Viele PMF-Brigaden nehmen Befehle von bestimmten Parteien oder konkurrierenden Regierungsbeamten entgegen, von denen der mächtigste Hadi Al-Amiri ist, Kommandant der Badr Organisation (FPRI 19.8.2019). Obwohl die PMF laut Gesetz auf Einsätze im Irak beschränkt sind, sollen sie, ohne Befugnis durch die irakische Regierung, in einigen Fällen Einheiten des Assad-Regimes in Syrien unterstützt haben. Die irakische Regierung erkennt diese Kämpfer nicht als Mitglieder der PMF an, obwohl ihre Organisationen Teil der PMF sind (USDOS 13.3.2019).

Alle PMF-Einheiten sind offiziell dem Nationalen Sicherheitsberater unterstellt. In der Praxis gehorchen aber mehrere Einheiten auch dem Iran und den iranischen Revolutionsgarden. Es ist keine einheitliche Führung und Kontrolle der PMF durch den Premierminister und die ISF feststellbar, insbesondere nicht der mit dem Iran verbundenen Einheiten. Das Handeln dieser unterschiedlichen Einheiten stellt zeitweise eine zusätzliche Herausforderung in Bezug auf die Sicherheitslage dar, insbesondere - aber nicht nur - in ethnisch und religiös gemischten Gebieten des Landes (USDOS 13.3.2019).

In vielen der irakischen Sicherheitsoperationen übernahm die PMF eine Führungsrolle. Als Schnittstelle zwischen dem Iran und der irakischen Regierung gewannen sie mit der Zeit zunehmend an Einfluss (GS 18.7.2019).

Am 1.7.2019 hat der irakische Premierminister Adel Abdul Mahdi verordnet, dass sich die PMF bis zum 31.7.2019 in das irakische Militär integrieren müssen (FPRI 19.8.2019; vgl. TDP 3.7.2019; GS 18.7.2019), oder entwaffnet werden müssen (TDP 3.7.2019; vgl GS 18.7.2019). Es wird angenommen, dass diese Änderung nichts an den Loyalitäten ändern wird, dass aber die Milizen aufgrund ihrer nun von Bagdad bereitgestellten Uniformen nicht mehr erkennbar sein werden (GS 18.7.2019). Einige Fraktionen werden sich widersetzen und versuchen, ihre Unabhängigkeit von der irakischen Regierung oder ihre Loyalität gegenüber dem Iran zu bewahren (FPRI 19.8.2019). Die Weigerung von Milizen, wie der 30. Brigade bei Mossul, ihre Posten zu verlassen, weisen auf das Autoritätsproblem Bagdads über diese Milizen hin (Reuters 29.8.2019).

Die Schwäche der ISF hat es vornehmlich schiitischen Milizen, wie den vom Iran unterstützten Badr-Brigaden, den Asa'ib Ahl al-Haqq und den Kata'ib Hisbollah, erlaubt, Parallelstrukturen im Zentralirak und im Süden des Landes aufzubauen. Die PMF waren und sind ein integraler Bestandteil der Anti-IS-Operationen, wurden jedoch zuletzt in Kämpfen um sensible sunnitische Ortschaften nicht an vorderster Front eingesetzt. Es gab eine Vielzahl an Vorwürfen bezüglich Plünderungen und Gewalttaten durch die PMF (AA 12.1.2019).

Die PMF gehen primär gegen Personen vor, denen eine Verbindung zum IS nachgesagt wird, bzw. auch gegen deren Familienangehörigen. Betroffen sind meist junge sunnitische Araber und in einer Form der kollektiven Bestrafung sunnitische Araber im Allgemeinen. Es kann zu Diskriminierung, Misshandlungen und auch Tötungen kommen (DIS/Landinfo 5.11.2018; vgl. USDOS 21.6.2019). Einige PMF gehen jedoch auch gegen ethnische und religiöse Minderheiten vor (USDOS 11.3.2020).

Die PMF sollen, aufgrund guter nachrichtendienstlicher Möglichkeiten, die Fähigkeit haben jede von ihnen gesuchte Person aufspüren zu können. Politische und wirtschaftliche Gegner werden unabhängig von ihrem konfessionellen oder ethnischen Hintergrund ins Visier genommen. Es wird als unwahrscheinlich angesehen, dass die PMF über die Fähigkeit verfügen, in der Kurdischen Region im Irak (KRI) zu operieren. Dementsprechend gehen sie nicht gegen Personen in der KRI vor. Nach dem Oktober 2017 gab es jedoch Berichte über Verstöße von PMF-Angehörigen gegen die kurdischen Einwohner in Kirkuk und Tuz Khurmatu, wobei es sich bei den angegriffenen zumeist um Mitglieder der politischen Partei KDP und der Asayish gehandelt haben soll (DIS/Landinfo 5.11.2018).

