TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/18 L511 2166698-1

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Veröffentlicht am 18.06.2020
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Entscheidungsdatum

18.06.2020

Norm

ASVG §67 Abs10
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

L511 2166698-1/6E

Im Namen der Republik!

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag.a JICHA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , vertreten durch Rechtsanwälte KÜHLEITNER und LOCHBICHLER, gegen den Bescheid der Salzburger Gebietskrankenkasse (nunmehr Österreichische Gesundheitskasse) vom 05.05.2017, Zahl: XXXX , nach Beschwerdevorentscheidung vom 07.07.2017, Zahl: XXXX :

A)

In Erledigung der Beschwerde wird die Beschwerdevorentscheidung der Salzburger Gebietskrankenkasse vom 07.07.2017, Zahl XXXX , gemäß § 28 Abs. 2 und Abs. 5 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang und Verfahrensinhalt

1. Verfahren vor der Gebietskrankenkasse [SGKK]

1.1. Mit Schreiben vom 04.04.2017 teilte die SGKK dem Beschwerdeführer mit, dass auf dem Beitragskonto der XXXX [im Folgenden: P GmbH] aus den Beiträgen Februar 2010 bis Februar 2015 ein Rückstand in Höhe von insgesamt EUR 33.760,35 offen aufscheine, welcher im Wege der Ausfallshaftung nach § 67 Abs. 10 iVm 58 Abs. 5 ASVG geltend gemacht werde. Dem Schreiben war ein Rückstandsausweis gemäß § 64 ASVG vom selben Tag beigelegt (Aktenzahl der vorgelegten Aktenteile [AZ] I).

Der Beschwerdeführer sei als faktischer Geschäftsführer Vertreter der P GmbH gewesen und es sei auf Grund des von der Staatsanwaltschaft Salzburg in Auftrag gegebenen Gutachtens von seinem Verschulden auszugehen. Der Beschwerdeführer wurde aufgefordert, den Rückstand bis spätestens 26.04.2017 zu begleichen oder innerhalb dieser Frist alle Tatsachen vorzubringen, die gegen seine Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG sprächen.

1.2. Im Ermittlungsverfahren führte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 12.04.2017 aus, er sei weder handelsrechtlicher noch faktischer Geschäftsführer der GmbH gewesen sei, sondern lediglich gewerberechtlicher Geschäftsführer (AZ III). Er sei auch nicht auf den Bankkonten zeichnungsberechtigt gewesen, für die Lohn- und Gehaltsabrechnungen seien vom Geschäftsführer XXXX [H] externe Firmen und für den Zeitraum Jänner und Februar 2015 Herr XXXX [V] beauftragt worden.

1.3. Mit Haftungsbescheid vom 05.05.2017, Zahl: XXXX , verpflichtete die SGKK den Beschwerdeführer gemäß § 67 Abs. 10 iVm § 58 Abs. 5 ASVG als faktischer Geschäftsführer der P GmbH, zur Zahlung eines Rückstandes von EUR 21.269,03 innerhalb von 14 Tagen bei sonstiger Exekution. Zusätzlich sei der Beschwerdeführer verpflichtet, ab 19.05.2017 bis zur Einzahlung Verzugszinsen in der Höhe von derzeit 3,38% p.a. von EUR 21.269,03 zu entrichten (AZ IV). Die Summe setze sich laut beigelegtem Rückstandsausweis vom 05.05.2017 aus "Beiträgen GPLA Rest" "Beiträgen GPLA" der Monate 02/2010-02/2015 zusammen.

Begründend wurde im Wesentlichen zusammengefasst ausgeführt, der Beschwerdeführer sei dem Gutachten der Staatsanwaltschaft Salzburg zu GZ XXXX zufolge faktischer Geschäftsführer der Gesellschaft gewesen und in dieser Funktion sei er seinen sozialversicherungsrechtlichen Verpflichtungen nicht ordnungsgemäß nachgekommen. Der Beschwerdeführer habe trotz Aufforderung vom 04.04.2017 keine zur Prüfung der Gläubigergleichbehandlung geeigneten Unterlagen vorgelegt und auch keine Gründe dargelegt, die gegen sein Verschulden sprechen würden, weshalb die persönliche Haftung auszusprechen gewesen sei (AZ IV)

1.4. Mit Schreiben vom 31.05.2017 erhob der Beschwerdeführer gegen den am 09.05.2017 zugestellten Bescheid fristgerecht Beschwerde [Bsw] (AZ VI).

Der Beschwerdeführer führte im Wesentlichen zusammengefasst aus, er könne als bloßer Angestellter nicht im Rahmen der Geschäftsführerhaftung in Anspruch genommen werden. Die SGKK habe die faktische Geschäftsführereigenschaft des Beschwerdeführers nur mit Bezug auf ein Gutachten aus einem noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Gerichtsverfahrens abgeleitet, ohne eigene Feststellungen zu einem vom Beschwerdeführer gesetzten Verhaltens hinsichtlich einer (faktischen) Geschäftsführertätigkeit zu treffen. Er bestreite auch ausdrücklich die Richtigkeit des Gutachtens. Zudem sei die Abgabenverbindlichkeit der Höhe nach nicht nachvollziehbar, weil die SGKK die aus dem Insolvenzverfahren erhaltenen Zahlungen nicht dargelegt habe und der angenommen 90%ige Forderungsausfall werde ausdrücklich bestritten. Der Beschwerdeführer sei weder zur Anmeldung noch zur Abrechnung von Dienstnehmern verpflichtet, sondern als Bauleiter nur im gewerberechtlich relevanten Bereich der Bauabwicklung tätig gewesen.

1.5. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 07.07.2017, Zahl: XXXX , bestätigte die SGKK gemäß § 14 VwGVG den Bescheid vom 05.05.2017 vollinhaltlich (AZ VIII).

Ergänzend zur Bescheidbegründung vom 05.05.2017 führte die SGKK aus, laut telefonischer Rücksprache mit dem Masseverwalter am 07.07.2017 sei mit einer Quote unter 10 % zu rechnen. Weiters verwies die SGKK auf die Beschwerde von H, wonach sich dieser vom Beschwerdeführer über alle Belange in der Gesellschaft getäuscht und falsch informiert gefühlt habe, und auf Seite 168 des Gutachtens im Strafverfahren, Zahl XXXX , wonach der Beschwerdeführer Dienstnehmerlöhne bar ausbezahlt habe und der Verantwortliche gewesen sei, der tatsächlich die Geschäfte der GmbH geführt habe.

1.6. Mit Vorlageantrag vom 12.07.2017 beantragte der Beschwerdeführer die Vorlage seiner Beschwerde an das Verwaltungsgericht (AZ IX).

2. Die belangte Behörde legte dem Bundesverwaltungsgericht am 03.08.2017 die Beschwerde samt Auszügen aus dem Verwaltungsakt, in elektronischer Form vor (Ordnungszahl des hg Gerichtsaktes [im Folgenden:] OZ 1 [=AZ I-XII]).

2.1. Das BVwG führte eine Abfrage beim Firmenbuch und beim Gewerberegister betreffend die P GmbH durch (OZ 4, 5).

II. ad A) Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. entscheidungswesentliche Feststellungen

1.1. Im Firmenbuch eingetragener unternehmensrechtlicher Geschäftsführer der P GmbH war ab 04.04.2008 XXXX , welcher ab 15.11.2012 auch Alleingesellschafter war. Ab 07.07.2015 wurde die GmbH durch den Insolvenz- bzw. Masseverwalter vertreten (OZ 4).

1.2. Der Beschwerdeführer war von 11.02.2008 bis 18.03.2008 und von 27.12.2010 bis 31.05.2014 gewerberechtlicher Geschäftsführer der P GmbH (OZ 5).

1.3. Mit Beschluss des LG Salzburg vom 16.07.2015, XXXX , wurde ein Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung über die P GmbH eröffnet und die Gesellschaft infolge der Änderung des Verfahrens in ein Konkursverfahren mit 31.07.2017 aufgelöst. Mit Beschluss vom 28.08.2017 wurde der Konkurs nach Schlussverteilung aufgehoben und die Firma am 24.11.2017 gemäß § 40 FBG infolge Vermögenslosigkeit amtswegig gelöscht.