Geleitet wurden die PMF von Jamal Jaafar Mohammad, besser bekannt unter seinem Nom de Guerre Abu Mahdi al-Mohandis, einem ehemaligen Badr-Kommandanten, der als rechte Hand von General Qasem Soleimani, dem Chef der iranischen Quds-Brigaden fungierte (GS 18.7.2019). Am 3.1.2020 wurden Abu Mahdi Al-Muhandis und Generalmajor Qassem Soleimani bei einem US-Drohnenangriff in Bagdad getötet (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020). Als Rechtfertigung diente unter anderem ein Raketenangriff, der der Kataib-Hezbollah (KH) zugeschrieben wurde, auf einen von US-Soldaten genutzten Stützpunkt in Kirkuk, bei dem ein Vertragsangestellter getötet wurde (MEMO 21.2.2020). Infolge dessen kam es innerhalb der PMF zu einem Machtkampf zwischen den Fraktionen, die einerseits dem iranischen Obersten Führer Ayatollah Ali Khamenei, andererseits dem irakischen Großayatollah Ali as-Sistani nahe stehen (MEE 16.2.2020).

Der iranische Oberste Führer Ayatollah Ali Khamenei ernannte Brigadegeneral Esmail Ghaani als Nachfolger von Soleimani (Al Monitor 23.2.2020). Am 20.2.2020 wurde Abu Fadak Al-Mohammedawi zum neuen stellvertretenden Kommandeur der PMF ernannt (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020). Vier PMF-Fraktionen, die dem schiitischen Kleriker Ayatollah Ali as-Sistani nahe stehen, haben sich gegen die Ernennung Mohammadawis ausgesprochen und alle PMF-Fraktionen aufgefordert, sich in die irakischen Streitkräfte unter dem Oberbefehl des Premierministers zu integrieren (Al Monitor 23.2.2020).

[...]

Die Asa'ib Ahl al-Haqq (AAH; Liga der Rechtschaffenen oder Khaz'ali-Netzwerk, League of the Righteous) wurde 2006 von Qais al-Khaz'ali gegründet und bekämpfte zu jener Zeit die US-amerikanischen Truppen im Irak (Süß 21.8.2017). Sie ist eine Abspaltung von As-Sadrs Mahdi-Armee und im Gegensatz zu As-Sadr pro-iranisch (Clingendael 6.2018). Asa'ib Ahl al-Haqq unternahm den Versuch, sich als politische Kraft zu etablieren, konnte bei den Parlamentswahlen 2014 allerdings nur ein einziges Mandat gewinnen. Ausgegangen wird von einer Gruppengröße von mindestens 3.000 Mann; einige Quellen sprechen von 10.000 bis 15.000 Kämpfern (Süß 21.8.2017). Asa'ib Ahl al-Haqq bildet die 41., 42. und 43. der PMF-Brigaden (Wilson Center 27.4.2018; vgl. Al-Tamini 31.10.2017). Die Miliz erhält starke Unterstützung vom Iran und ist wie die Badr-Oganisation und Kata'ib Hizbullah vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv. Sie gilt heute als gefürchtetste, weil besonders gewalttätige Gruppierung innerhalb der Volksmobilisierungskräfte, die religiös-politische mit kriminellen Motiven verbindet. Ihr Befehlshaber Qais al Khaz'ali ist einer der bekanntesten Anführer der PMF (Süß 21.8.2017; vgl. Wilson Center 27.4.2018).

[...]