1.4. Die Summe der verfahrensgegenständlichen offenen Forderungen am Beitragskonto der P GmbH setzt sich laut Rückstandsausweis gemäß § 64 ASVG vom 05.05.2017 wie folgt zusammen:

Beiträge GPLA Rest und GPLA 02/2010-02/2015

EUR 26.110,41

Verzugszinsen (§59 Abs. 1 ASVG) bis 31.05.2011

EUR 7.649,94

Summe

EUR 33.760,35

1.5. Im Gutachten im Strafverfahren, Zahl XXXX , wurde in Bezug auf die Herbeiführung und des Weiterwirtschaftens nach Erkennbarkeit der Zahlungsunfähigkeit folgende den Beschwerdeführer betreffende Feststellungen getroffen (Tz648, Tz650, Anonymisierung durch BVwG):

Tz643: "[...] Weiters wurde die laufende Buchhaltung ab 2013 erst im Nachhinein ab dem Jahr 2013 erstellt. Es zeigen sich, vor allem zum Jahresende Umbuchungen zwischen dem Verrechnungskonto [des Beschwerdeführers] und dem Verrechnungskonto Lohn- und Gehaltsverbindlichkeiten, wonach [der Beschwerdeführer] die Dienstnehmerlöhne bar an die Dienstnehmer bezahlte. So zeigen sich lt. Vorliegender Buchhaltung "Überzahlungen", wobei mir [Anmerkung dem Gutachter] dafür keine Belegbasis vorliegt, sondern sich das Bild ergibt, dass im Rahmen der nachträglich erstellten Buchhaltung die Feststellungen aus der GPLA-Prüfung "nachgebucht" wurden. Durch meine Berechnungen zeigt sich, dass bis Dezember 2014 sämtliche Löhne und Gehälter auch ausbezahlt wurden."

Tz648: "[Der Beschwerdeführer] war lt. Insolvenzvertreter Dr. Oder Verantwortliche der tatsächlich die Geschäfte der P GmbH führte. [...] Mit der Aufnahme [des Beschwerdeführers] als Verantwortlichen, der die Geschäfte der P GmbH tatsächlich führte, entstand somit ein absehbares Konkursrisiko für die P GmbH."

Tz650: "H, Geschäftsführer der P GmbH, ist Versicherungsmakler und hatte selbst eigenen Angaben zufolge keine Erfahrungswerte und Kenntnisse in der Bauwirtschaft. Er vertraute dem gewerberechtlichen Geschäftsführer [dem Beschwerdeführer], welcher sich jedoch ebenfalls nicht um eine laufende Buchhaltung und um einen profunden Überblick kümmerte. H hat es jedoch auch unterlassen, den gewerberechtlichen Geschäftsführer ausreichend und effektiv zu kontrollieren (Tz528), wenn er sich schon auf dessen Tätigkeit inhaltlich verließ."

2. Beweisaufnahme und Beweiswürdigung

2.1. Die Beweisaufnahme, aus der sich auch der unter I. dargelegte Verfahrensgang ergibt, erfolgte durch Einsicht in die im Folgenden gelisteten von den Verfahrensparteien vorgelegten oder vom BVwG erhobenen Dokumenten und Unterlagen

im Verfahrensakt der SGKK:

* Haftungsbrief und Aufforderung zur Unterlagenvorlage der SGKK (AZ I)

* Bescheid und Beschwerdevorentscheidung der SGKK (AZ IV und VII)

* Stellungnahme und Beschwerde des Beschwerdeführers (AZ III und VI)

* Zusammenfassung des Gutachtens zu XXXX (AZ X)

* Prüfbericht vom 07.05.2015 (AZ XI)

im hg. Gerichtsakt:

* Firmenbuchauszug der GmbH (OZ 4)

* GISA-Auszug der GmbH (OZ 5)

2.2. Beweiswürdigung

2.2.1. Die Feststellungen zu den Gesellschafter- und Geschäftsführerverhältnissen, sowie die Konkurseröffnung und -aufhebung ergeben sich aus dem österreichischen Firmenbuchauszug (OZ 4) und den Eintragungen im österreichischen Gewerberegister (GISA), an deren Richtigkeit kein Anlass zu zweifeln bestand.

2.2.2. Die Feststellungen aus dem Gutachten im Strafverfahren ergeben sich unmittelbar aus diesem, und wurden von den Verfahrensparteien nicht in Zweifel gezogen.