Die Saraya as-Salam (Schwadronen des Friedens, Peace Brigades) wurden im Juni 2014 nach der Fatwa von Großayatollah Ali as-Sistani, in der alle junge Männer dazu aufgerufen wurden, sich im Kampf gegen den IS den Sicherheitskräften zum Schutz von Land, Volk und heiligen Stätten im Irak anzuschließen, von Muqtada as-Sadr gegründet. Die Gruppierung kann de facto als eine Fortführung der ehemaligen Mahdi-Armee bezeichnet werden. Diese ist zwar 2008 offiziell aufgelöst worden, viele ihrer Kader und Netzwerke blieben jedoch aktiv und konnten 2014 leicht wieder mobilisiert werden (Süß 21.8.2017). Die Saraya as-Salam sind der militärische Arm der Sairoun Partei (Allianz für Reformen, Marsch in Richtung Reform). Diese ist eine multiethnische, nicht-konfessionelle (wenn auch meist schiitische), parlamentarische Koalition, die sich aus antiiranischen Schiiten-Parteien, der Kommunistischen Partei und einigen anderen kleineren Parteien zusammensetzt (FPRI 19.8.2019). Quellen sprechen von einer Gruppengröße von 50.000, teilweise sogar 100.000 Mann. Ihre Schlagkraft ist jedoch mangels ausreichender finanzieller Ausstattung und militärischer Ausrüstung begrenzt. Dies liegt darin begründet, dass Sadr politische Distanz zu Teheran wahren will, was in einer nicht ganz so großzügigen Unterstützung Irans resultiert. Das Haupteinsatzgebiet der Miliz liegt im südlichen Zentrum des Irak, wo sie vorgibt, die schiitischen heiligen Stätten zu schützen. Ebenso waren Saraya as-Salam aber auch mehrfach an Kämpfen nördlich von Bagdad beteiligt (Süß 21.8.2017). Die Saraya as-Salam bilden mindestens drei Brigaden und stellen damit das zweitgrößte Kontingent der PMF. Muqtada as-Sadr verkündete, dass die Saraya as-Salam-Brigaden die Durchführungsverordnung von Premierminister Mahdi sofort annehmen würden und fortan nur noch unter den ihnen zugeteilten Nummern, 313, 314 und 315, bekannt sein würden. Es gilt jedoch als wahrscheinlich, dass Sadr auch weiterhin großen Einfluss auf diese Milizen haben wird (FPRI 19.8.2019). Es wird angenommen, dass schätzungsweise 15.000 weitere seiner Kämpfer außerhalb der PMF-Brigaden organisiert sind (Wilson Center 27.4.2018).

1.2.2 Wehrdienst, Rekrutierungen und Wehrdienstverweigerung

Letzte Änderung: 17.3.2020

Im Irak besteht keine Wehrpflicht. Männer zwischen 18 und 40 Jahren können sich freiwillig zum Militärdienst melden (AA 12.1.2019; vgl. CIA 21.8.2019). Nach dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 wurde die allgemeine Wehrpflicht abgeschafft (BasNews 7.8.2019). Juden sind per Gesetz vom Militärdienst ausgeschlossen (USDOS 21.6.2019). Die irakische Regierung und das irakische Parlament planen, die Wiedereinführung der Wehrpflicht zu prüfen. Hierbei wird auch die Möglichkeit erwogen, anstelle des Militärdienstes eine Ersatzzahlung leisten zu können (BasNews 7.8.2019).

Laut Kapitel 5 des irakischen Militärstrafgesetzes von 2007 ist Desertion in Gefechtssituationen mit bis zu sieben Jahren Haft strafbar. Das Überlaufen zum Feind ist mit dem Tode strafbar (MoD 10.2007). Die Armee hat kaum die Kapazitäten, um gegen Desertion von niederen Rängen vorzugehen. Es sind keine konkreten Fälle bekannt, in denen es zur Verfolgung von Deserteuren gekommen wäre (DIS/Landinfo 5.11.2018). Im Jahr 2014 entließ das Verteidigungsministerium Tausende Soldaten, die während der IS-Invasion im Nordirak ihre Posten verlassen haben und geflohen sind. Im November 2019 wurden, mit der behördlichen Anordnung alle entlassenen Soldaten wieder zu verpflichten, über 45.000 wieder in Dienst gestellt (MEMO 6.11.2019).

Die Rekrutierung in die Volksmobilisierungskräfte (PMF) erfolgt ausschließlich auf freiwilliger Basis. Viele schließen sich den PMF aus wirtschaftlichen Gründen an. Desertion von den PMF kam in den Jahren 2014 bis 2015 seltener vor als bei der irakischen Armee. Desertion von Kämpfern niederer Ränge hätte wahrscheinlich keine Konsequenzen oder Vergeltungsmaßnahmen zur Folge (DIS/Landinfo 5.11.2018).

Auch in der Kurdischen Region im Irak (KRI) herrscht keine Wehrpflicht. Kurdische Männer und Frauen können sich freiwillig zu den Peshmerga melden (DIS 12.4.2016). Rekruten für die Peshmerga unterzeichnen einen Vertrag für eine bestimmte Dienstzeit, nach dessen Ablauf die Person freiwillig gehen kann (EASO 3.2019).

Die Strafe für Desertion von den Peshmerga kann, je nach den Umständen, von der Auflösung des Vertrages bis zur Verurteilung zum Tode reichen. Für letzteres gibt es jedoch keine Berichte (DIS 12.4.2016; vgl. EASO 3.2019). Wenn ein Peshmerga von der Frontlinie desertiert, wird er vor ein Militärgericht gestellt und kann nach irakischem Militärrecht zum Tode verurteilt werden. Einige Peshmerga-Soldaten verlassen die Streitkräfte, weil sie keinen Sold erhalten. Bislang wurden jedoch keine Fälle von Desertion durch die Peshmerga-Truppen vor Gericht gebracht (DIS 12.4.2016).

Es gibt Vorwürfe der Rekrutierung von Kindersoldaten durch Elemente der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), der Shingal Protection Units (YBS) und von PMF-Milizen (USDOS 11.3.2020).

1.3 Zum Fluchtvorbringen:

1.3.1 Der Beschwerdeführer hat im Sommer 2014 etwa drei Wochen lang Videoaufnahmen für die Miliz Saraya as-Salam durchgeführt und dabei für sich selbst Fotos angefertigt. Zu diesem Zweck hat er sie begleitet, wobei er auch zumindest fallweise Uniform oder Uniformteile in Tarnfarben trug. Zur dieser Zeit fand die Befreiung der Stadt Amerli am 30. und 31.08.2014 statt, an der Saraya as-Salam aufseiten der Sieger teilnahm.

1.3.2 Es kann nicht festgestellt werden, warum der Beschwerdeführer den Herkunftsstaat verlassen hat. Es kann nicht festgestellt werden, dass er eine Verfolgung oder eine Bedrohung durch Asa'ib Ahl al-Haqq oder eine andere Miliz erlitten hätte, um ihn zur Unterstützung zu bewegen, speziell nicht, dass er von einem Mitglied der Asa'ib Ahl al-Haqq oder mehreren solchen aufgefordert worden wäre, der Asa'ib Ahl al-Haqq Namen von Mitgliedern der Saraya as-Salam zu verraten, sich der Asa'ib Ahl al-Haqq anzuschließen oder diese nach Mossul, Salah ad-Din oder andere Orte zu begleiten und für sie Videoaufnahmen zu machen.

1.3.3 Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat von einem Mitglied der Asa'ib Ahl al-Haqq in einem Kraftwagen mit einer Faustfeuerwaffe bedroht worden wäre, weil er eine Zusammenarbeit mit Asa'ib Ahl al-Haqq abgelehnt hätte.

1.3.4 Es kann nicht festgestellt werden, dass ihm aus anderen, und sei es auch unterstellten, Gründen der politischen Gesinnung, Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe im Herkunftsstaat staatliche Verfolgung oder eine private Verfolgung drohen würde, gegen die der Staat keinen Schutz bieten könnte oder wollte.

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde Beweis erhoben im Rahmen der Verhandlung, wo der Beschwerdeführer als Partei befragt wurde, und durch die Einsichtnahme in den Akt des BFA unter zentraler Berücksichtigung der Angaben des Beschwerdeführers sowie in die vom Beschwerdeführer vorgelegten Urkunden.

2.1 Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsakts des BFA und der Gerichtsakten. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) und dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend eingeholt.

2.2 Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu seinen Lebensumständen, seinem Gesundheitszustand, seiner Arbeitsfähigkeit sowie seiner Glaubenszugehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglichen glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers und die Feststellungen des bekämpften Bescheids, ebenso zur Ausbildung und Tätigkeit des Beschwerdeführers, jeweils aktualisiert durch die jüngsten Angaben, zuletzt bei der Verhandlung.

Betreffend den Schulbesuch hat der Beschwerdeführer erstbefragt angegeben, im Irak 15 Jahre Schulausbildung absolviert und die Reifeprüfung abgelegt zu haben (AS 11), 2016 dann, dass er 12 Jahre in die Schule gegangen sei, aber die höhere Schule nicht abgeschlossen habe, weil er geflohen sei. In der Verhandlung schließlich führte er aus, er habe drei Klassen wiederholt und zudem den Schulbesuch mehrfach unterbrochen, sodass er im Maturajahr 24 gewesen sei. Das Schuljahr habe im Mai geendet, wobei er im April oder Mai zur Reifeprüfung angetreten sei, aber zwei Fächer nicht geschafft habe, die er im September hätte wiederholen sollen., was er nicht getan habe, weil er das Land verlassen habe. Genauere Feststellungen waren demnach nicht möglich.

Betreffend den Ausreisezeitpunkt war keine genauere Feststellung möglich, weil der Beschwerdeführer keine konsistenten Angaben für die Zeit vor seiner Ankunft in Österreich gemacht hat. Von den widersprüchlichen Aussagen zu seiner Reportertätigkeit und der angeblichen späteren Bedrohung abgesehen (s. 2.4), betrifft dies speziell die Reisebeschreibung.