3. Entfall der mündlichen Verhandlung

3.1. Der Anspruch einer Partei auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist kein absoluter (§ 24 VwGVG unter Hinweis auf Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, [EMRK] noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 [GRC]). Nach der Rechtsprechung des EGMR und ihm folgend des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt unumstritten und nur eine Rechtsfrage zu entscheiden ist oder wenn die Sache keine besondere Komplexität aufweist (vgl. dazu für viele EGMR 12.11.2002, Döry / S, Rn37; VfGH 20.02.2015, B1534; sowie jüngst VwGH 18.12.2018, Ra 2018/03/0132, jeweils mwN).

3.2. Im gegenständlichen Fall ergab sich klar aus der Aktenlage, dass von einer mündlichen Erörterung keine weitere Klärung der Rechtssache zu erwarten war. Der sich aus dem Akteninhalt ergebende Sachverhalt war weder ergänzungsbedürftig noch erschien er in entscheidenden Punkten als nicht richtig.

4. Rechtliche Beurteilung

4.1.1. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch Einzelrichterin ergeben sich aus § 6 Bundesgesetz über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes [BVwGG] iVm § 414 Abs. 1 und Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz [ASVG]. Das Verfahren des Bundesverwaltungsgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) geregelt. Verfahrensgegenständlich sind demnach neben dem VwGVG auch die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, sowie jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen sinngemäß anzuwenden, die die SGKK im erstinstanzlichen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte (§ 17 VwGVG).

4.1.2. Die SGKK hat gegenständlich eine Beschwerdevorentscheidung gemäß § 14 VwGVG erlassen und der Beschwerdeführer hat fristgerecht einen Vorlageantrag gemäß § 15 VwGVG gestellt, mit dem die (gegen den ersten Bescheid gerichtete) Beschwerde dem Verwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt wird. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist daher die an die Stelle des Ausgangsbescheides getretene Beschwerdevorentscheidung, wobei der Ausgangsbescheid Maßstab dafür bleibt, ob die Beschwerde berechtigt ist oder nicht, da sich diese gegen den Ausgangsbescheid richtet und ihre Begründung auf diesen beziehen muss (VwGH 20.05.2015, Ra 2015/09/0025; 17.12.2015, Ro2015/08/0026).

4.1.3. Die Beschwerde und der Vorlageantrag sind rechtzeitig und auch sonst zulässig.

4.2. Stattgabe der Beschwerde

4.2.1. Gemäß § 67 Abs. 10 ASVG haften die zur Vertretung juristischer Personen oder Personenhandelsgesellschaften (offene Gesellschaft, Kommanditgesellschaft) berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

4.2.2. Die Haftungsbestimmung des § 67 Abs. 10 ASVG erfasst nur gesetzliche Vertreter juristischer Personen, also jene Personen, ohne die das vertretene Rechtssubjekt nicht handeln kann. Gesetzliche Vertreter einer GmbH sind die Geschäftsführer (VwGH 14.03.2001, 2000/08/0097 mwN).

Einen Sonderfall stellt die ausnahmsweise Haftung des "faktischen Vertreters" dar. "Faktischer Geschäftsführer" ist jene Person, die sich als de facto Geschäftsführer geriert hat, dies liegt dann vor, wenn die betreffende Person nach dem Gesamterscheinungsbild ihres Auftretens die Geschicke der Gesellschaft durch eigenes Handeln im Außenverhältnis maßgeblich in die Hand genommen hat und dieser Person wesentlicher Einfluss auf die Geschäftsführung zukommt, wobei es nicht darauf ankommt, ob diese Person als Gesellschafter oder sonst im Firmenbuch aufscheint.

4.2.3. Der Normzweck der Vertreterhaftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG erfordert - anders als im Zivil- und Strafrecht (vgl. dazu etwa OGH 8 Ob 124/07d) - zusätzlich zum "Wissen" um Beitragsschulden eine spezifische rechtliche Ingerenz zur Erfüllung von Beitragsverbindlichkeiten. Während dies beim unternehmensrechtlichen Geschäftsführer ohne weiteres der Fall ist, erfordert es beim faktischen Geschäftsführer entweder eine Betrauung mit der Geschäftsführungstätigkeit auch in rechtlicher Hinsicht, einschließlich der Wahrnehmung der finanziellen Gestion des Unternehmens, oder aber auch eine solche Stellung in der Gesellschaft, die es ermöglicht hat, eine vergleichbare rechtliche Ingerenz an sich zu ziehen, die den rechtlichen Geschäftsführer (ungeachtet der Fortdauer auch seiner, an der formalen Rechtsstellung anknüpfenden Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG) zu einem "Strohmann" degradiert (wie dies beim Alleingesellschafter, uU auch bei einem Mehrheitsgesellschafter einer GmbH der Fall sein kann). Unter diesen Voraussetzungen ermöglicht es § 539 a Abs. 3 ASVG, den faktischen Geschäftsführer dann als den wahren Vertreter der Gesellschaft auch nach § 67 Abs. 10 ASVG haften zu lassen (Müller in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm §67 Rz80, 97-98 mwN; VwGH 14.03.2001, 2000/08/0097 mwN).