Er hat im Verfahren angegeben, er glaube, dass er den Herkunftsstaat 12 Tage vor seiner Ankunft in Österreich verlassen habe (AS 134). Hier sei er dann drei (AS 17) oder vier Tage (AS 134) in Wien gewesen und habe einen Zugfahrschein nach Mailand gekauft, wo er dann einen weiteren für Paris erstanden habe und sich nach 12 Stunden dorthin aufgemacht habe. Vor der Ankunft dort sei er kontrolliert und in die Schweiz zurückgeschickt worden, und von dort nach Italien. Dann sei er mit dem Zug von Mailand wieder nach Wien, wo er am 03.10.2015 Asyl beantragte. Das sei eine Woche nach seinem ersten Aufenthalt in Österreich gewesen. (AS 134)

Wäre der Beschwerdeführer aber demnach etwa am 26.09. in Österreich angekommen und die drei folgenden Tage geblieben, was hieße, dass er am 30.09. losgefahren wäre und die Rundfahrt Wien - Mailand - Schweiz - Frankreich ("Kurz vor der Ankunft in Paris", AS 134) - Schweiz - Mailand - Wien in nur drei Tagen absolviert hätte (einschließlich 12 Stunden Aufenthalt in Mailand, AS 17), so bliebe zu beachten, dass er ursprünglich angegeben hat, erst Ende September von Bagdad nach Istanbul geflogen zu sein (AS 15, 134).

Ausgehend davon, dass diese Reise vom Herkunftsstaat ihn nach seinen Angaben von Bagdad per Flug nach Istanbul und dann mit Land- und Wasserfahrzeugen nach Griechenland, (damals) Mazedonien, Serbien und Kroatien führte, anschließend nach Ungarn und Österreich, wobei er von Istanbul am nächsten Tag (AS 17) oder nach zwei Tagen (AS 134) nach Izmir gefahren, (dort den Schlepper für die Schlauchbootfahrt kennengelernt haben,) auch auf Samos über Nacht geblieben sein und sich 1,5 Tage in Serbien aufgehalten haben will (AS 17 f), wird dem Beschwerdeführer kaum darin gefolgt werden können, erst Ende September den Irak verlassen zu haben.

Viel eher wird anzunehmen sein, dass er den Herkunftsstaat weder Ende September verlassen hat, noch 12 Tage vor seiner Ankunft in Österreich (AS 134), sondern erheblich früher, und sich aus nicht bekannten Gründen bereits länger außerhalb des Irak aufhielt. In der Verhandlung hat er zwar das Verkehrsmittel der Etappe Ungarn-Österreich neu mit Omnibus angegeben (zuvor zweimal mit Zug), seine Angabe zur Reisedauer indes vage gehalten: "Weniger als ein Monat."

Mit Blick auf die Frankreich-Reise wird unter Berücksichtigung der Reisegeschwindigkeit per Eisenbahn von einer spätesten (ersten) Ankunft des Beschwerdeführers wie festgestellt auszugehen sein. Alles in allem ist es damit kaum wahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer später als Anfang September 2015 den Herkunftsstaat verlassen hat. Da er Ende August 2014 mit Saraya as-Salam unterwegs war, muss die Ausreise nachher erfolgt sein, der Zeitpunkt ist aber nicht feststellbar.

2.3 Zum Herkunftsstaat

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem aktuellen Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für Irak samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen Dieser Länderinformationsbericht stützt sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von Nichtregierungsorganisationen, wie z. B. Open Doors, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie des Umstands, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Der Beschwerdeführer hat in der Verhandlung zu den Länderfeststellungen angegeben, dass er sie nicht gelesen habe. Wenn in diesen aber wie schon in dem vom BFA verwendeten Länderbericht von 2016 keine Rede davon sei, dass Asa'ib Ahl al-Haqq Schiiten zwangsweise rekrutieren würde, sondern vielmehr, dass sich den PMF ab 2014 viele Freiwillige angeschlossen haben (2019, S. 71), und diese ausschließlich Freiwillige rekrutieren, von denen sich viele aus wirtschaftlichen Gründen anschließen (2020, S. 56), dann sei das nicht richtig.

Die Asa'ib Ahl al-Haqq sei als terroristische Organisation bekannt und zwinge die Menschen zum Mitmachen, von freiwillig könne keine Rede sein. Es stimme, dass viele auch freiwillig hingingen, weil sie sehr gut bezahlt bekämen, aber auch, dass daneben welche gezwungen würden, sie z. B. mit Informationen zu unterstützen.

Damit hat er sein Fluchtvorbringen in allgemeiner Form wiederholt, indem er angab, dass auch andere Personen gezwungen würden, Information preiszugeben, ist aber mangels Angabe von Quellen oder nachprüfbaren Beispielen den Länderfeststellungen nicht qualifiziert entgegengetreten.

2.4 Zum Fluchtvorbringen:

2.4.1 Wie bereits beim BFA vermochte der Beschwerdeführer auch in der Verhandlung des Verwaltungsgerichts kein plausibles Geschehen darzulegen, das ihn zur Flucht veranlasste.

2.4.2 Bereits betreffend den Einsatz als Filmreporter der Saraya as-Salam fällt auf, dass sämtliche Lichtbilder, die datiert sind, auch jene, auf denen der Beschwerdeführer Uniform oder Uniformteile trägt, die Jahresangabe "2015" aufweisen (z. B. "Sommer 2015 Bagdad", "Schnellstraße zw. Bagdad + Kirkuk führt zum Gebiet d. IS Sommer 2015", "Sommer 2015 beim krd. Gebiet", "Regierungssitz Amerli (Schlacht) Sommer 2015" und "Amerli 2015 Sommer"). Einvernommen gab er an, bei der "Schlacht im Ort Amerli" als dabei gewesen zu sein und dort die besten Videoaufnahmen gemacht zu haben (AS 135).

Die Belagerung und Befreiung von Amerli fand demgegenüber unstrittig 2014 statt, und zwar laut Wikipedia mit dem Sieg der irakischen Armee, schiitischer Milizen und der kurdischen Armee am 31.08.2014. Der Staatendokumentation des BFA war zu entnehmen, dass daran auch Saraya as-Salam teilgenommen hat. (ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation, Anfragebeantwortung zum Irak: Lage von Personen, die für NGOs und/oder amerikanische Organisationen gearbeitet haben; Bedrohung durch schiitische Milizen; aktuelle Aktivitäten der schiitischen Milizen im Land, insbesondere Saraya al-Salam [a-9910-1] 17. November 2016, www.ecoi.net/de/dokument/1122241.html)

Tatsächlich gab der Beschwerdeführer später in der Einvernahme zur Bedrohung durch die Asa'ib Ahl al-Haqq an, bei allem, was passiert sei, wisse er nicht, "ob es 2014 oder 2015 passiert ist". Er vermute, alles, auch die Fotos, sei 2014 passiert.

Es ist schwer vorstellbar, dass die drei Wochen an der Seite der Saraya as-Salam nicht so einprägsam gewesen wären, dass der Beschwerdeführer nicht wüsste, ob er sie im Jahr seines Asylantrags erlebt hat oder im Jahr davor. Eine plausible Erklärung für die Aussagen wäre, dass eine zeitliche Nähe zwischen Reportage und Ausreise bestand, aber eben 2014, und der Beschwerdeführer die anschließenden Monate Jahr bereits in der Türkei verbrachte.

Immerhin hat der Beschwerdeführer in der Verhandlung auch sein Antreten zur Reifeprüfung "im April oder Mai 2014" datiert, wobei er die Wiederholungsfächer im September wegen seiner Ausreise nicht absolviert habe (Verhandlung, S. 6). Vom Richter aufmerksam gemacht, korrigierte der Beschwerdeführer sodann, dass er 2015 zur Matura angetreten sei.

2.4.3 Selbst dann, wenn man unterstellt, dass sich der Beschwerdeführer noch im Frühling 2015 im Irak aufhielt, fallen die Ungereimtheiten bei der Beschreibung der Bedrohungssituation auf.

Einvernommen gab der Beschwerdeführer an, nach den Sommerferien 2015 hätte ihn Asa'ib Ahl al-Haqq über Facebook kontaktiert, und er habe sich mit ihnen getroffen ("Als die Schule wieder begonnen hat, [...]", AS 135). Er habe es abgelehnt, sie zu begleiten und Kampfhandlungen zu "fotografieren" (filmen, Anm.) und erklärt, in die Schule zu müssen. Als er es aber dann wieder für Saraya as-Salam getan habe, sei Asa'ib Ahl al-Haqq zu ihm gekommen und habe ihm gesagt, er müsse mit ihnen arbeiten, wenn er ohnehin nicht in der Schule sei.

Das sei in der Form geschehen, dass ihn ein namentlich genannter Facebook-Teilnehmer "A. A." kontaktiert habe, nachdem der Beschwerdeführer dort während der Kämpfe von Amerli seine Fotos geteilt habe. Diesen habe er viermal getroffen, zweimal seien sie spazieren gegangen, zweimal im Auto gesessen. Das sei "ca. in den Sommerferien" gewesen. Sie hätten über Facebook Kontakt "vor den Sommerferien" gehabt ("2014 oder 2015", AS 138 f).

Beim vierten Treffen habe ihn der Kontaktmann, der "ein Anführer" in der Asa'ib Ahl al-Haqq gewesen sei, mit dem Auto von daheim abgeholt und ihm einen Laptop und eine Kamera angeboten. Als er abgelehnt habe, hätte ihm dieser gesagt, es sei ok, Asa'ib Ahl al-Haqq nicht bei Kampfhandlungen aufzunehmen, aber er solle ihnen Namen von Mitgliedern der Saraya as-Salam besorgen, die bei Amerli dabei gewesen seien. Er habe darauf erwidert, dass er die Klarnamen der Kämpfer nicht kenne. Darauf habe der Genannte eine "lautlose Pistole" hervorgeholt und erklärt, "dass es auf die nette Art und Weise nicht funktioniert". Da gerade ein Polizeiauto vorbeigefahren sei, habe der Beschwerdeführer die Gelegenheit genutzt und sei ausgestiegen. Das sei wie die anderen Treffen "in den Ferien 2015" gewesen (AS 138), und er habe sich danach eine Woche bei seiner Schwester in Samawa versteckt (AS 136).