4.2.4. Verfahrensgegenständlich stützte die SGKK die Haftung des Beschwerdeführers als faktischer Vertreter der P GmbH auf die Feststellungen im Gutachten zum Strafverfahren, Zahl XXXX , wonach der Beschwerdeführer die Dienstnehmerlöhne in bar an die Dienstnehmer ausbezahlt habe (Tz643) und der handelsrechtliche Geschäftsführer H dem Beschwerdeführer als gewerberechtlichem Geschäftsführer vertraut habe (Tz650).

Dabei übersieht die SGKK, dass das Gutachten weder festhält, dass H die Geschäftsführung entzogen wurde, noch, dass der Beschwerdeführer rechtlich mit der Wahrnehmung der finanziellen Gestion der GmbH betraut wurde. Im Gegenteil, aus dem Gutachten ergibt sich klar, dass sich der Geschäftsführer H zwar auf den Beschwerdeführer verlassen hat, es jedoch unterlassen hatte den Beschwerdeführer zu kontrollieren. Dies legt implizit auch klar, dass rechtlich immer H und nicht der Beschwerdeführer mit der Geschäftsführungstätigkeit betraut war. Der Beschwerdeführer hatte mangels Gesellschafterstellung auch keine Möglichkeit, eine vergleichbare rechtliche Ingerenz an sich zu ziehen.

Dass der Insolvenzverwalter der Ansicht war, der Beschwerdeführer sei der Verantwortliche gewesen, der tatsächlich die Geschäfte der P GmbH geführt habe (Tz648), vermag im Hinblick auf die Vertreterhaftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG diese fehlenden rechtlichen Ingerenzen nicht zu ersetzen.

Das Gutachten steht auch dem - auch von der SGKK unwidersprochenen - Vorbringen des Beschwerdeführers nicht entgegen, wonach dieser keine Zeichnungsberechtigung für Bankkonten gehabt habe und "nur" gewerberechtlicher Geschäftsführer für die Baumeistertätigkeit der GmbH gewesen sei. Auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer auf der Baustelle Löhne ausbezahlt hat, weist weder auf eine Zeichnungsberechtigung für Bankkonten, noch auf einen Außenauftritt als Geschäftsführer hin.

4.2.5. Da der Beschwerdeführer rechtlich keine Gesellschafterstellung aufwies und auch sonst in keiner Weise mit der Geschäftsführung betraut war die ihm die Erfüllung von sozialversicherungsrechtlichen Pflichten als Vertreter der GmbH ermöglicht hätte, kann es auch zu keiner Vertreterhaftung für die offenen Beitragsschulden der P GmbH gemäß § 67 Abs. 10 ASVG kommen.

4.2.6. Gegenständlich ist (ausschließlich) die angefochtene Beschwerdevorentscheidung zu beheben, da die Beschwerdevorentscheidung in der gegenständlichen Konstellation dem Ausgangsbescheid endgültig derogiert hat (siehe dazu im Detail VwGH 17.12.2015, Ro2015/08/0026),

III. ad B) Zulässigkeit der Revision

Die vorliegende Entscheidung orientiert sich an den Ausführungen in der Literatur Müller in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm §67 Rz80, 97-98 mwN. Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zur gegenständlichen Rechtsfrage, ob der Normzweck des § 67 Abs. 10 ASVG neben dem Wissen um die Beitragsschulden auch eine spezifische rechtliche Ingerenz zur Erfüllung von Beitragsverbindlichkeiten erfordert, liegt nicht vor, weshalb die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Beitragsrückstand Geschäftsführung Gesellschafter Haftung Revision zulässig

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L511.2166698.1.00

Im RIS seit

03.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

03.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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