Das letzte Treffen habe ca. eine Woche vor seiner Ausreise stattgefunden, "ein paar Tage vor dem 15. September". (AS 137)

In der Beschwerdeverhandlung schließlich gab der Beschwerdeführer an, dass der Schulbeginn in der Provinz Al-Muthanna auf den 01.09. fiel und die Sommerferien Ende Mai begannen, und bestätigte, dass das so war, als er sich dort aufhielt (S. 5). Asa'ib Ahl al-Haqq habe ihn "Ende August 2015 kontaktiert". Es seien vier Personen zu ihm gekommen, die er nicht gekannt habe, und hätten ihm gesagt, dass sie seine Videos auf YouTube gesehen hätten und wollten, dass er mit ihnen arbeite. Sie seien nur einmal zu ihm gekommen, danach hätten sie ihn öfters angerufen, und er habe ihnen angeboten, sie schrittweise zu coachen, wie man filme. Sie hätten aber verlangt, dass er mit ihnen arbeite. Dies habe er nicht gekonnt, weil er den Krieg nicht mehr sehen habe können, er habe psychisch unter ihm gelitten. (S. 8)

2.4.4 An Widersprüchen fällt dabei auf, dass zunächst eine Kontaktaufnahme nach den Sommerferien berichtet wird, also frühestens im September, was für 2015 bedeuten würde, dass das Geschilderte in der kurzen verbleibenden Zeit kaum mehr stattfinden konnte. Ferner gab er in der Einvernahme an, Kontakt mit dem "Anführer" über Facebook "vor den Sommerferien" gehabt zu haben. Wenn es dabei um Fotos aus der Zeit von "Amerli" ging (Juli/August 2014), dann kann nur gemeint sein, vor den Sommerferien 2015, also vor Ende Mai 2015. In der Verhandlung datierte der Beschwerdeführer den Erstkontakt auf "Ende August 2015", was auch extrem knapp vor dem Ausreisezeitpunkt läge.

Ferner ist zu bemerken, dass die angeblichen Kontakte mit Asa'ib Ahl al-Haqq unterschiedlich berichtet werden: Beim BFA gab der Beschwerdeführer an, der Anführer "A. A." habe ihn über Facebook kontaktiert, sich viermal mit ihm getroffen und ihn beim vierten Treffen mit dem Auto abgeholt. (AS 137) In der Beschwerdeverhandlung sagte er aus, vier Unbekannte seien zu ihm gekommen, die er nicht wieder getroffen habe, und hätten ihn danach öfters angerufen. Er sei nicht bedroht worden, weil er nicht mitgegangen sei, sondern weil sie die Personen wissen hätten wollen, die in Amerli bei Saraya as-Salam mitgekämpft hätten. (S. 8)

Erst auf ausdrückliche Frage des Richters nach dem Vorfall im Auto beschrieb der Beschwerdeführer, dass "jemand" zu ihm gekommen sei, um ihn zu überreden, dass er "bei ihnen arbeite". Dieser habe ihn im Auto mitgenommen, in einer Allee gehalten, ihm Laptop und Kamera gegeben und ihm gezeigt, "wie ich das machen soll". (S. 10)

Die beiden präsentierten Handlungsstränge passen also nur zu kleinen Teilen zusammen, und beinhalten auch die Ungereimtheit, dass "jemand" (das wäre "A. A.") dem Beschwerdeführer Laptop und Kamera erklärt, wobei Letzterer ja gerade wegen seiner einschlägigen Kompetenz angeworben werden soll. Statt seiner zu erwartende Reaktion darauf berichtet dieser aber übergangslos: "Ich habe gesagt, dass ich die Namen nicht weiß. Auf einmal hat er die Pistole gezeigt und mich bedroht. Es gab plötzlich eine Polizeikontrolle und [ich] habe gesehen, wie nervös er ist. So habe ich die Gelegenheit genutzt. Ich bin ausgestiegen und er ist mit dem Auto weitergefahren." (S. 10)

2.4.5 Der Beschwerdeführer vermochte keine Angaben zu der Pistole zu machen, was bei einem im vorangegangenen Jahr (und nach eigenen Angaben nochmals 2015) die kämpfende Truppe begleitenden Foto- und Filmreporter erstaunt. Die Erklärung, er kenne sich mit Pistolenmarken und mit dem Kaliber nicht aus, erweist sich als wenig schlüssig, zumal die Frage in der Verhandlung sich auch auf das Aussehen bezog (AS 11), also von einem Fotografen und Videofilmer zumindest eine Auskunft z. B. betreffend Farbe, Material und den beim BFA berichteten Schalldämpfer oder ein optischer Vergleich mit den bei Saraya as-Salam verwendeten Waffen möglich gewesen wäre.

Der Beschwerdeführer hat zudem seinen Wunsch, sein Hobby Fotografieren mit dem "Militärbereich" zu verbinden (AS 135), und sein Interesse am Krieg und der Anwesenheit im Kampfgebiet zum Fotografieren (Verhandlung, S. 3) explizit als Motiv seiner Kontaktaufnahme mit Saraya as-Salam genannt, sodass das Aussehen von Waffen nicht gänzlich seiner Aufmerksamkeit entgehen kann.

2.4.6 Ungeklärt blieb auch, warum sich Asa'ib Ahl al-Haqq, die vor allem nördlich und westlich von Bagdad aktiv ist, rund ein Jahr nach der Befreiung der (dort gelegenen) Stadt Amerli für die Namen der damaligen Kämpfer der Saraya as-Salam interessieren sollte, und dazu im Süden des Iraks an den Beschwerdeführer vorerst wegen einer Mitarbeit im Medienbereich heranträte. Die Erklärungen des Beschwerdeführers in der Verhandlung, wonach die beiden Gruppen bis 2010 eine einzige gewesen wären, sich 2010 aufgespalten und bis 2015 gegeneinander gekämpft hätten, verfängt mit Blick auf die Länderfeststellungen schon deshalb nicht, weil Asa'ib Ahl al-Haqq 2006 entstand und Saraya as-Salam 2014, ob nun Asa'ib Ahl al-Haqq ein Büro auch "im Süden" und so eine räumliche Nähe zum Beschwerdeführer gehabt hat oder nicht. (Verhandlung S. 8)

2.4.7 Zuletzt ist darauf zu verweisen, was bereits zum Ausreisezeitpunkt erwogen wurde (s. 2.2). Es ist demnach kaum wahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer später als Anfang September 2015 den Herkunftsstaat verlassen hat.

Vom Ablauf her ist die Angabe des Beschwerdeführers zu berücksichtigen, dass er sich vor der Ausreise noch eine Woche bei seiner Schwester versteckt habe. (AS 136) Damit war auch seiner Zeitangabe betreffend das letzte angebliche Treffen mit dem ihn bedrohenden "Anführer" der Asa'ib Ahl al-Haqq, "ca. eine Woche vor meiner Ausreise, es war ein paar Tage vor dem 15[.] September" kein Glauben zu schenken.

2.4.8 Unter Berücksichtigung all dessen ist es dem Beschwerdeführer wie bereits beim BFA nicht gelungen, substantiiert und nachvollziehbar darzutun, dass er eine Verfolgung oder eine Bedrohung durch Asa'ib Ahl al-Haqq erlitten hätte, um ihn zur Mitarbeit, zur Spionage oder zu anderer Unterstützung zu bewegen, oder ihm eine solche Verfolgung oder Behandlung droht, und auch nicht, dass ihm aus anderen, und sei es auch unterstellten, Gründen der politischen Gesinnung, Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe im Herkunftsstaat staatliche Verfolgung oder eine private Verfolgung drohen würde, gegen die der Staat keinen Schutz bieten könnte oder wollte.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

3.1 Nach § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK droht, und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

3.2 Zum Vorbringen des Beschwerdeführers ist festzuhalten, dass das Geschilderte soweit es die Bedrohung des Beschwerdeführers vor der Ausreise und die Fluchtgründe betrifft - wie es bereits das BFA sah - nicht glaubhaft, wenig wahrscheinlich, widersprüchlich und damit in seiner Gesamtheit als Vorbringen erscheint, mit welchem keine Bedrohungssituation nachvollziehbar dargetan wird.

Wie die Feststellungen zeigen, hat der Beschwerdeführer damit also keine Verfolgung oder Bedrohung glaubhaft gemacht, die asylrelevante Intensität erreicht. Da auf eine asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers auch sonst nichts hinweist, ist davon auszugehen, dass ihm keine Verfolgung aus in den in der GFK genannten Gründen droht.

Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen zurückzuführen sind, sind ebenso wie persönliche und wirtschaftliche Gründe keine Verfolgung im Sinne der GFK.

3.3 Die Voraussetzungen für die Erteilung von Asyl sind daher nicht gegeben. Aus diesem Grund war die nur gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides erhobene Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zum Beweismaß beim Fluchtvorbringen zur Feststellung asylrelevanter Verfolgung.

Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage(n) kamen nicht hervor.

Schlagworte

Asylantragstellung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren begründete Furcht vor Verfolgung Fluchtgründe Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I419.2131293.1.00

Im RIS seit

03.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

03.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten